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Theo
Weihnachtschallenge 2013
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Informationen
- Story: Theo
- Autor: Ike
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Weihnachten, Challenge
Adrian hatte recht. Es gibt etwas Besseres als sich sein Leben von anderen Menschen diktieren zu lassen. Zuerst von den Eltern und allen, die es ja nur gut mir dir meinen. Dann von den Lehrern und den schlauen Menschen in den Medien, die die Weisheit mit Löffeln gefressen haben und deshalb allen anderen Predigten halten dürfen. Und nicht zu vergessen die sogenannten Geliebten oder Lebenspartner, die eigentlich gar nicht dich lieben, sondern den Menschen, den sie meinen, aus dir machen zu können. Die letzten sind die schlimmsten. Theo ist einer davon.
„Halt die Klappe!“, brüllt er mir gerade entgegen, während ich aus dem Bett springe und mich schnell anziehe.
„Ich hab dir gesagt, dass du nicht wegfahren sollst“, versuche ich, mir Gehör zu verschaffen.
Theo schnauft und verschwindet im Flur.
„Hey“, rufe ich und stolpere ihm hinterher.
„Was?“, faucht er. „Willst du mir sagen, dass ich schuld bin? Wie immer?“
„Nein, aber…“
„Ich kann deine Ausreden nicht mehr hören, Tommi. Du entschuldigst dich ja nicht mal. Du tust immer so, als wäre ich derjenige, der deine Gefühle verletzt, dabei ist es genau anders rum.“
„Du weißt genau, wie scheiße es mir gerade geht“, erinnere ich ihn. „Und du bist trotzdem gefahren.“
„Ich hatte keine Wahl!“, schreit er. „Ich hab dir tausend Mal erklärt, dass ich sonst meinen Job verliere.“
„Aber ich hab dich gebraucht.“
„Das sehe ich“, sagt Theo und deutet auf den Mann, der gerade aus dem Schlafzimmer kommt und sich offensichtlich wünscht, unsichtbar zu sein. Er schleicht an uns vorbei und verlässt die Wohnung, ohne einen Ton von sich zu geben.
„Er bedeutet mir nichts“, versuche ich zu erklären.
„Ich weiß. Aber ich scheinbar auch nicht. Es ist vorbei, Tommi. Ich will dich nicht mehr sehen.“
Und dann verschwindet auch Theo hinter der Tür.
Adrian war so schlau, es gar nicht so weit kommen zu lassen. Er hat schon früh erkannt, dass es mit der Zeit nur noch schlimmer wird. Nicht besser, wie immer alle sagen. Schlimmer. Ich hab in den letzten 15 Jahren jedenfalls nichts dazu gewonnen, sondern nur verloren. Und heute auch noch Theo. Vielleicht sieht es nicht danach aus, aber ich liebe ihn. Ich hab es nur satt allem nachzuweinen, das ich verloren habe. Ich will nicht mehr hören ‚Das wird schon wieder‘ oder ‚Es kommen auch wieder bessere Zeiten‘. Das ist alles Schwachsinn. Ich bin 33 und es gibt nichts mehr, das ich noch verlieren kann. Ich will jetzt einfach nur noch das, was Adrian hat. Für immer. Ruhe.
Hmmm. Mein Bewusstsein schaltet sich langsam ein. Meine Augen sind noch zu und… irgendwie verklebt. Ich fühle mich schwer und spüre eindeutig etwas Weiches unter mir und eine leichte, wärmende Schicht Stoff über mir. Der Geschmack in meinem Mund ist seltsam und die Gerüche hier sind auch alles andere als angenehm. Hell ist es auch. Das kann ich sogar durch die Augenlider sehen. Moment… heißt das… es ist alles wahr, was die Spinner in der Kirche mir verklickern wollten? Der widerliche Pastor, der mich von Anfang an nicht ausstehen konnte, hatte Recht? Shit! Na ja, wenigstens Oma wird glücklich sein. Sie wäre gestorben, wenn alles eine Lüge gewesen wäre. Obwohl… das hatte sie ja sowieso schon hinter sich.
Aber was passiert jetzt mit mir? Man kann wirklich nicht sagen, dass ich mich immer an die Regeln gehalten habe. Ich habe viel gelogen, Menschen wehgetan, meine Eltern alles andere als geehrt und vor allem habe ich Dinge getan. Mit Männern. Das war unumgänglich. Verdammt! Hier werde ich wohl doch keine Ruhe haben. Aber vielleicht sehe ich Adrian wieder.
Ich versuche mir die Krusten von den Augen zu puhlen und blinzle angestrengt. Ich sehe mich um. Das ist ein Scherz, oder? Ist das die Art von Folter, die ich jetzt bis in alle Ewigkeit ertragen muss? Es ist alles da. Unverändert. Vom Bett und der Bettwäsche über den vollgestopften Schreibtisch, die Poster an den Wänden, den Büchern im Regal, dem Blick aus dem Fenster, bis hin zu dem dreckigen Geschirr und den Taschentüchern neben meinem Bett. Es ist fast zu perfekt.
Mein Blick fällt auf meine Handgelenke. Nichts. Scheinbar steht man hier nicht auf Narben, die meine Sünde zur Schau stellen. Aber eins muss ich zugeben: es ging wirklich schnell.
Widerwillig stehe ich auf und stelle verwirrt fest, dass meine Blase noch wunderbar funktioniert. Ich muss aufs Klo. Der Weg zum Bad ist noch in meinem Gedächtnis abgespeichert, obwohl es schon fast 15 Jahr her ist, seit ich zum letzten Mal in dieser Wohnung war. Na ja, 14. Und ich habe hier nur ein Jahr gewohnt. Nur während meines letzten Schuljahres. Sobald ich mein Abi und einen Studienplatz in der Tasche hatte, war ich weg. Und ich wollte nie wieder zurück. Das war kein besonders glückliches Jahr. Aber Gott sei Dank – offensichtlich im wahrsten Sinne des Wortes – bin ich wieder hier. Juhu. Und man war noch nicht mal so gnädig, mir meine lästigen, menschlichen Gefühle zu nehmen. Ich erinnere mich noch an alles und es tut auch noch genauso weh. Das Leben ist unfair. Und der Tod scheinbar auch.
Ich drücke die Spülung und bleibe unschlüssig vor dem Waschbecken stehen. Muss ich mir trotzdem noch die Hände waschen? Ich mache es einfach, um wenigstens jetzt etwas guten Willen zu zeigen. Kann nicht schaden. Als ich in den Spiegel sehe, trifft mich fast der Schlag. Das Gesicht kenne ich. Wie diese Wohnung. Ich erinnere mich, obwohl es etwa 15 Jahre her ist, dass ich es gesehen habe. Die Person im Spiegel bin ich. Nur ist sie nicht 33, sondern 18 Jahre alt. Damit ist die Folter perfekt. Man hat mich in das schlimmste Jahr meines Lebens zurückversetzt.
Okay, jetzt mal Butter bei die Fische. Ich bin – oder war – 33 Jahre alt, habe mehrere sehr unschöne Dinge hinter mir, wurde gerade von meinem Freund verlassen und habe mir daraufhin das Leben genommen. Nur hat es das nicht besser gemacht. Jetzt sehe ich wieder aus wie 18 und wohne in meiner alten Wohnung, in die ich damals geflüchtet bin, um von meinen Eltern loszukommen. Ich bin kurz vorm Durchdrehen, weil diese Illusion so perfekt ist, als würde ich mich tatsächlich im Jahr 1998 aufhalten. Und dabei wollte ich doch nur eins: meine Ruhe.
Müssen das etwa alle durchmachen, die gestorben sind? Das Schlimmste aus ihrem Leben noch mal erleben? Oder ist das nur für Menschen wie mich? Vielleicht können sich diejenigen, die alles richtig gemacht haben, aussuchen, wohin sie zurückkehren. Hätte ich das gewusst. Dann wäre Theo jetzt hier.
Heute – also das Heute in dieser Illusion – ist Samstag, der 25. Juli 1998. Das sagt mir der Fernseher. Wenigstens muss ich heute nicht zur Schule. Haha. Was ich jetzt mit mir anfangen soll, weiß ich allerdings auch nicht. Habe ich irgendeine Aufgabe?
Ich stelle mich ans Fenster und schaue runter auf die Straße. Die alte Frau da unten kenne ich noch. Sie ist immer die Straße auf und ab gegangen, als würde sie auf den Bus warten. Nett war sie nie zu mir. Aber ich wohl auch nicht zu ihr. Irgendwann wurde sie von einem Auto angefahren und ins Krankenhaus gebracht. Danach habe ich sie nicht wiedergesehen. Das muss sogar irgendwann diesen Sommer gewesen sein. Wir hatten Schulferien. Theo wollte an dem Tag zu mir kommen und hat alles mit angesehen. Ja, Theo und ich waren schon in der Schule Freunde. Nur Freunde. Aber die besten. Er hat mir über die Sache mit Adrian hinweggeholfen. Ohne ihn wäre ich ziemlich aufgeschmissen gewesen. Ohne ihn bin ich ziemlich aufgeschmissen.
Als ich draußen ein schrecklich lautes Quietschen höre, zucke ich erschrocken zusammen und traue mich nicht nach unten auf die Straße zu sehen. Nicht, weil ich befürchte, die verwundete alte Frau zu sehen. Sondern weil ich Angst habe, Theo zu sehen. Oder vielmehr sein 18jähriges Ich. Denn wenn hier alles so passiert wie ich es vor 15 Jahren schon mal erlebt habe, dann steht Theo jetzt da unten und klingelt gleich an meiner Tür. Dann weiß dieser Theo nichts davon, dass ich ihn liebe, was er mir angetan hat und was ich ihm angetan habe. Oder vielmehr antun werde. Oh man, ist das kompliziert. Ich kann doch nicht mit dem jungen Theo reden und so tun als wäre ich der junge Tommi.
Und da klingelt es auch schon. Ich sterbe, schon wieder, immer noch. Okay, ganz ruhig bleiben. Ich kriege das schon hin. Scheinbar hat es jemand auf mich abgesehen und versucht, mir das Leben… äh, den Tod zur Hölle zu machen. Aber nicht mit mir. Ich drehe den Spieß einfach um und versuche, das Beste aus meiner Situation zu machen. Immerhin hab ich den Vorteil, dass ich genau weiß, was damals – also heute – passiert ist. Und jetzt mache ich es einfach besser. Das kann nicht so schwer sein, oder?
Ich lasse Theo unten die Haustür öffnen und warte dann in meiner Wohnungstür auf ihn. Als er auf mich zu kommt, bleibt mein Herz stehen. Er ist es wirklich. Er hat sich in den 15 Jahren gar nicht so viel verändert. Sein Gesicht ist gleich geblieben und seine Haare sind in ihrer ganz eigenen ordentlich chaotischen Form. Er sieht wahnsinnig schön aus und wenn ich nicht aufpasse, falle ich ihm hier und jetzt um den Hals und bitte ihn, mir zu vergeben. Was wirklich unsinnig wäre, weil… na ja… er nicht mal weiß, dass ich etwas falsch gemacht habe.
Vielleicht ist es hier doch nicht so schlimm. Hier habe ich Theo.
„Hast du das eben mitbekommen?“, fragt er, während er sich an mir vorbei in meine Wohnung schiebt.
„Was?“ Möglicherweise bin ich etwas zu sehr von seinem Geruch in meiner Nase abgelenkt, um mich auf das zu konzentrieren, was er sagt.
„Der Unfall. Irgendein Spinner hat eine alte Frau angefahren. Direkt unter deinem Fenster.“
„Ach so, das.“
„Du bist immer noch durcheinander, oder?“, fragt er und lässt sich auf meinen Sessel plumpsen.
„Wieso?“ Mist. Offensichtlich ist noch irgendwas passiert, an das ich mich nicht mehr erinnern kann.
„Tommi“, er sieht mich herausfordernd an.
Ich starre zurück.
„Okay, reden wir nicht drüber“, gibt er irgendwann seufzend auf.
Wenn ich nur wüsste, was er meint. Die Sache mit Adrian war im Mai, also vor etwa zwei Monaten. Bei meinen Eltern bin ich ein paar Wochen danach ausgezogen. Was ist dann passiert? Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube, ich hab mich ziemlich zurückgezogen und in dieser Wohnung eingeigelt. Etwas anderes konnte ich nicht machen, nach dem Schock. Theo war immer der einzige, der sich noch zu mir getraut hat. So wie jetzt.
„Hast du genug zu essen da? Oder brauchst du noch irgendwas?“, fragt er.
„Keine Ahnung“, antworte ich wahrheitsgemäß und gehe in die Küche, um in den Kühlschrank zu sehen. Nichts. Na ja, nichts, was man noch essen möchte.
„Sieht so aus, als könnte man den mal wieder füttern“, sagt Theo hinter mir. „Und dich auch.“ Er piekt mir in die Seite.
„Dann muss ich wohl einkaufen gehen. Kommst du mit?“
Ein ziemlich merkwürdiger Ausdruck erscheint auf Theos Gesicht. „Echt?“
„Du musst nicht, wenn du nicht willst.“
„Nein, ich meinte…“ Dann lächelt er auf einmal. „Ach egal. Klar komme ich mit.“
Wenn meine Blase noch funktioniert, wird sich wohl früher oder später auch mein Magen melden. Also ist es gar keine schlechte Idee, für etwas Verpflegung zu sorgen. Immerhin weiß ich nicht, wie lange ich hier sein werde. Und außerdem ist mir jede Ausrede recht, um Zeit mit Theo zu verbringen.
Meine Wohnung liegt ziemlich zentral, also gehen wir zu Fuß. Theo ist überraschend still und ich auch, weil ich versuche, meine Erinnerung anzukurbeln. Es kann doch nicht sein, dass ich alles vergessen habe. Das hier war mein Leben. Es ist zwar 15 Jahre her, aber ich muss mich doch daran erinnern können. Hab ich wirklich so viel verdrängt? Theo hat zwar immer gesagt, dass ich in der Zeit ziemlich neben mir stand, aber ich hätte nie gedacht, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann. Ich wollte es einfach nie.
„Tommi?“, fragt Theo vorsichtig.
„Hm?“
„Geht’s dir besser? Du bist heute irgendwie anders als sonst.“
„Ich kann mich ja nicht ewig verkriechen, oder?“ Ich weiß von dem ‚alten‘ Theo, dass er sich immer gewünscht hatte, das von mir zu hören. Und tatsächlich bekomme ich zur Antwort jetzt ein erleichtertes Lächeln. „Außerdem ist es immer besser, wenn du da bist.“
Theo sieht verlegen auf den Boden. „Ich hab dir doch gesagt, dass ich immer da bin, wenn du mich brauchst.“
Ja, außer die Arbeit ruft, denke ich bitter und fühle wie die Enttäuschung wieder in mir hochkriecht. „Immer?“, frage ich deshalb nach.
„Ja.“
„Auch, wenn du einen wichtigen Termin hast und deine Arbeit verlieren könntest?“
„Arbeit?“ Theo sieht mich verwirrt an.
„Ach egal“, murmel ich. Es bringt ja nichts, diesem Theo Vorwürfe zu machen. Stattdessen sollte ich lieber weiter versuchen, mich zu erinnern. Ansonsten werde ich früher oder später garantiert in ein Fettnäpfchen treten.
An ein paar Dinge erinnere ich mich jetzt wieder. Die Sache, auf die Theo neulich angesprochen hat, ist in der Schule passiert. Zwei von meinen Klassenkameraden meinten, mich wegen Adrian fertig machen zu müssen. Ich weiß noch, wie sehr mich das damals runtergezogen hat. Ich war ja selber noch nicht darüber hinweg, dass mein eigener Bruder sich entschieden hatte, mich zu verlassen. Und dann kamen diese zwei Hohlköpfe und haben es mir auch noch unter die Nase gerieben. Die letzten Wochen vor den Sommerferien bin ich deshalb nicht zur Schule gegangen. Ich konnte nicht. Und ich wollte auch nicht mehr. Es gab nur eine Sache, die mich davon abgehalten hat, es Adrian gleichzutun. Schon komisch, dass mich genau diese Sache schließlich doch dazu gebracht hat: Theo.
Für ihn sind all diese Ding vollkommen neu. In seiner Welt ist das alles gerade erst passiert. Umso mehr freut es ihn, dass ich mich langsam wieder aus meinem Schneckenhaus traue. Wir gehen oft zusammen einkaufen oder ins Kino. Nicht zu fassen, was für ein Wirbel die Leute damals tatsächlich um „Titanic“ gemacht haben. Wenn die wüssten, was noch alles auf sie zukommt… Erdbeben, Tsunamis, 9/11… Aber das alles ist mir ziemlich egal. Ich habe Theo wieder und alle Hände voll damit zu tun, ihn nicht plötzlich mit spontanen Liebesgeständnissen oder Küssen zu überfallen. Mein Körper erinnert sich nämlich nur zu genau daran, was dieser Theo in der Zukunft mit ihm anstellen wird.
Ich dachte, es wäre einfach alles noch mal zu erleben und Theo dieses Mal früher für mich zu gewinnen, aber es ist verdammt schwer. Ich stehe oft wie ein Vollidiot da, weil ich mich an Dinge, die gerade erst passiert sind, nicht mehr erinnere. Theo stört das nicht, aber mich ärgert es tierisch. Immerhin kann ich diese Vergangenheits-Hölle nur überleben, wenn ich davon ausgehen kann, dass ich Theo wiederbekomme.
Mittlerweile ist schon ein Monat vergangen und ich wundere mich, wo der geblieben ist. Irgendwie geht die Zeit hier schneller rum und manche Tage fliegen einfach an mir vorbei, ohne dass ich mich daran erinnern kann, was ich eigentlich gemacht habe. Gestern war auch so ein Tag. Ich weiß nur noch, dass Theo mich gefragt hat, ob ich morgen – also heute – mit auf eine Party gehe. Und schwups… da ist es auch schon heute. Ist doch merkwürdig, oder? Vielleicht bin ich mitten in einem Schnelldurchlauf meines Lebens. Wie bei RTL immer: Hier sehen Sie noch einmal die Highlights! Nur, dass es bei mir keine Highlights gibt. Nicht in diesem Jahr.
Für die Party hab ich übrigens zugesagt. Man hat ja sonst nichts zu tun. Außerdem läuft der Tag heute ganz normal ab, was mich zu der Vermutung führt, dass dieser Tag ein Highlight werden soll. Und ich erinnere mich nicht, jemals auf dieser Party gewesen zu sein. Deshalb bin ich bin neugierig.
Theo holt mich abends ab und wir schlendern nebeneinander durch die Stadt, bis wir an einem Jugendtreff ankommen. Haha, ja genau. Der Jugendtreff. Ich erinnere mich. Oh, armer Theo, dieser Tag gehört definitiv nicht zu seinen Highlights. Zur Erklärung: Theo wurde von einem Jungen aus unserer Nachbarsklasse zu dieser Party eingeladen und wusste nicht, um was für eine Art Party es sich handelt. Er hat einfach zugesagt und mich zu diesem Jugendtreff geschleppt, ohne zu ahnen, dass es ein schwuler Jugendtreff ist. Der junge Theo neben mir weiß nämlich noch nicht, dass er und ich… Er hatte halt noch nie was mit einem Jungen und denkt dasselbe auch von mir. Na ja… Dieser Abend wird ihm in so mancher Hinsicht die Augen öffnen. Aber vielleicht kann ich mein Wissen ja dazu nutzen, es ihm ein wenig leichter zu machen. Zumindest werde ich mein Verhalten von damals nicht wiederholen. Aber erst mal halte ich die Klappe.
Wir unterhalten uns, trinken etwas und werden verschiedenen Leuten vorgestellt. Irgendwann dämmert es dann auch Theo, dass hier ‚seltsame‘ Dinge vor sich gehen. Er sieht sich verwirrt um und fragt dann an mich gewandt: „Ist dir etwas an dieser Party aufgefallen?“
„Nö“, antworte ich belustigt.
„Ist dir schon ein Mädchen über den Weg gelaufen?“
„Ja.“
„Außer die Frau hinter der Bar“, fügt Theo nachdrücklich hinzu.
„Ach so. Dann nicht.“
„Findest du das nicht seltsam?“
„Nö.“
„Ist dir auch noch nicht aufgefallen, dass manche Jungs hier…“, sein Mund bewegt sich weiter, aber es kommt kein Ton mehr raus.
„Sich küssen?“
„Ja.“
Und da wird er doch tatsächlich ein bisschen rot. Und mir wird ziemlich flau im Magen, weil ich dasselbe auch tun möchte. Mit ihm. Aber ich darf nicht. Sonst passiert das, was in meinem letzten Leben auch schon passiert ist. Damals hab ich Theo geküsst, er hat mir eine gescheuert und wochenlang nicht mit mir gesprochen. Das war hart. Und das halte ich nicht noch mal aus. Deshalb hole ich uns lieber noch was zu trinken und staune, als Theos Glas nach zwei Sekunden schon wieder leer ist. Ich trinke ebenfalls aus und hole die nächste Runde. Das geht so weiter, bis – Überraschung – wir beide irgendwo kichernd in der Ecke hocken und nicht mal mehr geradeaus gucken können. Ich hätte die Warnzeichen früher erkennen müssen. Jetzt ist es zu spät und die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Allerdings kommt es dann doch anders als erwartet. Ich halte entschlossen an meinem Vorsatz fest, Theo nicht zu küssen, um unsere Freundschaft nicht zu gefährden und um die nächsten Wochen nicht allein verbringen zu müssen. Aber während ich mich in Zurückhaltung übe, ist Theo schon auf dem Weg in die andere Richtung. Er beugt sich zu mir rüber und drückt seinen Mund unbeholfen auf meinen. Mein Vorsatz zerbröselt vor meinem inneren Auge und ich küsse ihn zurück.
Die Zeit verschwimmt irgendwie und ich hab keine Ahnung, ob es an dem Kuss liegt oder ob mein Leben gerade wieder vorgespult wird, um zum nächsten Highlight zu springen. Es ist mir auch reichlich egal, weil Theo nach dem Zeitsprung immer noch an meinen Lippen hängt. Und das Beste ist, dass sich dieser Kuss tatsächlich wie ein erster Kuss anfühlt. Nicht wie der dreitausendste, der er für mich ja eigentlich ist. Nein, es kribbelt überall.
Ein paar Minuten später ist der Augenblick dann aber doch vorbei und Theo schiebt mich ein Stück von sich weg. Seine Wangen sind feuerrot, sein Atem ist ziemlich schnell und… dann dreht er sich blitzschnell zur Seite und kotzt mir vor die Füße.
Der Schnelldurchlauf hat offensichtlich wieder zugeschlagen, denn ich erinnere mich an die letzten zwei Wochen fast gar nicht mehr. Ich weiß noch, dass ich Theo nach der Party im Jugendtreff nach Hause gebracht habe, weil ich nach dem Kuss wieder ziemlich nüchtern war. Soweit ich weiß, haben wir uns noch nicht ausgesprochen, und Theo hat mich auch nicht mehr besucht. Vielleicht schämt er sich. Oder er ist sauer auf mich. Jedenfalls habe ich daraus gelernt, dass Vorsätze scheiße sind. Ich hab überhaupt nichts falsch gemacht und trotzdem sitze ich jetzt allein hier und vermisse Theo. Genau wie damals, nur dass ich dieses Mal unschuldig bin. Die Vergangenheit lässt sich offensichtlich ändern, aber nicht zu meinem Vorteil.
So langsam werde ich depressiv. Ich hab sogar probiert, ob ich mich verletzen kann. Aber das Ergebnis sah in etwa so aus wie in „Stadt der Engel“. Ein Messer kann mir scheinbar nichts mehr anhaben. Nicht mal einen Kratzer sieht man. Vielleicht muss ich mich auch von einem Dach stürzen, um wieder menschlich zu werden? Allerdings kann ich mich dazu nicht aufraffen. Und wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht mehr daran, dass mein Tod mich glücklicher macht. Ist ja schließlich schon mal in die Hose gegangen.
Tja, was mache ich also den ganzen Tag? Ich zerbreche mir den Kopf darüber, wie ich es damals geschafft habe, dass Theo wieder mit mir spricht. Aber ich kann mich nicht erinnern. Dann versuche ich ihn anzurufen, aber er geht nicht ans Telefon. Gäbe es facebook schon, würde ich ihn jetzt mit Nachrichten bombardieren. Skype wäre auch nicht schlecht. Da könnte ich über die Webcam mit ihm reden, ohne ihm direkt gegenüber zu stehen. Ach, scheiß Vergangenheit. Nicht mal ein ordentliches Handy hatte ich. Während ich jetzt versuche, Theo übers Festnetz zu erreichen, reiße ich regelmäßig den Apparat vom Tisch und werfe den Hörer genervt und fluchend hinterher. Dieses beknackte kringelige Kabel.
Während ich noch mit Fluchen beschäftigt bin, klingelt es unten an der Tür. Ich erstarre mitten im Zimmer und denke an alles Mögliche gleichzeitig. Was, wenn das Theo ist? Was, wenn das meine Eltern sind? Was, wenn es irgendjemand anders ist und ich mir hier grundlos Sorgen mache? Es klingelt noch mal.
„Hallo?“, frage ich krächzend durch die Gegensprechanlage.
„Ich bin’s“, nuschelt es zurück.
Oh Gott, es ist Theo.
Ich öffne ihm mit einem Knopfdruck unten die Haustür und erstarre noch mal für eine Minute an meiner Wohnungstür. Als ich auf dem Flur Schritte höre, öffne ich die Tür und stehe Theo gegenüber.
„Komm rein.“
„Danke.“
Ich glaube, so verkrampft sind wir noch nie miteinander umgegangen. Nicht mal nach der Sache mit Adrian. Theo hat sich in meiner Gegenwart bisher nie unwohl gefühlt. Jetzt ganz deutlich schon.
„Ich hab versucht dich anzurufen“, ist meine Gesprächseinleitung.
„Ja?“
„Natürlich. Du hast dich zwei Wochen nicht gemeldet.“
„Ich… Es… Ich dachte nicht, dass du mit mir reden wolltest“, sagt er, ohne mir in die Augen zu sehen.
„Ich hab dich doch auch geküsst.“
Oh, vielleicht sollte ich solche Wörter wie ‚küssen‘ erst mal weglassen. Theo läuft nämlich gerade tomatenrot an.
„Wir haben zu viel getrunken“, sage ich deshalb lieber.
Theo nickt und lässt sich auf meinen Sessel fallen.
Ok, scheinbar bin ich der Einzige, der hier redet. Vielleicht fällt mir ja was ein, wodurch er sich nicht mehr so furchtbar unwohl fühlt.
„Es war nicht das erste Mal, weißt du?“
„Was?“, fragt Theo.
„Ich hab schon mal einen Jungen geküsst.“
„Was?!“ Seine Gesichtsfarbe bleibt hartnäckig bei Rot.
„Findest du das schlimm?“, frage ich verwirrt. Der ‚alte‘ Theo hatte nie ein Problem damit.
„Ja.“
„Warum?“
„Weil ich dachte, dass wir keine Geheimnisse haben“, er lächelt ein bisschen und ich bin erleichtert. „Es ist mir egal, wen du küsst.“
„Es sei denn, du bist es.“
Jetzt bekommt sogar sein Hals rote Flecken. Ist das süß. Und ich bin schon wieder auf Entzug. Nicht hinsehen!
„Ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe“, nuschelt er leise.
„Ist doch egal.“ Nein, ist es nicht. „Vergessen wir es einfach.“ Wenn ich das nur könnte.
Theo lächelt dankbar. Und ich bin verliebt wie noch nie.
„Schön, dass du hier wenigstens in Frieden leben kannst“, faucht mich eine weibliche Stimme von der Seite an.
Ich bin verwirrt. Eben war ich noch total in meinem Verliebtsein gefangen und jetzt katapultiert man mich in eine völlig andere Situation. Ich sehe mich um. Ich sitze in meiner Wohnung auf meinem Bett und mir gegenüber stehen… meine Eltern. Meine Mutter hat die Hände in die Hüften gestemmt und mein Vater schüttelt augenverdrehend den Kopf.
„Weißt du eigentlich, wie man uns zuhause ansieht?“, wettert meine Mutter weiter.
Meine gute Laune ist augenblicklich ausgetrocknet und meine Hände werden schwitzig. Das ist die normale Reaktion meines Körpers auf die Gegenwart meiner Eltern.
„Man behandelt uns wie Ausgestoßene. Dabei wissen sie nicht mal von deiner Perversion.“
Ach ja, ich erinnere mich. Als ich nach Adrians Tod zuhause ausgezogen bin, hab ich meinen Eltern unter die Nase gerieben, dass ich schwul bin. Ich wollte einen letzten Trumpf in der Hand haben und sie noch mal so richtig schockieren. Es hat auch funktioniert. In dem Moment. Nur leider hab ich ihnen damit auch einen neuen Anlass geliefert, um in regelmäßigen Abständen bei mir aufzutauchen und mich für ihr schreckliches Leben verantwortlich zu machen. So wie jetzt.
„Alles, was ich will, ist eine Erklärung“, fordert meine Mutter. „Was haben wir falsch gemacht, dass unsere Söhne uns so demütigen müssen?“
Ich habe es aufgegeben, darauf zu antworten. Es hat keinen Sinn. Auch wenn die Argumente eindeutig auf meiner Seite sind. Ich hatte und habe in dieser Familie einfach nichts zu sagen. Adrian haben sie anfangs noch zugehört, aber das war auch nicht besser. Er ist an dem Druck kaputt gegangen, immer der bessere, der perfekte Sohn sein zu müssen.
Mein Vater macht einen Schritt auf mich zu und ich rücke automatisch zurück. „Deine Mutter hat dich was gefragt.“ Nein, er hat weder Adrian noch mich jemals geschlagen, aber ich ertrage seine Nähe jetzt nicht.
„Lasst mich doch einfach in Ruhe, dann lasse ich euch auch in Ruhe“, sage ich.
„Egoistisch wie immer“, schnauft mein Vater. „Als ob es damit getan wäre.“
„Du und dein Bruder, ihr habt dafür gesorgt, dass man uns unser Leben lang nicht mehr in Ruhe lassen wird“, fügt meine Mutter bitter hinzu. „Oma hat das auch schon das Leben gekostet.“
Oma. Ja. Das hatte ich wohl verdrängt. Sie ist zwei Wochen nach Adrian gestorben und natürlich waren wir daran schuld. Dabei haben wir Oma geliebt. Und sie war die Einzige, die uns geliebt hat.
Meine Eltern sehen sich resignierend an. „Komm, das hat keinen Sinn“, sagt mein Vater und legt meiner Mutter liebevoll einen Arm um die Schultern. Dann sind sie endlich weg und ich kann mich auf meinem Bett zusammenrollen.
Das war zu viel. Ich war nicht darauf vorbereitet, sie zu sehen. Ich war nicht darauf vorbereitet, meinen Vater zu sehen, denn… in der Zeit, in der ich 33 Jahre alt bin, ist er gerade erst ein paar Tage tot. Das war der Grund, warum ich Theo brauchte. Mein Vater war gestorben, ich war schuld, und meinem Freund war sein Job wichtiger. Deshalb habe ich mit einem anderen Mann geschlafen. Ich brauchte Wärme.
Wärme spüre ich jetzt übrigens auch. Jemand hat eine Decke über mir ausgebreitet und hält mich im Arm. Theo muss reingekommen sein, als meine Eltern gegangen sind. Er hält mich fest, obwohl ich zuerst versuche ihn wegzuschieben. Ich bin verwirrt und verletzt und weiß gerade nicht, wo ich eigentlich bin. In welchem Jahr, in welcher Wohnung? Welcher Theo ist gerade bei mir? Egal, ich gebe meinen Widerstand auf und halte mich an seinem Arm fest.
Als ich die Augen wieder öffne, weiß ich sofort, dass ich nur geschlafen habe. Dieses Mal hat niemand vorgespult. Es ist noch derselbe Tag. 14. September 1998. Theo liegt noch neben mir und ich halte immer noch seinen Arm fest. Sein Hals hat keine roten Flecken mehr, dafür sieht er jetzt ziemlich besorgt aus. Viele Menschen können es nicht ausstehen, wenn sie bemitleidet werden. Mir macht es nichts aus, weil Theo die einzige Person ist, die mich jemals so angesehen hat.
„Das Übliche?“, fragt Theo.
Ich nicke nur. Ich kann ihm ja schlecht sagen, dass ich mich gefühlt habe, als hätte ich den Geist meines Vaters gesehen.
„Vielleicht solltest du doch noch mal darüber nachdenken hier auszuziehen.“
„Nein, erst wenn das Abi durch ist.“ Ich erinnere mich noch, dass das der Grund war, warum ich nicht eher wieder umgezogen bin.
„Warum lässt du sie überhaupt noch rein?“
Ich zucke nur mit den Schultern. Ich weiß es selber nicht.
„Macht es dir etwas aus, wenn wir die Plätze tauschen? Mein linker Arm ist eingeschlafen.“
Ich lasse sofort seinen Arm los und rücke ein Stück von ihm weg. „Tut mir leid.“
„So war das nicht gemeint“, sagt Theo lachend und krabbelt über mich rüber. „Hier.“ Er hält mir seinen rechten Arm hin.
„Musst du nicht nach Hause? Es ist bestimmt schon spät.“
„Nein“, sagt er nur und legt seinen Arm auf meinem Bauch ab.
Dieser junge Theo war immer für mich da. Er wusste immer, wann ich ihn brauchte und hat immer alles stehen und liegen lassen. Warum kann er das später nicht mehr?
Wer hat an der Uhr gedreht? Ich bezweifle, dass es Paulchen war, aber eine bessere Erklärung habe ich auch nicht. Es ist jetzt schon Ende Oktober – genauer gesagt Halloween – und ich freue mich, dass Theo offensichtlich zugesagt hat, mich auf die Party im Jugendtreff zu begleiten. Das ist bestimmt eine gute Abwechslung. Ich erinnere mich noch wage an diese Party und soweit ich weiß, ist damals nichts Ungewöhnliches passiert.
Als Theo abends kostümiert vor meiner Tür steht, weiß ich auch wieder, warum er so bereitwillig zugesagt hat.
„So wird dich wirklich niemand erkennen“, stelle ich fest. Theo ist nämlich nicht mehr Theo, sondern ein Kürbis. Orange von Kopf bis Fuß. Na ja, nicht ganz. Er hat sich die Haare grün gefärbt und trägt braune Schuhe. Aber sein Gesicht und sein, nicht ganz so kürbiskugeliges, Kostüm sind orange.
„Na hoffentlich. Nach meinem letzten Auftritt wurde bestimmt schon genug gelästert.“
„Ach Quatsch, das hat keiner mitbekommen“, versichere ich. Er meint das Kotzen, nicht das Küssen. Hoffe ich.
Ich habe mich übrigens geweigert, mich zu verkleiden. Ich habe keinen Spaß daran und verstecken muss ich mich auch nicht. Wenn ich meinen Eltern ohne Kostüm gegenüber treten kann, kann ich das auch bei jedem Anderen. Allerdings stelle ich bald fest, dass ich mit dieser Meinung wohl ziemlich alleine bin. Praktisch jeder auf dieser Party ist verkleidet.
Ich bin froh, dass ich mit Theo hier bin. So wird wenigstens keiner von uns angegraben. Bei mir hätten sie eh keine Chance und derjenige, der es bei Theo versucht, hätte garantiert nichts zu lachen. Dafür würde ich sorgen. Aber wahrscheinlich mache ich mir wieder zu viele Gedanken. Theo weicht mir den ganzen Abend nicht einmal von der Seite. Wir gehen zusammen Getränke holen, aufs Klo und tanzen. Wir unterhalten uns zusammen mit anderen Leuten und sitzen zwischendurch zusammen an einem Tisch. Er klebt praktisch an mir. Vielleicht würde er sich alleine unwohl fühlen. Oder – und die Erklärung gefällt mir eindeutig besser – er hat Angst, dass ich jemanden kennenlerne. Ich habe schließlich einen Informationsvorsprung und weiß, dass er sich irgendwann in mich verlieben wird. Ich weiß nur nicht wann. Vielleicht ist es schon passiert, vielleicht aber auch nicht. Das macht mich irre.
„Hey, wisst ihr schon das Neueste?“, fragt Marcel, mit dem wir uns gerade unterhalten. „Es gibt seit August eine Internetseite, auf der ein paar Hobbyautoren ihre Geschichten hochladen können.“
„Na und?“, fragt sein Freund.
„Das sind Geschichten über Schwule. Ist doch ’ne tolle Idee.“
Während die beiden diskutieren, wie groß der Wert der Seite wirklich ist, und Theo unter seiner orangen Gesichtsfarbe vermutlich wieder rote Flecken bekommt, muss ich ein bisschen schmunzeln. Nickstories. Oder wie sie heute, 1998, noch heißt: Nick’s Stories. Ich hab schon oft daran gedacht, mir ein paar Sachen von der Seele zu schreiben und auf der Seite hochzuladen. Vielleicht würde das helfen und vielleicht hat sogar jemand ähnliche Erfahrungen gemacht, mit dem ich mich austauschen könnte. Ich weiß gerade gar nicht, warum ich das nie versucht habe. Anlass hätte ich genug.
Theo stupst mich von der Seite an. „Das könntest du auch mal versuchen.“
„Was?“
„Schreiben.“
Hab ich’s nicht gesagt? Theo versteht mich.
Eine halbe Stunde später machen wir uns auf den Weg nach Hause. Ohne ungewöhnliche Zwischenfälle. Allerdings sehe ich immer wieder zu Theo rüber und frage mich, an was er denkt. Warum war er heute mit mir auf dieser Party? Warum hat er mich letztes Mal geküsst? Und warum hat er neulich fast zwölf Stunden damit verbracht, mich im Arm zu halten? Ich weiß, dass er mich liebt, aber ich weiß nicht, ob er jetzt schon in mich verliebt ist? Ich hab genug von diesem Leben im Schnelldurchlauf. Was, wenn ich etwas Wichtiges verpasse? Vielleicht will er mir morgen sagen, dass er sich in mich verliebt hat, aber ich bekomme davon nichts mit. Ich will es lieber jetzt wissen, weil ich jetzt gerade wirklich hier bin. Macht das Sinn? Manchmal ist dieser Informationsvorsprung gar nicht so toll, wie man meinen könnte.
Als wir vor meiner Haustür stehen, bin ich unglaublich nervös. Was wäre denn, wenn hier doch nicht alles so abläuft wie vor 15 Jahren? Was, wenn sich der Theo, der jetzt neben mir steht, nie in mich verliebt? Warum gehe ich eigentlich davon aus, dass er es tut?
„Alles ok?“, fragt Theo.
„Ja klar.“
Er sieht mich misstrauisch an. „Soll ich heute Nacht hier bleiben?“
Oh ja! Aber… nein, lieber nicht. Wenn ich nicht vorhabe, über ihn herzufallen, ist das wohl keine gute Idee.
„Nein, schon gut“, sage ich deshalb. „Es ist ja nicht so, dass ich einen Babysitter brauche.“
Hä? Bin ich jetzt sauer? Theo sieht auch etwas vor den Kopf gestoßen aus.
„Ok, wie du meinst“, sagt er skeptisch und entfernt sich ein paar Schritte von mir. „Melde dich einfach, wenn was ist.“
Ja, irgendwas in mir hat auf ‚wütend‘ umgeschaltet. Bevor ich mich selber bremsen kann, kommen unüberlegte Worte aus meinem Mund. „Hast du mich deswegen den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen? Falls was sein sollte? Falls ich einen Nervenzusammenbruch erleide?“
„Nein.“
„Wieso dann?“
„Warum bist du jetzt sauer auf mich?“, fragt er irritiert.
Keine Ahnung. „Warum bist du mit mir zu der Party gegangen?“
„Weil ich Lust dazu hatte“, sagt er schulterzuckend.
„Warum bist du neulich so lange bei mir geblieben?“
„Weil du mich gebraucht hast. Oder willst du das bestreiten?“
„Nein, will ich nicht“, gebe ich zu. „Warum hast du mich geküsst?“
Er könnte sagen Weil ich zu viel getrunken habe, aber das tut er nicht. Er steht einfach nur da und starrt mich an. In seinem Kürbiskostüm, mit der orangen Farbe im Gesicht. Vor 15 Jahren gab es diese Situation nicht. Da bin ich mir absolut sicher. Vor 15 Jahren habe ich ihn das erste Mal geküsst, nicht er mich, und ich hätte nie erwartet, dass er sich in mich verlieben könnte. Jetzt hab ich Angst, dass es andersrum läuft. Dass ich zu viel erwarte und enttäuscht werde.
„Ich… weiß es nicht“, sagt er schließlich.
Vielleicht kann ich mit seinem Mitleid doch nicht so gut umgehen. Vielleicht hab ich immer noch im Hinterkopf, dass es ihm irgendwann langweilig wird und er nicht mehr da sein wird, wenn ich ihn brauche.
Ich blinzele ein paar Mal, aber irgendwas stimmt hier nicht. Theo löst sich vor meinen Augen auf. Erst er und dann alles um ihn herum. Und dann ist alles schwarz.
Ich höre Klappern und Klirren und Rascheln und öffne langsam die Augen. Ich liege auf meinem Bett, es ist hell draußen und Theo steht in meiner Küche. Er wirft mir einen genervten Blick zu und kommt dann mit einer Tasse Kaffee zu mir rüber.
„Eigentlich hast du das echt nicht verdient“, fährt er mich an und drückt mir die Tasse in die Hand.
Entweder ich hatte tatsächlich einen Nervenzusammenbruch oder die Sache mit dem Schnelldurchlauf gerät langsam außer Kontrolle. Oder beides. Jedenfalls hatte ich einen Blackout.
„Was für ein Tag ist heute“, grummele ich.
„Sonntag.“
„War gestern Halloween?“, frage ich, um zu erfahren wie viel ich verpasst habe.
„Ja allerdings.“
Gut, dann hab ich also nur geschlafen. Aber… warum ist Theo hier und warum hat er sein Kostüm nicht mehr an?
„Warst du die ganze Nacht hier?“
„Ja. Und jetzt gehe ich“, sagt er trocken und greift nach einer Plastiktüte, aus der etwas Oranges heraushängt.
„Was ist gestern passiert?“, versuche ich ihn aufzuhalten.
Theo schnauft und dreht sich wieder zu mir um. „Die kurze Version? Du warst ein Arschloch.“
Ok, offensichtlich hab ich doch mehr verpasst. Theo sieht echt sauer und ein bisschen verletzt aus. In mir zieht sich schmerzhaft etwas zusammen und ich hab das ungute Gefühl, dass ich vielleicht etwas gesagt habe, dass ich lieber für mich behalten hätte. Das ist ein Alptraum.
„Sag mir das nächste Mal einfach, wenn ich dir wieder auf die Nerven gehe“, sagte Theo und will gehen.
Ich stelle mich ihm in den Weg. „Du gehst mir nicht auf die Nerven.“
„Auch nicht, wenn ich dich bemitleide und die ganze Zeit an dir klebe?“
Hab ich das gesagt? „Ich weiß nicht, was gestern mit mir los war.“
„Dann sind wir schon zu zweit“, sagt Theo.
„Was hab ich noch gesagt?“
„Irgendwas über deinen Vater, dass jemand dein Leben vorspult oder so, und dass ich…“, seine Wangen bekommen wieder ein bisschen Farbe, „dich nur aus Mitleid geküsst habe.“
Wo ist der Trottel, der mein Leben vorspult, wenn man ihn mal braucht? Jetzt wäre der passende Zeitpunkt für einen Blackout.
Theo klammert sich krampfhaft an seine Plastiktüte und weicht meinem Blick aus. „Ich hab jedenfalls nichts davon verstanden und dachte, dass es besser ist, wenn du erst mal eine Nacht darüber schläfst.“
Ich denke, dass die Situation nicht schlimmer werden kann, gehe einen Schritt auf ihn zu und lege meine Arme um ihn. „Es tut mir leid. Ich war nur durcheinander und ich hatte Angst, dass…“
„Dass ich dich auch noch verlasse?“
Ja, so ist es. Aber das sage ich ihm nicht. Er weiß es sowieso.
„Ich gehe jetzt“, sagt Theo und löst sich von mir.
„Okay“, sage ich nur und lasse ihn gehen.
Ich denke, dass die Situation nicht schlimmer werden kann, gehe einen Schritt auf ihn zu und lege meine Arme um ihn. „Es tut mir leid. Ich war nur durcheinander und ich hatte Angst, dass…“
„Dass ich dich auch noch verlasse?“
Hä? Das hatten wir doch schon mal. Bin ich jetzt vollkommen verrückt geworden? Seit wann wird hier zurückgespult?
Theo löst sich aus meiner Umarmung und sieht mich verlegen an. Dann lehnt er sich vor und küsst mich. Ok, diese Variante gefällt mir schon besser. Zumal es sich nicht anfühlt wie ein Kuss aus Mitleid. Es ist ein echter Kuss. Und er geht wieder von Theo aus.
Ich will mich gerade fallen lassen und genießen, da wird es schon wieder schwarz.
Ich denke, dass die Situation nicht schlimmer werden kann, gehe einen Schritt auf ihn zu und…
Ja, das kenne ich jetzt schon. Ich stehe in meiner Wohnung, habe meine Arme um Theo geschlungen und bekomme gleich einen Kuss oder auch nicht. Was soll das werden?
Theo löst sich aus meiner Umarmung und sieht verlegen auf den Boden. Auf seinem Hals zeichnen sich deutlich rote Flecken ab und die Plastiktüte liegt längst vergessen neben ihm. Mein Herz fängt auf einmal an zu rasen und ich hab das merkwürdige Gefühl, dass ich etwas tun muss. Vielleicht soll ich ihn dieses Mal küssen? Aber kann ich das einfach so? Was, wenn er mich wegstößt und dann ein für alle Mal genug von mir hat?
Es tut zwar weh und es kostet mich viel Überwindung, aber ich lasse ihn einfach gehen. Ich hab zu viel Angst, irgendwas kaputt zu machen.
Als er im Treppenhaus verschwindet, hoffe ich, dass man gnädig mit mir ist und die nächsten paar Tage vorgespult werden. Und so ist es auch. Ich schließe die Tür und alles wird schwarz.
„Was hältst du davon?“, fragt Theo neben mir.
„Was?“ Ich muss mich erst mal umsehen. Wir sind auf einem Weihnachtsmarkt und halten beide eine Tüte gebrannte Mandeln in den Händen. Es ist schweinekalt, aber es liegt kein Schnee. Offensichtlich geht es langsam auf Weihnachten zu.
„Ich hab dich gefragt, ob du Heilig Abend bei meinen Eltern und mir feiern willst?“
„Ähm…“
Vor 15 Jahren haben wir das tatsächlich so gemacht. Und es war toll. Aber damals waren Theo und ich schon zusammen. Dieses Mal würde ich mir doof vorkommen und hätte bestimmt das Gefühl, dass ich nicht wirklich dazu gehöre.
„Ich würde mich freuen, aber du musst nicht, wenn du nicht willst“, fügt Theo hinzu.
„Ich glaube, das ist keine so gute Idee.“
„Oh, ok“, sagt Theo und lächelt schwach.
„Aber danke für die Einladung.“
Gehen wir seit Halloween so verkrampft miteinander um? Oder ist noch irgendwas zwischendurch passiert? Freunde sind wir scheinbar noch und wir sehen uns ja auch fast jeden Tag in der… Schule?
„Sag mal“, frage ich Theo, „war ich seit den Sommerferien regelmäßig in der Schule?“
„Ja, wieso?“
Merkwürdig. „Ach, ich wollte nur sicher sein, dass ich nicht wieder so viele Fehltage angesammelt habe.“
Kann es sein, dass die Schule in diesem Schnelldurchlauf namens Leben gar nicht vorkommt? So wie viele andere Dinge auch nicht. Und dieses Jahr 1998 hat immer weniger mit dem zu tun, was ich vor 15 Jahren erlebt habe. Ich dachte, ich sollte die Chance bekommen, alles besser zu machen. Stattdessen hänge ich in diesem Alptraum fest. Es geht nicht um die Schule, nicht darum, etwas aus meinem Leben zu machen; es geht nicht um meine Eltern oder meine Beziehung zu ihnen; es geht um… Theo. Bin ich wegen Theo hier? Wenn ja, dann habe ich wohl alles falsch gemacht. Sonst wären wir jetzt glücklicher und würden Weihnachten zusammen feiern.
„Du Theo…“ Ich drehe mich zu ihm um und bleibe wie vom Blitz getroffen stehen. Neben mir steht nicht mehr Theo, sondern Adrian. Er amüsiert sich offensichtlich köstlich und greift in seine Tüte gebrannte Mandeln.
„Ja?“
„Was machst du hier? Wo ist Theo?“, stammel ich.
„Keine Ahnung.“
„Was soll der Scheiß? Was ist hier los?“
„Du musst aufhören, immer zwei Fragen auf einmal zu stellen“, sagt Adrian genüsslich kauend.
„Bin ich tot?“, frage ich. Eine andere Erklärung fällt mir gerade nicht ein.
„Nein.“
„Aber…“
„Sagen wir einfach, es ist kompliziert.“
„Was machst du hier?“, frage ich noch mal. Jetzt lauter.
„Ich hab mir gedacht, dass ich dir mal ein bisschen in den Hintern trete, weil du alles vermasselst.“
„Du bist tot.“
„Ja, und du träumst.“
Ich starre ihn verdattert an. „Ich träume?“
„Ja.“
„Wie kann man einen Traum vermasseln?“
„Scheinbar ist das gar nicht so schwer. Man muss sich nur ein bisschen selbst im Weg stehen“, erklärt Adrian.
Ich beschließe, erst mal gar nichts zu sagen.
„Ich weiß, dass es nicht leicht für dich war“, sagt Adrian ruhig. Das Grinsen ist aus seinem Gesicht verschwunden. „Und es tut mir leid.“
„Ich bin nicht tot?“, frage ich noch mal. Komischerweise zweifle ich nicht an der Traum-Theorie. Dadurch ergibt endlich alles einen Sinn. Ich war nicht in einem Schnelldurchlauf und niemand hat mein Leben vorgespult. Ich hatte – oder vielmehr habe – einen stinknormalen Traum.
„Nein, du liegst im Krankenhaus. Theo hat dich gefunden, als er zurück in deine Wohnung gekommen ist, weil er… noch etwas abholen wollte.“
„Woher weißt du das?“, frage ich entsetzt. Theo hat mich gefunden? So?
„Das ist dein Traum. Ich weiß nur das, was du weißt.“
„Und wann ist der Traum zu Ende?“
„Keine Ahnung. Aber bestimmt nicht, solange du ihn dir vermasselst. Die meisten Träume sind immer dann zu Ende, wenn es am schönsten ist. Das habe ich immer gehasst.“
„Du fehlst mir“, sage ich.
„Ich weiß.“ Er lächelt. „Du mir auch.“
Ich sehe mich um und als ich mich wieder Adrian zuwenden will, sehe ich, dass ich allein bin. Theo ist nicht mehr da und Adrian ist auch verschwunden. Und es ist kalt.
Die Kälte ist verschwunden. Und auch die frische Luft. Wenn das hier ein Traum ist, mein Traum, dann heißt das doch auch, dass ich alles unbewusst steuern kann, oder? Warum, verdammt noch mal, gibt es hier dann keine frische Luft? Ich brauche Sauerstoff zum Nachdenken.
Wo bin ich eigentlich? Ich sehe mich um und bekomme schon wieder den nächsten Schreck. Ich bin im Jugendtreff. Allein. Und ganz offensichtlich ist heute Heilig Abend. Alle sind fröhlich, trinken, lachen, überreichen Geschenke, bewerfen sich und den großen Weihnachtsbaum mit Glitzer und küssen sich in den Ecken… Alle tun das. Nur ich nicht. Was ist das für ein Traum, in dem es egal ist, was ich will? Na ja, zugegeben, meine Träume hatten noch nie viel damit zu tun, was ich will. Es war immer eher das Gegenteil. Die Frage ist jetzt nur, wie kann dieser Abend noch so schön werden, dass es sich lohnt aufzuwachen?
Aber erst mal von vorne. Ich bin nicht tot, ich träume nur. Allerdings liege ich im Krankenhaus und vielleicht ist Theo noch bei mir. Ich will mir gar nicht ausmalen, was ich ihm angetan habe. Ich wollte nicht, dass er mich so sehen muss. Er ist wirklich der Letzte, den ich mit dieser Aktion verletzen wollte. Was wohl passiert, wenn ich aufwache?
Und alles, was hier in den letzten Tagen, Wochen, Monaten passiert ist, ist gar nicht passiert. Wahrscheinlich sind maximal ein paar Tage vergangen, wenn nicht sogar nur Stunden. Und trotzdem wird mir gerade etwas klar. Theo, beide Theos, waren immer für mich da. Egal wie eklig ich mich aufgeführt habe und egal wie viele Chancen ich nicht genutzt habe. Bestimmt könnte ich jetzt hier im Traum mit Theo zusammen sein, wenn ich mir nicht selber im Weg gestanden hätte. Ich hatte zu viel Angst, Theo zu verlieren und habe ihn deshalb gar nicht erst an mich rangelassen. Natürlich hätte ich ihn am Tag nach Halloween küssen sollen, anstatt darauf zu warten, dass er es tut. Ich habe es wirklich vermasselt. Adrian hatte recht.
„Hey“, Marcel taucht auf einmal neben mir auf. „Wo ist dein Freund?“
„Zuhause.“
„Zoff?“
„Nein, ist ’ne lange Geschichte“, antworte ich seufzend.
„Komm, es gibt gleich was zu essen. Und danach fängt das Wichteln an.“
„Eigentlich wollte ich…“
„Ist das der Grund, warum du nicht bei uns feiern wolltest?“, fragt eine Stimme hinter mir. „Das Essen und das Wichteln?“
„Ich hasse Wichteln“, sage ich grinsend, als Theo neben mir auftaucht.
„Warum wundert mich das nicht?“
„Weil du mich verstehst.“
„Das wundert mich allerdings schon. Du bist der anstrengendste Mensch, den ich kenne.“
Marcel zieht sich nebenbei unauffällig zurück und schließt sich den Massen an, die jetzt zum Buffet stürmen. Theo und ich setzen uns lieber auf ein freigewordenes Sofa.
„Angenommen wir beide wären schon 15 Jahre älter…“, sage ich und beobachte Theo ganz genau, „… und ich hätte einen ziemlich großen Fehler gemacht, würdest du mir verzeihen?“
Theo überlegt. „Kommt drauf an… Bereust du es?“
Ich nicke.
„Und weißt du auch, warum es ein Fehler war?“
Ich nicke wieder.
„Dann würde ich dir wahrscheinlich vergeben, ja.“
„Versprochen?“
„Versprochen“, sagt er und mir fällt jetzt erst auf, dass er etwas hinter seinem Rücken versteckt hält.
„Sag mir bitte nicht, dass du ein Weihnachtsgeschenk für mich hast“, bettel ich verzweifelt.
„Ist schon okay, es ist für uns beide.“ Seine Wangen werden etwas rot. „Aber nicht lachen.“ Jetzt sind sie dunkelrot.
„Ok, was ist es?“, frage ich etwas angespannt.
„Wehe du lachst!“
„Jetzt zeig schon her!“
Sein Hals bekommt rote Flecken, während er langsam seine Hand hinterm Rücken hervorzieht. „Das ist das letzte Mal, dass ich es dir so leicht mache“, sagt er und hält einen Mistelzweig über unsere Köpfe.
Ich brauche ein paar Sekunden, um zu verstehen, was hier gerade vor sich geht, aber dann muss ich grinsen. Nicht lachen, nur grinsen. Ich lehne mich zu ihm vor und küsse ihn. Und alles wird schwarz. Zum letzten Mal. Ich bin mir sicher, dass der ‚alte‘ Theo neben meinem Bett sitzt, wenn ich aufwache. Und ich bin mir sicher, dass er mir verzeihen wird, dass ich ihn betrogen habe, dass ich die Opfer, die er immer für mich gebracht hat nicht zu schätzen wusste, und dass ich ihm den größten Schreck seines Lebens eingejagt habe. Ich werde nicht mehr nur an mich denken, nicht mehr nur in der Vergangenheit leben. Sondern mich freuen, dass es immer etwas geben wird, für das es sich zu leben lohnt: meinen Theo.
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