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Trost

Kapitel 59-Ende

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 59

Kai hatte anstrengende Tage hinter sich und der Grund hieß nicht Jan, auch nicht Lukas oder Lolli. Die drei waren ausnahmsweise einmal nicht in der Nähe und unschuldig. Der Grund hieß eigentlich nicht einmal Tini. Indirekt hieß der Grund nämlich eher Holger, was er nie im Leben zuvor als Möglichkeit angesehen hätte.

Tini begann sein Martyrium ausgerechnet vor der letzten Klausur in neue Höhen zu treiben, nachdem sie ihn in den vorangegangenen Tagen permanent mit ihren Zweifeln entnervt hatte. Da die letzte Pflichtvorlesung mit Scheinvergabe hinter ihnen lag, tauchten sogar die Studenten auf, die sonst nirgends zu sehen waren.

Kai hatte Jans Schein ergaunert und schob ihn sorgfältig zu seinen in die Ledermappe. Der breite Flur zwischen Cafeteria und dem Aufgang zu den Hörsälen war voller Studenten. Überall verabschiedete man sich für die Ferien oder verabredete sich für die kommenden Partys, etliche panisch Lernende versenkten sich mit heißen Ohren in ihre Zusammenschriften und Spicker. Ein angenehmes Summen von Stimmen und Lauten untermalte daher Tinis vor Aufregung schrille Stimme.

"... und dann komme ich um die Ecke... du weißt schon, im Partyraum im Wohnheim ist doch diese Theke und dahinter ist die Ecke, in der immer die Besoffenen umfallen." Sie gestikulierte ein wenig wie ein Dirigent und Kai nickte passend, er hatte seinen Einsatz als erste Geige in ihrem Orchester nicht übersehen, und sie merkte nicht, wie abwesend er in Gedanken war und redete weiter.

Er sog an seinem Strohhalm, um ein wenig mehr Kakao in den Mund zu bekommen, das dünne Ding war offensichtlich nicht dafür ausgelegt. Seine Wangen kribbelten schon von der Anstrengung. Den Kakao hatte er in weiser Voraussicht zwei Vorlesungen über auf der Heizung gelagert und konnte sich nun immerhin daran wärmen, wenn auch nicht innerlich, wie ursprünglich geplant. Weil er die Wärme und den Geschmack genossen hatte, wachte er erst auf, als Tini hart nach seinem Unterarm griff und verschluckte sich ein wenig bei den Worten "... hat Bianca ihn angegraben! Direkt vor meinen Augen!"

"Jan?" fragte er aufgeschreckt um sich blickend zurück und wurde durch einen harten Klaps auf den Kopf zum Husten gebracht.

Tini schnaubte verächtlich. "Hör auf, mit der Hose zu denken und hilf mir, verdammt! Nicht Jan, Holger natürlich! Scheiße, siehst du?!" Sie umfasste seinen gemarterten Kopf und drehte ihn in unphysiologischer Weise so weit herum, dass er von Schmerzen begleitet zweifelsfrei erkennen konnte, dass neben dem zerkratzten Kaffeeautomaten Bianca auf hohen Stiefeln unter beängstigend kurzem Rock vor Holger stand und zu ihm aufblickte.

Holgers Blick schien sich hingegen merkwürdig weggetreten direkt zwischen ihre Brüste zu senken. Tittenhypnose hatte Holger so was mal spöttisch genannt. Umso peinlicher, dass er dem selber zu erliegen schien. Kai grinste, was ihm zum Glück nicht falsch ausgelegt wurde.

"Typische Symptome der Tittenhypnose. Außerdem, verdammt kurzer Rock, nicht wahr? Sie will sich an mir rächen, weil ich ihr verschwiegen habe, dass du und Jan..." Tini unterbrach sich hastig und sah sich um. Zum Glück war keiner von Wichtigkeit in der Nähe gewesen.

Kai seufzte und nickte leicht, dann ging er die noch halb volle Kakaotüte wegwerfen, weil er Zeit gewinnen wollte. Er wurde einer Antwort oder gar einer Meinung jedoch freundlicher Weise enthoben, da Tinis Mitbewohnerin Renate zu ihnen trat, um aus dem Nichts gezauberte letzte und neuste Klausurkopien unter ihnen zu verteilen. Natürlich kassierte sie von jedem die dazugehörigen Cents. Kai, der sich noch nicht an die neue Währung gewöhnt hatte, musste jedes Geldstück einzeln umdrehen und hatte das Glück, dass Tini fortgegangen war, als er für sich und Jan zu Ende bezahlt hatte.

Natürlich hielt die Schonfrist nicht allzu lang, wenn er sich auch mit schon rekordverdächtiger Verschlagenheit Tinis Dunstkreis entzogen und nach der Klausur eine Bahn vor ihr erwischt hatte, um nicht auf der Fahrt in die Stadt noch mehr vollgenölt zu werden. Er war gerade dabei, eine Lernmappe für Jan zusammenzustellen, aus der selbst sein Freund und selbst in seinem aufgewühlten Zustand die letzte Klausur würde bestehen können, als es gnadenlos an der Tür schrillte.

"Verdammt noch mal, Lolli! Kannst du nicht einmal den Schlüssel mitnehmen?" Knurrig warf Kai die Sachen hin und ging die Tür öffnen. Er ließ die Wohnungstür aufstehen und schlurfte in sein Zimmer zurück, um weiter an den Zetteln zu sortieren, die er zu dem Zweck über sein ganzes Bett verteilt hatte.

Tinis Stimme riss ihn aus der Überlegung heraus, ob er für alle Fälle seinen Spicker beilegen sollte. "Du hast mich hängen lassen, Kai."

Das Wort 'Arschloch' schien in Neonlettern über ihm aufzuleuchten und er zog den Kopf ein. "Du bist selber schuld", knurrte er abweisend und sah über seine Schulter zurück zum Flur, wo sie wie ein personifiziertes Ausrufungszeichen stand. Ihre Aufmachung brachte seine Augenbrauen dann doch in die Höhe. "Im Vergleich zu deinem ist Biancas Rock von heute Morgen dann aber lang gewesen", kommentierte er nicht ohne eine gewisse Achtung für ihre Angriffslust.

Tini nickte, wirkte sehr zufrieden und strich über das eher als breiten Gürtel um ihren Hintern zu bezeichnendes Kleidungsstück. "Hab ich mir von Lena geliehen." Sie hatte ebenfalls Stiefel an und eine gemusterte Strumpfhose, die Kai Kopfweh bereitete, wenn sie sich bewegte. "Komm schon, zieh dich um!" befahl sie nach einem uninteressierten Blick auf das Chaos in seinem Zimmer.

"Umziehen? Wofür?" Stur zählte er die Zettel weiter ab und warf zwei unleserliche Kopien in den Papiermüll.

"Wir gehen in die L.P.-Plaza. Heute ist dort Studentenparty von der Abteilung Design. Da kann ich ohne schwulen Freund sicherlich nicht auftrumpfen. Und ich will den schönsten aus der Stadt mitbringen."

"Und?" Er interessierte sich nicht für ihre mit Bedingungen verknüpften Komplimente.

"Bianca und Holger werden dort sein. Ich habe keinen Bock, allein auf die Lauer zu gehen!" gab sie mit herabgezogenen Mundwinkeln zu und verzog sich auf seinen Schreibtischstuhl.

"Lauer?" Unsicher sah Kai auf die verstreuten Zettel. "Jan kommt heute wahrscheinlich wieder in die Stadt und ich..."

"... und du schreibst ihm eine SMS, dann findet er uns schon!"

Kai seufzte und überlegte sich noch weitere Gründe, um sich zu zieren, aber wurde von der Türglocke schon wieder unterbrochen. "Lolli..." er warf einen schrägen Blick auf Tini. "Hoffe ich diesmal wenigstens."

Er hatte Glück, oder Unglück. Es war Lolli. Kreischend und schon angetrunken überfiel er mit dem deutlich nüchterneren Benni die Wohnung, von etlichen Taschen und dem Jiffi-Stewart begleitet. Jedenfalls vermutete Kai, dass es sich um denselben Typen handelte, den Lolli nach seinem missglückten Londonausflug angeschleppt hatte. Bei pinker Hüfthose zu orange gemustertem bauchfreiem Shirt konnte er den Anblick nicht lange genug ertragen, um ihn deutlicher zu identifizieren.

Die drei Jungs stürzten sich begeistert auf den Inhalt des Kühlschranks, den Kai eigentlich für Jan und sich selber geplant hatte und sie hatten zudem ein sehr offenes Ohr für Tinis Ärger mit Holger, der ihr Zögern in seiner Angelegenheit offensichtlich als Grund zum Wechsel des Objektes seiner Begierde genommen hatte.

Lolli, ganz die Trösttunte als die Lukas ihn immer bezeichnete, umfing Tinis schmalen Körper mit seinen langen Gliedern und warf nebenbei Etta James in die Anlage in der Küche ein. Jiffi hockte sich auf die Heizung, sah niedlich und britisch aus und begann sorgenfrei damit, sich zu bekiffen. Irgendwelche schöne Liebe wünschte Etta sich und Jiffi und Lolli sangen mit, schräg und betrunken. Tini begann kurz melancholisch geworden zu heulen. Dramaqueen, schlimmer als Lolli selber, wie Kai ihr neidlos zugestand.

Endlich beschloss man, die Feier in dem neuen Laden tatsächlich in Angriff zu nehmen und Kai wurde kurzerhand gezwungen, sich umzuziehen und mit ihnen zu kommen. Tini schminkte sich neu, während er sich rasierte. Sie grinste schon wieder, vielleicht aber auch nur der Nebeneffekt von Jiffis selbst gebautem und sie ließ sich nach Kommentaren zu seinem Oberkörper von ihm mit Rasierschaum besprühen, während er gutmütig zuließ, dass sie ihm ins Zimmer folgte, um ihn beim Umziehen anstarren zu können.

Das Telefon rettete ihn vor ihr, als er sich überlegte, ob er nicht doch besser ins Bad gehen sollte, um sich die schwarze Unterwäsche anzuziehen. Da Lolli und die anderen gerade ebenfalls mit Einkleiden beschäftigt waren, ging Tini ran. Sie lachte auf und rief überdreht "Da wollen wir eh hin, das ist ja toll!" Eine Unterhaltung begann, von der Kai nicht mehr viel mitbekam, weil er sich mit der Unterwäsche hastig im Zimmer einschloss und erst wieder rauskam, als er sich in komplett schwarzen Ausgehklamotten ausreichend gewappnet fand.

Tini und Jiffi hockten in der Sitzecke und fummelten an ihren Handys rum. "Lena und Lukas kommen gleich. Sie arbeitet heute Abend in der L.P.-Plaza."

"Aha?" Verärgert stellte Kai die benutzten Teller in die Spüle.

"Als DJ. Wusstest du, dass sie so ihr Geld verdient? Cool, hm? Sie sind gleich hier, wollten mich sowieso abholen kommen."

Misstrauisch warf Kai ihr einen Blick zu und wurde mit der direkten Aussicht auf ihre schreipinke Unterwäsche konfrontiert, weil sie offensichtlich vergessen hatte, was sie trug und ihre langen Beine links und rechts von einem Tischbein arrangiert hatte.

Jiffi, weniger schüchtern als er, nickte ihr zu und wies sie mit kleinem Grinsen in seinem eckigen Englisch darauf hin, dass man die Farbe Rosa sehen könne.

Tini lachte und schlug die Beine mit einer Lockerheit übereinander, die Kai endgültig dem selbst gedrehten zuschrieb. Seufzend fragte er "Wo ist der Laden eigentlich? Was soll ich Jan denn schreiben?"

"Vergiss es, ich hab ihm schon 'ne Nachricht zukommen lassen. Hab geschrieben, dass Lukas dort sein wird, damit er auch bestimmt vorbei kommt." Sie grinste diabolisch und zupfte den knappen Pulli über ihrem ebenfalls schreipinken BH zurecht.

"Ich glaube, dass Holger vor dir in dieser Aufmachung Angst bekommen wird", versetzte Kai betont ätzend.

Lukas kam aus dem Nichts durch die Eingangstür, die Benni ihm offensichtlich beim Holen weiterer Taschen aus dem Wagen geöffnet hatte. "Er wird dermaßen notgeil sein, dass ihr es gleich dort auf dem Klo treiben werdet", mutmaßte er und grinste.

Kai weidete sich kurz an Tinis geröteten Wangen, dann kam natürlich er dran. Während sich Lena, ebenfalls sehr sexy aber dafür in Schreigrün gekleidet, um Tini zu kümmern begann, griff Lukas ihm ohne Umschweife fest in die Haare, um ihn lange und nicht gerade zurückhaltend zu küssen.

"Hallo, Sexy. Geht's gut? Wo ist dein knurrender Wachhund?"

Kai schloss abweisend die Augen und versuchte seine Frisur zu retten. "Ich hasse dich."

Er erhielt ein Lachen zur Antwort, dann umarmte Lukas sehr unkompliziert den Jiffitypen und stahl ihm den Joint mit einer dermaßen nebensächlichen Geste, dass dieser verwirrt blinzelnd hinter ihm her starrte, als Lukas schon längst damit beschäftigt war, Benni und Lolli Komplimente zu machen. Dankbar nahm Kai wahr, dass Lolli und Jiffi sich zwar nicht dezent, jedoch wesentlich weniger schreibunt umgezogen hatten.

Lukas' Aufgedrehtheit war verdächtig und nervte Kai. Er hatte ihn noch nie zuvor so hibbelig erlebt. Allerdings hatte er Glück, denn Lena drängte zum Aufbruch, weil sie nicht zu spät auf ihrer Arbeit erscheinen wollte. So blieb ihm eine weitere Runde Lukas vorerst erspart.

L.P.-Plaza, oder auch LPP, wie Lena sich ausdrückte, war erst einige Wochen lang offen. Für Kai sah es nach einem typischen Inschuppen aus, in dem sich die angesagten Kids treffen und zu teuren Getränken in Belanglosigkeiten verschwinden konnten. Auf einem Poster wurden die Aktionsnächte der nächsten Wochen bekannt gegeben. Die Studentenparty stand oben an, als nächstes sollte eine Faschingsfete folgen.

"LPP gehört einem ziemlich coolen Aussteiger, steinreich der Macker. Ich hab jedenfalls einmal im Monat das Vergnügen, fest eingeplant zu sein", erklärte Lena, als sie Lukas einen kleinen Parkplatz direkt hinter dem Laden zeigte, vor dem ein Nummernschild samt Abschleppzeichen Leute abhalten sollte. "Das ist eigentlich sein Platz, ich darf den aber belegen, weil ich so viel Kram zum Ausladen hab und er heute erst später kommt. Geht ihr doch vorn rum, wir treffen uns ja nachher drinnen."

In der Tat war der Laden extrem schön gestylt, lag in einem Altbau mit sehr hohen Decken. Der Innenraum war von einer Galerie umgeben, auf der sonst sicherlich viele Leute saßen, die nun aber gesperrt war. Die Stuckteile waren mit kühlen Glasfronten vermischt, es sah klasse aus und teuer. Neugierig folgte Kai Lolli und Tini, die Arm in Arm den Laden und die dicht gedrängte Menge durchschritten, als sei es ihr Großgrundbesitz mit einem kleinen Auflauf ihrer Privatfans.

Der Raum war durch die Einrichtung zweigeteilt. Vorn mit hoher Glasfront und sehr hell gehalten, wie ein Café anmutend, hinten wie eine verschwiegene Lounge. Der Fußboden und alle Tische waren aus sehr dunklem Holz, die Sitzgelegenheiten aus hellem Holz, die Lampen vorn grün und hell, im Kuschelbereich hinten, wo um flachere Tische Sofaecken aufgebaut waren, verbreiteten orangefarbene Kugeln eine intime Atmosphäre. In riesigen in die Wände ganz hinten eingelassenen Aquarien glitten gelangweilte Goldfische hin und her.

Vorn war eine lange Theke, davor hatte man die Tische beiseite geräumt, um für eine Tanzfläche Platz zu schaffen. Tini hechtete sich auf einen freiwerdenden Tisch, der im Kuschelbereich lag und natürlich für sie alle nicht ausreichend Platz bieten würde, wenn sie nicht sehr zusammenrückten. Lolli kicherte und schrie begeistert "Faltet eure Popöchen noch ein wenig!", was umgehend zu guter Laune an den umliegenden Tischen führte.

Lukas, der Lena zuerst einmal beim Tragen ihrer Blechkoffer voller CDs und der Plattenkisten geholfen hatte, bevor er zu ihnen kam, schob sich ungemütlich ruckelnd zwischen Kai und Jiffi und zerrte Kai auf seinen Schoß.

Eine überforderte kleine Kellnerin mit Zungenpiercing bat sie gleich drauf, an der Theke zu bestellen, weil sie kaum noch durch die Tische kam, um auch nur Gläser abzuräumen. Also erbot Kai sich, vor allem, um Lukas zu entkommen, die Bestellung für alle zu holen. Es war einfach zu merken, alle wollten das Tagesangebot, nur Lukas wollte Tonicwater, weil er fahren musste.

Die Musik setzte mit einem Schlag ein und steigerte sich kurz dramatisch, bevor Lena die Lautstärke in dezenten Schritten abdämpfte, nachdem sie einmal auf sich aufmerksam gemacht hatte. Sie schaffte es, während Kai sich den Weg zur Theke bahnte und dort eine ganze Weile im Gedränge wartete, drei seiner Lieblingslieder zu spielen, seine Stimmung stieg.

Als er dann mit einem Tablett bewaffnet zum Tisch zurückging, musste er feststellen, dass Tinis Laune ebenso nicht übel zu sein schien, denn sie lächelte schon gefährlich breit. Allerdings folgte er ihrem Blick erst hinterher, um einen weiteren Tisch in der Kuschelecke zu entdecken. Damit war ihr Blick vielleicht eher als mörderisch zu interpretieren.

Hinten in der Ecke hatten sich etliche ihrer Kommilitonen zusammengequetscht. Auch dort mussten sie sich fast stapeln, aber nicht nur deswegen saß Bianca noch immer im Minirock auf Holgers Schoß. Eine seiner großen Hände war auf ihrem Bein unter den Rock gewandert. Nicht allzu weit, aber weit genug, um Kai ahnen zu lassen, dass Tinis Angriff vermutlich zu spät kam.

Bedauernd schob er sich neben sie auf das Sofa und drückte kurz ihren Arm. Eine hilflose Geste, aber für sie offensichtlich wieder einmal genau das richtige, denn sie zuckte mit einem kleinen Lächeln mit den Schultern und wandte sich betont von Holger ab und ihm zu.

Der Abend machte Spaß, vor allen Dingen, weil Lolli die eigentlich alltäglichen Erlebnisse bei Benni zuhause so lustig darstellen konnte, als seien sie einer Sitcom entsprungen. Kai fragte sich nach einer Weile der Erzählungen jedoch, wie Lolli nicht mitbekommen haben konnte, dass Benni auf ihn stand und mehr als Freundschaft wollte.

Endlich, als er auf Klo ging, folgte Benni ihm und schob sich seufzend auf den Waschtisch aus massivem Stein, der im chicen und überflüssigen Vorraum stand. Gegen Lollis psychedelischen Look aus Rosa und verdrehtem Regenbogen hatte er mit dem beruhigenden dunklen Grün seines Pullovers eher geschafft noch unscheinbarer zu werden, als er es eigentlich sein sollte. Triste blickte er Kai an. "Du hast dich sicherlich gewundert."

Kai hüpfte neben ihm hoch, nachdem er die Fläche vorsichtig mit einem Taschentuch trocken gewischt hatte. "Ein wenig. Vor allem, dass deine Oma Lolli an ihre Fingernägel rangelassen hat."

Benni lachte auf. "Er war herrlich. Ich hätte es nie geglaubt, aber er war so gottverdammt schwuchtelig, dass sogar ich zu viel bekommen hätte, wenn es nicht so sehr das gewesen wäre, was meine Eltern brauchten. Durch ihn haben sie gesehen, dass ich ich bin. Sie haben ihn gern, weil er nicht ich ist." Eine hilflose, ungelenke Erklärung, aber Kai verstand ihn.

"Aber?"

"Aber am Abend, als wir zwei betrunken waren, in meinem Zimmer, allein. Da hab ich es sagen wollen, ihn fragen wollen."

"Und?"

"Und sein Handy klingelt und Geoffrey fragt, ob die beiden sich nicht mal auf ein paar Tage treffen wollen. Er ist bis Mittwoch hier. Er hat Lolli offensichtlich gefragt, ob er schon wieder mit wem zusammen sei und Lolli schreit voller Entzücken ins Handy rein 'I am all yours, honey!' Meinst du, ich sag eine Sekunde danach, dass ich anderer Meinung bin?!"

"Wie bitte? Und jetzt? Was ist denn aus dem beschissenen Leben nutzen und zweite Chance geworden?!" Gereizt starrte Kai Benni an, dessen Opferhaltung ihn nur noch mehr reizte.

Lukas' Stimme ließ sie beide zusammenzucken. Der Kerl schlich sich in letzter Zeit einfach viel zu gut an. "Du willst ihm jetzt dabei zuschauen, wie er sich von Jiffi durchnehmen lässt, damit er das dann bei dir aus schlechtem Gewissen auch zulässt, oder was, Benni?"

Lukas zog sich den dunkelroten Pullover aus, den er bis dahin noch getragen hatte und zeigte seinen Körper im engen weißen Shirt, das er sich vermutlich um des Effekts willen in die Jeans schob. Er legte Kai den Pulli um die Schultern und meinte wegwerfend zu Benni, der ihn mit roten Wangen anstarrte "Wenn du Lolli flachlegen willst, dann kümmere ich mich um Jiffi, kein Problem, der sabbert eh schon. Sag mir Bescheid." Zu Kai sagte er "Bleib noch hier, ich will was von dir." Damit verschwand er in den Toilettenraum.

'Sprechstunde, bitte einzeln eintreten', dachte Kai gereizt, bevor er in dem überaus angenehmen Geruch aus Lukas' Pullover versank. Er wurde von Bennis Reaktion aufgeschreckt.

"Arschloch! Er braucht mich nicht wie ein 'Dritte-Welt-Projekt' behandeln, verdammt noch mal! Arroganter Wichser!" explodierte der sonst so langweilige Typ förmlich, aber schoss aus seinen dunklen Augen eher müde Blitze in Richtung der Toilette ab, die Hände hilflos zu Fäusten geballt.

Kai zog des Vokabulars wegen eine Augenbraue hoch, aber schwieg sich darüber aus, dass er der Meinung war, dass Benni selber arrogant war, wenn er Lukas' offensichtlich nötige Entwicklungshilfe ablehnte. Arrogant, vielleicht aber auch stolz. Noch jedenfalls. Er brauchte nichts weiter sagen, Benni war ihm ohnehin nur gefolgt, um ihm das Versprechen abzunehmen, dass er nichts sagen sollte, was er eh nie getan hätte. Als Lukas aus dem Toilettenraum kam, zischte er wie eine Diva die Schultern werfend davon.

Kapitel 60

Lukas wusch sich die Hände und beäugte einen schlanken Typen, der ihm nicht uninteressiert folgte. Lächelnd warf er einen Zettel fort und küsste Kai auf die Wange, während er sich die Finger an seinem Pulli abtrocknete. Der kleine Typ zog Leine, aber machte einen nicht gerade glücklichen Eindruck.

"Hey, der war niedlich. War das seine Telefonnummer?" Aufgebracht linste Kai in den Müllkorb.

"Na und? Ich bin mit einem Engel hier. Niedlich kann ich jeden anderen Tag haben. Zudem, wenn ich ihn nachher, wenn du mich hast abblitzen lassen, anspreche und mitnehme, dann ist er so dankbar, dass er mir noch im Auto einen bläst."

Kai erschauderte. "Seit wann bist du so ekelig?"

Lukas hörte mit dem Grinsen auf und nickte in Richtung Tanzfläche, die sich hinter der dicken Tür und einer Stellwand verbarg. Mit einem Mal war sein Gesicht fast grau vor Kummer, auch wenn in seiner Stimme Ärger mitklang. "Die Weiber haben sich zusammen getan und sie hat abgetrieben. Ohne mich zu fragen!"

Erschrocken sah Kai Lukas ins Gesicht. "Oh. Aber..." Ihm fehlten die passenden Worte, weil er sich nicht ganz klar war, was genau Lukas daran störte. Stattdessen umarmte er Lukas fest und sagte lieber gar nichts mehr. 'Ohne ihn zu fragen. Aber Lena... nein. Sie hat ihn immer gefragt und gebeten. Darum geht es ihm, nicht um das verdammte Kind.'

Lukas bestätigte dies gleich nachdem er sich von Kais Armen befreit hatte. "Ist nicht der erste Unfall, den sie hatte. Sie ist ein dummes Aas. Immer die Falschen, garantierte Superlooser, bumst sie mit dem größten Vergnügen! Gott! Die ist gefährdeter, sich zu infizieren, als ich es bin, verdammt noch mal!"

"Aber sie ist erwachsen", ernüchterte Kai ihn.

"Ja. Mehr als Kondome zustecken kann ich auch nicht tun. Aber dieses Mal war es anders. Ich hab den Macker wirklich scheiße gefunden, genau wie sie gleich am nächsten Morgen, wir haben noch darüber geredet. Dennoch ist sie damit zu Tini, nicht zu mir. Ich hab das mit der Schwangerschaft auch nur durch Tinis Reaktion bei Carlchen erfahren. Sie ist mit Tini zum Arzt, mit ihr zur Pro Familia an der Markthalle und mit ihr in die Klinik. Gestern erst hat sie mir erzählt, dass es weg ist, sodass ich mir keine Gedanken machen brauche."

Kai hob die Schultern. 'Du hast dich ausgeschlossen gefühlt und bist neidisch. Na und? Willkommen in der realen Welt.' Stattdessen sagte er gleichgültig um sich blickend "Und jetzt? Was hat das mit mir zu tun?" Es erklärte natürlich, wieso Tini und Lena so dicke Freundinnen waren. So eine Entscheidung brachte einen bestimmt einander näher.

"Der Arzt in der Klinik war wohl ziemlich herb. Er hat ihr gesagt, dass sie aufpassen müsse, dass sie, wenn sie so weiter macht, gar keine Blagen mehr haben kann. Sie ist zwar nicht mehr die Jüngste und wollte nie wirklich welche, aber das hat sie irgendwie aufgeschreckt. Sie hat mir geschworen, dass sie ab nun ein neuer Mensch sein will. Mal sehen, wie lange das hält."

Lukas lehnte sich an den Waschtisch an und blickte mit schmalen Augen in den Spiegel. "Du musst Tini sagen, dass Lena das nicht ernst meint. Ich kenne meine Schwester, sie ist gern mal mit 'ner Frau im Bett, aber nur kurzfristig als Abreagiere. Ich hab Tini sehr gern, sie ist grade ein wenig verletzlicher als sonst, wegen dir, wegen Holger und ihren verpassten Chancen und so. Wenn Lena da nach Art der Familie noch einen drauf setzt, dann gibt's sicherlich mehr Schaden, als man auf die Schnelle reparieren kann. Vor allen Dingen, weil Tini ihr wirklich eine gute Freundin sein könnte, wenn meine dumme Schwester jetzt nicht Sex dazwischen bringt!"

"Warum ich?"

"Dir vertraut sie. Du bist ihre beste Freundin, Engelchen."

"Na danke!" Hilflos hob Kai die Schultern, während er die Freundinspitze an sich abperlen ließ. Doch dann dachte er an die Feier bei Lena, zu der sie ihm eine Einladung geschickt hatte. "Sie hat bald Geburtstagsparty. Sie hat mich und Tini eingeladen. Ich werde Tini mal fragen, ob wir ihr zusammen was schenken können."

Lukas grinste leicht. "Ja. Mach das, Kai." Er zündete sich eine Zigarette an und murmelte "Die Telefonnummer war übrigens für dich. Aber dein Wachhund sollte das nicht wissen. Ich geh mal den Niedlichen ein wenig trösten, bin ja kein Unmensch. Nimm meinen Pulli mit, okay?"

"Arschloch!" Wütend verschränkte Kai die Arme und fiel fast vom Waschtisch als Lukas wegging, weil er nur auf der Kante gehockt hatte.

Lukas kehrte nicht zu ihnen an den Tisch zurück. Lolli und Jiffi waren tanzen gegangen und Kai saß mit der brütenden Tini und dem wütenden Benni am Tisch fest, über den sich Schweigen gesenkt hatte. Während im vorderen Bereich des LPP noch das Leben tobte, die Menge sich eng drängelte, war im Kuschelbereich ein wenig mehr Ruhe eingekehrt, die Tische waren zwar noch immer überbelegt, aber man konnte mittlerweile schon ganz gut zwischen den Sitzgruppen hindurch gelangen.

Endlich stupste Kai Tini unter dem Tisch an und rückte dichter zu ihr auf. Sie lächelte und schmiegte sich an ihn an, eine für sie offensichtlich natürliche Reaktion auf seine Nähe. Als er leise an ihr Ohr fragte, ob sie schon etwas für Lenas Geburtstag geplant hatte, nickte sie leicht. "Klar. Tut mir leid, Kai. Ich weiß leider nicht, was sie sich sonst noch wünschen könnte, aber ich schenke ihr schon was."

"Was denn?" Kai sah zu Lena hinüber, die ihren grünen Blazer ausgezogen hatte und lediglich mit silberner Weste bekleidet konzentriert durch CDs suchte. Sie sah klasse aus. Genau am rechten Fleck zum richtigen Zeitpunkt, leicht mit dem Bass mitwippend, arrangiert, wie für eine Fotografie in einer Modezeitschrift.

Offensichtlich auch ein Talent der Familie, denn Lukas lehnte mit dem Niedlichen im Durchgang zwischen dem vorderen und hinteren Bereich und stellte seinen Körper ebenso selbstverständlich aus. Seine Anwesenheit zog Blicke auch auf den kleinen Typen neben ihm. Dieser schien die Sonne der Aufmerksamkeit nicht so genießen zu können, er hatte den Kopf gesenkt als wollte er sich noch kleiner machen.

Tini brachte ihn zur Unterhaltung zurück. "Sag ich nicht, ist persönlich. Die beiden sind sich in sehr vielem verdammt ähnlich", erriet Tini Kais Beobachtungen mit der faszinierenden Mühelosigkeit, die sie für ihn unheimlich machte.

Er rückte instinktiv ein wenig ab, aber nickte leicht. "Nur ist sie nicht lesbisch", versuchte er den plumpesten Vorstoß, den er je in einer Unterhaltung unternommen hatte und dachte eine kleine Reihe Fluchworte, bevor Tini auch nur reagieren konnte.

Sie neigte den Kopf leicht, um ihn mit gehobener Augenbraue anzusehen, dann lächelte sie und nickte. "Stimmt, nur hin und wieder. Ich kenn die Geschichten. Irgendwie scheinen mich viele Leute in letzter Zeit darauf hinweisen zu wollen, dass sie und ich nicht ins Bett gehen sollten."

Kai sah erneut zu Lena hin. Die weißen Haare hatten sich zum Teil aus der kunstvollen Hochsteckfrisur gelöst und hingen ihr um die im Wesentlichen nackten Schultern, sie lehnte ihren Kopf zurück und trank Wasser aus einer Plastikflasche. Unwillkürlich gab er für sich zu, dass er eifersüchtig werden würde, wenn sie zu nett zu Jan sein sollte. Von diesem Gedanken an Jan abgelenkt fragte er "Und? Hast du das vor?"

Tini schockierte ihn mit der nebensächlichen Bemerkung "Zu eurer Info, die Warnungen kommen zu spät. Ich hab schon und fand es nicht so prickelnd. Wie ich schon einmal sagte, stört mich ein zweiter Busen schon beim Küssen, vom Sex ganz zu schweigen."

"Oh. Selbst der von Lena?" fragte er noch einmal, um nicht locker zu lassen.

"Der ganz besonders. Was ist denn los mit dir? Willst du mich mit ihr verkuppeln, damit ich aufhöre, Holger hinterher zu heulen?"

Kai schüttelte vehement den Kopf, er wollte eigentlich sagen 'Nein, eher im Gegenteil', daraus wurde "Oh mein Gott! Jan!"

 

Er war nicht der einzige, der Jan bemerkte und das hatte einige Gründe. Einer davon war, dass Jan aus dichtem Regen in das Café eintrat, ohne Eile offensichtlich, was erstaunliche Coolness bewies, da er keine Jacke an hatte. Der andere war, dass er ein durch den Mangel an Eile schon tüchtig durchnässtes weißes Oberhemd trug. Es sah teuer aus, genau wie die schwarze Anzughose, in der es steckte. Der dritte Umstand, der die Köpfe verdrehte war, dass Jan absolut geil aussah.

Kai entschuldigte sich in der Abteilung für Wortfindung, aber wiederholte in Gedanken 'Geilgeilgeil... Um Gottes Willen! Ich bin so froh, dass er sonst nur Mistklamotten anhat, sonst hätte ich ihn nicht bekommen, ein anderer hätte ihn mir gestohlen. Das ist sicher.' Ein wenig ätzend mischte sich eine statistische Realismusabteilung ein und wies ihn darauf hin, dass Jan ihn bekommen hatte und nicht anders herum, aber er schob dieses unwesentliche Detail großzügig zur Seite.

Tini leistete ihm Unterstützung. Sie seufzte betrunken und vollkommen taktlos "Gott, schaut er geil aus! Wenn dafür seine Oma sterben musste, war es das wert. Entschuldige mich, ich geh, bevor es zu heiß wird hier." Sie küsste ihn auf die Wange und verschwand in Richtung des Tisches, an dem auch Bianca und Holger saßen.

Jan fuhr sich mit einer unbewussten Geste durch die tropfnassen Haare und öffnete den obersten Kragenknopf. Kai wurde heiß und kalt vor Verlangen. Einige Mädchen aus dem Semester winkten Jan und kicherten, reckten sich und brachten sich in gutes Licht. Jan nickte ihnen deutlich uninteressiert zu, sein Blick aus schmalen Augen glitt suchend durch den Raum.

Kai wollte eigentlich winken, aber war zu gebannt von den Bewegungen seines Freundes und er hatte Angst davor, dass Jan etwas Dummes unternehmen könnte, deswegen senkte er den Blick auf die Tischplatte. Die Emotionalität, die er schon auf Entfernung in seinem Gesicht lesen konnte, war nie ein gutes Zeichen gewesen.

Jan enttäuschte seine böse Ahnung nicht. Als er Kai entdeckt hatte, beschleunigte er seinen Schritt und stand vor ihrem Tisch noch bevor Kai sich gesammelt hatte. Von irgendwo hinter ihnen rief jemand, vermutlich Holger "Jan?! Bist du das?", aber Jan drehte sich nicht um, sondern sah Kai in die Augen, es lag keine Frage in seinem Blick, nur eine leise Warnung.

Kai zog nervös seine Unterlippe zwischen die Zähne, dann meinte er hilflos lächelnd "Du siehst scharf aus in den Sachen, ich..." Er kam nicht weiter. Jan setzte ein Knie auf die Couch direkt neben Kais Bein, dann lehnte er sich mit einer leichten Bewegung dichter, neigte den Kopf genau passend und küsste ihn. Zwei kühle Finger hoben Kais Kinn leicht an, ließen ihn über und über erschaudern.

Er schmeckte herrlich, nach frischer Luft, nach Regen, nach einem Kai noch nicht bekanntem Aftershave, vermutlich dem seines Vaters, was diesen Kuss zu Kais schlechtem Gewissen noch eine Spur heißer werden ließ. Jan schob Kai noch während ihre Lippen sich berührten auf die Couch weiter durch. Er ließ sich gelassen nieder und winkte der Kellnerin, die mit einem Mal merkwürdig bereit schien, eine Bestellung am Tisch aufzunehmen.

Gleich darauf schob Jan seinen Kopf auf Kais Schultern und murmelte dicht an seinem Ohr "Gott, bin ich fertig, Kai. Ich... habe es nicht mehr ausgehalten dort, die Leute, dieses Gerede, die Blicke. Es ist alles viel komplizierter geworden, als ich gedacht hatte." Seine Stimme klang heiser, als wollte er krank werden, und die Rede machte in Kais Augen rein gar keinen Sinn.

Hilflos verfolgte er wie Lolli und Jiffi in ihren quietschbunten Ausgehklamotten auf sie zugetanzt kamen, während Jan seinen rechten Ärmel aufrollte und Kai den anderen hinhielt, damit er ihm half. Gehorsam den Stoff umklappend versuchte Kai sich zu sammeln, während Lolli Jan sein Beileid aussprach und ihn umarmte, bevor er Benni einweihte und Jiffi vorstellte.

Als die Reihe sicherlich wieder an ihm war und Kai unglücklich Luft einsog, um auch noch etwas zu sagen, kam die Kellnerin angehetzt, um drei Gläser mit Cocktails vor ihn, Jan und Benni zu stellen. Kai hob den Blick erstaunt von dem Alkohol verdunstenden Glas zu Jan, der gerade bezahlte. "Aber... ich..."

"Du betrinkst dich jetzt mit mir, okay? Nach dem Kuss eben werden meine Kumpels das erst mal nicht wollen." Jan warf einen schrägen Blick in Richtung des Tisches, an dem Tini sich unterhielt, während die anderen zu ihnen hinüber starrten.

Erst in dem Augenblick wurde Kai bewusst, dass dort die Clique von Jan hockte, versammelt und komplett geschockt, wenn man einmal von Holger, Bianca und Tini absah, die andere Sorgen zu haben schienen. Tini sprach mit einer Freundin aus dem Kurs, aber ihr Blick wanderte verdächtig oft zu Holger hinüber, der einen Arm um Bianca gelegt hatte.

Als Kai sich mit Hilfe des halben Cocktails gefangen hatte, kam Tini zu ihnen zurück und meinte mit merkwürdig flacher Stimme "Ich nehme mir ein Taxi. Bis zur Party bei Lena, okay Kai?" Sie wirkte, als wolle sie in jedem Moment in Tränen ausbrechen, weswegen Kai nur nickte, nicht auch noch dumme Fragen stellte. Er nahm gleich darauf jedoch wahr, dass Holger Tini folgte. Mit seinem großen Körper konnte er sich zwar nicht so schnell durch die Menge schlängeln wie sie, aber dafür machte ein gewisser Angstfaktor ihm eine Gasse durch die Tanzfläche auf, sodass er sie noch in der Eingangstür erwischte und zur Seite ziehen konnte.

Kais Kopf fuhr unweigerlich zu Bianca zurück, die merkwürdig gelassen lächelnd eine Zigarette rauchte. Man sah ihr an, dass es eine seltene Zigarette für besondere Anlässe war, sie zog nicht wirklich daran, sondern schnippte sie nur ein wenig und drehte sie zwischen den Fingern.

"Schau einmal einer an. Die Torte hat wirklich Ahnung, wie man Spiele spielt. Ist das nicht deine Ex, Wauwau?" stellte Lukas' dunkle Stimme hinter ihnen fest.

Jans Brauen zogen sich zusammen, aber Lukas hob bereits eine Hand "Immer langsam mit den wilden Wachhunden. Ich will mir nur meinen Pulli holen. Ihr müsst euch 'ne andere Mitfahrgelegenheit suchen oder warten, bis Lena fährt. Ich bin weg." Er zog sich den Pullover über, winkte dem Niedlichen, der in einigem Abstand gewartet hatte, und verschwand, nachdem er an Jan vorbei einen schnell Kuss auf Kais Nacken platzieren konnte.

Jan knurrte etwas und bestellte noch zwei von den Mördergetränken, da Benni an seinem Glas nur hin und wieder genippt hatte, den Blick triste auf Lollis Hintern mit großzügig darüber verteilten Fingern von Jiffi gerichtet.

Kai ließ sich von Jan erzählen, was seine Eltern noch so gesagt hatten. Die Ausbeute war mager und Kai hatte das unbestimmte Gefühl, dass Jan ihm etwas vorenthielt. Etwas Wichtiges. 'Haben sie ihm nach meiner Abfahrt erst so richtig die Meinung gesagt? Vielleicht ist es auch nur der Schock.' Seufzend ergab Kai sich dem wohltuend einlullenden Alkohol, auch wenn ihm auffiel, dass Jan zu Kaffee wechselte, während er die dritte Mischung in der Hand hielt.

Kai war gerade so weit, dass er beginnen wollte, ein wenig zu nerven, damit Jan gehen wollte, als Bianca zu ihnen kam und vorschlug, dass sie mit an einige mittlerweile in der Ecke zusammengeschobene Tische zu den anderen kommen sollten. Jan zog zwar misstrauisch die Brauen zusammen, aber nickte und half Benni die Gläser von Lolli und Jiffi mit rüber zu tragen.

Die Stimmung an dem anderen Tisch war ausgelassen und von nicht wenig Alkohol schon enthemmt zu nennen. Alle feierten die letzten freien Ferien vor den Staatsexamen im Sommer. Einige boten Jan Hilfe beim Nachschreiben an, keiner wagte es, das Thema schwul anzusprechen, bis einer von Jans Kumpeln betont locker jedoch mit deutlich roten Ohren fragte "Und, Jan? Biste jetzt schwul?"

Es entstand eine kleine Pause, dann versetzte Bianca mit den Fingern auf die Tischplatte klopfend "Ich hoffe doch bi, sonst hätte er im letzten Sommer eine ziemlich gute Show abgezogen.", was ihr einige Lacher bescherte.

Kai blinzelte sie an und konnte eine leichte Eifersucht nicht von sich weisen, aber dachte so ätzend er konnte 'Immerhin ist er sicherlich kein Hetero, sonst hätte er in der ganzen Zeit danach eine wirklich gute Show abgezogen.'

Jan hingegen hob die Schultern und nickte endlich leicht. "Bi", meinte er entschieden, worauf die Freundin seines Kumpels die Augen verdrehte und rief "Besser bi als nie, gell?" Alle lachten und das Thema wurde nicht mehr direkt angesprochen.

Eigentlich hatte Kai zügig losziehen wollen, aber Jan schien das nicht zu verstehen. Im Gegenteil taute er weiter auf und begann sich mit Bianca und den anderen in gewohnter Weise zu unterhalten, beachtete Kai genauso viel oder wenig wie auch sonst in der Uni.

Kai vermutete, dass er ihnen zeigen wollte, dass er sich nicht geändert hatte, aber war dennoch genervt, weil er lieber mit Jan allein, vorzugsweise im Bett sein wollte. Wie konnte Jan ihn nur so gemein behandeln? Wie konnte er nur aufgebrezelt und supersexy aussehend und extrem lecker riechend hier auftauchen, ihm Alkohol geben und ihn dann von sich fern halten? Kai verfiel in eine schmollige Stimmung und lehnte jedes weitere Getränk ab.

 

Lolli, Jiffi und Benni hatten sich schon verabschiedet und zusammen ein Taxi genommen. Etliche andere bröckelten vom Tisch fort und Kai wollte eigentlich nur noch einmal auf Klo und dann sehr sehr nervig um Jan rumwuseln, bis dieser endlich aufgab und auch fahren wollte.

Kai kam gerade angeekelt und unverrichteter Dinge aus dem nicht gerade präsentablen Klo, als Lena sich verabschiedete und den nächsten Termin für ihre Anwesenheit bei LPP ankündigte. Zur gleichen Zeit betraten zwei Personen zusammen den Laden durch die Hintertür, die Kai nur deswegen im Auge hatte, weil er überlegte, wie Lena ohne Lukas ihre Sachen wegbekommen wollte.

Der eine Neuankömmling war ein älterer Mann, dessen schlanke Gestalt deutliche Fitness zeigte, die Sorte Fitness, die man draußen erwarb und nicht in einem Studio. Er hatte dunkles, sehr kurz geschnittenes Haar, in dem graue Reflexe spielten und trug ein schwarzes Hemd zu schwarzer Designerjeans. Kai hätte ihn aus Schüchternheit heraus nicht länger betrachtet, wenn nicht direkt neben ihm Pascal durch die Tür gekommen wäre. Mit einer hellen Kombination aus blauem Oberhemd und beigefarbener Cordhose fiel er neben dem schwarzgekleideten Mann besonders auf.

"Passi!" Kai hob eine Hand und verlagerte damit die Aufmerksamkeit aller am Tisch in Richtung seines Schulfreundes. Jan hob den Kopf und warf Pascal einen Blick zu, bevor er Kai fragend ansah.

Kai war noch immer sauer wegen der Verzögerung, sodass er sich statt einer Erklärung hastig erhob und zur Tür lief, um dort mit Pascal zu reden. Noch als er aufstand, hatte er gedacht, dass die beiden Männer unabhängig voneinander gekommen waren und dass sie durch puren Zufall zusammen auftauchten, aber als Kai näher trat, legte der Ältere Pascal eine Hand an die Schulter und meinte "Na, dann will ich mich mal um das Geschäft kümmern."

Pascal nickte und lächelte ebenso. "Danke fürs Mitnehmen und die Einladung, Leon", erwiderte er leise, dann drehte er sich halb um und stellte vor "Das ist übrigens ein guter Schulfreund von mir. Medizinstudent. Kai Hellmann. Kai, das ist Leon Pranitz, ihm gehört der Laden hier."

"Oh. Hallo." Unangenehm berührt blickte Kai kurz in die dunklen Augen, die ihn mit merkwürdig interessiertem Blick studierten, während Leon seine Hand umfing und mit festem Druck hielt.

"Angenehm, nenn mich Leon." Der Mann hatte eine überraschend dunkle Stimme, die Kai spontan als beruhigend empfand. Er zögerte einen Augenblick, dann ließ er Kais Hand endlich los, aber reichte ihm mit lässiger Bewegung eine kleine Visitenkarte. "Du bist Student. Vielleicht suchst du einen Job? Ich bräuchte noch jemanden, der hier hinter der Theke aushilft."

"Oh, ich hab schon einen Job, aber vielen Dank." Kai schob die Karte ein wenig verwirrt in seine Hosentasche, weil Leon sich mit freundlichem Nicken abgewendet hatte, um zu Lena zu gehen.

"Passi?" Kai drehte sich zu seinem Freund um und sah ihn unsicher an.

Pascal lachte quietschend auf und klatschte einmal in die Hände. "Nein, Kai! Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich und er..." Er lachte noch einmal auf. "Nein. Er ist mir von einem Urlaub und dem Job aus bekannt. Wir haben uns eben auf einer Fortbildung getroffen, offensichtlich macht er seinen Hauptberuf noch nebenbei weiter, aber hat sich auf dieses Café verlegt, weil es ihm mehr Spaß bringt."

Pascal und Kai traten an die Theke, hinter der drei Mädchen und ein Junge mittlerweile nach Abklingen des Ansturms eher damit beschäftigt waren, die Gläser zu spülen oder vielmehr die Spülmaschinen zu betreiben, die sich unter den sonst sicher polierten, nun aber verdreckten Marmorflächen versteckten.

"Das ist aber nett, dass ich dich hier treffe", begann Kai und schielte halb zum Ecktisch mit Jan und den anderen hin. "Wir werden zwar bald fahren, aber ich wollte dich eh morgen anrufen. Wegen Lena, das ist die dort drüben."

"Der DJ, oder die vielmehr? Was ist mit ihr?"

"Sie ist Lukas' Schwester. Sie hat mich und dich zu ihrem Geburtstag eingeladen." Kai wartete gespannt ab, wie Pascal reagieren würde.

Er senkte den Kopf und wurde ein wenig rot. "Oh." Unsicher fummelte er an einem verwaisten Bierdeckel herum, was Kai dazu reizte, ihn unsanft zu knuffen. "Du kommst da mit hin, klar?! Ich will jetzt nichts weiter hören als 'Ja, Kai.'"

Pascal grinste und fuhr sich mit einer Hand durch die stachelig gestylten Haare. "Na gut. Ja, Mama. Willst du was trinken?"

"Nö. Bin schon ziemlich angetüdelt. Ich wollte Jan eigentlich gerade abschleppen", gab Kai zu, aber ließ sich auf dem Barhocker neben Pascal nieder, der Leon zu beobachten begann, während er sich von den Verwirrungen um Hannah und Jans Familie erzählen ließ.

Es war erstaunlich, wie effizient der Mann sich hinter der Theke bewegte. Seine zuvor so sanften braunen Augen bekamen einen stechenden Ausdruck, als er das Chaos im Raum und auf den Flächen sah, innerhalb von Minuten rannten die Mädchen, die eben gerade noch rauchend an Gläsern poliert hatten, wild durch die Gegend, während er seine Hemdsärmel aufrollte und selber begann, weite Teile der Unordnung zu richten.

Pascal erhielt kommentarlos einen der Begrüßungscocktails hingestellt, den Kai mit wildem Wedeln der Hände ablehnte. Pascal hatte die Sektmischung noch nicht einmal zur Hälfte geleert, als die Theke und der Raum dahinter schon wieder sauber waren, die Gläser in den Regalen glänzten und die Kaffeemaschinen poliert schimmerten.

Kai war in seiner Erzählung gerade bei Bennis Problemen mit Lolli angelangt und versuchte irgendwie zu vermeiden zuzugeben, dass er Lukas in letzter Zeit genau wie Benni ziemlich bescheuert fand, als Leon sich wieder zu ihnen gesellte. Er blickte forschend zu Kai hinüber, dann meinte er "Wirklich. Ich glaube, dass du sehr gut in diesem Job wärst. Du musst nicht kellnern, keine Sorge." Er lächelte leicht und stupste Pascal an. "Na, wo ist dein Schwarm?"

Pascal wurde rot. "Nicht da."

Interessiert hob Kai den Kopf und betrachtete Leon von der Seite. 'Wieso erzählt Pascal ihm das? Wie gut kennen die sich?'

Pascal schien seine Fragen zu sehen, denn er lehnte sich kurz dichter an Kai und flüsterte "Scht! Ich erklär's dir morgen, okay?"

Jan unterbrach sie, weil er mit Kais Jacke unter dem Arm angetrottet kam. Gähnend meinte er "Tini und Holger sind aufgetaucht. Holgi fährt uns zurück, wenn wir jetzt aufbrechen. Tini muss gerade noch 'ne Runde mit Bianca kuscheln, weil die sie endlich zusammengebracht hat. Weiber."

Kai reckte sich ein wenig und nickte. Er rutschte vom Hocker und verabschiedete sich mit einem Winken von Leon und Pascal. Er war schon zu Jan gegangen, noch bevor ihm bewusst wurde, dass Jan und Pascal sich nicht kannten und das gerade ziemlich unhöflich gewesen war. Entschlossen drehte er sich zurück und zupfte Jan am Hemd dichter zu sich heran.

"Das ist mein Schulfreund Pascal, du weißt schon, von dem ich dir erzählt hab. Pascal, das ist Jan. Oh, und Leon, ihm gehört der Laden hier."

"Schicker Schuppen", sagte Jan gedehnt und sah Leon merkwürdig angriffslustig an. Zu Pascal sagte er "Man sieht sich ja sicherlich." Ein fester Griff um Kais Arm zog ihn herum und auf den Ausgang zu.

'Sozialamt heute geschlossen', dachte Kai grinsend und winkte Pascal noch einmal zu.

Kapitel 61

Jan mit einem Wachhund zu vergleichen, war gar kein so schlechter Gedanke von Lukas gewesen, denn genau so benahm er sich gerade, während er Kai förmlich abführte. Kai machte Angriff zu seiner Verteidigung und schob seinen Arm um Jans Hüfte, um sich anzuschmusen.

Es war ein grandioses Gefühl, dass sie es in aller Öffentlichkeit tun konnten. Schmusen, sich ansehen, sich berühren. Allein die Blicke, die sie sich nun zuwerfen konnten, waren es wert. Kai konnte gar nicht ermessen, wie sehr es ihn mit einem Mal befreite. Er wagte es endlich, mit Jan so zu sein, wie er schon immer hatte sein wollen. Nun gut, im betrunkenen Zustand hatte sein wollen.

Sie konnten im Endeffekt erst eine halbe Stunde später los, weil sie in Gemeinschaftsarbeit noch halfen, Lenas Kram in Lukas' Wagen zu laden, damit sie auch nach Hause fahren konnte. Holger insbesondere stellte sich dabei als sehr hilfreich, weil kräftig heraus.

Tini stand wegen der unpraktischen Kleidung mit leicht einwärts gedrehten Füßen im Weg. Wenn Tini und Holger jetzt zusammen waren, dann konnte man dies nach kleinen Blicken vielleicht ahnen, vielleicht auch nach dem Umstand, dass sie seine Jacke tragen durfte, aber deutliche Zeichen oder gar eine Knutscherei gab es nicht.

Erleichtert krabbelte Kai auf die Rückbank und schnallte sich mit einigen Schwierigkeiten an. Der Alkohol zeigte doch Wirkung. Nicht genug Wirkung. Als Jans Hand sich locker streichelnd auf der Innenseite seiner Beine, nahe am Schritt niederließ, wurde Kai hart, noch bevor Holger losgefahren war. Jan begann mit dem Daumen über den Hosenstall zu streicheln und Kais Hals zu küssen, das machte es nicht unbedingt besser, aber weckte Kais Libido, die sich eigentlich schon zur Ruhe begeben hatte, auf angenehmste Weise auf.

Sie hatten Jans Tasche und Jacke aus dem Auto geholt und Jan meinte, dass er den Wagen einfach am anderen Morgen abholen würde. Holger setzte sie natürlich zuerst ab, obwohl es einfacher gewesen wäre, Tini als erste rumzufahren. Jan klopfte ihm kurz auf die Schulter und Kai nuschelte ein Dankeschön, während er von Tini einen Kuss auf die Wange gedrückt bekam.

Er schloss die Jacke fest und konnte kaum gehen, weil sich ein Körperteil störrisch quer zu stellen begann. Kai sah an Jans Grinsen, dass sein Freund es genoss, ihn so necken zu können. Ärgerlich dachte Kai, dass Jan in seiner maßgeschneiderten Stoffhose vermutlich genügend Platz für eine Erektion hatte und deswegen so gemein grinsen konnte.

Im Hausflur wurde seine Hand vom Lichtschalter fortgezogen und er wurde an die Tür zum Fahrradkeller gepresst, um von Jan mit hungrigen Zungenküssen verschlungen zu werden, sodass er kaum zu Atem kam. Der Türgriff bohrte sich kalt in seinen Rücken, als Jan vor ihm auf die Knie sank, um an seinen Knöpfen zu fummeln, fluchend, weil sie nicht nachgeben wollten, seine Finger waren offensichtlich zu kalt. Nach einem Augenblick des Fluchens schob Jan sein Gesicht schlicht gegen die Hose und biss Kai in die Knopfleiste, knurrte leise, dann flüsterte er "Mach mal mit, Kai."

"Nicht hier, Jan!" Weil er Angst hatte, in seiner Hose zu kommen und der Gedanke ihn ekelte, schob Kai seinen wilden Freund resolut von sich und zerrte ihn hektisch die Treppen hoch. Als sie den Hausflur hinter sich gebracht hatten, stellte Kai fest, dass Lolli und Jiffi sowie Benni noch wach waren und sich tüchtig alkoholisiert am Esstisch unterhielten.

Kai vermied es, mit ihnen zu reden, indem er gähnend winkte und in sein Zimmer verschwand. Lolli plärrte ihnen noch hinterher "Wir erwarten Carla für morgen hier! Nicht erschrecken, sie wollte schon gegen mitteleuropäischer Frühstückszeit eintrudeln, Gott hab ihren Optimismus selig. Hey! Schön, dass euch das interessiert! Aber naja. Ich denke, wir holen den Schönheitsschlaf nach, bevor wir morgen all die Kleider anprobieren müssen. Jiffi?" Lolli tänzelte in sein Zimmer, die Eskorte aus Jiffi und einem grimmig leidenden Benni im Schlepp, während Kai in seinem Zimmer ohne Licht zu machen, ohne seine Jacke ausziehen zu können und ohne weitere Vorwarnung auf sein Bett gestoßen wurde.

Er drehte sich um und sah Jan an, der im schwachen Schein vom Flurlicht, das unter der Tür durchfiel, eine Kerze anzündete. Er fand das Feuerzeug im Dunkeln und Kai lächelte. Im Kerzenschein sah Jan düster aus und seine Erregung wurde sofort deutlich sichtbar, als er seine Hose auszog.

Als er unten herum angenehm nackt war, glitten seine Finger zu der Knopfleiste des Hemdes hinauf, aber Kai hob eine Hand in seine Richtung. "Lass es an. Ich finde dich sexy darin", flüsterte er leise und fühlte, dass er errötete, weil er zugestand, dass es ihn wirklich anmachte, wie Jans Erregung zwischen den Flügeln des Hemdes hervor sichtbar wurde.

Ein überraschter Blick, gleich darauf war Jan über ihm, fiel über ihn her wie eine ägyptische Plage. Seine Libido quiekte erschrocken, weil Jan so energisch war und selbst ihr nun klar werden musste, dass er mit Kai schlafen wollte, dass Kai deswegen auch so reichlich Alkohol erhalten hatte. 'Verräter und Blender, elender!' schrie eine radikale Stimme in Kais Hinterkopf hysterisch.

Nicht nur die Libido machte sich Sorgen. Während Jan Kai von den Schuhen, der Jacke und seiner Hose befreite, seinen Bauch abwärts küsste und sich zwischen seine Beine drängte, um ihn mit dem Mund in den Wahnsinn zu treiben, meldete sich sehr flüchtig die Vernunft und erinnerte an die Unannehmlichkeiten vom letzten Mal, als er Jan in diesem wilden Zustand das Beischlafen erlaubt hatte. Kai erschauderte, als die heiße Zunge ihn zu streicheln begann, noch ein wenig kühle Finger gruben sich in seine Oberschenkel und drängten ihn, sich weiter zu öffnen.

Vernunft und Libido verwischten und vergingen wimmernd und jammernd, als Kai kurz vorm Orgasmus von Jan auf den Bauch gedreht wurde. Er war wütend, dass Jan ihn abhielt und war kurz davor, sich selber über die Klippe zu bringen, aber Jans Finger der einen Hand hielten seine Hände fest, während er mit der anderen zielsicher und schnell sowohl Kai als auch sich selber vorbereitete.

Das Knistern von Zellophan brachte Kai noch immer eine Gänsehaut, aber gleich darauf drang Jan leicht mit dem angewärmten Gel an den Fingern in ihn und er schloss die Augen. Etwas Kühles berührte seine nackten Beine, als Kai sich weiter auf das Bett schob. Kai runzelte die Stirn, aber Jans Finger streiften genau den richtigen Punkt und er zischte leise und senkte den Kopf auf die gekreuzten Arme, hilflos genießend.

Lange wurde er nicht mehr verwöhnt, es folgte sehr rasch noch einiges an schauderhaft kaltem Gel, das zum Teil auch an seinem Bein herablief, sodass Kai Jan nölig befahl, damit nicht so herumzuaasen. Er wurde ignoriert. Irritiert fühlte er an seinen Knien etwas glattes, als er weiter auf das Bett hinauf kroch. Als Jan in ihn eindrang, nachdem er Kai auf die Knie hochgezogen hatte, griffen Kais Finger nicht in die Bettdecke sondern in etwas hartes, irgendwie ungemütliches und er runzelte die Stirn.

Jan lenkte ihn jedoch gleich darauf von den kleineren Unannehmlichkeiten ab, indem er vollends in ihn eindrang, um dort erst zu verharren. Er wartete, streichelte Kai über den Rücken, ließ seine endlich warmen Hände unter Kais Pulli entlang gleiten, bis zu seinem Nacken hinauf und zurück. Verharrte ungewöhnlich gelassen mit einem Mal.

Kai erschauderte, weil es ihm wie die Ruhe vor dem Sturm vorkam. Die Libido kehrte aus ihrem Versteck zurück und probehalber hob Kai eine Hand, um sich selber zu berühren, aber er konnte sein Gewicht und das von Jan nicht mit der anderen Hand allein abstützen.

Jan legte sich nach vorn über ihn, um seinen Nacken entlang zu küssen und zu beißen. Eine heftige Gänsehaut ließ Kai vor Erregung erzittern. Unwillentlich streckte er sich und stöhnte auf. Jan erreichte sein Ohr und flüstere leise etwas, seine Stimme verstärkte das Schaudern noch weiter, ohne dass Kai die Worte verstehen konnte. Finger griffen hart nach Kais Hüfte, aber Jan machte nicht weiter, verharrte auch nachdem er sein Gewicht ein wenig von Kai genommen hatte.

Mit einem ärgerlichen Schnauben drehte Kai deswegen den Kopf und keifte "Los, mach schon!"

Jan lachte leise auf, lehnte sich erneut vor, noch ein wenig dichter an Kai heran und raunte "Ich bin so gern bei dir, in dir... ein wenig darf ich es wohl genießen, oder, Baby?"

Kai errötete und senkte den Kopf. "Genießen. Und ich? Dann mach was für mich", verlangte er unfair, weil Jan nichts getan hatte, als ihn zu streicheln und zu verwöhnen. Jan tat zunächst auch erst einmal etwas für sich, er begann sich zu bewegen. Nicht wie er es sonst tat mit weichen Bewegungen, immer auf Kai lauschend, sondern harsch und abrupt, nur eben gerade noch kontrolliert.

Einige Male zischte Kai leise und spürte, wie Jan sich mit einiger Mühe zurückzunehmen versuchte. Offensichtlich verlor Jan die Beherrschung dieses Mal schon früher. Kai spürte Hitze in sich aufsteigen. Leider die falsche Sorte, nicht die Sorte, die ihn zum Orgasmus tragen konnte, eher die Art, die ihn am nächsten Morgen den Sex, den mit Jan und den analen insbesondere verfluchen lassen würde.

Natürlich war es in diesem Augenblick vollkommen egal, denn mit der falschen Hitze begann sich mit jedem Stoß auch die richtige so langsam anzufinden. Sie sammelte sich in Kais Bauch, in seinem Schoß und er begann leise zu stöhnen, nicht nur um Jan anzutreiben. Ächzend stemmte Kai sich gegen ihn und ließ zu, dass Jan alles nur für sich selber tat und ihn ignorierte, nur benutzte und nicht liebte wie sonst. 'Vielleicht musste er sich abreagieren', fuhr es Kai durch den Kopf, als Finger sich hart in seine Schulter gruben und Jan ihn anzuknurren begann, was Kais heftige Gänsehaut noch einmal verstärkte.

Es ging schnell, trotz des Alkohols. Allerdings kam Jan natürlich nicht aus, ohne Kai in den Nacken zu beißen, ohne ihn hart an sich zu pressen, sodass Kai den Verdacht hatte, dass ihm gleich die Luft ausgehen wollte. Er spürte wie Jan kam und gleich darauf spürte er, wie Jan ihn enger an sich zog und ihn, nur Momente später wieder vollkommen brav und ungefährlich erscheinend, zu streicheln begann.

Die Erregung war zurückgegangen, weil es nicht angenehm gewesen war, so derb angefasst und so rücksichtslos eingenommen zu werden, aber Jans Finger waren geschickt, waren ihn gewohnt, lockten ihn verschlagen und richtig. Sehr schnell lehnte Kai den Kopf zurück, schloss die Augen. Die falsche Hitze zog sich zurück, während die richtige Art nun endlich wieder hochkochen konnte. Um nicht zu laut zu werden, biss Kai sich auf den Daumenballen.

Jan blieb in ihm, aber es war angenehm, es tat nicht weh, sondern reizte ihn zusätzlich, sodass er sich fast wünschte, dass sein Freund sich wieder zu bewegen beginnen würde. Doch er kam, noch bevor er Jan durch Zeichen dazu hätte auffordern können. Erst danach zog Jan sich zurück und kletterte vom Bett, um ihn frei zu geben.

Grummelnd putzte Kai noch im Dunkeln an sich herum und zog sich seinen Pulli aus, weil er sich verschwitzt fühlte. Als er sich auf dem Bett aufstützte, um ebenfalls aufstehen zu können, erstarrte er und begann zu fluchen, bevor er noch wirklich begriffen hatte, warum. Die Vernunft kam kurz hervor, um lachend zu verkünden, dass sie es gewusst hätte, aber niemand hatte hören wollen.

Gleich darauf hatte Jan das Schreibtischlicht angeknipst und blinzelte Kai träge und verständnislos an. "Was ist denn, Baby?"

"Du bist schuld!" motzte Kai und stand vollends auf, um anklagend auf die auf seinem Bett verteilten Klausurkopien zu deuten. Das war es, was ihn die Hand entlang geschrabbt hatte und vor allem war es das, worauf er gerade gekommen war. "Scheiße, Jan! Alles eingesaut. Ach Mensch, so eine Scheiße! Die hatte ich für dich kopiert und sortiert und... scheiße!"

Jan fiel vor Lachen neben den Stuhl und konnte sich erst beruhigen, nachdem Kai und er schon längst Zähne geputzt hatten und die betroffenen Klausurkopien im Papiermüll verschwunden waren.

Ein kräftiger Arm raffte Kai an Jans Körper zurück. Der Duft von dem teuren Aftershave war noch immer ganz leicht zu riechen und Kai drehte sich zu Jan um, damit er das noch besser genießen konnte. Faul begann er die leichten Küsse seines Freundes zu erwidern. Endlich murmelte Jan "Ich liebe dich, Baby. Vielleicht wusstest du das noch nicht."

Kai stöhnte leise und gab spitz zurück "Ich werde mich morgen gewiss daran erinnern." Er strich sich mit einer Hand über den Nacken und fügte hinzu "Du hast mich wieder mal gebissen. Wenn das so weiter geht, melde ich dich als Kampfhund an und verpasse dir einen Maulkorb."

Jan lachte unbesorgt. "Kink, Baby? Stehst du auf solche Spiele?"

"Jan!" rief Kai leidend, aber Jan raffte ihn kurz enger, küsste ihn ein letztes Mal und schlief prompt ein, während Kai sich noch immer ein wenig über die eingesauten Klausurkopien und das verschwendete Geld für den Kopierer ärgerte.

Kapitel 62

Kai wurde am anderen Morgen von Jan geweckt, der ihm mit einem grauenvoll wachen Grinsen den Telefonhörer hinhielt. "Pascal. Bist du schon anwesend genug, um mit ihm zu reden?" Er hatte schon geduscht, wie ätzend, das hatte Kai mit ihm zusammen machen wollen.

Kai hasste ihn ein wenig an, dann knurrte er, dass er erst pinkeln müsse, schnappte sich den Hörer trotzdem und grummelte hinein, dass er Pascal zurückrufen würde.

Pascal klang verwirrt, aber stimmte zu und meinte, dass er erst einmal etwa eine Stunde lang im Fitnessstudio sein würde und dann auch vorbei kommen könne auf dem Rückweg.

Kai murrte unbegeistert "Mach das. Ich bin da und pass auf, dass Jan lernt."

Jan ließ sich davon nicht beirren und schaltete das Radio ein. 'Walking on Sunshine' plärrte los, Jan grummelte, schaltete um und seufzte zufrieden, als Placebo zu jammern begann. Sein Sinn für schräge Musik war Kai vorher noch nicht so richtig aufgefallen.

Kai zog sich Jans blaugraues Schlafshirt für einen Augenblick über den Kopf und genoss den Duft daran. Er hatte nicht direkt einen Kater, aber fühlte sich leicht vergiftet, wie immer, wenn er zu viel Zigarettenrauch, Alkohol und laute Musik abbekommen hatte. Zugleich versuchte er seine Morgenlatte zu ignorieren, die sicherlich auch daher rühren konnte, dass Jan nur wenige Schritte weit entfernt lediglich mit einem kleinen Gästehandtuch bekleidet in seiner Sporttasche kramte.

Jan drehte sich noch schöner in Position, um eine Socke aufzuheben. Eigentlich begann der Morgen gar nicht mal so übel. Kai stützte sich auf und starrte seinem Freund die noch leicht feuchten Beine entlang, an einer verheilenden Schramme am Knie vorbei auf die kräftigen Oberschenkel, bis das Handtuch seine Blicke zu Gunsten seiner Fantasie knapp unter dem Hintern blockierte.

Die Zimmertür stand noch offen, als es an der Wohnungstür rappelte und so bekam Carl, der sich mit seinem Nachschlüssel soeben Zutritt verschaffte, als Begrüßung einen sehr guten Blick auf Jans Arsch, nur mangelhaft durch hellgrauen Frottee verhüllt. Jan schien das nicht mitzubekommen, während er zwei T-Shirts, beide mit Arzneimittelwerbung bedruckt, gegeneinander abzuwägen schien.

Kais Latte verschlimmerte sich, während er grinsend zu der Meierschen hinüber blickte, die mit einigen Kleidersäcken über dem Arm im Eingang gefror, die Hände endlich vor seinem Bauch faltete und gaffte und murmelte, als würde er beten.

Jan tat Kai und der Meierschen beiden den Gefallen, reagierte offensichtlich auf das stumme Gebet. Er nahm das Handtuch fort, streckte sich einmal, sah sehr nackt und durchtrainiert aus und zog sich zur Krönung der Vorstellung zuerst die Socken an, bevor er nach einer knappen Shorts griff.

Kai kicherte und Carl hielt sich das Herz, nachdem er den Kleidersack auf einen Stuhl geworfen hatte. "Das ist Folter, Jan! Wie soll ich denn nun das Wochenende überstehen!" Er tupfte sich mit einem imaginären Taschentuch über die runde Stirn, bevor er seine blauen Augen zum Himmel verdrehte, die Finger wieder wie zum Gebet über seinem wildgemusterten roten Hemd gefaltet. Ein wenig kam er Kai mit einem Mal wie ein dicker Mönch vor.

Jan blinzelte, dann knurrte er der Tür einen Tritt gebend "Krieg dich ein."

Carl lachte und wedelte mit seinen Fingern um sich her. "Oh, vermintes Gebiet betreten, schneller Rückzug ist die einzige Rettung! Ist Lolita schon auf?"

Kai linste auf Jans Hintern und rief zurück "Nee, noch im Totenreich!", dann knallte seine Zimmertür von einem weiteren Tritt beschleunigt zu und Carls Lachen wurde deutlich gedämpft.

Jan schob seine Hand flach über den Bauch, um die Dinge in seiner Shorts zu richten. Der Blick seiner intensiven Augen richtete sich als nächstes gnadenlos ernsthaft auf Kai. "Alles okay? Hast du mir die Attacke von gestern Nacht verziehen, Baby?"

Kai seufzte. "Ja. Aber ich mach das rückgängig, wenn du weiter in der Hose kramst."

Jan grinste diabolisch und bot Kai an, ihm ein wenig bei der Lösung dieses Problems zu helfen. Natürlich lehnte Kai ab und stakste hastig an Carl vorbei ins Bad, nachdem er sich unter Jans amüsierten Blicken seine Unterwäsche und die Klamotten, die er am Tag anziehen wollte, zusammengesucht hatte.

Als er sich abgeregt, geduscht und angezogen hatte, bekam er mit, dass Carl Jan die Brille mitgebracht hatte. Benni lungerte bereits sehr verdächtig wie eine Nebelkrähe grau in grau gekleidet und mit Totenmiene auf der Eckbank herum und fummelte an dem Kleiderstapel, den Carl bei seiner Ankunft dort drapiert hatte. Es schien sich um Ballkleider zu handeln, mit viel Glitzer überall. Kai bekam ein ungutes Gefühl in seiner Magengegend.

Jiffi kam als nächstes aus Lollis Zimmer und hetzte ins Bad, da er nur noch wenig Zeit bis zu seinem nächsten Flug hatte und sich umziehen und rasieren musste. Er hatte seine Stewartuniform dabei und Kai gab für sich zu, dass er gespannt war, wie er darin wohl aussehen mochte. Zunächst genoss er es, die Show 'Jan, Carl und die Brille' sehen zu können.

Jan schob die Brille, ein rahmenloses, schmales und irgendwie sportliches Modell mit besonders widerstandsfähigen Bügeln, unzufrieden auf der Nase nach vorn, dann zurück und starrte sich selber in Lollis beleuchtetem Schminkspiegel an, den Carl vorsorglich auf den Esstisch gestellt hatte.

Carl legte den Kopf schief und überprüfte fachmännisch, wie sie hinter den Ohren saß. Er grinste freudig in den Spiegel, anstelle von Jan, der sich griesgrämig in Opferhaltung begeben hatte. Endlich nahm er Jan die Brille nach einigen Bemerkungen noch einmal fort, bog die Bügel ein wenig, schob sie ihm mühelos wieder ins Gesicht zurück und ruckelte ein wenig, strich die Haare fort, sah hinter die Ohren. "Ich finde, dass du entzückend ausschaust, Jan. Du hast ein markantes Gesicht und kannst eh fast jede Sorte Brille tragen, Schatz."

Kai kicherte und nahm sich einen Becher Kaffee. "Entzückend ist vielleicht nicht das richtige Wort." Jans Gesicht wirkte eher ein wenig entsetzt, aber Kai musste zugeben, dass er mit Brille nicht nur ernster aussah, sondern noch einmal interessanter. 'Jetzt wissen alle, dass er bi ist, ich muss ihn dringend nicht nur von den Mädchen, sondern auch von den Jungs fern halten.' Ein wenig stresste Kai der Gedanke, dass Jan wirklich begehrte Beute sein mochte.

"Zum Lesen, Fernsehen und Autofahren, richtig?" Jan schielte durch die Brille, dann sah er sich neugierig in der Wohnung um, als hätte sich hier einiges verändert.

"Richtig." Carl ließ sich neben Jan nieder und reichte ihm ein schlankes, schwarzes Brillenetui. "Das schenke ich dir dazu. Pack sie immer gut weg, die Gläser sind entspiegelt bis zum Anschlag und damit sehr empfindlich. Hier sind deine Initialen, niedlich, gell?"

Kai blickte drauf und grinste. "Dein zweiter Vorname fehlt, Jan."

"Ach? Wie heißt du denn mit vollem Namen? Ich fand Bawenhop schon ungewöhnlich."

Kai knuffte seinen Freund und gab für sich zu, dass er selber gern mal wissen wollte, wie Jan weiter hieß.

Jan wehrte sich grummelig, aber rückte dann "Christopher, und sagt das bloß nicht weiter" heraus und verzog sich mit einer Kanne Tee an Kais Schreibtisch, um sich die verbliebenen Klausurkopien ansehen zu können. Er schob permanent an der Brille und machte eine krause Nase, zu niedlich, entzückend könnte man fast sagen. Kai stimmte Carl zu und blieb bei ihm sitzen, um nicht über seinen Freund herfallen zu müssen.

Nach einer Weile des gemütlichen Kaffeetrinkens, nachdem Carl gemeint hatte, dass er fand, dass Christopher Bawenhop ein interessanter Name war, fragte Kai misstrauisch "Was hat es eigentlich mit den Klamotten auf sich?"

Lolli kam mit seinem geblümten Morgenmantel hereingefegt, gefolgt von einem adretten und unglaublich sauber und patent ausschauenden Jiffi und kam Carl zuvor. "Der Auftritt von Carla und Lolita für morgen Abend! Ich freu mich schon so!" Er klatschte in die Hände und lachte über Kais verwirrtes Gesicht.

Während Lolli Jiffi verabschiedete, der sich ein Taxi bestellt hatte, um rechtzeitig in seinem Hotel zu sein, brühte Carl neuen Kaffee auf und warf Aufbackbrötchen in den Ofen. Er erklärte Kai beim Tischdecken, dass sie beide einmal im Jahr auf einen Faschingsball gingen. "Wir haben uns schon ein paar schöne Kleider zusammengesucht. Mir steht eh nicht sonderlich viel. Lolli hat wenigstens lange Beine und schaut im Mini einfach nur verboten scharf aus!" Er kicherte hinter vorgehaltener Hand.

"Benni? Willst du nicht mit uns kommen, Schatz?" Lolli kam mit zwei Bechern Kaffee in den Wohnraum zurückgeschlendert und schob sich aufdringlich direkt neben seinen verdächtig stillen Besuch.

Benni schüttelte schweigend den Kopf und zuckte leicht, als Lolli ihm mit spitzen Fingern einige Haarsträhnen glättete. Er war das gehende, stehende Leiden und nervte Kai dermaßen, dass sein Mitgefühl auf der Strecke blieb, von seinem Sinn für Peinlichkeit deutlich im Rennen ausgestochen. Er war froh, als Benni sich sehr bald mit einem vagen "Bin bei Renate eingeladen." in Richtung von Tinis WG absetzte.

Die Tür war gerade mal zu, als Carl seinen Kaffeebecher mit leisem Knall auf den Tisch abstellte, seine pummelige Fröhlichkeit wich ernsthafter Sorge dermaßen abrupt, dass Kai erschrak. "Peter Sebastian Lorenz!"

"Oh, oh", murmelte Lolli unglücklich und linste von seinen Fingernägeln auf, die er gerade dunkelblau lackierte.

"Was in Dreiteufelsnamen hast du mit Benni angestellt? Wieso ignorierst du, dass er dir offensichtlich mit riesenhaften Gummeraugen anheim gefallen ist?!"

Lolli verdrehte die Augen und meinte leise und nicht sonderlich glücklich. "Meinst du, dass es mir leicht fällt, Carla? Der ganze Abend mit Jiffi gestern. Die Nacht zudem. Es war wirklich grausam. Ich hab ihn eigentlich zu gern für solche Sachen."

Kai blinzelte. "Zu gern? Bist du bescheuert?!"

Carl öffnete und schloss den Mund, dann murrte er "Danke Kai, das war mein Text. Bist du denn bescheuert?!"

Langsam, wie für Blöde, erklärte Lolli daraufhin mit den Kaffeebechern die Personen darstellend. "Benni ist in mich verschossen. Ich hab ihn gern, gerner als gern. Ich hingegen bin mal mit Jiffi, mal mit Bernd, dann Peter und letztes Wochenende gar mit wem, dessen Namen mir entfallen ist, im Bett. Sex, versteht ihr? Ich habe nach dem Krankenhaus und dann für Frank zu lang darauf verzichtet. Benni und ich waren und sind vielleicht beste Freunde... entschuldige Carla, du bist natürlich meine beste Freundin. Das ist ja das Problem. Ich will ihn nicht verletzen. Für nur Sex geht es nicht mit ihm. Für mehr... ich bin zurzeit noch nicht so weit." Lolli stellte die Tassen auf den Tisch und hob hilflos die Schultern.

"So? Aber was machst du stattdessen?" Carl nahm sich seinen Kaffeebecher wieder zurück, um aufgebracht Zucker hinein zu löffeln.

"Ihn vorher fernhalten, bevor es zu spät ist. Ich will ihm nicht Hoffnungen machen, so ernsthaft fühl ich mich nicht und Frank ist noch nicht lang genug her und... Ach, Meierchen, du weißt doch, wie ich bin. Ich trau mir nicht zu, auf einen solchen Schatz wie Benni aufzupassen. Ist wie bei mir im Swarovski-Laden. Ich liebe es dort, aber mag kaum atmen, weil ich Angst hab, alles kaputt zu machen!" rief Lolli endlich unglücklich und ließ sich an den Tisch sinken. "Es macht mir fast schon Angst, wie ernsthaft Benni geworden ist."

Kai blinzelte und murmelte, bevor er es verhindern konnte "Genau wie Jan." Er fühlte sich hin und wieder durch Jans Ernsthaftigkeit überfordert und konnte Lollis Furcht davor mit einem Mal verstehen.

Lolli riss die Augen auf und starrte Kai mit tränenverhangenen Wimpern an. Mit einem Aufschrei sprang er auf, um Kai und Carl zugleich zu umarmen. Carl machte die Sache schlimmer, indem er seine Arme ebenfalls um Kai und Lolli schloss und damit jeden Fluchtversuch im Keim erstickte. "Ach Lolli, du dumme Kuh. Kannst du nicht einmal etwas einfach machen? Muss es immer Dramen geben?" brachte Carl endlich hervor und begann vermutlich durch die Tränen verwirrt, Kai zu streicheln, anstelle Lolli.

Kai wollte gerade 'Hilfe' schreien, um den Armen und Tränenmeeren zu entkommen, als die Türklingel ihn erlöste. "Das wird Pascal sein." Erleichtert öffnete er seinem Freund und hastete noch mal ins Bad, um seine durch die Umarmungen durcheinander geratenen Haare zu richten. Zufrieden bemerkte er, dass der dunkelgrüne dicke Zopfpullover, den Jan irgendwann mal bei ihm vergessen hatte, ausgezeichnet zu ihm passte. 'Den behalte ich vorsichtshalber. Nicht, dass Jan alltags auch noch gut aussieht', dachte er rebellisch.

Pascal trug Jeans und ein Hemd und wirkte nicht, als wäre er gerade im Fitnessstudio gewesen, viel zu gebügelt und ordentlich irgendwie. Er umarmte Kai kurz und blinzelte dann auf die heulenden und sich tröstenden anderen am Küchentisch. "Was...?"

Kai winkte ab. "Sie sind gerade darauf gekommen, wie kompliziert die Liebe ist", deklarierte er mit tragischem Unterton.

Pascals Schultern wurden eine Spur kraftloser "Ach", meinte er leise und dermaßen düster, dass Kai ihn am liebsten sofort wieder zur Tür rausgeschubst hätte. Da war er selber einmal glücklich und zufrieden und dann fingen alle um ihn herum an, verrückt zu spielen.

Jan kam aus seinem Zimmer und blinzelte Pascal an, der Blick war nicht unbedingt freundlich zu nennen, und Kai fiel ein, wie Lukas Jan zurzeit nannte. 'Wachhund scheint zu stimmen.' Aber Jan war nicht wegen Pascal gekommen und sein Blick war auch nicht wachsam, weil er Pascal und Kai nicht zusammen allein lassen wollte. Er sagte betont gelassen gleich nach einer knappen Begrüßung "Ich muss meinen Wagen noch holen. Ich nehme am besten den Bus zum Bahnhof und gehe von dort." Sein Gewissen dabei war schlecht, er blinzelte nervös. Ganz offensichtlich hatte er keine Lust zum Lernen.

Kai machte schmale Augen und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf sein Zimmer. "Du gehst sofort zurück an den Schreibtisch und lernst weiter! Ich hol den Wagen ab. Pascal fährt mich", befahl er bestimmt.

Jans Mund verzog sich, nur kurz hatte Kai Angst, dass sein Freund sich widersetzen würde, dann nickte er jedoch und murrte "Ja, Mama. Was gibt's zum Mittag?"

Carl rief mit noch immer leicht tränenverhangener Stimme "Ich habe Kartoffelauflauf mitgebracht, der muss nur noch im Ofen warm gemacht werden!"

Erleichtert schnappte Kai sich Pascal und schloss die Wohnungstür mit einem Gefühl der Befreiung. "Entschuldige, ich musste da mal raus, ist alles so verrückt mit Lolli zurzeit. Liebeskummer, er steht sich selber auf den Füßen."

Pascal senkte den Blick auf seine Designerturnschuhe und murmelte "Ein Gefühl, das jeder kennt. Dann wollen wir mal. Zur L.P.-Plaza, nicht wahr?"

Kai nickte und trottete durch graue Luft und ekelig feinen und eisig kalten Regen hinter Pascal her zu dessen Audi, ein sportliches Modell mit Ledersitzen. "Chic, ich will auch Geld verdienen. Mehr Geld verdienen, mein ich. Das dusselige Altenheim... da muss ich nachher noch hin, um meinen Dienstplan über die Ferien abzuholen." Es hatte keinen Sinn. Auf normale Konversation sprang Pascal nicht an, also murrte Kai nachdem sie angefahren waren. "Na gut. Was ist los?"

"Lukas. Ich bin im selben Fitnessstudio wie er. Tini ist da Instruktor, wusstest du das?"

"Nee. Ja, doch. Er hat davon gesprochen, dass er sie daher kennt." Kai brachte genügend Willenskraft auf, um seine Arme nicht zu verschränken, auch wenn Pascal ihn, oben auf Lollis Gemähre aufgesetzt, schon ziemlich nervte.

"Er war eben gerade auch da, mit einem anderen Typen. Er hat mich zwar begrüßt, mit einem Nicken, aber nicht weiter beachtet. Ich konnte ihn förmlich denken sehen 'Aha, der Typ, der mir nachläuft. Wie peinlich.'" Unglücklich tippte Pascal am Autoradio rum und schaltete es schließlich ganz aus.

"Was willst du mir sagen, Passi?"

"Er hält mich für einen Onenighter und nicht mehr und offensichtlich fühlt er sich nicht mal für eine normale Unterhaltung wohl genug mit mir."

Nachdenklich blickte Kai über die regenverhangene große Kreuzung. Die Ampel sprang auf Grün und Pascal musste sich konzentrieren, um einen schwerfälligen Ziehharmonikabus zu überholen. So hatte Kai Zeit, um sich seine Antwort zurecht zu legen. Gar nicht so einfach. Er war wirklich kein Fachmann, wenn es um Lukas ging.

Lukas war Kai schon immer ein Rätsel gewesen. Ein sehr attraktiver Mann, der offensichtlich eigene Maßstäbe hatte, was eine Beziehung anging. Er hatte laut seiner Schwester nur einen Exfreund in der Vorgeschichte, der ihn offensichtlich beeindruckt hatte. "Weißt du, er hatte mal einen Freund, dem er länger nachgehangen hat. Wegen dem hat er seinen Eltern und seinen Partnern auf der Arbeit überhaupt erzählt, dass er schwul ist." Unsicher überlegte Kai, worauf er überhaupt hinaus wollte mit der Preisgabe dieser Info.

"Aha. Deswegen will er nicht mit mir ins Bett, oder was? Mehr verlang ich doch gar nicht."

"Du nicht, aber er schon." Kai grübelte und nickte. "Weißt du, das Wow-Gefühl fehlt ihm vielleicht."

Pascal parkte den Wagen vor dem Café und meinte leise "Komm, wir trinken bei Leon noch einen Latte Macchiato. Ich geb dir was aus, weil du mein Gemähre anhören musst."

Kai nickte und latschte verdrossen durch den Regen hinter Pascal her. Seine Locken schienen das Wasser aufzusaugen, um mehr Kraft zur wilden Meuterei auf seinem Kopf haben zu können. Unglücklich blickte Kai sich sein Spiegelbild an der Garderobe neben dem Eingang kurz an.

Der Laden war geputzt und gelüftet worden. Die Tischchen standen alle wieder sauber und ordentlich in Reihen. Auf jedem der hellen vorderen Tische standen sehr stylish grün gefärbte Tulpen, immer eine in schlanken Vasen verteilt, die ihre Ikeaschilder kaum noch verbergen konnten. Hinten waren es orangefarbene große Gerbera, wie Kais Mutter sie liebte. Wenn er nicht am Abend vorher da gewesen wäre, hätte er nie darauf getippt, dass in diesem amerikanisch anmutenden Coffeeshop zuvor eine Art Disco abgelaufen war.

Sie ließen sich an einem der Loungetische nieder, nachdem sie am Tresen ihren Kaffee bestellt hatten. Es war nicht viel los, die blondierte Bedienung versprach, ihnen den Kaffee zu bringen, worauf Pascal ein nicht gerade kleinliches Trinkgeld rüberschob.

"Weißt du, ich glaube fast, dass es sein kann, dass Lukas genau dasselbe Problem mit dir hat, wie Lolli mit Benni. Auch wenn ich nie geglaubt hätte, dass es Parallelen zwischen Lukas' und Lollis Liebesleben geben könnte", stelle Kai eine neue Beziehungstheorie auf.

Pascal blinzelte und ließ sich von Kai erklären, wieso Lolli seinen Freund Benni, der so unheimlich gern mehr wäre, abweisend und sogar betont verletzend behandelt hatte.

Die Stimmung in dem Café war angenehm realistischer Hintergrund für diese eher surreale Vorstellung. Von einigen wenigen hektischen Büroangestellten abgesehen, die sich Kaffee und Bagel oder gebackenen Toast auf die Hand mitnahmen, waren die meisten Tische mit Studenten der nahen juristischen Fakultät bevölkert oder von Angestellten aus dem Bankenviertel, die sich über ihre Laptops beugten und sich ihre Handys zeigten.

"Weißt du, eigentlich stelle ich es mir nett vor, hier zu arbeiten. Ist das schwer?"

Pascal sah sich um. "Hier sicherlich nicht. Die Leute holen sich ja alles selber am Tresen ab."

"Die Musik ist auch nett."

"Leon ist sicherlich auch ein netter Chef."

Die Bedienung brachte Kaffee und kleine Kekse an den Tisch und Kai bemerkte irritiert, dass sie mit ihm flirtete und nicht einfach nur nett sein wollte. Sein Körper reagierte von allein, er senkte den Blick, verschränkte die Arme. Tini hatte ihm mal auf einer Party mitgeteilt, dass sie immer genau sehen konnte, wenn er angebaggert wurde, weil seine Abwehr schneller war als jede Höflichkeit. Er selber spürte es nicht, aber schien sich instinktiv zu verschließen. Seit sie es ihm gesagt hatte, achtete er darauf und bemerkte deutlich häufiger, dass Blicke in seine Richtung gingen, die ihn nervten.

Seine Signale kamen bei der Bedienung zumindest genauso gut an, wie bei allen anderen. Sie zog sich nach einem kurzen Lächeln in Pascals Richtung zu ihrem Tresen zurück, wo sie die Armaturen zu polieren begann.

Kai dachte an seine Beobachtung am Vorabend und hob die Schultern. "Ich glaube, dass Leon heftig werden kann. Woher kennt ihr euch eigentlich?"

"Wir sind uns auf Ibiza begegnet. In einer Disco. Er hatte gerade Stress mit seinem Langzeitmann gehabt und irgendwelche Probleme, vielleicht Midlife-Crisis, und ich hab meine Freiheit von diesem blöden Arsch gefeiert. Wir haben uns über Geldanlagen unterhalten und einige Tagesausflüge zusammen gemacht. Er ist unheimlich fit."

"Fit?" Misstrauisch sah Kai seinen Freund von der Seite her an und Pascal wurde ein wenig rot, dann schob er sein Glas von sich und nickte leicht. "Ja, haben wir. Es war große Klasse, aber natürlich ist er zu seiner Flamme zurück." Pascal senkte die Lider und knibbelte an einem Fingernagel. "Ich suche mir immer Männer, die mich nur einmal durchs Bett ziehen wollen."

"Ach, halt die Klappe! Das stimmt doch gar nicht!" Kai hatte seine Hände bereits gehoben, um Pascal rasch zu umarmen, aber ließ sie wieder sinken, stattdessen meinte er "Alle um mich her haben Beziehungsprobleme." Es klang genau so anklagend, wie Kai es meinte.

Er war gerade fertig mit seiner Ausführung, warum es ihn trotzdem nervte, wie Benni zu leiden verstand, als Leon den Laden betrat. Bei Tageslicht wirkte er zum einen älter als in der Nacht, zum anderen aber sah Leon auch noch eine spur schärfer aus, im Gesicht, im Ausdruck der Augen vielleicht auch. Er trug ein schwarzes Oberhemd zu dunkler Hose und war sexy. Überraschend stark in dieser Wirkung.

Gereizt dachte Kai daran, dass Pascal mit dem Kerl im Bett gewesen war und er sich das nun immer vorstellen würde, wenn er die beiden zusammen in einem Raum sah. Es kam natürlich noch schlimmer, als er gedacht hatte. Leon trat zu ihnen und küsste Pascal leicht auf die Wange, dann gab er Kai die Hand. "Na, ihr beiden?" Bei der Begrüßung sah er Pascal an und nicht Kai, der dezent eifersüchtig wurde und sich über sich selber ärgerte.

Als nächstes sah Leon dann ihm ins Gesicht und Kai bemerkte, dass er einfach eine Art hatte, sich auf sein Gegenüber derart zu konzentrieren, dass es so wirkte, als sei alles um sie her unwichtig. "Hast du darüber nachgedacht?"

"Den Job?"

Leon nickte und winkte dem Mädchen hinter dem Tresen zu, sie brachte ihm gleich darauf einen Espresso an den Tisch. Nachdem sie gegangen war, lehnte er sich ein wenig zurück und meinte "Du hast gestern gesagt, dass du einen anderen Job hast, aber es klang nicht begeistert."

"Im Altenheim."

"Und? Was zahlen sie dir dort?"

Misstrauisch sah Kai Leon kurz an. "Elf Euro die Stunde."

"Hm. Ich würde dir nur neun zahlen, aber du kannst noch Trinkgeld einsammeln. Kannst Henrike ja mal fragen, wie viel das so werden kann. Wenn du Lust hast, könntest du dir ein paar Schichten aussuchen und dann mal zuschauen."

"Ja, ich überleg mir das mal." Eigentlich wollte Kai das schon probieren, aber ihm war schleierhaft, wie er das neben dem Altenheim unterbringen konnte. Die Schichten dort machten ihn immer fertig. Zudem war er dort sicherlich schon für die Ferien als Vollzeitkraft fest eingeplant.

Leon nippte an seinem Espresso und wechselte das Thema. Er redete mit Pascal über die Börse und dann noch über das Fitnessstudio, in das Pascal dank Tini und Lukas eingetreten war. Er selber besuchte ein anderes und versuchte Pascal umzustimmen. Als Leon den Namen Lukas hörte, zog er kurz die Augenbrauen zusammen. "Lukas? Ein Bulle?"

"Ja? Wieso?" Man sah Pascal an, dass er beim Thema Lukas nervös und empfindlich war.

Das sah zum Glück auch Leon und milderte seine Mimik zu einem nichtssagenden Lächeln. "Nur so, ich kannte mal einen. Wäre ja ein komischer Zufall, wenn es derselbe ist. So. Ich will dann mal weiter, meine Flamme kommt heute Abend mit der Maschine aus München und mein neuer Vermieter will sich umschauen, da muss die Wohnung ordentlich sein."

Der Ausdruck in seinen Augen verriet Kai, dass mit Sicherheit alles ohnehin schon so war, wie er es haben wollte. Er nickte deswegen nur leicht, Pascal und er lehnten beide eine Einladung auf einen weiteren Kaffee ab. Kai wollte nach Hause in die verrückte WG zurück und Pascal wollte sich in seinem Selbstmitleid ertränken, weswegen Kai ihn schlicht zu sich einlud und als Begründung vorbrachte, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Lukas bei ihnen in der Wohnung aufkreuzen würde um 100 Prozent höher war, als dass er Pascal in dessen halb eingeräumter Wohnung über den Weg laufen könnte.

Kapitel 63

Kai fuhr deutlich langsamer als Pascal und fand dann länger keinen Parkplatz, den er mit seinen bescheidenen Künsten meistern konnte. Er parkte an der Berufsschule und musste noch um den halben Block laufen. Als er schließlich in der WG wieder eintraf, war der Esstisch mit großer Runde gefüllt.

Lukas saß neben Lolli und tröstete ihn, Pascal saß am anderen Ende vom Tisch und stocherte in seinem Salat herum. Neben Carl hockte dessen Freund Hanno auf der Bank und machte ein unglückliches Gesicht. Hanno war komplett nass, seine Haare trieften sogar noch, als sei er weit durch den Regen gelaufen und zudem wirkte er, als hätte er nicht nur eine Nacht durchgemacht, sondern eher eine ganze Woche.

"Wo ist Jan?" unterbrach Kai das Schweigen am Esstisch, nachdem er seinen Freund auch am Schreibtisch nicht hatte vorfinden können. Die Unterlagen zum Lernen lagen noch dort verstreut und erinnerten Kai an die Nacht zuvor, in der sie Papiere so respektlos als Unterlage für wilden Sex verwendet hatten. Er musste bei dem Gedanken an den fetten alten Chemieprofessor grinsen und konnte die Stimmung am Tisch nun für wenigstens zehn Minuten gut ertragen.

Außer Lukas schien niemand so richtig ansprechbar zu sein. Kai ließ sich neben ihm nieder, nahm einen Kuss auf die Wange gnädig in Empfang und sah ihn dann fragend an. "Ach, dein Wachhund wurde von seinen Eltern eingesammelt, es ging um die Erbschaft."

Lolli erwachte aus seiner Starre und kicherte leise bevor er anfügte "Er hat sogar Präsentierklamotten mitgebracht bekommen. Armani. Ich war gestern Nacht schon ganz entzückt, dass der Clochard über Kleider verfügt, die man nicht kultisch verbrennen sollte."

Kai nickte stolz auf Jans Freiheit von den Konventionen, aber sagte nichts weiter dazu. Sein Erscheinen hatte die anderen jedenfalls aufgeweckt, Lolli erhob sich, um Kaffee zu kochen und Carl befahl Hanno seltsam herrisch und gereizt, sich zusammenzureißen und eine Dusche zu nehmen. "Und zieh dir was Trockenes an, sonst holst du dir noch den Tod!" rief er seinem mit gesenktem Kopf davon zuckelnden Freund mit mütterlicher Autorität hinterher.

Pascal erlöste Kai in der Neugierde. Er half die Teller zusammenzuräumen und fragte "Was ist mit ihm los?"

"Drogen." Lukas' Stimme troff vor bemühter Gleichgültigkeit, aber Carl zuckte zusammen und protestierte schwach "Nein, er hat nur auf diesem einen Event... es war ein schockierender..."

"Und er hat auf diesem einen Event im High vermutlich alles gevögelt, was Beine hatte."

"Lukas! Lass meine Meiersche in Frieden!" Lolli stemmte seine Faust in die Seite, aber zog sich nach gewonnenem Starrwettbewerb wieder in die Küche zurück, um abzuwaschen. Kai folgte ihm prompt, um zu helfen und ihn auszuhorchen.

Mit leiser Stimme erzählte Lolli sogar unaufgefordert "Carl hat Hanno vor über einem Jahr in diesem Zustand kennengelernt. Vollkommen zugedröhnt und abgebrannt. Er hat den kleinen Kerl aufgenommen und für einige Monate war er sogar clean, hat über Carl den Job in diesem Outdoorladen bekommen und ich hab mir schon die Hoffnung gemacht, dass Carlas mütterliches Helfersyndrom einmal wenigstens etwas Gutes auch für sie gebracht hat. Leider ist Hanno vor einigen Tagen verschwunden, hat sich offensichtlich von irgendeinem Idioten anquatschen und zu einer Party überreden lassen. Er hat sich erst gestern Nacht bei Carl auf dem Handy gemeldet, weil dieser natürlich die Türschlösser ausgetauscht hat."

"Türschlösser ausgetauscht?!" Kai kam das reichlich krass vor.

Lolli lehnte sich seitlich an die Spüle und lächelte seltsam müde. "Natürlich. Das hat er aus Erfahrung machen lassen. Wäre nicht das erste Mal, dass einer seiner Freunde wieder in sein altes schwachsinniges Leben zurückverfallen ist und ihm die Bude ausräumt, um Geld für Stoff zu bekommen."

Einige Momente lang musste Kai diese Neuigkeiten verkraften und war froh, dass seine Hände die gewohnten Bewegungen beim Abtrocknen auch ohne Zutun seines bewussten Denkens schafften. "Warum ist Hanno jetzt hier?" Er erinnerte sich daran, wie Lukas ihm einmal erzählt hatte, dass gerade Carl die Exfreunde nicht wieder aufnahm, wenn sie ihn einmal verlassen hatten. Seine rosarote Romantikabteilung verteilte Herzen überall und begann zu hoffen, dass Hanno und Carl zusammen bleiben konnten. Seine schiefergraue Realismusabteilung erinnerte an das Wort 'Drogen' und an die Tendenz, dass dieses Wort nicht selten synonym war für 'niemals endenwollender Ärger'. Lolli unterbrach seine Gedanken mit einer Zusammenfassung.

"Es kam heraus, dass er zwar auch auf der Party gewesen ist, aber nicht die ganze Zeit, die er verschollen war. Er war stattdessen zwischendurch bei seinen Eltern. Spießer, wohnen irgendwo in der südöstlichen Pampa. Er wollte es denen endlich sagen. Naja, wie es immer so ist. Der Moment war ungünstig." Lolli reichte Kai die Salatschale.

"Er ist offensichtlich ein wenig instabil, ein wenig zugedröhnt und natürlich mit bauchfreiem Hemd und einer ihnen noch unbekannten Tätowierung auf der silbernen Hochzeit seiner Eltern aufgetaucht." Lollis schaumbedeckte Finger beschrieben einen Kreis um die Hüfte, wo Hanno ein Tribal hatte tätowieren lassen, das Kai insgeheim sehr sexy an ihm gefunden hatte.

"Sein Vater und irgendein Onkel haben ihn aus dem Haus gefeuert und erst daraufhin ist er zu den Fixerwichsern zurück, um sich ins komatöse Jenseits zu befördern. Er ist gestern wieder daraus aufgewacht, hat sich vor sich selbst geekelt und ist auf allen Vieren zu Carl zurück. Carl war schon auf dem Weg hierher, da ist Hanno ihm wohl hinterher getrampt. Das ist seine Version. Wir wissen nicht, ob das wahr ist."

Kai legte den Kopf schief. "Ruft doch bei Hannos Eltern an. Die könnten es bestätigen."

Das Leuchten in Lollis Gesicht zeigte ihm, dass diese Idee zum einen neu und zum anderen gar nicht mal so schlecht war. Im Folgenden, über Kaffee und Keksen berieten sie, wie es am allerbesten gehen könnte, wer anrufen sollte und wie man die Frage formulieren könnte.

 

Kai bekam von dem Telefonat zwischen Lukas und Hannos Eltern nichts mehr mit, weil etwas wesentlich ängstigenderes ihn ablenkte. Jans Eltern kamen samt Jan vorbei, sehr offiziell gekleidet und sehr einschüchternd und zudem in einer ernsthaften Stimmung, schlimmer noch als im Krankenhaus. Jan kam in die WG hoch und lud Kai auf imperative Art zum Essen ein. Er nickte lediglich, obwohl er gerade erst von Carls mitgebrachtem Kartoffelauflauf gegessen hatte.

Jan verwirrte Kai eigentlich noch mehr als die Anwesenheit seiner Eltern. Er war wieder sehr untypisch gekleidet mit brauner Anzughose und einem dunkelgrünen, sehr feinen Pullover. Lollis Blick leuchtete in allen Farben der Designer-Anbetung. Jans Miene war fast wie im Krankenhaus am Bett seiner Großmutter, eingefroren, verschlossen. Er war nicht zufrieden mit dem, was seine Eltern von ihm verlangten. Was auch immer es war.

Jan hatte es eilig, wieder aus der Wohnung zu kommen und beschleunigte Kai im Bad und vor seinem Kleiderschrank, indem er recht harsch erklärte "Der Wagen steht im Halteverbot."

Seine Eltern warteten vor dem Wagen und begrüßten Kai sehr still und zugleich auf eine warme Art persönlich, die er nicht erwartet hatte. Jans Mutter hielt seine Hand einen Augenblick zu lang fest und sah ihm sehr direkt in die Augen, sagte jedoch nichts. Lasse drückte Kais Schulter kurz, während er sich für Kai sehr verwirrend dafür bedankte, dass dieser mit zu ihrem Essen kam.

Sie fuhren im schweren Mercedes bis zu einem schön am See gelegenen Landhaushotel hinaus, wo offenbar schon ein Tisch reserviert war. Es gab Fisch als Empfehlung und Kai stimmte Jan zu, als er diesen auswählte. Der Preis für das Essen stand nicht auf der Karte, das ließ Kai vermuten, dass er seinen monatlichen Ausgaben für Nahrungsmittel bei Aldi entsprechen konnte.

Während sie von ihrem Wasser nippten und auf den Salat warteten, begann Jans Vater eine erstaunlich entspannte Unterhaltung mit Kai über das Studium und die Fächer, in denen Jan immer knapp am Durchfallen vorbei schabte. Kai schien es zunächst, als hätte Jan seinen Eltern gesagt, dass er sein Bestehen nur ihm zu verdanken hätte und wollte das dementieren, aber Jan unterbrach ein wenig ruppig, indem er meinte "Ich will nichts von der Uni hören, wir haben Semesterferien!" Er und seine Mutter schwiegen einander merkwürdig gespannt an, während Lasse die Freundlichkeit in Person zu werden schien.

Kai fragte sich, warum ihr Gesichtsausdruck ihm so viel Angst machte und ließ sich nur zu gern davon ablenken, dass er Jans Vater zuhörte, der über die Arbeit in der Herzchirurgie sprach. Die Unterhaltung ging während des Essens dann dazu über, dass Kai über die rechtlichen Hindernisse bei der Auflösung von der Wohnung einer verstorbenen Person hörte und nach und nach drifteten sie zu allgemeineren Themen zurück. Kai wurde ziemlich lange über das Leben in der Wohngemeinschaft und seine Nebenjobs ausgehorcht, sodass er sich schon fast fragte, ob Jans Eltern diese Art zu leben faszinierend fanden, oder ob sie einfach um ein anderes Thema verlegen waren.

Endlich, als sie vor Kaffeetassen saßen, stockte das Gespräch gänzlich und Kai spürte, wie die Anspannung in Jan immer weiter stieg. Schließlich senkte sein Freund den Kopf und brachte mühsam beherrscht hervor "Dann fragt ihn schon, wenn euch so viel daran gelegen ist, verdammt! Ich tue es nicht!" Er strahlte die typische Sturheit aus, mit der er sich so gern bei Professoren unbeliebt machte.

Jans Mutter seufzte, es klang beinahe erleichtert und sein Vater faltete die Finger als wollte er sich vor Jans Meinung schützen. "Kai, hättest du Lust, dir mit Jan eine Wohnung zu teilen?" Er lächelte, es wirkte fast entschuldigend. "Jan möchte unter anderen Umständen nicht aus dem Wohnheim ausziehen. Es ist seine Bedingung und wir fänden es gut, wenn du ihn..." Er stockte seltsam hilflos.

Kai blinzelte und führte den Satz im Geiste zu Ende '... wenn ich ihn mit meinem Fleiß beeinflusse?' Unsicher hob er die Schultern. Gleich als nächstes dachte er jedoch. 'Das wäre günstiger für mich, dann könnte ich ein Auge auf ihn haben. Er ist in letzter Zeit so... attraktiv geworden.' Kaum war der Gedanke beendet, als Kai sich auch schon zu ärgern begann. Jans Sex-Appeal hatte ihn offensichtlich zum eifersüchtigen Eheweib degradiert. Er schämte sich dafür und sagte mit Blick auf das grüngoldene Tischdekor lediglich "Das müsste ich überdenken. Ich wohne gern in der WG."

Die Panik, die sich in ihm zu bilden begann, war nicht in Worte zu fassen. Angst vor sich, vor Jan, vor den Erwartungen, die mit einem Mal begonnen hatten. Bis vor der Party bei Leon, bis eben gerade, waren sie zusammen gewesen, aber am Mittwoch und am Sonntag, nur für sich. Nur er und Jan. Jetzt sollten sie für alle und auch vor allen anderen zusammen sein? Das fühlte sich falsch an und es überforderte Kai. Es machte ihm Angst.

Lasse nickte verständnisvoll. "Natürlich. Wir wollten nur gefragt haben. Mach dir keine Sorgen, die Idee kommt wirklich von uns und nicht von Jan. Die Wohnung wäre kein Problem, Jan hat..."

Jan hob den Kopf und unterbrach ihn harsch. "Wir könnten Kai ja erst mal nachdenken lassen. Er ist ganz schön überfallen worden damit!" Seine Stimme klang als wollte er sagen 'Danke, dass ihr mein Leben zur Hölle macht!', aber Kai gestand sich ein, dass es auch nur seine Einbildung und seine Panik sein konnte, die er Jan zuschreiben wollte.

 

Kai dachte tatsächlich nach. Es war sogar mehr so, dass er gar nicht mehr damit aufhören konnte. Die WG schien ausgestorben. Um sich von der gespannten Stimmung abzulenken, zeigte Kai Jan die Karte von Leon und fragte ihn, ob er sich mit einem Kellnerjob auskannte. Natürlich war das bescheuert. Jan hatte in seinem Leben keinen Tag arbeiten müssen und zuckte nur mit den Achseln. "Du hast doch den Job im Altenheim, Baby. Ich fände es nicht gut, wenn du für ihn arbeitest."

"So? Warum nicht? Weil er auch schwul ist? Hast du etwa Angst, dass er mich angräbt? Das ist doch lächerlich!" War es eigentlich nicht, wenn man bedachte, dass der Typ vor nicht allzu langer Zeit mit Pascal geschlafen hatte. Das wusste Jan zum Glück noch nicht.

Jan schwieg einen Augenblick lang, während er seine Unterlagen auf dem Schreibtisch zusammen schob. "Arbeite nicht für ihn." Es klang ein wenig gereizt, als hätte Leon nicht nur Lukas, sondern nun auch Jan gegen sich aufgebracht.

"Ist was mit ihm? Kennst du ihn vielleicht?" In diesem Moment fiel Kai ein, dass er noch seine Abrechnungen aus dem Altenheim abholen wollte. Er fluchte leise und zog sich seine Jacke wieder über.

Jan senkte den Kopf und ramschte die Papiere in seine Sporttasche. "Nein, aber er kennt mich und ich bin mir nicht sicher, ob..." Er brach ab.

Kai blinzelte. "Es ist gutes Geld und wird mich nicht tot machen. Weniger tot machen als das Altenheim auf jeden Fall."

Jan runzelte die Stirn, holte Luft, aber sagte dann nur schwach "Das ist es nicht. Leon Pranitz ist... vergiss es. Kellnern ist scheiße, Kai. Bitte überleg dir das."

Jan verabschiedete sich, um im Wohnheim noch allein weiterzulernen. Kai war dies nur recht. Er konnte nur nicken und zustimmen, als Jan ihm zum Abschied sagte "Ich wünschte, ich hätte meine Eltern abhalten können. Das war zu viel. Das ist alles zu viel."

Als sie sich zum Abschied küssten, drückte Jan Kai einmal fester an sich und sah ihm dann mit einem merkwürdigen Lächeln in die Augen. "Ich melde mich, Baby. Werde ein paar Tage viel zu tun haben. Ich muss vermutlich wirklich umziehen. Sie werden drauf bestehen."

 

Es war durch das Essen schon viel später als geplant geworden und Kai wollte eigentlich nur schnell zum Altenheim rüberlaufen, um seinen neuen Dienstplan abzuholen. Er wollte eigentlich nur ein wenig Ablenkung und frische Luft, aber die Neuigkeiten, die ihn dort erwarteten, beschäftigten ihn dann derart, dass er die Wohnungsfrage fürs erste vollkommen vergaß.

Seine Kollegin lächelte ihn nervös an und meinte zur Begrüßung "Du hast ja schon davon gehört, Kaichen, gell? Das Heim ist verkauft worden an diese Gesellschaft, die auch die Heime hinten im Südteil haben."

"Echt? Ging ja schnell mit einem Mal." Kai fischte die Briefe mit seinen Abrechnungen aus der Schublade im Büro des Heims und lugte in die Küche, um sich einen der übergebliebenen Äpfel zu klauen, bevor er mit dem großen Brotmesser die Umschläge aufschlitzte. Gleich der erste Brief enthielt keine Abrechnung, sondern einen neuen Arbeitsvertrag. Mit gerunzelter Stirn las Kai die unpersönliche Mitteilung und blinzelte verwirrt.

"Was soll das denn?" Irritiert ging er zu seinen Kolleginnen in den Wintergarten des Heims rüber und sah die Heimleiterin anklagend an, die sich dort hinter den Abrechnungen verschanzt hatte.

Sie hob mit wie immer ein wenig zu besorgt gerunzelter Stirn die Schultern. "Die Gesellschaft hat uns allen neue Verträge geschickt. Nina aus der Küche meinte schon, dass die Aushilfen alle nur noch geringfügig arbeiten dürfen."

Kai rechnete die Summe um. Mit hochgezogenen Augenbrauen kam er dann zu einem erstaunlichen Ergebnis. "Dann kann ich nur noch ein Wochenende im Monat arbeiten. Kommt ihr denn damit hin? Das ist vielleicht blöd. Erst dürfen nur noch examinierte den Nachtdienst machen und jetzt kommt das auch noch dazu!"

"Ist das nicht verdreht? Wir müssen so sicherlich noch vier oder fünf neue Aushilfen einstellen. Sie wollen wohl die Sozialabgaben sparen. Und dann soll es gleich zum nächsten Ersten in Kraft treten. Haste die Kündigung schon gesehen?"

Wütend schlitzte Kai die anderen Briefe ebenfalls auf und fand tatsächlich neben einer Abrechnung vom alten Betreiber des Heims auch noch eine offizielle Kündigung wegen Übernahme vor. Er fand einen schleimig geschriebenen, ebenfalls sehr unpersönlichen Willkommensbrief der Firma und im letzten Umschlag eine Bitte um Beilegung seines neuen Immatrikulationsausweises und der Lohnsteuerkarte bei der neuen Personalstelle.

Die Heimleitung schüttelte den Kopf. "Vier Briefe aus ein und demselben Büro. Die sind doch echt bescheuert. Unsere Bewohner haben auch alle Post erhalten, weil natürlich jetzt der Wäschereidienst, der Getränkedienst und die Putzfrauen von einer anderen Stelle kommen werden."

"Das Geld reicht nicht... nie." Kai hatte gerade seine Mietkosten überschlagen und hob den Kopf. "Wenn das so ist, kündige ich."

"Kaichen..." Sie führte ihre Bitte nicht aus, sondern senkte den Kopf und seufzte. Endlich meinte sie "Ich kann verstehen, wenn du sauer bist, aber willst du nicht vielleicht noch einmal darüber nachdenken? Du kannst uns das ja auch kurzfristig mitteilen."

Kai nickte und ramschte die Briefe wütend in seine Jackentasche. "Ja. Ich schlafe darüber, aber wenn das so ist, brauche ich auf jeden Fall einen zweiten Job." Leons Stimme kam ihm wieder ins Gedächtnis und Kai verschränkte die Arme. Mit einem Mal, als sich abzeichnete, dass es die beste Lösung für sein Problem war, wollte er doch nicht so gern bei dem Mann arbeiten, der zum einen einschüchternd auf ihn wirkte und zum anderen mit seinem Freund Pascal geschlafen hatte. "Ich bin aber Montag trotzdem zum Spätdienst da, okay?"

Die Heimleitung nickte und lächelte dünn. Sie zog die Strickjacke enger um ihren Körper und blickte noch einmal zur Uhr hin. "Ich muss mich an die Abrechnungen machen. Viel zu tun durch die Übernahme. Bis Montag, Kai."

Durch seine Wut war Kai auf dem Rückweg so schnell, dass er die Wohnung in Rekordzeit erreicht hatte. Allerdings hatte er auch einen nassen Fuß, weil er in seiner Hektik die tiefe Pfütze an der Fußgängerampel nicht beachtet hatte wie sonst.

 

In der Wohnung traf Kai auf Hanno, alle anderen schienen noch immer ausgeflogen zu sein. Hanno hockte nicht sonderlich guter Laune auf der Eckbank und starrte in seinen Kaffeebecher. Er hatte Klamotten von Lolli an. Ein fast bauchfreies T-Shirt mit glitzernden Augenpaaren überall und eine Hüfthose, die recht knapp an Hanno klebte, nicht unbedingt zu seinem Nachteil, aber sicherlich zur schlechten Laune beitragend. Kai nahm sich das Telefon und warf Hanno einen unsicheren Blick zu. "Hat Lukas was erreicht?"

"Nee. Ich wollte nicht, dass er dort anruft." Hanno zog ein Bein an und stützte sein Kinn drauf, die Augenpaare auf seinem Shirt sahen Kai ein wenig misstrauisch und anklagend an.

"Oh. Tut mir leid. Die Idee war von mir, glaube ich."

"Schon okay. Die Idee war gut, ich bin schlecht." Hanno und alle Augenpaare vom Shirt blickten nur wenig dezent einladend auf den Stuhl ihm gegenüber. Unsicher wog Kai zwischen mit Jan telefonieren und mit Hanno sprechen ab und ergab sich dem Hundeblick von Carls Freund.

Die Türklingel aktivierte Hanno und Kai schlappte derweilen zur Küche und machte sich einen Carokaffee. Das Pulver hatte er sich im Altenheim abgefüllt, mit einem Mal vermisste er den Job, den er sonst so hasste. Seine neugierigen, rauchenden Kolleginnen, die gewohnten Handbewegungen, die schrecklichen Top-Ten der Volksmusik, der Geruch von Pampers und Desinfektionsmitteln vermischt mit Haarspray und Oil of Olaz. Seine Stimmung schlug von Wut zu Melancholie um. Die Visitenkarte von Leon kam ihm wieder ins Gedächtnis. Kai holte sie sich aus dem Zimmer, starrte drauf und fühlte sich mit einem Mal wie ein Verräter gegen die alten Leute, die ihm an Weihnachten so viel Schokolade zugesteckt hatten.

Benni tauchte in der Wohnungstür auf und sah sich um. "Wo sind denn die anderen hin?"

Hanno ließ sich wieder auf seinem Platz nieder und gähnte "Aus. Weiß nicht wohin."

Unsicher nahm Kai den ihm zuvor angebotenen Platz an und rührte schweigend in seiner Tasse. Er legte das Telefon links von seinem Becher ab und die Visitenkarte rechts. Während Benni in Lollis Zimmer rumorte, schwiegen Kai und Hanno sich eine Weile lang an und Kai wünschte sich Jans soziale Kompetenz, die sicherlich sofort zu einer Unterhaltung geführt hätte. Zu einer Unterhaltung, die Hanno aufgemuntert hätte, oder zumindest aufgeweckt.

Benni erlöste sie beide, indem er mit einem Teller restlichem Kartoffelauflauf zu ihnen kam und naiv nachfragte, wieso Hanno nun auch da sei, nach Lollis Klamotten wagte er nicht zu fragen. Dies löste eine langatmige und von Selbstzweifeln durchsetzte Rede von Hanno aus, der sich vorwarf, sein Leben nicht im Griff zu haben. Das kam Kai durchaus realistisch vor, aber er hielt lieber seine Klappe.

Er betrachtete stattdessen die Visitenkarte, ignorierte das Geblubber der beiden anderen im Hintergrund und fragte sich, wieso alles immer auf einmal passieren musste. Als Hanno endlich schwieg, hörte er zu seinem Entsetzen, wie er unbewusst laut sagte "Jans Eltern haben mich gefragt, ob ich mit ihm zusammenziehen will."

Benni hob die Brauen und fragte wie aus der Pistole geschossen. "Kann ich dein Zimmer haben?"

Kai zuckte zusammen und Hanno lachte auf. "Benni! Er will nicht, das sieht man doch!"

"Ich weiß nicht."

Verständnislos starrte Benni ihn an. "Wieso weißt du das nicht? Ich dachte, ihr seid total ineinander verknallt und euch einig. Wie kann man da noch unentschlossen sein?"

Kai hob den Kopf und schoss hitzig zurück "Ach, das sagt ja gerade der Richtige!"

Bennis Wangen färbten sich unschön mit hektischen Flecken, giftig konterte er "Du hast kein Recht, mir das vorzuwerfen! Würdest du noch was sagen, wenn es dein Schwarm mit einem anderen treibt, während du im Raum bist?! Scheiße!" Offenbar wütend warf er Messer und Gabel mit lautem Knall auf den Teller.

Hanno hob eine Augenbraue. "Hups."

Kai zog den Kopf ein, aber kam zu keiner Entschuldigung, weil die Türklingel schon wieder störte, oder vielmehr erlöste. Dieses Mal war es Lukas, der seine Schwester vorbei brachte. Sie wollte Lolli und Carl beim Verkleiden und Schminken helfen und brachte Perücken mit.

Kai spielte mit der Visitenkarte und fragte Lena spontan "Wie ist es, für Leon zu arbeiten?"

Sie lachte. "Lukas hasst ihn. Also spaßig."

Lukas warf seine Jacke in Kais Zimmer auf den Bürostuhl. "Ist dein Wachhund nicht da?"

"Der lernt. Was ist mit Leon?" hakte Kai nach und brachte das Telefon wieder zur Ladestation, um die Entscheidung und den Anruf aufzuschieben. Lukas trat unangenehm dicht zu Kai und umfing die Hand mit der Visitenkarte. "Bitte, arbeite nicht für das Arschloch, Kai. Tu mir das nicht an", raunte er dann so leise, dass nur Kai es hören konnte.

Unwillig wandte Kai sich fort. "Du kennst ihn? Wieso warst du denn dann gestern Nacht dort auf der Party?"

Lukas antwortete nicht, sondern starrte seine Schwester böse an. Lena grinste und erklärte für ihn "Er hat eine Wette verloren und musste einlösen bei mir." Sie rupfte zwei kreischbunte Fusselperücken aus dem Beutel und schüttelte sie ein wenig auf. "Außerdem, Lukel, die Sache mit Felix ist schon so lange her, dass..."

"Halt deine Klappe! Ich erzähl auch nicht von deinen ganzen Abtreibungen, du blöde Ziege!" Lukas brüllte sie so laut an, dass Kai die Ohren klingelten und er zurückzuckte.

Lena hob den Kopf und ging in eine schon fast bedrohliche Haltung. "Du Vollidiot!" schrie sie zurück und warf die Perücken nach ihm, traf aber Kai mit beiden, weil er sich schockgefroren nicht hatte rühren können.

Lolli und die Meiersche hätten keinen besseren Moment wählen können, um die Wohnung zu betreten. Natürlich bekam Lolli zunächst nichts von der Spannung im Raum mit, obwohl man sicherlich eine Kleinstadt mit Strom versorgen konnte, wenn man allein die Blitze aus Lenas Augen ableitete. Er sah lediglich die Perücken rumliegen und jubelte "Klasse, Dali! Ich bin so froh, dass wir dich noch erreicht haben!" Er umschlang sie mit seinen langen Armen und küsste sie tüchtig auf beide Wangen.

Carl hingegen hatte ein ausgezeichnetes Sonar für Atmosphären. Er lächelte unsicher in Richtung von Kai, dann Benni und mied Lukas mit Blicken, bevor er hastig in Lollis Zimmer huschte. Hanno folgte ihm wie ein getretener Hund mit gesenktem Kopf und einem ungemein mitleiderregenden, passenden Hundeblick als entsicherter Nahkampfwaffe.

Lukas umfasste Kais Hals mit einer Hand und ignorierte die anderen. "Ich bleib noch ein wenig bei dir, Engelchen."

Das beunruhigte Kai sehr und er hatte Recht mit der Unruhe. Lukas schob ihn in sein Zimmer und schloss die Stimmen der anderen resolut aus, indem er die Tür zuknallte. Erschrocken starrte Kai ihn an und ging unsicher zu seinem Schrank, nahm sich trockene Socken, weil ihm der nasse Fuß wieder zu Bewusstsein kam. Dann ließ er sich auf seinem Drehstuhl nieder und zog sich betont langsam um, mied Lukas mit Blicken.

Kapitel 64

Lukas zog die Schuhe aus, warf sich auf Kais Bett und betrachtete die Visitenkarte. "Leon hat mir meinen Freund ausgespannt. Einen Monat nachdem wir zusammen gezogen sind."

Fast hätte Kai geantwortet 'Na und? Ich bin ja zum Glück nicht mit dir zusammen', stattdessen machte er unbestimmt "Hm."

Lukas drehte sich auf die Seite. "Er ist Leon dann recht zügig nach München nachgereist. Ich hab ihn seitdem nie wieder gesehen. Ist Jahre her, aber irgendwie wohl immer noch nicht lange genug." Er seufzte. "Wenn Leon wieder hier ist..."

"Lukas, das hat nichts mit dir zu tun. Ich brauche einen zweiten Job und der schaut mir machbar aus, ist nicht schwulenfeindlich, wird gut bezahlt. Die Atmosphäre dort ist nett und ich kann mir die Arbeitszeiten frei wählen", zählte Kai auf und fügte an "Ich brauche den Job, weil ich im Altenheim auf geringfügig umgestellt werde."

Lukas gab einige unmenschlich klingende Geräusche von sich, dann meinte er "Ich geh mich mal bei Lena entschuldigen..."

"Ihr seid zusammengezogen, hast du gesagt?" Kai ließ sich neben Lukas auf dem Bett nieder, als ihm dieser Anteil von Lukas' Geschichte zu Bewusstsein kam. Jans Eltern und ihr merkwürdiges Angebot begannen wieder auf ihm zu lasten.

"Ja. In die Wohnung, die ich bis zu meinem Umzug neulich gehabt habe. Er hat mir hinterher einen langen Abschiedsbrief verfasst, in dem er auch geschrieben hat, dass er sich von mir dazu gezwungen gefühlt hat, und dass er sich gekauft vorkam, weil ich die Miete allein bezahlen wollte."

"Oh."

"So ein Unsinn! Leon hat ihm gleich nach drei Monaten ein Auto gekauft und die Wohnung hat er sicherlich auch bezahlt. Felix hat sich nur was vormachen wollen, ein Samariter war der kleine Wichser eh nie! Das war ja das Aufregende an ihm." Lukas streifte Kai mit einem Blick als wollte er sagen 'Genau wie bei dir'

"Aber irgendwie hat dich das ja mitgenommen", lenkte Kai hastig ab.

"Ja, hat es. Ich hab mich schuldig gefühlt. Wegen ihm hab ich es allen gesagt und hab ihm auch dauernd gesagt, dass ich nur seinetwegen stolz drauf bin. Dass ich dazu stehe, weil ich zu ihm stehen will. Vielleicht hat er sich davon unter Druck gesetzt gefühlt."

"So wie ich."

"Wie du? Was hat der Wauwau nun schon wieder angestellt?"

Die aggressive, beschützerische Note in Lukas' Stimme brachte Kai zum Grinsen. Er ließ sich nach hinten auf sein Bett fallen und stöhnte auf. "Nichts, das ist es ja! Seine Eltern wollen, dass wir zusammen ziehen."

"Seine Eltern? Das ist sehr ungewöhnlich. Meistens wollen die Eltern, dass man stirbt oder zur Frau wird. Zusammenziehen sollt ihr also. Daher deine Panik."

Kai musste lächeln. Lukas' Verständnis war in dem Augenblick so verdammt richtig. Es tat gut, dass jemand da war, der nicht bloß freudigen Jubel von Kai erwartete. "Ich glaube, dass sie mich als eine Art zweiten Sohn adoptieren wollen. Außerdem scheinen sie gerafft zu haben, dass Jans Klausuren im letzten Semester fast alle ich geschrieben habe."

"Du hast seine... wie geht das denn?" Lukas legte sich neben ihn und stützte sich auf. "Du machst illegale Sachen, Engelchen? Darf ich dich verhaften?"

Das Anschleichen in seiner Stimme jagte Kai einen kleinen bekannten Schauer über, aber er wandte sich halb ab und erwiderte wegwerfend. "Wir schreiben zu zweihundert Leuten in einem Hörsaal. Man muss nur schnell sein und die Bögen tauschen. Ist alles Ankreuzzeug und wer was abgibt wird nicht überprüft. Jedenfalls ist es bislang so gewesen. Leider muss Jan ja im Sommer beim Physikum beweisen, dass er es doch drauf hat."

"Er hat es drauf."

"Ja. Ich weiß." Kai seufzte ein wenig frustriert auf. "Ich bin ja selber sauer auf ihn deswegen. Er ist so helle und lernt so schnell wenn es sein muss, aber er hat einfach keinen Bock." Er grinste hilflos. "Die faule Sau. Und ich schleife ihn durch. Aber seine Eltern scheinen zu glauben, dass ich ihm Fleiß eintrichtern kann."

"Dann solltet ihr wirklich zusammen ziehen."

"Meinst du?"

"Ja. Da kann er dich besser bewachen, du kannst ihn besser schleifen. Das ist eine perfekte Ehe."

Kai verdrehte die Augen und murrte. "Geh bloß, dich bei deiner Schwester entschuldigen, du Blödmann." 'Ehe. Na klasse.' Sauer entriss Kai Lukas die Visitenkarte. Ihm war danach, irgendjemanden für seine Zweifel zu bestrafen. "Und misch dich nicht in meine Jobsuche ein! Ich rufe Leon besser gleich mal an."

Lukas stand auf und Kai folgte ihm, um sich das Telefon zu holen. Eigentlich wollte er ja lieber Jan anrufen, um ihn zu fragen, ob es in Ordnung wäre, wenn er für Leon arbeitete. Aber Lukas blieb neben ihm stehen und lehnte sich dichter zu Kai hin, um ihn mit einem herausfordernden Blick anzusehen.

Von Lukas und seiner eigenen Unsicherheit gereizt nahm Kai den Hörer mit zu viel Schwung von der Ladestation und wählte die Nummer auf der Karte, ohne weiter darüber nachzudenken. Leon ging nach zwei Klingelzeichen mit einem knappen "Pranitz" ran.

"Hier ist Kai. Ich rufe wegen des Jobs an."

Lukas schnaubte einmal und ging ohne anzuklopfen in Lollis Zimmer, von wo Lenas und Carls Stimmen fröhlich zu ihnen durchdrangen. Kai ärgerte sich über seine Voreiligkeit, aber Leon bestellte ihn für den Sonntagnachmittag in das Café, um ihn mit einer Henrike zusammen arbeiten zu lassen.

Mit ein wenig schlechtem Gewissen rief Kai noch einmal bei Jan an und sprach ihm auf den Anrufbeantworter, dass sie etwas bereden mussten. Gleich drauf wurde er vom Anblick von Carl und Lolli mit Kleidern und Perücken derart abgelenkt, dass er keinen ordentlichen Gedanken mehr fassen konnte.

 

Kai bekam erst nun mit, dass Lolli und Carl mit dem Auftritt von Lolita und Carla offensichtlich einen Auftritt im Kleid und Make-up gemeint hatten, auf einer Faschingsfeier offenbar. Carl sah wider Erwarten richtig nett aus im hellblauen Kleid mit passendem Hut, wie eine liebe Tante. Lolli konnte als scharf bezeichnet werden. Sein Minirock endete ähnlich dem von Lena und Tini am Vorabend knapp unter dem Hintern, seine langen Beine steckten in Netzstrumpfhosen.

Kai wurde zu Lolli ins Zimmer gelockt und musste sich zu Hanno auf das Sofa setzen, um die Kostüme zu bewerten. Benni murrte rum und verschwand, weil er sich zum Kino verabredet hatte. Er nahm vorsorglich Lollis Wohnungsschlüssel mit. Lukas zog sich lachend zurück und gab vor, dass er noch ein heißes Date mit einem Typen hätte. Auf Kais etwas ätzende Frage, ob es sich dabei um den Niedlichen vom Vorabend handeln würde, grinste Lukas nur und flüsterte ihm ins Ohr "Du hast so was von verpasst bei dem. Er hatte ein Zungenpiercing und wusste, wie man es damit macht."

Verärgert warf Kai Lukas eine der bunten Perücken an den Kopf und rief ihm hinterher "Dann geh doch zu deinem Piercingtypen und lass mich mit denen hier allein!", worauf er von Lena gesagt bekam, dass Lukas in Wirklichkeit bei einem gemeinsamen Freund noch eine Waschmaschine vom Keller in den dritten Stock schleppen sollte.

Der Abend wurde immer gefährlicher und wilder. Proseccoflaschen tauchten auf und wurden geleert. Kai wurde sehr geschickt betrunken gemacht und am Ende kicherten sie sich gegenseitig an und jeder musste mal ein Kleid anziehen. Kai hatte am Anfang natürlich noch abgewehrt. Nur tot wollte er in einem Fummel erwischt werden, aber nach einer halben Flasche Prosecco, die Lena ihm sehr begabt untergejubelt hatte, fand er sich von Lolli und Carl umringt und wurde in Lollis Zimmer geschleppt.

Kai wehrte sich mit Nachdruck und Begeisterung, aber nicht sonderlich viel Erfolg. Als der Prosecco alle war und sie längst dabei waren, die Filmdokumentation einer Modenschau zu sehen, sahen sie alle selber wie eine aus.

Carl trug ein weinrotes Kleid mit Glitzerblättern im Ausschnitt, Lolli einen Jeansmini und ein Ringeltop, das er vorn sogar mit zwei Paar Socken ausstaffiert hatte, und Kai hockte auf dem Fußboden und versuchte die Bänder und Haken auf der Rückseite der tannengrünen Korsage wieder zu öffnen, in die er gestopft und eingezurrt worden war. Die anderen hatten keinerlei Mitleid mit ihm. Lolli zupfte die Rüschen und Röschen zurecht und Lena war sogar dabei, ihn zum Schminkspiegel zu beordern, als es an der Tür klingelte.

Einzig Hanno, der die Tür öffnen ging, hatte seine normalen Sachen an und auch keine Perücke auf dem Kopf oder Schminke im Gesicht. Kai rief gerade um Hilfe und bewarf Lena mit dem Glitzerrock, den sie für ihn vorgesehen hatte, als Hanno ins Zimmer zurückkam, von Jan gefolgt.

"Jan! Hilf mir, bitte! Ich... " Kai kam nicht weiter, weil Lolli ihm den Mund zuhielt und rief "Jan! Sag ihm, dass er entzückend ist! Außerdem, vielleicht kannst du Kai überreden, mal das goldene Bauchtanzkostüm anzuziehen... ich glaube, dass er..." Jan bekam einen Lachanfall und sank gegen die Tür.

Beleidigt wartete Kai, bis er sich einigermaßen beruhigt hatte, dann zerrte er an seiner Hand. "Hilf mir endlich. Diese fiesen Säue haben mich eingeschnürt, ich krieg bald keine Luft mehr!"

Jan grinste. "Darf ich erst noch ein Foto machen?" Darauf flogen gleich drei Perücken in seine Richtung, während Lolli begeistert ausrief "Jan! Du bist so ein Schatz! Carl, wo hast du denn deine Kamera hingelegt! Huch... Lena, du musst uns noch mal hübsch machen, bevor wir uns knipsen lassen können. Ach, bin ich aufgeregt!" Er wedelte mit den Händen und Carl sprang ebenfalls fröhlich auf, um Jan seine Digitalkamera in die Hand zu drücken.

Kai quiekte voller Entsetzen auf und rannte im betrunkenen Zickzack aus dem Zimmer und zum Bad, wo er sich hastig einschloss und sich von der Atemnot durch die Korsage eingeengt im Kreis drehte, weil er es nicht allein schaffte, sich zu befreien.

Endlich steckte er vorsichtig den Kopf aus der Tür, aber lautes Lachen und Kichern aus Lollis Zimmer ließ ihn erneut zusammenzucken. Dann entdeckte er Hanno auf der Bank in der Essecke. "Hey! Kannst du mir mal eben helfen?!"

Hanno lachte auf. "Klar. Komm her."

"Nein! Komm du hier her, ich will nicht fotografiert werden, nicht so!"

Gutmütig trottete Hanno zu ihm ins Bad hinein und Kai schloss hastig ab.

Kai schwankte leicht und schloss die Augen. "Mir ist schon ganz schlecht vor Atemnot, hilf mir bitte." Er fiel auf den Toilettendeckel und seufzte: "Ich trinke nie wieder mit Lolli und Carl! Man sieht ja, was dabei rauskommt."

Hanno stand unschlüssig vor Kai und starrte auf ihn hinunter. "Dreh dich irgendwie, kannst du nicht stehen bleiben?"

"Ich schwanke so."

Mühsam beugte sich Hanno über Kai und zog an den Bändern. "Nee. Die gehen nicht auf, du hast sie so festgezerrt."

"Ich?! Ich bin vollkommen unschuldig!" Kai hielt sich am Waschbecken fest und zog sich hoch, um Hanno den Rücken zuzudrehen. Warmer Atem strich über seine nackten Schultern und Kai erschauderte und verschränkte die Arme. Gleich drauf spürte er Hannos Finger unter den Rand des Korsetts haken, um die ersten Ösen zu öffnen. "Unschuldig? Da hab ich anderes gehört, Kai", murmelte Hanno mit einem Mal leise und Kai erschrak.

"Was willst du damit sagen?" Kai warf einen Blick in den Spiegel, aber von Hanno war nur der Haarschopf zu sehen.

"Ich hab so gehört, dass du Lukas und Jan beide ganz gut am Zügel führst. Kannst dich nicht entscheiden, hm? Und was ist mit dem anderen Hübschen? Pascal?"

"Lukas ist mein Exfreund. Jan ist mein Freund. Pascal ist ein Schulfreund. Was auch immer wer auch immer erzählt hat, es ist nicht wahr!"

"Sei nicht beleidigt. Ich bewundere das. Du kannst sie dir aussuchen. Ist doch toll, wenn einem alle so hinterher sabbern." Eine Hand umfing Kais Nacken und drückte ihn ein wenig weiter in Richtung des Waschbeckens.

"Alle? Das ist nicht wahr und zudem bist du auch nicht so hässlich, oder?" Kai sah zurück, aber schnauzte dann "Können wir das bitte besprechen, wenn ich wieder atmen kann? Scheiße noch mal, ich bring Lolli echt um!"

"Ich? Ich bin ein kleiner Wichser, der es für Geld gemacht hat, vielleicht immer noch für Geld macht. Ich hab Carl lieb, aber er..."

"Ich will das jetzt nicht hören, okay?" Hannos Hände auf seinem Rücken begannen Kai allmählich zu reizen, auf eine gänzlich falsche Art. Wieso streichelte er beim Knotenöffnen nur so viel?

"Wann sonst? Der Knoten ist echt fest gezurrt. Halt bitte still, du machst es noch schwerer." Hannos eine Hand schob leicht an Kais Schulter und er senkte den Kopf. Gleich darauf ruckte es kurz und Kai bekam deutlich mehr Luft.

"Weißt du, ich glaube, dass du nie was hören oder sehen willst. Die Wahrheit ist nicht immer so schön und nett und sauber und ordentlich. Es gibt im Leben so verdammt viele graue und schmutzige Dinge, die auch richtig sein können. Aber du bist so sauber und immer da oben. Vielleicht höre ich es gern, dass auch du nicht ganz der Engel bist, von dem Lukas immer spricht."

Kai warf das Korsett von sich und rieb sich über den nackten Oberkörper, in den sich die Streben und Kanten eingedrückt hatten. "Du bist kein Wichser", sagte er dann fest und sah für einen kleinen Moment in Hannos Hundeaugen. "Bist du nicht. Du..." Weiter kam Kai nicht, weil Hanno ihn fest umarmte und küsste.

Hanno ließ ihn los, bevor Kai ihn von sich schieben konnte. "Danke, Kai." Er drehte sich gleich drauf einfach um und ließ Kai allein im Bad zurück.

Nachdenklich zog Kai sich am Waschbecken hoch und sah in den Spiegel. Die letzte Zeit in seinem Leben war nicht gerade ruhig verlaufen. Er gab es für sich zu, betrunken oder nicht, er wollte mit einem Mal zu Jan laufen und ihm sagen, dass er ihn wollte und niemanden sonst.

Kai brauchte nicht laufen. Noch während er in den Spiegel starrte, kam Jan zu ihm ins Bad und sah ihn fragend an. Er lächelte leicht und die goldenen Punkte lachten Kai noch immer ein bisschen für die Verkleidung aus. Kai grinste im Spiegel schwach zurück und meinte leise "Ich konnte mich nicht wehren, sie waren stärker und ich bin betrunken."

Jan nickte und schloss mit der einen Hand die Tür ab, mit der anderen schaltete er das Licht aus. "Du bist betrunken und ich bin scharf auf dich. Fast schade, dass Hanno dich gerettet hat. Wäre das nicht kinky gewesen, Sex im Korsett?" Kai erschauderte noch bevor Jan hinter ihm ankam und ihm die Finger von den Schultern zum Hals streichen ließ.

"Ich wäre an Atemnot gestorben." Nervös lachte Kai, aber das Lachen ging in leises Stöhnen über, als Jan mit recht kratzigem Kinn seinen Hals berührte. Seine Zunge huschte über Kais Ohrläppchen. Dann beugte Jan sich vor und küsste Kais Hals. "Ich möchte," Er strich Kai durch die Haare und lehnte sich an seinen Rücken, um ihn einmal auf das Ohr zu küssen. "dass du" Kai schloss die Augen und neigte den Kopf. "die Sache mit dem Zusammenziehen" Jans Finger strichen um die Schultern herum und kamen auf Kais Brust an, neckten die Brustwarzen entlang, ohne dort zu verweilen. "Vergiss Vergiss die Idee."

Kai hob den Kopf und blinzelte aus der genießerischen Trance geweckt. "Warum?" Unwillig ruckelnd spürte er, dass die wenigen Berührungen ihn trotz des Alkohols nicht wenig erregt hatten, Jan hielt ihn zu allem Übel auch noch gegen den Waschbeckenrand gepresst.

"Ich liebe dich, aber nicht so, nicht auf diese... spießige Art, Kai."

Mit einem leisen Seufzen senkte Kai den Kopf und erschrak, als Jan ihn leicht zurück zog und selbstverständlich seinen Hosenstall öffnete.

"Wir sind nicht spießig, Jan." Kai fasste hinter sich, um an Jans Jeansknöpfen entlangzutasten und sie einen nach dem anderen aufzuzerren. "Das können wir nicht werden, egal ob wir zusammen wohnen oder nicht." Er grinste. "Schau dir nur das Korsett an, das dort liegt!"

Jan grummelte etwas und zerrte stattdessen an Kais Hose, um sie auf und von seinen Hüften zu bekommen. Er hielt Kai den Mund zu und sagte leise "Die anderen sind abgelenkt, lass es uns hier tun."

Kai öffnete statt weiter zu diskutieren die kleine Schublade am Spiegelschrank, um nach dem Gleitgel zu tasten. Er umfing eine von Jans Händen und legte die Tube hinein. Dann lehnte er sich zurück und drehte den Kopf, um Jan küssen zu können und zugleich leise zu fragen "Hast du ein Gummi?"

Er spürte wie Jan nickte, aber erhielt keine Antwort, sondern wurde rückwärts zur Toilette gezerrt. Der Deckel war zu kalt an seinem Po und Kai ärgerte sich, dass er Lolli den Deckelbezug mit Rasenimitat und Gänseblümchen verboten hatte.

Jan grinste, während er ihn mit dem Kondom einpackte und gleich drauf rümpfte Kai die Nase. "Jan, das sind die mit Geschmack von..."

Jan unterbrach ihn mit einem Kuss, dann zog er sich die Hose aus, warf sie achtlos auf den Boden. Er nahm das Gel vom Waschbeckenrand, um es auf sich zu verteilen. Er war so routiniert und schaffte es, Kai zugleich in einen tiefen Zungenkuss zu verwickeln, dass Kai erschrak, als Jan kurz inne hielt, um sich auf ihm nieder zu lassen.

Sie schwiegen, warteten ab. Es ging nach Jans Tempo und er brauchte ein wenig, um sich zu gewöhnen. Zudem wollte er sich offensichtlich Zeit lassen, Kai lehnte den Kopf leicht zurück und atmete einmal tief aus, um sich besser zu fangen. Jan grinste und ließ sich schließlich mit seinem ganzen Gewicht auf Kai niedersinken.

Um in der Zwischenzeit etwas zu tun zu haben, zog Kai Jan das T-Shirt über den Kopf und küsste seinen Hals und die Brust entlang, seine Hände streichelten den kräftigen Rücken hinunter und umfingen den trainierten Hintern, um ihn ein wenig zu stützen. Die Muskeln am Po und den Oberschenkeln waren noch immer angespannt und Jan atmete flach, hatte die Augen geschlossen. Dann grinste er und flüsterte "Manchmal wünschte ich, du wärst überall so klein und schmal. Wir haben das zu lang nicht mehr gemacht."

Kai grinste. "Sag bloß, du denkst, ich hab einen zu großen."

"Nein, natürlich gerade richtig. Ich muss nur meinen Hintern davon überzeugen. Halt still!"

Zu Kais Glück hielt Jan gleich darauf selber nicht mehr still. Kai senkte den Blick und verdrängte Jans Finger, der sich selber gestreichelt hatte. Jan schloss die Augen und legte seine Hände auf Kais Schultern, überließ sich ihm. Schon bald presste er sein Gesicht an Kais Hals und atmete leise flüsternd an sein Ohr. Eine Gänsehaut überschauerte Kai, er festigte den Griff um Jans Hintern und beschleunigte sein Streicheln, auch wenn er es genoss, so mit seinem Freund zusammen zu sein. Er hatte das Glück, dass er die richtige Menge Alkohol getrunken hatte, um unempfindlicher zu sein. So konnte er Jans Höhepunkt sehen und spüren und es genießen, dass er seinen Freund festhalten musste, als er schlapp und zufrieden auf ihm niedersank. Kai erhielt sogar die Erlaubnis von Jan, weiter zu machen, bis er selber auch kam. Als sie sich nebeneinander am Waschbecken mit zu kaltem Wasser wuschen und angrinsten, flüsterte Kai "Ich will mit dir wohnen. Nur mit dir, Jan." Und er war sich mit einem Mal so sicher, dass er hinzufügte. "Ich will das, wenn du es willst. Sag mir einfach Bescheid."

Als Kai und Jan aus dem Bad kamen, waren Lolli, Carl und Hanno noch immer in Lollis Zimmer damit beschäftigt, die Kleider zu sortieren, unentschieden, welches für den großen Auftritt nun herhalten würde.

Kai warf Lolli das Korsett auf das Sofa und zog sich mit Jan in sein Zimmer zurück, um ihn zur Strafe für den guten Sex zu noch besserem Sex zu bringen. Jan war sogar seiner Meinung. Sie sprachen an dem Abend nicht mehr über das Thema Wohnung. Kai meinte sich sogar zu erinnern, dass sie gar keine ganzen Sätze und echten Worte mehr miteinander wechselten. Aber die wichtigen Worte hatten sie sich gesagt, jetzt blieb nur noch, gemeinsam den Worten auch die passenden Taten folgen zu lassen.

Als Kai am anderen Morgen wach wurde und sich im zerwühlten Bett aufsetzte machte ihm der Gedanke daran, in Zukunft neben Jan wach zu werden, an jedem Morgen, alles zu teilen, oder fast alles, keine Furcht mehr sondern Vorfreude, fast schon Sehnsucht.

Kai lehnte sich an das Kopfende seines Bettes an und lauschte Jans Stimme, der nebenan mit Lolli diskutierte. Er würde nicht irgendwann nur damit anfangen, mit Jan zusammen zu leben. Er wusste es in diesem Moment und nahm es sich fest vor, er würde nie wieder damit aufhören, mit ihm zusammen zu sein. Als Jan einen Moment später mit einem Becher Milchkaffee in der Hand um die Ecke blickte, grinste Kai seinen Freund dermaßen blöde an, dass Jan ihn verwundert fragte, ob alles okay sei.

Kaum stand der Becher auf dem Nachttisch, als Kai seinen Freund auch schon zu sich ins Bett zerrte. "Alles vollkommen okay. Natürlich. Besser geht es wirklich nicht."

Nachwort

Ende Trost

Fortsetzung folgt

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