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Trost 2
Kapitel 81-84
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 81
In der großen Disco mussten sie YMCA spielen, das Volk auf der Tanzfläche benahm sich jedenfalls ganz so, wie man es zu diesem Lied einfach tun musste. Mittendrin Lolli und die Meiersche, voller Begeisterung. Total peinlich.
"Scheiß Village People." Tini hatte eine Flasche Gingerale dabei und lehnte sich neben Kai an. "Bis eben war die Musik wirklich nicht schlecht. Keine Lust zum Feiern?"
Kai zuckte mit den Achseln und nahm einen Schluck Bier. Es schmeckte schal. "Und? Haste es endlich mit Holger getan?" Er ließ seinen Blick über die Tanzfläche schweifen und bemerkte, dass Carl sich doch tatsächlich mit einem total niedlichen Typen auf der Tanzfläche anschrie. Klein, dunkelblond mit Strähnchen, denen das Schwarzlicht nicht so gut stand, und sehr durchtrainiert. "Wie macht er das nur immer?"
Tini folgte seinem Blick und nutzte dies, um sich dichter an ihn heran zu lehnen. "Nein."
"Hm?" Kai entdeckte Pascal, der sich in der Nähe von einem recht kräftig gebauten Mann antanzen ließ und grinste. Immerhin war für Pascal wenigstens ein wenig Ablenkung da, vor dem war er eine Weile sicher.
Tini knuffte ihn kurz in die Seite. "Danke für die Aufmerksamkeit! Wenn du mich schon so was fragst! Nein, wir haben nicht!"
"Au! Und daran bin ich sicherlich nicht schuld." Unsicher streifte er ihr Gesicht mit einem Blick. "Oder?" Möglich war in diesem Zusammenhang alles.
"Keine Ahnung. Nein. Holger ist super, er ist romantisch, er ist toll gebaut..."
"... will ich wohl meinen."
"Hmhm. Er ist kräftig, aber kann super streicheln und küssen und... wir sind schon beim Petting angekommen, aber er geht nicht weiter. Ich hab den Verdacht, dass er auf eine Einladung wartet, und ich kann mich nicht lockermachen, obwohl mir nicht so richtig kalt wird mit ihm. Jedenfalls nicht so schlimm." Tini seufzte auf. "Gekommen bin ich leider nicht dabei. Vielleicht ist es das. Vielleicht denkt er, dass es mir keinen Spaß macht oder so. Vermutlich hab ich das Trauma überwunden, aber wie kann ich ihm denn sagen, dass ich... einfach mit ihm zusammen sein will? Gleich wie es ausgeht?"
"Eh. Hallo? Lass mich mit dem Scheiß in Frieden. Mach es einfach und fertig. Betrink dich dabei, hat ja mit mir supergeil geholfen... Gott, ich kann nicht glauben, dass wir diese Unterhaltung führen!"
Tini ließ den Kopf hängen. "Es einfach tun und abwarten was passiert geht nicht. Dafür hab ich zu viel Angst."
Kai hob die Schultern. Mit Blicken folgte er einem der GoGo Tänzer in goldfarbenen Shorts mit Cowboyhut, der in die Pause ging.
"Ihr Süßen! Wie wärs mit 'Holger, lieber Holger mein, wollen wir nicht mal 'richtig' zusammen sein?' Na?" Lollis Stimme durchschnitt Kais müden Gedanken, seine Gesten waren eindeutig und Tini wurde rot.
Kai starrte ihn wütend an. "Scheiße, Lolli! Seit wann ist das denn dein Problem?" Und wie hatte Lolli sich mit den Klamotten so gekonnt anschleichen können?
"Na, deins sollte es ja wohl wirklich nicht sein, oder?" Lolli zog seine roten Lackshorts zurecht und zuppelte das Netzteil, das er statt eines T-Shirts trug, über den Bauch herunter. "Heteros. Wie wärs, wenn du mal Kai damit in Ruhe lässt, Tini. Und uns auch. Ist ja nicht auszuhalten. Entweder ihr treibt es, oder ihr lasst es! Ich versteh nicht, was das Drama an dieser Stelle verloren hat."
"Halt die Klappe, Lolli! Du weißt doch überhaupt nicht, worum es geht, verdammt!" Kai starrte seinen ehemaligen Mitbewohner ein wenig wütend an, aber ließ Tini gleich auch am Ärger teilhaben. "Und du redest wirklich mal mit ihm, klar?! Du gehst mir auf den Zeiger!"
Tini umschlang ihre Knie mit den Armen und seufzte. "Ihr habt ja irgendwie recht. Aber es ist so viel leichter, mit dir zu reden, Kai, als mit Holger."
"Warum?"
"Weil es egal ist. Ich liebe dich nun mal, gleich, was du sagst. Zudem bist du immer ekelig zu mir. Ich hab mich dran gewöhnt. Bei Holger... ich fühl mich nicht so sicher mit ihm. Ich hab Angst vor seinem Urteil."
Lolli reckte sich ein wenig und verzog den Mund, den er gerade mit Lipgloss aufgefrischt hatte. "Uhm, urteile mal das! Deswegen bin ich eigentlich hierher."
Kai folgte seinem ausgestreckten Arm mit Blicken und entdeckte im Eingang Holger, der sich mit Lukas ausgerechnet unterhielt und sich umsah.
"Er ist hierher gekommen. In der Schwesternnacht, Liebes. Wenn das nicht mal ein Zeichen ist. Los, Tini, schnapp ihn dir, mach ihn alle, knutsch ihn willenlos, schleif ihn ins Bett, fessel ihn, wenn du das brauchst und dann..."
"Lolli!" Kai hielt Lolli hastig den Mund zu und Tini musste lachen.
Lolli wand sich frei und verkündete: „Aber tu es schnell, sonst mach ich das nämlich."
Tini lachte laut los, dann nickte sie, drückte Lolli ihre Flasche in die Hand. "Okay, du hast recht. Attacke." Sie beugte sich zu Kai und küsste ihn auf den Mundwinkel. "Wünsch mir Glück."
"Lass mich in Ruhe!" Kai wischte sich angeekelt den Lipgloss von Lolli von der Handfläche. "Bah. Was für ein doofer Abend!"
Lolli knutschte ihn lautstark auf die Wange und umschlang ihn mit einem Arm. "Komm, die Show ist von hier am allerschönsten zu sehen. Alles auf einen Blick. Lukas, der Pascal umgeht wie der Teufel das Weihwasser. Pascal, dem von sicherlich drei Männern schon aufgelauert wird, Carlchen, der es echt schon wieder nötig hat. Was haben Jan und du ihm ins Essen getan, Schatz?"
"Nichts. Er hat uns beim... dabei gesehen."
"Scharf. Das erklärt es. Wer lag unten? Jan?"
"Hm."
"Schär-fer." Lolli nippte von Tinis Flasche und blinzelte dann auf das Etikett. "Ekelig, was ist das denn?"
"Gingerale. Es war peinlich, mehr nicht."
Lolli hopste von der Bank hoch. "Na, da wär ich mir nicht so sicher. Ich geh mich gleich mal mit den Details eindecken. Tschüßileinchen."
Kai war allein und genoss für genau fünf Sekunden, dass er in Ruhe einen Schluck Bier trinken konnte, dann wurde er schon angegraben. Betont zickig ließ er den Typen abblitzen und sehnte sich nach Jans Händen, nach seinem Mund, nach seinem Bauch, den Beinen, nach dem geilen Hintern und seiner Bettstimme. Frustriert starrte er in seine Bierflasche. Hoffentlich wurde das nicht noch schlimmer.
Es wurde erst einmal besser. Von seinem Posten aus konnte Kai nämlich tatsächlich genauestens beobachten, wie Tini sich zu Holger und Lukas gesellte, wie Holger auf ihre Nähe reagierte und wie Lukas die zwei dann gnadenlos allein ließ. Allerdings um einem niedlichen Typen zu folgen, der ihm sehr lange in die Augen und danach noch länger in den Schritt geblickt hatte.
Holger fühlte sich im Stroboskop augenscheinlich nicht so wohl und Tini hatte wirklich vor, Attacke zu machen. Sie zupfte an ihrer Hüfthose und winkte schon bald ihren Abschied in Kais Richtung. Kai ließ die Bierflasche stehen und kämpfte sich zur Bar durch. Dort angekommen wurde ihm sein Drink von einem gar nicht mal so üblen Typen in Jeans ohne Hemd ausgegeben, aber er schüttelte nur den Kopf und verpieselte sich im Krebsgang in Richtung der Tanzfläche.
Dort, in der Tür, kam ihm Pascal entgegen. Allein. Da Passi ihn noch nicht entdeckt hatte, duckte Kai sich hastig und sehr unüberlegt durch den nächsten Durchgang davon und stand im Darkroom. Zur Schwesternnacht, bei der nicht nur Männer in der Disco zu finden waren, sondern gemischtes Publikum, war es nicht so wild hier. Dennoch knutschten hier und dort Pärchen oder mehr miteinander, nackte Oberkörper wurden von der düsteren Beleuchtung plastisch hervorgehoben und die Geräusche, durch dumpfe Bässe von nebenan übertüncht, ließen Kai erschaudern. 'Wäh. Nix für mich! Raus hier!' Er wandte sich um und prallte mit Pascal zusammen.
"Hups. Hast du dich auch verlaufen, Passi?" Kai blickte ihn forschend an, aber gleich drauf, Pascal war noch nicht zu einer Antwort gekommen, schob sich ein kräftiger Arm um seine Taille und ein dunkelhaariger Typ, vielleicht gar der, der ihn zuvor angetanzt hatte, lehnte sich über seine Schulter, um Kai anzulinsen.
"Oh. Viel Spaß dann auch." Genervt trat Kai einen Schritt zurück. 'Sexgeile Monster, alle zusammen.' Er schob sich hastig an den beiden vorbei.
"Na, Rotkäppchen? Vom Weg abgekommen?" Eine Hand legte sich zielgenau auf Kais Schritt und presste ihn gegen Lukas zurück.
Kai machte sich frei, bevor er sich noch begann, an Lukas zu reiben und zickte ihn extra giftig an "Nein, Lukas. Ich bin auf dem richtigen Weg. Dem Nachhauseweg. Scheiße! Wo haste denn Felix gelassen, hm?"
"Keine Ahnung, vielleicht vögelt der Leon oder wem auch immer das Hirn raus. Er war ziemlich geil, als ich ihn vorhin hab abblitzen lassen."
"Er wollte doch was von dir?!" Kai schob sich um Lukas' ebenfalls schon halbnackten Körper herum weiter vom Darkroom fort.
"Ja, aber er will nur Sex als Abreagiere. Darauf kann ich nicht. Nicht mit ihm. Zu viele Erinnerungen."
Pascal trat genau in diesem Moment zu ihnen. Er hatte den Typen vielleicht doch nur abschütteln wollen, sein Gesicht zeigte jedenfalls eher die Genervtheit, die auch Kai gerade fühlte. Er lehnte sich kurz gegen Kai, um ihm ins Ohr zu sagen. "Muss los. Wir sehen uns bestimmt bald mal, spätestens zu Lenas Party." Sie küssten sich kurz und Passi umwanderte Lukas mit präziser Ignoranz.
Kai schaltete erst, als Pascal schon fort war. "Scheiße, Lukas. Dachte der, dass wir über ihn geredet haben?!"
"Hm. Vielleicht. Brauchst du eine Eskorte, Kai? Ich fahre bald auch nach Hause. Ich muss Montag in Süddeutschland sein und dazu muss ich fit sein. Lehrgang ist angesagt."
"Nee. Carl und ich teilen uns nachher mit Lolli ein Taxi, vielleicht schaffen wir auch im Nachtsternverkehr die Sieben, die hält an der Kirche, von da ist es nicht weit zu laufen." Er verschränkte die Arme und ärgerte sich über den bescheuerten Discoabend. Er selber hatte irgendwie nur Psychologe spielen dürfen, während alle um ihn her versuchten, ihn in den Wahnsinn zu treiben.
Lukas raubte ihm gleich drauf den letzten Funken Stimmung. "Carl ist eben fort. Er hat eine alte Freundin getroffen oder so. Die wollten sich in einer stilleren Kneipe unterhalten. Als ich Felix verscheucht hab, habe ich ihn weggehen sehen, gleich bevor Tinis Holgi-Baby aufgetaucht ist."
"Alle lassen mich hängen, so ein Mist! Erst Tini, dann Passi und Carl auch noch. Und jetzt lässt du mich hängen! Ich will zu Jan, und zwar sofort!"
Lukas lachte und knutschte ihn auf die Wange. "Nix da. Wir gehen jetzt was trinken und dann tanzen wir mal 'ne richtige Runde. Die Bewegung tut dir sicherlich ganz gut. Komm. Ich pass auf dich auf. Du brauchst wirklich einen Wachwauwau, damit du dich amüsieren kannst."
Und tatsächlich ließ Lukas ihn nicht mehr entkommen. Erst wurde Kai mit einem Mischgetränk willenlos gemacht und später fand er sich dann mit Lukas mitten im Gewühl auf der Tanzfläche und er ertappte sich zu sehr später Stunde sogar dabei, zu YMCA die Arme hochzureißen.
Als er und Lukas vollkommen geschafft, noch recht zufriedenstellend angetrunken und zugleich müde gemeinsam mit Lolli aus dem Stroboskop wankten, traf Kai unverhofft auch noch auf Carl, der sich gerade von seiner Freundin verabschiedete.
"Kaichen! Das nenne ich timing. Und Lukas, du heißes Gerät. Komm her und gib deiner Tante Carla ein Küsschen."
Lukas grinste wie ein Haifisch und knutschte Carl ins Wachkoma. "So, mein Bärchen. Das war die Anzahlung für das Nachhause bringen von Kai. Leg ihn ins Bettchen und deck ihn gut zu. Dann darfst du ihm von mir auch einen Gutenachtkuss geben."
Carl kam noch zu Atem, aber schüttelte den Kopf. "Nein, ich hab Hunger. Jetzt wird erst noch einmal ein wenig Qualitätsessen gefrühstückt. Lass uns zu Mac D gehen. Der ist doch gleich um die Ecke und hat bestimmt auf."
"Carl hat recht, ich hab auch Hunger. Lolli?"
"Nee. Ich nehme mir ein Taxi. Vielleicht ist Jiffi endlich eingetroffen und wartet verzweifelt in der WG auf mich."
"Oder deine süße Saftschubse hat dich versetzt." Lukas legte den Arm um Lollis schmale Schultern und zog ihn mit sich. "Komm, essen gehen ist der Plan. Carl hat gesprochen!"
Und im recht vollen Fastfoodladen fanden sie einen guten Ecktisch, auf den sie sich dann mitsamt dem Essen und dem umgebenden Müll niederließen wie eine Horde Geier. Die Aussicht auf das Partyvolk im Laden und auf der Straße vor ihnen verschaffte genug Gesprächsstoff. Es wurde sicherlich noch eine gute Stunde, in der Kai und Lolli sich endlich in Planungen für die nächsten Ferien ergingen. "Wenn ich im LPP weiter so gut verdiene, dann kann ich mir den Urlaub trotz der großen Prüfung und der schweineteuren Bücher dafür leisten. Wegfahren. Das wär so schön."
Lukas schob seinen Pappbecher fort. "Wollt ihr nicht mal nach Spanien kommen? Wann ist denn die Prüfung?"
"Ende August, Anfang September irgendwann. Der Termin steht noch nicht offiziell fest, glaube ich."
"Dann fahren wir hinterher. Ist perfekt. Das Wasser ist warm, das Wetter ist gut, die Nächte nicht mehr so heiß. Mein Bruder hat die Wohnung in den Sommerferien immer. Danach ist perfekt. Los, komm schon Kai. Lolli ist dabei und Carlchen auch, nicht?"
Carl nickte ergeben. "Im September? Okay. Eine Woche kann ich bestimmt mal."
Kai nuckelte an seinem Milchshake. "Und Jan?"
"Nehm den Wauwau mit, keine Sorge."
Carl kicherte. "Ich bitte darum! Ihr seid eine Inspiration. Lukas, die Türen in der Wohnung kann man doch sicherlich auch ausbauen. Nur für den Fall, meine ich."
"Carl! Nun krieg dich endlich mal ein, verdammich!" Wütend und rot im Gesicht warf Kai mit einer Papierserviette und einigen Pommes nach ihm.
Lukas hatte gleich darauf und in Überschallgeschwindigkeit die Geschichte aus Lolli heraus, der sie erzählte und ausschmückte, als sei er selber dabei gewesen. Doch Lukas zeigte sich unbeeindruckt. "Na und? Wusste ich doch alles schon. Jan macht keine halben Sachen und Kai ist gut im Bett... kann ich so bestätigen."
Carl wischte sich die Stirn. "Lukas, hör auf, mich daran zu erinnern. Jetzt hab ich schon wieder so ein unerwünschtes Bild vor Augen. Dieser Besuch ist wirklich anstrengend. Jetzt sag du bloß noch, dass du bei Kai auch gern mal unten gelegen hast, dann ist mein Weltbild vollkommen hinüber."
Lukas schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf. "Nein und die Diskussion um Position ist jetzt vorbei, ihr Tanten!" Er stand auf und pflückte Kais und seinen Müll auf ein Tablett zusammen. "Ab ins Taxi und nach Haus, ihr drei."
Lolli gähnte und streckte sich ein wenig. "Du bist die Woche unterwegs, oder Lukel?"
"Hm. Lehrgang. Ich bin am Freitag sehr spät wieder da. Wir sehen uns auf Lenas Party am Samstag."
Mit schnellen Schritten verließ er sie und steckte sich vor dem Fenster im Gehen eine Zigarette an, bevor er in Richtung der Nachtbusse strebte.
Carl trat zu Kai und feixte. "Ach ja. Machoman liegt nicht unten. Ich vergaß. Lass uns ein Taxi nehmen, Kai. Ich bin ziemlich tot gefeiert."
Das Taxi bezahlte Carl allein und Kai bekam ein leises schlechtes Gewissen. Aber es war gegen Müdigkeit, Zufriedenheit und schmerzende Füße zu leise, um lange gehört zu werden.
Als sie in die Wohnung kamen, passierte zudem noch etwas sehr schönes. Jan stand im Flur, gerade damit befasst, seine verrauchten Klamotten von sich zu pellen. Er blieb mit nacktem Oberkörper und offener Jeans stehen und lächelte Kai entgegen.
"Wow, timing! Bitte sag, dass du auch duschen musst, Jan!"
Jan fasste Kais Hemdkragen und zerrte ihn zu einem Kuss heran. Carl schob sich an ihnen vorbei ins Bad. "Geht das schon wieder los. Knutscht nur, knutscht nur und fummelt hier draußen schon mal ein wenig. Ich bin gleich fertig, dann könnt ihr es die Nacht durch im Bad treiben." Ungeahnt agil umrundete Carl sie und schloss die Badezimmertür.
Als Kai viel später geduscht und zufrieden neben Jan im Bett lag und ihm über den Rücken streichelte, konnte er nicht anders, als den Abend als Erfolg zu werten. Zwar waren alle um ihn her verrückt. Tini, Pascal und sogar Carl, aber Lukas war mal wieder sehr vernünftig gewesen und er selber war affenartig glücklich. Obszön. Pascal hatte recht.
Kapitel 82
Der Sonntag verging in friedlichem Verschlafen. Am Nachmittag brachte Kai Jan sogar mit Versprechungen zum Aufräumen in der Wohnung dazu, vernünftig zu lernen. Carl hielt Wort und verschwand für einige Stunden mit Pascal zusammen zu der von ihm erwähnten Vernissage und später zu Lolli, um den zu trösten.
Jiffi war irgendwie nicht aufgetaucht, hatte nur eine eher knappe und unpersönliche SMS geschrieben, dass er sich melden würde, dass etwas dazwischen gekommen war.
Carl meinte später am Abend recht böse "Etwas. Eher jemand. Aber ich will nicht richten." Zur Vernissage ließ er nur verlauten, dass er es aus ästhetischen Gründen nicht mit seinem Gewissen vereinen könne, schwarz lackierte, auf ein Holzbrett genagelte Kondome in seine Wohnung zu hängen. "Und das, meine Liebchen, für über fünfhundert Mäuse! Reinste Verschwendung wirklich vernünftiger Präser."
Auf den fragenden Blick von Jan hin erklärte er ein wenig grummelig "War eine lesbische Kunstausstellung im Kulturzentrum. Wenn ich das geahnt hätte, wär ich nicht hin. Da kann Pascal noch so... niedlich sein. Zu seiner Verteidigung sei erwähnt: Eine Kollegin hatte ihn eingeladen und wohl nicht gesagt, worum es da geht."
Während Jan Carl daraufhin verwirrt zu der Kunstrichtung ausfragte, trollte Kai sich erschaudernd in sein Zimmer, um tatsächlich dreckige Wäsche zusammenzusuchen. Am Abend sahen sie noch einen Tatort an, aber Jan und Kai gähnten schon, bevor der Mörder sein Geständnis in spannender Inszenierung in dunklem Keller hatte vom Stapel lassen können. Sie drifteten alle nacheinander in die Betten. Kai war zu müde, um auch nur zu kuscheln und Jan las eines seiner komplizierten Bücher über Selbstfindung, während Kai schon am wegpennen war.
Die Woche blieb friedlich und nett. Carl fuhr früh los, nachdem er am Montag noch für das Frühstück gesorgt hatte. Hanno hatte ihm augenscheinlich nicht die Wohnung ausgeräumt und seine besorgten Nachfragen ergaben, dass Hanno bei einem Kollegen untergekommen war und sich eine neue Bleibe suchte.
Der Lebensrhythmus von Kai und Jan pendelte sich in dieser Woche sehr angenehm ein. Kai hätte sogar nie gedacht, dass sie so wenig und selten voneinander genervt sein würden. Morgens frühstückten sie tatsächlich nicht selten zur gleichen Zeit, aber fast ebenso oft an unterschiedlichen Orten. Kai nuckelte Milchkaffee auf einem Hocker am Tresen und besah sich die Klatschspalte und den Comic in Jans Tageszeitung. Jan war eher mit einem Joghurt oder Müsli an seinem PC zu finden. Kai musste sich im Bad hübsch machen und für Klamotten entscheiden und Jan packte seine Sporttasche oder telefonierte schon früh am Morgen bei Freunden und Teamkollegen rum, sodass sie erst im Auto auf dem Weg zur Uni miteinander redeten.
In der Uni trennten sich ihre Wege fast sofort. Nicht selten sahen Kai und Jan sich nach der einen oder anderen Vorlesung den restlichen Tag nicht mehr. Jan war dauernd bei irgendwelchem Sport und zudem in anderen Kursen als Kai. Das hätte er gern auch von Tini gesagt, die fast immer und überall neben ihm saß. Abends kam Jan an allen Wochentagen außer mittwochs erst nach zehn Uhr nach Hause, in der Regel vom Sport.
Die Arbeit im LPP machte Kai müde, wenn auch auf keine unangenehme Art. Wenn er keine Arbeit hatte, musste er für die Uni lernen, um bei der Stoffmasse, die auf sie einströmte, seinen guten Schnitt weiterhin halten zu können. Fast jeden Freitagnachmittag standen Klausuren an. Endtestate für Anatomie und Biochemie wurden bereits angekündigt und die Nachprüftermine festgelegt. Der steigende Druck drückte die Laune der meisten Studenten nicht, aber man sah weniger von ihnen am Donnerstagabend im LPP feiern.
Bianca samt ihrer Clique konnte sich mehr Party rausnehmen, weil sie schon überall durch waren. Das System nach Gesamtpunktzahl zu bestehen, war gerade für die guten Leute einfacher. Jetzt mussten sie zu den Klausuren gar nicht mehr erscheinen. In den meisten laufenden Kursen hatte Kai zwar schon die Gesamtpunktzahl für das Bestehen ebenfalls erreicht. Aber allein, weil er Jan noch durchschleifen musste, lernte Kai auch für die letzten Prüfungen.
Zu privaten Besuchen, zum Friseur oder zum Shoppen kam Kai ebenso wenig wie zu seinem Sportkurs. Freitagabend war er dann endlich in der WG bei Lolli, um sich die Wimpern färben zu lassen. Dort wurde er zu den neusten Flirts von Benni befragt und musste gestehen, dass er nicht im Leben gedacht hätte, dass Benni so schnell von Lolli lassen und sich anderen zuwenden würde. So vielen anderen.
Lolli wischte ihm unter den Augen lang und klemmte seine Zunge zwischen die Zähne, während er vorsichtig die Creme als Schutz auftrug. "Tja, meine Maus. Das ist mein heilsamer Einfluss. Schau dich an. Als du hier zum Zivildienst angefangen hast, war der einzige Hinweis, dass du ein vernünftiger Schwuler werden könntest der, dass dein Vater dich quasi mit der Grillzange verabschiedet hat. Und jetzt? Stylisch, zum Sterben süß und der Sex... mit dem du dich ja ach so schwer getan hattest... soll, so hab ich läuten hören, nicht übel sein."
"Ich hab mich nicht schwer getan! Ich will es nur nicht mit jedem tun. Fertig!" Kai schraubte gleich drauf an seiner Zickigkeit, damit Lolli ihn nicht mit halbgefärbten Wimpern sitzen ließ. Resigniert fügte er an "Glaub Carl nicht immer alles. Jan und ich passen einfach gut zusammen. Egal für was."
"Ich, meine Maus, hab meine Infos von Lukas. Den zu beeindrucken ist nicht so leicht, schätze ich mal."
"Er ist mir zu grob und ich ihm zu langweilig." In Gedanken fügte er an, dass Lukas quasi synonym für Sex war, in einer Mischung, die Kai selten gut bekam.
Lolli wiegte den Kopf, aber enthielt sich seiner Meinung. Unsicher blickte Kai ihn an, wurde angestupst und schloss die Augen wieder. "Sag mal, war er mit anderen im Bett, als er mit mir was anfangen wollte?"
"Nö. Dazu wart ihr nicht lange genug zusammen." Lolli schien zu überlegen. "Ich weiß natürlich nicht, ob er was im Subzero mitgenommen hat. Das ist sein Jagdrevier unter der Woche. Ich geh da nicht hin, zu duster und gothic am Wochenende und zu hart am Donnerstag. Und mittwochs geht gar nicht, ich kann diese Lesben mit Biobauernhof nicht so ab."
Kai lachte auf. Dann seufzte er "Siehst du, für mich war der Laden auch nix." Vor allen Dingen nicht, weil es dort dunkel war und intim, gleich was für ein Abend stattfand. Der ganze Laden war schwarz ausgestattet mit strategisch gestreuten, abwischbaren Sitzgelegenheiten und Kai mochte den Gedanken nicht, dass andere da vielleicht schon mal Sex hatten, wo er gerade nur sitzen wollte. Das Subzero hatte keinen Darkroom, der ganze Laden war ein Darkroom. "Lukas soll mal Pascal erlösen und gut ist."
"Na... die zwei haben doch überhaupt nicht klick gemacht, Kai. Das sieht eine blinde Kuh mit Krückstock im Nebel."
"Meinst du? Ich fand, dass die ganz gut zusammen aussahen." Im selben Augenblick erinnerte Kai sich an das Gefühl der Richtigkeit, wann immer Lukas ihn oder auch Felix im Arm hatte. An das Gefühl, dass etwas auf irgendwie unangenehme Art falsch war, wann immer Pascal Lukas umarmte. Er hob den Kopf. "Au weia. Du hast recht! Wenn ich es jetzt so überdenke..."
"Hmhm. Lukas weiß es, wir wissen es, am Nordpol wissen sie es sicherlich auch schon. Nur Pascal muss das noch mitbekommen." Lolli seufzte und wandte sich dem zweiten Auge zu, um geübt dran herum zu pinseln. "Aber ich kann das verstehen. Ich hatte mal eine Phase, in der ich total auf Lukas stand. Der Mann macht süchtig, ist echt so. Hat er bei mir prima mit Sex wegbekommen. Bei Pascal scheint das nicht hinzuhauen. Schade."
"Bei mir hat er es mit Sex wegbekommen, obwohl er das nicht wollte. Wir passen echt nicht gut. Ich bin froh, dass ich das schnell genug gesehen hab. Und er auch."
"Ja. Und ihr habt eingesehen, dass zwei Tops nicht zusammengehören?"
Kai grübelte darüber nach. Das Eindringen machte ihm nicht nur mehr Spaß, er fühlte sich auch sicherer in der Rolle. Er hatte mehr Kontrolle. Allerdings war Jan nie und nimmer passiv. Selbst wenn er unten lag, bestimmte Jan den Rhythmus und den Ablauf, wenn sie Sex hatten. Also sah Kai sich, besonders mit Jan, nicht so klassisch als der totale Top an.
Jan und er hatten mittlerweile aber auch ohne diese Kategorien herausgefunden, was gut für sie beide war. Kai war stolz darauf, dass er mit Jan schlafen und ihn dabei befriedigen konnte, sogar begeistern. Aber bei Jan würde es ihn nicht im Geringsten stören, wenn sie gar keinen Verkehr haben konnten, weil es ihm nicht gefiel.
Er schüttelte den Kopf. "Nein, das war es nicht. Außerdem geht es nicht nur um Sex, jedenfalls nicht bei mir. Ich bin mir sicher, dass Jan auch nicht nur darauf aus ist. Uns verbindet viel mehr, vom ersten Augenblick an. Lukas ist, so kann ich dich aber beruhigen, ein echt guter Freund geworden. Sogar Jan hat das mittlerweile akzeptiert." Nachdenklich blickte Kai auf seine Hände runter, als Lolli sein Gesicht freigab. "Und ich hätte nie gedacht, dass wir Freunde sein könnten, nachdem wir mal mehr waren."
"Mehr. Sex ist nicht mehr. Ich habe nie gefunden, dass Sex eine Freundschaft kaputtmachen kann."
"Ironischerweise haben aber die allermeisten Leute genau dieses Vorurteil. Da muss doch was dran sein."
"Für Heten vielleicht. Keine Ahnung. Ich wüsste das nicht. Bin mit vielen befreundet, mit denen ich geschlafen habe, und habe mit vielen geschlafen, mit denen ich nur befreundet bin." Lolli lächelte Kai an. "So. Jetzt musst du noch mal stillhalten, dann haben wir dich gleich im Handumdrehen fertig verzaubert, Maus."
Kai verdrehte kurz die Augen, aber hielt gnädig still.
Lolli seufzte schließlich zufrieden, drehte an seiner Eieruhr und steckte sich eine Zigarette an. "Und 'ich' bin froh, dass ihr jetzt so gut auskommt. Irgendwie hatte ich damals, als du so geschrien hast wegen ihm, ein echt schlechtes Gewissen."
Kritisch befand Kai, dass Lolli dieses 'echt schlechte Gewissen' ja mal hätte zeigen können. Aber es war im Grunde müßig, sich über Lolli aufzuregen. Er war, wie er war. Wuselig und oberflächlich und irgendwie trotzdem ein guter Freund oder auch eine gute Freundin. Jedenfalls war er als Kosmetiker ausgezeichnet. Kais Wimpern sahen klasse aus und Lolli nahm ihm dafür nie Geld ab. Als Kai ihn danach fragte, stupste Lolli ihm nur verspielt auf die Nase. "Dich diesen kleinen Hauch schöner zu machen, macht mich glücklich, Maus. So. Ich muss los zur Arbeit. Schieb ab. Bis morgen dann." Lolli küsste die Luft neben Kais Wangen und schubste ihn zur Tür raus.
Am Abend war Kai, wenn er nicht gerade Spätschicht im LPP arbeitete, fast immer der erste im Bett und nicht selten auch schon eingeschlafen, wenn Jan nach Hause kam. Lerngruppen, Training, Freunde treffen und natürlich Unisport bestritten Jans Tage und Abende. Es nervte Kai sogar manchmal, dass Holger seinen Freund häufiger zu Gesicht zu bekommen schien, als er selber. Und Sex fiel viel zu oft aus wegen Müdigkeit.
Als Lenas Party am Samstag dann anstand, hatte Kai noch immer kein Geschenk, hatte den Gedanken daran auch immer erfolgreich verdrängt und überlegte tatsächlich, ob er einfach blind in eine von Hannahs Kisten in ihrem Keller greifen sollte, um das Problem zu lösen. Er biss sich gerade in den Hintern, dass er vergessen hatte, Lolli danach zu fragen, als er von anderer Seite erlöst wurde. Und natürlich erhielt eine so ungewöhnliche Frau wie Lena auch kein normales Geschenk.
Carl rief am Samstag aus der WG an, wo er dankenswerterweise bei Lolli auf dem Sofa schlief, und teilte ihm mit, dass Lolli, Benni und er auch eingeladen seien und für einen Gutschein bei einem Tattooladen zusammenlegen wollten. "Der Dali, ja, sie ist mal wieder in der Phase, will sich doch dieses affenartig teure Riesenbild auf den Rücken machen lassen. Allein der Gedanke lässt mich schaudern. Aber gut, ihr Ding. Wir legen zusammen und holen den Gutschein gleich. Geben Jan und du was dazu?"
Kai sagte eine Beteiligung zu, erfuhr die Summe, die notwendig sein würde, und versprach seufzend, dass es okay sein würde. "Wann geht ihr hin? Wollen wir zusammen fahren oder gehen?"
"Ja. Kommt doch einfach gegen sieben hierher, dann kommen wir gleichzeitig an, ist mit dem Geschenk auch einfacher. Ihr könnt auf der Karte unterschreiben."
"Nee. Kommt ihr hierher. Von uns muss man nur den Weg am Stadtwald hochlaufen. Außerdem ist Pascal noch dabei und dem will ich nicht hinterher telefonieren."
Es war einen Herzschlag lang still, dann verkündete die Meiersche. "Wir kommen, aber sieh dich vor. Lolli und ich haben uns angefummelt, um dem Dali ein Ständchen zu bringen."
Als Kai das Jan erzählte, als dieser von einem Spiel noch vollkommen eingeschlammt und zerschrammt zurückkehrte, sagte der nur "Ach du Scheiße. Gut, dass ich hier der Vermieter bin."
Kai musste dem zustimmen. Gerade im Erdgeschoss, so hatte er festgestellt, wohnten nicht gerade die Vorführleute in Toleranz. Auf der linken Seite hatte ein Anwalt sein Büro, das war noch in Ordnung. Auch wenn der Typ gern mal meckerte, wenn der Vorgarten nicht repräsentativ genug wirkte, oder ein Pizzabringdienst auf dem Parkplatz für seine Kunden hielt.
Auf der rechten Seite wohnte ein älteres Ehepaar, die Kai schon einmal dabei gesehen hatte, wie sie mit dem Gärtner diskutierten. Die Frau überprüfte nervig genau, was die Putzfrau im Hausflur machte. Es gab wohl auch nicht wenig Ärger um irgendwelche Uhrzeiten für die Tiefgarage. Das war natürlich lächerlich. Aber Leon hatte Kai auf der Arbeit berichtet, dass er sich mit der 'Oma von rechts unten' in der Wolle gehabt hatte, weil er jede Nacht sehr spät heimkam. Offenbar hörten die in ihrem Schlafzimmer das elektrische Tor.
Er war außer mit Leon mit den anderen Nachbarn noch nicht so gut bekannt. Man sagte einen kurzen Gruß, wenn man sich vor den Briefkästen im Erdgeschoss begegnete. Die Sekretärin vom Anwalt mochte Kai, das wusste er. Denn immer, wenn er runter ging, um die Zeitung hochzuholen, weil er sie zum Frühstück lesen wollte, kam sie auch an die Briefkästen. Gleich zu welcher Uhrzeit. Sie schien auf ihn zu lauern.
Ihr freundliches, rundes Gesicht, von blonden, aufgeföhnten Haaren umgeben, erkannte er mittlerweile sogar beim Bäcker wieder, wo sie auch nicht selten war, wenn er dort für sich und Jan Brötchen holte. Jan wusste sogar ihren Namen und welchen Tee sie gern trank. Überhaupt konnte Jan mit so ziemlich jedem sofort ein Gespräch auf der richtigen Ebene beginnen. Bewundernswert. Die Nachbarn im ersten Stock und im zweiten Stock kannte Kai gar nicht. Er wusste die Namen, weil sie unten auf den Briefkästen standen, er wusste von dem einen, dass er einen violetten Golf fuhr, aber nicht mal, in welcher Wohnung der Typ wohnte.
Jan kannte sie allerdings alle. Er wusste genau, wer wo wohnte und wer welche Art Macke hatte und wer mit wem nicht gut auskam. Und er hatte mit ihnen allen bereits häufiger gesprochen, hatte ihnen noch vor dem Umzug von Kai erzählt, dass er mit einem Mann zusammenwohnen würde. Er hatte, typisch für Jan, auch jedem gesagt, dass er eine Kündigung des Mietverhältnisses sehr gern entgegen nahm, wenn jemand damit ein Problem hatte.
Jan war extra heftig gewesen. So sehr, dass sein Vater wohl von den alten Herrschaften rechts unten angerufen worden war. Aber Lasse stand sehr offensichtlich hinter seinem Sohn und hatte die richtige Mischung beruhigender Worte und festem Tadel für Engstirnigkeit angewendet. Jan wurde von dem Tag an genau wie Kai mit zusammengezogenen Brauen gegrüßt und zum Glück ignoriert.
Aber die Leute waren derzeit auch im Urlaub und daher ruhiggestellt. Und das war wirklich gut so. Lolli, die Meiersche und Benni kamen in den gewagteren von Lollis Kostümierungen angefummelt, grell geschminkt und mit Haarteilen beladen mit Lukas in dessen Bulli. Lukas stellte den Bulli auf dem Parkplatz des Anwalts ab, der zum Glück in der Regel am Wochenende nicht da war. Eine rosafarbene Flasche Prosecco in ihrer Mitte kicherten sie sich dann in die dritte Etage hoch, sodass Kai nervös ins Treppenhaus runter blickte, wo zum Glück keiner der Nachbarn sich aufhielt.
Lolli und die Meiersche waren in diesem Zustand und samt ihrer sehr präsenten Alkoholisierung offenbar schon im Tattooladen gewesen und hatten sich und alle dort mit ihren Handys geknipst. Jeder hatte sich ein schönes Bild ausgesucht, natürlich nur virtuell, und insgesamt hatten sie vermutlich jeden dort in den Wahnsinn getrieben. Die Stimmung war exorbitant gut und damit fast unerträglich. Sie überfielen Kai und Jan außerdem bereits gegen halb sieben am Abend. Viel früher als geplant. Jan duschte noch und musste eine ekelige Schramme am Schienenbein verpflastern.
Kai war noch nicht fertig angezogen, eigentlich noch nicht einmal zur Entscheidung über die Wahl der Kleidung gekommen. Somit übernahm Lolli die Rolle der Gastgeberin, weil Jan sich nicht um den Besuch kümmern wollte, sondern noch in Ruhe rasieren und Kai sich in Ruhe noch vier oder fünf Mal umentschied, was die Klamotten anging. Kai stellte fest, dass sie wirklich einen Esstisch brauchen würden. Ihr Besuch ließ sich auf den Hockern am Tresen nieder und verwüstete die Küche. Er nahm sich ein wenig peinlich berührt vor, sich extra nüchtern anzuziehen, um nicht mit dem albern verkleideten Haufen in einen Topf geworfen zu werden.
Lukas war dankenswerterweise ebenfalls sehr sexy, aber nicht übertrieben gekleidet. Er trug eine enge schwarze Hose und sein schimmerndes schwarzes Hemd zeigte den kleinen Teufel eben gerade im Ausschnitt, als er zu Kai und Jan ins Badezimmer trat, um seine Haare von Glitzer und die Augen von falschen Wimpern zu befreien. "Lolli", verteidigte er sich, als Jan ihn mit hochgezogenen Brauen anblickte. Er beugte sich neben Jan an den Spiegel heran und Kai verschränkte die Arme. Die zwei Männer, mit denen er im Bett gewesen war, in einem Zimmer zusammen zu sehen, fiel Kai noch immer nicht wirklich leicht. Hastig flüchtete er in das Schlafzimmer von Jan.
Jan war noch mit Rasieren beschäftigt und Lukas folgte Kai. Ganz die Raubkatze auf der Pirsch mit gefährlichen Bewegungen. Neugierig blickte er sich um und erschauderte merklich bei dem Anblick der Möbel. "Hm. Ehebett?" Er schaute den Flur hinunter. "Ja, man kann gut auf das Bett schauen, Carlchen hat nicht übertrieben." Leger ließ Lukas sich auf Kais Seite fallen und streckte den kräftigen Körper durch, dekorierte sich optimal zurecht, während er Kai vor dem Schrank beobachtete.
Aber er war um Kai besorgt, wenn auch nur hier, wo sie allein waren. Seine dunklen Augen blickten forschend im Zimmer umher. "Ihr kommt gut klar, ihr zwei?"
"Hm." Kai wägte ein grünes gegen ein beiges enges Hemd ab und hielt sie Lukas hin.
"Das schwarze, das du zur Seite geschoben hast."
"Das ist zu knapp. Ist mir eingelaufen in der doofen neuen Maschine."
"Eben drum."
"Nee. Das gibt mein Körper sicherlich nicht her."
Lukas setzte sich auf. "Unsinn. Wo ist denn deine silberfarbene Hose? Die ist geil."
"Die Hose geht nicht. Ich will nicht so auftragen. Das machen Lolli und Carl schon reichlich. Ich kann nicht glauben, dass sie in 'den' Kleidern zur Feier wollen." Kai zog sich das beige Hemd über den Kopf und Jan tauchte noch immer ohne Hemd auf, um in seinem Schrank zu wühlen.
Lukas starrte ihn ebenso ungeniert an wie Kai und meinte endlich anerkennend. "Dein Körper ist scharf, Kai. Versteck dich nicht immer. Und wo wir von Körpern sprechen... das ganze Fußballgerenne scheint sich zu lohnen. Schaust echt fit aus, Wauwau."
Jans Schultern waren ein wenig steifer als sonst, aber er nickte nur leicht. Ihn interessierten Komplimente nicht, von Lukas erst recht nicht, aber er fühlte sich auch nicht mehr angemacht von Lukas' Sprüchen. Kai hingegen freute sich insgeheim, dass Lukas ihm so nett widersprochen hatte. Die Abteilung für schwule Komplimente verbuchte für Lukas mal wieder zehn Gummipunkte extra, weil er den Ausdruck scharf verwendet hatte. Nachdenklich überlegte Kai, ob das schwarze Teil nicht doch noch okay sein mochte. Die Türklingel unterbrach ihn in diesem Gedanken. Unpassend spät fiel Kai ein, wer da vermutlich klingelte. "Scheiße, das hätte ich fast vergessen. Lukas, Passi kommt auch hierher. Er pennt hier heute Nacht."
Jan ging aus dem Schlafzimmer durch den Flur davon, noch dabei, sich ein schwarzes T-Shirt von einem Konzert mit Bandnamen vorn überzuziehen. Die Jeans, die er gewählt hatte, war dieselbe, die er den Tag davor in der Uni getragen hatte. Es war Kai schleierhaft, wie es Jan so egal sein konnte, was er für Klamotten anhatte. Sehr wahrscheinlich würde Jan sogar die alten Turnschuhe wieder anziehen, obwohl sie beim Shoppen neulich sehr schöne, neue gekauft hatten.
Lukas blickte Jan hinterher und lächelte. "Engelchen. Pascal wird sich schon einkriegen. Keine Sorge. Es ist besser so. Je mehr wir uns sehen, desto früher hört er mit dem Dackelblick auf und kommt klar, ohne mir immer ein Drama zu machen." Energiegeladen sprang er auf. "Heißt nicht, dass ich hier lange mit ihm rumhängen will. Auf geht’s, beeil dich mal!"
Lukas kam im Flur an, als Pascal an Jan vorbei durch die Tür trat. Die anderen, die sich nach dem Neuzugang umsehen wollten, kamen vom Wohnzimmer auf der anderen Seite und man konnte Lolli und Carl direkt "Uhoh" denken hören während sie grell geschminkt und mit ihren schimmernden Kleidern, Fächern, Boas und Glitzer bewaffnet von einem zum anderen hin und her schauten, als sei das ein Tennismatch.
Jan ignorierte die Atmosphäre. Er führte den von der Kostümierung der anderen abgelenkten Pascal selbstverständlich zu Kais Zimmer und nahm die Tasche, die Pascal in der Tür abgestellt hatte. "Du pennst bei Kai im Zimmer. Ich stell deine Tasche rein. Bett ist schon fertig. Kai, willst du die Wohnung zeigen?" Dann schnappte er die Blicke der anderen auf und knurrte "Was? Ich ziehe mich nicht um, nur dass das klar ist."
Unbewusst rettete er damit die Stimmung. Die Tuntenmannschaft fiel sofort über Jan her und zerrte ihn grölend ins Wohnzimmer mit Versprechungen von Alkohol und Geld, um ihn zu irgendwas zu überreden. Nur Kai sah noch aus dem Augenwinkel, dass Lukas Pascal in sein Zimmer schob und die Tür schloss.
Sie brachen gleich darauf auf und Kai konnte weder Lukas noch Pascal etwas ansehen. Die beiden wirkten nicht unbedingt extrem glücklich. Aber Pascal kam natürlich und nicht aufgesetzt oder hysterisch vertuschend rüber, als er sich entschuldigte, dass er zu spät dran war und als er auf der kurzen Fahrt im Bulli erzählte, was so in seiner Woche passiert war.
So lieb Kai Passi hatte, er musste Lukas insgeheim recht geben. Pascals Erzählungen hatten einen gewissen geheimen Gähnfaktor an sich. Zu ihrem Glück begann gleich nach der Wohnungstür von dem Loft, das Lena sich mit irgendwelchen anderen Musikverrückten teilte, der interessante Teil des Abends.
Kapitel 83
Lena lebte in einer WG mit vier anderen in einem Loft am Rande des Gewerbegebietes. Das Gebäude war einmal die Heimat einer kleinen Druckerei gewesen. Nach vorn raus lag der riesenhafte Druckraum, in den man nach einem kleinen Flur mit zwei Türen zu Toiletten für Männlein und Weiblein direkt eintrat. Von diesem Raum gingen fünf Zimmer ab, die alle mit Fenstern mit Blick auf den großen Raum versehen waren. Die Fenster ließen sich teils per Rollo oder Gardinen abschotten, aber an diesem Abend waren alle Türen und Fenster der privaten Zimmer offen. Einzig das Bad in der hinteren Ecke war verschlossen.
Ein bereits etwas übermäßig froher Typ erklärte ihnen gleich. "Pinkeln ist vorn. Das Bad ist tabu, da haben wir die Katze hineingerettet, damit das arme Vieh nicht komplett verrückt wird. Werft eure Jacken in den ersten Raum hier vorne auf das Bett oder so."
Im Schlafzimmer, wo die Jacken gelagert wurden, trafen sie auf Tini, die sich gerade aus ihrem roten Mantel schälte und Kai freudig umarmte. Lolita, Carla und Benni umwuselten sie ebenfalls begeistert. Mit einem Grinsen sah Kai, dass Jan ihr nur knapp zunickte. Die beiden hatten noch immer so ihre Meinungsverschiedenheiten.
Es waren bereits erstaunlich viele Leute da, obwohl es gerade mal acht Uhr sein mochte. Insbesondere waren viele, die was von Musik verstanden, schon mit der Durchsicht der Auswahl CDs und Platten von Lena beschäftigt. Der Schwerpunkt Musik war unschwer zu erkennen an der technischen Ausstattung der Party mit einigen Plattentellern, einer teuren Musikanlage und sogar Discobeleuchtung. Eine Gruppe Partyleute, die Lena von irgendwoher kannten und dann noch etliche Freunde aus ihrem Studium oder Freunde ihrer Mitbewohner waren bereits in den Zimmern oder dem großen Wohnraum versammelt. Es war lustig zu sehen, wie einige normalgekleidete Mädchen aus Lenas Seminargruppen sich unsicher an ihren Gläsern festhielten, die buntgemischte Menge misstrauisch im Blick behielten und bei Lollis und Carlas Ankunft tellergroße Augen bekamen.
Lena selber war ganz eindeutig im Dalimodus. Ihre wasserstoffhellen Haare waren straff zurückgekämmt und fest hochgesteckt. Sie trug eine weite Anzughose, Stiefel mit Stahlkappen und eine sehr knappe weiße Weste auf bloßer Haut. Die Weste ließ den Rücken frei und Kai erinnerte sich, dass sie sich diesen also tätowieren lassen wollte.
Er wurde ausgewählt, um die Karte und das Geschenk zu überreichen. Benni, in einem dunklen, oberpeinlichen Schlaghosenanzug mit Glitzerblumen auf den Beinen, knipste reichlich Fotos, während Kai von Lena auf den Mund geküsst wurde.
Er unterdrückte das Gefühl, sich den Mund abwischen zu müssen und sah zu seiner Freude, dass Lena hinterher auch alle anderen auf den Mund küsste. Auch Pascal. Nur Jan erwischte sie nicht. Tini gab sie dafür einen tüchtigen Zungenkuss. Im nächsten Augenblick wirbelte Lukas' Schwester schon weiter, die Musik wogte um sie her lauter auf und zog sie in ihren Bann. Im vorderen Teil der Wohnung war die Technik aufgestellt und es war entsprechend laut hier. Fast lauter als in einer Disco. Weiter hinten war eine Bar eingerichtet und dort konnte man augenscheinlich reden. Jan war dorthin verschwunden, hastig nahm Kai die Verfolgung auf.
Er fand ihn in der Küche, nun Bar voller Alkoholika und Wannen mit Eis, und bekam von Jan eine blonde Tussi vom Sport vorgestellt, die ihn nicht interessierte und deren Namen er gleich wieder vergaß, und ein Mischgetränk in die Hand gedrückt. Es gab außer Chips nichts zu essen, dafür reichlich Alkohol. Kai drehte sich zur Küchenzeile um, auch hier wirkte alles industriell, als hätte gestern noch die Druckerei hier gestanden.
Natürlich tauchte Jan gleich in eine Gruppe Jungs und Mädchen ein, die er vom Sport kannte. Die Gruppe teilte und verteilte sich nach uralten Naturgesetzen neu, sodass Jan drinnen war, ein Mädchen im Arm hatte, mit zwei Jungs redete. Kai war draußen. Er nippte grätzig an seinem Glas, es war Wodka-Lemon, wenn er das richtig schmeckte. Dann sah er Lena und entdeckte Pascal bei den Getränken. Sofort schnappte Kai seinen Freund am Handgelenk und schleppte ihn zu Lukas' Schwester, um sein Versprechen, die zwei einander vorzustellen, einmal zu erfüllen.
Pascal war von Lena zwar schon abgeknutscht worden, aber tatsächlich hatte sie niemand einander vorgestellt. Mit einem schüchternen Lächeln reichte Pascal ihr die Hand und musste sich einmal umarmen und drücken lassen. Lena betrachtete ihn nervend direkt. Sie wippte mit dem Rhythmus der Musik und musterte Pascal derart kritisch, dass Kai schon wieder genervt war. "Hm." Sie trank einen Schluck Bier und umwanderte Pascal, der sie verwundert und Kai ein wenig sauer ansah. "Nee, Kai. Das wird nix. Nicht in hundert Jahren. Aber viel Glück. Lukas wollte sich volllaufen lassen, also gibt es immerhin geringe Chancen." Nach diesem Tiefschlag tanzte sie davon und Kai starrte ihr wütend hinterher.
Pascal ließ Kai wortlos stehen. Verärgert versuchte er daher noch einmal, in die Gruppe um Jan zu kommen. Die Unternehmung war schwierig, weil er sich nicht zwischen Mädchen drängeln wollte, nicht neben einem ihm unsympathischen Typen stehen und es auch nicht wagte, sich eine Lücke zu schaffen. Neben Jan quetschen wollte er sich auch nicht, weil er seinen Freund nicht nerven wollte. Es erwies sich als zu kompliziert und Kai wollte gerade aufgeben und ging von der Bar weg, als Jan sich doch noch einmal an ihn erinnerte.
Kai wurde an der Hose gepackt und rückwärts gegen die Wand neben der Bar gezogen. Jan umfing ihn mit einem Arm. Seine Hand schob sich streichelnd über Kais Bauch und Brust bis auf seinen Hals, um seinen Kopf zu drehen. "Hey. Bevor die Party entartet, wollte ich dich noch mal schnell küssen. Nicht, dass du nachher wieder schmollst, weil ich nicht genug für dich da war oder so."
Kai drehte sich halb zu ihm um und blickte flehend in seine Augen. "Sagst du mir Bescheid, wenn du gehen willst? Ich bin nicht wirklich in der Stimmung für so viel Lärm."
Jans Finger fuhren über seine Wange hinauf und sie küssten sich nebensächlich, bevor Jan grinsend erwiderte "Nein. Diese Party ist geil. Ich erlöse dich nicht so schnell. Aber wir gehen zusammen heim. Pascal kann ja einen Schlüssel von uns mitnehmen, wenn er dann noch bleiben will." Jan blickte über Kais Schulter in den Raum. "Hey, das ist doch die Melanie dahinten. Was macht die denn hier? Wir sehen uns später, ja?" Und fort war Jan schon wieder, stürzte sich in das Gewusel wild angezogener und ein wenig schockierter Partygäste und Kai sah und hörte die nächsten zwei Stunden nichts mehr von ihm.
Pascal verschwand im Endeffekt mit Benni an der Bar, wo die beiden über Kameras fachsimpelten. Kai wollte sich eigentlich mit Pascal unterhalten, der ihn aber abblockte. Er verließ die zwei schnell, weil er das Thema total langweilig fand. Lukas war auf eine Reihe seiner Freunde getroffen, die Kai alle vom Sehen, aber meistens nicht einmal dem Namen nach kannte. Sie waren in der Regel schon ein wenig älter, die meisten schienen permanent auf der Suche nach einem Mann zu sein.
Kai wunderte sich, dass so viele solo waren, aber andererseits musste er für sich zugeben, mit denen würde er es auch nicht sonderlich lang aushalten. Er stellte sich kurz dazu, aber fand die Themen der Unterhaltung uninteressant oder sogar unangenehm. Man tratschte missgünstig über Männer, wer mit wem. Man verglich Wohnungen und tauschte sich über Klamotten, Autos, den letzten Mann, den nächsten Mann und die neusten Kinofilme aus. Lukas flirtete sich nebenbei durch die anwesenden gutaussehenden Männer, schien aufgekratzt und in wilder Stimmung zu sein.
Carl und Lolli führten ein wenig später tatsächlich etwas vor. Sie sangen wieder einige Lieder und machten ein paar sehr peinliche Sprüche. Lollis Glitzermini betonte jede seiner ausladenden Bewegungen und Carl war als Tante Carla im kleinen Roten sehr betulich dabei. Kai schämte sich ein wenig und verzog sich sogar in das Männerklo, um dem Gefühl zu entgehen. Doch der Stimmung tat es keinerlei Abbruch und die Musik wurde, von unterschiedlichen DJ-Kollegen von Lena beeinflusst, immer besser. Oder lag es an den Getränken?
Der ganze Wohnraum war eine Tanzfläche geworden. In einer Ecke gleich beim Eingang besonders. Dort waren die mannshohen Boxen so aufgestellt, dass man dazwischen die Vibration vom Bass auf der Haut genießen konnte. Es stellte auf dem Weg zum Klo Kais Nackenhaare auf und machte ein Kribbeln im Bauch, das er nicht wirklich angenehm fand. Auf den massiven Metalltischen, die ringsum noch von der Druckerei übergeblieben waren, tanzten die Leute wild ausgelassen. Partyleute. Lustig und sehr sexy gekleidet.
Mit schrillen, bauchfreien Hemdchen, engen Hosen und von Tattoos und Piercings nur so überzogen. Es war fast wie im Stroboskop samt Lolli, Carl und zwei anderen Dragqueens sowie einigen GoGo Mädchen und Jungs. Es steckte an. Jedenfalls fand Kai sich schon bald mit einer Partygruppe samt Lukas und Lolli tanzend wieder. Kuschel- und Sexgen mussten als Mauerblümchen zusehen, während sein Partygen vollends auflebte.
Anders als im Stroboskop wurde Kai nicht angebaggert oder betatscht. Und anders als in Heterodiscos oder auf Unipartys, wo Kai nicht mit anderen Männern flirten durfte, konnte er sich hier voll und ganz an Lukas wenden. Der war in Bestform. Er flirtete mit Kai im Arm um sich her, ohne groß was dabei zu tun oder es in irgendwelche Richtungen ernst zu meinen. Fast war es, als wollte er Kai verwenden, um von seiner Seite aus unbeschadet andere abzuchecken, was Kai selbst ganz angenehm war, denn so stand er nicht allein im Zentrum des Interesses. Lukas umarmte ihn fest und sagte etwas an sein Ohr, das Kai nicht verstand, weil sie zwischen die Boxen geraten waren. Sie sahen sich an und mussten mit Zeichen kommunizieren und lachten.
Lukas wuschelte ihm einmal grob durch die Haare und küsste ihn auf die Schläfe. Und irgendwas daran war falsch, oder? Es war kein verdientes schlechtes Gewissen, denn sie taten nichts, das Jan störte. Der hing nämlich mit einigen Jungs und Mädchen an der Bar rum und blickte hin und wieder über sein Bier hinweg zu Kai und lächelte ihm zu. Vermutlich war Jan froh, dass Kai sich doch amüsierte und ihn nicht so schnell nach Hause zerren wollte.
Kai war erleichtert, dass Jan ihm vertraute, auch in Lukas' Armen vertraute. Auch und gerade, wenn Lukas mal wieder so verdammt sexy war und seine Hände und Blicke über Kais Körper streicheln ließen, als seien sie allein und im Schlafzimmer. Aber so war Lukas eben... erleichtert fing Kai einen Blick von Jan auf, sah ihm in die Augen und lächelte einmal nur für ihn.
Aber gleich drauf krabbelte das Gefühl des schlechten Gewissens Kai erneut die Wirbelsäule entlang, als Lukas seine Hände einmal über seinen Rücken bis auf den Hintern schob. Noch während Kai darüber grübelte, was jetzt so schrecklich falsch war, fiel sein Blick auf Pascal.
Passi hockte auf dem Sofa im Schummerlicht in einem der privaten Zimmer. Er saß mit Blick auf die Tanzfläche und starrte Lukas an und sah sehr hinüber aus. Mehr als nach dem bisschen feiern möglich war. Er hing neben Tante Carla in den Kissen und ließ sich gerade ein Getränk wegnehmen und mit einem Fächer auf die Finger klopfen. Carl fummelte zugleich mit seinem Handy rum und winkte Kai, zu ihnen zu kommen. Kai machte sich von Lukas los und strebte zu ihnen hin. Hier im Zimmer war die Musik deutlich leiser und Kais Ohren bedankten sich für jeden Schritt, den er von den Boxen weg tat. "Hey, alles okay?"
Gleich drauf blickte Pascal ihn mies drauf und eifersüchtig an und Kai trat sich in Gedanken selbst. Natürlich war Passi nicht okay, wenn er zusehen musste, wie Lukas feierte, mit Kai feierte und ihn nicht wollte. Zugleich bemerkte eine giftige Stimme in Kais Kopf, dass Pascal ja langsam wirklich übertreiben würde, wenn er Kai und Lukas mit Eifersucht bedachte. Dass zwischen ihnen nichts mehr lief, wusste Pascal doch. Es war ja wohl vollkommen klar, dass Lukas nichts mehr von Kai wollte!
Aber zugleich war es offenbar vollkommen klar, dass Lukas ebenso wenig von Pascal wollte. Dass er ihn nicht mal nur für das Bett wollte. Leider war Kai die Leier echt über. Er hatte Lukas versucht, auf Pascal zu bringen, hatte sich echt reingehängt und Passi auf ihn angesetzt und es hat nicht hingehauen. Gereizt dachte er sich nun, dass er Pascal als Freund nun wirklich abschreiben konnte, bis der endlich mal von Lukas ab kam. Und er wollte ihn als Freund zurück, aber wie? Pascal war so süß, lieb, friedlich und fast gar nicht nervig, wenn er nicht gerade in Lukas verliebt war. Nur wie bekam man so eine Verliebtheit raus aus jemandem? Unsicher blickte Kai auf seinen Freund hinab und wurde von Carl gerettet.
Dieser stand energisch auf und zupfte das rote Ballkleid zurecht. "Pascal ist so lieb und bringt mich zur WG, damit ich aus diesen Folterschuhen heraus komme. Gibst du uns deinen Schlüssel, Kai? Wir kommen dann später umgezogen und..." Er linste auf Passi hinunter. "… und ausgenüchterter wieder zu euch zurück." Er zerrte an Pascals Hand und blickte sich nach dessen Jacke um. "Komm schon, Prinzessin. Das Taxi ist gleich vor der Tür." Pascal seufzte auf und ließ sich von Carl, oder Tante Carla vielmehr, gekonnt abführen.
Unsicher blickte Kai den beiden nach. Lolli erschreckte ihn fast zu Tode. Sein Mitbewohner, immer noch supersexy mit rotem Glitzerminikleid und roter Perücke ausstaffiert, schlang die langen Arme um Kais Hals und seufzte ihm ins Ohr. "Die Meiersche und ihr verdammter verfluchter Helferkomplex. Meine Güte. Kaum ist sie diesen Junkie los, holt sie sich die Depri-bau-mich-auf-Nummer ins Haus."
"Carla will sich nur in Carl verwandeln. Er meinte, dass seine Füße wehtun. Sicherlich kommen sie später wieder her."
"Wenn es dir hilft, so zu denken. Ich denke, dass er sich das Geheule die ganze Nacht anhören wird und morgen vollkommen fertig ist, wenn wir doch eigentlich noch mal zu diesem Tattooladen gehen wollten." Lolli klappte ein Schminkspiegelchen auf und blickte prüfend in sein Gesicht.
"Tattooladen? Wieso?"
Der Spiegel verschwand in einer kleinen Glitzertasche. "Wieso wohl! Also ehrlich. So ein Tattoo ist Sex pur. Schau dir Lukas an." Der war in der Tat Sex pur, insbesondere gerade in diesem Augenblick, in dem er mit einem anderen Mann knutschte, obwohl sie mitten im Raum standen. Zudem hatten sie sich eben erst kennengelernt. Kai schüttelte den Kopf, aber Lolli behauptete an seinem Dekolleté ruckelnd: "Das ist alles der Teufel. Seit er den hat, sag ich dir, ist er geiler als vorher."
"Schwachsinn! Was für ein Bild willst du denn haben und wohin bitte sehr?"
Lolli lachte auf. "Benni will, ich werde ihm die Hand halten und Carlchen wollte das nicht verpassen. Ich hab schon eins. Willste sehen? Ist aber nicht für Kinder unter achtzehn Jahre." Benni trat mit der Kamera gerade zu ihnen und deswegen würde es später dann auf ewig ein Foto geben, auf dem Lolli vor Kai den Rock hoch und den Stringtanga samt Strumpfhosen runterzog, um ihm sein Tattoo zu zeigen, noch während Kai sagte "Lass man gut sein, Lolli... Ah!"
Kai hatte nicht hingesehen. Auf dem Bild ergriff er sicherlich die Flucht. Schreiend. Lollis rasierter Schritt samt was auch immer gehörte nicht zu Kais Interessen. Lolli fand gleich drauf jemanden, der sich dafür interessierte und driftete mit einer Gruppe schriller Freunde von Lena in Richtung eines anderen Zimmers.
Doch die Aktion hatte natürlich Aufmerksamkeit erregt. Lukas schasste den Typen, mit dem er geknutscht hatte, und gesellte sich grinsend wieder zu Kai. Tini kam angeschossen und starrte ihn an. "Was war das?"
Lukas zog Tini mit einem Arm gegen seinen Körper und fragte "Na? Lolli hat dir sein Tattoo gezeigt?"
"Was hat er denn?" Tini kicherte. "Wo müssen wir nicht mehr fragen."
Kai zog die Schultern hoch. "Keine Ahnung. Meinst du, ich hab da hingesehen?"
Lukas lachte laut auf. "Oh, jetzt wirst du es wohl nie erfahren!" Seine eine Hand schob sich am Rücken unter Tinis Top hoch. "Hey, Tini, wo ist Holgi-Baby? Wollte der nicht hierher? Hm, kein BH?"
Tini knabberte an ihrem Daumennagel. Lukas in Flirtlaune war ihr offensichtlich egal. "Er hat eine Fortbildung vom Bund. Irgendwas mit Offizierslehrgang."
"Welchen Rang hat er denn?" Lukas' Hand war vorn angekommen und umschrieb unter ihrem Top das Bauchnabelpiercing.
Tini hob die Schultern noch immer von ihm unbeeindruckt. Sie lehnte sich an ihn an und ließ sich recht geduldig befummeln. "Keine Ahnung. Irgendwas und Fähnrich, ist das was dolles?"
Kai wurde gleich drauf klar, dass sie als beste Freundin von Lena sicherlich auch Lukas schon besser kannte. Kritisch meinte er "Das klingt ja nicht so toll."
Lukas grinste. "Er ist immerhin schon Offizier. Wenn ich mich nicht irre, sind die Studierten das aber alle. Wenn du jetzt 'zur See' sagst, dann hat er dazu eine formidable Uniform und schaut darin sicherlich so richtig richtig gut aus."
"Hm. Das glaube ich auch." Tini lachte leise und schob Lukas unkompliziert auf Abstand, um Kai auf die Pelle rücken zu können.
Kai ertappte sich dabei, sich das vorzustellen. Es fiel ihm erstaunlich leicht, Holger vor einer Gruppe anderer Männer zu sehen, die ihm auf Befehl gehorchten. Er nahm sich vor, auf Jans Computer mal Bilder von Uniformen zu suchen.
Lukas störte seine Fantasie in diesem Moment. Er blickte an Tini vorbei in Kais Gesicht und sagte "Bitte mach dir um Pascal keine Sorgen. Wir haben einen Deal gemacht, er und ich."
"Deal? Der soll sich mal einkriegen! Wenn du ihn nicht willst, dann reicht es langsam aber auch!" Genervt verschränkte Kai die Arme.
"Nein. Es reicht nicht. Sehen wir ja alle. Pascal ist eben nachhaltig und gründlich. Wenn er sich verschießt, dann richtig. Schau dir allein an, wie lange er die Erpressertour mit dem Ex durchgezogen hat. Das war kein Spaziergang. Und genau darauf steht er doch auch. Bloß nicht lockermachen, bloß kein Spaziergang."
"Klingt bescheuert." Tini sah ihn verwirrt an. "Und du?"
"Ich stehe auf komplizierte, zickige, wunderschöne Männer. Schau dir meine Exfreunde an, Felix und Kai zum Beispiel. Und ich stehe auf Sex. Bin solo gerade und das ist herrlich." Er schob seine Finger in Kais Haare. "Du fehlst mir aber natürlich immer noch, Engelchen."
Misstrauisch begegnete Kai seinem Blick und nahm die glänzenden Augen und verdächtig großen Pupillen wahr. "Idiot. Das ist gelogen und du weißt es, Lukas! Ich weiß schon, dass du nie treu warst. Du bist nur betrunken und hast was genommen... was war es?"
"Was? Doch, als ich mit dir zusammen war, hab ich mich zurückgehalten. Ehrlich."
"Hmpf."
Lena unterbrach die Unterhaltung. Sie trat mit einem schlaksigen Jungen in schwarzen Klamotten zu ihnen, der zum einen noch sehr jung aussah, zum anderen sehr süß und rotgesichtig. Lena zerrte ihn in ihre Mitte. "Hier, ihr lieben schwulen Männer. Das ist Bardo... keine Sprüche, seine Eltern sind schuld an dem dämlichen Namen. Er ist der kleine Bruder von meinem Mitbewohner Ansgar."
Lukas blinzelte sie an. "Ansgar der Spaßverderber?"
"Scht!" Lena drückte den Jungen kurz an sich. "Bardo hier hat mir gerade gestanden, dass er... Überraschung!... schwul ist. Aber er kennt keinen, der das sonst ist. Ansgar ist es nicht und darf nix wissen... seine Eltern wissens nicht und dürfen nix wissen und... naja, ihr kennt die Leier. Nehmt ihn doch mal unter eure Fittiche." Sie gab dem Jungen einen Schups in Kais Richtung und lehnte sich gegen Lukas. "Du, mein Schatz, lässt bitte die Finger davon. Nicht deine Altersklasse, okay?" Sie starrte ihm in die Augen. "Scheiße, was hast du denn geworfen?"
Lukas grinste sie zahnreich an und schob Tini von sich, um Bardo recht besitzergreifend den Arm um die schmalen Schultern zu legen. "Leck mich, Lena. So, mein Kleiner. Dann komm mal mit." Er reichte Kai seine Bierflasche.
Kai ließ sich mit dem ohnehin schon warmen Bier auf das Sofa fallen, das Passi und Carl freigegeben hatten. Tini reckte sich gähnend, zeigte ihren trainierten Bauch unter dem pinken Top. Das Bauchnabelpiercing war auch mit einem rosafarbenen Steinchen verziert. Es erinnerte Kai unpassend daran, wie ihr Bauch sich unter seinen Fingern angefühlt hatte. Grätzig suchte er mit Blicken nach Jan. Der tanzte ziemlich eng mit der blonden Tante, die er vom Sport kannte. Verdammt! Tini ließ sie sich neben Kai nieder und zupfte seine Haare um die Ohren zurück. Er trank einen Schluck und hielt ihr resigniert die Flasche hin.
Tini ließ sich gegen ihn sinken und grinste leicht. "Ich küss dich lieber direkt. Danke." Und ließ der Ankündigung Taten folgen, bevor Kai sich wehren konnte.
Kai schob sie von sich und wischte sich über den Mund. "Blöde Tante." Gemeinsam sahen sie Lukas und Lena hinterher, die zur Bar rüber gingen. Bardo in ihrer Mitte. Lukas hatte ihn rasch zu Lolli gezerrt. Der Junge blickte mit großen Unschuldsaugen zwischen den beiden hin und her, während sie ihm offensichtlich einen Crashkurs im Schwulsein und einen Cocktail verpassten. Kai nahm sich vor, dem armen Kleinen irgendwann einmal zu sagen, dass er besser alle Informationen von diesem Abend gleich wieder vergessen sollte.
Tini lehnte sich dichter. "Bevor du fragst. Nein, wir haben noch nicht. Aber wir haben darüber geredet. Das war gut."
Kai blinzelte, versuchte die Informationen zuzuordnen, dann machte es Klick. "Muss ein Heteroding sein. Drüber reden... drüber reden..." Er winkte ab.
"Reden ist wichtig. Egal über was." Jan lehnte sich von hinten an Kai an und nahm ihm das Bier weg.
"Über Sex reden ist noch wichtiger", stimmte Tini ihm über Kais Kopf hinweg zu.
Jan gab ihr natürlich Recht. Und Kai unterbrach seine Antwort, bevor er noch indiskret werden konnte lieber. "Ihr seid psychotisch. Werd' doch Sextherapeutin, Tini, dann kannste über Sex reden und reden und bekommst noch Geld dafür!"
Sie starrte ihn an, blickte überlegend im Raum umher, starrte wieder. Dann umschlang sie seinen Hals mit den Armen und knutschte ihn heftig ab, schob ihn dabei gegen Jan zurück, der sie abfangen musste, als sie zusammen auf der Couch umfielen.
Benni beugte sich gleich darauf an der lachenden Tini vorbei dichter zu Kai und grinste. "Ich bleib jetzt einfach immer in deiner Nähe. Du machst die besten Fotomomente."
"Zieh Leine! Ich will nicht geknipst werden! Und du geh von mir runter! Und du gibst mein Bier wieder zurück und holst dir ein eigenes!" Nach diesem Rundumschlag setzte Kai sich wieder auf und lehnte sich kurz an die Lehne an, schloss die Augen. Diese Party war Stress. Mal wieder. Er sehnte sich genau fünf Sekunden lang nach Haus zurück, dann fiel ihm der sicherlich dort heulende Pascal ein und er stöhnte auf.
Jan sprang auf, um sich tatsächlich ein eigenes Bier zu holen und Tini schmiegte sich an ihn, wie immer, wenn er wehrlos angetrunken war und sie selber auch. Sie begann ihm davon zu erzählen, dass es eine super Idee sei, wenn sie Sextherapeutin werden könnte.
"Es ist eine verdammte Schnapsidee! Das ist doch kein Beruf. Außerdem, deine Eltern werden sich bedanken, wenn du deren tolle Praxis nicht übernimmst. Das ist doch der Grund, weswegen du überhaupt studierst, oder?"
"Ja." Tini ließ sich von ihm weg schieben und schlug die Beine in den Schneidersitz unter. "Das ist leider der Grund. Mein Bruder wollte nicht, ist ausgestiegen und hat nicht einmal studiert. Und jetzt muss ich das tun. Und das ist es ja, was mich so nervt. Das Studium ist öde, die Aussicht noch öder."
"Schön, wenn du dich nicht ausgefüllt fühlst, Tini." Mal wieder wurde Kai klar, dass Tini ihm Angst machte, weil sie eine beängstigende Person war. Beängstigend intelligent, ambitioniert, leidenschaftlich und energisch. Alles, was er nicht war. Alles, was er bewundert hätte in einem Mann. Mal wieder dachte er darüber nach, was für eine Verschwendung das war.
"Lass mir mal diese Schnapsidee, Kai. Ich hab selber so viel zu knabbern auf dem Sektor, dass ich die Idee, anderen helfen zu können, gerade ganz gut finde. Vielleicht ist das morgen, wenn ich wieder nüchtern bin, nicht mehr so. Aber gib es zu. Es ist nicht falsch, über Sex auch mal zu reden. Woher weißt du zum Beispiel, was Jan gefällt?"
Kai wollte gerade erwidern. 'Dumme Frage, ich schau ihm auf den Schwanz.', als ihm einfiel, dass er sehr genau wusste, ob Jan Bock hatte, mit Kai zu schlafen, wo sie es tun wollten, wie er mit Jan schlafen musste, in welchem Winkel, wie schnell, wie hart, wie tief. Wie und wann er Jan streicheln sollte. Eben weil Jan ihm das früher immer gesagt hatte. Mittlerweile wusste Kai auch so schon gut genug über Jan Bescheid. Grübelnd nickte er endlich und versuchte das Thema zu wechseln, indem er zu Lukas und dem Jungen rüber deutete. "Der arme Kleine. Jetzt bekommt er ein vollkommen verdrehtes Bild von seiner Zukunft. Lukas und Lolli. Das ist nicht meine Vorstellung von den perfekten Wegbegleitern."
"Wer war es denn bei dir?"
Kai stöhnte auf und musste dann lachen. "Gott, du hast recht! Lukas und Lolli."
In dem Moment erblickte er Jan in der Runde. Lukas stellte ihm den Jungen vor und erzählte irgendwas, das mit Kai zu tun hatte. Sie sahen zum Sofa rüber. "Ich hasse es, wenn Lukas das macht. Bestimmt tratschen die indiskrete Sachen rum."
Doch Jan lachte nur, zu was auch immer gesagt worden war, und schob mit einem neuen Getränk in der Hand ab in Richtung einer Gruppe Leute, mit denen er von Beginn der Feier an zusammengestanden hatte. Er tauchte erst später neben Kai am Sofa auf, um ihn am Einschlafen zu hindern, als der Dali Tini abführte, um mit ihr zu tanzen.
Tini und Kai hatten sich über das Thema Sex hinweg gerettet und waren beim wesentlich sichereren Thema Wohnungen und Einweihungsfeiern gelandet. Auch Tini nahm die Gefahr einer gemeinsamen Feier wahr. Jans Fußballfreunde und Lolli und Benni und Lukas in einem Raum zusammen? Das klang nach Katastrophe mit großem K. Tini nahm Kai das Versprechen ab, sie einzuladen und erinnerte ihn zu seinem Entsetzen an seinen eigenen Geburtstag. Den hatte Kai verdrängt und nicht feiern wollen. Es war nichts rundes und er hasste es, älter zu werden.
Seufzend blickte er Tini hinterher, die sich in der Nähe zu einer Tanzversion von 'Sway' an Lena schmiegte, als seien sie ein Paar. Lenas Hände umfingen Tinis Hintern und schoben sich, immer schön im Rhythmus der Musik, ihren Körper hinauf. Tini ließ sie machen, aber, das fiel Kai auf, machte nicht aktiv mit. Ganz offensichtlich war Lena für sie, genau wie Lukas, nur so ein Mensch, der auf einer Party mit ihr flirten wollte.
Kai bewunderte sie einen Augenblick lang. Wenn jemand mit ihm flirten wollte, war er sofort genervt, anstelle so locker und zugleich unverbindlich mitzumachen und die Aufmerksamkeit genießen zu können. Das konnte Kai nur bei den Männern, die er sehr gut kannte, mit denen er sich sicher fühlte. Und die Zahl dieser Männer war noch immer an seiner einen Hand locker abzuzählen. Und bei Tini ertrug er es als einziger Frau, weil die sowieso nicht aufgab.
Jan ließ sich neben Kai sinken und streckte sich seufzend. "Geile Party. Heiße Weiber..." er nickte zur Tanzfläche hin. "… die miteinander knutschen und fummeln. Scharfe Sache."
"Blarg."
"Echt? Macht dich echt nicht an?" Jans Hand wanderte in Kais Schritt und von dort hoch unter sein Shirt. "Gar nicht?"
Kai grinste. "Kommt drauf an. Wenn du so weiter machst und ich die Augen schließe." Sein Blick fiel auf Lukas, der samt dem Kleinen im Arm mit einem der DJs redete. Er sah von dort zu einigen Mädchen, die auf einem der Tische miteinander tanzten. "Machen die dich echt an, Jan?" Er sah zum Dali zurück, die ihre Hände unter Tinis Top geschoben hatte und dabei war, ihren Hals zu küssen. "Das ist doch,..."
"Hm. Ja. Lena hat einen schönen Körper, aber sie ist mir zu gestylt, zu unnatürlich. Tini hat keine vernünftigen Titten, nicht mal Arsch, nix dran." Jan nippte von seinem Bier. "Für mich muss an einer Frau was dran sein, mehr zum Greifen."
"Wie Bianca?" Kai schüttelte sich ein wenig.
"Hm, die hat einen klasse Busen." Jan schloss die Augen kurz und schob seinen Arm um Kai herum, damit dieser sich zu ihm drehen musste. "Keine Sorge, das fehlt mir bei dir nicht." Er hob Kai rittlings auf seinen Schoß und stellte das Bier weg, um beide Hände freizuhaben.
Kai blickte auf ihn hinunter. "Du bist komisch. Wie kann man denn auf beides stehen? Das ist echt irre, Jan." Er lachte auf. "Das ist psycho, du musst zu Tini in Therapie."
"Nö. Das ist Auswahl. Bi zu sein ist schön. Seit du mit mir zusammen sein willst, genieße ich mein Leben wirklich. Ich kann mit den Jungs Frauen anschauen gehen, ein wenig rumflirten und ich kann mit dem Mann ins Bett gehen, der für mich auf immer das schärfste auf Erden bleiben wird." Jan küsste ihn und umfing seinen Hintern. "Das ist nicht irre, Baby, das ist Luxus." Sie sahen sich in die Augen und um sie her verschwand die Party.
Lukas' Stimme unterbrach sie direkt vor einer vernünftigen Knutscherei. "Hallöchen, ihr zwei seid dran mit Bambi hier." Er schob den Kleinen neben Kai und Jan auf das Sofa und drückte ihn mit festem Griff runter. Dann beugte er sich zu ihm und küsste ihn kurz auf den Mund. "Tschüss, mein Süßes. Ich fahre jetzt mal rüber zu euch in die Wohnung und versöhn mich ein wenig mit Pascal."
Kai starrte ihn kiebig an. "Lass Passi doch endlich in Ruhe, Lukas!"
Lukas hob die Hände. "Versprochen ist versprochen."
Jan seufzte, aber ließ Kai nicht entkommen. "Du hast ihm aber nicht Sex versprochen, wenn er heute nicht auf Show macht?"
Lukas lachte. "Nein. Aber ich hab ihm versprochen, dass wir uns dann noch mal in aller Ruhe unterhalten... wenn das zu mehr führt, ich bin auch nur ein Mann." Er beugte sich dichter und küsste Kai auf den Nacken. "Hm, du musst mal zu Frank vorbei, Engelchen. Deine Haare stören hier bald meine Lieblingsstelle."
Kai wurde rot und wollte etwas erwidern, aber Lukas ging bereits mit schnellen Schritten durch die Tanzenden davon. Als Kai sich wieder zu Jan drehte, redete der mit dem Bambi. Der Spitzname passte ausgezeichnet. Aus großen braunen Augen warf der Junge mit scheuen Blicken förmlich um sich, eine Hand unsicher um ein Glas mit dubios aussehendem Cocktail geschlossen. Selbst in diesem Licht sah man, dass das Bambi reichlich Sommersprossen hatte. Sogar jetzt im Frühjahr schon.
Jan schob Kai mit einer Hand von sich, sodass Kai sich an seine Seite lehnen konnte, was er samt dem triumphierenden Kuschelgen auch sofort tat. Jan stellte sich dann sogleich dem Babysitting-Job. "So, Bardo. Du bist zum ersten Mal auf einer Party, wo auch Frauen Frauen küssen und Männer mit Männern schmusen dürfen?"
Genau das führte Kai genießerisch vor. Er war eindeutig zur Kuschelgrenze angetrunken, und wenn Jan ‘Luxus’ zu ihm sagte, sprang nicht nur das Kuschelgen darauf an. Verliebt küsste er sich an Jans Hals hinunter und genoss das Gefühl der Muskeln unter seinen Fingern, als er über den Bauch strich.
"Hm." Bardos Bambiblick folgte Lukas zum Ausgang.
Jan entging das nicht. "Lena hat das vielleicht gut gemeint mit der Einladung hierher, aber sind wir hier nicht vielleicht eine Hausnummer zu alt für dich? Gerade der Typ?"
"Warum? Ist das... das Alter so wichtig?" Zum ersten Mal durfte der Kleine was sagen und seine Stimme war der Hammer. Weich und klangvoll, sehr gut zu verstehen. Ein wenig wie Schokolade, weil Bardo schon so süß angetrunken lallte.
Kai seufzte und schloss die Augen, schmiegte sich an Jan, genoss dessen Geruch und das leichte Streicheln über dem Schlüsselbein. Jans Stimme und die Schokoladenstimme wechselten sich zwar ab, aber er lauschte nicht mehr darauf. Erst als Tini wieder zu ihnen trat, um sich zu verabschieden, schreckte er ein wenig auf.
"Kai. Ich warte am Montag bei Biochemie auf dich, okay? Ich glaube nicht, dass ich zu den Lesungen gehe. Will mal ausschlafen und morgen Abend ist Holger wieder da, vermutlich wird es da auch spät."
Jan streckte sich und zog Kai mit sich in die Senkrechte. "Wir gehen auch. Kai kuschelt sich hier schon in den Schlaf." Und als sie sich von dem Dali verabschiedetet hatten, fiel ihr Blick zugleich auf Bardo.
Kapitel 84
Lukas hatte den Jungen Bambi getauft und der Name war wirklich nicht so schlecht gewählt. Lange Beine, unsicher stehend, weil er schon einiges getrunken hatte, scheue Blicke aus naiven braunen Augen in einem hellen, weichen Gesicht, rotbraune, recht kurz geschnittene Haare. Ein älterer Freund von Lukas driftete in ihre Nähe und beäugte ihn.
Jans Schultern wurden ein wenig steif und er blickte zwischen dem Bambi und der Party hin und her. "Okay. So geiht dat nich. Kai, wir können den Kleinen hier nicht so lassen..."
"Hallo? Was sollen wir mit ihm anstellen?" Kai ging in das Schlafzimmer mit den Jacken und blickte zu Bardo zurück. Er fand Tinis roten Mantel und warf ihr den zu. Jan zog seine Jacke unter dem Bett hervor und half Kai beim Suchen. Kai kramte auf den Knien unter dem Bett "Er kann nicht zu uns, wir sind voll."
Tini revanchierte sich, indem sie Kai einige schwarze Jacken hochhielt, die alle nicht seine waren. "Scheiße, wo ist nur meine hin? Fuck. Nie wieder nehm ich meine schöne schwarze Jacke mit auf eine Party!"
"Er kann mit zu Tini, oder?" Jan hörte auf zu suchen.
Tini fuhr zu Jan herum. "Oh... nein. Oh Gott, nein! Was soll ich denn mit ihm?"
Kai legte den Kopf schief und blickte zurück. Das Bambi wurde von ausgerechnet dem zynischen Frank angegraben, dem ältlichen Kumpel und Friseur von Lukas. "Bitte, Tini. Er pennt nur bei dir auf dem Sofa und morgen früh kann er zu uns frühstücken kommen."
Jan winkte Bardo bereits zu sich. "Hey, wo ist dein Bruder überhaupt?"
Unsicher zog der Kleine die Schultern hoch. "Weg. Er... weiß nicht, dass ich hier bin. Es war so eine Idee, um endlich mal... raus zu kommen." Unsicher folgte er Lena mit einem Blick. "Sie weiß als einzige Bescheid. Meine Eltern denken, dass ich bei einem Freund übernachte."
Jan seufzte und sah Tini an, die ihre Augen verdrehte. "Los, du schuldest Kai und mir. Een Dag un jut es. Dat hest du nu davan."
Tini zog den Gürtel ihres Mantels enger um sich und zischte leise. "Hör bloß auf, so dämlich platt zu reden, Jan. Das zieht bei Bianca, nich bei mir." Sie blickte Kai ins Gesicht, dann seufzte sie. "Okay. Bambi, hol deinen Kram, du pennst bei mir. Hier ist zu gefährlich."
"Was?"
Kai zog genervt die Brauen zusammen. "Du kommst morgen zum Frühstück zu uns rum, Lukas wird unter Umständen auch noch dort sein. Take it or leave it. Du wolltest andere Schwule kennenlernen, sei froh, dass es nicht die dort hinten sind." Er war gemein, das wusste er, aber deutete ohne zu zögern auf die Gruppe um Lolli.
Der Name Lukas schien es raus zu reißen. Bardo nickte schüchtern, blickte Tini kritisch einmal an und trottete dann nach hinten, um seine Tasche zu holen.
Tini breitete die Arme aus. "So, Kai. Ich höre gern auch schon mal ein Dankeschön. Küsschen?"
Kai rollte die Augen und wies mit dem Daumen hinter sich. "Jan wollte das, er kann dich gern knutschen."
Jan knurrte plattdeutsch vor sich hin und wanderte in Richtung der Eingangstür fort.
Tini lachte auf. "Das klang wie 'Eher knutsch ich 'nen Köter.' Muss er immer so nett sein."
Kai seufzte und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. "Viel Spaß mit Bambi, bis morgen dann. Lieferst du ihn bei uns ab?"
"Geil! Dann sehe ich die legendäre Wohnung. Ihr macht Frühstück? Sollen wir dann Brötchen bringen?" Sie freute sich tatsächlich und hopste ein wenig auf der Stelle.
Kai und Jan gingen wenig später Arm in Arm am Stadtwald entlang zu ihrer Wohnung, nachdem sie Tini und das Bambi zur Bushaltestelle begleitet hatten. Jan hatte seine Hand an Kais Hüfte unter die Jacke und das Shirt gemogelt und streichelte ihn sachte. Sie genossen die frische Luft und das Nachlassen des Tinnitus nach der Feier. "Oh Mann, ich geh wie auf Watte. Das war wirklich laut dort."
"Hm. Ich freu mich auf das Bettchen, Kai. Vorher duschen? Haste Bock auf Sex? Hast du vielleicht genug getrunken?"
Kai schüttelte nach kurzer Überlegung den Kopf. "Nee, aber wenn du magst, könnte ich..." Er stockte, wusste nicht, wie er es sagen sollte.
"Geil! Dann man tau!" Jan verstand ihn auch so und beschleunigte seinen Schritt. Sie gerieten noch auf der Haustreppe in eine gepflegte Knutscherei, als Kai versuchte, den Wohnungsschlüssel schon einmal aus Jans Jackentaschen zu ziehen. Kai schob Jan gegen die Briefkästen und umfing sein Gesicht mit den Händen. Er lehnte sich mit dem ganzen Körper gegen ihn, genoss das Gefühl der Körperwärme. Sachte fing er seine Unterlippe mit den Zähnen und strich mit der Zunge darüber. Er lächelte über Jans Art, ihn bald hierhin, bald dorthin zu lenken, Kais Finger und ihren Weg bestimmen zu wollen. Erst wollte er Jan noch daran erinnern, dass sie im Hausflur standen, aber Kai wollte ihn noch mehr necken, noch weiter treiben. Er schob seine Finger über der Knopfleiste auf Jans Hose entlang. Er streichelte ihn nur sachte tastend, aber das langte hin.
Jans Atmung beschleunigte sich merklich, seine Hände strichen unter Kais Jacke auf den Rücken hinauf, dann bis auf den Hintern wieder hinunter. Er drehte das Gesicht und vertiefte den Kuss, neckte Kai mit den Zähnen und der Zunge. "Hm, du kannst immer noch so gut küssen...Ah, wenn du so weiter machst, komm ich hier im Flur."
Kai ließ ihn gehen und öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass er das Kompliment zurückgeben könne, als das Flurlicht angeschaltet wurde. Etwas verwirrt fuhren Jan und Kai auseinander und begannen dann nach kurzem Blickwechsel und Lachen, die Treppen weiter hinaufzugehen.
Leon kam um die Ecke, stockte kurz, als er sie sah, aber nickte ihnen dann zu. "Na? Wart ihr feiern?"
"Hm." Kai streckte sich und versteckte ein Gähnen. "Lena hatte eingeladen."
Leon sah nicht gut aus, müde irgendwie und besorgt. Als Kai sich zwischen ihren Wohnungstüren verabschieden wollte, während Jan bereits aufzuschließen begann, drehte Leon sich zu ihm und trat noch einmal dichter. "Ich werde für ein paar Wochen nicht so oft im LPP sein. Bastian weiß schon Bescheid."
"Okay." Abwartend blickte Kai Leon in das markante Gesicht. Trotz der gesunden Farbe machte Leon einen geschwächten Eindruck und Kai konnte sich nicht mehr abhalten zu fragen "Ist alles in Ordnung?"
Leon sah ihn kurz mit scharfem Blick an, dann nickte er knapp. "Gute Nacht."
Jan erwiderte dies, Kai hingegen brachte sich nicht mehr schnell genug dazu, bevor Leon schon in seiner Wohnung verschwunden war. Verwirrt starrte Kai Leon einen Augenblick lang nach und trat dann erst in ihre Diele. Genau in dem Moment, in dem Jan aus dem Wohnzimmer rief "Was soll die Scheiße denn hier?!"
Kai trat sich die Schuhe von den Füßen und warf seine Jacke auf den Fußboden vor den Dielenschrank. "Hm?" Kurz überlegte er, ob er vielleicht wieder vergessen haben mochte, in der Küche aufzuräumen. Aber der Aufschrei war Lukas zu verdanken. Lukas hing, Jans letztes Bier in der Hand, auf ihrem Sofa rum und zappte sich durch das Fernsehprogramm.
Lukas deutete mit der Bierflasche in Richtung Kais Zimmer. "Passi und ich hatten die Aussprache. Er ist komplett abgetickert und hat mich hysterisch rausgeschmissen... hat mir ein Buch an den Kopf geworfen." Lukas blickte sich um. "Das hier."
Jan begann zu lachen. "Biochemie. Das ist aber auch das einzige, wozu das Buch gut ist, wenn man mich fragt."
Kai knurrte unglücklich. "Und jetzt?"
"Ich bin erst geblieben, um zu sehen, ob er mir noch eine Chance gibt, wenn Carlchen ihn beruhigt hat. Das ist noch nicht passiert. Außerdem war ich zugedröhnt und wollte so nicht zu Lena zurück und ich kann sicherlich nicht fahren und... bin hier hängengeblieben."
"Und Passi?"
"Lässt sich immer noch von der Meierschen trösten, wenn die nicht eingepennt sind."
Kai grübelte verärgert, was er tun konnte, schließlich blickte er zwischen dem müden und betrunkenen Lukas und dem verdammt geil aussehenden Jan hin und her. "Scheiße!" Gerade waren sie so schön am knutschen gewesen, es sah alles danach aus, als hätte Kai Jan zu einer Runde von diesem ausgezeichneten Oralsex bringen können, vielleicht gar gleich in der Dusche, sodass sie danach müde und vollkommen befriedigt und sauber nur noch ins Bett fallen mussten. Jetzt war der Plan baden gegangen. "Okay. Keiner rührt sich. Ich schau nach, was in meinem Zimmer los ist."
Kai öffnete die Tür einen Spalt weit und linste hinein. Pascal schlief vermutlich, sein Gesicht sah entspannt aus, er hatte die Augen geschlossen. Carl lag neben ihm auf dem Bett, in normalen Klamotten. Einem T-Shirt zumindest. Carl blickte nicht auf, sondern sah Pascal beim Schlafen zu, mit den Fingern strich er ihm sachte durch die Ponyhaare. Es sah ganz nach einem der Momente aus, bei denen man eigentlich nicht stört. Kai trat dennoch vorsichtig ins Zimmer und schreckte Carl auf. "Hey."
"Na, Maus?" Carl streckte sich und krabbelte vorsichtig an Pascal vorbei vom Bett runter.
"Lukas hockt draußen, was war los?" Sie flüsterten, aber Carl warf einen besorgten Blick zurück und schob Kai wieder aus dem Zimmer. "Lass uns im Flur reden. Passi ist zwar ganz schön alle, aber es wär' mir lieber, er schläft weiter."
Als sie zu Lukas und Jan traten, hatte Jan sich wieder abgeregt und seine Partyklamotten ausgezogen. Er hockte im T-Shirt und seiner Schlafshorts neben Lukas auf dem Sofa, seine Zahnbürste noch im Mund. Sie starrten auf den Fernseher, wo Bernd das Brot seine depressiven Gedanken mit ihnen teilte. Kai blickte kurz zum Bildschirm, die Folge mit der Lounge, die kannte er schon und zerrte Carl in die Küche rüber.
Carl gähnte herzhaft und streckte sich. Er trug ein dunkelblaues T-Shirt und eine Wollhose, seine Füße steckten in dunkelblauen Socken. Sogar das Gesicht war komplett abgeschminkt. Während er begann zu erzählen, räumte er in der von ihrem Treffen am Abend noch unordentlichen Küche auf. "Pascal war so hinüber, weil er und Lukas für heute Abend verabredet hatten, dass sie sich mal ernsthaft über eine Beziehung unterhalten. Lukas und Beziehung? Da glaub ich erst dran, wenn er wieder was mit Felix anfängt." Carl reichte Kai einige Gläser zum Wegstellen.
"Wir waren kurz zusammen."
"Unsinn. Alles unter drei Monaten zählt nicht. In der Zeit war er dir sicherlich nicht treu."
"Hm. Lolli meinte das auch. Lukas hat mir eben gesagt, dass er das war." Kai starrte Lukas' Hinterkopf an und nahm sich vor, ihn das mal zu fragen, wenn sie nüchtern waren. In der Tat hatte Kai seine Freunde nie wirklich kennengelernt und sie waren auch nicht zusammen im Stroboskop oder im Subzero gewesen, wo Lukas seinen Freund vor der Gemeinde hätte vorstellen können. Misstrauisch verengte sich Kais Blick und Carl grinste dazu, aber ging nicht weiter darauf ein.
"Jedenfalls glaubt Pascal noch immer, dass er und Lukas zusammenpassen könnten. Blödes Schaf. Und dann hat ihm Lukas das Versprechen erneuert heute Abend. Er hat so was gesagt wie: 'Wenn du Lena und mir bitte die Party nicht versaust, dann komm ich mit zu Kai zurück und wir reden in Ruhe.'"
Kai nickte. "Er hat es als Deal bezeichnet."
"Passi hatte da wohl noch Hoffnungen auf mehr als nur Reden. Aber Lukas hat sich dann auf der Party mit Drogen zugeschmissen und volllaufen lassen und mit jedem rumgemacht nur mit Pascal nicht." Carls schmale blaue Augen streiften Kais Gesicht. "Hat ihn echt mitgenommen, dass Lukas ausgerechnet mit dir rumgekuschelt hat. Das war wirklich mies von dir."
"Von mir?! Was ist denn dann mit Lukas, bitte sehr?!"
"Vom Master of Sexappeal sind wir das alle gewohnt. Pascal hat es auch von ihm erwartet. Nur mit und von dir eben nicht."
"Idiot! Der weiß doch, dass Lukas und ich nur Freunde sind, verdammt!" Kai verschränkte von Carls Andeutungen und seinem passend ein wenig schlechten Gewissen genervt die Arme. Er hatte mit Lukas gefeiert und getanzt, aber geknutscht hatten sie nicht, da zog Kai die Grenze, Jan auch. Geknutscht und gefummelt hatte Lukas definitiv mit anderen.
Lukas' Stimme mischte sich von jenseits der Sofalehne ein. "Ich wollte mich nicht erpressen lassen von seinem Geheule. Davon mal ab, dass es extrem unsexy war." Lukas hob den Kopf nicht und starrte weiter auf Bernd im Fernseher.
"Hm. Hören tut er noch gut." Carl nahm das Geschirrtuch auf und trocknete den Nudeltopf von Kais Mittagessen zwei Tage vorher ab. Verwirrt nahm Kai sich die Spülbürste und wusch einen Teller ab, den er auch in die Geschirrspülmaschine hätte stellen können. "Und dann? Was war dann?"
"Ich bin mit Pascal erst zu Lolli und hab mich umgezogen und dann hierher und hab ihn ins Bettchen gebracht. Die ganze Zeit hat er rumgeheult, dass es vorbei sei, dass er das gerafft habe, aber dass er einfach niemanden anderes mögen würde." Carl verdrehte die Augen. "Ich kann ja verstehen, dass man sich in Lukas verknallt, aber seit wann geht das jetzt schon so?"
Kai starrte auf Lukas' Hinterkopf. "Kurz nach Silvester." Er lehnte sich gegen den Tresen und nahm sich eine Wasserflasche, um direkt daraus einen Schluck zu trinken.
"Scheiße. Das ist lang." Carl nahm ihm die Flasche weg und trank auch etwas. "Was war? Haben sie gevögelt?"
"Hm." Unsicher blickte Kai zu Jan rüber. Er wollte jetzt nicht wirklich alles ausbreiten, das mal war. "Frag Lolli."
Lukas drehte den Kopf. "Ich hab es versucht. Ich hab gleich gesagt, dass es nur Sex ist und ich hab nie was anderes behauptet. Ich muss auch gestehen, dass ich einer Art Beziehung einmal nicht abgeneigt war, aber..." Er hob hilflos die Schultern.
Jan streckte sich und stand auf, um seine Zahnbürste ins Bad zu bringen. Als er wiederkam, sagte er: "Eine Beziehung schon. Aber nicht per Erpressung? So. Kommt klar. Ich hab Bernd jetzt dreimal sein Ding durchziehen sehen. Ich dachte immer, dass die Weiber auf Drama machen, aber ihr könnt das echt noch toppen." Er sah Kai an. "Baby, Bettchen? Die können das doch wirklich allein regeln."
Carl starrte zu ihm rüber. "Hey! Und wir?"
Kai stöhnte auf. "Scheiße!"
Doch Jan löste das Problem. Er deutete erst zu Carl, dann zu Lukas. "Du bei Passi, dann kannste ihn morgen früh trösten. Und du bei uns. Wehe du versuchst was, dann fliegst du achtkantig raus auf den Balkon, verstanden?!"
Überrascht nickte Lukas und fragte: „Habt ihr ein T-Shirt?"
"Hm. Müsste eins in deiner Größe haben."
"Dann geh ich duschen."
Kai warf das Geschirrtuch hin. "Ich auch. Ich zuerst!" Hastig lief er zum Bad und schloss ab.
Rasch war er abgeduscht und hatte seine Zähne geputzt. Als er aufschloss, stand Lukas schon vor der Tür. "Hey. Danke, Kai."
"Dank Jan. Ich hätte dir nicht unser Bett angeboten." Wütend stapfte Kai ins Schlafzimmer rüber und krabbelte zu Jan unter die Decke. Er schob seine Hände unter das Hemd auf Jans Brust und ertastete die Brustwarzen sachte, dann küsste er ihn auf die Wange. "Danke, dass du so locker bist."
"Hast du extra mit Lukas rumgemacht, damit Pascal das sieht?"
Kai schüttelte den Kopf und zog die Unterlippe zwischen die Zähne. "Nee, irgendwie ist Lukas wegen Felix so von der Rolle. Ich hab ihn auch zum ersten Mal so vollkommen dicht gesehen, dass ich gemerkt hab, dass er was genommen hat."
"Was meinst du?"
Kai hob die Schultern. "Er nimmt zum Feiern schon auch mal Aufpuscher oder so, aber so wie heute hab ich ihn noch nie gesehen."
Jan umfing Kais Schultern und zog ihn dichter. "Und dann das wilde Rumflirten mit allem, was bei drei nicht auf den Bäumen war, inklusive meinem Freund."
"Eben. Das war nicht wegen Pascal. Der hat ihn nie im Leben so mitgenommen. Das sind sicherlich noch Nachwirkungen von der Felixgeschichte." Kai stützte sein Kinn auf Jans Brust und blickte ihm nachdenklich ins Gesicht. "Danke, dass du ihn hier nicht rausgeworfen hast, aber musstest du ihm unser Bett anbieten?"
"Tut mir leid. Der verdammte Mallorcaschreck steht einfach dauernd zwischen uns, aber das war in dem Moment das einfachste. Ich hatte eben auch noch so Lust auf mehr von dir. Morgen fliegen die hier alle raus und dann sind wir mal für uns. Verdammt noch mal, Kai. Seit wir zusammengezogen sind, sehen wir uns fast weniger als vorher!"
Kai schob ein Bein über Jans und ließ seine Hände über die Schulter streichen. "Hast recht. Neulich war ich schon eifersüchtig, weil Holger dich echt öfter sieht als ich."
Jan lachte leise und umfing Kais Hintern. Der hielt sich mit Mühe davon ab, sich an Jan zu reiben, auch wenn sein Körper danach verlangte. Kuschelgen und Sexgen hatten kurzfristig High Noon, dann klappte die Zimmertür und Lukas warf sich auf die anderen Seite vom Bett. "Ihr habt echt eine riesenhafte Kuschelwiese. Wenn ihr es noch treiben wollt, macht euch um mich keine Sorgen. Ich bekomm das vermutlich hier ganz auf der anderen Seite gar nicht mit."
Kai grinste ein wenig, aber das Kuschelgen hatte das Sexgen gelinkt und ihm einen Tritt verpasst. Müde schmiegte er sich an Jan und küsste träge verschlafen seinen Mundwinkel entlang. Im Einschlafen genoss er das sachte Streicheln und Zupfen in seinen Haaren.
Kai wachte auf, weil jemand an der Tür klingelte. Und wieder und wieder. Lukas und Jan grummelten links und rechts von ihm rum und rührten sich nur, um sich die Decken über den Kopf zu ziehen. Also hechtete Kai aus dem Bett, um für Ruhe zu sorgen. Er stieß sich am vollen Wäschekorb neben dem Bett den Fuß und war fluchend und humpelnd gerade an der Zimmertür angekommen, als Carl die Wohnungstür bereits für Tini und das Bambi öffnete. "Ach du Scheiße! Was macht ihr denn schon hier?!"
Tini starrte ihn etwas verblüfft an und wand sich aus ihrem roten Mantel. Bambi durfte eine der zwei Brötchentüten an Carl abgeben. "Kai, es ist nach elf. Irgendwann muss man frühstücken, sonst wird Mittag draus." Sie sah sich unsicher um und Kai strich sich grummelig durch die Haare. "Ich muss erst mal ins Bad."
Jan trat hinter Kai aus dem Schlafzimmer, küsste ihn auf den Hals und streckte sich gähnend. "Moin Tini, Bambi."
Gleich drauf wurden sie beide von Lukas zur Seite geschoben, der sich dazu bereits wieder von Jans T-Shirt getrennt hatte und mit nacktem Oberkörper und enger Shorts absolut geil aussah. "Ich geh als erster aufs Bad, wenn das okay ist. Kai braucht am längsten und ich will zur Flucht bereit sein, bevor... Tini, was machst du hier so früh?" Bambi ließ die Brötchentüte fallen und gaffte verwirrt und rot im Gesicht. Tini begann zu lachen.
Lukas ging mit schnellem Schritt auf sie zu. Er küsste sie auf die Wange und deutete dann auf das Bambi. "Und was macht er hier?" Carl drückte Lukas die Brötchen in die Hand und verschwand wieder in Kais Zimmer.
"Das ist im Prinzip deine Schuld, Lukas." Tini hängte ihren Mantel und Bambis Jacke auf. Der Junge kniete ein wenig unsicher mit seinen Jeans und dem Langarmshirt vom Vortag bekleidet am Boden und sammelte die Brötchen wieder ein und war rot im Gesicht.
Kai hob eine Hand, bekam unerwartet die Brötchentüte hineingedrückt und starrte drauf, dann Lukas hinterher, der sich ins Bad verzogen hatte. "Erstens wird vor dem Essen nichts mehr geklärt und zweitens muss ich mal, beeil dich also gefälligst!"
Da Lukas zuerst im Bad war, zeigte Kai Tini und dem Bambi das Wohnzimmer und wies auf die Küche hin, bevor er sich zum Fertigmachen flüchtete.
Jan verschwand wieder im Schlafzimmer. Ordentlich wie er war, hatte er bereits das Bett gemacht und die Fenster geöffnet sowie sich einen Trainingsanzug angezogen, als Kai zu ihm zurückkam. Grummelig und ein wenig verkatert und noch immer müde.
Jan lächelte ihn an. "Du schaust so geil aus, wenn du morgens verwuschelt und zerknautscht und..."
"Danke, reicht." Kai trat überlegend vor seinen Schrank und wurde von Jans Frage, ob er Joggen gehen wollte, überrascht. "Was?" Die Abteilung 'Spaß in Tüten' aus dem Amt für peinliche Jugenderinnerungen spielte Kai seine letzten noch nicht verdrängten Erinnerungen an die Orientierungsläufe in der Schulzeit vor. Er hob eine Hand an die Stirn.
Jan grinste optimistisch. "Na, im Wald hier ist es total schön zu laufen. Ich bin nachher mit Holger verabredet, der Trimmpfad fängt gleich hier an. Komm schon Kai, tut dir bestimmt mal ganz gut. Du machst sonst ja gar keinen Sport."
"Nee. Ich breche doch sofort zusammen und ihr lauft mir weg." Unglücklich fiel Kai schon wieder ein, dass er wirklich und wahrhaftig gar keinen Sport mehr machte. Unsicher schob er sich eine Hand flach auf seinen Bauch runter. "Ich hoffe, dass ich nicht moppelig werde... oh nein! Oh Gott, wann soll ich denn noch Sport machen? Ich glaub, das schaffe ich nicht."
Jan lachte auf. "Du wirst bestimmt nie moppelig, Kai. Du bist doch eher zu dünn." Er schob seine Hand über Kais und meinte dann überredend "Es ist ein Rundweg. Wir könnten uns dann auf dem Rückweg wieder treffen. Wäre doch toll. Frische Luft und Bewegung. Keine Lust? Hast du überhaupt Sportsachen?" Lachend trat Jan vor den Schrank, aus dem Kai sich gerade eine schmale Hose und ein weiches Langarmhemd genommen hatte.
Kai zog sich die Hose über. "Ich bleib hier und hüte mit Tini das Bambi ein. Kein Problem." Er trat noch mit nacktem Oberkörper zum Bett und nahm sich die Schneckenblume aus seinem Nachttisch. Die Kette hatte er schon viel zu lang nicht mehr getragen und zu diesem Hemd passte sie ausgezeichnet.
Schweigend trat Jan dazu und half ihm mit dem Verschluss. Dann wuschelte er ihm durch die Haare. "Und wenn ich wieder da bin, schmeißen wir Bambi und wen auch immer raus und dann werde ich dich ganz gepflegt überfallen. Versprochen. Irgendwie kriegst du auch noch dein Bewegungspensum rein." Die rauen Finger berührten das Schneckenhaus einmal kurz. "Wir fahren bald mal wieder hin, nur wir zwei." Die leise Stimme jagte Kai einen angenehmen Schauer über den Rücken.
"Klingt gut." Kai schob Jan rasch zur Tür raus, um sich in Ruhe die passenden Socken suchen zu können. Als er wieder in die Küche kam, hatten Lukas und Jan gerade gemeinsam den großen rechteckigen Gartentisch von Hannah ins Wohnzimmer rüber getragen und holten die beiden Holzbänke dazu. Jan machte eine wage Handbewegung. "Der ist grad mal trocken und es ist besser als kein Tisch. Wenn wir schon so viele sind."
Kai fand, dass der weiße massive Holztisch vor den riesenhaften Terrassentüren richtig passend aussah. Er erinnerte sich daran, dass die Stuhlkissen und die Tischdecken für die Gartenmöbel im Dielenschrank verstaut waren und schon bald konnten sie sich zum Essen niederlassen.
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