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Rainbow Love

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Informationen

 

White for the beginning and red our love is spinning,

blue ‘cause you’re my ocean and bright like an explosion,

purple, but not rainy

and green: your hope will safe me,

grey for stormy weather, who cares when we’re together?

… my rainbow love …

Silver for the starlight,

and black for after midnight,

gold ‘cause you’re my sunshine for every day

and sometimes: pink as our sky with a million butterflies,

yellow, red and blue like painted dreams of you.


White for the beginning …

Scheiße! Ich glaube, ich bin gerade fremdgegangen. Schließlich liege ich so gut wie nackt in einem fremden Bett mit einem, zugegebenermaßen sehr attraktiven Jungen, von dem ich nicht einmal weiß wie er heißt. Wie bin ich hier überhaupt hergekommen? Vielleicht verrät mir ein Blick aus dem Fenster mehr. Dazu muss ich allerdings erst aufstehen und … verdammt … das Bett knarrt bei jeder Bewegung. Was, wenn Herr Unbekannt neben mir aufwacht? Auf ein Konfrontationsgespräch habe ich jetzt nicht wirklich Lust. Aber wie komme ich hier weg, ohne mich bemerkbar zu machen? Okay, zunächst muss ich ruhig bleiben und nachdenken, was gestern passiert ist.

Oh, stimmt ja: Lenni hat mir wieder einmal eine Szene gemacht, weil ich angeblich einen anderen Jungen geküsst habe. Hallo? Wann soll das denn gewesen sein? Er hängt mir doch ständig am Rockzipfel, um eben genau so etwas zu verhindern. Ich bin seit Wochen nicht mehr alleine unterwegs gewesen, weil er der Meinung ist, dass ich meine Zeit nur mit ihm verbringen darf. Aber eifersüchtig ist er natürlich nicht! Niemals! Dass das manchmal schon leicht krankhafte Züge annimmt, streitet er stur ab. Er nennt das Liebe. Ich nenne es einen Grund, mich von ihm zu trennen. Wer weiß, warum ich das noch nicht getan habe. Wahrscheinlich habe ich nicht den Mut dafür, und irgendwie hänge ich dann doch an ihm. Seit fünf Jahren sind wir schon zusammen, obwohl ich gerade siebzehn bin. Mit ihm habe ich alles, wirklich alles, zum ersten Mal getan. Auch wenn die erste Zeit noch nicht so wahnsinnig ernst war, habe ich ihn doch von Anfang an vergöttert. Er war immer eine Art Idol für mich. Total schwachsinnig, ich weiß, aber er kam mir damals immer schon so wahnsinnig erwachsen vor. Mit seinen fünfzehn Jahren war er schließlich auch schon viel erfahrener als ich und die Tatsache, dass er niemals versucht hatte ein Geheimnis aus seiner sexuellen Neigung zu machen, faszinierte mich vom ersten Moment an. Er ging wirklich nur mit einem Grinsen durch die Schule, und wenn ihm jemand blöd kam, zuckte er nur mit den Schultern und lief weiter. Irgendwann ist vermutlich allen die Lust vergangen, ihn aufzuziehen, weil es ihm schlichtweg gleichgültig war, was man über ihn redete. Mit der Zeit ist er sogar richtig beliebt geworden und jeder bewunderte ihn für seine Einstellung. Mich eingeschlossen. Ich ertappte mich immer öfter dabei, ihn heimlich anzustarren und mich zu fragen, warum so jemand schwul war. Er sah nicht so aus und sein Verhalten ließ auch nicht darauf schließen.

Als das Gerede über ihn anfing, war ich elf Jahre jung und hatte noch nicht einmal daran gedacht, selber schwul sein zu können. Doch mit seinem Auftauchen war ich praktisch gezwungen, mich damit auseinanderzusetzen. Und dank seiner Offenheit hatte ich damit weit weniger Probleme als die meisten Anderen, wie ich später erfuhr. Dieser innere Zwiespalt und die Angst, anders zu sein, blieben mir so gut wie erspart und das alles nur, weil Lenni es mir so vorgelebt hatte. Seine lockere Art trug ein Jahr später auch entscheidend dazu bei, dass wir mehr als nur Freunde wurden, wobei alles natürlich trotzdem eher platonisch blieb. Der Altersunterschied von drei Jahren ist in dem Alter war doch etwas krass. Ich war zwölf, er fünfzehn. Wenn ich also behaupten würde ihn damals schon geliebt zu haben, wäre das nicht ganz richtig. Ich wusste ja noch gar nicht, was es damit genau auf sich hatte, aber trotzdem fühlte ich mich unabstreitbar zu ihm hingezogen. Und daraus wurde nach und nach immer mehr.

Nach zwei Jahren war ich so weit, dass ich mich ganz und gar auf ihn einließ und sogar meinen Eltern davon erzählen wollte. Auch dabei war mir Lenni eine große Hilfe. Er saß die gesamte Zeit, während meiner Ansprache, neben mir und hielt meine Hand. Es war merkwürdig. Ich war nervös, obwohl meine Beziehung zu ihm schon so normal für mich war. Ich habe mich deswegen nie unwohl gefühlt, und doch wusste ich in diesem Moment instinktiv, dass ich nervös zu sein hatte. Meine Eltern saßen uns schweigend gegenüber und mussten somit auch unsere ineinander geschlungenen Finger gesehen haben. Meine Rede war also praktisch von vornherein überflüssig, aber ich hatte das dringende Bedürfnis, ihnen alles zu erklären. Und das tat ich auch. Sie waren zwar beide etwas geschockt, als sie das mit Lenni und mir erfuhren, aber alles in allem haben sie sehr positiv reagiert. Natürlich musste ich ihnen versprechen bloß nichts zu übereilen, aber nachdem Lenni versichert hatte, er würde gut auf mich aufpassen, waren sie beruhigt.

Man sieht also: Ich habe ihm eine Menge zu verdanken. Als er aber auf einmal anfing, sich ein wenig zu sehr um mich zu kümmern und mich ständig im Auge haben zu wollen, war ich mit meinem Latein am Ende und wusste beim besten Willen nicht, warum er sich plötzlich so verändert hatte. Das war nicht mehr derselbe Lenni, der immer für mich da war und mir ununterbrochen gezeigt hatte, was ich ihm bedeute. Im Grunde tut er das immer noch, aber etwas zu verbissen für meinen Geschmack. Ist ihm denn nicht klar, dass er mich dadurch verlieren könnte? Das Doofe ist, dass ich ihn einfach nicht verlassen kann. Ich kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, ohne ihn zu leben. Ohne all das, woran ich mich in den letzten fünf Jahren gewöhnt habe. Ich bin praktisch mit ihm an meiner Seite aufgewachsen. Na ja … das ist der Kehrseite der Medaille. Verdammt, ich bin völlig abhängig von ihm!

Und was war letzte Nacht? Ich weiß nur noch, dass ich nach dem Streit mit Lenni total aufgelöst in die nächste Kneipe gegangen bin und mir etwas zu trinken bestellt habe. Von dem, was danach passiert sein muss, habe ich keine Ahnung, aber wenn ich mir den schlafenden Körper neben mir ansehe, muss ich etwas sehr unüberlegt Dummes getan haben. Ich fasse es nicht! Dabei habe ich doch noch nie jemand anderes außer Lenni geküsst. Von anderen Dingen ganz abgesehen.

Mist! Jetzt ist genau das passiert, was er mir immer vorgeworfen hat. Okay, ich war gestern stinksauer, aber deswegen vergnüge ich mich doch nicht gleich mit dem Nächstbesten! So bin ich nicht! Was läuft bloß schief? Warum ist Lenni so anders? Er macht alles kaputt. Aber ich bin auch nicht besser. Ich hätte vernünftig bleiben sollen, doch stattdessen reiße ich mir irgendeinen Kerl auf. Ich bin ein echter Idiot!

Vielleicht hat es mir einfach nicht gut getan, dass ich so früh jemanden kennengelernt und den Rest meiner Kindheit mit ihm verbracht habe. Das, was die anderen Jugendlichen in der Zeit durchmachen, habe ich nie gekannt. Ich war immer nur darauf aus, so schnell wie möglich erwachsen zu werden, um mit Lenni gleichzuziehen. Dabei sind diese typischen Kindheitserfahrungen wie Schönheitswahn und die Sehnsucht nach der ersten großen Liebe auf der Strecke geblieben. Seit ich zwölf war, war ich nie allein. Lenni war für mich zeitgleich großer Bruder, bester Freund und derjenige, den ich liebe. Für mich gab es praktisch nur ihn und meine Eltern. Mehr wollte ich nicht und die Rechnung bekomme ich jetzt. Jetzt, wo es so aussieht als könnte ich ihn endgültig verlieren.

Aber jetzt hinaus aus diesem Bett und dieser Wohnung, gleichgültig, ob ich jemanden dabei wecke oder nicht. Ich muss unbedingt mit Lenni reden. Wahrscheinlich wartet er schon total angespannt auf mich, weil ich die ganze Nacht verschwunden war. Am besten gehe ich gleich zu ihm und beichte ihm alles. Er würde mir sowieso nicht glauben, wenn ich es abstreite. Immerhin kenne ich seine Eifersuchtsattacken schon zur Genüge und weiß daher ganz genau, was mich erwartet. Schreien, Fluchen, im Zimmer hin- und herrennen und vielleicht werden diesmal sogar wieder ein paar Dinge zu Bruch gehen. Letztes Mal war es eine Kaffeetasse, die dummerweise in Reichweite seiner fuchtelnden Arme stand. Mich hat er dabei allerdings noch nie verletzt. Von seinen beleidigenden Worten abgesehen. Ob sich das dieses Mal ändert? Nein. Das würde er nie tun. Irgendwo in ihm muss schließlich noch mein Lenni stecken, und der hätte mir niemals etwas angetan.

Trotzdem bin ich verdammt angespannt, als ich die Wohnung ungesehen verlasse und auf dem Weg zu ihm bin. Nein, das ist noch stark untertrieben. Ich komme kaum voran, so heftig zittert alles an mir. Oh Gott, wie soll ich es ihm nur sagen? Er wird mich doch bestimmt nie wieder sehen wollen. Was, wenn ich heute das letzte Mal bei ihm bin? Verflucht, ich halte das nicht aus! Ich muss jetzt mit ihm reden und alles versuchen, damit er sich nicht von mir abwendet. Hoffentlich lässt er mich bei sich bleiben.


Gold cause you’re my sunshine for every day

and sometimes: pink as our sky with a million butterflies …

Okay, ich stehe vor seiner Haustür. Es ist ein gutes Zeichen, dass er mir nicht gleich entgegengestürmt kam. Also hat er sich nicht auf die Lauer gelegt und auf mich gewartet, wie er es sonst gerne tut, wenn er sauer ist.

Tief durchatmen und die Klingel drücken. Sehr gut. Das ist doch gar nicht so schwer. Und da kommt er auch schon. Ich sterbe! Ich will sofort in Ohnmacht fallen! Ich …

„Hey Flo! Da bist du ja. Hab dich schon vermisst“, sagt er, zieht mich an sich und … küsst mich? Hä? Was ist denn jetzt verkehrt? Kein „Wo warst du? Mit wem warst du zusammen?“ und „Warum kommst du erst so spät?“? Hat er vergessen, dass wir uns gestern noch gezofft haben?

„Ich hatte schon Angst, dass du heute gar nicht kommst. Tut mir leid, was ich gestern zu dir gesagt habe. Ich weiß auch nicht, wie ich auf so was gekommen bin.“

Er streichelt mir kurz über die Wange und verschwindet dann in der Wohnung. Ich trete ebenfalls ein und schließe die Tür hinter mir. Was hat der denn genommen? Normalerweise würde ich mich freuen, dass er wieder ganz der Alte zu sein scheint, aber … wie soll ich ihm gestehen, dass ich mit einem anderen geschlafen habe, wenn er so gut gelaunt ist? Ich kann ihm das doch nicht sagen, wenn er so süß zu mir ist und sich sogar noch für seine Eifersucht entschuldigt. Was mache ich denn jetzt?

„Hallo? Geht’s dir gut? Du hast noch gar nichts gesagt …“

„Ähm … ja, alles in Ordnung.“

„Du bist noch sauer, stimmt’s?“

„Nein, das … war doch nicht so schlimm.“

„Na ja, immerhin warst du die ganze Nacht weg.“

Ich ziehe es vor, darauf nicht zu antworten.

„Okay, sag schon. Irgendwas ist doch mit dir.“

„Nein, es … ich bin nur müde.“

„Willst du dich ein bisschen hinlegen?“

Ich nicke.

„Soll ich mitkommen?“

Ich nicke wieder, und wir gehen zusammen in sein Schlafzimmer. Dort angekommen legen wir uns auf sein Bett, und ich kuschle mich ganz dicht an ihn. Es ist schon eine Weile her, dass er mich so nah an sich heran gelassen hat. Die Gelegenheit kann und will ich mir nicht entgehen lassen. Außerdem tut es gerade jetzt gut, von ihm gehalten zu werden. Die letzte Zeit war einfach viel zu anstrengend. Wahrscheinlich hat er auch gemerkt, dass es so nicht weitergehen konnte. Wir haben uns viel zu sehr voneinander entfernt.

„Hast du mich noch lieb?“, fragt er fast ein bisschen traurig.

„Ja, sogar sehr.“

Dann lächelt er mich an und streicht langsam mit seinen schlanken Fingern durch meine Haare, über meine Schulter und lässt sie auf meiner Hüfte liegen. Seine andere Hand stützt seinen Kopf.

„Ich liebe dich, Flo!“, sagt er, bevor er sich vorbeugt und seine Lippen meine berühren. Ich bin so überwältigt von all dem, dass ich zunächst überhaupt nicht reagiere. Er ist wieder genauso wie ich ihn kennengelernt habe. Aber jetzt bin ich anders. Ich habe sein Vertrauen missbraucht und ihm nur aus Wut und Verzweiflung etwas Schreckliches angetan. Das hätte nicht passieren dürfen, auch wenn er mich noch so provoziert hätte. Ich liebe ihn doch, und ich sollte akzeptieren, wenn er in einer schwierigen Phase steckt. Stattdessen renne ich beleidigt davon und hole mir Trost von einem völlig Fremden. Und jetzt habe ich nicht einmal den Mut es zuzugeben. Lennis Eifersucht war zwar kaum zu ertragen, aber letztendlich hatte er doch Recht behalten. Auch wenn er nicht ganz unschuldig an der ganzen Sache ist, bin ich doch erschüttert, dass ich es so weit habe kommen lassen. Ich wollte ihm nie wehtun, aber jetzt habe ich es, und er weiß es nicht. Er liegt völlig ahnungslos neben mir und küsst mich … wie die letzten fünf Jahre auch. Fünf Jahre. Und wir haben uns nie ernsthaft gestritten. Warum geht auf einmal alles schief? Ist das nur vorübergehend oder geht es ab jetzt bergab? Ich will ihn nicht verlieren!

„Hey, willst du mir nicht sagen, was dich so beschäftigt?“

„Hm? Wie kommst du darauf, dass …“

„Du weinst …“

Was? Mist! Das habe ich gar nicht bemerkt! Aber … tatsächlich.

„Jetzt sag mir doch endlich, was los ist. Du bist schon die ganze Zeit so komisch. Es liegt doch an mir, oder?“

„Nein!“

„Ach, hör schon auf! Denkst du, ich bin blöd? Du bist sauer, weil ich dir nicht vertraut habe.“

„Wenn du’s genau wissen willst: Ja, das war ich. Aber das hat jetzt nichts damit zu tun.“

„Und was ist es dann?“

Nein, ich kann es ihm nicht sagen. Er würde mich wegstoßen und nie wieder etwas mit mir zu tun haben wollen. Dabei ist er doch gerade wieder ganz normal. Das kann ich jetzt nicht wieder kaputt machen.

„Ich … weiß auch nicht. Die letzte Zeit war irgendwie total schwierig.“

„Also bin doch ich schuld daran. Hätte ich mir denken können, dass du das nicht einfach so vergisst. Hör zu, es tut mir schrecklich leid, dass ich dich so ungerecht behandelt habe. Ich habe irgendwie Panik bekommen, du könntest auf einmal merken, dass du etwas verpasst, weil du immer nur mit mir zusammen warst. Ich dachte, dass du es irgendwann bereuen könntest und ich dir auf Dauer langweilig werde. Aber das wollte ich nicht. Ich will dich immer bei mir haben.“

Na toll! Muss er jetzt mit so einer Rede kommen, wo ich mich sowieso schon wahnsinnig schlecht fühle? Jedenfalls sind jetzt alle Entschuldigungen, die ich mir für meinen Seitensprung zurechtgelegt hatte, hinfällig, und ich bin am Boden zerstört. Er wird mir das nie verzeihen können. Und ich schon gar nicht!

„Flo? Verzeihst du mir?“

„Hab ich doch schon längst.“

Und was ist mit dir? Verzeihst du mir auch? Ich muss schlucken und fühle mich unheimlich schlecht.

„Ich bin nur froh, dass du mich noch bei dir haben willst.“

„Natürlich will ich das! Warum auch nicht? Manchmal hast du echt komische Einfälle.“

Wenn er wüsste!

„Ich bin wahnsinnig froh, dich zu haben und das meine ich auch so.“

Dann streckt er seine Arme nach mir aus und zieht mich an sich. Ich lehne meinen Kopf an seine Brust und versuche die Tränen zu unterdrücken, die sich schon wieder in meine Augen geschlichen haben. Gar nicht so einfach, wenn man sich so schrecklich mies fühlt wie ich gerade. Und während ich mich an ihn klammere und er mit der Hand über meinen Rücken streicht, denke ich an einen Abend zurück, an dem wir genau so hier gelegen haben. Damals hatte mir mein bisher bester Freund die Freundschaft gekündigt, weil er von mir und Lenni erfahren hatte. Er hat mich mit Ausdrücken beschimpft, die ich vorher nie gehört hatte, und die mir so sehr wehtaten, als wären sie physische Schläge. Es war noch ganz am Anfang meiner Beziehung mit Lenni – sprich, ich war zwölf. So früh schon einen guten Freund zu verlieren war wirklich nicht einfach für mich, zumal ich mir meiner Schuld überhaupt nicht bewusst war. Ich bin nach Hause gefahren, habe Lenni angerufen und mich anschließend bei ihm ausgeheult. Er hat mich genauso festgehalten wie jetzt, mir ständig zugeflüstert, dass ich den Kerl vergessen soll, und dann haben wir einander zum ersten Mal richtig geküsst. Es war einfach atemberaubend schön, sodass ich sicher war, Millionen von Schmetterlingen in meinem Bauch zu haben, und von da an war es mir völlig gleichgültig, was irgendjemand über uns dachte.

Wenn ich jetzt daran denke und daran, was ich mir damals geschworen hatte, schnürt sich mir sofort die Kehle zu. Ich hatte mir damals vorgenommen, Lenni niemals so verletzen wie dieser sogenannte „Freund“ mich verletzt hatte. Ich wollte ihn auf keinen Fall verlieren.

„Weißt du woran ich gerade gedacht habe?“, murmle ich in sein Shirt.

„Hm?“

„An den Abend, als du mich das erste Mal geküsst hast.“

„Ach ja? Wie kommst du denn darauf?“

Er kicherte.

„Damals hast du mich genauso festgehalten wie jetzt, und ich hab mich genauso wohl gefühlt.“

„Und dann habe ich dich geküsst“, flüstert er und tut genau das auch jetzt.

„Ja“, sage ich, „genau so.“


Grey for stormy weather …

Die endlosen Wochen der Eifersucht sind vorbei, Lenni ist wieder völlig normal und eine Weile konnte ich ihm sogar in die Augen sehen, ohne an meine Schande erinnert zu werden. Aber auch diese friedliche Zeit war irgendwann zu Ende und mein schlechtes Gewissen meldete sich immer häufiger. Er ist einfach zum Anbeißen niedlich – wie er sich um mich bemüht … und ich verheimliche ihm etwas, was er sicher hätte wissen wollen. „Wollen“ natürlich nicht in dem Sinne, dass er sich darüber freuen würde, denn freuen würde er sich darüber sicherlich nicht, sondern vielmehr, dass es ihm wichtig wäre, von so etwas zu erfahren. Ich würde auch nicht mit jemandem zusammen sein wollen, der mich belügt. Aber genau das tue ich schon seit Tagen. Und deswegen habe ich mich dazu entschlossen, ihm alles zu erzählen.

Gerade sitzen wir nebeneinander auf dem Sofa und sehen uns einen irre langweiligen Film an. Jetzt könnte ich es tun, nur leider wird mir bei dem Gedanken schon so schlecht, dass ich fast zusammenklappe.

„Willst du den Film noch weitersehen?“, fragt Lenni und meint: „Ich finde das muss nicht sein.“

„Nee, mach ruhig aus.“

Ich schwitze, ich schwitze, ich schwitze … und ich schwitze noch mehr, als Lenni sich auf meinen Schoß setzt und anfängt meinen Hals zu küssen. Wow, da vergisst man doch glatt alles um sich herum. Er weiß eben genau, was mir gefällt, aber so etwas darf ich jetzt eigentlich gar nicht haben. Ich muss mit ihm reden, sonst drehe ich noch durch.

„Ich … Lenni, ich muss mit dir reden.“

„Worüber denn?“, fragt er und küsst einfach weiter, während seine Hände mir unter meinem Shirt über den Rücken streichen.

„Über … Ich … Kannst du mal eben damit aufhören?“, sage ich bestimmt und schiebe ihn von mir. Er setzt sich völlig verdattert neben mich und starrt mich abwartend an. Shit! Das ist so verdammt schwierig! Muss er denn ausgerechnet jetzt so süß und anbetungswürdig schön aussehen?

Nervös zupfe ich am Saum meines T-Shirts, und immer wenn ich glaube, einen guten Anfang gefunden zu haben, versagt meine Stimme.

„Muss ja etwas echt Grausiges sein“, sagt er irgendwann und wirkt auch schon ziemlich angespannt.

„Ja, allerdings. Und du musst wissen, dass ich noch nie zuvor so nervös war.“

„Jetzt sag’s endlich! Sonst krieg ich gleich einen Herzkasper.“

Schlucken, tief einatmen und …

„Ich hab mit einem anderen geschlafen“, sprudelt es aus mir hervor.

Erschrocken über meine eigenen Worte, die meinem Freund wahrscheinlich gerade einen Stich ins Herz versetzt haben, schlage ich die Hände vors Gesicht und fange heftig an zu schluchzen. Ich wollte ihm doch nie wehtun! Wie konnte es nur so weit kommen? Wie kann er mir das jemals verzeihen?

„Es tut mir so leid, Lenni“, klage ich und sehe ihn flehend an, „das musst du mir glauben. Ich wollte das nicht! Ich weiß auch gar nicht, wie es dazu kam. Ich bin morgens aufgewacht und wusste überhaupt nichts mehr.“

Er saß nur da und starrte zuerst mich, dann eine ganze Weile den Fußboden an. Es war so still. Ich hörte mich nur selber weinen und hoffte, er würde es mich erklären lassen.

„Ich wollte dich nicht verletzen – nie. Aber als du …“

„War das alles?“, fragt er kühl. „Dann kannst du ja jetzt gehen.“

„Bitte, Lenni … Ich …“

„GEH!“, schreit er so laut, dass ich auf einmal richtig Angst vor ihm habe.

Ich springe sofort auf und stürze aus der Wohnung. Die ganze Strecke bis nach Hause renne ich ununterbrochen und breche schließlich vor der Haustür zusammen. Es tat so weh, ihn so zu sehen! So geschockt und dann so furchtbar wütend. Er hat mich noch nie so angesehen und ich habe ihn auch noch nie schreien hören. Es war einfach schrecklich! Und das alles nur meinetwegen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er je wieder mit mir reden will. Nicht nach dem, was eben passiert ist. Aber ich werde es versuchen. Er muss mir einfach zuhören. Wir können doch so nicht auseinandergehen! Wir können überhaupt nicht auseinandergehen! Ich kann doch ohne ihn nicht mehr leben. Was mache ich nur? Was kann ich tun?

Anscheinend gar nichts, denn er reagiert auf keinen meiner Versuche. Wenn ich ihn anrufe legt er sofort wieder auf oder geht gar nicht erst ran und in die Nähe seiner Wohnung traue ich mich nicht. Eigentlich traue ich mich gar nichts, aber wenn ich nichts unternehme, wer dann? Ich bin es, der Mist gebaut hat, also muss ich das auch wieder ausbügeln. Nur wie? Wie zur Hölle kann ich ihn dazu bringen, mir zu verzeihen? Ich habe wirklich keine Idee und genauso wenig Hoffnung, dass sich alles bald wieder einrenkt. Es ist schon komisch, dass ich ihm genau das angetan habe, was er mit allen Mitteln verhindern wollte.

Wie es ihm wohl geht? Ob er überhaupt noch an mich denkt? Vielleicht hat er mich ja schon vollkommen vergessen. Aber … nein, das glaube ich nicht. Er ist auch eher der Typ, der lange an etwas zu knabbern hat. So wie ich. Außerdem wird er unsere fünf Jahre doch auch nicht einfach so vergessen, oder? Kann man so etwas denn von einem auf den anderen Tag verdrängen? Wenn man einen guten Grund hat, vielleicht schon. Oh Gott! Er hat mich bestimmt schon abgeschrieben! Ich weiß es! Ich kenne ihn! Wahrscheinlich geht es ihm genauso dreckig wie mir, aber er wird irgendwann darüber hinwegkommen, wenn er mich genug gehasst hat. Ich dagegen werde mir ewig Vorwürfe machen.


Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich machen soll. Meiner Mutter habe ich gesagt, dass ich krank bin, damit ich nicht in die Schule gehen muss. Die hat nämlich vor einer Woche wieder angefangen, nachdem ich zwei Woche Osterferien hatte. Tolle Ferien waren das! Wirklich! Ich war lange nicht mehr so entspannt!

Wenigstens war es nicht besonders schwierig, eine Entschuldigung zu bekommen. Schließlich sagen mir alle, dass ich aussehe, als sei ich schon halb tot. Und Lenni? Der schweigt mich immer noch stur an. Gestern habe ich wieder versucht, ihn anzurufen. Er hat den Hörer abgenommen, ohne etwas zu sagen und mich dann ungefähr eine Minute reden lassen, bevor er völlig unvorhergesehen aufgelegt hat. Dabei hatte ich doch so gehofft, seine Stimme endlich wieder zu hören. Immerhin hat er nicht sofort wieder aufgelegt. Ich dachte sogar kurz, dass er auch etwas sagen wollte, aber da war er auch schon weg.

Wie lange soll das denn noch so weitergehen? Will er mich jetzt ewig ignorieren? Meine Güte, er soll mir wenigstens ins Gesicht sagen, dass er mich nicht mehr sehen will! Dass ich ihn nicht mehr anrufen soll und wir ab sofort getrennte Wege gehen. Aber so? Ich weiß nicht einmal, ob wir noch zusammen sind. Ich meine … er hat nie gesagt, dass es aus ist. Seit dem Tag meiner Beichte hat er kein Wort mehr mit mir geredet. Was soll ich denn da denken? Will er mich quälen? Eigentlich ist er immer sehr direkt, warum nicht auch jetzt? Vielleicht liegt es daran, dass er genauso wenig wie ich daran gewöhnt ist, lange allein zu sein. Für mich ist es jedenfalls ganz schrecklich zu wissen, dass ich niemanden mehr habe, bei dem ich mich anlehnen kann. Der mir das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein und mir in kalten Momenten etwas von seiner Wärme schenkt.

Lenni und ich kennen einander schon so lange. Und auch wenn es noch so furchtbar ist, was ich ihm angetan habe, kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass er all das Schöne vergisst. Nur leider muss er das ja auch gar nicht, wenn er sich von mir trennen will. Tja. Gleichgültig an welchem Strohhalm ich mich hochziehen will, immer bricht er ab. Aber so spielt das Leben. Ich habe einen Fehler gemacht und muss jetzt mit den Konsequenzen klarkommen, ob es mir gefällt oder nicht. Auch wenn das heißt, dass ich von nun an allein bin. Ich kann nicht darauf setzen, dass er mir je wieder vertraut.

Oh Gott! Das hört sich ja grausam an! Nein, das kann unmöglich so kommen. Ich will ihn doch wieder haben und nicht verlieren. Dann läuft wohl alles darauf hinaus, dass ich tatsächlich zu ihm fahren muss, und wenn nötig so lange da bleibe, bis er mir zuhört. Schlimmer kann es eh nicht mehr werden. Soll er mich doch wieder anschreien. Ich werde nicht locker lassen! Wir gehören einfach zusammen, davon bin ich überzeugt. Und er muss mich schließlich auch lieben, wenn er so viel Angst hatte, mich zu verlieren. Ja. Er muss mich einfach noch lieb haben. Wenn nicht, gehe ich ein.


So, nun stehe ich vor seiner Tür und muss mich beherrschen, dass ich nicht gleich wieder umkehre. Nein, ich will es so und ziehe das jetzt durch! Nur zu Hause rumhocken, heulen, ihn vermissen und mich selber bemitleiden kann ich nicht länger. Davon habe ich genug. Ich will nur ihn, alles Andere ist mir jetzt völlig gleich. Wenn er meint, dass er mir nicht zuhören muss, bleibe ich genau hier stehen (oder wahlweise sitzen), sodass er jedes Mal, wenn er das Haus verlässt, an mir vorbei muss. Ich habe es satt ihn nicht bei mir zu haben. Und wenn er mir sagen will, dass es ihm nicht so geht, muss ich laut lachen. Solange er mir keine klare Antwort gibt, weiche ich nicht von der Stelle. Also muss er sich wohl oder übel überlegen, ob er mit mir redet, oder nicht.

Meine Hände zittern trotzdem und das Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich die Klingel drücke.

Kurz darauf sehe ich ihn durch die Glasscheibe wie er auf mich zukommt. Oje, er sieht auch ziemlich fertig aus. Ich möchte ihn sofort in den Arm nehmen und ihm sagen, dass es mir so wahnsinnig leidtut.

„Was willst du?“, fragt er leise und sieht mich traurig, aber nicht wütend, an.

Ist das ein gutes Zeichen?

„Ich will endlich mit dir reden.“

Oh nein, nicht wieder heulen, nicht jetzt!

„Ich aber nicht mit dir.“

„Aber ich muss dir doch erklären wieso …“

„Ich will das nicht hören, okay? Und ich will dich auch nicht mehr sehen. Ich kann nicht.“

Dann schließt er die Tür wieder und lässt mich genauso ratlos zurück wie ich gekommen bin. Heißt das jetzt, dass er mich nie wieder sehen will, oder nur vorübergehend nicht? Ich klopfe ein weiteres Mal gegen die Scheibe, aber er dreht sich nicht einmal zu mir um. Wie kann er nur so kühl sein? Warum hat er mir denn erst die Tür geöffnet, wenn er mich gar nicht sehen und auch nicht mit mir sprechen wollte? Ich verstehe das alles nicht.

Langsam lasse ich mich auf den Boden sinken. Dann muss ich also tatsächlich hier darauf warten, dass er nachgibt. Wenn ich daran denke, dass er in diesem Augenblick gar nicht weit weg ist, ich ihn aber trotzdem nicht sehen und berühren darf, werde ich ganz kribbelig. Er würde sich bestimmt auch gerne bei jemandem ausweinen, nur nicht bei mir. Und das ist das Problem. Wir hatten immer nur einander als Ansprechpartner. Jetzt bleibt uns nichts Anderes übrig als miteinander zu sprechen oder alles in uns hineinzufressen. Ich wäre eindeutig für die erste Variante, aber das kann ich leider nicht allein entscheiden.

Wenigstens ist es warm draußen, und ich muss nicht frieren, während ich warte. Ob er heute noch herauskommt? Wenn nicht, muss ich wohl hier auf seiner Türschwelle übernachten. Meinen Eltern habe ich gesagt, dass ich bei Lenni schlafe. Sie wissen ja nichts von der aktuellen Situation.


And green: your hope will safe me...

Er ist natürlich nicht noch einmal rausgekommen, also habe ich die ganze Nacht auf dem sehr ungemütlichen Steinboden gesessen und kein Auge zugetan. Wahrscheinlich hat er nicht einmal bemerkt, dass ich noch da bin. Und wann er wieder hinausgehen wird, ist auch fraglich. Was mache ich hier nur? Das ist doch Schwachsinn! Ich warte auf jemanden, der mich sowieso nicht sehen will. Bestimmt weiß er dieses Opfer gar nicht zu schätzen und ist nachher nur genervt, dass ich ihn nicht in Ruhe lasse. Aber ich kann nicht anders. Ich werde hier sitzen … und sitzen … und sitzen, bis er mir in irgendeiner Weise zu verstehen gibt, wie es weitergehen soll. Ist doch völlig gleich, ob ich hier verhungere, denn wenn er mit mir Schluss macht, werde ich ohnehin sterben. Ich kann nur darauf hoffen, dass er das verhindert.

Meine Güte, das zieht sich wirklich hin. Muss er denn nicht einmal frische Luft schnappen oder einkaufen, oder was-weiß-denn-ich tun? Irgendetwas muss ihn doch dazu bringen können, die Tür zu öffnen. Irgendetwas wie … der Paketdienst! Endlich! Ich bin gerettet. Jetzt muss Lenni an die Tür kommen. Bestimmt ist das wieder ein Päckchen von seinen Eltern. Die verwöhnen ihn ganz schön mit ihrer Aufmerksamkeit.

Der junge Mann kommt auf mich zu.

„Hallo. Alles okay?“

„Ja, ja, ich wollte nur ein bisschen frische Luft schnappen.“

Wie peinlich. Der denkt doch jetzt sonst etwas von mir.

„Na dann“, sagt er und klingelt.

Ich drücke mich vorsichtshalber etwas weiter an die Wand, damit Lenni mich nicht schon durch die Scheibe sieht.

„Oh, hallo“, höre ich seine Stimme wenig später.

Und da bemerkt er mich auch schon. Er starrt mich an, als würde er mich für eine Halluzination halten und vergisst vollkommen das Päckchen entgegenzunehmen.

„Ich bräuchte hier noch eine Unterschrift“, drängt der Paketdienst-Typ und lenkt Lennis Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Ähm, klar.“

„Danke. Schönen Tag noch.“

„Danke, Ihnen auch.“

Der Mann macht sich aus dem Staub und lässt uns beide schweigend zurück. Lenni sieht mich nicht an, verschwindet aber auch nicht wieder im Haus. Ich hocke immer noch auf dem Boden und traue mich nicht, mich zu bewegen.

„Du hast nicht wirklich die ganze Nacht da gesessen, oder?“

„Doch, das habe ich.“

„Und was meinst du bringt das?“

„Ich will mit dir reden, auch wenn ich ewig hier sitzen muss.“

„Flo, das … das geht so nicht. Lass mir doch wenigstens ein paar Tage zum Nachdenken.“

„Und dann redest du mit mir?“

„Das weiß ich noch nicht“, sagt er und schwups ist die Tür auch schon wieder zu.

Ich bin völlig sprachlos und überhaupt nicht sicher, ob ich mein Ziel erreicht habe oder nicht. Und jetzt? Soll ich noch länger hier warten? Wahrscheinlich ist das sinnlos. Wenn er nachdenken will, muss ich das wohl akzeptieren. Ich stehe also auf und mache mich auf den Weg nach Hause. Meine Beine sind total zittrig, weil ich so lange darauf gesessen habe und wollen nicht richtig vorwärts laufen. Die Aktion hat sich ja wirklich gelohnt! Ich fühle mich kein bisschen besser. Lenni habe ich nicht wieder, und reden wollte er auch nicht mit mir. Na toll! Und ich habe meinen Plan für so genial gehalten. Aber es sieht so aus, als wäre es ihm vollkommen gleichgültig, ob ich zu Hause bin oder vor seiner Tür. Na ja, besonders hartnäckig war ich ja nun auch nicht. Vielleicht hätte ich doch dableiben sollen und ihn dazu zwingen, mir zuzuhören, wie ich es eigentlich geplant hatte. Verdammt! Ich lasse mich immer viel zu schnell von meinen Vorhaben abbringen. Jetzt denkt er sicher, dass ich es gar nicht ernst meinen kann, wenn ich sofort verschwinde, sobald er mir eine Abfuhr erteilt. Andererseits könnte es auch sein, dass er mir dankbar ist, weil ich nicht so aufdringlich war. Hm…, ich werde noch verrückt von diesem ständigen Grübeln. Warte es doch einfach ab, Flo! – Das hat Lenni mir früher auch schon immer gesagt. Ich bin eben ein unheimlich ungeduldiger Mensch, und ich glaube, dass es absolut nichts gibt, was ich dagegen tun kann.

Ich laufe also mit rauchendem Kopf durch die Straßen, bis ich hinter mir jemanden rufen höre: „Hey!“

Was soll’s, der wird wohl kaum mich meinen. Die Stimme kenne ich nicht. Ich gehe weiter. Doch dann legt man mir plötzlich eine Hand auf die Schulter.

„Hey, warte mal.“

Ich drehe mich also um und bekomme den größten Schock meines Lebens. Ach du Schande! Das ist doch … bitte nicht!

„Erinnerst du dich noch an mich?“

Und ob ich das tue. Das ist der Kerl, neben dem ich neulich morgens aufgewacht bin!

„Warum bist du denn einfach abgehauen, ohne was zu sagen?“

Hätte ich mich etwa noch verabschieden sollen? Na ja, er kann ja nichts dafür, dass ich so blöd bin, meinen Freund zu betrügen. Also schön höflich bleiben.

„Sorry, aber ich war ein bisschen durcheinander, weil ich mich an nichts mehr erinnern konnte.“

„Das wundert mich nicht. Du warst total betrunken.“

Ach, was du nicht sagst! Er findet das anscheinend sehr komisch, denn er lacht sich gerade halbtot. Ich kann das eher weniger lustig finden.

„Sei mir nicht böse, aber ich hab grad nicht besonders viel Lust auf Gesellschaft.“

„Ist es immer noch nicht besser mit deinem Freund?“

Ähm, wie bitte? Was weiß der denn von meinem Freund?

„Woher…?“

„Du hast mich die ganz Nacht vollgejammert, dass dein Freund so wahnsinnig eifersüchtig ist und dir überhaupt nicht vertraut und so weiter. Na ja, und so besonders glücklich siehst du immer noch nicht aus.“

Ich fasse es nicht! Er wusste, dass ich einen Freund habe und hat trotzdem mit mir geschlafen? Der schreckt ja wohl vor nichts zurück! Und jetzt quatscht er mich einfach so an? Was soll das denn bringen? Noch einmal werde ich so etwas nicht mit ihm tun! Das kann er sich gleich abschminken.

„Ich muss weiter“, sage ich – allerdings nur, weil grad nicht in der Stimmung bin, mit ihm zu streiten.

„Irgendwie habe ich den Eindruck, dass du sauer auf mich bist.“ – Er anscheinend schon.

„Ja, allerdings.“

„Und warum, wenn ich fragen darf?“

„Das ist ja wohl offensichtlich!“

„Aha. Ich verstehe es trotzdem nicht, also sei doch so nett und klär mich auf.“

„Also gut… Warum hast du mich mit zu dir genommen, obwohl du wusstest, dass ich einen Freund habe?“

„Hä? Wieso denn nicht? Du konntest ja nicht mal mehr stehen.“

„Und das musstest du natürlich gleich ausnutzen!“

„Was hast du denn eingeworfen? Ich wollte dir nur helfen.“

„Das hast du aber nicht. Mein Freund will sich wahrscheinlich von mir trennen … deinetwegen.“

Okay, vielleicht tut es mir doch ganz gut, den ganzen Frust hinauszulassen. Und dieser Kerl hier hat eindeutig den Schuss nicht gehört!

„Wieso das denn?“

„Hättest du es gerne, wenn dein Freund dich betrügt?“

„Betrügt?“

Oh mein Gott! Man könnte fast glauben, er hat Alzheimer. Langsam wird mir das hier zu blöd. Und … ich glaube es nicht: Er schüttelt sich schon wieder vor lachen! Ja, stimmt, es ist wirklich lustig, wenn eine langjährige Beziehung zu Bruch geht und man selber daran Schuld ist! Ha-ha, ich schmeiß mich weg!

„Scheiße, du … du denkst echt … du glaubst, dass … dass wir miteinander geschlafen haben?“

„Natürlich. Was soll ich denn sonst denken, wenn ich halbnackt neben dir aufwache und mich an nichts erinnern kann?“

„Das ist echt ulkig, denn weißt du … ich bin gar nicht schwul. Und mit dir geschlafen habe ich auch ganz bestimmt nicht.“

Ja, sicher! Der ist doch nicht ganz dicht! Oder … na ja, er sieht überhaupt nicht so aus, als würde er Witze machen. Oh mein Gott! Das meint er doch jetzt nicht ernst?

„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“

Ich glaube mir fällt gerade alles aus dem Gesicht! Das ist doch ein schlechter Scherz! Heißt das, dass ich mich die ganze Zeit umsonst verrückt gemacht habe?

„Doch, und ob! Und du hast deinem Freunde schon gesagt, dass … na ja … dass du fremdgegangen bist?“

„Ja, hab ich.“

Scheiße! Ich bin so doof! Was renne ich auch gleich zu Lenni und beichte ihm etwas, woran ich mich nicht mal erinnern kann?

„Tja, dann freu dich doch. Er hat jetzt keinen Grund mehr sich von dir zu trennen. – Aber eins verstehe ich nicht: Warum trauerst du ihm nach, wenn er doch angeblich so ein eifersüchtiges Arschloch ist?“

„Na ja … jetzt ist er es nicht mehr. Er ist wieder genau so wie früher.“

„Dann geh zu ihm und erklär ihm alles.“

„Das glaubt er mir doch nicht. Ich könnte ihm ja sonst was erzählen, nur damit er zu mir zurückkommt. Nein, ich muss erst mal darüber nachdenken wie ich es ihm sage.“

„Na gut, dann … hey, warte! Gib mir deine Hand.“

„Was?“

„Ich schreib dir meine Telefonnummer auf. Falls er dir nicht glaubt, ruf mich einfach an und dann mach ich ihn zur Schecke.“

„Ach und das bringst du, ja?“

„Aber sicher“, beteuert er und kritzelt eine fünfstellige Nummer und einen Namen auf meinen Handrücken.

„Mark?“

„Ja, das bin ich.“

„Okay …ich bin Flo.“

„Ja, ich weiß. Hast du mir schon ausreichend oft erzählt. Sag mal redest du immer in der dritten Person von dir, wenn du betrunken bist?“

„Echt witzig!“

„Tja …“

Er hebt die Schultern und grinst, dann meint er: „Ich werd dann mal. Viel Glück!“

„Danke“, antworte ich und trotte ebenfalls in Richtung Zuhause.

Das ist doch alles nicht wahr! Erst dieses Geschiss um meinen Fehltritt und die dadurch entstandenen Probleme und jetzt das! Kann nicht auch ein einziges Mal irgendetwas normal bei uns laufen? Anscheinend nicht! Aber Mark hat recht! Ich sollte mich wirklich freuen, dass Lenni jetzt keinen Grund mehr hat, sauer auf mich zu sein. Und das heißt wiederum, dass … ich endlich wieder in seinen Armen liegen, ihn ansehen, streicheln und küssen kann! Oh ja … da schleicht sich doch glatt ein Lächeln auf mein Gesicht, und auf einmal kann ich es gar nicht abwarten mit Lenni zu reden. Ich will ihn wieder! Und zwar auf der Stelle! Hoffentlich ist Mark noch nicht so weit weg, dann kann er gleich mitkommen. Vielleicht ist es tatsächlich besser, wenn er Lenni bestätigen kann, dass nichts gelaufen ist. Also schnell, dann erwische ich ihn vielleicht noch.


Yellow, red and blue like painted dreams of you...

„Hey, ganz locker bleiben“, sagt Mark, als wir vor Lennis Haustür angekommen sind und sich mein ganzer Optimismus wieder in Luft aufgelöst hat, „dein Freund wird sich sicher freuen, dass er dich jetzt wiederhat.“

„Schön wär’s. Und was, wenn er mir trotz allem nicht glaubt? Dann hab ich überhaupt keine Chance mehr.“

„Meine Güte, ich hab noch nie einen dermaßen pessimistischen Menschen getroffen!“

„Versetz dich doch mal in meine Lage. Die ganzen letzten Tage war ich nur damit beschäftigt, ihn zurückzubekommen, dabei hab ich das, weswegen er mich nicht sehen wollte, überhaupt nicht getan. Das hört sich doch total bescheuert an. Wieso sollte er mir das abnehmen?“

„Vertrau doch mal ein bisschen auf dein Glück. Nach so langer Zeit kann euch so was doch nicht trennen.“

Ich hoffe, dass er recht behält und klingle.

Als Lenni mich durch die Glasscheibe sieht, scheint er kurz zu überlegen, ob er mir überhaupt aufmachen soll, kommt dann allerdings auf uns zu und öffnet.

„Ich hab dir doch gesagt, dass ich erst nachdenken muss. Wer ist das denn?“

„Das äh … ich … wir …“

O Mann! So wird das schon einmal nichts, Flo.

„Sag nicht, das ist der Kerl.“

„Doch, ich meine … ne, also … je nach dem …“

„Ich bin Mark“, schaltet er sich ein. „Ich bin schon der, den du meinst, aber du musst wissen, dass Flo nicht mit mir geschlafen hat. Er dachte das erst selber und hat es dir daraufhin gesagt, aber das ist nicht wahr.“

Für einen Moment sagte keiner etwas. Ich möchte nicht einmal vom Boden aufsehen und kann daher nicht sagen wie Lenni reagiert. Wenigstens scheint er darüber nachzudenken, was er eben erfahren hat.

„Ich stehe überhaupt nicht auf Jungs, also denk, was du willst, aber nicht, dass ich etwas mit deinem Freund hatte. Der würde dir nämlich nie so was antun. So, ich glaube ich verschwinde jetzt. Macht das unter euch aus. Ich kann nur sagen, was ich weiß und das habe ich.“

Dann dreht er sich um und legt mir kurz seine Hand auf die Schulter, bevor er verschwindet.

Lenni findet als erster die Sprache wieder: „Kannst du mir das bitte noch mal genauer erklären? Wie kann man denn denken, dass man mit jemandem geschlafen hat, obwohl es in Wirklichkeit gar nicht so war?“

„Na ja, ich war ziemlich betrunken in der Nacht, weil … ach egal … und am nächsten Morgen bin ich neben Mark aufgewacht, ohne zu wissen, was passiert ist. Ich hab sofort Panik bekommen, weil ich halbnackt dalag und es war nur logisch für mich, dass ich dann auch mit ihm geschlafen haben muss. Aber es war nicht so und das habe ich eben erst erfahren. Es tut mir leid, dass ich dir so viel Stress gemacht habe, aber mir ging es auch echt beschissen.“

„Und diese merkwürdige Geschichte soll ich dir jetzt glauben?“

Ich wusste, dass das nicht so einfach geht! Aber was soll ich ihm jetzt noch sagen?

„Ja, das sollst du. Ich halte es ohne dich nicht mehr aus, Lenni. Und ich verspreche dir, dass ich dich wirklich niemals betrügen werde. Vorausgesetzt du willst überhaupt noch mit mir zusammen sein.“

Mehr kann ich nicht tun oder sagen. Jetzt liegt es an ihm, mir zu glauben.

„Dann ist es dir also gar nicht zu langweilig mit mir?“

„Nein, ganz und gar nicht“, schluchze ich.

„Okay“, sagt er nur und nimmt mich in den Arm. „Lass mich ja nie wieder so lange allein, Flo. Ich liebe dich!“

„Ich liebe dich auch! Darf ich jetzt wieder mit reinkommen?“

„Natürlich. Aber du musst mir diese ganze Sache noch mal bis ins kleinste Detail erzählen, okay?“

„Na gut, aber nur, wenn du mir versprichst, dass ich nie wieder eine Nacht vor deiner Haustür verbringen muss.“

„Das liegt ganz bei dir.“

„Ha-ha!“

Cause you’re my rainbow love!

Anmerkung der Autorin

Für alle, die es interessiert: Der Songtext, den ich hier durchgehend benutzt habe, stammt von Patrick Nuo. Eigentlich ist seine Musik nicht mein Fall, aber für diese Geschichte fand ich sie sehr passend. Schnulzig und triefend, aber das Lied sagt auch, dass eine Beziehung nicht nur rosige Tage kennt. Ich hoffe die Geschichte gefällt Euch! Vielen Dank an alle, die mir schon eine Rückmeldung geschrieben haben und … na ja … weiter so! ;)

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