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Tausend Schritte
Tausend Schritte
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Informationen
- Story: Tausend Schritte
- Autor: Inari
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1
- Prolog
- 1. Erpressung
- 2. Entscheidung
- 3. Gaby
- 4. Schweigen im Walde
- 5. In der Kneipe
- 6. Max will mitjoggen
- 7. Der Plan
- 8. Übung macht den Meister
- 9. Die Prüfung
- 10. Treffen an der Mühle
- 11. Das Loch
- 12. Das Loch im Zaun
- 13. Ein abgekartetes Spiel
Florian, Flo genannt
Tom, Intimfeind von Flo
Max, Trainer von Flo und Tom
Gaby, beste Freundin von Flo
Christian, Freund von Gaby
Martin, Freund von Tom
Henk, Mitbewohner in der WG von Max
Laura, eine Bekannte von Flo, Gaby und Christian
Prolog
Lieber Tom,
endet alles, wie es angefangen hat?
Wobei ... - wieso konnten wir eigentlich nie klären, wie wir uns kennengelernt haben? Unsere erste Erinnerung reichte ja immer nur bis zu der Zeit zurück, wo wir uns definitiv nicht verstanden haben, na ja, gehasst trifft es wohl eher. Aber es gab eine Zeit davor, eine Zeit, wo wir uns zwar kannten, uns aber nicht beachteten, ganz unbewusst nicht beachteten.
Doch dann kam die Zeit, wo wir uns gegenseitig gehörig auf den Senkel gingen. So sehr, dass damals Max ziemlich sauer auf uns wurde ...
1. Erpressung
Flo hatte die Worte noch genau im Kopf: „Mir ist es egal, wie ihr draußen miteinander umgeht, auf dem Spielfeld habt ihr ein Team zu sein. Entweder rauft ihr euch zusammen oder ihr seid nicht mehr dabei.“ Das war fast genau vier Wochen her. Jetzt saßen sie beide wieder beim Trainer im Büro.
Der Trainer, von allen nur Max genannt, war etwas jünger als sie beide. Alle drei arbeiteten hier an der Uni, allerdings in völlig verschiedenen Fakultäten. Man traf sich beim Training, gelegentlich auf dem Campus oder auf der einen oder anderen Party.
„Kann es sein, dass meine Predigt vor vier Wochen nichts gebracht hat? Ich habe sogar den Eindruck, dass es noch schlimmer geworden ist.“ Flo merkte, wie verärgert Max war. „Woher kommt eure Feindseligkeit? Ich verstehe das einfach nicht.“ Max holte einen Moment Luft. „Warum auch immer, ich gebe euch aber noch eine Chance. Ihr könnt sie nutzen oder auch nicht, das ist mir ziemlich egal. Wenn ihr sie nicht nutzt, dann seid ihr beide nicht mehr im Team.“
Tom wollte gerade ansetzen, um etwas zu sagen, doch Max war schneller: „Ihr werdet ab sofort miteinander joggen gehen und nicht mehr jeder für sich. Soll heißen, ihr werdet euch absprechen, wann ihr joggt, wo ihr joggt, wie lange ihr joggt und so weiter.“
Flo merkte, wie sich sein Magen zusammenzog. Schon alleine der Gedanke, mit Tom joggen gehen zu müssen, verursachte ein gehöriges Unbehagen. Bevor er was sagen konnte, hörte er schon Tom: „Was soll das? Warum sollte ich mit Florian durch die Gegend joggen?“ Auch ihm passte die Forderung wohl nicht.
„Das ist ganz einfach, Tom. Ihr werdet lernen, euch aufeinander einzustellen und beim Joggen ein Zweierteam sein. Denn ihr werdet nebeneinander joggen und euch wahrscheinlich am Anfang an jeder Weggabelung streiten, wo es weiter gehen soll. Nach und nach wird sich das geben und dann werdet ihr hoffentlich endlich in der Lage sein, auf dem Spielfeld wieder miteinander zu spielen.“
„Und wenn ich nicht will?“, fragte Flo.
„Dann werdet ihr beide nicht mehr im Team sein.“ Max Stimme war sehr bestimmt.
„Das ist nicht fair“, protestierte Tom. „Warum soll ich aus dem Team fliegen, wenn Florian nicht will?“
„Das heißt also, dass du dabei bist, Tom?“, fragte Max.
„Das habe ich so nicht gesagt.“
„Wie du meinst. Ich stelle das noch einmal klar: Wenn einer von euch beiden nicht dabei ist, seid ihr beide nicht mehr im Team. Ich gebe zu, dass das etwas gemein ist, denn ihr seid so voneinander abhängig. Aber wer sagt, dass das Leben fair ist? Niemand.“
„Scheiße“, entfuhr es Flo, um sich gleich darauf an Max zu wenden: „Ich habe da echt keine Lust drauf. Gibt es keine andere Lösung?“
„Nein, das ist mein letztes Angebot“, war die Antwort von Max. „Ihr könnt euch das jetzt überlegen. Bis ich zurück bin, will ich eine Entscheidung. Ich habe jetzt gleich eine Übung, um halb sechs bin ich in der Cafete. Wenn ihr dabei seid, könnt ihr beide dort auftauchen.“
Max musste langsam los, damit er pünktlich zu seiner Übung kam. Gemeinsam verließ er mit Flo und Tom sein Büro und verschwand.
2. Entscheidung
Flo und Tom wussten im ersten Augenblick nicht so recht, was sie machen sollten. Sie gingen erst einmal nach draußen, wo es seit einigen Tagen recht angenehm war. Der April hatte einige schöne Frühlingstage mit sich gebracht, die von allen, die dazu Zeit und Lust hatten, genutzt wurden. Nahezu alle Plätze in der Sonne waren belegt.
Warum sich Flo und Tom nicht leiden konnten, war für viele unergründlich geblieben. Selbst Flo war es nicht ganz klar. Sie verband eine gegenseitige Abneigung. Diese hatte sich in der letzten Zeit gesteigert. Früher ging man sich einfach aus dem Weg, auf dem Spielfeld war man Teil des Teams. Max hatte aber Recht, in der letzten Zeit störten sie mit ihrem Verhalten das Spiel, selbst der eine oder andere Mitspieler hatte schon offen darüber gemault.
„Da vorne können wir uns hinsetzen“, sagte Tom. Flo sagte nur „Okay“. Die Bank stand in der Sonne und sobald sie sich hinsetzten, merkte Flo, wie angenehm die Wärme war.
„Ich habe keine Lust, mit dir joggen zu gehen,“ stellte Tom fest.
„Meinst du, ich?“
Beide hingen ihren Gedanken nach, keiner sagte etwas. So ging es einige Minuten, bevor Flo meinte: „Was fällt Max eigentlich ein, uns so unter Druck zu setzen? Damit ich im Team bleiben kann, muss ich nicht nur mit dir joggen, sondern dich auch noch dazu bringen, dass du auch mit mir joggst. Was für eine Scheiße.“
Wieder herrschte Schweigen. Diesmal unterbrach Tom die Ruhe: „Vielleicht sollten wir noch einmal mit Max sprechen, dass das kein Weg ist.“
„Das bringt nichts, der war vorhin so entschlossen, da haben wir keine Chance.“
„Dann bleibt uns wohl nur, entweder seine Bedingung anzunehmen oder aus dem Team rauszufliegen.“
„Ich fürchte, dass du Recht hast.“
Inzwischen hatte sich eine kleine Wolke vor die Sonne geschoben. Sofort wurde es Flo kälter, doch die wenigen Wolken rasten nur so über den Himmel, so dass bald wieder die wärmenden Strahlen auf sie trafen.
„Was hältst du davon, wenn wir Max sagen, dass wir es am Wochenende mal versuchen?“, fragte Tom. „Zur Not trennen wir uns einfach. Das merkt Max sowieso nicht.“
„Das glaubst auch nur du. Max kriegt so was vielleicht nicht sofort mit, auf Dauer kannst du dem aber nichts vormachen.“ Flo sah Tom kurz an. „Vielleicht sollten wir es aber wirklich versuchen. Verlieren können wir ja nicht viel.“
„Gut, also ein Versuch am Wochenende. Samstag oder Sonntag?“
„Sonntag passt mir besser. Wie wäre es um drei?“
„Das ist schlecht, ich kann erst später. Was hältst du von fünf Uhr?“, meinte Tom.
„Kein Problem, am Sonntag bin ich noch sehr flexibel.“
„Und wo?“
„Hmm... wie wäre es, wenn wir den Bach entlanglaufen?“
„Okay, dann haben wir zumindest kein Problem mit Weggabelungen.“
„Also um fünf an der Mühle“, fasste Flo zusammen.
So richtig froh war er nicht, sich am Sonntag mit Tom treffen zu müssen, aber Max hatte ihnen keine andere Wahl gelassen. Wahrscheinlich würde auch Tom viel lieber alleine oder mit anderen durch die Gegend joggen als mit ihm. „Sei´s drum“, dachte Flo, „ich werde es wohl schaffen, eine Stunde neben ihm herzulaufen. So schlimm wird es schon nicht werden.“
„Ich gehe noch mal ins Büro. Wir treffen uns um halb sechs in der Cafete“, sagte Tom und verschwand.
Flo hatte noch eine dreiviertel Stunde Zeit. Eigentlich war er erstaunt, wie lange sie hier gesessen hatten. Inzwischen war es auch etwas leerer geworden, die sonnigen Plätze waren aber noch gut belegt.
Er fragte sich wieder, warum er Tom nicht leiden konnte. Tom gehörte nicht zu den Menschen, die ihm sofort unsympathisch waren oder mit denen er nichts anfangen konnte. Er wusste nur, dass die Abneigung gegenseitig war. „Vielleicht ist die Aktion von Max doch nicht so schlecht“, dachte Flo. „Vielleicht ist Tom irgendwann nicht mehr so unerträglich.“
Um kurz vor halb sechs stand er auf, um in die Cafete zu gehen. Ins Büro wollte er erst anschließend, dafür war es in der Sonne einfach zu schön gewesen.
Max und Tom waren noch nicht da, so dass er sich einen freien Tisch suchte und seinen Kaffee schlürfte.
Um kurz nach halb sechs tauchte Max auf, von Tom war noch nichts zu sehen.
„Hallo, Florian“, begrüßte Max ihn, „ich gehe mir mal eben was zu trinken holen.“
Als er einige Minuten später mit seinem O-Saft zurückkam, war Tom noch immer nicht aufgetaucht.
„Und?“, fragte Max.
„Wir wollen es versuchen. Für Sonntagnachmittag haben wir uns verabredet“, sagte Flo.
„Interessant. Aber wo ist Tom? Oder ist das eine einseitige Verabredung?“
„Der wollte um halb sechs hier sein. Keine Ahnung, wo der bleibt. Er wollte nur noch kurz ins Büro.“
„Dann warten wir halt auf ihn“, sagte Max.
Sie unterhielten sich über dies und das, bis es fast sechs Uhr war. Tom war immer noch nicht da.
„Ob er es sich anders überlegt hat?“, dachte Flo laut. „Ich verstehe das nicht. Das ist ja mal wieder typisch. Kein Wunder, dass ich ihn nicht mag.“
Max überging die Bemerkung. „Ich muss langsam los. Am besten, ihr kommt morgen noch einmal bei mir vorbei. Ich bin mehr oder weniger den ganzen Tag da.“
Gerade als sie beide aufstehen wollten, kam Tom.
„Sorry, aber mein Prof lief mir noch über den Weg. Und leider wollte er noch unbedingt was besprechen. Als ob das nicht bis morgen Zeit gehabt hätte.“
„Oh, das kenne ich! Meiner ist auch immer so“, meinte Max nur. „Flo hat vorhin erzählt, dass ihr euch für Sonntag verabredet habt.“
„Ja, wir wollen uns an der Mühle treffen und den Bach rauf und runter joggen.“
„Sehr schön.“ Flo merkte, wie Max sich freute. „Ich muss jetzt aber wirklich los, wir sehen uns nächste Woche beim Training. Und kommt nicht auf die Idee, mich verschaukeln zu wollen. Ich merke das.“ Weg war er.
Flo und Tom sahen sich an und sagten nur „Tschüss“. Flo ging in sein Büro, um seine Mails zu checken und anschließend aufzubrechen.
3. Gaby
„Moin, moin. Na, wie geht´s?“ Seit dem letzten Semester hatte es sich eingebürgert, dass sie sich immer freitagmorgens in der Cafete trafen.
„Und selbst?“ Gaby und Flo umarmten sich kurz. Sie waren der letzte Rest ihrer einstigen Gruppe, die sich direkt im ersten Semester gebildet hatte. Alle anderen hatten nach dem Studienende keine Uni-Laufbahn eingeschlagen, so dass man sich nicht mehr so häufig sah.
Nachdem sie sich einige Zeit unterhalten hatten, kamen Gaby und Flo auf das Thema Training.
„Stell dir mal vor: Max will mich aus dem Team werfen, wenn ich mit Tom nicht joggen gehe!“, regte sich Flo auf. „Aber das Beste kommt noch: Wenn Tom nicht mit mir joggen will, fliege ich auch raus!“
„Dann geht doch einfach joggen, wo ist das Problem?“ Gabys Kommentar war mal wieder typisch.
„Du machst es dir ja mal wieder einfach“, Flo wollte sich aufregen. „Aber ich kann dich beruhigen, wir haben uns für Sonntagnachmittag verabredet. Wird sicherlich supertoll.“
„Ich verstehe dich nicht. Was hast du gegen Tom? Warum magst du ihn nicht? Erkläre mir das mal.“
„Ich mag ihn einfach nicht – und er mich nicht. Beruht also auf Gegenseitigkeit. Zumindest das haben wir gemeinsam.“ Flo versuchte sich zu erinnern, wie das damals war, als er Tom zum ersten Mal über den Weg gelaufen war. Aus irgendwelchen Gründen musste er die Erinnerung daran verdrängt haben.
„Soll ich dir mal was erzählen, Flo?“, fragte Gaby nachdenklich, als ob sie noch nicht wüsste, ob sie es wirklich tun sollte. Sie war sich aber wohl doch sicher, denn sie setzte fast ohne Atempause fort: „Als ich Tom kennenlernte, dachte ich, das ist genau dein Typ.“ Gaby sah Flo in die Augen. „Vom Aussehen meine ich das jetzt weniger, ich weiß ja nicht so ganz genau, auf was du da stehst. Ich meine so eher von der Art, wie Tom ist.“
„Ich und Tom? Gerade ich und Tom? Du hast sie wohl nicht mehr alle.“ Flo wandte sich ab. „Wie kommst du bloß auf einen solchen Schwachsinn, Gaby?“ Er konnte es einfach nicht glauben, was sie gesagt hatte.
Wie viele Jahre kannte er Gaby schon? Sieben? Die Antwort war ihm jetzt nicht wichtig. Er wusste, dass sie inzwischen seine beste Freundin war. Ihn in schweren wie leichten Stunden beigestanden hatte, wie er bei ihr war, wenn sie ihn brauchte. Zwar war das in der letzten Zeit nicht mehr so häufig, aber wenn es hart auf hart kam, zog die Seilschaft weiterhin. Manche Dinge konnte sie besser bei ihm loswerden, als mit ihrem Freund bekakeln.
Gerade deshalb fiel es ihm schwer, Gabys Bemerkung so einfach zur Seite zur schieben. Bei allen anderen hätte er es vermutlich getan, da es aber von Gaby kam, ging das nicht so einfach. Viel Zeit zum Nachdenken hatte er aber nicht mehr, denn sie mussten beide los.
„Denk über meine Worte mal nach, Flo“, sagte Gaby. Zum Abschied umarmten sie sich noch einmal kurz.
„Du liegst da völlig falsch, Gaby. Ausgerechnet Tom!“ Flo schüttelte den Kopf. „Ich kann es einfach nicht glauben, dass du an so was gedacht hast.“
„Ist ja schon gut. Wir sehen uns, Flo.“
„Bis dann, Gaby.“
Als er auf dem Weg nach Hause war, grübelte er wieder über die Worte von Gaby nach. „Tom soll genau mein Typ sein?“, fragte sich Flo. Mit diesem Gedanken konnte er sich nicht anfreunden. „Gerade ich und Tom?“ Die Frage ging ihm nicht aus dem Kopf.
Als er schon in seiner Straße war, fragte er sich inzwischen, auf welchen Typ er eigentlich stand. Wie war das damals, als er mit Peter zusammen war? Was hatte ihn ausgemacht? Wie lange war das jetzt eigentlich schon her?
Als er seine Haustür aufschloss, dachte er noch immer über die Fragen nach.
4. Schweigen im Walde
„Hi.“ Tom war schon da. Seine Begrüßung war eher der Höflichkeit geschuldet.
„Hi. Ich schließe nur noch kurz mein Rad ab, dann können wir starten.“
Die Mühle war schon lange nicht mehr in Betrieb, das Mühlenrad rottete vor sich hin. Sie stand direkt an einer kleinen Straße, von der der Waldweg wegführte, der entlang des Baches verlief. Sonntagnachmittags war es hier doch recht voll, man war einfach noch zu nah an der Stadt. Trotzdem kamen viele mit dem Auto, um von hier aus spazieren zu gehen.
Tom und Flo starteten. Wie beim gelegentlichen Joggen mit der gesamten Mannschaft war es kein großes Problem, eine gemeinsame Geschwindigkeit zu finden. Ständig mussten sie an Fußgänger vorbeilaufen, schon alleine deshalb konnte nicht von entspanntem Joggen die Rede sein. Hinzu kam, dass weder Tom noch Flo was sagte.
Flo hätte auch nicht gewusst, worüber er hätte sprechen sollen. Ihm war das Schweigen ziemlich unangenehm und er hatte den Eindruck, dass es Tom nicht anders ging. Wieso er Tom so einschätzte, fragte er sich nicht.
Seine Gedanken drehten sich um das Anschweigen und auch um die Worte von Gaby, die ihm einfach nicht aus dem Kopf gingen. Wie kam Gaby auf die Idee, dass Tom genau sein Typ sei?
Wer war Tom eigentlich, was wusste er von ihm? Kennengelernt hatten sie sich in der Mannschaft, Tom stieß kurz nach Flo dazu. Das war jetzt einige Zeit her. Inzwischen konnte er sich wieder daran erinnern, dass es damals jemanden anderen gab, mit dem er gerne zusammen gekommen wäre. Bis auf ein paar freundliche Worte hatte sich aber nichts ergeben und sie verloren sich nachher aus den Augen. Er hätte wohl auch keine Chance gehabt, wie eine glückliche Vaterschaft ihm viel später bei einem zufälligen Treffen bewies.
Flo hatte Tom damals genauso wenig Beachtung geschenkt wie anderen auch. Man wechselte ein paar Worte, die sich aber nur um das Spiel drehten, Privates kam nicht vor. Man grüßte sich, wenn man sich sah, aber das war auch schon alles.
Dies änderte sich lange nicht, doch mit der Zeit kam eine gegenseitige Feindseligkeit auf. Diese wurde allmählich schlimmer. Flo konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, was der Auslöser war.
Viel wusste er sowieso nicht von Tom. Er musste etwa so alt sein wie er selbst, sie waren ähnlich groß und ähnlich sportlich. Beide hatte das Studium hierhin verschlagen. Tom hatte im Gegensatz zu ihm blonde Haare und keine Brille. Ach ja, spielen konnte er nicht schlecht. Tom war wie Flo ein wichtiges Mitglied der Mannschaft.
Letzteres machte Flo stutzig, jetzt wo er darüber nachdachte. Wieso ging Max ein so großes Risiko ein, Tom und ihn zu verlieren? Klar, sie waren nicht unersetzlich, doch ein Verlust hätten sie für die Mannschaft schon dargestellt. Oder waren sie mittlerweile so schlimm, dass es darauf nicht mehr ankam?
Während Flo so in Gedanken war, kamen sie am Stern an. Tom entschied sich einfach für einen der fünf Wege, so dass Flo nichts anderes übrig blieb, denselben Weg zu nehmen. Bei ihm stieg eine leichte Verärgerung auf.
Als sie am Kinderspielplatz ankamen, hatten sie noch immer kein Wort gesagt. Flo schwitzte, er war nicht mehr ganz trocken. Das Joggen hatte nicht nur bei ihm seine Spuren hinterlassen, Tom sah ebenfalls nicht mehr taufrisch aus. Sie einigten sich darauf umzukehren.
Als sie an der Straße ankamen, schlossen sie ihre Räder auf und machten sich auf dem Heimweg. Nur kurz nahmen sie den gleichen Weg. Als sie sich trennten, sagten sie kurz „Bye“. Flo war froh, wieder allein zu sein.
5. In der Kneipe
Der Mai war recht verregnet. Sobald die Sonne schien, versuchte man draußen zu sein. Oft kam es nicht vor, so dass viel Zeit war, sich am Schreibtisch herumzudrücken und zu arbeiten. Die Tage im Büro waren dementsprechend lang.
Flo kam mit seiner Arbeit richtig gut voran. Er schaffte es, sich im Thema tiefer einzugraben und einen wichtigen Vortrag vorzubereiten. Die Vorarbeiten konnte er gut für seine Dissertation gebrauchen.
Mit Tom ging er weiterhin joggen. Sie trafen sich jetzt immer in der Woche abends, meistens dienstags. Am „Schweigen im Walde“ hatte sich fast nichts geändert. Die Begrüßung und die Verabschiedung fielen freundlicher aus und gelegentlich wechselten sie sogar ein paar belanglose Worte. Flo hatte sich daran gewöhnt, dass zwischen ihnen Funkstille herrschte. Unangenehm war es ihm nicht mehr. Im Grunde lief er zwar mit Tom durch den Wald, doch hätte es nicht viel Unterschied gemacht, wenn er alleine gejoggt wäre.
Zu seinem Erstaunen gab es keine Probleme, weder bei der Terminabsprache noch bei der Festlegung, wo sie laufen wollten. Sie wechselten relativ häufig die Strecke, wobei es mal eine von Toms, mal eine von Flos Hausstrecken war.
Am letzten Dienstag trafen sie sich an einer Stelle, wo sie sich beide nicht besonders auskannten. Sie schlugen an Wegekreuzungen ohne Überlegungen jeweils dieselbe Richtung ein. Flo bemerkte dies erst auf dem Heimweg.
Gaby neckte Flo gelegentlich mit dem Joggen, wenn sie sich freitags trafen. Sie achtete aber streng darauf, Flo nur dann darauf anzusprechen, wenn sie unter sich waren.
Nachdem Gaby, ihr Freund Christian und Flo an einem sonnigen Samstag im Kino waren, hatten sie noch Lust, in eine der Studentenkneipen den Abend ausklingen zu lassen.
Zum Leidwesen von Flo lief ihnen dort Tom über den Weg. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn nicht Gaby dafür gesorgt hätte, dass sich Tom zu ihnen setzte. Ganz freiwillig tat es Tom nicht, aber Gaby ließ ihm keine andere Wahl.
Tom schien die Situation genauso wie Flo unangenehm zu sein. Direkt nachdem er sich hingesetzt hatte, meinte er, dass er nicht allzu lange bleiben könne, denn er wäre mit einem Freund gemeinsam unterwegs.
Gaby wickelte Tom in ein Gespräch ein, an dem sich Christian ebenfalls beteiligte. Christian wusste zwar von dem angespannten Verhältnis zwischen Flo und Tom, Gaby hatte ihrem Freund aber nicht erzählt, dass sie meine, dass Tom genau Flos Typ sei. Dies war eine Sache nur zwischen Flo und ihr.
Tom blieb erstaunlich lange. Die drei unterhielten sich angeregt, Flo hatte den Eindruck, dass sie sich verstanden. Er sagte nur hin und wieder was, am Anfang nötigte Gaby ihn regelrecht dazu.
Als er nach einiger Zeit sich kurz ausklinkte, um zur Toilette zu gehen, wollte Tom zurück zu seinem Freund gehen, doch Gaby ließ ihn nicht ohne Weiteres ziehen.
Auf dem Weg zum WC wurde Flo angesprochen: „Hast du zufällig Tom gesehen?“
„Wieso?“
„Der ist verschwunden. Du müsstest ihn doch kennen?“ Sie kannten sich nur vom Sehen, waren sich das eine oder andere Mal auf dem Campus begegnet.
„Ja, natürlich. Der sitzt da hinten in der Ecke bei uns am Tisch.“ Flo zeigte in die Richtung. Von hieraus konnte man ihn aber nicht sehen.
„Oh, danke. Wie heißt du eigentlich? Ich bin Martin.“
„Florian, aber alle nennen mich Flo. Du bist also ein Freund von Tom?“
„Ja, aber sag mal, bist du nicht der, der mit Tom immer joggen geht?“
Flo nickte.
„Ich dachte, ihr unterhaltet Euch n...“ Martin biss sich auf die Lippe. „Sorry, das wollte ich jetzt nicht.“
„Schon gut. Ich glaub, ich gehe mal dann weiter. Ich wollte gerade zum Klo.“
Auf dem Rückweg unterhielt sich Martin mit jemandem, den Flo nicht kannte. Als er bei den anderen drei wieder am Tisch ankam, war Tom wirklich im Begriff zu gehen. Er sagte noch etwas in der Richtung, dass es eine nette Unterhaltung war und machte sich dann auf den Weg.
„Wieso könnt ihr beide euch eigentlich nicht ab?“ Tom war bereits außer Hörweite, als Christian fragte.
„Wir mögen uns einfach nicht.“
Flo hatte keine Lust, über seine Beziehung zu Tom zu sprechen. Gaby und Christian blickten sich an und wechselten das Thema.
6. Max will mitjoggen
Beim nächsten Training kam Max auf Flo und Tom zu. Er bat beide, nach dem Duschen zu ihm zu kommen.
„Also, was gibt’s?“
„Ich wollte von euch hören, wie es mit dem Joggen läuft.“
Wieder ergriff Flo das Wort: „Einmal in der Woche sind wir unterwegs, meistens dienstags, häufig eine neue Strecke, wobei im Regelfall einer von uns beiden die Gegend kennt.“ Tom nickte nur zustimmend.
„Sehr gut. Hat sich euer Verhältnis verbessert?“
„Du meinst, ob deine Erpressung aufging?“, so hart sich die Formulierung auch anhörte, Toms Stimme war weicher.
„Was für eine Erpressung?“, Max schüttelte den Kopf. „Aber zurück zu meiner Frage: Habt ihr euer Kriegsbeil vergraben?“
„Flo und ich waren schon immer ein Herz und eine Seele.“
„Interessant, scheinbar habe ich euch völlig falsch eingeschätzt.“ Max wandte sich an Flo: „Was sagst du denn dazu?“
„Du hast Tom doch gehört: Wir sind ein Herz und eine Seele. Wie kann ich dann anderer Meinung sein?“
Max guckte abwechselnd Flo und Tom an. „Und ich bin der Kaiser von China. Ihr dürft euch entfernen.“ Seine letzten Worte unterstrich er mit einer entsprechenden Handbewegung. „Übrigens, wann und wo trefft ihr euch das nächste Mal?“
„Am Dienstag um 7 am dicken Stein. Wieso?“
„Ganz einfach, Tom. Ich werde mit euch gemeinsam joggen.“
Das kann ja noch heiter werden, dachte Flo.
7. Der Plan
Nachdem Tom und Flo bei Max raus waren, trennten sie sich nicht wie üblich sofort. Erst wollten sie sich bei Flo oder Tom ins Büro setzen, um sich über Dienstag zu unterhalten, doch dann war ihnen das Wetter einfach zu schön, um drinnen zu hocken. Sie fuhren zum See, setzten sich an einen der Bootsstege und ließen ihre Beine über dem Wasser baumeln.
„Ich dachte, dass Max sein Ziel eigentlich erreicht hätte“, fing Tom an. „Wir müssten uns doch eigentlich gebessert haben.“
„Haben wir das?“ Diese Frage richtete Flo eher an sich selbst. Er schob die Antwort gleich hinterher: „Ja, haben wir. Sonst wären wir kaum hier draußen und würden uns unterhalten.“
„Na ja, so richtig toll ist unser Verhältnis jetzt aber auch nicht. Im Grunde hat uns Max dazu getrieben, dass wir jetzt zusammensitzen.“
„Okay, du hast ja recht. Trotzdem müsste Max sein Ziel erreicht haben. Was will er dann noch von uns?“
„Vielleicht ist es so eine Art Abschlussprüfung?“ Tom fasste sich an den Kopf. „Max traue ich wirklich alles zu.“
Beide hingen ihren Gedanken nach.
„Am liebsten würde ich Max ja voll auflaufen lassen, mir kommt aber keine richtige Idee“, sagte Flo nach einigen Minuten.
„Hm.“
Wieder schwiegen sie.
„Also, ich wäre dabei. Eine Idee habe ich jetzt aber auch noch nicht.“
Diesmal dauerte die Pause länger.
„Was haben wir denn für Möglichkeiten? Wir könnten am Dienstag ohne ein gegenseitiges Wort joggen.“
„Da haben wir ja Übung.“ Flo war sarkastisch.
„Na komm, wir haben uns doch dran gewöhnt.“ Tom drehte seinen Kopf zur Seite und blickte zu Flo.
„Ja, schon gut. Am Anfang fand ich das Schweigen übrigens ziemlich unangenehm.“ Flo wunderte sich etwas über seine Offenheit selbst.
„Ich auch.“ Tom hatte sich längst wieder dem Horizont zugewandt.
Wieder stockte das Gespräch.
„Was machen wir denn jetzt?“ Tom dachte nach.
„Wir sind ja nicht alleine unterwegs ...“, fing Flo an.
„Ja, sonst bräuchten wir uns ja keine Gedanken machen.“
„Jetzt lass mich doch mal aussprechen“, sagte Flo nachsichtig. „Also, wir sind nicht alleine unterwegs ...“
„Das weiß ich jetzt schon.“
„Willst du mich eigentlich ärgern?“ Flo blickte zu Tom. Tom guckte kurz zurück.
Flo war nicht verärgert. Er fragte sich gerade, ob sie sich beide schon mal richtig angeschaut hatten.
„Komm schon, sei nicht beleidigt“, unterbrach Tom seine Gedanken, „ich unterbreche dich auch nicht mehr.“
„Äh ... was?“ Flo schreckte auf, fing aber sofort zu dozieren an: „Wie ich also schon mehrfach ausführte, sind wir nicht alleine unterwegs. Max ist auch dabei, also können wir uns ausschließlich nur mit ihm unterhalten und müssen kein Wort miteinander wechseln.“
„Hm.“ Mehr hatte Tom erst einmal nicht zu sagen.
„Was meinst du dazu?“, fragte Flo nach einer Weile.
„Schon besser als Anschweigen, so richtig gefällt es mir aber noch nicht.“
„Hast du eine bessere Idee?“
„Ich frage mich gerade, ob wir nicht Max‘ Wunsch wörtlich nehmen sollten.“
„Wie, wörtlich?“ Flo wusste nicht, was Tom meinte.
„Max will uns scheinbar prüfen. Wenn ich ihn richtig interpretiere, dann will er wissen, wie das ist, wenn wir joggen. Also sollten wir genau diesen Wunsch erfüllen.“
„Verstehe ich jetzt nicht, wir wollten uns doch nicht Anschweigen.“ Flo war noch immer ratlos.
„Will ich auch nicht.“ Tom wandte sich Flo wieder zu. „Also, was unterscheidet das nächste Joggen von den bisherigen Joggen?“
„Max spielt Prüfer.“ Flo guckte zurück.
„Ja, richtig. Was heißt das?“
„Wird das jetzt eine Quizshow?“
„Beantworte einfach meine Frage, soweit kannst du mir schon vertrauen.“
„Was das heißt?“ Flo wiederholte die Frage, um Zeit für die Antwort zu gewinnen. „Max wird schauen, wie wir miteinander auskommen. Ob wir uns verstehen, was wir so machen usw.“
„Ich glaub, meine Frage war nicht gut. Ich versuche es mal anders: Was würden wir machen, wenn Max nicht dabei wäre?“
„Uns anschweigen.“
„Damit wären wir wieder bei der ersten Variante. Was hätten wir denn in der zweiten gemacht?“
„Wir hätten uns auch angeschwiegen, zugleich aber mit Max gesprochen.“
„Ja, genau.“ Tom blickte Flo noch immer an. „Und was ist das genaue Gegenteil?“
Langsam dämmerte es bei Flo. „Wir schweigen uns nicht an, sondern nur Max. Oder besser: Wir ignorieren Max.“
„Endlich.“ Tom atmete erleichtert aus. „War das eine schwere Geburt.“
„Ja, ja, jetzt sei mal nicht so. Dafür geht es dem Kleinen prächtig. So ein Kaiserschnitt muss nicht schlecht sein.“
„Lenk nicht ab.“ Tom lächelte zurück. „Also, für uns ist Max einfach nicht da. Wir kommen erst nach ihm an, am besten warten wir etwas oberhalb des Wegs und fahren erst zum dicken Stein, wenn er an uns vorbei ist, begrüßen ihn nicht, sondern nur uns gegenseitig.“
„Aber ... glaubst du, dass wir Max einfach als Luft behandeln können?“ Flo war kein besonders guter Schauspieler. „Ich weiß nicht recht.“
„Gut, das ist wohl der schwierigste Punkt. Vielleicht sollten wir ihm nur kurz „Hallo“ sagen und ihn dann so weit wie möglich ignorieren. Was hältst du davon?“
„Hört sich schon besser an. Und wenn es sich nicht vermeiden lässt, können wir ihm seine Fragen ja einsilbig beantworten.“ Flo gefiel die Idee zunehmend.
„Dann bleibt wohl als größtes Problem die Frage, wie wir beide miteinander umgehen.“ Tom blickte wieder zu Flo.
„Hm. Worüber sollen wir uns so lange unterhalten? Wir kennen uns doch überhaupt nicht.“ Flo drehte sich wieder dem Horizont entgegen.
Tom schwieg, Flo auch.
„Dann müssen wir das üben.“ Flo war entschlossen, Max auflaufen zu lassen.
„Was üben?“ Diesmal war es an Tom, den Gedanken nicht folgen zu können.
„Na, uns zu unterhalten.“
„Wie, üben?“
„Wenn du so weiter machst, dann müsste als nächste Frage kommen, wer üben soll.“
„Was ... wer üben?“ Tom verstand Flo nicht.
„Ja, genau. Du hattest die Frage, wer üben soll, nicht gestellt.“ Flo grinste. „Ich erkläre es dir aber noch mal gerne: 1. Wer: Du und ich. 2. Was: Unterhalten. 3. Wie: Die Frage kann ich noch nicht beantworten.“
„Jetzt habe ich es auch verstanden. Bist du eigentlich immer so ein Arschloch?“
„Nur zu einem erlesenen Kreis.“
„Danke. Schön, dass ich dazu gehöre und nicht einfach ignoriert werde.“ Tom grinste zurück.
„Bleibt also die Frage nach dem Wie.“
„Oder die Frage nach dem Worüber.“
8. Übung macht den Meister
Eigentlich mochte Flo Max, doch die Show, die der mit ihm und Tom abzog, war nicht nach seinem Geschmack. Er war so verärgert, dass er sich sogar mit Tom zusammenraufen konnte, um Max eine Lektion zu erteilen. Tom ging es scheinbar nicht anders.
Sie wollten Max in mehrfacher Hinsicht auflaufen lassen. Die Strecke sollte es in sich haben, nicht nur von der Länge her. Zusätzlich wollten sie schneller als sonst laufen. Beide waren sich sicher, dass sie fitter als Max waren. Wenn er schon dabei sein wollte, dann sollte er sich lange an eine Tortur erinnern können.
Tom und Flo hatten sich für ein Stündchen am Samstagabend verabredet. Jetzt saßen sie sich in einem der Biergärten gegenüber und schwiegen.
„Ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber eine allzu interessante Unterhaltung ist das jetzt aber nicht.“ Mit diesen Worten leitete Tom ein gegenseitiges Frage-und-Antwort-Spiel ein, bei dem sie beide einiges über den anderen erfuhren.
Beide waren gleich alt und hatten Geschwister. Während Tom immer auf seine beiden jüngeren Schwestern aufpassen musste, waren Flo und sein kleinerer Bruder nur zwei Jahre auseinander. Beide kamen nicht von hier, sondern waren erst zum Studieren Zuhause ausgezogen. Flo und Tom hatten zurzeit niemanden an ihrer Seite, wobei Flo wie üblich nicht von „Freundin“ sprach, sondern eine geschlechtsneutrale Formulierung wählte. Darin hatte er inzwischen einige Übung und verplapperte sich nicht so schnell.
Sie waren erstaunt, dass sie neben dem Sport weitere gemeinsame Interessen hatten. Als sie auf Urlaube zu sprechen kamen und Tom von seiner in den Semesterferien geplanten Tour erzählte, meinte Flo nur, dass er so was Ähnliches auch schon immer vorhatte.
Beide hörten aufmerksam zu, um für Dienstag genügend Gesprächsstoff zu haben. Sie scherzten darüber, ob sie sich nicht besser Notizen machen sollten, um nichts zu vergessen. Nachdem sie anfangs mit dem Ziel, sich auf Dienstag vorzubereiten, unterhielten, glitt mit der Zeit das Gespräch in eine spannende Unterhaltung ab. Aus der geplanten einen Stunde wurden erst zwei, dann drei und irgendwann war es nach Mitternacht.
Auf dem Heimweg stellte Flo fest, dass der Abend doch recht kurzweilig war. Tom schien doch nicht so schlecht zu sein.
9. Die Prüfung
„Mein Bruder hat übrigens gestern angerufen. Der will doch glatt seine Ausbildung abbrechen.“
Flo, Tom und Max waren unterwegs. Das Tempo, dass Flo und Tom vorlegten, war wie erwartet für Max ziemlich mörderisch, doch das störte weder Flo noch Tom, sie freuten sich sogar darüber. Max hatten sie nur kurz begrüßt und in die bisherige Unterhaltung kaum eingebunden. Wenn er überhaupt genügend Luft zum Sprechen hatte, dann erhielt Max immer knappe Antworten. Fast hatte man den Eindruck, dass hier zwei Freunde unterwegs waren, wobei einer aber seinen kleinen Bruder mitbringen musste, um auf ihn aufzupassen. Dementsprechend wurde er ignoriert.
Mit dem, was Tom gerade eben gesagt hatte, stimmte was nicht. Er kam zwar nicht sofort drauf, aber dann viel ihm ein, dass Tom am Samstag nur zwei Schwestern gehabt hatte. Wieso konnte dann sein Bruder anrufen?
„Dein Bruder? Ich wusste gar nicht, ...“, setzte Flo an, wurde aber von Tom unterbrochen.
„Ich auch nicht.“ Tom zog die Augenbraunen hoch. „Er hat ziemlich Druck bekommen, weil er seinen Ausbilder wohl angelogen hat. Der soll aber auch nicht von schlechten Eltern sein, ständig schikaniert er wohl seine Zöglinge, vertraut niemanden und schnüffelt allen hinterher.“
Flo fragte sich, ob ihm Tom am Samstag nicht die Wahrheit gesagt oder ob er erst jetzt seinen Bruder erfunden hatte. Warum zog Tom ständig Grimassen, die zwar Flo, aber nicht Max sehen konnte? Plötzlich fiel es Flo wie die Schuppen von den Augen: Tom wollte Max nach Strich und Faden reinlegen. Und nicht nur das, der angebliche Ausbilder war niemand anders als Max selbst. Tom konnte ganz schön gemein sein.
Flo spielte mit. Er stellte genau die Fragen, die sich scheinbar um den Ausbilder drehten, tatsächlich aber alle auf Max bezogen. Der sagte weiterhin kein Wort, sondern hechelte laut atmend hinter ihnen her.
Flo und Tom steigerten sich in ihr Spiel regelrecht rein. Immer weiter drehten sie die Rädchen und waren inzwischen soweit, dass sie sich einig waren, dass der Ausbilder, bzw. Max regelrecht danach verlangt hätte, an der Nase herumgeführt zu werden.
Beiden machte es richtig Spaß, über Max zu lästern, ohne dass der das überhaupt merkte.
Für Max schien das Jogging kein Ende zu nehmen. Es ging über Stock und Stein, die Runde war einfach endlos. Flo und Tom mussten sich zwar gehörig anstrengen, immer etwas schneller als Max zu sein, doch das war es ihnen wert. Außerdem sollte Max nie wieder auf die Idee kommen, sie prüfen zu wollen.
Ein paar Tage später fragte sie Max, ob sie immer schnell joggen würden. Das Gesicht, das er dabei kurz und unbewusst zog, sprach Bände. Seinen Muskelkater hatte er wohl nicht vergessen. „Geschieht ihm recht“, dachte Flo.
„Nein“, meinte Tom, „aber wir wollten dich nicht überfordern.“ Sein Gesicht war dermaßen unschuldig, dass ihm selbst Flo geglaubt hätte, wenn er es nicht besser wissen würde.
„Na, so unfit bin ich aber auch nicht“, verteidigte sich Max, „doch ein wenig Übung fehlt mir schon. Vielleicht sollte ich häufiger laufen?“ Die Frage war mehr rhetorisch gemeint, doch Tom sprang darauf an.
„Gute Idee. Willst du bei uns dabei sein? Allerdings wollten wir beim nächsten Mal wieder die große Runde laufen“, sagte Tom mit einem Gesichtsausdruck, als ob er sich schon immer darauf gefreut hätte, unter der Kontrolle von Max laufen zu gehen.
Doch Max meinte, so viel Zeit hätte er im Moment nicht. Flo war klar, dass das nur vorgeschoben war. Insgeheim lächelte er.
Inzwischen war jemand in der Tür erschienen, die fast immer offen stand, wenn Max da war. Nur so zirkulierte die Luft, die nachmittags von der Sonne in seinem Büro heftig aufgeheizt wurde.
Max stellte Henk vor. Der fragte Max, ob er was dagegen hätte, wenn er für Samstagabend ein paar Freunde einladen würden. Flo und Tom sahen sich irritiert an. Wer stand denn noch alles unter den Fittichen von Max?
„Nein, kein Problem“, meinte Max zu Henk. „Henk ist mein W-Genosse“, wandte er sich an Tom und Flo.
„Ich bin dein was?“ Henk verstand Max wohl genauso wenig wie Tom und Flo.
„Na, mein Wohnungsgenosse. Soll ich das etwa mit WG-Genosse abkürzen?“
„Aha. Nun gut, ich muss jetzt los, sonst bin ich gleich zu spät dran. Man sieht sich.“ Und schon war Henk weg.
Max erzählte Flo und Tom noch, dass er und Henk sich bei den gemeinsamen Räumen immer absprechen würden. Was aber kein großes Problem sei, Henk und er würden sich ziemlich gut verstehen. Der Stress würde sich in Grenzen halten.
Als Tom und Flo aus Max‘ Büro raus waren, unterhielten sie sich noch kurz über Henk und Max.
„Hätte gar nicht gedacht, dass Max in einer WG wohnt. Ich dachte immer, der hätte eine Freundin. So kann man sich täuschen.“ Tom widersprach nicht. „Ach, übrigens: Pokerst du immer so hoch? Ich dachte zuerst, dass du nicht mehr alle Tassen im Schrank hättest.“
„Ich war mir nach dem Gesichtsausdruck von Max ziemlich sicher, dass er mit uns lieber nicht noch einmal joggen geht. Schade eigentlich, mir hat es riesig Spaß gemacht. Der hat wirklich nichts gemerkt.“ Tom schüttelte den Kopf. „Vielleicht sollten wir ihn ab sofort immer mit Ausbilder statt mit Trainer ansprechen?“
„Gute Idee. Aber ich glaube, selbst dann merkt der nicht, woher der Wind weht.“
„Wahrscheinlich hast du recht.“ Tom grinste sich einen zurecht. „Wann ist er das nächste Mal unser Opfer?“
10. Treffen an der Mühle
Beim nächsten Training war Max auffallend zurückhaltend. Tom fragte ihn erneut, ob er am nächsten Dienstag nicht doch dabei sein wolle, sie würden dann aber die große Runde laufen.
„Tut mir Leid, Tom, aber daraus wird leider nichts“, redete sich Max wieder heraus.
„Schade, vielleicht klappt es ja nächste Woche.“ Tom wandte sich an Flo: „Sollen wir uns am Dienstag dann wieder an der Mühle treffen?“
„Klar. Schade, dass du nicht kannst, Max.“
Flo war sich abends nicht sicher, ob Tom seine Verabredung an der Mühle wirklich ernst gemeint hatte. Schließlich hatten sie nicht mehr Max im Nacken, der würde mit Sicherheit nicht auftauchen.
Als er Gaby kurz danach traf, musste er ihr erst einmal von dem besonderen Joggen mit Max erzählen. Gaby war einige Tage unterwegs gewesen, um an einer Konferenz teilzunehmen.
Gaby hatte Schwierigkeiten, Flo zu folgen, der immer wieder an Lachanfällen litt. Diese waren aber so ansteckend, dass auch Gaby nach einiger Zeit fast keine Luft mehr bekam.
Als sie sich schon fast beruhigt hatten, musste aber Flo noch erzählen, dass beim nächsten Joggingtermin Max passen müsse, da er angeblich keine Zeit hätte. Wieder mussten beide nach Luft schnappen.
„Das heißt also, dass ihr weiterhin joggen geht? Das ist ja sehr schön!“ Gaby lächelte.
„Meinst du, Tom meinte das ernst mit der Verabredung?“, fragte Flo. „Ich habe da so meine Zweifel.“
„Aber warum? Und was passiert, wenn du nicht zur Mühle fährst und Tom wartet da auf dich? Willst du das?“ Gaby ließ sich nicht beirren.
„Nein. Ich will aber auch nicht wie der letzte Trottel dastehen, wenn Tom nicht kommt.“
„Und wenn? Wer sollte denn mitbekommen, dass du dich versetzt fühlst? Nimm doch einfach was zum Lesen mit, setze dich an die Mühle hin und wenn Tom nicht kommt, joggst du alleine oder fährst einfach wieder weg.“
„Ich überlege es mir noch einmal“, gab Flo ein wenig nach.
Doch Gaby reichte das nicht: „Nichts da, du bist am Dienstag an der Mühle oder du bekommst Ärger mit mir.“
Da Flo dem nichts entgegensetzen wollte, fuhr er am Dienstag natürlich zum Treffpunkt. Lesestoff hatte er auch dabei.
Doch lange musste er nicht warten, Tom war pünktlich. Nachdem sie einige Zeit gejoggt waren, konnte Flo sich nicht mehr zurückhalten und meinte zu Tom: „Ich hatte ja nicht damit gerechnet, dass du überhaupt kommst. Schließlich gibt es keinen Zwang mehr, dass wir gemeinsam joggen.“
Tom antwortete nicht sofort. „Mir ging es genauso. Aber ich dachte, dass ich zur Not alleine jogge.“
„Was heißt denn ‘zur Not‘? Willst du damit etwa sagen, dass es dir nichts ausmacht, mit mir zu joggen?“ Flo war überrascht.
Tom stoppte und holte erst einmal Luft. „Hör mal zu, Flo.“ Er sah Flo an. „Nein, es macht mir nichts aus, mit dir zu joggen.“ Flo konnte seine Überraschung nicht verbergen und war etwas sprachlos. Doch Tom legte nach: „Wenn du aber damit ein Problem hast, dann kann ich gerne auch alleine joggen gehen.“ Über sein Gesicht huschte ein Schatten.
„Nein, nein, das wollte ich nicht sagen. Ich war nur überrascht.“ Flo ruderte zurück. „Ich hätte nicht gedacht, dass du nichts gegen meine Anwesenheit hast.“
„Gut, dann wäre das jetzt geklärt. Könntest du dir vorstellen, dass wir unser Joggen jetzt fortsetzen?“ Tom war schon in einem leichten Trab verfallen.
Nach dem Joggen verabredeten sich Tom und Flo wieder für den nächsten Dienstag, gingen dann aber ihrer Wege.
11. Das Loch
Auch beim nächsten Mal joggten sie wieder schweigend nebeneinander. Als sie von ihrer Runde zurückkamen, musste Tom leider feststellen, dass er einen Platten hatte.
„Fuck. Und ich habe natürlich kein Flickzeug dabei.“
„Ich leider auch nicht. Und wenn ich das richtig sehe, hat auch kein anderes Rad Flick- und Werkzeug am Rad. Wäre ja auch ziemlich dämlich.“
„Und ich habe gleich noch einen Termin mit meinem Prof, der morgen zu einem Kongress fährt. Duschen wollte ich mich natürlich auch noch.“ Tom war ziemlich verschwitzt.
„Willst du mein Rad benutzen? Ich kann ja deins nach Hause schieben und du holst es morgen ab“, bot Flo an.
„Das würdest du machen? Danke.“ Fast wäre Tom Flo um den Hals gefallen.
„Hier hast du meinen Schlüssel. Das Schloss klemmt zwar manchmal, doch das schaffst du schon. Und jetzt beeil dich, sonst kommst du nicht mehr unter die Dusche. Und so bist du nicht gesellschaftsfähig!“ Flo hatte allerdings auch heftig geschwitzt.
Nachdem er von Tom noch den Schlüssel für das Rad von Tom erhalten hatte, hetzte Tom schon davon, um noch rechtzeitig bei seinem Prof zu sein. Flo schob Toms Rad nach Hause. Noch bevor er sich duschte, flickte er kurz das Rad.
Am nächsten Morgen schaute Tom bei Flo im Büro vorbei.
„Aha, so chaotisch sieht also dein Büro aus“, sagte Tom, nachdem er eingetreten war. „Darin unterscheiden wir uns also nicht.“
„Oh, im Moment ist es eher ordentlich. Du hättest es mal letztens sehen sollen, als ich noch nicht aufgeräumt hatte.“ Flo zeigte in eine Ecke, wo sich bis vor kurzem noch etliche Unterlagen für ein inzwischen komplett abgeschlossenes und einige Zeit zurückliegendes Projekt befanden. „Hast du es noch pünktlich zu deinem Termin geschafft?“
„Ja, zum Glück. Nochmal vielen Dank, dass ich dein Rad benutzen durfte. Sonst hätte ich es auch nicht schaffen können.“
„Gut, dass es noch geklappt hat“, freute sich Flo.
„Darf ich dich zu einem Bier einladen? Als Dank für das Radausleihen?“
„Da nicht für. Aber ein Bier trinken gehen können wir trotzdem gerne“, entgegnete Flo.
„Heute Abend? Was hältst du vom Grübi?“
„Gute Idee. Um 7?“
„Sehr gut. Kann ich vorher bei dir noch vorbeischauen und den Platten flicken? Vielleicht um halb sieben? Dann können wir gemeinsam rüberfahren“, schlug Tom vor.
„Ja, können wir machen. Möchtest du lieber vorne oder hinten flicken?“ fragte Flo.
„Vorne natürlich, was für eine doofe Frage. Leider war es aber hinten platt.“ Tom schüttelte den Kopf über so viel Unverstand.
„Gut, dann mache ich vorne das Loch rein“, sagte Flo. „Das hintere habe ich gestern noch geflickt, schließlich wollte ich heute Morgen zur Uni radeln.“
„Du hast was? Es auch noch geflickt?“ Tom guckte ungläubig. „Jetzt kannst du die Biereinladung nicht mehr ablehnen!“
„Okay, du hast gewonnen. Ich lasse mich zum Bier einladen.“
Wie verabredet trafen sie sich im Grübi.
12. Das Loch im Zaun
Im Laufe der Zeit joggten Tom und Flo nicht nur, sondern trafen sich darüber hinaus auch noch in Kneipen. Zuerst geschah dies zufällig, doch nach einiger Zeit verabredeten sie sich regelmäßig.
Die Abende vergingen immer wie im Flug.
Das nächste Joggen hatten sie sich diesmal schon für den Freitag vorgenommen. In den letzten Tagen war es immer wärmer und drückender geworden. Inzwischen warnte man davor, sich zu viel draußen anzustrengen.
Flo und Tom joggten trotzdem, ließen es aber langsam angehen und kürzten ihre Runde ab. Dennoch lief ihnen der Schweiß nur so runter. Das Wasser reichte gerade, dabei hatten beide diesmal besonders viel dabei.
Nach dem Joggen meinte Flo, dass er auf dem Rückweg noch einen kleinen Abstecher zum See einlegen würde, um dort ins Wasser zu springen.
„Oh, da würde ich gerne mitkommen“, meinte Tom.
„Von mir aus gerne. Ich benutze aber eine geheime Badestelle, die du auf keinen Fall weitersagen darfst.“
„Mein großes Indianerehrenwort!“, schwor Tom mit erhobener Hand.
Die Badestelle kannte er von einem ehemaligen Studenten, der inzwischen weggezogen war. Nur Gaby und Christian waren noch eingeweiht, ansonsten schien sie niemand zu kennen. Es war kein großer Umweg dorthin, so dass sie recht schnell da waren. Geschickt zwängten sie sich durch das Buschwerk und versteckten die Fahrräder. Nachdem sie die gut getarnte Lücke im Zaun geöffnet hatten, zwängten sie sich durch und schlossen die Lücke wieder. Die Badestelle war von außen nicht einsehbar, so dass man sich hier unbedarft aufhalten konnte.
„So, da wären wir. Nur Gaby und Christian kennen diese Stelle noch. Alle anderen sind inzwischen weggezogen“, sagte Flo.
„Woh, wirklich eine tolle Stelle“, meinte Tom.
Nachdem sie sich umgezogen hatten, gingen sie eine Runde schwimmen und tollten anschließend im Wasser herum. Danach lagen sie lange am Ufer in der kleinen Sandbucht. In der Dämmerung kühlten sie sich wieder im Wasser ab. Die Wasserschlacht war herrlich.
Inzwischen war es fast dunkel geworden, nur der Mond spendete schwach sein Licht. In der kleinen Sandbucht unterhielten sich Tom und Flo bis zum Morgengrauen, ohne dass sie auch nur einmal mit der Müdigkeit kämpften. Abgekühlt hatte es nur unwesentlich, die Luft stand eher.
„Ich könnte noch stundenlang hierbleiben“, gestand Flo, „doch leider muss ich langsam aufbrechen. Ich habe einer Bekannten versprochen, beim Umzug zu helfen. Und ein bisschen schlafen sollte ich vielleicht doch noch.“
„Okay, das könntest du natürlich auch hier. Und nachher mit mir beim Bäcker in der Hedwigstraße eine kleine Kleinigkeit frühstücken“, schlug Tom vor. Er wollte sich noch nicht von Flo trennen.
„Gute Idee, ich bin mir auch gar nicht sicher, ob ich noch heil nach Hause komme.“ Flo war inzwischen sehr müde.
Auch Tom gähnte bereits. Nahezu zeitgleich schliefen Tom und Flo ein.
Als Flo wieder wach wurde, war es schon recht spät. Tom und er hatten sich im Laufe der Nacht eng aneinandergekuschelt.
Tom schlief noch. Sanft weckte er Tom. Dieser wurde langsam wach und fragte, wie spät es sei.
„Schon neun Uhr, um zehn soll ich im Ginsterweg sein“, meinte Flo. „Ich muss aufbrechen, sonst kann ich nicht mehr frühstücken.“
Flo bemerkte, dass auch Tom mitbekommen hatte, dass sie eng aneinandergekuschelt aufgewacht waren.
Die Stille war unerträglich. Doch dann prustete Tom plötzlich los. Es dauerte nicht lange, bis Flo angesteckt war.
Tom und Flo fielen sich um den Hals und hielten sich lange fest.
„Du, Flo“, begann Tom, stockte aber sofort wieder.
„Ja, Tom?“
Tom schwieg aber.
Flo fasste sich ein Herz: „Tom, ich mag dich!“
„Ich dich auch, Flo“, antwortete Tom.
„Eigentlich mag ich dich nicht nur, da ist noch mehr.“ Flo war über seine eigenen Worte überrascht. Diese waren einfach so rausgesprudelt, ohne dass sein Kopf es vorher verhindern konnte.
„Bei mir auch, Flo.“ Toms Gesicht hatte an Farbe gewonnen.
Flo umarmte Tom wieder. Auch diesmal lagen sie sich lange in den Armen.
Flos Handy klingelte. Es war Gaby.
„Hallo, Flo. Wo bist du?“ fragte Gaby.
„An unserer Badestelle. Wir wollten gleich aufbrechen, damit ich rechtzeitig bei Laura bin.“
„Du bist mit Tom an der Badestelle? Wow!“ Selbst Tom hatte Gabys Worte gehört, so laut hatte sie gesprochen.
„Woher weißt du …“ Wieder rutschten Flo die Worte nur so raus.
„Hat ja lange genug gedauert. Seid ihr euch nun endlich nahe gekommen?“ Gaby war unerbittlich.
„Ja.“ Das war Tom. „Endlich!“
„Ich freue mich für euch, Tom und Flo.“
„Ich mich auch.“ Flo sah Tom an.
„Tom? Flo? Seid ihr noch da?“, unterbrach Gaby die Stille.
„Ja, sind wir noch“, sagte Flo. „Aber ich muss gleich los, ich will nicht zu spät bei Laura sein. Sie hatte ja sowieso schon Probleme, genügend Helfer zu finden.“
„Soll ich mitkommen? Auch wenn ich Laura nicht kenne, Möbel und Kartons schleppen kann ich trotzdem“, bot Tom an.
„Laura hat sicherlich nichts dagegen“, kam es aus dem Handy. „Übrigens wollten wir beide uns, Flo, bei dir treffen.“
„Oh, scheiße, das hatte ich ganz vergessen. Entschuldige, Gaby, das war keine Absicht.“
„Kein Problem, bei solch wichtigen Dingen erwarte ich sogar, dass du mich versetzt!“ Gaby war überhaupt nicht sauer. „Wir sehen uns gleich bei Laura.“
13. Ein abgekartetes Spiel
Tom und Flo sahen sich inzwischen täglich. Da Toms Wohnung etwas geräumiger war, war Flo häufiger bei Tom als Tom bei Flo. Beide schwebten auf Wolke 7.
Wochenlang hatten sie Max nicht gesehen, der sehr kurzfristig für eine erkrankte Kollegin eine mehrwöchige Exkursion übernommen hatte.
Als Max wieder zurück war, überraschte er Tom und Flo damit, dass er sie zum Essen einlud. Er stammelte dabei etwas in der Richtung, dass er sich für die Erpressung entschuldigen wollte. Flo und Tom sagten zu, mussten sich dabei aber beide zusammennehmen, um ernst zu bleiben – das gemeinsame Joggen mit Max war ihnen noch in lebhafter Erinnerung. Max vermutlich auch.
Flo und Tom nahmen sich vor, erst Max noch etwas für die Erpressung zu ärgern, bevor sie sich bei Max outen wollten.
Jetzt standen sie vor der Haustür. Die Gegend, wo Max wohnte, hatte Flo schon immer gefallen. An den Straßen standen hier wunderschöne Villen, alle alt und ehrfürchtig. Selbst die Zäune strahlten bereits ein Ambiente aus, das ihn begeisterte. Einige Gärten waren zugewuchert, andere äußerst penibel gepflegt. Die meisten Bewohner hatten jedoch das richtige Mittelmaß gefunden.
Die Klingel passte nicht zum Haus. Sie war denkbar einfach, versah aber ihren Dienst, wie Tom und Flo recht schnell feststellen konnten. Sie drückten die Tür auf und gingen nach oben. Direkt unter dem Dach war die WG, in der Max wohnte.
„Hallo ihr beiden. Schön, dass ihr da seid. Aber kommt erst einmal rein.“ Max führte sie ins Wohnzimmer.
Aus der Küche kam Henk. „Hallo Tom, hallo Flo.”
„Hallo Henk“, begrüßte Flo die andere Hälfte der Zweier-WG. „Ich hätte nicht kommen sollen, bei einem solchen Haus werde ich ganz neidisch. Wenn ich dagegen meinen Studentenbunker sehe ...“
„Wir haben damals auch Ewigkeiten gesucht.“ Henk sah Max an. „Hat sich aber auf jeden Fall gelohnt.“
„So, genug Smalltalk, setzt euch mal da hin“, unterbrach Max die Unterhaltung. Wenn Flo ihn nicht so gut kennen würde, hätte er es als Befehl aufgefasst. So war es eher eine freundliche Aufforderung. Mit den Worten „Wir haben noch in der Küche zu tun“ verschwanden die beiden Gastgeber wieder in der Küche.
Die Wartezeit nutzten Tom und Flo, um sich ein wenig im Wohnzimmer umzuschauen. Ein Bücherregal dominierte den Raum, in dem allerdings nur wenige Fachbücher standen. Viele Romane, einige Lexika, etliche Comics und unzählige Reiseführer von den unterschiedlichsten Gegenden bestimmten das Bild. Im Regal befanden sich auch ein kleiner Fernseher und die Stereoanlage. Letztere sorgte für die Musikuntermalung.
„Und, alles inspiziert?“ Henk stand im Türrahmen.
„Wer von euch beiden hat denn die ganzen Reiseführer beigesteuert?“, fragte Tom.
„Die meisten sind von mir. Ich liebe Reiseführer.“ Henk machte eine kurze Pause. „Einige habe ich sogar erst gekauft, als ich zurück war.“
„Das ist immer das Gleiche mit euch. Ich sage, ihr sollt euch setzen – und was macht ihr; ihr schnüffelt im Regal herum.“ Max lachte. „Nehmt endlich Platz, das Essen ist fertig und will serviert werden. Du kannst dich auch hinsetzen, Henk, ich mache das schon.“
Als Max aus der Küche zurückkam, trug er mit Topflappen die Auflaufform mit einer Lasagne. Eine Spezialität von Henk, wie Max erklärte. Der benutzte bei der Zubereitung keine gewöhnlichen Lasagneplatten, sondern griff auf Spaghetti zurück, die er stattdessen einsetzte.
Die Unterhaltung während des Essens und der Zeit danach war spannend und witzig. Die Zeit verflog nur so. Als sie auf das Thema Training kamen, verschwand Henk kurz und kam mit einem vollen und einem leeren Bierkasten zurück. Er stellte sie nebeneinander auf dem Boden, nahm aus dem vollen Kasten eine Flasche und stelle sie in den leeren Kasten.
Flo und Tom sahen sich verständnislos an. Bevor sie etwas sagen konnten, hatte Max schon das Wort ergriffen: „Eine Flasche nur? Der halbe Kasten sollte mindestens drin sein!“
„Äh“, setzte Tom an, kam aber nicht weit.
„Also gut, eine ist schon etwas provokant.“ Henk nahm mehrere Flaschen aus dem vollen Kasten und stellte sie wiederum in den leeren. Bei der achten Flasche machte er Schluss.
Diesmal kam Tom Max zuvor. „Könnt ihr uns mal erklären, was ihr da gerade macht?“
„Nein.“ Max wandte sich wieder an Henk: „Wieso nur acht? Zwölf mindestens!“
„Aber dann wäre unentschieden“, protestierte Henk.
„Von wegen unentschieden. Mein Kasten wird noch voll.“
„Das musst du mir erst einmal beweisen.“
„Kein Problem.“ Max wandte sich an Flo und Tom. Bevor er jedoch fortfahren konnte, schaltete sich Henk wieder ein: „So nicht, das ist gegen die Regeln.“
„Ach ja, hatte ich ganz vergessen.“ Max schwieg. Henk auch.
Flo aber nicht: „Ich verstehe nur Bahnhof. Weißt du, was hier gerade abläuft, Tom?“
„Nee, keine Ahnung.“ Tom überlegte. „Vielleicht sollten wir besser das Bier trinken, Flo? Die beiden sind wohl auch nicht mehr ganz nüchtern.“
„Nichts werdet ihr von meinem Bier trinken. Es reicht schon, dass ich so viele Flaschen an Max verloren habe.“
„Aha, eine Wette. Erzähl mal weiter, Henk.“ Flos Aufforderung fruchtete nicht.
„Über was können die gewettet haben?“, dachte Tom laut. „Und vor allem, warum stellen die gerade jetzt fest, wer gewonnen hat?“
„Das ist eine gute Frage ...“ Flo kratzte sich am Kopf. „Warum gerade jetzt?“
„Worüber haben wir vorhin denn gesprochen?“, fragte Tom.
„Über alles Mögliche ... Was war denn das letzte, Tom?“
„Hmm.“ Flo und Tom schwiegen.
Max und Henk hatten sich zurückgelehnt und ihrem Rätselraten gelauscht. Aus dem Augenwinkel hatte Flo bemerkt, wie sich die Miene von Max anfangs aufklarte, während die sich von Henk verfinsterte. Als sie mit ihren Vermutungen ins Stocken gerieten, wechselten die beiden ihren Gesichtsausdruck.
Flo spürte, wie Tom ihm über seine Hand ein Zeichen gab. Er verstand sofort. Sie würden einfach den Spieß umdrehen und sich nicht mehr um die Wette kümmern. Flo wusste zwar, dass es ihm schwerfallen würde, seine Neugier zu bremsen, aber Henk und Max saßen viel mehr auf glühenden Kohlen. Flo merkte förmlich, wie unruhig Max war.
Tom schaltete komplett um und schnitt ein völlig anderes Thema an.
Max und Henk sahen sich verblüfft an. „So geht das nicht, Jungs“, sagte Max. „Ihr müsst weiter machen, da hängt einiges von ab.“
„Warum sollten wir? Von dem Bier kriegen wir doch sowieso nichts.“ Flo wandte sich an Tom und ging auf sein Thema ein.
„Mein Gott, sind die dickköpfig. Jetzt glaube ich dir, dass das harte Arbeit war. Und eine, wo man nicht weiß, wie sie ausgeht. Ich bin erstaunt, wie risikobereit du bist, Max.“ Er nahm eine Flasche aus seinem Kasten und stellte sie in den Kasten von Max.
„Was heißt hier harte Arbeit? Und was haben wir mit eurer Wette zu tun?“
„Warte mal, Flo, mir ist gerade eingefallen, worüber wir uns vorhin unterhalten haben: Es ging ums Training.“
„Ums Training, sagst du ... Hmm...“ Flo dachte angestrengt nach. Plötzlich kam ihm in den Sinn, dass sie vielleicht – ja, das war es! „Die beiden haben darum gewettet, ob Max es schafft, unsere Feindschaft zu durchbrechen und uns zu einem Team zu machen. Wir sind das Opfer einer Wette, Tom! Das Opfer eine Wette.“
Henk stand auf, stellte alle Flaschen aus seinem Kasten in den anderen und ging in die Küche.
„Herzlichen Glückwunsch, der erste Kasten ist meiner.“ Max strahlte.
„Wie, der erste Kasten?“, Tom sah Max unverständlich an.
Henk kam mit einem zweiten Kasten rein. Er stellte den inzwischen leeren auf den Kasten von Max und den neuen, vollen wieder direkt daneben.
„Du hast doch nichts gesagt, Max?“ Henk sah ihn an.
„Nein. Nur, dass der erste Kasten meiner ist.“
„Okay.“ Henk war zufrieden. Er sah richtig siegessicher aus, dachte Flo, das zweite Rätsel schien noch schwieriger zu sein.
„Hat es wieder mit uns zu tun?“, fragte Tom.
„Ja.“ Max und Henk antworteten gleichzeitig.
„Ist das jetzt eine neue Wette?“ Flo überließ Tom die Fragerei.
„Da darf ich doch drauf antworten, oder, Henk?“ Henk nickte missmutig. „Es ist noch immer die gleiche Wette.“
„Aha.“ Tom schwieg.
Dann wandte er sich an Flo: „Ist es eine Steigerung der ersten Wette oder eine direkt damit verbundene? Vom Gefühl her würde ich sagen, es ist eine Steigerung. Was meinst du, Flo?“
„Ich weiß nicht recht.“ Flo sah Tom in die Augen. „Wenn es eine Steigerung sein soll, dann kann das eigentlich nur eins bedeuten ...“
Flo merkte, dass Tom genau wusste, was er meinte. „Das kann nicht sein! Niemals.“ Tom wollte es einfach nicht wahrhaben.
Es war aber auch zu unwahrscheinlich. „So abgebrüht kann Max doch nicht sein“, dachte Flo.
Beide versanken ins Schweigen.
Nach einiger Zeit meldete sich Henk zu Wort: „So lange werde ich eigentlich nie von meinen eigenen Gästen missachtet!“
„Lass die beiden mal“, schaltete sich Max ein. „Du störst die doch nur, weil du auch den zweiten Kasten flöten gehen siehst.“
Wieder schwiegen alle.
„Ich würde mir gerne mal eure Wohnung anschauen.“ Flo war über Toms Wunsch überrascht.
Max und Henk waren auch einen Moment irritiert. Max‘ Gesicht verzog sich durch ein Grinsen. „Sehr gerne“, sagte er nur. Als Henk das hörte, sah er nicht sehr glücklich aus.
Flo verstand. „Darauf will Tom hinaus. Auf die Idee wäre ich nie gekommen.“
Alle standen auf.
Mit einer unglaublichen Freude zeigte Max die Küche, einen superkleinen Abstellraum und das Arbeitszimmer mit zwei Rechnern. Anschließend schleppte er sie in den letzten Raum.
„Du hast dir deinen Kasten verdient, Max. Ich frage mich allerdings noch, ob die Wette völlig daneben war oder einfach nur geil.“ Tom ging zurück ins Wohnzimmer, die anderen im Schlepptau.
„So hatte ich mir das nicht vorgestellt, Max.“ Henk grinste. „Einen Beweis würde ich aber doch noch gerne sehen.“
„Ihr zuerst.“ Tom schaute Henk an.
„Da gehe ich eine todsichere Wette ein, verliere die und werde dann noch gezwungen –“ Weiter kam er nicht.
„Was heißt hier ´gezwungen´?“, Max sah entrüstet aus. „Darüber reden wir noch mal, wenn wir wieder alleine sind!“
„Nun macht schon.“ Tom war ungeduldig.
„Ist ja schon gut.“ Henk legte seine Arme um Max und küsste ihn. Lange.
Als sie nur noch Arm in Arm standen, schaute Henk erwartungsvoll seine Gäste an.
„Jetzt sind wir wohl dran, Flo.“ Tom ging auf Flo zu. „Da müssen wir durch.“
Ihr Kuss lähmte Flo regelrecht. Er spürte, wie lange es schon her war, dass sie sich geküsst hatten.
Als sie fertig waren, merkte Flo, dass Henk bereits alle Flaschen in den zweiten Kasten von Max gestellt hatte.
„Wie kommt man eigentlich auf eine solch verrückte Wette?“, frage Flo. „Kann es sein, dass ihr etwas durchgeknallt seid?“
„Als ich euch das erste Mal gesehen habe, dachte ich mir, dass ihr beiden schwul seid.“ Max hatte sich wie die anderen wieder hingesetzt. „Was mir aber nicht in den Kopf ging, war eure Feindschaft. Lange habe ich gegrübelt, ob ich mit meiner Vermutung falsch lag.“ Max machte eine kleine Pause. „Bisher lag ich fast nie daneben, wenn ich dachte, dass jemand schwul war.“
„Max hatte mir irgendwann von euch beiden erzählt.“ Henk schaltete sich in die Erklärung ein. „Max meinte dann, dass die für ihn unerklärliche Feindschaft immer schlimmer würde und ihr die nicht mehr außerhalb des Spielfelds halten könntet. Er war drauf und dran, euch rauszuwerfen. Sowas hat er vorher noch nie getan.“
„An so was hatte ich in anderen Fällen noch nicht einmal gedacht. Ihr beide seid mir ein Rätsel geblieben. Wenn ihr euch nicht angepflaumt habt, wart ihr ein gutes Team und eine echte Bereicherung für die Mannschaft.“ Über das Gesicht von Max huschte ein Schatten. „Ich war auf jeden Fall mit meinem Latein am Ende.“
„Ich habe ihm geraten, an die Mannschaft zu denken und einen Schlussstrich zu ziehen.“
„Ja, Henk meinte, ich sollte euch rauswerfen.“
„Ich kannte euch damals ja noch nicht. Kurz nach dem Gespräch, in dem Max euch den Rauswurf angedroht hat, habe ich mir ein Bild von euch beiden gemacht. Bei einem Training war ich dabei.“
„Da kann ich mich dran erinnern“, meldete sich Tom zu Wort.
„Ich hatte dann den Hauch einer Ahnung, warum Max sich so dagegen sträubte, euch vor die Tür zu setzen“, setzte Henk unbeirrt fort. „Als wir uns anschließend mal wieder darüber unterhielten – warum war das eigentlich so wichtig für dich, Max? – meinte Max nur, dass er euer Glück nicht zerstören wollte.“
„Von Glück habt ihr damals noch nichts gespürt“, Max grinste, „da musste ich erst einmal kräftig nachhelfen.“
„Auf jeden Fall war es dann so, dass Max sagte, dass ihr ein Paar seid, es aber noch nicht wissen würdet.“
„Worauf Henk meinte, dass das sowieso egal sei, weil ihr euch noch nicht einmal so verstehen würdet.“
„Das hat Max dazu hinreißen lassen, zu sagen, dass er das schon hinkriegen würde.“
„Und Henk hat dann die Wette draus gemacht. Wobei die Idee, die Anzahl der Flaschen zu einem Gradmesser zu machen, von mir war. Leerer Kasten hieß, ich bin komplett gescheitert, voller Kasten stand für normale Freundschaft.“
„Ich war dann so leichtsinnig und habe einen zweiten Kasten draufgelegt, wenn es nicht bei einer Freundschaft bleibt, sondern ein Paar daraus wird. Eine todsichere Wette, dachte ich zumindest. Zumal ich noch die Sicherung eingebaut hatte, dass ihr von euch aus uns das mitteilen müsst.“
„Selbst das hat dir nichts gebracht.“ Max freute sich wie ein Honigkuchenpferd.
„Ich musste mich sogar den beiden gegenüber outen.“ Henk schmollte. „Und das sogar, bevor die beiden sich bei mir outeten.“
„Das ist halt die richtige Strafe für deine Erhöhung der Wette“, griff Tom in die Erklärungen ein. „Flo, was sagst du denn dazu, dass wir die Opfer eine Wette sind?“
„Na ja, also Opfer würde ich jetzt nicht sagen. Wie wäre es damit, dass wir die eigentlichen Gewinner sind?“
„Du hast Recht“, sprach´s und gab Flo einen Kuss.
„Ach übrigens, erinnerst du dich an unser gemeinsames Joggen?“ Flo grinste Max über beide Ohren an, doch bevor der etwas sagen konnte, lachte Henk auf.
„Natürlich erinnert der sich. Der konnte sich am nächsten Tag kaum bewegen. Erst wollte er gar nicht damit raus, woran es lag, doch ganz so blöd bin ich dann doch nicht.“
„Oh, da haben wir unser Ziel ja voll erreicht“, schaltete sich Tom ein. „Ich glaube, so wie damals werde ich vorerst nicht noch einmal joggen. Ich hatte zwar keinen Muskelkater, doch wir waren ja auch nicht viel trainierter als du, Max, und mussten ständig an unsere Leistungsgrenze ran.“
„Ich dachte damals, dass halte ich nicht durch, doch ich wollte wohl vor Tom nicht das Gesicht verlieren.“ Flo stockte. „Das war mir damals aber noch nicht klar.“
„Da fällt mir noch ein, dass ich dir noch sagen muss, dass ich gar keinen Bruder habe. Nicht, dass du das nachher noch denkst.“ Tom schaute Max an.
„Wie, du hast keinen Bruder? Aber was war denn mit seiner Ausbildung?“
„Wieso glaubst du, dass Tom einen Bruder hat?“ Henk unterbrach Max. „Und warum weißt du, Tom, dass Max glaubt, du hättest einen Bruder?“
„Das ist ganz einfach. Er hat einer Unterhaltung gelauscht, bei der ich behauptet habe, dass mich mein Bruder angerufen hätte, um mir mitzuteilen, dass er die Ausbildung abbrechen würde.“
„Das gibt es doch nicht, ihr habt euch doch darüber stundenlang unterhalten?“ Max war verblüfft.
„Wieso lauschst du denn bei anderen?“, lenkte Henk ab.
„Ich habe nicht gelauscht, glaub doch nicht alles, was Tom und Flo behaupten.“ Max sprach nur noch mit Henk. „Die beiden haben sich beim Jogging fast ausschließlich über den Ausbilder von Toms Bruder ... äh ... angeblichen Bruder unterhalten. Die haben das so plastisch gemacht, dass ich heute noch ein Bild von ihm habe.“
„Oh, das trifft sich gut. Wir haben nämlich ein Bild von ihm mitgebracht. Es ist draußen im Flur.“ Tom ließ sich seine Überraschung über Flos Worte nicht anmerken.
„Dann hole es mal, da ich echt gespannt bin. Aber wieso gibt es ein Bild von dem Ausbilder, wenn du gar keinen Bruder hast?“, fragte Max Flo.
„Du stellst Fragen.“ Flo fasste sich an den Kopf. „Willst du das Bild jetzt sehen oder nicht?“
„Ja, natürlich.“
„Dann komm einfach mit.“ Flo stand auf.
Tom konnte sein Grinsen fast nicht unterdrücken, was aber nur Flo und Henk mitbekamen. Alle vier trotteten sie in den Flur, wo der Rucksack von Flo und Tom stand. Erst jetzt fielen Max und Henk auf, dass beide nur mit einem Rucksack gekommen waren. Flo machte aber keine Anstalten, den Rucksack hochzunehmen.
„Ich dachte, du wolltest mir das Bild zeigen?“ Max wollte schon ungeduldig werden.
„Du stehst bereits davor.“
„Was?“ Max verstand nicht. Er sah nur den Spiegel, auf dem hässliche Fingerabdrücke zu sehen waren.
Jetzt konnte sich Henk nicht mehr halten: „Ihr habt doch nicht ...?“
„Doch haben wir ...“, prustete auch Flo los.
„...“, pflichtete ihm Tom bei, dem fast Tränen in die Augen stiegen.
Max verstand kein Wort. Er sah wieder zum Spiegel, suchte wieder nach dem Bild, das er nicht fand. Plötzlich wurde er rot im Gesicht und fluchte heftig. Die Flüche waren aber kaum zu verstehen, sie erstickten in seinem Lachen.
„Und ich habe nix gemerkt.“ Max hatte sich wieder einigermaßen gefangen. „Die beiden ziehen stundenlang über mich her und ich merke es nicht einmal.“ Max nahm es mit Humor, was blieb ihm auch anderes übrig? „Nee, eigentlich noch viel schlimmer, die beiden wussten sogar, dass ich zuhöre. Wie kann man bloß so blöd sein?“
„Das haben wir uns wochenlang auch noch gefragt. Und dabei haben wir uns völlig ungeniert über dich unterhalten. Das werden wir wohl noch unseren Kindern erzählen“, meinte Tom trocken.
„Ich erinnere mich noch ganz genau“, meinte Flo, „plötzlich hatte Tom einen Bruder. Beim Vorbereitungstreffen gab es nur zwei Schwestern.“
„Wie, Vorbereitungstreffen?“ Henk ließ Flo nicht ausreden.
„Ja, natürlich. Und nicht nur eins“, erklärte Tom. „Als damals Max angekündigt hatte, uns beim Joggen zu überwachen, sind wir erst einmal zum See gefahren, um uns zu überlegen, was wir machen sollten. Max Art und Weise ging uns beiden gehörig auf den Wecker, seine oder besser eure Erpressung hatten wir noch lange nicht vergessen.“
„Einer unserer Pläne sah übrigens vor, dich, Max, völlig zu ignorieren, dir noch nicht einmal guten Tag zu sagen.“ Flo grinste. „Aber das hätte ich wohl nicht durchgehalten, schauspielern war noch nie meine Stärke.“
„Übrig geblieben ist dann, dass wir dich soweit wie möglich nicht beachten wollten. Und Flo und ich wollten uns während der ganzen Zeit angeregt miteinander unterhalten. Doch bis dahin hatten wir fast kein persönliches Wort gewechselt. Worüber unterhält man sich dann?“
„Und deshalb hast du einen Bruder erfunden?“ Man sah Henk an, dass er erstaunt war.
„Ich hätte damals schwören können, dass ihr euch inzwischen gut versteht. Und dabei war alles gespielt.“ Max fasste es nicht. „Wie kannst du behaupten, dass du nicht schauspielern kannst, Flo? Du warst wirklich überzeugend.“
„Nicht ganz, wir hatten vor dem Joggen nämlich noch ein Treffen. Generalstabsmäßig und nur mit dem Ziel, genügend für die Unterhaltung über den anderen zu erfahren, sind wir samstags noch im Biergarten gewesen. Wir sind aber weit über unser Ziel herausgeschossen und haben uns viel mehr gesagt, als notwendig war. Das Gespräch hat richtig Spaß gemacht. Damals ist bei mir das Eis gebrochen“, schloss Flo leicht verträumt seine Ausführungen.
„Bei mir war es etwas früher. Nachdem wir am Bootssteg unsere Pläne geschmiedet hatten, stellte ich mir die Frage, warum Flo und ich nicht miteinander auskamen. Am nächsten Tag ist mir aufgefallen, dass beide doch miteinander auskamen, auch wenn wir keine persönlichen Worte wechselten. Beim Joggen hatten wir uns schon viel länger akzeptiert. Es gab keinen Streit, wo wir wie schnell entlanglaufen wollten und so. Jogging war zwar rein geschäftlich, erzwungen durch eine hinterhältige Erpressung, wenn ich mich richtig erinnere“, Tom konnte die Anmerkung einfach nicht lassen, „doch in der Zeit haben wir unsere Abneigung verlernt.“
„Ich glaube, da wurde jemand nach Strich und Faden geleimt.“ Mit dem jemand meinte Henk natürlich Max. „Generalstabsmäßig geplant. Alle Achtung.“
„Das mit dem Bruder ist mir aber erst unterwegs eingefallen. Fast hätte sich Flo verplappert, aber ich bin ihm noch rechtzeitig ins Wort gefallen.“
„Meinst du, das hätte was gemacht? Wahrscheinlich hätten wir auch über eine Ufo-Landung sprechen können und Max hätte uns alles geglaubt!“ Flo genoss es, das Messer noch einmal rumzudrehen.
„Ich muss aber zugeben, dass mir ganz spontan die Ähnlichkeit des frisch erfundenen Ausbilders mit Max aufgefallen ist. Und Flo ist direkt mit drauf angesprungen. So viel, wie wir uns damals über dich, Max, miteinander unterhalten haben, war wohl einmalig. Es war herrlich, über dich zu lästern, ohne dass du das gemerkt hast. Und du läufst oder besser hechelst immer brav hinterher.“
„Du hast mich damals stark an meinen kleinen Bruder erinnert. Den musste ich häufig genug mitnehmen, wenn ich mit Freunden spielen wollte. Bei dem hätte sowas aber nicht geklappt.“
„Und das ist der Dank dafür, dass ich alles getan habe, damit ihr euch findet.“ Max tat so, als ob er schmollte. Er wusste, dass ihm die Geschichte wohl bis zum Ende seiner Tage vorgehalten werden würde. Und er wusste, dass er dann immer Tränen lachen würde.
Auch Jahre später wurde Tom immer mal wieder mit der Frage begrüßt, wie es seinem Bruder ginge. Worauf er Max nur antwortete, dass er da den Kaiser von China fragen müsse.
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