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Trost

Kapitel 11-14

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 11

Jan war anscheinend genauso fertig wie er, denn als Kai am nächsten Morgen von den Geräuschen auf dem Flur erwachte, schlief Jan noch tief und fest.

Leise schlich Kai sich zum Bad und ließ sich Zeit. Als er geduscht und gut gegen den Sonnenbrand eingecremt zurückkam, schlief Jan noch immer. Kai lehnte sich gerade über ihn, um ihn zu küssen, als ein zurückhaltendes Klopfen ihn zusammenfahren ließ.

Jans Mutter fragte leise von jenseits der Tür "Kann ich reinkommen?"

"Äh, Moment!" Hastig kramte Kai die noch feuchten Klamotten von der letzten Nacht in seinen Rucksack und zerrte die Decke über der Luftmatratze gerade. Erleichtert, dass Jan langsam erwachte, öffnete er die Tür und versuchte ein Lächeln.

Jans Mutter sah ihn einen Moment schweigend an, wirkte nachdenklich, sodass Kai sofort wieder unsicher wurde. 'Weiß sie Bescheid? Was würde sie dann tun?'

Aber sie nickte ihm nur zu und ihre Stimme klang ganz normal, als sie ihn begrüßte. "Guten Morgen, Kai. Hast du gut geschlafen?"

Er nickte lahm und haspelte "Ja. Danke, äh… Guten Morgen."

Jans Mutter strich sich die kinnlangen, dunklen Haare auf der einen Seite hinter die Ohren. Nun konnte Kai silbrige Haare hier und dort schimmern sehen. Dies ließ sie müde wirken, älter als am Tag zuvor. Ihre Bewegungen durch die Tür und in den Raum hinein sahen mühsamer aus. 'Bilde ich mir das nur ein? Ich sollte aufhören, Gespenster zu sehen!'

Sie sah einmal im Raum umher, seufzte unbestimmt in Richtung des Chaos, das Kai hinterlassen hatte, aber ging ohne einen Kommentar auf das Bett zu. Jan nieste einmal und gähnte. "Nana, hat dein Freund dich angesteckt?"

Kai erstarrte und errötete sofort. Das Tuch! Er trug ein Hemd, dessen Kragen hoch genug sein mochte, oder? Hastig sah er sich um und konnte das Tuch nirgends entdecken. Rasch schlüpfte er zur Tür raus und ins Bad, um in den Spiegel zu sehen. Ja, wenn er die Knöpfe schloss, dann war es hoch genug. Erleichtert taumelte er zum Zimmer zurück, wo Jan über die Schulter seiner Mutter hinweg einen fragenden Blick auf ihn abschoss.

Gleich drauf umarmte Jan seine Mutter und sagte "Gute Fahrt. Ich komme dann demnächst mal nach Hause."

Jans Mutter nickte Kai zu und erwiderte "Dein Vater kommt gleich. Wir haben den Frühstückstisch gelassen für euch."

"Danke."

Sie ging zur Tür raus und zog sie zu, aber öffnete sie gleich noch einmal, um Jan zuzurufen "Denkst du an die Bettwäsche in der Waschmaschine, Liebling?"

Jan wurde rot, was sie nicht sehen konnte, weil sie die Tür nicht richtig geöffnet hatte, aber er rief bemerkenswert gleichgültig zurück "Ja, ich häng die auf. Keine Sorge, Mama."

Sie schloss die Tür mit den leisen Worten "Hab ich doch nie." und verschwand über die Treppe.

Jan seufzte und rieb sich noch einmal gähnend die Augen. Kai lächelte ihn aufbauend an und erinnerte ihn dann "Ich muss morgen arbeiten, bringst du mich zur Bahn?"

Jan zog sich das T-Shirt über den Kopf und streckte den Oberkörper erneut gähnend, was ihm einen gierigen Blick von Kai einbrachte.

Er erwiderte "Nein, ich muss auch zurück. Wir fahren mit dem Wagen, ich bringe dich."

Kai zögerte, dann beugte er sich runter und küsste Jan auf die Wange. "Das ist nett, danke."

Jan duschte, während die Eltern Gartengeräte in den Wagen luden, dann folgte eine etwas steife Verabschiedung von seinem Vater. Kai schüttelte ihm die Hand, hielt seinem forschenden Blick nicht stand. Wissende braune Augen. "Du fühlst dich besser? Haben die Tropfen geholfen?"

Kai nickte betreten, aber Jans Mutter murmelte "Nun hat dein Sohn sich angesteckt."

Jan und sein Vater gingen nebeneinander zum Wagen und redeten leise. Jans Mutter blieb jedoch vor Kai stehen und sah ihn forschend an. "Du bist anscheinend sein bester Freund", stellte sie endlich leise fest. "Passt du ein wenig auf ihn auf?"

Kai nickte langsam und fühlte sich belauert. 'Weiß sie was? Aber dann würde sie doch entsprechend reagieren. Sie ist zu cool dafür.'

Jans Mutter jedoch lächelte und sagte abschließend, während sie seine Hand schüttelte "Komm jederzeit wieder hier hoch. Es freut uns, wenn Jan seine Freunde einlädt." Sie ließ seine Hand los und stieg in den Wagen ein. Jan wurde von seinem Vater einmal kurz umarmt, der Vater sagte noch ein-zwei Dinge mit ernster Stimme, die Kai nicht verstand und Jan nickte, ablehnend beinahe und gab zurück "Klar, mach ich. Versprochen."

Erleichtert sah Kai dem Wagen hinterher, der langsam die Straße hinunter verschwand. Er fühlte sich, als hätten Jan und er eine Art Aufnahmeprüfung bestanden. Seufzend gestand Kai sich ein, dass von diesen Prüfungen noch etliche auf sie warteten.

Die nächste Prüfung kam ohne Verzug, der Anrufbeantworter blinkte und als Jan den Knopf nebenbei drückte, während er Tee und Zucker auf den Tisch stellte, vernahm Kai zu seinem Grauen Biancas Stimme. "Hi Jan. Werde nicht gleich wieder sauer, ich will dich nicht volllabern. Tini hat Geburtstag und du hast dich schon am Geschenk beteiligt, remember? Ich wollte dich nur wissen lassen, dass die Party am Donnerstag in einer Woche im Wohnheim sein wird. Wäre schön, wenn du kämst. Alle fragen schon nach dir, ciao."

Kai konnte ein Aufstöhnen nicht verhindern und Jan lachte gutmütig, während er ihm Tee einschenkte. "Ich werde hinmüssen. Sie wissen, dass ich da bin. Ich habe an dem Wochenende schon wieder Training."

Kai nickte und murmelte "Naja, nur eine Party."

Jan machte sein übliches stures Gesicht. "Und du kommst mit!"

Kai verschluckte sich an seinem Tee und hustete leicht. "Wieso? Das sind deine Freunde."

"Und du gehörst dazu."

Jan konnte ein 'keine-Diskussion-mehr'-Gesicht machen, das stellte Kai mal wieder fest und fügte sich widerwillig nickend in sein Schicksal. "Aber nur, wenn du mich nicht den ganzen Abend ignorierst", ließ er Jan endlich beim Abwaschen wissen.

Jan nickte leicht und knuffte ihn gegen den Arm. "Komm, wir müssen das Chaos in meinem Zimmer loswerden."

Sie gingen gerade an der Terrassentür vorbei, als Kai das Halstuch entdeckte. Er ging langsam auf den Rasen hinaus und hob es gedankenverloren auf. Es hatte mitten im Garten gelegen, genau wo sie in der Nacht zuvor… Kai wurde rot und lief hinter Jan hinterher.

Auf der Treppe konnte er ihm immerhin ausgezeichnet auf den Hintern starren. Auch wenn Jan sich auf dem Absatz umdrehte und ihn dabei erwischte. Dies hatte die angenehme Nebenwirkung, dass sie das Aufräumen zugunsten wesentlich interessanterer Dinge verschoben, mehr als einmal.

Endlich keuchte Jan erledigt "Wir sollten uns endlich auf den Weg machen, sonst falle ich morgen beim Training um."

"Kannst du nicht mal schwänzen?"

Jan schüttelte den Kopf. "Ich habe einen Vertrag. Ich bekomme Geld dafür, dass ich in dem Verein spiele."

Kai sah ihn einen Moment beeindruckt an, das hätte er nicht gedacht. Jan jedoch ließ ihm keine Zeit zum Fragen mehr, sondern scheuchte ihn im Zimmer herum.

Sie schafften es, dieses Mal das Zimmer aufzuräumen und die Sachen in den Wagen zu laden. Als sie aufbrachen, dämmerte es schon wieder. Jan tat gähnend kund, dass sie sich überhaupt nicht erholt hätten und Kai stimmte ihm nach einem Blick in den Spiegel, auf seinen Sonnenbrand und die violetten Schatten unter seinen Augen, ohne weiteres zu.

Nach der Autofahrt, die sie schweigend hinter sich gebracht hatten, half Jan Kai noch mit dem Rucksack. Und so kam es, dass sie ausgerechnet einer Person zuallererst den neuen Stand der Dinge verrieten. Und darauf hätte Kai verzichten können.

Sie wankten von ihrer Müdigkeit und den Sachen beschwert durch den Flur der WG zunächst in Kais Zimmer. Jan erklärte, dass er gleich zu sich fahren wollte und ging auch ohne weiteres wieder zur Tür zurück, Kai folgte ihm und dann ließ die dunkle Stimme sie an der Tür herumfahren.

"Oh, wieder da? Wie sieht's aus, Kai?" Lukas lehnte in der Tür von Lollis Zimmer und grinste. Vermutlich labte er sich an Kais dummem und rotem Gesicht.

Jan verzog den Mund und machte mit einem Mal kleine Augen. "Ich rufe dich nach dem Training an, ja?"

Kai nickte und schloss aufatmend die Tür hinter ihm. 'Keine Diskussion, keine peinlichen Momente, wenigstens etwas.'

Zögerlich drehte er sich zu Lukas herum und murmelte "Hallo.", ohne es wirklich zu wollen. Eigentlich wollte er in sein Bett und schlafen.

Lukas nickte zur Tür. "Dein Neuer? War der nicht schon mal hier?"

Kai seufzte und nickte leicht. So unfreundlich wie er konnte erwiderte er "Ich muss morgen arbeiten, gute Nacht."

Lukas jedoch versperrte ihm mit zwei Schritten den Weg und sah ihm ins Gesicht. "Du hast meine Entschuldigung nicht angenommen," stellte er fest und Kai nickte, bevor er nachgedacht hatte. "Es tut mir leid. Es war ein Fehler. Kannst du mir nicht wenigstens erst verzeihen, wenn du dir schon so schnell einen Ersatz suchst?"

Kai öffnete den Mund, aber schüttelte dann doch nur den Kopf. Er wollte nicht mit ihm reden, wollte sich dadurch nicht die Erinnerung an diesen herrlichen Tag kaputt machen. "Ich bin müde, Lukas," versuchte er sich freizuwinden.

Lukas seufzte und ließ ihn zwar durch, aber umfasste seine Schultern von hinten, um an sein Ohr zu sagen "Naja, wenn du genug hast von ihm, dann ruf mich ruhig an." Darauf ließ er Kai los und ging zur Küche.

Kai starrte einen Moment lang auf seine Zimmertür, nicht fähig sich zu rühren.

Lollis Stimme brachte ihn zur Erde zurück. "Ah, mein süßer Mitbewohner! Lukas hat unsere Waschmaschine repariert, sei also nett zu ihm. Ich hatte vielleicht eine Woche! Dieses kleine Aas ist ausgelaufen und hat unseren Teppich komplett… holla, du siehst grauenhaft aus! Sonnenbrand?" stellte Lolli taktlos fest und legte den Kopf schief, während Lukas in der Küche verschwand. "Ich wollte morgen einen Videoabend machen, du bist doch dabei?"

Kai mochte es, mit Lolli und seinen Freunden Videos anzusehen und albern zu sein. Es war stets eine Lachkrampfgarantie. Er hob dennoch unschlüssig die Schultern. "Ich muss arbeiten."

Lolli wedelte aufgeregt mit den schlanken Händen auf und nieder. "Unsinn! Doch nicht um acht am Abend! Wir warten auch auf dich und die Meiersche kommt, das wird geil."

Er lachte schon und Kai musste grinsen. 'Die Meiersche' war Lollis Schulfreund, der gern aus Berlin zu Besuch kam. Der lustigste Mensch, den Kai kannte und der schwulste, gleich nach Lolli. Die beiden zusammen waren es auf jeden Fall wert, dass er sich am Riemen riss und Lukas ertrug.

Lolli hatte seine Gedanken gelesen, wie es schien, denn er ergänzte fröhlich "Lukas kann nicht kommen, keine Sorge." Dass er laut genug sprach, um Lukas die Worte hören zu lassen, störte ihn mal wieder nicht und Kai grinste und nickte nun zustimmend.

Lolli seufzte gespielt auf. "Na so eine Erleichterung." Er warf sich am Esstisch auf die Bank und lehnte sich über den Tisch, das Kinn in die Hände gestützt. "Und? Ist das Leben wieder schön?"

Kai murmelte nur "Ich bin müde, hab morgen Frühdienst. Wir sehen uns morgen Abend." Mit einem unsicheren Blick auf Lukas tappte er zur Tür und vernahm Lollis genervtes "Kannst ruhig mal was erzählen!"

"Morgen."

"Und du trinkst!" Das war die Lollische Übersetzung von 'Ich füll dich ab und frag dich aus'. Kai schloss, so rasch er konnte, die Tür hinter sich.

Kapitel 12

Am nächsten Nachmittag weckte das Telefon Kai nach der Schicht aus dem Schlaf. Lolli war zum Bahnhof, seinen Freund abholen, und so rollte Kai sich gähnend aus dem Bett, um ranzugehen.

Er meldete sich schlaftrunken, aber Jans Stimme weckte ihn sofort auf. "Hey, haste geschlafen?"

"Hmnja, hallo."

"Ich hab erst übermorgen Training, soll ich heute vorbeikommen?" Kai nickte wild und erwiderte "Ja, sofort!"

Jan lachte und fragte noch "Soll ich was mitbringen?"

Kai gähnte noch einmal und verneinte. Jan legte auf, und Kai fiel erst in dem Moment der Videoabend ein. "Oh, Scheiße!"

Eine fröhliche Stimme von der Tür ließ ihn herumfahren. "Na das ist ja eine herzige Begrüßung!" Die Meiersche war da und lachte über das runde Gesicht.

Kai stöhnte auf. 'Jan bringt mich um!' "Hallo, wie geht's?"

Lollis Freund ging glucksend auf ihn zu und küsste ihn auf die Wange. "Gut und selbst? Uh ja, Lolli hat ja was von Sonnenbrand erzählt, aber es live zu sehen…"

Carl Meier zupfte unkompliziert an einigen Fusseln auf Kais Nase und Kai seufzte ihm ausweichend. Man konnte ihm nichts übel nehmen, das war das größte Problem. "Ich bin rothaarig," verteidigte er sich schwach.

Carl lachte erneut hell auf und entledigte sich seiner Tasche. "Ich auch, Schatz. Da könnten wir uns ja verbrüdern. So, was gibt's zu Essen? Was zu trinken?" Unternehmungslustig rieb er sich die Hände und seine schmalen Augen suchten den Tisch ab. Immer noch derselbe.

Man sah es ihm an. Er war schon rundlich zu nennen, aber anders hätte es auch nicht zu ihm gepasst. Genau wie Lolli einfach schlaksig sein musste. Ein ungleiches Paar, die besten Freunde - die Meiersche sagte auch gern 'Die dicksten Freundinnen. Naja, eine von uns, nicht?'

Das hatte Kai zum ersten Mal lachen lassen, als er ihn kennengelernt hatte. Das war das Allerbeste an ihm. Man durfte, sollte mitlachen, nicht immer alles so ernst sehen, nicht sich versteifen. Erst mal leben, später philosophieren. Kai streckte sich und gestand sich ein, dass er sich auf den Abend freute, vor allem auf Jans Gesicht.

Oh ja, Jans Gesicht, aber nicht nur seines. Jan kam vorbei, als die Meiersche und Lolli gerade mit den Spaghetti angefangen hatten. Das Kochen war bereits mit einer Kicherorgie einhergegangen und recht umfangreich ausgeartet, sodass es in der Wohnung vor Knoblauch, Kräutern und Wein sowie dem Dampf der reichlichen Nudeln stakte.

Jan schnupperte jedoch nur und grinste zufrieden. Er streifte den leeren Teller auf dem Tisch mit einem Blick und fragte an Lolli gerichtet "Ist der für mich?"

Lolli war zu beschäftigt, seinen Mund offen stehen zu lassen und zwischen Kai und Jan hin und her zu blicken. Carl legte den Kopf schief und sah zu Lolli, zu Kai und zu Jan zurück.

Kai rief von seinem Zimmer, wo er Jans Klamotten deponierte "Der Teller ist für dich! Setz dich, du kommst genau richtig!"

Jan nickte, dann sagte er zu Carl "Ich bin Jan, Kais Freund."

Kai stockte in der Bewegung und Freunde durchrann ihn. Er begann hilflos zu grinsen, wäre Jan am liebsten um den Hals gefallen für diesen einen Satz.

Lolli hatte seinen Unterkiefer noch immer nicht im Griff und so übernahm die Meiersche die Regie. Er sprang auf und knutschte Jan überschwänglich auf die Wange. "Nach Lollis blödem Gesicht zu urteilen biste also Kais Hete? Ich bin Carl Meier. Die Meiersche ist auch okay für dich, Schätzchen!"

Jan zog die Brauen zusammen, dann umfasste er Carls Oberarm mit hartem Griff und sagte merkwürdig ruhig "Als Hete entscheide ich allein, wer mich küssen darf. Du gehörst nicht dazu!"

Kai blinzelte und Carl kicherte unbeeindruckt. "Oh, aber wenn, dann sag es mir, Schätzchen. Ja?" Er schlug mit den Lidern, aber gab endlich gegen Jans dunklen Blick auf und murmelte "Na gut. Entschuldige."

Jan ließ ihn los und nickte, bevor er sich hinsetzte und den gaffenden Lolli "Is' was?" fragte.

Carl und Jan nahmen sich gegenseitig die holprige Begrüßung nicht übel, und Jan nahm es Kai merkwürdigerweise nicht übel, dass dieser sich mit Rotwein betrank und indiskret über den Urlaub erzählte.

Kai überlegte jedoch eine Stunde später, als er bei Lolli im Zimmer rumhing und sich weiter mit Wein betrank und dem Film kaum folgen konnten, weil Carl und Lolli jede Szene kommentierten, ob Jan ihn umbringen würde für diese unverhoffte Planung des Abends.

Carl und Lolli nahmen das Sofa in Beschlag und Jan ließ sich in dem Sessel nieder. Kai wollte nicht zu den ersteren und wagte es nicht wirklich, zu Jan zu krabbeln. Er setzte sich deswegen mit einem Kissen auf den Fußboden und lehnte sich neben Jans Knien an die Sessellehne an.

Im Geiste legte er sich die Worte für eine großräumige Entschuldigung zurecht, weil Jan so schweigsam gewesen war. 'Ich hab bestimmt zu viel erzählt eben.' Doch dann spürte er Jans Finger in seinen Haaren im Nacken und lehnte sich erleichtert und genießerisch in die Berührung hinein, mit der Wange gegen Jans Bein. Das war schon wieder zu gut. Jan streichelte ihn, er fühlte sich warm und sicher und zufrieden. Genau wovon er geträumt hatte, schon immer.

Lolli und Carls Witze wurden immer alberner, je mehr von dem Wein sie getrunken hatten. Die beiden vermischten spontane Einfälle mit Anekdoten von Partys aus der Schulzeit in Berlin und gingen anscheinend ganz in der Erinnerung an Lollis ersten Freund auf, der irgendwie dem einen Schauspieler ähnelte.

Kai war es egal, er fühlte sich gleichzeitig schwer und schwerelos, die Zeit hielt auf eine schöne, träge Art an, und schien doch im Flug vorbeizuhuschen.

Als Jan sich beim Abspann des Filmes vorbeugte und leise an sein Ohr fragte "Wollen wir nicht zu dir rüber gehen? Ich kann doch heute Nacht hier bleiben, oder?" begann Kai sich so sehr im Himmel zu fühlen, dass er lediglich noch ein Paar Flügel gebraucht hätte, um das Bild zu komplettieren.

Lolli und Carl begannen ohnehin zu rauchen und so hatten sie die passende Ausrede, um sich davonzustehlen. Natürlich nicht ohne ein fröhliches 'Viel Spaß' hinterhergerufen zu bekommen. Carl und Lolli würden mit Sicherheit Muskelkater vom Lachen haben, das geschah ihnen aber auch recht!

Als sie sich auszogen und Kai sich kichernd auf das Bett fallen ließ, seinen Alkoholkonsum und seine Aufregung kombiniert nutzte, um sich so richtig aufreizend zu benehmen, warf sich Jan über ihn, hielt seine ineffektiv abwehrenden Hände über seinen Kopf gedrückt fest und knurrte dicht an sein Gesicht "Wenn du so wirst wie die, mache ich Schluss! Klar?!"

Kai kicherte und nickte, worauf Jan sich auf ihn fallen ließ und ihn erbarmungslos küsste. Nach einer Weile brach er den Kuss keuchend ab und murmelte an Kais Ohr "Verdammt, der Film kam mir so lang vor. Wie hieß der eigentlich?" Kai grinste und hob die Schultern. "Ich weiß nicht, ich hatte die Augen zu."

Am nächsten Morgen erklärte Carl Kai, als sie gemeinsam gähnend vor der Kaffeemaschine warteten "Dein Typ ist niedlich, so stur."

Kai gähnte und füllte seine Tasse vorsichtig mit der starken Brühe. "Finde ich auch."

"Ah, und?"

Kai runzelte die Stirn und nahm sich Milch. "Was und?"

Carl und er setzten sich an den Tisch und Kai verfolgte müßig, wie der Schwanz von der Plastikkatze hin und her pendelte. Noch immer floss die Zeit irgendwie träge dahin, wie Honig. Nicht mal die blöde Katze konnte ihn aufregen.

Carl trank einen Schluck und erklärte freimütig "Ich hab es ihm nicht übel genommen, aber versteht er denn keinen Spaß?"

Kai hob die Schultern. "Eigentlich schon. Er will vielleicht nicht von jedem geküsst werden."

Carl blinzelte ihn aufsässig an. "Ach, von dir schon, nehme ich mal an."

"Klar!"

Carl grinste und summte an sein Ohr. "Ah, die Liiiebeeh, hm?"

"Nur kein Neid."

"Was, auf den schlecht gelaunten Kerl? Ich? Nie!"

Carl wedelte mit seinen kurzen, runden Fingern durch die Luft. Dann machte er jedoch einen spitzen Mund und flötete "Obwohl, Kai-Schätzchen, du schreibst mir eine schnelle mail, wenn ihr mal einen Ehekrach habt, ja? Dann komm ich selbstverständlich trösten."

"Ach ja? Und was, wenn er nicht dein Fall ist?"

"Das lass dann man meine Sorge sein, Maus."

"Oh nein! Nennst du mich auch schon so?!"

Jan kam in T-Shirt und Shorts durch die Tür geschlappt. Carl streifte ihn mit einem überdeutlich taxierenden Blick und erwiderte "Oh ja, das kann ich schon entscheiden."

Jan blinzelte und beugte sich in den Kühlschrank, um einen Joghurt zu inspizieren, worauf sich auf Carls Gesicht, neben runden Augen und einem starren Blick auf Jans Hintern, ein so breites Grinsen zeigte, dass er einem Kindermond zu gleichen begann.

Kai versteckte sein Grinsen nur mühsam hinter dem Becher und Jan bekam nichts mit. Er ließ den Joghurt in dem Mülleimer fallen und streifte Kai mit einem anklagenden Blick. Dann streckte er sich gähnend und schabte sich einmal mit den Fingern unter seinem T-Shirt über den Bauch.

Carl lehnte sich im Stuhl zurück und murmelte "Wenn ich es mir recht überlege, eine SMS reicht mir da auch schon."

Kai starb vor Lachen und vor Stolz auf seinen unfreiwillig zu einem Sexobjekt gewordenen Freund.

Nach einem irritierten Blick küsste Jan Kai auf die Wange, schnupperte angeekelt an der Tasse und sagte dann mit rauer Stimme "Morgen, Baby. Hast du Tee da?"

Carl fiel gleich drauf prustend gegen die Wand und Kai hing mit rotem Gesicht in seinem Stuhl und hustete einen Moment, bevor er verärgert hervorwürgte "Nenn mich nicht so!"

"Ah, wie süß! Wie herrlich peinlich! Also ich finde es ja romantisch! In dieser blöden Weiberzeitung meiner Kollegin stand ja mal drin, dass ein Mann dann besonders verliebt ist, wenn er einem bescheuerte Tiernamen verpasst… Hey, qualifiziert Baby als Tier? Ich finde schon." Carl brach lachend zusammen.

Jan starrte ihn einen Moment lang an, dann murmelte er "Ich geh duschen. Ihr diskutiert das aus, nehme ich an." Damit verschwand er wieder aus der Küche und Carl hing gackernd und nach Atem ringend auf seinem Klappstuhl, bis Kai zu ihm rumsprang und ihn wütend schüttelte.

Kai konnte es nicht fassen, aber die nächsten Tage blieben so. Jan und er waren fast jeden Tag zusammen. Jan übernachtete nicht selten bei ihm. In der WG entspannte Jan sich sogar im Umgang mit Kai noch bevor Kai es tat und küsste ihn nach zwei Wochen vor Lolli zum Abschied. Lolli hatte sogar bemerkt, dass Jan natürlich eine genauso heiße Partie wie Lukas sei, als er Jan einmal ohne T-Shirt erwischte. Und Kai fand das Leben wirklich schön, rundherum. Das war jedoch vor der Party bei Tini, der besten Freundin von Bianca. Der Horrorabend für Kai.

Kapitel 13

Jan parkte den Wagen zwischen zwei anderen und seufzte mit Blick auf Kai in seiner neuen Hose, dann murmelte er leise "Wir müssen das nicht sofort in der Uni an das schwarze Brett hängen, oder?"

Kai nickte und lächelte. Sie hatten darüber ja schon geredet und er gab für sich zu, dass er sein Privatleben ohnehin nicht breittreten wollte, schon gar nicht in der Clique von Jan. Jan nickte ebenso, dann öffnete er die Wagentür und sprang betont energisch heraus.

Kai krabbelte aus dem Wagen und ging hinter ihm her auf die Gruppe an der Tür zum Wohnheim zu. Gleich die erste Person, die sie begrüßte, war ein Mädchen aus ihrem Chemiekurs. "Hallo, Jan!" schrie sie und umarmte ihn, dann blickte sie kurz auf Kai und schon wieder weg, bevor sie mit einem Aufschrei zu einer anderen Gruppe stürzte.

Kai schlug die Augen nieder, versuchte den Blicken der anderen zu entgehen, während sie durch die Gruppe hindurch zur Gastgeberin drängten. Jan kannte jeden und wusste zu jedem was zu sagen, konnte immer genau das Passende zur Unterhaltung beitragen, ohne anpasserisch zu wirken. Kai kam sich hingegen vor wie auf einem Spießrutenlaufen.

Die Dialoge verliefen immer ähnlich. Immer ein, zwei im Grunde leere Worte, gefolgt von einer raschen Antwort. Dann kam der Blick auf Kai, zurück zu Jan, die eine oder andere Augenbraue hob sich und einen Moment später war die Verwunderung schon wieder vergessen. Kai lächelte verkrampft und schluckte das Gefühl, fliehen zu müssen, herunter. Die Worte zogen bedeutungslos an ihm vorbei, genauso bedeutungslos, wie sie ja auch waren. Faszinierend, wie viele leere Worte man in einen Satz verstauen konnte.

"Hey Jan, ich hab die updates von meinem Virenscanner neulich im Internet runtergeladen! Willste auch haben?"

"Klar, ich ruf dich mal an."

"Hey, haste gesehen, wie Bremen gespielt hat?"

"Och, haben die nicht nur Pech gehabt?"

"Meinste?"

"Klar, die sind Zuhause besser."

"Mann, war das eine Hitze auf Kreta, sag ich dir."

"Wieso zum Teufel biste da denn hin?"

"Wegen der Partys. Die Cocktails waren so billig! Wir waren nur voll, Alter!"

"Kann ich mir vorstellen."

Das Gelächter schmerzte Kai in den Ohren, er hätte sich am liebsten an Jans Schulter gepresst und dessen Hand genommen. 'Hör auf albern zu sein. Das ist eine Party! Du musst versuchen zu lächeln,' trieb er sich selber an.

"Jan! Ich hab dich ja Ewigkeiten nicht mehr gesehen!"

Ein Mädchen umarmte Jan und schrie noch an seinem Hals hängend "Ach, wir haben gar nichts zusammen unternommen und jetzt sind die Ferien schon wieder um. Warste weg?"

Jan lachte und drückte sie kurz. "Ne, ich hab das Praktikum absolviert."

"Ach ja, das. Na, wir gehen aber alle zusammen auf die Erstiparty, oder?"

Jan nickte zustimmend und erwiderte fröhlich "Aber immer! Endlich sind wir nicht mehr die Kleinen!"

"Wer war das denn?" fragte Kai ihn, als das Mädchen außer Hörweite war.

Jan zucke mit den Achseln "Kenn die Tante nicht näher. Ist die nicht in Biochemie mit uns zusammen? Oder war es Mathe? Hey, Nadine! Wow, warst du im Urlaub?"

Kai seufzte und wurde erneut ignoriert, während sich zwei andere Mädchen auf Jan stürzten.

Endlich erreichten sie Tini. Kai stöhnte innerlich auf. Das war die Tussi, die sich auf der Party, nach der er und Jan sich zum ersten Mal geküsst hatten, so schrecklich aufdringlich an ihn herangemacht hatte.

Sie bedankte sich gerade überschwänglich bei Jan und Bianca tauchte aus dem Nichts auf und schoss ein Foto. Kai kam nicht dazu, Tini auch zu gratulieren, weil sie sich einfach den nächsten Leuten zuwandte.

Er starrte Bianca an, die ihn nicht wirklich beachtete, dafür aber Jan ansah. Jan verzog den Mund zu einem Sparlächeln, dann umarmte er Bianca kurz und redete mit ihr, sie hielt ihn dabei fest, in ihrer Nähe. Sie sprachen so leise, dass die Musik die Worte verwischte. Kai konnte immer nur Fetzen des Gesprächs aber nicht die Worte verstehen. Es ergab für ihn keine sinnvollen Worte, was sie sagten, aber er wollte sich auch nicht dazu stellen und nerven. Jan sah schon verärgert genug aus.

Kai nagte an seiner Unterlippe und schob Eifersucht. Jan hatte dafür gewiss kein Verständnis, aber hier auf der Party fühlte Kai sich wie ein Alien, wie ein falsch herum eingefügtes Puzzlestück, das damit das Gesamtbild störte.

Er betrachtete Bianca und überlegte, ob sie ihm übel nahm, dass er ihr nichts über Jan erzählt hatte. 'Was hätte ich aber auch erzählen sollen? Hallo Bianca, ich habe eine Theorie zu dem Ende deiner Beziehung. Dein Ex steht darauf, mit einem anderen Jungen, mit mir, um es präzise zu sagen, ins Bett zu gehen?' Er lachte bei der Vorstellung auf und bekam einen verwunderten Blick von Jan, woraufhin er sich noch weiter von ihnen entfernte.

Bianca hatte einen kurzen Rock und Sandalen an, die nur aus Riemchen und Absätzen bestanden und ihre Beine betonten. Mit den Absätzen konnte sie Jan locker fast schon von oben herab ins Gesicht sehen, so groß war sie.

Sie war jedenfalls größer als Kai und hielt sich entsprechend. Bedrohlich, das war Kai sonst nie so bewusst geworden. Und auch nicht diese Körpersprache. Bianca stand zwischen ihnen, verdeckte Jan vor Kai und schien ihn ständig zu berühren. Sie sah ihm in die Augen und legte ihre Hand mehrmals auf seinen Unterarm. Endlich jedoch wandte Jan sich von ihr ab und Kai zu.

In dem Moment erblickte Bianca ihn erst bewusst, wie es schien, und lächelte kühl. "Oh, du hast Kai mitgebracht? Nett dich zu sehen."

Mit den Gesten, der Stimme und ihrem Körper sagte sie jedoch klar und deutlich 'Verpiss dich!'

Jan antwortete nicht auf die überflüssige Frage, aber Kai quälte sich ein "Hi, Bianca." heraus.

Bianca nickte ihm abweisend zu und verschwand mit zwei anderen im Inneren des Partyraumes. Er seufzte einmal mehr und versuchte sein Lächeln energiesparender einzufrieren.

Jan stieß ihn unsanft in die Seite und er folgte ihm zu den Getränken. Jan sah ihn einen Moment an, dann entschied er "Du fährst, nicht wahr?" Er nahm sich schon ein Bier und Kai nickte drämelig, ließ den Abend an sich vorbeiziehen.

Sein Aliengefühl wuchs mit jedem Moment, den er Jan mit seinen Freunden beobachtete. Sie standen zusammen, machten flache Witze, zogen über andere her und bewerteten die Mädchen. Wieso konnte er sich nicht so benehmen? Wenn Kai selber betrunken war, dann wurde er nicht locker genug, um die dummen Witze zu machen, sondern wurde verschmust, was peinlich enden konnte. Deswegen ließ er das Trinken auf größeren Partys lieber sein.

Kai unterdrückte die verlangenden Blicke nach Jans Händen und kauerte sich mit einem Mauerblümchen auf das einzige Sofa. Neben ihnen knutschten zwei nach einer Weile nonstop, und sowohl Kai als auch das irgendwie graue Mädchen fühlten sich belästigt von dem Pärchen. Kai jedoch aus einem anderen Grund, als das Mädchen.

Endlich brachte er es über sich und fragte sie schüchtern "Findest du die Party auch scheiße?"

Das Mädchen seufzte abgrundtief und entgegnete genervt "Ich hasse es, aber ich habe das Zimmer genau nebenan. Ich bin zu jeder Party eingeladen, und ich gehe immer hin, was soll ich auch in meinem Zimmer sitzen und dem Lärm zuhören." Sie zuckte mit den Achseln. "Ich hab nicht genug Kohle, um umzuziehen."

Schockiert starrte Kai sie an und überlegte die eine ganze Weile, ob er das überleben würde. "Oh Gott, es gibt jemanden, der sich unwohler fühlt und es dennoch ertragen muss. Das gibt mir ein gutes Gefühl", versuchte er sich und sie aufzumuntern.

Sie zuckte erneut mit den Schultern. "Wenn's dir hilft. Haste was zu rauchen?"

Endlich raffte er sich auf, um Jan zu suchen. Er nahm sich vor, unauffällig auffällig neben Jan rumzuhängen, bis jener die Schnauze davon voll hatte und ihn von sich aus fragte, ob sie nicht fahren wollten. Er fand Jan mit seinen Fußballfreunden an der Theke. Es schien um Mädchen zu gehen.

"… und nen netten Arsch, aber sie wollte nichts von mir."

"Tja, Pech, Mann. Aber sieh es so, wenn sie tatsächlich aus München kommt, das hat doch nix."

Einer der Typen fragte Jan gerade als Kai dazu trat "Hey, wie… wieso haschte… die Bianca eigentlich geschasst?"

Ein anderer lachte und schob sich näher an die beiden heran. Kai verdrehte die Augen, aber Jan zuckte mit den Schultern und murmelte unbestimmt "Wir passen nicht."

"Was? Na sie… sie ist da wohl anderer Meinung, Alter."

Jan warf einen Blick auf Bianca, die hinter der Theke auf der anderen Seite des Raumes Getränke mischte. "So?"

"Ja, hat sie dem Piet erzählt. Die ist noch immer scharf auf dich, sach ich dir!"

Kai schloss genervt die Augen, aber Jan sagte nichts weiter. Kai entschied sich noch eine letzte Cola zu trinken, als er zurückkam, war Jan verschwunden.

Als Kai ihn endlich entdeckte, redete Jan mit Bianca und nuschelte ihn unfreundlich an "Nimm ruhig den Wagen. Ich bleibe noch hier."

Kai blinzelte und fragte heiser mit Seitenblick auf Bianca "Wie willst du denn nach Hause kommen?" Vorsichtig tat er einen Schritt auf Jan zu.

Jan hob die Schultern und Bianca rief süß lächelnd über den Tresen "Ich kann ihn mitnehmen! Wir wollten eh noch was besprechen." Sie schoss Kai mit einem Blick ab.

Kai blinzelte verwirrt und sagte "Nein!", bevor er es verhindern konnte.

Jan drehte sich zu ihm um und murmelte fast bedrohlich "Mach keinen Aufstand hier. Ich ruf dich morgen an."

Kai nickte benommen und stolperte so schnell er konnte zum Ausgang. Dort musste er erst noch mit Tini reden und ihr Parfum ertragen, bevor er zum Auto flüchten konnte.

Kai ging schnell und mit gesenktem Kopf über die Kreuzung und in die kleine Gasse, in der Jans Wagen stand. Er achtete nicht auf seinen Weg, sondern versuchte zu begreifen, ob Jan ihn nun zugunsten von Bianca wieder abservieren wollte. Immerhin, mit der konnte Jan jederzeit und überall herumknutschen, die fanden seine Eltern toll, die war in seiner Clique beliebt, die fanden alle seine Freunde cool und was war mit ihm? Kai war doch überall wie ein falsches Puzzleteil. 'Das kann man ihm nicht verdenken. Wenn ich doch nur den Mut gehabt hätte, ihn vor allen anderen zu fragen, was das soll.'

Er seufzte und hob den Kopf, weil es so dunkel wurde um ihn her. Jans Auto schimmerte ihm weiß aus der Dunkelheit entgegen. Es war das einzige Auto, das noch in der dunklen Seitenstraße parkte, und Kai ging sich mehrmals umsehend auf den Wagen zu, weil ihm die Situation unheimlich war. Er war nicht besonders mutig, nie gewesen. Vor allem, wenn es um dunkle Seitenstraßen ging, war er das nicht.

Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. 'Kam das vom Wagen?' Erst als er direkt vor dem Auto stand, bemerkte er das Motorrad dahinter. Im nächsten Moment sprangen zwei Männer mit dunklen Kleidern und Motorradhelmen auf ihn zu und den Rest bekam Kai nur noch durch einen Schleier aus Schmerzen und nackter Panik mit. Einer erwischte ihn mit einem Gegenstand, dem Gefühl nach einem Metallrohr, an der Schulter, der andere schlug ihm mit der Faust ins Gesicht und trat ihm gegen die Beine, sodass er auf die Straße stürzte.

Das Motorrad heulte auf und die grellen Lichter schossen auf ihn zu, direkt an ihm vorbei, dicht vor seinem Kopf. Der Fahrer wendete noch einmal. Kai kniff die Augen zu und schrie, weil er annahm, dass sie ihn überfahren würden, aber das Motorrad hielt dicht neben ihm.

Kai bemerkte die glitzernden Aufnäher an der Jacke des Fahrers. Ein Engel mit brennenden Flügeln. Er hob abwehrend die Hände, doch einer der beiden Männer trat ihm gegen den Brustkorb, Rippen knackten leicht, dann wurde alles schwarz. Kai sank auf den Boden, mehr spürte er nicht, sondern umarmte sich selbst, zog den Kopf ein und kniff die Augen zu, wollte nichts mehr sehen und hören. Bei jedem Geräusch zuckte er zusammen und verkroch sich weiter in sich.

Er erwachte aus dem Zustand, als jemand seine Wange tätschelte. Das graue Mädchen sah ihm besorgt ins Gesicht und orderte leise, aber bestimmt "Bleib liegen. Ich hab die Polizei gerufen und einen Krankenwagen. Du siehst scheiße aus." Sie lächelte unsicher und fügte an "Du hast deine Jacke auf dem Sofa liegen lassen, deswegen bin ich hinter dir her, was für ein Glück. Mich hätten die Schweine auch fast umgefahren."

Kai richtete sich groggy zum Sitzen auf und Sterne funkelten vor seinem Sichtfeld. Er wurde gleich drauf von den Scheinwerfern der Ambulanz und des Polizeiautos geblendet, worauf ein scharfer Schmerz durch seinen Schädel schoss.

"Wo ist Jan?" fragte er heiser und verwirrt.

Das Mädchen blinzelte und hob die Schultern "Wer ist das?"

Kai rieb sich die Stirn, um klarer zu werden. Er ertastete etwas warmes, feuchtes und blickte auf seine Finger "Blut," stellte er merkwürdig ruhig fest, dann erklärte er dem Mädchen benommen "Jan ist der Besitzer des Autos."

"Ach so. Ich frag mal auf der Party rum, ja?"

Sie erhob sich und machte zwei ruppigen Sanitätern Platz, die wortlos begannen, Kai zu untersuchen und ihm eine Kompresse auf die Stirn drückten. Einige Leute kamen schon näher und bald wusste ein Typ zu berichten, dass Jan schon mit Bianca gefahren sei. Sein Handy wurde probiert und einer seiner Freunde sprach ihm auf die Mailbox auf. "Tja, er will wohl nicht gestört werden."

Der Notarzt unterbrach diese hämische Feststellung mit einem trockenen "Das muss genäht werden, du musst eh mitkommen zum Röntgen und zur Beobachtung."

Kai schüttelte den Kopf, aber wurde fachmännisch hochgehievt und zum Krankenwagen gebracht. Ein Polizist teilte Kai im Gehen mit, dass der Wagen aufgebrochen und um die Musikanlage erleichtert worden war. "Ihr Freund soll sobald als möglich Anzeige erstatten."

Kai wurde im Krankenhaus von einem jungen und müden Diensthabenden an der Augenbraue genäht und von zwei Polizisten befragt, die seine Anzeige aufnahmen. Seine Lunge und der Schädel wurden geröntgt.

Er wurde gegen vier am Morgen noch mal befragt, weil man zwei Männer mit einem Motorrad aufgegriffen hatte. Das waren die beiden Männer, die Beschreibung der Jacke passte.

Er wurde gegen halb fünf von einem übermüdeten und unfreundlichen Neurologen untersucht, dann noch einmal geröntgt, weil die ersten Bilder von den Rippen nichts geworden waren.

Der junge Diensthabende kam endlich gegen sechs zu ihm ins Untersuchungszimmer und gab ihm seine Papiere, um ihm mitleidslos zu sagen "Die Fäden kannst du in vier, sagen wir lieber fünf Tagen ziehen lassen. Zwei Rippen sind angeknackst, aber das heilt von allein. Kannst nach Hause gehen. Wenn du Übelkeit oder stechende Schmerzen im Kopf bemerken solltest, dann komm wieder her und stell dich bei den Neurologen in der dritten Etage vor. Das ist ein Rezept über ein Schmerzmittel, falls dir das Atmen schwer fällt."

Von dem Schmerzmittel, das er bereits bekommen hatte, fühlte Kai sich ohnehin schon schummerig und wie nicht ganz da, aber dafür spürte er keine Schmerzen, darauf konnte er ohnehin gern verzichten.

Er war völlig fertig und wollte nur noch in sein Bett. Er hatte Kopfschmerzen, eine Prellung an der Schulter, vier Stiche in der Augenbraue und zwei angeknackste Rippen, von dem Schrecken, den er noch nicht verarbeitet hatte, einmal ganz abgesehen. Er hatte alles in allem eine wahrhaft beschissene Nacht hinter sich.

Er klingelte Lolli aus dem Bett, gab ihm eine kurze Zusammenfassung und den Auftrag ihn abzuholen, dann hockte er sich auf den Flur der Aufnahmestation, um auf ihn zu warten. Wenigstens einmal sollte sein Mitbewohner sich als nützlich erweisen und etwas für ihn tun.

In der Tür zur Aufnahme erschien jedoch nicht Lolli, sondern Lukas.

Kai zuckte zurück, aber Lukas sah ihn voller Sorge an und ging sofort auf ihn zu. "Lolli hat doch kein Auto mehr, deswegen hat er mich angerufen und gebeten, dich zu holen", erklärte er geduldig. Er sah verwuschelt aus, wie direkt aus dem Bett und gähnte ein wenig, während er vor Kai in die Hocke ging, um mit warmer Stimme zu fragen "Wie geht's dir?" Kai hob die Schultern und Lukas berührte mit den Fingerspitzen seine Schläfe. "Na, das gibt ein Veilchen. Was ist passiert?"

Vorsichtig nahm er Kai die Jacke weg und legte eine Hand auf seine Schulter, die Wärme von der Hand machte Kai bewusst, wie ausgekühlt er war. Er holte zittrig Luft, aber gab gleich darauf auf, lehnte sich gegen Lukas' warmen, sicheren Körper, ließ sich umarmen und fing fast schon zu weinen an.

Lukas streichelte ihm über die Haare und fragte noch einmal mit leiser Stimme "Was ist denn passiert?"

Heiser flüsterte Kai "Sie haben mich zusammengeschlagen, wegen Jans Auto, oder wegen… ich weiß nicht, aber ich bin doch gar nicht, habe doch nicht… ich… weiß gar nichts mehr."

Er schluckte und Lukas streichelte ihm über den Rücken und zog ihn endlich hoch, behielt ihn im Arm, während sie zum Ausgang gingen. Beruhigend murmelte er "Das wird wieder. Wer hat dich zusammengeschlagen?"

"So Typen. Auf einem Motorrad."

Lukas stockte und sah ihn an. "Die sind schon verhaftet, nicht?"

Kai nickte leicht, aus dem Augenwinkel sah er die Schwester hinter ihnen her starren, aber er war zu müde, um sich zu kümmern.

Lukas brachte ihn zum Wagen, dem Bulli ausgerechnet, und hielt ihm die Tür auf. Kai erzählte ihm stockend von dem Abend. Wie er zum Wagen gegangen war und dann niedergeschlagen wurde, wie der eine gewendet hatte, extra nochmal zurückgefahren war, um nach ihm zu treten. "Wieso hat er das gemacht?!"

Lukas hob die Schultern. Statt einer Antwort sagte er leise "Das ist merkwürdig, das erinnert mich wieder daran, wie ich Lolli getroffen habe."

Kai hob den Kopf und gab die Suche nach einem Taschentuch auf. Er wischte sich mit dem Pulloverärmel über die Augen und fragte mit Blick zurück "Ihr habt euch in einem Krankenhaus kennengelernt?"

Lukas schüttelte den Kopf und reichte ihm ein Taschentuch, dann startete er den Wagen "Nein, nicht direkt. Wir sind uns in einer Seitenstraße begegnet. Hinter dem Stroboskop. Damals war das noch ein kleiner Laden für Mitglieder. Jetzt haben die ja umgebaut und sich vergrößert. Das ist jetzt ein Club mit Infaktor geworden. Sind ja auch viele Frauen da mittlerweile." Lukas fuhr vorsichtig an und Kai schloss die Augen. Er hatte noch immer rasende und in abwechselnden Stärken pochende Schmerzen, die überall zu sein schienen. Als sie auf die Straße bogen, vernahm er "Da es sich um einen Schwulenclub handelte, sind sie wohl dort gewesen. Wollten sich wen rauspicken."

"Wer war da?"

"Hat Lolli dir noch nichts erzählt davon?"

Kai hob unsicher die Schultern. Lukas seufzte "Irgendwelche hohlen Wichser sind hin, um Schwule zu verprügeln. Sie haben sich ausgerechnet Lolli ausgesucht. Ausgerechnet. Er kann sich nun echt nicht besonders gut wehren. Gerade das hat die Typen wohl angemacht. Er hat eine Woche auf Intensiv gelegen und war fix und fertig. Für bestimmt drei Jahre wollte er nicht mehr ausgehen, nach Einbruch der Dunkelheit geht er immer noch nicht auf die Straße. Zum Glück geht es ihm schon wieder besser."

Das stimmte. Kai war es nie so aufgefallen, aber ohne Begleitung, meistens Frank, ging Lolli abends nirgends hin. Nicht einmal zum Supermarkt.

"Und du hast ihn gefunden?" Lukas grinste schief und murmelte "Das auch, ich habe… aber nicht erschrecken, Engelchen."

Kai blinzelte verwirrt. "Wieso?"

"Ich hab die Typen verhaftet, die es getan haben."

Kais Gehirn brauchte eine Weile, um dies zu verarbeiten, dann fragte er heiser "Du bist… ähm…"

"Bulle?" Lukas lachte auf und sah Kai einen Moment lang an, als sie an einer roten Ampel hielten.

"Deswegen wusstest du schon, dass die Typen, die mich…, dass sie verhaftet sind?"

Lukas nickte. "Hab eben mal nachgefragt. Ich bin eigentlich von der Abteilung Rauschgift. Sie brauchten wen, der die Schwulenclubs durchfilzt und da war ich ja der passende Mann und hab mich freiwillig gemeldet. Ich war gerade dran an einem Dealer, als mir dein ausgeflippter Mitbewohner dazwischen gekommen ist. Naja, dafür hab ich mir diese hohlen Nüsse gegriffen."

"Und du und Lolli… seid ihr seitdem also… Freunde?"

Lukas grinste und nickte leicht. "Wir haben mal was gehabt miteinander, aber das war nix. Er ist eh auf Frank fixiert."

"Stimmt."

"Und du auf diesen… Jan?"

'Jan.' Kai senkte den Kopf und grummelte "Ich weiß nicht. Er hat seine Ex gestern wieder getroffen."

Lukas hielt den Bulli vor dem Haus und sagte aufmunternd "Ich komme gleich noch hoch und beruhige Lolli ein wenig. Ich parke nur den Bulli."

Kai nickte, murmelte ein verhuschtes "Danke dir." Übermüdet kletterte er die Treppen hoch, die ihm noch nie so lang vorgekommen waren.

Kapitel 14

Lollis Stimme war ihm auch noch nie so schrill erschienen. Kai wehrte seinen aufgeregt um ihn her flatternden Mitbewohner mühsam ab, wollte sich nur noch ausruhen. Als er ins Badezimmer tappte, kam ihm der Einfall, dass ein Bad nicht schaden könnte. Etwas, das wärmte. Er hatte schon ein rotes Auge, blau würde es gewiss auch bald werden. Und es war geschwollen, trotz des Eispacks, den er bis zu Schmerzgrenze darauf gepresst hatte im Krankenhaus.

Er schaltete das Licht aus und ließ sich seufzend auf dem Badewannenrand nieder. Mit mühseligen Bewegungen drehte er die Hähne auf, beobachtete wie sich Schaum auf der Oberfläche bildete.

Immer wieder sah er die beiden Männer vor sich, die gesichtslosen Motorradhelme, die brutalen Schläge und Tritte. 'Wieso? Sie hätten einfach wegfahren können. Ich hab sie nicht angegriffen oder verfolgt.'

Lolli kam ins Bad und rief "Ich hab dir einen Tee gekocht, willst du nicht…? Oh ja, eine warme Wanne tut dir bestimmt gut! Armes Ding."

Er stellte den Becher ab, aber ging nicht, sondern ließ sich vor Kai ebenso auf dem Badewannenrand nieder. "Nach dem ersten Schock wird bestimmt alles wieder gut werden. Du kannst es irgendwann aushalten. Hey, an die Stiche solltest du aber noch kein Wasser lassen, du weißt das selber ja…"

Kai unterbrach ihn. "Lukas hat mir eben erzählt, dass du auch…"

Er zögerte unsicher und Lolli sah ihn einen Moment lang an. "Überfallen wurdest?" beendete er und sah mit einem Mal älter aus, ernster und gar nicht mehr wie Kai ihn sonst kannte. Lolli seufzte. "Aber ich habe es einigermaßen überwunden und du schaffst es auch, Kai."

"Wieso?"

"Das hab ich mich auch gefragt. Ich bin aus der Disco gekommen, wollte nur mein Fahrrad aufschließen und da wurde ich schon von den vier Typen angegriffen. Sie hatten Ketten dabei und trugen schwere Stiefel. Einer hat gebrüllt 'Ich tret dir deine Scheißvisage weg, du Perverser!' und er hat auf mein Gesicht gezielt. Weißt du, wie oft ich mich schon 'Warum? Wieso?' gefragt habe?"

Lolli berührte den sich bildenden Schaum mit den Fingerspitzen und seufzte zittrig auf. Kai hätte ihn am liebsten umarmt, aber dazu wirkte sein Mitbewohner wiederum zu entfernt von ihm. Mit einem Mal wirkte er, als sei er schutzlos, aber unerreichbar zugleich, wie hinter Glas.

Kai sah nun erst, dass sein Mitbewohner tatsächlich noch diverse Narben hatte, die darauf hinwiesen, dass er sein Gesicht verletzt hatte. Die hatte er nie so beachtet, nun fielen ihm die Linien am Kinn und auf der linken Stirnseite auf. Mit einem Mal fragte er sich, wie Lolli zuvor ausgesehen haben mochte, anders? Er kannte keine Bilder von ihm, die älter waren.

Wie konnte man nur in ein Gesicht treten? Gegen einen Menschen, der am Boden lag und dazu noch gegen ein Gesicht? Dachten solche Menschen nicht nach? Was fühlten sie, während sie einem hilflosen Opfer Gewalt antaten? Machte es sie an? Kai erschauderte. 'Das sind doch auch Menschen, oder? Ist es das, was es so schrecklich macht?' So hatte er noch nie darüber nachgedacht. Es machte ihm Angst.

Lolli lächelte gleich darauf aufmunternd, aber sagte mit leiser Stimme "Wenn Lukas nicht gewesen wäre, dann hätten sie mich umgebracht. Wenn er nicht gewesen wäre, aber sie es nicht geschafft hätten, dann hätte ich es getan, bei der ersten Chance. Ich war so depressiv am Anfang, weil ich dachte, dass ich schuld war, sie gereizt habe.

Lukas hat mich im Krankenhaus besucht, hat mir erklärt, dass ich ein dummer Junge bin, wenn ich solchen Unsinn glaube, und er hat mir die Zeitungsausschnitte mitgebracht von dem Prozess gegen die Männer. Er hat mich nach über einem Jahr überredet, mal wieder mit in den Club zu gehen. Er nannte es Therapie. Ich musste mich genau dorthin trauen, dann würde ich mich auch überall sonst hin trauen. Wir sind fünf Male hingefahren, bevor ich ausgestiegen bin aus dem Auto."

Lolli senkte den Kopf. "Naja, ich hab den Abend überlebt, aber traue mich nachts noch immer nicht raus. Nicht allein jedenfalls."

Kai schluckte und murmelte "Davon hab ich vorher nie so richtig was gemerkt."

"Ich bin geschickt im mich rausreden, nicht? Und jetzt weißt du auch, wie ich Lukas kennengelernt habe. Wir hatten uns aus den Augen verloren, wegen Frank und so. Wegen dir ist er jetzt wieder öfter hier."

Lolli lächelte und stellte fest "Lukas verdanke ich immerhin, dass ich jetzt wieder glücklich bin. Wenn er nicht gewesen wäre, dann hätte ich Frank bestimmt nicht getroffen, oder ich hätte mich nicht getraut, mit ihm mitzugehen. Ich wollte Lukas am Anfang bei jedem Schritt dabei haben, bis er sich geweigert und mich sozusagen Frank überlassen hat."

Kai stellte nachdenklich das Wasser aus. "Ich hätte nie gedacht, dass er ein Bulle ist."

"Ich auch nicht. Zumal er mehr kifft als ich! Und wer so schweinegeil in Lederhosen aussieht, unfassbar! Du hättest mal mein Gesicht sehen sollen, als ich meinen Retter zum ersten Mal erblickt habe! Das war im Krankenhaus nach zehn Tagen. Die Schwester sagt zu mir 'Herr Lorenz, der Polizist, der Sie sozusagen gerettet hat, möchte mal mit Ihnen reden.' Und ich denk so bei mir 'Lolli, auf einen dicken Kerl mit Schnauzbart kannste nun auch echt verzichten, aber versuch nett zu sein, er hat dich gerettet.' Ich war damals echt deprimiert, mein Gesicht war komplett hinüber und so. Und herein kam Lukas. Ich kam mir vor wie Alice hinter den Spiegeln. Wenn ich nicht zwei Veilchen und fett zugeschwollene Lider gehabt hätte, dann hätte ich die Augen aufgerissen, so wie Betty Boo!"

Er lachte, betupfte Kai ein wenig mit Schaum und zauberte im Nu den alten Lolli zurück ins Bad.

Kai schüttelte ebenso lächelnd den Kopf, aber murmelte "Wenn es dir nichts ausmacht, bade ich schnell und leg mich dann hin."

"Ist gut, Kai. Ich frag einfach Lukas nach den Details aus." Er sprang zur Tür, weil es gerade klingelte und Kai zog sich vorsichtig aus. Langsam versenkte er sich ins Wasser und schloss die Augen. Er hatte sich gerade entspannt, als er die Stimme von Lukas vernahm. "Verdammte Mistkarre! Ich wasch mir eben schnell die Hände…"

Das Telefon klingelte und Lolli rief gleich drauf "Oh, Frank! Stell dir vor, was Kai passiert ist! Er ist doch letzte Nacht…"

Lollis Stimme wurde gedämpft, weil er in sein Zimmer ging. Im nächsten Moment öffnete Lukas die Tür zum Bad und erblickte Kai in der Wanne.

Kai riss erschrocken die Augen auf. "Mist, ich hab vergessen abzuschließen."

Lukas grinste. "Schon in Ordnung. Ich wollte mir nur schnell die Hände waschen, du hast doch Wasser über, nicht?" Er schlenderte auf die Wanne zu.

Kai häufte den Schaum schützend um sich und murmelte "Bitte, ich will mich nur erholen. Ich hab eine lange Nacht hinter mir und…"

"Sch." Lukas tauchte seine Hände ins Wasser und rieb sie sauber.

"Du bist mir noch immer eine Antwort schuldig, Kai. Ich weiß, dass du müde bist, und ich weiß, dass du nur an deinen anderen Typen denkst, aber eine Antwort verdiene ich doch." Langsam setzte Lukas sich auf den Wannenrand und sah ihn an.

Kai nickte und ließ sich tiefer ins Wasser sinken. Er konnte so was nicht in Worten ausdrücken, das ging nicht. Wie konnte er Lukas nur begreiflich machen, dass er…

"Ich hab dir weh getan, und du hast Angst vor mir", unterbrach Lukas Kais Gedanken.

"Nein. Doch! Ich weiß nicht."

Lukas zog eine Braue hoch und ließ seine Finger durchs Wasser gleiten. Er berührte Kai nicht dabei, aber das Wasser, das er bewegte, streichelte Kai über den Oberschenkel. Kai bekam eine Gänsehaut.

"Ich hab keine Angst, aber du hast mir weh getan," brachte Kai endlich hervor und schloss die Augen.

Lukas seufzte. "Und ich habe dir noch nicht oft genug gesagt, dass es mir leid tut?"

"Nein." Kai verschränkte die Arme.

Lukas sah ihm ins Gesicht, das spürte er, obwohl er den Kopf gesenkt hielt. Im nächsten Moment berührten Lukas' Fingerspitzen sein Schienenbein, wanderten daran entlang nach oben. Kai spürte die Fingerspitzen überdeutlich, das Wasser schien die Berührungen zu verstärken. Er schloss die Augen und rutschte nach hinten, bis er mit dem Kreuz an die kühlen Wand anstieß.

"Du machst immer Sachen, die ich nicht will", protestierte er schwach und machte sich steif, aber bemerkte zu seinem Ärger, dass seine Atmung schneller ging, was ihm Schmerzen in den Rippen bereitete.

"Du bist immer so unentschlossen. Ich habe gedacht, dass du… Entscheidungshilfe willst." Lukas beugte sich dichter. Seine Finger glitten durch das Wasser und er strich Kais Brust entlang.

'Da hat er recht, aber ich wollte nicht, dass man ungefragt mit mir schläft!' Kai wollte das gerade sagen, als Lukas' Finger seinen Hals erreichten.

"Sch. Ich werde dir nichts tun", hauchte er rau.

Seine Stimme richtete Kais Nackenhaare auf. Die feuchte Spur auf seinem Hals wurde von Lukas' Atem abgekühlt, als er sich noch dichter zu Kai herab lehnte und an der Wand hinter ihm abstützte. Kai erschauderte, als Lukas Atem danach gleich über sein Ohr strich, bevor er raunte "Ich will dich nicht verletzen. Das werde ich auch nicht wieder tun. Nie wieder. Glaubst du mir?"

Kai schüttelte den Kopf, aber lehnte sich dichter. 'Ich will ihm ja vertrauen. Immerhin konnte Lolli das auch, nicht?'

Lukas lächelte und strich ihm über die Wange. "So im Wasserdampf und mit all dem Schaum um dich her, siehst du noch mehr wie ein hübscher Engel aus. Nun, ein gefallener Engel, mit all den Verletzungen." Eine Hand strich sachte über Kais Rippen.

Kai verzog den Mund und stellte für sich fest 'Er macht mir viel zu viele Komplimente. Das kann er nicht so einfach mit mir machen! Ich bin mit Jan zusammen!'

Lukas sah ihm ins Gesicht und fragte noch einmal "Glaubst du mir noch immer nicht? Was soll ich denn noch tun?"

Endlich murmelte Kai "Na gut. Ich glaube dir. Lass mich jetzt bitte…"

Lukas' Lippen verschlossen seinen Mund und eine feuchte Hand hob sein Kinn an. Kai ächzte und zappelte einen Moment lang, aber dann lehnte er den Kopf zurück, küsste Lukas wieder, genoss die Zärtlichkeit der Fingerspitzen, die seine Schulter entlang strichen.

Lukas' andere Hand wanderte wieder unter Wasser leicht über seine Haut. Glitt streichend auf seine Knie, seine Oberschenkel und bis auf seine Hüfte und dann über den Bauch. Zugleich schob Lukas seine Zunge gegen Kais Zähne und Kai öffnete seufzend den Mund.

Lukas lächelte an seinen Lippen und murmelte leise "Na also."

'Das ist falsch! Du musst aufhören!' befahl Kai sich währenddessen, auch wenn sein Körper anders reagierte. Es tat so gut, egal ob verboten oder nicht, und Kai sog die Wärme und die Schwerelosigkeit des Wassers zusammen mit Lukas' wohltuendem Streicheln in sich auf.

Dieser murmelte ab und zu fragend "Gut so?" – "Magst du das?"

Kai antwortete nicht, sondern küsste ihn nur, hob eine Hand aus dem Wasser, um Lukas' Gesicht zu berühren, ihm in die Haare zu greifen. 'Jan kümmert sich ja eh nicht um mich,' dachte er nach einer Weile gegen sein schlechtes Gewissen an und verdrängte es mit dem nächsten Gedanken resolut. 'Soll der Idiot doch mit Bianca rummachen!'

Er griff Lukas fester in die Haare und stöhnte leise auf. Lukas reagierte sofort und fasste ihm zielsicher zwischen die Beine. "Nach allem, was du mitgemacht hast, müsstest du doch darauf eigentlich keine Lust haben," murmelte er an Kais Lippen. Er seufzte und küsste eine Spur auf Kais Hals hinunter und zog seine Finger zögerlich wieder fort, doch Kai hielt sein Handgelenk fest und flüsterte atemlos "Das war gut."

Er ließ sich tiefer ins Wasser sinken, während Lukas ihn mit festeren Bewegungen streichelte. Wie im Bulli fühlte es sich gut an, begehrt zu werden, keine Entscheidungen fällen zu müssen. Kai schloss die Augen und zuckte nicht einmal, als Lukas seine Finger zwischen seinen Beinen entlangstreichen ließ, um ihn tiefer zu berühren, sondern öffnete seine Beine weiter, um es ihm leichter zu machen.

Er lehnte das Gesicht an Lukas' Schulter und vergaß alles umher. Spürte nur noch die fordernden Finger und Lippen auf seinem Körper.

Er war kurz davor, Lukas streichelte ihn langsamer und küsste ihn gerade wieder, als es an der Haustür Sturm klingelte und Lolli rief "Hey! Jan kommt hoch!"

Kai riss die Augen auf und hustete.

Lukas hielt ihn mit dem Arm fest und flüsterte lächelnd "Wenn er dich so erwischt, dann hast du ein Problem mehr, nicht wahr?"

Kai schloss die Augen und hielt seine Hand fest. "Scheißegal! Schlimmer kann es eh nicht werden!"

Lukas küsste sein Gesicht entlang und streichelte ihn erneut, dieses Mal ließ er sich auf Kais Bewegungen ein. Kai kam kurz darauf leise stöhnend und sackte völlig fertig gegen seine Schulter.

Lukas lächelte und küsste seine Stirn. "Na, du hast es aber nötig gehabt. Ich dachte, dass dein Neuer so toll ist."

Kai grummelte etwas Unverständliches zur Antwort und Lukas lachte noch viel mehr.

Er wusch Kai den verschwitzten Rücken, indem er mit der hohlen Hand Wasser schöpfte und über ihn rinnen ließ.

"Du hast ein rotes Gesicht," stellte er grinsend fest und lauschte auf die knappe Unterhaltung an der Tür.

Als Jan nach kurzem Klopfen ins Bad gestürzt kam, saß Lukas unschuldig lächelnd am Badewannenrand, schöpfte noch immer Wasser über Kai und begrüßte Jan mit einem fröhlichen "Guten Morgen."

Jan stockte so abrupt in der Bewegung, dass Lolli gegen ihn prallte. Er schnappte nach Luft und öffnete und schloss den Mund einige Male, ohne ein Wort hervorzubringen.

Kai wappnete sich für die Erklärung, die Jan nun bestimmt erwartete. Sein Gesicht war heiß, bestimmt war es so rot, dass es für drei Ampeln gereicht hätte.

Lolli entdeckte Lukas und lachte auf. "Ach, hier bist du."

Lukas jedoch erhob sich und erklärte seine Hände abtrocknend "Er hat eine Gehirnerschütterung, da kann man ihn nicht allein lassen. Wenn er unbedingt baden will… ich kann ihm eh nichts abschlagen."

Jan blinzelte ihn wütend an, steif erklärte er endlich "Jetzt bin ich ja da und kann aufpassen."

Kai schnappte nach Luft. 'Was soll das denn heißen?! Und wo warst du, als ich dich heute Nacht gebraucht hab?!' Stattdessen sagte er kühl "Ich bin schon fertig."

Lukas grinste und nickte zweideutig.

Lolli blickte von einem zum anderen und ging darauf von einem Lachanfall geschüttelt aus dem Bad.

Kai sagte schließlich zu Jan "Ich werde mich noch schnell abtrocknen und anziehen, würdest du bitte in meinem Zimmer warten?"

Jan sah von ihm zu Lukas und ihm zurück ins Gesicht. Er ließ darauf mit leichtem Nicken den Kopf hängen und ging zur Tür. "Ich muss den Wagen wegbringen, zum Glaser. Ich komm dann wieder her," stimmte er leise zu. Es klang nicht beleidigt, nur müde und besorgt und das machte Kai wiederum ein schlechtes Gewissen.

Kaum war er aus dem Bad, als Lukas Kai leise lachend auf die Schläfe küsste und ihm aus dem Wasser half. "Engelchen, so fies heute? Willst du es ihm sagen?" fragte er flüsternd.

Kai hob die Schultern. "Ich weiß nicht. Es ist so unfair."

Lukas schlang das Handtuch um seine Hüften und strich ihm über den Po. "Gegen mich vor allem. Aber ich bin ja froh, wenn du nicht mehr sauer auf mich bist. Das reicht mir fürs erste. Komm erst mal mit dir selbst überein, was du willst."

Kai sah ihn dankbar an und wickelte sich enger in sein Handtuch ein, um sich Lukas' Blicken zu entziehen. An der Tür überlegte er es sich anders und blieb kurz stehen. "Danke," flüsterte er und küsste ihn kurz auf den Mund.

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