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Trost

Kapitel 3

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Er hatte über zwei Wochen nicht mit Jan geredet, war immer wieder ausgewichen, als Bianca mit einem Mal in der Cafeteria vor ihm stand. Sie hatte sich die Haare rot gefärbt und es sah scheiße aus. Kai überlegte, ob er das statt eines 'Hallo' sagen sollte, aber sie kam ihm natürlich zuvor. "Na, Kai?" Sie warf sich neben ihn auf den Plastikstuhl, wippte mit einem Fuß.

"Du hast deine Haare gefärbt", stellte er fest und zog seinen Kaffeebecher beschützend von ihr fort. Sie ängstigte ihn immer ein wenig, vor allem, wenn sie sich so hektisch auf ihn stürzte.

"Genau. Gestern Abend." Sie wippte schneller mit dem Fuß. "Jan. Hat. Es. Nicht. Bemerkt", buchstabierte sie gereizt mit den Fingern auf der Tischplatte trommelnd und Kai stellte erschrocken fest, dass sie regelrecht wütend auf sein Gesicht starrte. Er wurde grundlos rot.

"So? Ist doch aber recht… auffällig", bot er an.

Sie nickte, die kurzen Haare flogen ihr in die Stirn. "Sollte. Mann. Denken." Sie holte Luft und meckerte mit einem Mal "Aber seit er mit dir Streit hatte, ist der liebe Herr ja abwesend!"

"Streit?"

Sie lehnte sich dichter und fragte uninteressiert "Weswegen habt ihr gestritten?"

Nervös starrte Kai in den Kaffee und gab hektisch zurück "Haben wir nicht. Ich habe nur Stress."

"Habt ihr wohl! Ihr sitzt nicht mal nebeneinander in der Lesung!" Ihre Finger machten einen kurzen Stopp. "Du redest nicht mit ihm. Und er starrt dich die ganze Zeit an wie ein Dackel!"

Kai spürte, wie er zu schwitzen begann. 'Er starrt mich an? Er starrt mich an!' War es möglich, dass Jan doch..? 'Ach Quatsch! Niemals! Er ist nur sauer auf mich, weil ich mich so zickig benehme.'

Kai hatte Biancas Gezeter ausgeblendet und schrak zusammen, weil sie nun die Stimme hob. "Scheiß Männer! Können nicht einmal ordentlich miteinander reden!" Sie verschränkte die Arme. "Heute sieht er nicht, dass ich komplett andere Haare habe, aber als du reingekommen bist, sagt er doch glatt 'Kai hat 'ne neue Tasche'!"

Kai blickte überrascht auf den neuen Rucksack. "Am alten ist der Träger gestern gerissen und da…"

Sie riss die Augen auf und keifte "Klärt das, verdammt noch mal! So geht ihr mir auf die Nerven! Alle beide!"

Verwirrt starrte Kai in seine Tasse. 'Was hab ich denn nun schon wieder verbrochen?'

Bianca verschränkte die Arme und erklärte es ihm gleich drauf. "Ich bin schon richtig eifersüchtig. Dich scheint er ja wenigstens anzusehen!"

Nun wurde Kai mit Grund rot und versuchte hinter dem Tisch zu versinken. "Ich… rede mal mit ihm", schlug er zaghaft vor.

"Ach, wäre das nicht 'ne geile Idee?" bemerkte Bianca spitz. "Vielen Dank." Es klang als sagte sie 'Du Arsch.' Sie stieß sich vom Tisch ab und riss die Tür zur Cafeteria mit so viel Schwung auf, dass diese an die Wand dahinter prallte.

Kai sah ihr hinterher und begann mit einem Mal zu grinsen. Irgendwie war es das ja wert zu leiden, wenn man Zeuge von so einer Bianca-ist-echt-sauer-Show werden durfte. Er kicherte verhalten und stellte sich den tagträumenden Jan neben der wütenden Bianca vor.

'Moment mal! Wieso starrt er mich denn nun an?!' Verwirrt überlegte Kai, was mit Jan los sein konnte. 'Er hat mich verletzt. Ich hab da ja wohl keine Schuld dran! Sonst ist er doch auch nicht auf den Mund gefallen, wenn ihm was nicht passt!' Kai hatte am Nachmittag zu seiner Erleichterung keine Möglichkeit mehr, mit Jan zu reden.

Er war am Abend zum Volleyball verabredet mit einigen anderen und begab sich fluchend dorthin. Sport war nicht seine Stärke. Er musste sich jedes Mal überreden dazu. Nie würde er es jedenfalls so dermaßen übertreiben wie Jan, der täglich trainierte. Fußball. Nie würde er sich für Fußball entscheiden, das war schon mal sicher! Viel zu aggressiv. Beim Volleyball gefiel ihm die lockere Atmosphäre, man wurde in seiner Mannschaft nicht gehetzt und die anderen wollten auch bloß eine Runde spielen.

Dennoch war Kai verschwitzt und freute sich auf die Dusche, als er über den mittlerweile dunklen Platz vor der Halle zu seinem Fahrrad lief.

Er prokelte gerade am Schloss herum, als ein Wagen neben ihm hielt und die Scheibe herabgekurbelt wurde. "Was machst du denn hier?" Kai fuhr hoch und sah Jan ins Gesicht. Er sah gereizt aus und das schmerzte Kai. 'Bin ich also schon wieder schuld?' dachte er verwirrt und erklärte kleinlaut "Ich spiele Volleyball. Hab gerade erst damit angefangen."

Jan nickte abwesend, seine Finger spielten mit dem Rückspiegel, die Augen suchten den Platz ziellos ab.

'Los jetzt! Sag es endlich!' befahl Kai sich und holte Luft. "Bianca hat mich heute in der Cafeteria angesprochen… gestellt wollte ich sagen." Kai wunderte sich, wie fest seine Stimme klingen konnte.

"So? Hat mir gar nichts gesagt."

"Sie hat mir befohlen, mit dir zu reden." Kai hielt die Luft an und sah gespannt auf die rastlosen Finger von Jan, die nun abrupt eine Pause machten.

Jan drehte den Kopf und murmelte "Ich sollte mich bei dir entschuldigen. Ich wollte nicht lachen über dich und ich will mich auch nicht fernhalten von dir."

"Niemand zwingt dich."

"Ich dachte, dass du nix mehr mit mir machen willst."

Kai schüttelte hastig den Kopf "Was? Nein! Natürlich will ich das!" Der zweifelnde Blick holte ihn zur Erde zurück. "Ähm, wir sind doch Freunde", schlug er schwach vor.

"Nur Freunde!" betonte Jan.

Kai nickte tapfer. "Klar." 'Kein Problem. Ich kann das aushalten. Das geht vorbei.' Der Teufel in seinem Kopf erwachte und fragte voller Vorfreude, ob man Jan nicht noch einmal betrunken machen könnte.

"Was trinken?"

Kai zuckte bei der so passenden Frage zusammen. "Ich… ich muss erst duschen."

"Ach, na dann fahren wir zu dir. Da ist doch eine Kneipe um die Ecke und wir können uns unterhalten."

'Oh Gott! Reden! Schon wieder!' "In Ordnung." Kai nickte zu seinem Fahrrad. "Wir treffen uns dort."

Auf der Fahrt klärte die frische Luft seinen Kopf schon ein wenig. Er bekam leichte Angst, was Jan wollen könnte. Ob er wirklich nur den ursprünglichen Zustand herstellen wollte? Wenigstens etwas.

Kais Herz machte unregelmäßige Hüpfer, als er Jan am Hauseingang lehnen sah. Als Kai die Tür aufschloss, drehte er sich kurz um und ihre Blicke trafen sich. Sein Magen sprang einmal durch den Körper und ihm wurde schwindelig. Nur mit Mühe konnte er seine Finger auf dem Weg in den dritten Stock beruhigen. 'Wenn ich ihn nur in meinem Zimmer sehen muss, schreie ich!'

Jan blieb zum Glück in der Küche sitzen, deutete auf die Plastikuhr und sagte locker "Ich red mit der Katze, bis du fertig bist." Kai lachte und fühlte sich gleich etwas wohler.

Unter der Dusche lehnte er sich jedoch erschöpft gegen die Kacheln hinter sich. Allein das Wissen, dass Jan da war, mit ihm noch reden wollte. Ein warmes, sprudelndes Glücksgefühl erfasste ihn, zugleich wurde er traurig. 'Das ist wie etwas vor Augen haben, aber es nicht greifen können.' Kai lehnte den Kopf in den Nacken, ließ das Wasser über seine Brust rinnen und dachte an den Blick, den Jan ihm eben zugeworfen hatte. 'Hat er mich eben freundlich oder wütend angesehen? Will er doch nicht hier sein?'

Es war schrecklich, jedem Blick maß Kai Bedeutungen bei, die Jan mit Sicherheit nicht so wahrnahm. Jedes Wort legte er jetzt schon auf die Goldwaage. Das Wasser rann an seinem Körper herab, streichelte ihn und er dachte verzweifelt daran, wie er sich jetzt schon fühlte, bei dem Gedanken, dass er Jan nicht noch einmal so berühren würde, wie in der besagten Nacht.

Es war wie unter einer Eisdecke tauchen, die Luft wurde knapp. Man konnte nur sehen was man begehrte, was man zum Leben brauchte! 'Du blöder Idiot! Liebeskummerkranker Idiot!' schimpfte Kai sich selbst und Tränen vermischten sich mit dem Wasser auf seinen Wangen. Er durfte es Jan nicht sehen lassen. Er würde stark genug sein für ihn. Jan hatte kein schlechtes Gewissen deswegen verdient. Niemand konnte was dafür, dass ausgerechnet der Junge, den er wollte, nicht schwul war. 'Das ist gut genug, du brauchst ihn als Freund mehr als … als…'

Kai holte zittrig Luft. Allein der Gedanke an das, was er nicht mit Jan erleben durfte, nie wieder, erregte ihn absolut unpassend. Er wollte sich niedergeschlagen fühlen und nicht geil! Verdammt noch mal! Konnte er denn nicht einmal jetzt, hier unter der Dusche, einen Raum von ihm entfernt, mit diesen albernen Tagträumen aufhören?!

'Hör auf du Schwachkopf! Du machst es nur noch schlimmer!' versuchte er sich abzukühlen, aber seine Finger strichen schon über seinen Bauch und auf seine Beine.

Er schloss die Augen und seufzte auf. Was wäre wenn? Wenn Jan jetzt rein käme? Er könnte zu ihm kommen und dann… Nein!… Aber wenn doch… Was wäre, wenn Jan mit einem Mal vor der Dusche stände und… 'Du Blödmann hast abgeschlossen!' wurde er verhöhnt und schoss ein gereiztes 'Halt die Fresse!' an seinen Verstand zurück, während er sich begann einzuseifen. Er stellte sich natürlich sofort vor, dass ein bestimmter anderer das Duschgel auf seiner Brust, auf seinem Bauch und endlich auch zwischen seinen Beinen aufschäumte und verteilte.

In seiner Erinnerung tauchte ganz deutlich das Bild von Jans Penis auf, von dunklen Haaren umgeben und mit der merkwürdigen Narbe. Kai schmerzte es, wenn er daran dachte, was Jan deswegen durchmachte. Welche Zweifel es ihn fühlen ließ, der sonst immer so selbstsicher erschien.

Die Vorstellung, dass er ihm beweisen könnte, wie schön er für Kai war, wie wundervoll er sich fühlen könnte unter Kais Händen, Lippen und seiner Zunge war zu viel. Kai hielt diesen Traum nicht lange durch. Er biss sich auf den Handballen, als er kam und duschte sich erschrocken und mit schlechtem Gewissen einmal kalt ab, um die Röte aus seinem Gesicht zu bringen.

Als er zögerlich in die Küche kam, redete Jan nicht mit der Katze, sondern mit Lolli! "Ich heiße mit Nachnamen Lorenz, wie man davon auf Lolli gekommen ist, weiß ich nicht", erklärte dieser gerade und strahlte Kai dann an. "Na Schatz? Du bist mit Abspülen dran!"

Kai schielte zum Spülbecken und murrte "Gar nicht. Ich hab nicht gekocht!" Lolli drapierte seine langen Glieder auf dem Stuhl anders und grinste. "War'n Versuch wert." Er deutete mit gespreizten Fingern von Kai zum Flur und erklärte "Wie niedlich. Er bekommt bei allem und jedem sofort ein schlechtes Gewissen!"

Jan blickte nervös von Lolli zu Kai und zurück zur Uhr. Lolli gähnte und streckte sich, sein knappes T-Shirt rutschte hoch und man konnte seinen Bauch bewundern.

Jan verzog unsicher den Mund und wollte gerade etwas sagen, als es an der Tür klingelte.

Lolli hechtete überraschend wendig vom Stuhl und in Richtung Flur. "Für mich! Für mich!"

Und Kai fügte erklärend hinzu "Frank. Frank." Er grinste über das Gesicht, das Jan dabei machte. Eigentlich war es cooler. Jetzt wusste Jan, dass er schwul war. Er konnte endlich das sagen, was er dachte. Er konnte von seinem Ärger erzählen, ohne dabei die entscheidenden Punkte auszulassen, weil er befürchten musste, dass Jan Rückschlüsse ziehen könnte. Er musste jetzt nur aufhören, in ihn verliebt zu sein! 'Kein Problem, das kann ich!' Sein innerlicher Teufel lachte ihn aus und er straffte genervt seine Schultern. "Wollen wir los?"

"Gern." Sie gingen in den Flur rüber und Jan stockte einen winzigen Moment, weil sie sich in der Tür an Lolli und Frank vorbei quetschen mussten, die blind und taub für die Umwelt knutschten.

Erst in der Kneipe, einem typischen Studententreff, der deswegen auch in der Woche sehr voll war, sagte Jan wieder was. "Ich gebe dir einen aus, als endgültige Entschuldigung für neulich." Das war das letzte Mal, dass sie über die Nacht sprachen und Kai war froh darüber. Sie redeten eigentlich nur über die Uni und über die bevorstehenden ersten Ferien.

"Meinen Eltern haben ein Ferienhaus an der See. Da werde ich mit Bianca für einige Tage im August hinfahren. Wenn du willst, können wir da mal ein Wochenende Party machen." Jan zögerte und fügte an "Mit den anderen."

Kai nickte, biss den Schmerz, den diese kleinen Worte ihm bereiteten herunter. "Klar. Ruf mich an. Ich bin hier und arbeite." Er starrte auf sein Alster und dachte nur, dass er keine Lust hatte mit den anderen zu feiern, wenn Jan und Bianca zusammen dabei waren erst recht nicht.

Recht bald gähnte Jan und murmelte "Ich muss ins Bett. Erst Sport und dann ein Bier, das haut mich immer ganz gut um."

"Ja, mich auch. Du kommst zu Chemie um neun?"

"Klar, du ja wohl auch."

Kai nickte. Sie waren wieder bei Punkt Null. Es kam ihm vor wie beim 'Mensch ärgere dich nicht'. Einmal hatte er eine sechs gewürfelt und Jan bekommen, schon würfelte das Schicksal gleich zwei Sechsen und warf ihn wieder raus. Und verdammt noch mal! Er ärgerte sich!

Und nun waren sie wirklich beinahe bei Punkt Null. Mit einem Unterschied. Jan wagte es nicht, ihn zu berühren. Früher hatte er ab und zu den Arm um seine Schultern gelegt, ihm durch die Haare gewuschelt oder ihn auch nur in die Rippen gestoßen.

Das alles tat er nicht mehr. Sie waren immer getrennt von einer Art unsichtbarem Schutzschild. Eine Grenze, die weder Jan noch Kai übertreten wollten oder konnten. Bianca redete noch immer nur das Nötigste mit ihm, tat noch immer alles, um Kai das Gefühl zu geben, dass er unerwünscht war.

'Was ist eigentlich schlimmer? Ihn sich wünschen oder sich an die Erfüllung des Wunsches erinnern?' Kai war sehr erleichtert, als sie endlich in die Ferien gingen und sich für eine Weile nicht mehr sehen würden. 'Vielleicht kann ich ihn jetzt ja vergessen.'

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