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Ich bin übrigens schwul...

Teil 1 - Zwei verrückte Tage

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Informationen

 

Es war der erste Schultag nach den großen Ferien, der erste Tag von meinem letzten Jahr an der Schule. Ich war noch total müde, als ich morgens um acht neben meiner besten Freundin Jule saß.

Jule war genau einen Tag älter als ich, also bald 18. Sie hatte tolles kupferrotes Haar, das sie meistens zum Zopf trug. Sie war überhaupt ein wunderschönes, schlankes, sportliches Mädchen. Wir wohnten in derselben Straße und waren seit dem Kindergarten unzertrennlich.

Sie war der einzige Mensch auf der Welt, der wusste, dass ich schwul war. Sie sagte immer, sie habe es vor mir gewusst. Ich war selbst auch kein Troll. Ich war sportlich, auch wenn ich am Bauch gern noch etwas weniger gehabt hätte, war eins-achtzig groß, hatte kurze schwarze Haare und blaue Augen.

Die Ferien waren wie immer zu kurz. Ich war fast jeden Tag im Freibad gewesen, um den Schwimmern vom örtlichen Schwimmverein zuzusehen.

Genau dorthin sehnte ich mich gerade, als die Tür aufschwang und Herr Möller, unser Lehrer mit einem neuen Schüler hereinkam.

Er sah aus, wie der jüngere, sportlichere Bruder des Sängers von Jupiter Jones. Er trug die braunen Haare auch etwas länger. Er hatte rehbraune Augen, die gar nicht schüchtern wirkten. Er strotzte vor Selbstbewusstsein, das spürte ich sofort. Und das obwohl die Klamotten, die er trug, nicht mal mehr third-hand waren.

„So Leute, das ist Ian. Willst du dich vorstellen oder dich gleich setzen?“, fragte Herr Möller. Ian blieb noch stehen, alle starrten ihn an. Er erklärte kurz, dass er halb Ami war, seine Mutter und er in meinen Nachbarort gezogen waren. Er war bereits 18. Am Ende seiner Vorstellung lachte er charmant in die Runde und sagte, „Ach, und eine Sache noch. Ich bin übrigens schwul.“

Ich keuchte – immerhin bekam es durch das Gerede, das einsetzte, nur Jule mit. Die legte mir eine Hand auf den Oberschenkel.

Mein Herz raste und ich hatte Schwierigkeiten mich überhaupt noch zu konzentrieren. Ich war irgendwie sauer. Warum hatte er das getan? War er so versessen darauf, im Mittelpunkt zu stehen? So ein arroganter Arsch!

Mein erster Weg in der Pause führte in die Raucherecke, eigentlich war ich seit zwei Wochen rauchfrei, aber ich schnorrte mir eine Kippe, zündete sie an, während ich mich auf eine Mauer setzte. Ich inhalierte tief, hustete ordentlich, aber mein Nervenflattern verzog sich endlich.

Ich saß zwischen Florian und Jens die sich bereits das Maul über Ian zerrissen. „Mensch Jan, hast du gar keine Meinung zu dem?“, fragte Florian. Die Frage ging an mich. „Ist mir doch egal“, knurrte ich. „Solange er mich nicht angräbt.“ Ich entzog mich dem weiteren Gespräch wieder.

Als ich zum Pausenende den Klassenraum wieder betrat, scharrten sich die Mädchen um Ian. „Warum haben die trotzdem so ein Interesse?“, fragte ich mich. Als ich sogar Jule unter den Hühnern erkannte, war ich richtig mies drauf.

Es klingelte und Herr Blome betrat das Klassenzimmer. Jule huschte schnell auf ihren Platz, schnappte sich einen kleinen Zettel, schrieb was drauf und schob ihn mir rüber. Der Typ ist echt süß, stand da. Findest du?, schrieb ich zurück. KLAR!!! und Lk´s hat der Englisch und Sport, wie du! „Na toll“, dachte ich. Ich glaub, ich mag ihn nicht, schrieb ich. Ach Quatsch, du hast einfach Angst, weil er sich traut zu sagen, dass er schwul ist. Eigentlich findest du ihn gut, schrieb sie. Ich finde, dass er ein bisschen zu sehr im Mittelpunkt stehen will und ich finde ihn nicht gut, kritzelte ich. Jule sah kurz auf den Zettel, dann lächelte sie mich mütterlich an und schrieb, doch findest du! Ich beobachtete den Lehrer an der Tafel und dachte einen Moment lang nach, dann schrieb ich, kann sein, dass du recht hast. Nur weiß ich nicht, ob und wie ich ihn ansprechen soll. Ich will nicht, dass er es gleich ausposaunt - guckt mal, Jan ist schwul!!! Ich schob den Zettel zu ihr rüber, blickte dann wieder auf und erschrak, dass Herr Blome neben mir Stand.

Er streckte die Hand aus und forderte nach dem Zettel. Er pflegte solche Zettel grinsend vor der Klasse vorzulesen und öffentlich die Fehler zu korrigieren.

Die Klasse war mucksmäuschenstill. „Ihr wisst, Zettel schreiben ist verboten, her damit“, er sah mich mit seinen blass-blauen Augen an. „Das ist privat“, gab ich zurück. Ich hatte meine beiden Unterarme auf das Papier gelegt. „Her damit, oder du fliegst raus“, drohte er. „Gut“, sagte ich und stand auf, „dann geh ich raus.“ Die Klasse lachte, der Lehrer griff nach dem Zettel, ich hielt ihn fest. Ein Gerangel entstand, ich bekam den Zettel wieder frei, steckte ihn in den Mund, kaute und verschluckte ihn. Herr Blome explodierte und warf mich hochkant raus.

Ich verbrachte die Doppelstunde vor dem Klassenraum. Leider hatte ich mein Handy in meinem Rucksack und es war stink langweilig.  

Einmal kam Herr Möller den Gang entlang. „Was wird denn das hier?“, fragte er väterlich. „Essen ist verboten“, antwortete ich keck und er schüttelte den Kopf, während er weiterging.

Der Rest des Schultages verlief ereignislos.

Der Bringdienst hatte mein Essen, wie jeden Donnerstag, vor die Haustür abgestellt. Ich nahm es hoch  und ging ins leere Haus. Meine Eltern waren Journalisten bei einer großen Zeitung und sie arbeiteten fast immer. Ich sah sie manchmal an Wochenenden oder spät abends. Es gab Zeiten, da waren sie wochenlang verreist. In der Zeit waren Jules Eltern meine Pflegeeltern.

Donnerstags war die  Chance sie zu treffen am geringsten, weil da die Redaktion zusammenkam.

Ich aß mein Essen allein vor dem Fernseher.

Nachmittags war ich mit Jule im Freibad verabredet. Wir beobachteten wieder die Schwimmer. Wir hatten einen Lieblingsplatz, von dem man das ganze Becken überblicken konnte.

Jule hatte sich wegen Ian seit dem Morgen zurückgehalten. Aber ich spürte, dass ihr Kopf brodelte.   „Los“, forderte ich, “sag´s schon.“

„Ihr würdet so ein hübsches Paar abgeben“, sagte sie kleinlaut.

Ich winkte ab. „Mit dem gäbe ich ein hübsches Paar ab“, sagte ich und deutete dezent auf den jungen Mann, der sich aus dem Wasser zog. Er war durchtrainiert und trug nur eine knappe Badehose, die viel versprach. Jule verdrehte die Augen. „Kann sein, aber der steht nicht auf Jungs. Der steht auf Mädchen.“ Sie stand auf, ging hinüber zu Bernhard, ihrem Freund, und küsste ihn. Grinsend kam sie zurück.

„Hast du´s nicht langsam satt, immer nur zuzusehen? Willst du nicht auch mal Nähe spüren?“, fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern, blinzelte in die Sonne, denn sie stand ungünstig. „Ich spüre doch deine Nähe.“

„Janni, ich meine auch Sex, Knutschen, Petting. Was auch immer.“ Sie setzte sich wieder und wir genossen schweigend den Ausblick.

„Ich will das alles“, sagte ich nach einiger Zeit, „aber das ist auch nicht so einfach. Ich könnte mich nicht einfach hinstellen – ach übrigens, ich bin schwul. Und ich kann nicht einfach zu dem hin, nur weil der schwul ist und sagen, ich bin´s auch. Verstehst du? Ich kenne ihn ja gar nicht, wie kann ich wissen, dass er vertrauenswürdig ist? Gar nicht.“ Jule strich mir tröstend über den Rücken. „Gut, dann lernen wir ihn erst mal kennen.“

Das Kennenlernen ging schneller als gedacht. Jule und ich waren zulange im Schwimmbad geblieben, so dass wir den letzten Bus nach Hause knapp verpassten. „Shit, jetzt müssen wir laufen“, jaulte sie. Ich hatte keine Lust zu laufen, hatte aber auch kein Geld für ein Taxi. Ich versuchte, wenn ein Auto ankam, per Anhalter zu fahren.

Viele Autos fuhren einfach vorbei. Doch plötzlich hielt mal eins. Am Steuer saß Ian. „Wollt ihr mitfahren?“, fragte er. Jule sprang sofort auf den Rücksitz des Wagens. Ich glaube, es war ein Peugeot.

„Wo kommst du denn her?“, fragte ich und hoffte nicht zu unsicher zu klingen.

„Aus der Stadt, ich hatte gehofft, als Pizzabote arbeiten zu können, aber nix. Ich brauche ´n Job“, klagte er. Jule dachte einen Moment lang schweigend nach, während Ian mir erzählte, dass er sein eigenes Auto bräuchte, weil dieses seiner Mutter gehörte.

„Mein Onkel hat doch eine Zustellfirma“, sagte Jule schließlich. „Vielleicht brauchen die ja wen.“

„Echt, würdest du mir das vermitteln? Das wäre super“, Ians Augen blitzen vor Freude.

Die Fahrt dauerte nicht allzu lange, schließlich setzte Ian mich vor meinem Haus ab. Er bestand drauf, Jule noch bis zu ihrem Haus zu fahren, und wir machten uns einen Spaß draus, ihn zwei Häuser später wieder anhalten zu lassen.

Ich winkte meiner Freundin noch zum Abschied und ging dann ins Haus. Tatsächlich war mein Vater mal Zuhause. Er saß auf dem Sofa, die Füße auf dem  Couchtisch, ein sicheres Zeichen dafür, dass meine Mutter nicht da war.

„Hi, na wo warst du?“, fragte er. Mein Vater war erst 40 geworden und sah noch sehr gut aus. Klar, ich musste das sagen, weil immer alle sofort urteilten, „der sieht ja aus wie der Vater.“ Ich setzte mich zu ihm vor den Fernseher. Er sah sich eine Fußball Zusammenfassung an. „Schwimmen“, antwortete ich. „Mit Juliane?“, fragte er. Ich nickte. „Ich weiß gar nicht, ist sie deine Freundin?“, fragte mein Vater. Ich schüttelte den Kopf. „Sie ist doch süß“, meinte er und grinste. „Ja“, gab ich zurück, „aber sie ist wie meine Schwester und ich bin doch nicht pervers.“ Er lachte und ich lachte einfach mit. „Ich wollte vielleicht eine Pizza bestellen, magst du auch?“, fragte er. Ich wollte.

So saßen wir den Abend vor der Sportschau, aßen Pizza und tranken Bier. Ja, tatsächlich hatte mein Vater eine Kiste Bier da, die er väterlich mit mir teilte. Dieser Abend war für mich etwas Neues, so hatte ich meinen Vater lange nicht erlebt. Und das Bier war Premiere.

Erst spät gingen wir schlafen. Ich hatte lange nicht so viel getrunken wie mein Vater, aber ich vertrug sowieso nicht allzu viel.

Am nächsten Morgen fiel es mir schwer, aufzustehen. Ich kam einfach nicht aus´m Quark. Ich trank noch an meinem Kaffee, als Jule schon Sturm klingelte. „Los, los, wir verpassen den Bus“, trieb sie mich an. Nur damit wir noch die Rückleuchten des Busses zu sehen bekamen. Wir waren zu spät  aus unserer Straße gekommen.

Jule schmollte ein bisschen. „`Tschuldige“, sagte ich.

„Warum warst du denn heute so lahmarschig? Na toll, in der ersten Stunde gleich den Blome“, knurrte sie.

„Ich hab gestern Abend mit meinem Vater gesoffen. Und Fußball geguckt“, antwortete ich. „Wirklich? Ihr habt doch sonst nie Alkohol im Haus. Was ist aus dem bekennenden Anti-Alkoholiker geworden?“, fragte sie neugierig. Ich wollte gerade antworten, da fuhr ein bekanntes Auto vor.

„Kann ich euch irgendwohin mitnehmen?“, fragte Ian. Jule freute sich gleich total und sprang wieder sofort auf den Rücksitz. Ich nahm neben Ian Platz. „Wir haben mal wieder den Bus verpasst“, erklärte ich. „Passiert euch wohl öfter, was?“ Er hatte ein ehrliches und ansteckendes Lachen. „Sag mal“, Jule sah nachdenklich aus, „kommst du immer morgens mit dem Auto?“

Ian nickte. „Solange meine Mom ihren Firmenwagen hat“, antwortete er.

„Könntest du uns dann nicht immer mitnehmen? Busfahren hasse ich“, fragte sie. Ich hatte sofort einen Brechreiz, den ich aktiv unterdrückte. Jeden Morgen so dicht neben einem geouteten Schwulen, der aus der Nähe wirklich gut aussah und ein sehr betörendes Deo hatte, das machte mich nervös. Ian meinte, dass er uns natürlich mitnehmen würde und lies sich von uns unsere Handynummern geben, damit er sich rechtzeitig melden konnte, wenn was mit dem Firmenwagen war.

Wir waren vor dem Schulbus an der Schule. Die letzte Gelegenheit noch schnell eine zu rauchen. Also ab zur Raucherecke. Ich hörte Ian noch fragen, „Wohin geht der denn?“ Um Jules Antwort zu hören, war ich schon zu weit weg.

Ich rauchte meine Zigarette und bereute, nicht auch etwas Gras zu haben. Ich meinte, ich war kein richtiger Kiffer, nur ab und zu verlängerte ich ein, zwei Zigaretten, um mich extrem zu entspannen. So blieb es bei der normalen Zigarette. Dann zuckelte ich zum Klassenraum.

Freitags nach der Schule hatte ich immer Bandprobe. Ja, ich spielte in einer Band. Ich spielte Bassgitarre. Ich konnte auch Geige und Kontrabass spielen, aber die Bassgitarre machte bei meinen Freunden und Bekannten den meisten Eindruck, also ließ ich die anderen Instrumente meist unter den Tisch fallen.

Unsere Band coverte Popsongs, war also nichts Herausragendes. Aber es machte mir einfach Spaß. Leider hatte sich unser Schlagzeuger verabschiedet. Ohne ihn klangen wir nur halb so gut. „Ich hab neulich noch mit einer alten Freundin gesprochen“, sagte Lena, nachdem wieder alle gesagt hatten, wie sehr Markus fehlte. Markus war aus der Band ausgestiegen, als Lena sich von ihm getrennt hatte. „Ihr Cousin spielt wohl Schlagzeug. Sie hat gesagt, sie schickt ihn mal vorbei.“

Mein Vater war schon wieder Zuhause. Langsam machte ich mir Sorgen. „Oh“, sagte ich, „hast du etwa Urlaub?“ Er nickte. Dann vertiefte er sich wieder in eine Zeitung.

Ich schlich mich in mein Zimmer. Kaum war ich oben, klingelte mein Handy. Es war Jule. „Wo hast du dich nur solange rumgetrieben?“, tadelte sie. „Ich hab uns mit Ian verabredet. Er holt uns um acht ab. Wir gehen in die Deele. Zieh dir was Heißes an.“

Ich sollte mir also was Heißes anziehen. Super, nur was? Ich hatte gar nichts Heißes. Ich durchstöberte meinen Schrank mindestens achtmal, veranstaltete ein riesiges Chaos in meinem Zimmer und saß nachher resigniert auf meinem Bett. Plötzlich stand mein Vater in der Tür. „Machst du Modenschau?“, fragte er grinsend. Ich antwortete säuerlich, „Ich wollte ausgehen, jetzt weiß ich nicht, was ich anziehen soll.“

Er schüttelte leicht den Kopf. „Willst also Eindruck machen?“, fragte er und ich hoffte, er würde nicht bemerken, wie verlegen ich deshalb war. Er sah sich im Klamottenchaos um, ergriff eine schwarze Jeans und ein blaues Hemd mit Streifenmuster. „Ich würde das Hemd nicht bügeln, sonst wirkst du aufgebrezelt“, riet er.

 

Eine halbe Stunde später erschien ich unten im Wohnzimmer. Ich fand, ich sah wirklich heiß aus. Mein Vater hatte echt Geschmack. Und ich bemerkte, dass er eine weitere Kiste Bier gekauft hatte. Er gab mir eins und sah mich dabei fest an. „Janni, es wird jetzt wohl immer eine Kiste Bier im Haus sein. Eine Kiste pro zwei Wochen. Ich möchte in Zukunft mein Feierabendbier nicht mehr in einer Kneipe trinken müssen. Mein Bier ist dein Bier, aber wenn du alles wegtrinkst, musst du Neues besorgen.“ Das war mal eine Ansage.

Meine Eltern waren, seit ich denken konnte, bekennende Anti- Alkoholiker. Der Bruder meiner Mutter war früh dem Suff erlegen. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass mein Vater heimlich ein Feierabendbier zu trinken pflegte. „Was wird Mama sagen?“, fragte ich. Mein Vater lachte kurz. „Na ja, sie wird wohl drüberstehen, wir besaufen uns ja nicht. Nein, im Ernst, das gestern war ´ne Ausnahme. Aber nichts spricht wohl gegen eine Flasche Bier beim Fußball.“

Bald darauf machte ich mich auf, um Jule abzuholen.

Sie sah wie immer super aus. Wenn ich ein Hetero gewesen wäre, sie wäre meine große Liebe gewesen. War sie aber auch so schon, irgendwie.

Ich erzählte ihr von meinem Vater, auch sie fand sein Verhalten höchst merkwürdig. „Wo ist deine Ma denn überhaupt?“, fragte sie. „Hast du die in den letzten Tagen gesehen?“

Ich dachte kurz nach. Dann zuckte ich mit den Schultern. „Kein Plan, ob sie Zuhause war“, gab ich schließlich zu.

Jule verkniff sich ein Lachen. „Ihr seid vielleicht ein komischer Haufen“, grinste sie. „Übrigens siehst du wirklich heiß aus, heute Abend“, sagte sie und musterte mich.

„Danke.“ Ich grinste. „Mein Papa hat mir die Klamotten ausgesucht.“ Ich musste es ihr dreimal schwören, weil sie‘s nicht glauben wollte.

Pünktlich um acht fuhr Ian vor. Er trug einfach Jeans und T-shirt. Ich war diesmal schneller als Jule, ehe sie sich versah, war ich hinten eingestiegen. Ian hatte gute Laune, man merkte ihm nun aber doch etwas Nervosität an. Ich fand das gut, das machte ihn weniger perfekt.

Die Deele war die einzige Art Kneipe in unserer Gegend. Wir setzten uns zuerst an einen Tisch und erzählten uns unsere Lebensgeschichten. Jule und ich saßen nebeneinander auf der einen, Ian auf der anderen Seite.

Er erzählte uns von seiner Kindheit in New Jersey, von der Trennung seiner Eltern, als er 14 war und seinem Umzug in die Heimat seiner Mutter. Ich fand es erstaunlich, dass er akzentfrei Deutsch sprach. Er sagte, seine Mutter war Deutschlehrerin und nahm es daher sehr ernst, dass er und seine  Schwester Virginia sehr gut Deutsch sprachen. Seine Schwester war zwei Jahre älter und war zum Studium nach New York gegangen.     

Teilweise war die Musik ganz gut, so dass Jule und ich öfters mal auf der Tanzfläche verschwanden. Ich tanzte gern mit Jule. Auch wenn sie sich immer gleich wie eine Katze an mich schmiegte, so dass alle rundherum dachten, wir tanzten nicht, wir hätten Sex.

 

Irgendwann aber hatte ich genug vom Tanzen, so dass Jule nach viel Gedrängel mit Ian auf der Tanzfläche verschwand und ich den beiden zusehen musste. Nun fand ich Jules Tanzstil aber wirklich daneben. Sie tanzte mit Ian genauso eng wie mit mir. Und es gefiel mir nicht, dass es ihn zu gefallen schien.

War das der Grund für sein Outing? Alle Mädchen würden erst recht auf ihn fliegen. Weil er ja auch gar nicht schwul wirkte, schoss mir durch den Kopf. „Was, wenn er gar nicht schwul ist?“

„Wer ist denn der?“, riss mich Bernhards Stimme aus meinen Gedanken.

„Ach, der ist neu in unserer  Klasse, keine Sorge, der ist schwul. Ian“, antwortete ich. Bernhard setzte sich. „Weißt du“, sagte er und beugte sich etwas zu mir rüber: „Ich vertraue ihr ja. Und mit dir, ihrem Bruder“, er machte mit den Fingern Gänsefüßchen, „habe ich mich abgefunden, aber wenn sie sich jetzt ´n schwulen besten Freund zulegt, gehe ich noch kaputt vor Eifersucht.“ Jule hatte nicht mal ihm von meiner Neigung erzählt.

Es dauerte nicht sehr lange, da entdeckte Jule ihren Bernhard und kam zum Tisch zurück. Sie küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. Und stürzte Ian in die totale Verwirrung. „Ich dachte, ihr zwei wärt ein Paar“, sagte er. Er wirkte wirklich etwas geschockt. „Nein, wir sind nur Freunde, mehr nicht“, klärte ich ihn auf, nicht ohne meinen Lieblingsspruch zu verwenden. „Sie ist wie meine Schwester und ich bin doch nicht pervers.“ Ich mochte Bernhard gern, er war 23 Jahre alt, er und Jule waren schon seit einem Jahr ein Paar und er tat ihr gut. Nebenbei sah er noch fantastisch aus, wohnte in seiner eigenen Wohnung und verdiente als Lagerist gutes Geld. Ich war fast ein bisschen neidisch.

Erst spät fuhren wir nach Hause. Jule fuhr natürlich mit zu Bernhard, so dass ich mit Ian alleine fahren musste. Ich hatte einen im Tee, nicht doll, aber ich war nicht so verkopft wie sonst. Wir lachten viel und kurz, ganz kurz berührten sich unsere Hände. Als ich am Radio rumspielte und er genug von Schlagern hatte. Ich nahm dies als Warnschuss und schaltete meinen Kopf wieder dazu. Ich wollte nicht, dass er wusste, dass ich auch schwul war.

Als er vor meinem Haus halten wollte, sprang plötzlich ein Kaninchen über die Straße. Ich erkannte es sofort. Es war eins der Kaninchen von Jules kleiner Schwester Dannika. „Mist“, fluchte ich, „die Kanickel sind raus.“ Ich sprang aus dem Auto und schnappte mir gleich Konrad. Der Dicke saß im Blumenbeet meiner Eltern. Ian schlug vor, ihn in den Kofferraum zu tun, bis wir die beiden Mädels auch hatten. Mucki saß auf unserer Einfahrt fest. Wir umzingelten sie und Ian packte wirklich blitzschnell zu. Jetzt fehlte nur noch Berta. Dann entdeckte Ian sie, auf dem Rasen vor Jules Haus. Sie war dermaßen mit dem Klee beschäftigt, dass sie sich mühelos einfangen lies.

Wir brachten sie nach hinten in Jules Garten in den Hasenstall. „Was für eine Aktion“, lachte Ian, als wir zum Auto zurückkehrten.

„Ja, mit Jule hab ich ´ne Beziehung zum Pferdestehlen, mit ihrer kleinen Schwester nur zum Kanincheneinfangen.“ Ich selbst fand das in diesem Augenblick sehr lustig. Ian sah mich nun einmal kurz schweigend an. Der Blick war seltsam und ich spürte die Röte in meinem Gesicht. Ich war froh, dass es noch dunkel war.

„Tja“, sagte Ian dann, „sehen wir uns Montag.“ Das war keine Frage, das war eine Feststellung. „Ich bin mit Jule morgen aber auch wieder im Freibad, zum Gucken …“, hatte ich das gerade echt gesagt? Ich hätte mich sofort töten können.

„Zum Gucken?“, fragte Ian.

„Na du weißt schon, sich präsentieren, gucken, ob man eine an Land ziehen kann“, versuchte ich den Macho. Er gelang mir nicht sonderlich. „Ja“, meinte Ian dann. „ Mal sehen, ich melde mich.“ Er stieg ins Auto. Ich drehte mich um und ging unsere Einfahrt hoch. Ich erwartete das Motorengeräusch, aber da kam nichts. Schließlich drehte ich mich zurück und sah wie Ian fluchend etwas suchte. Ich ging zurück.

„Hast du vielleicht in dem Trubel den Schlüssel eingesteckt?“, fragte er. Ich durchforstete meine Taschen, aber ich hatte ihn nicht. Ian fluchte, erstaunlicherweise in Englisch. Er musste ihm bei der Hatz aus der Tasche gefallen sein. Wir suchten so gut wir konnten, aber vor Sonnenaufgang war da nichts zu machen. „Schlaf doch einfach bei mir, morgen früh werden wir den Schlüssel schon finden“, schlug ich vor. Ich konnte ihn ja schließlich nicht draußen schlafen lassen. Ich war von der  Kälte ziemlich verfroren. Nachts war es plötzlich bitter kalt.

Zitternd schloss ich die Haustür auf und wies Ian sofort den Weg die Treppe rauf. Mein Reich war das Dachgeschoss. Mein Zimmer war ziemlich klein, nur mein Bett und mein Schreibtisch fanden Platz. Mein Schrank stand auf dem Flur. Aber ich hatte ein Gästebett, in einem noch winzigerem Zimmer, und mein eigenes Bad mit Badewanne.

Schnell gab ich Ian etwas Bettzeug. Dann holte ich ihm noch eine Flasche Wasser und ging kurz ins Bad, um mich umzuziehen. Ich zog mir eine knielange Sporthose und ein T-Shirt an. Normalerweise schlief ich bloß in Unterhosen, aber das traute ich mich heute Nacht nicht.

Als ich aus dem Bad kam, war im Gästezimmer schon Licht aus, aber die Tür stand etwas offen. „Brauchst du noch Schlafzeug?“, fragte ich.

Ian lachte. „Nein, ich schlaf immer nur in Unterhosen, die hab ich noch.“

Wenige Minuten später lag ich in meinem Bett. Ich konnte nun beim besten Willen nicht einschlafen. Da lag ein Kerl in meinem Gästebett, nur bekleidet mit einer Unterhose, ob er wohl Boxer anhatte. Der Gedanke ließ mich nicht ein Auge zu tun. Nein, er bescherte mir nur einen sehr harten Ständer. Ich wagte erst nicht, ihn überhaupt anzufassen, lauschte immer, ob sich was vor meiner Tür tat.

Erst als ich so geil war, dass es schon wehtat, legte ich Hand an. Ich stellte mir vor, wie Ian wohl stöhnen müsste. Malte mir aus, wie es wäre, wenn ich jetzt zu ihm rüberginge und ihm seine Unterhose auszöge und ihm mit meiner Latte konfrontierte. Ich kam heftig und laut. Letzteres erschreckte mich, so dass ich ewig lauschte, ob Ian es wohl gehört hatte.

Ewigkeiten lag ich ganz still, bis das Sperma auf meinem Bauch unangenehm kalt wurde und etwas zu jucken begann. Dann stand ich auf, wischte mich mit einem anderen T-Shirt ab und lief sehr leise durch den Flur ins Bad. Dort machte ich mich richtig sauber und wollte gerade wieder leise in mein Zimmer huschen, als ich Ians Stimme hörte: „Sag mal, geht es dir eigentlich auch so?“ Ich erschrak so, dass ich für einige Sekunden den Atem anhielt.

„Wobei?“, keuchte ich schließlich.

„Kannst du auch Schwule aus der Menschenmasse heraus sehen, ich meine, hast du auch den Blick für die Leute, die anders sind?“ Ich hörte keinen Hohn in seiner Stimme. Ich bekam Angst, er hatte mich durchschaut. „Weiß nicht, bin ja nicht anders. Schlaf gut“, sagte ich ein wenig zu schrill und verschwand blitzschnell in meinem Zimmer.

Ich schlief erst ein, als draußen schon wieder die Sonne schien.

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