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Teufel und Engel
Osterchallenge 2006
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Informationen
- Story: Teufel und Engel
- Autor: JR
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Challenge
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1
- Darian
- Jonas
- Darian
- Jonas
- Darian
- Jonas
- Darian
- Jonas
- Darian
- Jonas
- Darian
- Jonas
- Darian
- Jonas
- Darian
- Jonas
Sanft ließ ich meinen Geist über den See gleiten. Ich war auf der Suche, ja das war ich. Aber nach WAS war ich auf der Suche? Und vor allem, WAS oder WER war ich? Langsam glitt ich am Ufer entlang und dann nahm ich eine Präsenz war, nein nicht eine, sondern zwei, aber so dicht beieinander, dass man es hätte übersehen können, wenn sie nicht so unterschiedlich wären – zu unterschiedlich?
Dort bei der Scheune musste es sein. Unbemerkt verschaffte ich mir Zutritt – wer sollte mich auch bemerken?
Wo waren sie?
Ein Lächeln übermannte mich, wenn ich hätte lächeln können – denn ich fand sie auf dem Heuboden. Wir hatten Spätsommer, die Luft war auch am Morgen angenehm warm und zwei Menschen lagen vor mir auf einer Decke, nackt und eng umschlungen im Heu.
Wer waren sie?
Sie waren männlich, das konnte man mehr oder weniger gut erkennen und sie waren jung. Zwei Jugendliche an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Der Eine hatte blondes Haar, halblang mit einigen Strohhalmen durchsetzt. Schmale Augenbrauen, unter denen lange, dunkelblonde Wimpern ihm fast schon einen weiblichen Touch gaben. Darunter verbargen sich herrliche, große und dunkelbraune Augen, die man jetzt nicht sehen konnte – aber ich wusste es. Eine niedliche Stupsnase gab ihm ein spitzbübisches Aussehen, die von seinen Grübchen, wenn er dann mal herzhaft lachte, nur noch verstärkt wurde. Sein schmaler Mund wirkte klein, passte aber so eher zu dem leicht runden Gesicht. Die Person, an die er sich schmiegte, hätte nicht unterschiedlicher sein können. Pechschwarzes, wirres, jedoch kurzes Haar krönte sein Haupt. Genau von demselben dunklen Ton waren seine Augenbrauen und seine langen Wimpern. Das Auffälligste in seinem Gesicht war gerade nicht zu sehen – eisblaue strahlende Augen, die aus seinem schmalen Gesicht regelrecht hervorstachen. Seine Nase war etwas eigenwillig – schlank, fast elfenmäßig, nur wies sie in der Mitte einen kleinen Knick auf. Ein weiteres auffallendes Merkmal war sein Mund, der sich leicht zu einem verschmitzten Lächeln geöffnet hatte – das Krönende waren aber seine vollen, leicht geschwungenen Lippen. Vor mir lagen also im sprichwörtlichen Sinne ein blonder Engel und ein schwarzer Teufel – das war aber nur oberflächlich. Sanft drang ich in ihren Geist ein und wieder verblüffte mich die Gegensätzlichkeit der Charaktere. Der Eine war wild und unbeherrscht - ein echter Kerl mit pessimistischer Grundeinstellung, jedoch…
…ich sah auch noch etwas anderes. Der Andere war eher sanftmütig, optimistisch und friedfertig, aber auch hier gab es mehr, viel mehr. Und das Wichtigste für mich war …
… sie hatten etwas zu erzählen, eine Geschichte – ihre Geschichte. Und genau das führte mich hierher, das war mein Wesen – ich war ein Sammler, ein Archivar von Geschichten, nicht von Märchen, nein von wahren Erlebnissen. Es gab nichts Faszinierendes als diese Geschichten zu finden, ihre Protagonisten zu begleiten, mitzuleiden, mitzulieben, mitzuträumen und mitzuleben.
Und manchmal war ich nicht nur Sammler, sondern auch eine Art Gestalter, dann griff ich in den Verlauf ein, aber ich gab immer nur eine Art von Hilfestellung – ich veränderte nie Grundlegendes, denn sonst wären diese Geschichten doch zu Märchen mutiert.
Und manchmal, aber nur ganz selten, erzählte ich diese Geschichten weiter…
…und habt Ihr Interesse?
Nein?!?
Schade, sie ist wirklich lesenswert…
Ach ich habe Euch nur falsch verstanden, sagt Ihr? Gut, dann lasst uns beginnen, denn es wird Zeit, dass ich mich wieder von den Beiden zurückziehe, denn sie haben etwas bemerkt. Der Schlaf des Engels wird unruhig und erst als der süße Teufel ihn näher zu sich heranzieht, beruhigt er sich wieder und die Atemzüge werden gleichmäßig.
Darian
Man, war das ein Tag heute. Irgendwie schwebte ich auf Wolke sieben und ich wusste nicht einmal, warum. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass ich auf dem Weg zu meiner ersten Fahrstunde war? Nein, das war nur ein kleiner Bestandteil, ein Mosaikstein sozusagen. Ein weiterer war die geile Nacht, die ich gehabt hatte. Der Typ, den ich gestern in der Disse aufgerissen hatte, war der echte Hammer im Bett gewesen. Klar, One-Night ist nicht das Wahre, aber mit 17 auf den Richtigen warten und dabei verwelken, nö, keinen Bock. Zum Glück hatten wir unseren Trieb bei ihm ausgelebt, unsere Aktivitäten und die entsprechende Lautstärke dazu hätten meine wirklich aufgeklärten und coolen Eltern wohl ein wenig aus dem Konzept gebracht. Ich sehe schon, nun wird es doch ein bisschen unübersichtlich, somit ein paar Einführungsworte.
Gestatten, mein Name ist Darian. Bin zarte 17 Lenze jung und männlich, was ich heute Nacht mehr als einmal zu spüren bekommen habe. Hm, da ich mir einen Kerl aufgerissen hatte, nehmt ihr zu Recht an, dass ich schwul bin. Meine Eltern wussten es seit einem Jahr und mein Outing war so was von unspektakulär. Eines Morgens fragte mich mein Vater, ob die zukünftige Schwiegertochter eher ein Schwiegersohn werden würde. Wie gesagt, es war am frühen Morgen, sozusagen mitten in der Nacht und ich noch nicht richtig wach. Zuerst fingen ganz kleine Rädchen in meinem Kopf an, zu wirken, fassten dann in größere und als mir der Sinn der Frage endlich klar wurde – spuckte ich meinen gerade getrunkenen, noch im Mund befindlichen Kakao quer über den Tisch. Die Reaktion meiner Mutter war nur der Spruch:
„Ein einfaches Ja hätte es auch getan.“
Ich sah meine Eltern mit tellergroßen Augen an, was ich im Angesicht der frühen Tageszeit schon als Spitzenleistung empfand, aber zu einem Wort war ich nach wie vor nicht richtig fähig.
„Wollt…, wollt ihr …, ihr damit sagen …“, stammelte ich vor mich hin.
„Was saaaaaagen …?“, hakte mein Vater nach.
„…damit andeuten…, ähm eventuell…, dass ich …“, stotterte ich weiter.
„... Du schwul bist?!“, vollendete meine Mutter unseren gemeinsamen Satz.
‚Müsste ich eigentlich diesen Satz nicht sagen und dabei mit allem grässlichen rechnen?‘, dachte ich mir noch so, als ich in zwei lächelnde Gesichter schaute. Nein, wirklich Angst hatte ich vor diesem Augenblick nie gehabt, aber ein wenig anders hatte ich ihn mir schon vorgestellt. Und vor allen mit dem klitzekleinen Unterschied, dass ICH es ihnen sagte.
„Und?“, brachte mich mein Vater in die harte Wirklichkeit zurück. Obwohl er es wohl fast sicher ahnte, wollte er die endgültige Gewissheit durch die Aussage des Delinquenten.
„Ja“, murmelte ich dann doch etwas verunsichert.
„Kopf hoch, nicht jeder ist vollkommen“, hörte ich meinen Vater.
„Paaaaaaaaaaps“, fuhr ich auf.
„Rainer“, erhob meine Mutter leicht ihre Stimme.
„Darian, du bist der Sohn, den wir uns immer gewünscht haben und daran wird sich nie etwas ändern!“
Dabei hatte sich mein Vater zu mir gestellt und mich vom Stuhl hochgezogen. Seine Augen bohrten sich in meine und ich konnte sehen, dass er diese Worte auch genau so gemeint hatte. Erleichtert umarmte ich ihn und seine Hand wuschelte durch mein Haar. Wie gesagt, Angst hatte ich vor diesem Augenblick nie gehabt, erleichtert war ich trotzdem.
Geändert hat sich seit diesem Tag nicht so viel, außer, dass meine Eltern ab und an mal nach einem Freund fragten – nur an dieser Front tat sich einfach nichts. Ich hatte meine ganz konkreten Vorstellungen von genau dieser Person und so langsam war ich mir sicher, dass ich mir diesen Freund wohl backen müsste. Sex war dagegen etwas anderes, denn es gab schon so ein oder zwei Schnuckels, die regelrecht danach schrien, vernascht zu werden. Und in den meisten Fällen war er auch echt geil, aber mehr als eine kurzfristige Lustbefriedigung sprang dabei nicht heraus. Da ich bei dieser Angelegenheit jedoch sehr diskret war, dachten meine Eltern wohl, dass ich noch gar keinen gehabt hätte und somit die Frage nach einem Freund.
Somit ging es mir blendend, mit der Welt im Reinen – nur der Freund fehlte. Aber daran dachte ich nun gerade gar nicht, denn ich hatte heute Nachmittag was sehr aufregendes vor. Wieder mitten in der Nacht, so gegen acht Uhr, hatte mein Vater mir eröffnet, dass er sich durchaus vorstellen könnte, dass ich von der Familienkutsche die Umwelt mal von einer anderen Perspektive betrachten könnte. Genau so kompliziert hatte er es ausgedrückt und ich saß mit einem zu dreiviertel noch schlafenden Gehirn vor meinem Kakao und versuchte, die Worte zu enträtseln. Von meinen Paps würde ich keine weitere Hilfe erhalten, denn ich war mir sicher, dass er mitbekommen hatte, dass ich erst gegen vier Uhr unser Haus betreten hatte. Gut, dann würde ich mich mal diesem Problem widmen und meine Erinnerungen an die Nacht, die sehr interessant waren, beiseite schieben. Versuchten wir es mal unverfänglich.
„Ja, ja“, antwortete ich ihm und gähnte herzhaft. Falls ich jetzt damit gerechnet hatte, dass ich eine Antwort bekam, war ich ziemlich auf dem Holzweg. Und genau dieses Schweigen war genau das, was ich nicht gebrauchen konnte. Jedoch, wozu gab es Mütter?
„Rainer, du siehst doch, dass der Junge immer noch schläft“, hörte ich sie. Irgendetwas war hier im Busch und ich schaute meinen Vater an – der griente über beide Backen.
„Na ja, wer erst um kurz nach vier das Haus betritt, muss halt auch mit vier Stunden Schlaf auskommen“, antwortete er.
„Ich will gar nicht wissen, was er so die ganze Nacht getrieben hat“, murmelte meine Mum. Ich persönlich hörte nur das Wort „getrieben“, verschluckte mich mal wieder an meinem Kakao und lief leicht rosa an.
„Ich glaube, Christine, mit dem Wort 'getrieben' liegst du nicht so weit daneben und ich erinnere dich mal an unsere Jugend, was wir so bis zum frühen Morgen gemacht haben“, hörte ich ihn sagen, wobei er das Wort „gemacht“ komisch aussprach. Das führte zu zweierlei Reaktionen. Ich war schlagartig wach, denn eindeutiger konnte mir mein Vater nicht klarmachen, dass er sich durchaus vorstellen konnte, was ich so trieb. Und meine Mutter lief leicht rosa an. Sollte ich das Thema weiterverfolgen? Neeee, meine Eltern und Sex – das konnte ich mir nun wirklich nicht vorstellen!
„Meine liebe Frau, schau dir mal das entsetzte Gesicht unseres Sohnes an, der glaubt doch wirklich, wir hätten ihn im Reagenzglas gezeugt“, nahm mein Paps kein Blatt vor den Mund. Damit wäre die Frage auch geklärt, warum ich meine Eltern nie anlüge, weil mein Vater mit schlafwandlerischer Sicherheit alles durchschaute und in mir wie einem offenen Buch lesen konnte – da sagte ich in manchen Situationen lieber gar nichts. Meine Mutter hatte sich gefangen und hieb in dieselbe Kerbe.
„Ja, mein lieber Sohn, du wurdest in Liebe gezeugt“, flötete sie mir zu. Ich war sprachlos und mein Gesicht musste Bände sprechen, denn meine lieben Eltern brachen in schallendes Gelächter aus. Hier musste ich wieder elegant die Kurve kriegen!
„Paps, wo wolltest du mit mir heute Nachmittag hin?“, fragte ich unverfänglich mit mehreren Hintergedanken.
1. Das Thema Elternsex umgehend verlassen und
2. meinen Vater das aussprechen lassen, was er mir vorhin so verklausuliert mitteilen wollte.
„Was für ein plumpes Täuschungsmanöver“, stöhnte er gespielt auf. Manchmal verfluchte ich wirklich seinen Job – ich hatte in solchen Sachen nicht wirklich eine Chance.
„Sei einfach um 15 Uhr da, okay?“, war sein letztes Wort in dieser Angelegenheit und ich wusste, mehr würde ich nie und nimmer aus ihm herausbekommen. Na ja, musste ich meine Mutter eben über den Tag irgendwie zum Reden bekommen und das war um ein Vielfaches leichter.
Somit begann das eigentliche Wochenende. Meine Eltern waren zwar absolut spitzenmäßig, aber es gab ein paar Regeln, die ich einzuhalten hatte. Ich durfte mich am Freitag und Samstagabend so lange herumtreiben wie ich wollte, aber ich hatte am Samstagmorgen um acht Uhr am Frühstückstisch zu sitzen. Mein Vater war am Samstag meistens arbeiten und so hatte ich meiner Mutter an diesem Tage im Haushalt zu helfen. Bei einem großen Haus und dem dazugehörigen Garten fiel immer so einiges an. Da ich das von kleinauf gewohnt war und die zwei bis drei Versuche, mich am Samstag um meine Familienaufgaben zu drücken, mit tiefster Verachtung gewürdigt wurde – stellte es kein Problem für mich da, nur war ich durch meine freitagabendlichen Aktivitäten in den letzten zwei Jahren doch am Samstagmorgen immer etwas down.
Und nun war es kurz vor 15 Uhr. Meine Mutter hatte wider Erwarten dicht gehalten und ich musste mich auf diesen komischen Satz meines Vaters zu Beginn unseres Frühstückes besinnen. Gegen Mittag traf mich dann der alles erleuchtende Blitz – Familienkutsche, andere Perspektive, er meinte doch nicht etwa ein paar Fahrstunden? Doch, da war ich mir nach zwei weiteren Stunden intensiven Grübelns ziemlich sicher.
Endlich war ich angelangt und enterte die heiligen Hallen.
„Lasst mich endlich los, ihr Scheißbullen!“, schlug mir als erstes entgegen. Direkt vor mir war ein kleines Gerangel und die Ursache dessen riss sich gerade los. Und das mit soviel Schwung, dass diese Ursache direkt rückwärts auf mich knallte.
Umpf, mir blieb die Luft weg, aber nicht nur, weil diese Person mir unsanft mit einem Ellenbogen die Luft aus dem Brustkorb trieb – nein! Die Berührung mit dem Körper elektrisierte mich. Ich bekam eine Gänsehaut und meine Nackenhärchen richteten sich auf. Dieses Gefühl wurde noch stärker, als ich mehr zum Schutz, die Person mit meinen Armen umschlang, damit wir nicht hinfielen. Der Dank für diese Aktion kam postwendend.
Diese Person drehte sich um, stieß mich von sich und holte zu allem Überfluss auch noch mit der rechten Hand aus. Das Erkennen und Handeln lief jetzt automatisch ab – Sekunden später hatte ich den Angreifer auf dem Boden festgetackert. Das Ergebnis war aber mehr als gewöhnungsbedürftig. Durch diese Aktion hatte ich sehr engen Körperkontakt und ich sah in die schönsten rehbraunen Augen, die ich je gesehen hatte. Okay, das eine war mit einem herrlichen Veilchen verziert, aber ansonsten einfach – WOW.
„Darian, danke für deine Hilfe, aber jetzt übernehmen wir wieder, okay“, hörte ich in meinem Rücken. Flugs war ich auf den Beinen, zumal sich auch gerade andere Körperteile bemerkbar machten. Ich hatte mich nicht auf den ersten Blick sondern auf den ersten Kontakt über beide Ohren verknallt und zu allem Überfluss begehrte ich diese Person auch noch. Mein Opfer war mittlerweile auch wieder auf den Beinen und der erste Schock, der ihm die Sprache verschlagen hatte, war wohl vorbei.
„Und was wollt ihr Arschlöcher jetzt machen, mich weiter verprügeln?“, schrie er wieder. Irgendwie passte der hassverzerrte Gesichtsausdruck nicht zu dieser Person. Vor mir stand ein Junge, circa einen halben Kopf größer als ich und in meinem Alter. Zurzeit war er stinkwütend und keifte herum.
„Großer Gott noch mal, ist HIER bald mal Ruuuheeee!“, erscholl es auf einmal mit nicht mal so laut vorgetragener Stimme aus einer Ecke. Es war nicht der Satz, der es mucksmäuschenstill werden ließ, nein, vielmehr die Autorität, die diese Stimme ausstrahlte. Sogar mein neuer Schnuckel verkniff sich einen Ausspruch. Ein Mann circa zwei Meter groß, genauso breit und in Zivil gekleidet, bahnte sich einen Weg durch die Leute und fixierte den Übeltäter mit seinen Augen.
„Wenn Sie endlich mal für eine Viertelstunde Ruhe geben und Ihren Allerwertesten dort auf die Bank verfrachten würden, dann könnte ein Beamter Ihre Daten aufnehmen und Sie dürften diesen unangenehmen Ort postwendend wieder verlassen!“ Eine Weile starrten sie sich noch an, aber dann trottete der Junge zu der angesprochenen Sitzgelegenheit und ließ sich schweigend nieder.
„Und Sie spielen hier nicht Polizist und lassen meine Leute die Arbeit machen. Also auch Abmarsch zur Bank!“, grummelte mich der Riese an. Ich sah ihn sprachlos an und wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Einige der Polizisten schauten erleichtert, weil endlich Ruhe war – andere hatten jedoch arge Mühe, nicht laut loszuprusten.
Okay, dann setzte ich mich zu meinem neuen Schwarm, war mir ja ganz recht so. So unauffällig wie möglich, musterte ich ihn. Oh man, der Typ sah hammermäßig aus. Auch, wenn sein Hass nun wohl einer Art Resignation gewichen war und ihm dies genauso wenig stand, war das Äußere mehr als lecker. Er hatte halblanges blondes Haar, welches ihm ab und an ins Gesicht fiel. Seine Augen waren ziemlich groß und braun, das hatte ich ja schon aus nächster Nähe gesehen. Eine kleine Stupsnase, die ihm eigentlich ein freches Aussehen gab, zierte sein Gesicht. Der Mund war eher klein und zurzeit verkniffen. Tja und sein Körper, den ich ja auch spüren durfte, war recht muskulös, schlank und einfach fantastisch zum Anfassen.
In meinen Träumereien vertieft, hatte ich ihn wohl zu lange angestarrt.
„Gibts was?“, brummte er. Oh, diese Stimme, einfach göttlich – los komm, sag noch was.
„Wat glotzte denn so?“, wurde er schon wieder aggressiv. Die Stimme ließ mich einfach nur dahinschmelzen, aber so langsam verarbeitete ich auch den Inhalt seiner Sätze und schaute weg. Okay, nicht ganz, aus den Augenwinkeln beobachtete ich ihn doch weiter und ab und an erwischte ich ihn, wie er mich musterte. Nebenbei rasten meine Gedanken und ich versuchte, Möglichkeiten zu finden, um mit meinem Banknachbarn ins Gespräch zu kommen. Nur fand ich einfach keine – so blieb mir nur das „unbemerkte“ Beobachten. Von wegen unbemerkt!
„Man, sitzt dir deine Wollmütze zu tief im Gesicht oder biste einfach nur taub – WAS GLOTZTE DENN SO?“, hörte ich ihn wieder genervt sagen. Also, die Stimme war schon himmlisch, nur der Ton ließ zu wünschen übrig.
‚So ein Proll‘, dachte ich mir und wandte mich ihm nun endgültig zu. Als ich seinen genervten Gesichtsausdruck dabei bemerkte, kam mir das Sprichwort in den Sinn ‚Sie ist blond‘ und das schien hier auch mal auf einen Kerl zuzutreffen. Den Beweis meiner Theorie erbrachte er dann höchstpersönlich.
„Biste schwul oder wat?“, gab er ätzend von sich.
Hui, gleich so mit der Tür ins Haus fallen? Okay das konnte er haben.
„Jo“
Mein erstes Wort an den Blonden, aber eins mit verheerender Wirkung. Ihm entglitten die Gesichtzüge und das ziemlich schnell, was meine Theorie von Beschränktheit nun wiederum nicht untermauerte.
Jonas
So ein beschissener Tag! Ich saß hier in dem verdammten Bullenwagen und hatte keine Ahnung, warum!
Okay, der Typ auf dem Rummel sah nun noch schlechter aus als vorhin, wozu es eigentlich keiner großen Anstrengung bedurft hätte, jedoch ER hatte angefangen, meine Kirsche anzubaggern.
Gut, er schien nicht alleine zu sein, denn auf einmal befand ich mich drei Typen gegenüber. Aber genau solche Schlachten waren mein Ding. Dem Einen hatte ich schneller in seine Weichteile getreten, als er 'Mami' sagen konnte. Dem Zweiten verpasste ich einen auf die Nase, ich hörte sie immer noch knacken – nur der Dritte war mutiger als ich am Anfang angenommen hatte, denn er traf irgendwie mein Auge. Das war auch seine letzte Aktion, denn danach erklärte ich ihm mit meinen Fäusten erst einmal, dass er hier auf dem Boden besser aufgehoben war.
Na ja, die Rausschmeißer waren dann da und das ich einem von ihnen auch noch einen Schwinger verpasst hatte, der ihn zu Boden gehen ließ und seine Ehre wohl ziemlich tief verletzte, nahmen die anderen beiden sehr persönlich. Fünf Minuten später fand ich mich beim Geschäftsführer wieder und der brabbelte irgendetwas von Hausfriedensbruch und Polizei. Natürlich waren die Kackbullen ruck zuck da und verfrachteten mich in ihren Wagen.
Man, wenn die mich dabehielten, hatte ich ein Problem. Das war diesen Monat das zweite Mal, dass ich mit den Bullen Kontakt hatte. Vor zwei Wochen hatten sie mich beim Ladendiebstahl erwischt, dabei ging es doch nur um die Fuck-CD. Nur hatte die Alte zu Hause einen Riesenstress gemacht, da war sie mal nüchtern und machte mich von der Seite an. Und die blöde Schlägerei vor zwei Monaten war auch noch nicht ausgestanden.
Fuck!
Die Alte holte mich nie aus dem Knast. Egal, irgendwie würde ich das schon deichseln, hatte ich bisher immer hinbekommen. Vorsichtig tastete ich nach meinem Auge. Na toll, das würde ein beschissenes Veilchen werden und somit wieder zu Fragen führen.
Nach relativ kurzer Fahrt endete diese vor einem großen Haupteingang. Ich wurde aufgefordert, das Fahrzeug zu verlassen und dem einen Bullen zu folgen. Da dies dem Zweiten wohl nicht schnell genug ging, fasste er mich an den Arm und schob mich vorwärts.
„Grabsch mich nicht an“, fauchte ich ihn an. Mitleidig lächelnd ließ er mich wieder los.
‚Blöder Bulle, hielt sich wohl für Supermann‘, dachte ich mir. Na ja, so cool war ich dann wohl doch nicht. Als ich die Bullenstation betrat, musste ich schlucken und verharrte kurz im Schritt. Das fasste mein Bewacher hinter mir wohl falsch auf und betatschte mich schon wieder. Unsanft riss ich mich los, was aber dem anderen Bullen nicht so gefiel. Jetzt grabbelte der mich auch noch an. Ich hasste das, wenn mich jemand anfasste!
„Lasst mich endlich los, ihr Scheißbullen!!“, schrie ich sie an und riss mich mit aller Kraft los. Die Wirkung hatte ich leicht unterschätzt und stolperte nach hinten. Mit leicht diabolischem Grinsen bemerkte ich aber, dass ich mich gelöst hatte. Dann knallte ich auf etwas Festen und rammte diesem Hindernis erst einmal meinen Ellenbogen in den Oberkörper. Ich hörte nur, wie jemand die Luft entweichen ließ. Dann wurde ich schon wieder betatscht, nee schlimmer noch, derjenige umschlang mich mit seinen Armen – man waren denn hier nur Irre? Okay, wir wären eventuell zu Boden gegangen, aber das war des Guten zuviel. Ich drehte mich blitzartig um und holte aus, um meine Meinung zu diesem Thema schlagkräftig darzulegen.
Peng, Sekunden später sah ich Sterne! Was war das denn? Ich lag auf dem Boden und konnte mich nicht bewegen! Über mir schauten mich zwei eisblaue Augen ernst aber auch überrascht an. Jetzt bekamen sie noch einen anderen Ausdruck, irgendwie verträumt. Aus dem Hintergrund hörte ich jemanden etwas sagen und der Kerl über mir stand auf. Flink war ich auf den Beinen und musterte den Typen kurz. Der war ja ein halben Kopf kleiner und wirkte auch recht schmächtig, nur hatte er mir eben meine Grenzen aufgezeigt und das hob meine Stimmung nicht gerade. Ich wurde noch wütender als ich schon war.
„Und was wollt ihr Arschlöcher jetzt machen, mich weiter verprügeln?“, schrie ich los.
‚Oh man, was für Bullshit‘, dachte ich mir noch, weil die Bullen hatten mir ja nun doch nichts getan, aber irgendwie musste ich meinem Frust Luft machen.
„Großer Gott noch mal, ist HIER bald mal Ruuuheeee!!!“
Eine Stimme in meinem schmerzenden Schädel sagte mir ‚Halt jetzt bloß die Klappe!‘. Und der Zweimetermann war nicht von schlechten Eltern, der sich mir da näherte. Der Typ hatte nicht mal laut geschrieen oder so, trotzdem war es mucksmäuschenstill geworden. Einen Meter vor mir blieb er stehen und fixierte mich.
„Wenn Sie endlich mal …“ bla bla bla, egal was er jetzt faselte, ich hatte seine Anweisung schon in den Augen gesehen und trottete zur Bank. Ich wollte hier wieder schnellstmöglich raus und das lief nur über diesen Zivilisten, das hatte ich sofort begriffen.
Moment mal, der sprach ja gar nicht mehr zu mir.
…lassen meine Leute die Arbeit machen. Also auch Abmarsch zur Bank!“, grummelte der Schrank den Jungen neben mir an. Der sah ziemlich sprachlos aus und ich konnte mir gerade noch so ein Grinsen verkneifen. Trotz allem schien die Stimmung irgendwie gekippt zu sein und einige Bullen hatten Mühe, sich das Lachen zu verkneifen.
Na egal. Jetzt saß der Typ neben mir und ich konnte ihn mal unbemerkt mustern. Ist noch nicht so oft vorgekommen, dass mein Schlag abgewehrt wurde und man mich dann Sekunden später auf den Boden festtackerte. Wie hatte er das gemacht? Der Kerl war circa so alt wie ich, hatte schwarzes Haar, das zum größten Teil unter einer lächerlichen Wollmütze versteckt war. Die Augen waren von einem eiskalten Blau, die Nase hatte einen leichten Knick – aha, der Bengel hatte Kampferfahrung, denn so was wies immer auf eine gebrochene Nase hin. Eigentlich wirkte er schmächtig, aber durch den Körperkontakt vorhin, hatte ich seine sehr sportliche Figur gespürt – der Typ war nicht zu unterschätzen. Eins nervte mich aber jetzt doch gewaltig. Er beobachtete mich, wenn auch versteckt. Jetzt sogar ziemlich dreist – irgendwie nahmen seine Augen einen verträumten Ausdruck an.
„Gibts was?“, brummte ich ihn an und er schreckte leicht ertappt zurück. Nur eine Antwort bekam ich nicht. Ignorierte er mich? So ein Arsch.
„Wat glotzte denn so?“, fauchte ich ihn an. Er kniff kurz seine Augen zusammen und schaute dann weg. War der Typ taub oder was? Warum antwortete der denn nicht? Warum ärgerte mich das eigentlich? Jedenfalls stierte er jetzt geradeaus. Das brachte mich zu der Frage – Was suchte er eigentlich hier?
Innerlich fasste ich mir an die Stirn. Man, was ging mich der Typ an, ich hatte wahrlich genug Probleme. Hm, beobachtete er mich schon wieder. Da, eben hat er weggeschaut, aber ich hab es doch mitbekommen. Und schon wieder…
„Man, sitzt dir deine Wollmütze zu tief im Gesicht oder biste einfach nur taub – WAS GLOTZTE DENN SO?“ So langsam nervte es mich, hier nur angestarrt zu werden. War ja klar, wieder ließ er sich nicht zu einer Antwort herab. Okay, schlossen wir dieses Kapitel ab.
„Biste schwul oder wat?“, fragte ich ihn sarkastisch. Irgendwie musste ich ihn loswerden, denn das nervte nur noch. Da er sich vorher mir zugewandt hatte, konnte ich die Reaktion nun vollkommen genießen. Sein leicht träumerischer Blick wurde erst angewidert und dann abweisend.
„Jo“
Der Typ konnte ja doch sprechen. Moment mal, was hatte er da gerade gesagt? Er hatte mein Frage, die nur verletzend sein sollte, bejaht? Mich hatte ´ne Schwuchtel besiegt? Das haute mich dann doch aus den Socken und mein Gegenüber schien das genau zu erkennen, denn ein kleines, wissendes Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen.
„Blöde Schwuchtel“, zischte ich ihn an. Doch kaum hatte ich die Worte raus, taten sie mir schon Leid. Irgendetwas war falsch daran, nur wusste ich nicht was. Ich hatte nichts gegen Schwule, viel besser – ich kannte gar keine Homos. Der Typ sah nicht aus wie einer von denen, aber was wusste ich denn schon davon. Diese Schwuchtel hatte mich vor ein paar Minuten heftig rasiert und das konnte ich mir nicht gefallen lassen. Er zuckte nur mit seinen Schultern und schaute weg. Jetzt beachtete er mich gar nicht mehr und das nervte mich noch mehr. Wie eingebildet war der denn? Ich überlegte mir gerade die nächste Beleidigung, als der Zivilist von vorhin vor mir auftauchte.
„Würden Sie bitte mitkommen?“, forderte er mich höflich auf.
„Und wenn ich keinen Bock habe?“, grummelte ich zurück. Der Mann streifte mich kurz mit seinen hellgrauen Augen und ich schämte mich für meine Antwort. Ohne weitere Worte stand ich auf und folgte ihm zu seinem Büro. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich sehr wohl, dass der Junge mir interessiert hinterherschaute.
Im Zimmer bot der Mann mir mit einer Geste einen Stuhl an und setzte sich selbst hinter einen breiten Schreibtisch. Ich hatte ja schon ein paar Mal mit Bullen zu tun gehabt, aber der Typ war ganz anders.
„Ihr Name?“, fragte er höflich. Ich stutzte. Was sollte das? Sie hatten mir doch vorhin meinen Perso abgenommen.
„Engel“, antwortete ich ihm gereizt. Auf einmal fing der Bulle an zu grinsen. Was war bitte an den Namen lustig?
„Gestatten, ich bin Polizeihauptkommissar Teufel“, griente er mich an. Ha, ha wie witzig.
„Und Ihr Vorname?“, fragte er weiter. Jetzt wurde mir das aber zu bunt. Okay, der Typ machte einen sympathischen Eindruck, aber für blöd ließ ich mich nicht gerne verkaufen.
„Lesen Sie einfach die Daten von meinem Perso ab“, fuhr ich auf. Er stutzte kurz und lächelte dann umso breiter.
„Eine ganz schön kesse Lippe hast du, mein Junge“, murmelte er. Das war ja wohl der Gipfel.
„Ich bin nicht…“, wollte ich lospoltern. Nur eine kleine Handbewegung von ihm ließ mich verstummen – wie hatte er das gemacht?
„Ja, ich weiß und ich wollte dir auch nicht zu nahe treten. Entschuldige mein plötzliches du, ich bin der Rainer“, hörte ich ihn sagen und dabei schaute er mich freundlich an.
Was sollte jetzt diese Kumpeltour? Das konnte nur in die Hose gehen!
Mit einem gemurmelten „Jonas“ gab ich mein Einverständnis.
„Gut, und nun erzähl mir mal, was sich zugetragen hat“, forderte er mich auf. Als ob er das nicht durch seine Leute längst wusste! Wollte er mich hier ins Messer laufen lassen oder wirklich meine Meinung hören? Irgendwie machte mich der Typ nervös und unbewusst merkte ich sofort, mit Lügen würde ich hier nicht weit kommen. Somit fasste ich einen Entschluss und erzählte ihm ehrlich alles. Er unterbrach mich nur einmal kurz, um mir einen Kakao und für sich einen Kaffee zu organisieren. Nachdem ich fertig war, musterte er mich aufmerksam, aber mir war das nicht unangenehm. Ich war vielmehr verdammt froh, dass ich mich zu der Wahrheit durchgerungen hatte. Dann blätterte er ein wenig in einer Akte herum. Ich hatte ein gutes Gefühl, dass ich hier mit einem blauen Auge im sprichwörtlichen Sinne davon kommen könnte. Zufrieden lehnte ich mich ein wenig zurück.
„Und Jonas, wie war das mit der CD?“, hörte ich ihn während des Umblätterns der Aktenseiten fragen. Sofort saß ich wieder stocksteif auf meinem Stuhl. Diese Sache war mir nun doch sehr unangenehm. Soweit ging mein Vertrauen nun nicht, als dass ich ihm beichten würde, dass ich dafür einfach nicht das Geld hatte. Wie kam ich aus dieser Angelegenheit einigermaßen unbeschadet heraus?
„Jonas?“
So stotterte ich mir etwas zu Recht und ich fühlte mich dabei hundeelend. Oh man, was für eine haarsträubende Geschichte ich da vom Stapel ließ. Diesmal fühlte ich mich nach deren Ende sehr unwohl und saß verkrampft auf der Stuhlkante.
‚Man Jonas, bleib cool. Das ist doch nur nen Bulle‘, versuchte ich mir einzureden.
„Aha.“
Mehr hatte Rainer dazu nicht zu sagen und sah mich nur durchdringend an. Man, der Typ konnte einem ein verdammt schlechtes Gewissen machen. Dann widmete er sich wieder seinen Unterlagen. Je länger das Schweigen dauerte, umso ungemütlicher wurde mir.
„Tja, dann habe ich hier noch eine Sache“, mit den Worten legte er die Akte beiseite. Das war ja klar, einmal am Haken und schon kam man nicht mehr fort. Die Angelegenheit war jedoch wieder einfach. Auch um ein wenig Wiedergutmachung von vorhin zu betreiben, erzählte ich hier wieder die Wahrheit. Minuten später war ich fertig und sah ihn erwartungsvoll an.
„Also Jonas, ich will ehrlich sein. Das Ganze passt nicht zu dir!“
‚Ähm, wie bitte? Was labert er denn jetzt für 'nen Stuss!‘ Aber Moment mal, jetzt nicht nervös werden! Die Sache schien ja bestens zu laufen, eventuell kam ich aus der Angelegenheit besser raus als gedacht?
„Dann hatte ich vorhin noch ein sehr komisches Telefonat“, fuhr er fort. Diese Bemerkung ließ nun alle Alarmglocken bei mir klingeln.
„Ich habe versucht, deine Mutter zu erreichen und kannst du dir vorstellen, wie das ausgegangen ist?“, kam es von ihm ziemlich nüchtern und dabei musterte er mich wieder.
‚Na toll, jetzt musste ich taktieren. Ich war immerhin noch nicht 18 und somit von der Alten abhängig. Ha, abhängig, auch so ein Witz.‘
„Sie war nicht zu Hause“, mutmaßte ich mal und hoffte inständig, dass es stimmte.
„Ja die ersten dreimal ist keiner an das Telefon gegangen, aber dann hatte ich doch Glück“, antwortete er mir und irgendwie sprach er das Wort „Glück“ abfällig aus. Dabei konnte ich einen traurigen Ausdruck in seinen Augen erkennen. Die Alte hatte bestimmt Scheiße gelabert.
„Ich kann mir nach wie vor keinen Reim auf ihre Aussage machen, vielleicht kannst du mir helfen?“
Die blöde Kuh hatte es definitiv verbockt!
„Sie meinte leicht lallend ‚Wir dürften dich Penner‘ behalten!“
Peng, das hatte gesessen. Okay, ihre Meinung über meine Person war mir mehr als bekannt, aber sie jetzt aus dem Mund eines total Unbekannten zu hören, traf mich dann doch ziemlich. Abrupt stand ich auf.
„Kann ich mal auf´s Klo?“, flehte ich fast. Die Tränen standen jetzt mehr als dicht vor meinen Augen, aber die Blöße wollte ich mir wirklich nicht geben.
„Den Flur entlang, letzte Tür rechts“, hörte ich ihn sagen und war schon raus. Ich stürmte nur noch aus dem Zimmer. Der Flur befand sich gleich rechter Hand, nebenbei bemerkte ich noch, dass Wollmütze erschrocken zusammenzuckte und mich sehr neugierig musterte. Auf’m Klo musste ich erst einmal tief Luft holen.
Man, dieses blöde Miststück soff sich die Birne jeden Tag hackevoll und quatschte nur noch Gülle. Und so was war meine Mutter. Dass ich schon lange keine Muttergefühle mehr hegte, daran war sie nur selbst schuld. Okay, schlagen tat sie mich mittlerweile nicht mehr, aber ihr beißender Spott und Hohn traf mich immer mal wieder total unvorbereitet, denn so abgestumpft war ich dann doch noch nicht. Und ihre Geschichte, dass sie meinen Vater wegen einer anderen Schlampe verlassen hatte, nahm ich ihr schon lange nicht mehr ab. Ich glaubte vielmehr, dass er sie verlassen hatte. Bloß was ging mich der Penner an – mich hatte er bei der Alkoholikerin gelassen.
Diese beschissenen Eltern hatten mich in die Welt gesetzt und sich somit auch um mich zu kümmern!
‚Bloß nicht heulen‘, redete ich mir ein und steckte meinen Kopf unter das kalte Wasser. Das tat gut. Mit dem Handtuch trocknete ich ein wenig meine halblangen Haare und lächelte gezwungen meinem Spiegelbild zu.
‚Okay, wollen mal schauen, was der Bulle mir vorschlagen würde. Irgendwie machte er einen mehr als ehrlichen Eindruck‘, murmelte ich vor mich hin. Dann schlenderte ich den Flur zurück. Von weitem konnte ich eine zusammengesunkene Figur auf der Bank erkennen. Wollmütze spielte nervös mit seinen Fingern und stierte vor sich hin. Was veranlasste mich eigentlich, über diese Schwuchtel nachzudenken? Als ob er meine Gedanken gehört hatte, zuckte sein Kopf nach oben und sein Blick bohrte sich in meinen. Wieder nahmen seine Augen diesen verträumten Ausdruck an und er lächelte leicht. Mir war das nicht mal unangenehm. Dann enterte ich das Büro und der Typ sah mich neugierig an. Ich setzte mich auf den Stuhl und er widmete sich nun wieder den Akten.
„Oh je, Jonas, was mache ich nur mit dir“, murmelte er ganz leise. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich das wirklich hören sollte. Seufzend schloss er wieder die Akte.
„Ich habe dir einen Vorschlag zu machen“, sprach er mich an.
‚Na das hörte sich doch sehr vielversprechend an.‘
„Unter Umständen hätte ich die Möglichkeit, dass diese Vorfälle zu den Akten gelegt werden und in spätestens fünf Jahren endgültig gestrichen werden“, eröffnete er mir.
‚Ich wusste es, der Typ war ´ne Goldgrube! Nur warum hatte ich den Eindruck, dass da noch ein ziemlich großer Haken kommen würde?‘
„Daran sind aber zwei Bedingungen geknüpft!“
‚Fuck! Ich hatte es geahnt.‘
„Zum Ersten will ich dich nie wieder auf einem Polizeirevier wegen irgendeines Vergehens sehen!“
Na das sollte kein Problem sein und ich nickte brav. Da musste ich halt in Zukunft besser aufpassen.
„Und zum Zweiten, und das wird dir weniger schmecken, möchte ich, dass du mindestens vier Sitzungen an einer Jugendgruppe teilnimmst!“
‚Wie bitte?‘ Da entglitten mir doch die Gesichtszüge.
„Was soll denn der Scheiß?“, entfuhr es mir.
„Pass auf, Jonas, ich muss dem Jugendrichter etwas vorschlagen und außerdem halte ich das für eine gar nicht so schlechte Idee“, versuchte er auf mich einzureden.
„Was ist das für eine Gruppe?“
„Sie besteht aus Jugendlichen, die ähnliche Delikte zu verantworten haben. Ich will offen zu dir sein, weil du immerhin in zwei von drei Fällen die Wahrheit erzählt hast. Die Jugendlichen werden dort bei der Bewältigung von Problemen beobachtet und man versucht im Zusammenspiel mit den Betreuern, Aggressionen zu beherrschen!“
„Sie denken, ich bin ein Schläger?“, fragte ich ihn dann doch etwas fassungslos.
„Nein, aber ich möchte trotzdem, dass du genau an solch einer Gruppe teilnimmst“, schloss er seinen Vortrag und sah mich prüfend an.
‚Was bezweckte er damit?‘, grübelte ich. Anderseits, was hatte ich zu verlieren – eigentlich nichts.
„Okay“, stimmte ich seinen Vorschlägen zu.
„Deal?“, fragte er mich noch einmal und streckte mir seine Hand entgegen. Diese kleine Geste ließ mich dann doch schlucken, denn nun konnte ich mich nicht mehr so einfach aus unserem kleinen Abkommen stehlen.
„Deal“, antwortete ich ihm und schlug ein. Dann zögerte der Bulle kurz und wandte sich um. Er kramte in seiner Jacke, die auf seinem Stuhl hinter ihm hing und zauberte ein Kärtchen hervor.
„Und Jonas, bevor die Pferde wieder mit dir durchgehen – ruf mich an.“ Mit diesen Worten hielt er mir eine Visitenkarte hin. Zögernd nahm ich sie. Was sollte das denn jetzt? Da las ich nur seinen Namen, keinen Dienstgrad – einen Handy- und einen Festnetzanschluss, das war ne private Visitenkarte. Verwundert sah ich ihn an.
Mit einem kleinen Lächeln meinte er nur „Nutze sie bitte, wenn du Probleme hast.“
‚Ne, das würde ich bestimmt nicht‘, antwortete ich im Stillen.
„So, damit wären wir fertig und du kannst gehen“, sagte er und schnappte sich seine Jacke.
„Ähm.“
„Ja, Jonas?“
„Wann soll ich denn zu dieser Gruppe?“, fragte ich ihn.
„Ich sag doch – ruf mich an!“, schmunzelte er.
‚Mist, der Typ kam mir einfach immer auf die Schliche!‘
Dann zeigte er auf die Tür und ließ mir den Vortritt. Eigentlich wollte ich mich hinter ihm rausdrücken, um zu sehen, ob Wollmütze auch nen Termin bei dem Typen hatte. Na ja, daraus wurde nichts, denn der Bulle ließ mir elegant den Vortritt.
Ha, Wollmütze sah ziemlich unentspannt aus. Da wartete wohl doch das nächste Opfer. Trotzdem hatte sich sein Blick geändert, er sah mich neugierig und nervös an. Warum war die Schwuchtel nur nervös? Der Bulle schloss hinter uns die Bürotür und verabschiedete sich kurz von den Anderen. Dann wandte er sich zu uns um, denn ich stand mittlerweile neben der Bank.
„Machs gut, Jonas, und melde dich“
„Jo Rainer, das mache ich“, protzte ich ein wenig herum, um Wollmütze mal zu zeigen, wie gut ich mit dem Boss hier konnte. Etwas verwundert zog er dann auch seine Augenbrauen zusammen. Der Bulle machte einen Schritt auf den Jungen zu.
„Komm Junior, du hast lange genug gewartet.“
Darian
Das ein kleines Wort solch verheerende Wirkung haben konnte. Das entsetzte Gesicht war was für Götter und dazu gesellte sich nun auch noch eine gewisse Portion Unsicherheit. Ihm war das Begreifen, wer ihn da vorhin auf die Bretter geschickt hatte, regelrecht auf die Stirn geschrieben. Das entlockte mir nun doch ein kleines wissendes Lächeln.
„Blöde Schwuchtel“, zischte er mich auf einmal wie aus dem Nichts an.
‚Ach, war es doch so ein Arsch‘, durchfuhr es mich. Damit waren die Fronten zwischen uns geklärt. Schien doch nur ein einfach gestrickter Prolet zu sein, auch wenn er sehr geil aussah. Als Reaktion zuckte ich nur kurz mit den Schultern, denn jedes weitere Wort schien mir hier wirklich vergeudet und ich wandte mich wieder der Wache zu. Dabei streifte ich noch einmal seine Augen und mir war so, als würde ich eine gewisse Unsicherheit darin erkennen – sein Problem.
Einen Moment später sah ich meinen Paps aus dem Büro kommen und wollte ihn gerade fragen, wann es losgehen würde. Mit einem Blick und einer Geste gab er mir zu verstehen, dass er sich noch um den Rowdy neben mir kümmern müsste.
‚Verdammt, jetzt muss ich wegen dem Idioten noch länger warten‘, grummelte ich. Es kam ja öfter vor, dass mein Vater nicht pünktlich fertig wurde und ich warten musste, aber wegen diesem Arsch hier, das ärgerte mich dann doch. Andererseits hatte mein Paps so einen komischen Blick drauf, der fast mitleidig in die Richtung des Übeltäters schaute.
Auf die Aufforderung, ob er denn mitkommen wollte, meinte er nur:
„Und wenn ich kein Bock habe?“ – Oh man, wie kann man denn so beschränkt sein. Der Blick meines Vaters war genug und der Kerl lief doch wirklich leicht rosa an.
Hm, interessant und der göttliche Hintern erst, den er jetzt beim Hinterherdackeln offenbarte. Der Typ war definitiv eine Sünde wert.
‚Sag mal, Darian, biste irgendwo mit deinem Schädel angestoßen?‘, rief ich mich innerlich zur Ordnung. Was willste denn von so einer Proll-Hete, die die Intelligenz nicht gerade mit Löffeln gefressen hatte. Aber so sehr ich mir auch einredete, dass dieser Junge für den Arsch war, umso mehr begehrte ich ihn.
‚Warum mussten die süßesten Kerle immer solche Arschlöcher sein?‘ Und so wälzte ich meine Gedanken hin und her und vergaß die Zeit.
Auf einmal flog die Tür zum Büro auf und Mister Cool stürzte heraus.
‚Upps, was war denn das?‘
Kurz trafen sich unsere Blicke und ich versank wieder in diesen herrlichen, braunen Rehaugen. Hm, die schimmerten aber verdächtig feucht – so cool schien er doch nicht zu sein. Dann verschwand er auf dem Klo. Einen kurzen Moment war ich versucht, ihm zu folgen.
‚Was war denn da vorgefallen?‘
Von den anderen Beamten wusste ich, dass mein Vater ein verdammt harter Hund sein konnte – persönlich habe ich das noch nie erlebt. Umsonst haben sich vor zwei Jahren nicht verschiedene Wachen darum gerissen, ihn als Chef an Land zu ziehen. Ganz unkonventionell hatte er dann beschlossen, dass wir ganz woanders hingingen. Und so lebten wir jetzt in der bekackten Bundeshauptstadt und ich hatte immer noch keine neuen Freunde gefunden. Okay, der Umzug fiel auch gerade in meine Selbstfindungsphase und ich war ja damals auch begeistert von Berlin gewesen. Meinem Vater jetzt den schwarzen Peter dafür zuzuschieben, wäre nicht fair. Kamen wir wieder zum eigentlichen Problem. So wie ich den Blick meines Vaters vorhin verstanden hatte, hatte er nicht vor, den harten Hund bei dem Jungen zu spielen – also was war es dann?
Ich spürte einen Blick auf mir ruhen und zuckte hoch. Da kam der Typ den Flur entlang auf mich zu und musterte mich mit einem neugierigen Blick. Sein halblanges Haar war nass. Dadurch sah er irgendwie noch schnuckliger aus und ob ich wollte oder nicht, ich kam wieder ins Träumen. Er machte nicht mehr ein ganz so abweisendes Gesicht und ich hätte ihn gern mal lachen gesehen. Dann verschwand er wieder im Büro und ließ mich mit noch mehr aufwühlenden Gedanken zurück.
Ich wollte es mir noch nicht richtig eingestehen, aber der Kerl machte mich nervös. Okay, vorhin hatte es beim ersten Körperkontakt ja schon gefunkt, aber sein Verhalten war dermaßen scheiße, dass dieses Interesse schnell abflaute.
Wieder öffnete sich die Tür und er kam als erstes heraus. Dahinter folgte mein Vater, die Jacke unter de Arm. Demzufolge waren sie fertig und meine Fahrstunden konnten beginnen.
‚Wollte ich überhaupt fort?‘ Dieser seltsame Gedanke schoss mir durch den Kopf und nervös musterte ich den Schnuckel.
‚Was wollte ich überhaupt?‘, fragte ich mich. Dieser Typ kam doch gar nicht in Frage, oder vielleicht…
Bei mir angekommen, wandte sich mein Vater an den Boy.
„Machs gut Jonas, und melde dich.“
Ah, eine Information mehr, er hieß Jonas – kein schlechter Name. Irgendwie warf er sich in Positur und sah mich selbstsicher an.
„Jo Rainer, das mache ich“, kam es ziemlich angeberisch von ihm. Verwundert sah ich ihn an – er duzte mein Paps, was war hier denn los? Die Augen meines Vaters blitzen amüsiert auf und dann trat er zu mir und meinte.
„Komm Junior, du hast lange genug gewartet.“ Oh je, an seiner Gesichtskontrolle musste er dringend arbeiten. Seine Züge entglitten ihm innerhalb kürzester Zeit zum zweiten Mal, aber ich war nicht schadenfroh. Als mein Vater mir den Arm um die Schulter legte und mich mit sich fortzog, konnte ich den wehmütigen Blick sehr wohl in seinen Augen sehen. Ich drehte meinen Kopf noch einmal zu ihm um.
„Cu.“
Er antwortete mir nicht, aber mit einem kleinen Kopfnicken gab er mir zu verstehen, dass er meine Verabschiedung registriert hatte. Der Anblick, wie er da recht verloren neben der Bank stand, brannte sich in meinem Gehirn fest. Schweigend ging ich mit meinem Vater zum Auto, wir waren wohl noch beide zu sehr in unseren Gedanken versunken.
„Und, haste mein morgendliches Rätsel gelöst?“, holte mich mein Vater aus meinen Überlegungen.
„Hm“, so ganz war ich noch nicht bei der Sache.
„Darian?“, hörte ich ihn leise fragen. Ich wandte mich aus dem Beifahrersitz meinem Vater zu. Seine Augen musterten mich sehr intensiv, dann entstand ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht und er schüttelte leicht den Kopf.
„Was?“, grummelte ich. Ich kannte diese Geste zur Genüge. Er hatte sich gerade ein Urteil gebildet und lag damit meistens nicht so verkehrt.
„Könnte es sein, dass ich gerade meinen zukünftigen Schwiegersohn kennengelernt habe?“, fragte er mich mit einem verschmitzten Lächeln. Okay, ich hatte meine Gesichtsmuskeln ebenfalls nicht im Griff! Entgeistert sah ich meinen Vater an. Was ist denn in den gefahren?
„Komm Großer, schau mich nicht so an, als ob ich bescheuert wäre. Ich habe deine Blicke sehr wohl registriert und du hättest den Jungen am liebsten aufgefressen!“
„Ähm.“ Zu mehr war ich nicht in der Lage.
„Ja?“, half mir mein Paps auf die Sprünge.
„Da gibt es nur ein klitzekleines Problem.“
„Und?“
„Der Typ ist ein Krimineller und bestimmt nicht schwul.“
Die Antwort meines Vaters war Schweigen und mir wurde schlagartig klar, ich hatte was falsch gemacht.
„Oder Paps?“
„Du hast dir doch deine Meinung schon gebildet, also was solls.“ Jetzt wusste ich definitiv, dass ich Bockmist gebaut hatte.
„Aber er war doch auf deinem Revier?“, versuchte ich es mit einer Art Rechtfertigung.
„Ach.“
Diese Einsilbigkeit kotzte mich an.
„Ja“, sagte ich trotzig. Was er konnte, beherrschte ich auch.
„Hm.“
„Paaaaaaaaps“, stieß ich genervt hervor.
„Wer gibt dir das Recht, über Jonas so vorschnell zu urteilen? Hast du ihn auf frischer Tat ertappt? Hat er dir etwas getan?“ Mein Vater war etwas lauter geworden und ein gewisses Grollen war nicht zu überhören. So kannte ich ihn gar nicht, meistens diskutierten wir solche Sachen in aller Ruhe aus – irgendetwas schein an ihm zu nagen. Trotz allem fühlte ich mich ertappt und wurde unsicher.
„Entschuldige“, flüsterte ich.
„Wofür? Und vor allen musst du dich nicht bei mir entschuldigen sondern bei ihm!“ Oh man, mein Vater war stocksauer, aber ich konnte doch schlecht die Ursache dessen sein. Bedröppelt stierte ich in die Landschaft.
Mittlerweile waren wir auf einem Verkehrsübungsplatz angekommen. Somit war mein Ratespiel vom Vormittag ja doch erfolgreich, nur hatte ich überhaupt keine Lust mehr.
„So, Fahrerwechsel“, ertönte es vom Nachbarsitz, das Grollen war immer noch da, wenn auch sehr viel leiser.
„Lass uns nach Hause fahren“, murmelte ich und fummelte nervös an meinen Fingern.
„Oh.“
Ein Schweigen breitete sich zwischen uns aus.
„Großer, es tut mir Leid, aber manchmal wirken gewisse Ereignisse noch nach. Du weißt ganz genau, was ich von Vorverurteilungen halte. Dieser Junge hat eine Chance verdient, vielleicht mehr als einige andere. Und wenn es einige Ereignisse gab, die ihn ein wenig aus der normalen Bahn geworfen haben, ist er für mich noch lange kein Krimineller“, sagte mein Vater und sehr viel leiser schob er hinterher „eher ein Opfer“.
Verunsichert sah ich ihn an. Der Typ mit dem blauen Auge hatte nun wirklich nicht wie ein Opfer ausgesehen. Mein Paps hatte das jedoch absolut ernst gemeint.
„Gib ihm eine Chance. Ich bin mir sicher, er hat es verdient!“ Da war kein Lächeln, so ernst hatte ich meinen Vater noch nie erlebt. Der Kloß in meinem Hals war so groß, dass er mir fast die Luft nahm. Stumm gab ich ihm nur mit meinen Augen die Zustimmung.
„Und?“, mit einer kleinen einladenden Bewegung zeigte er auf das Lenkrad. Ich schüttelte leicht den Kopf, denn mir schwirrten viel zu viele Gedanken durch mein überfordertes Gehirn, als dass ich das hier genießen konnte. Mein Vater ging nicht weiter darauf ein, sondern wendete das Fahrzeug und fuhr in Richtung unseres Hauses.
‚Was wollte mir mein Vater mehr oder weniger durch die Blume sagen? War der Kerl eventuell schwul?‘, grübelte ich.
‚Neeeeeee!‘, fies lächelnd schüttelte ich den Kopf. Dafür war seine Reaktion auf mein Outing zu spontan und aus dem Bauch heraus. An einer Ampel bemerkte ich, dass ich wohl das Studienobjekt meines Vaters war.
„Ein Problem bleibt aber nach wie vor“, wandte ich mich an ihn, um vielleicht doch noch die eine oder andere Information zu entlocken.
„Nur eins?“, neckte er mich.
„Ja, ein grundlegendes.“
Schweigen – er lockte mich, aber okay, das konnte er haben.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht schwul ist!“
Schweigen – dabei hatte ich die Aussage zum Teil triumphierend und zum Teil fragend ausgesprochen. Nach einer Weile schaute er kurz zu mir rüber und seine Augen glitzerten belustig. Entnervt rollte ich mit den Augen.
‚Warum hat mir der liebe Herrgott keinen normalen Vater gegeben?? WAS wusste ER?‘ Okay, die Kinderschmollnummer als letztes Mittel meiner Verhörmethoden.
„Paaaaaaaaaaaapppppps?“
„Und wenn ich es wüsste, dürfte ich es dir nicht sagen, sowie ich auch andere Daten nicht preisgeben kann“, schob er meinem plumpen Versuch sofort einen Riegel vor.
„Na toll.“, schmollte ich.
„Mal rein logisch betrachtet, mein lieber Vater. Wie schätzt du meine Chance ein, in einer dreieinhalb Millionen Stadt einen Typen wieder zusehen?“, fragte ich ihn sarkastisch.
„Hm, eins zu dreieinhalb Millionen?“
„Ach nee.“
„Na ja, vielleicht ruft er ja mal an und du bist rein zufällig am Apparat“, ließ mein Vater auf einmal locker flockig fallen. Sofort war ich hellwach.
„Du hast ihm unsere Privatnummer gegeben?“ Meine Frage war nicht umsonst sehr zögernd ausgesprochen, denn die Nummer war wirklich top secret. Ich hatte sogar von meinen Eltern vor circa zwei Jahren ein Handy geschenkt bekommen, damit ich meinen Bekannten und eventuell neuen Freunden eine Nummer geben konnte. Unsere Festnetznummer kannten wahrscheinlich nur eine Handvoll Leute.
„Muss ich wohl“, grinste er mich an und schob noch hinterher „und nun Schluss mit dem Thema. Wir müssen eh beide abwarten, ob sich unsere Hoffnungen und Wünsche erfüllen. Den nächsten Schritt muss Jonas machen.“
Klar, so konnte man ein Thema auch beenden – indem man noch mehr Fragen aufwirft. Was für Hoffnungen und Wünsche hatte denn mein Vater? Der Nachmittag war jedenfalls gelaufen. Und das seltsame war, ich hatte am Abend keine Lust, mich zu vergnügen – eher träumte ich von einem blonden Blödmann.
Am Sonntag holten wir dann doch meine erste Fahrstunde nach und ich stellte mich wohl nicht so dämlich an. Am Anfang rutschte ich schon manchmal vom Lenkrad ab, weil meine Hände einfach schweißnass waren und das Auto hüpfte mehr über den Platz, als dass es fuhr. Aber mein Vater blieb ganz locker und gab mir mit der Zeit eine gewisse Ruhe. Eine seltsame Begebenheit passierte noch in einer Pause. Er fragte mich, ob ich in der nächsten Zeit auf dem Hochseilgarten vertreten wäre. Verwundert entgegnete ich, dass ich jeden Dienstag und Donnerstag dort ein wenig trainierte. Eigentlich wusste er das, aber mir war, als wolle er hier auf Nummer Sicher gehen. Neben meinem Judotraining, was leider nur ein bis zwei Mal in der Woche stattfand, hatte ich vor ein paar Jahren meine Liebe zum Klettern entdeckt, okay eher so eine Art Freeclimbing. Wir hatten hier um die Ecke einen Hochseilgarten und daneben befand sich eine geile Kletterwand. Die kannte ich natürlich in und auswendig. Mit dem Betreiber hatte ich vor einem Jahr einen Deal abgeschlossen. Ich konnte die Anlage nutzen, wann ich wollte, wenn ich ihm ein wenig zur Hand gehen würde. Aus dem „ ein wenig zur Hand“ war ein Aushilfsjob bester Güte geworden. Dienstag und Donnerstag betreute ich in Absprache mit den Organisatoren ein paar Leute an der Kletterwand. Erstens machte mir das Spaß und zweitens lernte man die komischsten Leute kennen. Am lustigsten waren immer die Managergruppen auf ihrem Teamspirit-Trip, die wenigsten schafften es bis zum zweiten Griff und der war nur zwei Meter über dem Boden.
Am Montag hatte mich der Schulalltag wieder. Ab und an schweiften meine Gedanken zu Jonas, aber so intensiv wie am Samstag war es nicht mehr. Insgeheim hatte ich das Thema wohl doch abgehakt, denn große Hoffnungen machte ich mir nicht mehr.
Mittwochs hatte ich gerade meine Schultasche in die Ecke geworfen und mir einen Kakao in der Küche gemacht, als in der Diele unser Telefon klingelte. Schnell noch einen Bissen vom Streuselkuchen genommen.
„Ja, bitte“, brabbelte ich mit vollem Mund ins Telefon.
Schweigen – na ja nicht ganz, ein leichtes Atmen war zu hören. Zwei, drei Mal gekaut und den Bissen runtergewürgt.
„Jaaa, biitteeee?“, fragte ich nun schon etwas ungeduldiger in den Hörer.
„Ähm, bin ich da bei Familie Teufel?“, hörte ich eine leise Stimme. Die Stimme hätte noch so leise sein können, die hätte ich sofort erkannt. Vorsichtshalber fragte ich noch einmal nach.
„Ja, und wer sind Sie?“
„Engel…, Jonas Engel“
Jonas
Verdammt da war ich ja voll ins Fettnäpfchen getreten. Der Bulle war der Vater von Wollmütze, von einer Schwuchtel, verdammte Scheiße. Als er jetzt den Arm um dessen Schulter legte und mit ihm Richtung Ausgang schlenderte, spürte ich einen Stich in der Magengegend. Der Typ hatte einen Vater und dazu noch einen ziemlich Coolen. Allein dafür hasste ich ihn. Dann drehte er noch einmal seinen Kopf zu mir und sah mich intensiv an.
„Cu.“, warf er mir freundlich zum Abschied zu.
Ich war nicht fähig, zu antworten, denn diese Szene zehrte verdammt an meinen eh schon angeknacksten Nerven. Doch ich nickte ihm leicht zu, denn wütend war ich auf ihn auf einmal nicht mehr.
‚Ja, was dachte ich eigentlich über den Kerl?‘, grübelte ich und ließ mich wieder auf der Bank nieder.
‚Der war SCHWUL!‘, schrie irgendwer in meinem Schädel. Nur eine Begründung, warum das Wort so abfällig rüberkam, wurde nicht nachgereicht.
‚Sah Wollmütze eigentlich schwul aus?‘ Bei dem Wort Wollmütze stutzte ich dann doch und schüttelte amüsiert den Kopf. Ich hatte nicht mal einen Namen von dem Typen. Ansonsten machte der Kerl eigentlich einen ziemlich lockeren Eindruck und wie er mich flachgelegt hatte, war auch nicht von schlechten Eltern. Auf jeden Fall war er nicht geschminkt, hatte nicht mal einen Piercing. Und schlecht aussehen tat er auch nicht, was man so als Mann sagen konnte.
‚Man Engel, schmachtest du jetzt ´nem Typen hinterher? Der war vom anderen Ufer!‘, rief ich mich innerlich zur Ordnung. Von ganz hinten in meinem Hirn hörte ich aber noch ein Flüstern ‚Ist das ein Grund, ihn nicht als Freund zu haben?‘.
„Hallo“, riss mich eine Stimme aus der Versenkung. Irritiert sah ich hoch. Da stand ein weiblicher Bulle vor mir.
‚Was wollte die denn von mir?‘ Mein Gesicht musste diese Frage wohl auch bildlich ausgesprochen haben, denn ihr freundliches Lächeln gefror so langsam.
„Was ist?“, brummelte ich sie an und das letzte bisschen Freundlichkeit verschwand.
‚Moment mal, wieso fragte ich die nicht, wie Wollmütze hieß. Der war doch bestimmt bekannt hier,‘ durchfuhr es mich. Warum ich von der Schwuchtel den Namen wissen wollte, teilte mir mein wirres Gehirn jedenfalls nicht mit.
„Entschuldigung, war wohl in Gedanken“, versuchte ich die Situation einigermaßen zu retten. Skeptisch sah sie mich an, so ganz traute sie dem Frieden anscheinend nicht.
„Warten Sie auf jemanden?“, war sie dann wieder die ganz hilfsbereite Ordnungshüterin.
„Nein, nein“, wiegelte ich gleich ab. Nicht, dass sie auch noch auf den Gedanken kam, bei mir zu Hause anzurufen. Bei diesen Worten stand ich auf und wandte mich zum Gehen. An der Tür angekommen, drehte ich mich noch einmal wie zufällig um.
„Ach, eine Frage hätte ich dann doch noch?“, ließ ich ganz beiläufig fallen.
„Ja, bitte?“
„Der junge Mann von eben, wissen Sie zufällig seinen Namen?“
„Junger Mann?“, hörte ich sie leicht irritiert.
„Ja, der mit Herrn Teufel mitgegangen war“, versuchte ich, ihr auf die Sprünge zu helfen.
„Ach Sie meinen seinen Sohn?“, antwortete sie, aber hatte ich da nicht einen vorsichtigen Unterton herausgehört. Dass er sein Sohn war, das wusste ich doch schon – los komm aus dem Tee, Tussi und rück den Namen raus.
„Ja“, antwortete ich leicht genervt.
„Da kann wohl einer immer noch nicht verknusen, von jemandem auf´s Kreuz gelegt worden zu sein“, hörte ich jemanden mit leichtem Lachen neben mir sagen. Angepisst drehte ich mich demjenigen zu.
‚Welcher Arsch machte sich hier über mich lustig?‘ Ich wollte ihm gerade meine Meinung dazu unmissverständlich darlegen, als der Bulle besänftigend die Hände hob.
„Ho ho, ich tu´ dir nichts“, redete er auf mich ein. Es war einer der Bullen, die mich hierher gefahren hatten.
„Hm, du willst also wissen, wie der Kleine vom Boss heißt?“, schmunzelte er mir dann zu. Ein Nicken meinerseits sollte als Antwort genügen.
„Tja, lass dich von ihm nicht täuschen, Darian hat einiges auf Tasche – kommt da ganz nach seinem Vater“, erklärte er mir.
‚Ja klar, laber nur weiter Müll‘, dachte ich mir so. Darian hieß er also. Was ich nun mit diesem Wissen anfing, war mir noch nicht so klar, aber irgendwie machte mich dieses Wissen zufrieden.
„Danke“, murmelte ich. Ups, wurde ich weich oder was – mich bei einen Bullen bedanken, das war doch etwas daneben. Der Typ lächelte mir noch mal zu und verschwand dann mit seiner Kollegin. Ich machte mich nun wohl oder übel auf den Weg nach Hause.
‚Darian Teufel‘, komischer Name dachte ich mir noch so und hatte keine Ahnung, warum mir der Kerl nicht aus dem Kopf ging. Nach einer halbstündigen Tour durch Berlin hatte ich Marzahn erreicht, die Errungenschaft des DDR-Plattenbaus. Wenigstens konnte man sich die Wohnung mit Stütze leisten, große Ansprüche durfte man somit an die Umgebung nicht stellen. Das vertraute Umfeld verdrängte jedoch schlagartig meine komischen Gedanken und brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Ich hatte keinen großen Bock, meine Mutter zu sehen, aber ich brauchte dringend eine Dusche und mein Auge könnte auch ein kühlendes Handtuch vertragen. Leise öffnete ich die Haustür und wollte mich in mein Zimmer schleichen.
„Jonaaaaaaaas, du kannst gleich wieder verschwinden, wenn du nichts zu trinken mitgebracht hast!“, hörte ich sie aus dem Wohnzimmer keifen.
„Besorg dir dein Scheiß-Alk alleine“, brüllte ich zurück.
„Pass auf, du blöder Scheißkerl, wie du mit deiner Mutter redest, sonst schmeiß ich dich endgültig raus!“, lallte sie und bewies mir damit, dass sie schon was intus hatte, jedoch so wenig, dass sie in diesem Zustand gefährlich war. Am besten wäre es wirklich, sie gänzlich abzufüllen, dann gab sie wenigstens Ruhe. Schnell enterte ich mein Zimmer und fand mich im absoluten Chaos wieder. Die blöde Kuh hatte mal wieder auf ihrer Suche meine vier Wände durchfühlt. Wenn ich mich jetzt darüber aufregen würde, würde sie sich an meinem Ärger nur aufgeilen, das bereitete ihr neben dieser Aktion noch den meisten Spaß. Ich war ein sehr ordentlicher Mensch, was vielleicht daran lag, dass ich im Chaos aufgewachsen war – die Frau, die drüben in ihrem eigenen Dreck lag und sich Mutter nannte, hatte noch nie einen Finger gerührt, um sauberzumachen oder aufzuräumen. So hatte ich früh gelernt, mich selbst zu versorgen und die Wohnung einigermaßen in Schuss zu halten. Als Besonderheit sah mein Zimmer aus wie geleckt, eine Oase für mich und genau die zu zerstören so oft es ging, war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Dass die Frau nicht viel Grips hatte und bei ihrer Suche nie fündig wurde, zeigte die Flasche billigen Fusels, die ich seit Jahren immer als Notration im doppelten Boden meines Schrankes aufbewahrte. Schnell die Pulle geschnappt. Ein Blick in die Küche zeigte mir, dass ich auch hier mindestens eine Stunde verbringen würde.
Da lag sie auf der Couch vor der Glotze und zappte durch die Programme.
„Ah, da kommt ja mein Lieblingssohn“, warf sie mir zynisch an den Kopf. Dabei wedelte sie ungeduldig nach der Flasche, die ich in den Händen hielt.
„Na, haben dich die Bullen doch wieder laufen gelassen, jedoch…“, unterbrach sie kurz ihren Redeschwall, um mich kurz zu mustern.
„… scheinen sie dir ein wenig Respekt eingebläut zu haben“, schloss sie ihre Ausführungen. Abrupt blieb ich stehen und kniff meine Augen zusammen. Eigentlich hielt ich mich seit Jahren aus ihren Gesprächen, die sie mir aufdrängen wollte, heraus, denn sie konnte nicht argumentieren, aber sehr fies und verletzend werden.
„Gib die Flasche schon endlich her“, schrie sie mich an. Ich stellte die Flasche am entferntesten Punkt des Tisches ab und drehte mich wortlos um. Fluchend erhob sie ihren Arsch, um endlich an den ersehnten Alk zu kommen.
„Jetzt kannst du deinen Putzfimmel ja wieder vollkommen ausleben. Was tut eine Mutter nicht alles für ihr Kind“, warf sie mir noch hämisch hinterher.
Verdammt, ich würde am liebsten…
…ja was denn? Weglaufen? Nein! Ich hatte vor zwei Jahren einmal probiert, auf der Strasse klarzukommen. Nach vier Wochen bin ich zu Hause wieder angekrochen gekommen. Ich kam mit dem Leben dort nicht klar. Der Umgang mit den Leuten war nicht so das Problem, Alkoholiker kannte ich ja aus jahrelanger Erfahrung, aber das ganze Umfeld war ekelhaft. Kaum, fast gar keine Waschmöglichkeiten, wechselnde Schlafplätze, Unordnung, ständige Angst vor dem Aufgegriffen.-werden – ich kam nicht mal annähernd damit klar. Ich war wirklich kein Weichei und wusste mich durchzusetzen, aber das?! Tja, meine liebe Mutter hatte das sofort durchschaut und spielte nun gnadenlos mit meiner Angst. Drohte ständig und überall, dass sie mich vor die Tür setzen würde, wenn ich sie nicht versorgen würde.
‚Versorgen?‘, hämisch lachte ich still vor mich hin. Das hieß Alkohol in Mengen. Und dass sie es ernst meinte, hatte ich vor circa einem Jahr gemerkt. Als ich an einem Montag von der Schule kam, hatte sie die Türschlösser auswechseln lassen. Wir hatten am Sonntag eine Auseinandersetzung gehabt, weil ich mich auch mal mit Worten gewehrt hatte. Durch die Tür machte sie mir unmissverständlich klar, was sie von mir erwartete und nachdem sie die zwei Flaschen, die ich vorher noch besorgt hatte, intus hatte, wurde ich wieder in Gnaden aufgenommen – der Schock hielt von damals aber noch vor. Warum ich mich nicht an die Behörden wandte? Von diesen Kackbeamten hatte ich die Schnauze voll. Als ich noch kleiner war, hatte meine Mutter nicht nur Beschimpfungen parat, nein da gab es auch mal öfter was mit dem Hausschuh. Nachbarn hatten das wohl mal bemerkt und eine Anzeige gemacht. Die Folge war, meine Mutter spielte die liebende Mutter so glaubwürdig und ich wurde als missratender Sohn hingestellt, dass ich seitdem jedes Vertrauen in irgendwelche Behörden verloren hatte.
Ich sagte es doch schon am Anfang – ein verficktes Scheißleben. Mit einem Seufzen betrat ich das Bad.
‚Man, die blöde Kuh hatte wieder das ganze Klobecken vollgekotzt!‘ Zuerst schaffte ich hier ein wenig Ordnung, dann räumte ich in der Küche auf. In meinem Zimmer war bald Ordnung geschaffen, da hatte ich ein gewisses System und soviel zum Herumwerfen und Durcheinanderbringen lag hier eh nicht herum. Zwei Stunden später gönnte ich mir endlich die erwünschte Dusche und ließ das warme Wasser über meinen Körper prasseln. Meine Mutter war seelig und besoffen eingeschlafen und somit herrschte von der Seite Ruhe. Wie aus dem Nichts formte sich vor meinen geschlossenen Augen ein Bild.
Ein großer Mann hatte seinen Arm liebevoll um die Schulter eines Jugendlichen gelegt und langsam entfernten sie sich von mir. Zu diesem Bild flüsterte eine Stimme in meinem Kopf
Darian, Darian Teufel…
Erschrocken riss ich meine Augen auf. Was war denn nur mit mir los? Wieso konnte ich diesen Jungen und vor allem diese Szene nicht mehr vergessen?
‚Mann oh mann, Engel, was für ein beschissenes Wochenende‘, grummelte ich leise vor mich hin.
Am Sonntag schickte ich die Schnalle, die mir die Schlägerei eigentlich eingebracht hatte, in die Wüste und kümmerte mich um meine Aushilfsjobs, denn die Stütze, die meine Mutter kassierte, reichte natürlich nicht für ihren Alk, von meinem Lebensunterhalt mal ganz zu schweigen.
Als ich Mittwoch von der Schule nach Hause kam, wollte ich endlich mal wieder Wäsche machen. Als ich mir meine Jeans schnappte, flatterte ein Kärtchen auf den Boden. Verwundert bückte ich mich und hielt ein hellblaues, leeres Stück Pappe in der Hand. Mein Finger strich auf der Rückseite über geprägte Buchstaben. Langsam drehte ich es um.
Rainer Teufel
Huch das hatte ich ja ganz vergessen, ich sollte mich ja bei ihm melden. Fast gleichzeitig sah ich Wollmütze wieder vor meinem inneren Auge.
Darian
Eigentlich wollte ich das Kärtchen nicht beachten, aber als ich es in meine Gesäßtasche schob, packte mich doch mein schlechtes Gewissen. Na gut, warum sollte ich es aufschieben, immerhin hatte ich ihm mein Wort gegeben.
Hm, zu Hause bei denen würde ich bestimmt nicht anrufen. Somit griff ich mir unser Telefon und wählte die Handynummer. Da ging keiner ran, nicht mal die Box. Okay, nach drei weiteren Versuchen gab ich auf. Blieb doch nur das Festnetz.
Es klingelte.
Einmal…
Zweimal…
Na danke, da ging auch keiner ran.
Dreimal…
„Hm, j..a.. b….“, Mampf, Mampf, also entweder war deren Hamster ans Telefon gegangen oder da hatte jemand den Mund sehr voll.
„Jaaa, biitteeee“, grummelte derjenige am anderen Ende zwar etwas klarer, aber umso ungeduldiger in den Hörer. Oh, das war er. Viele Worte hatte ich von Wollmütze ja nicht gehört, aber die Stimme hatte sich irgendwie festgesetzt.
„Ähm, bin ich da bei Familie Teufel?“, fragte ich leise nach, obwohl ich mir dessen ziemlich sicher war. Ich konnte sein kurzes Stocken regelrecht fühlen und wusste augenblicklich, dass ihm klar war, wer am anderen Ende war.
„Ja, und wer sind Sie?“, kam es dann trotzdem nach seinem kleinen Zögern.
„Engel…, Jonas Engel.“
„Oh.“
‚Hm, was hatte das denn nun wieder zu bedeuten?‘
„Kann ich bitte Rainer Teufel sprechen“, versuchte ich mein Anliegen an den Mann zu bringen.
„Moment, ich schau mal, ob er in seinem Arbeitszimmer ist“, hörte ich ihn, nur warum hatte ich den Eindruck, dass der Kerl nervös war. Eigentlich wollte ich ihm noch irgendetwas sagen, aber mir fiel einfach nichts Sinnvolles ein. Ich hörte ihn klopfen, dann ein leises Gespräch, das nicht zu verstehen war.
„Hallo Jonas“, erschallte auf einmal ein angenehmer Bariton aus dem Hörer. Ich hätte fast vor Schreck den Hörer fallen gelassen.
„Hallo?“, kam es noch mal fragend.
„Ja, hallo.“
„So früh habe ich mit deinem Anruf gar nicht gerechnet“
Okay, ich kann auch wieder auflegen.
„Aber schön, dass du dich meldest. Das passt hervorragend. Hast du morgen Nachmittag schon etwas vor?“
Als ob ich da nein sagen könnte. Und von wegen überraschender Anruf, der Bulle schien ja schon alles geplant zu haben. Vielleicht sollte ich mich ein wenig wehren.
„Morgen?“, fragte ich zögernd nach.
„Okay, ich wollte dich nicht überfahren.“ Hörte ich da ein klein wenig Enttäuschung aus der Stimme. Und fast gleichzeitig war es mir, als würde mir jemand zuflüstern ‚Zier dich jetzt bloß nicht‘ und übernahm mein Sprachorgan.
„Nein, nein, es wird schon irgendwie gehen.“ Fast hätte ich mir vor Schreck auf die Zunge gebissen.
„Fein, dann sei bitte morgen um 16 Uhr …“, redete er weiter auf mich ein und nannte mir eine Adresse, die am Arsch der Welt war. Na ja nicht ganz, aber in der Nähe von der Wache, wo ich die Begegnung mit ihm hatte.
„.. und melde dich bei einem Herrn Müller, der weiß Bescheid. Ach und zieh nicht deine besten Klamotten an, es könnte ein wenig dreckig werden“, schloss er seine Erklärungen ab.
„Okay.“ Was sollte ich auch weiter sagen?
„Und Jonas?“, hörte ich ihn noch.
„Ja?“
„Sei einfach nur du selbst, Cu“ Bevor ich noch reagieren konnte, hörte ich das Freizeichen im Hörer.
Was sollte der Kack denn jetzt? Sei du selbst? Der hatte gut Labern.
Na ja anschauen konnte ich mir das morgen ja mal. Die vier Veranstaltungen bekam ich auch über die Runden.
Schneller als mir lieb war befand ich mich am Donnerstag auf dem Weg zu Herrn Müller. Treffpunkt war ein altes Bürgerhaus, das am Tor ein Schild mit der Aufschrift „Jugendtreff“ aufwies. Die Räume waren relativ leer. In einem großen Raum standen an einem Billardtisch noch sechs andere Jugendliche, die in etwa mein Alter hatten. Auf den ersten Blick erkannte ich nur Torfnasen. Oh je, was für Trottel hatten die denn hier ausgegraben. Zwei hatten mehr Muskeln als Hirn und schauten auch nur treudoof in die Runde – nicht weiter gefährlich. Dann war da noch ein rothaariger Schmalhans, der eindeutig hier fehl am Platze war. Die Krönung waren aber die drei Südländer. Oh man, Prolls der besten Sorte. Sie schienen hier auch das Wort zu führen, wobei nur der Kleinste von den Dreien redete.
„Eh, du bist wohl der Neue“, stellte er fest. Nun ja das war ja nun mehr als offensichtlich. Zustimmend und grüßend nickte ich der Gruppe zu.
„Name?“
Na das ging ja gut los. Entweder ich ordnete mich hier gleich unter und hatte die Dumpfbacken die ganze Zeit am Hals, oder ich setzte Grenzen. Die Entscheidung fiel mir leicht. Wortlos ging ich an ihnen vorbei und wollte weiter, diesen Herrn Müller suchen.
„He Alder, biste stumm oder wat?“ Das war jetzt nicht Großfresse Nummer Uno, nein sein Spezie hatte die Rolle des Bösewichts übernommen. Okay schafften wir Tatsachen.
„Pass auf, ich sag es nur einmal. Ich will nichts von euch und ihr wollt nichts von mir. Wir sehen uns genau viermal und mehr Gemeinsamkeiten wird es nicht geben“, zischte ich Mister Uno an, der bei meinen Worten zurückzuckte. Man, das war ja noch schlimmer als ich angenommen hatte, denn die Feigheit strahlte regelrecht aus seinem Gesicht. Dann wandte ich mich wieder um.
„Ach und nennen könnt ihr mich, wie ihr lustig seid“, meinte ich noch über meine Schulter an Mister Due.
„Blöder Arsch.“, hörte ich von ihm.
„Meinetwegen auch so.“
Mit Schwung wurde rechts von mir eine Bürotür aufgestoßen.
‚Oh man, das wurde ja immer schlimmer‘, murmelte ich mir zu. Ein Vertreter der Hippie und 68er Generation betrat den Raum. Bitte lass das nicht …
„Ich bin Herr Müller, aber ihr könnt mich Bernd nennen!“ Soviel zu meiner unausgesprochenen Bitte.
Zuerst einmal veranstalteten wir eine lustige Frage- und Antwortstunde, wobei die beiden Muskelberge die größten Probleme hatten, einen geraden Satz rauszubekommen. Mittlerweile sah ich das von der witzigen Seite und amüsierte mich königlich. Dann kamen wir zu unseren Straftaten. Okay, ich erzählte nur von meiner letzten Sache und das schien Müllerchen zu reichen. Die Südländer laberten nur Scheiße, interessant war der Rothaarige, der eigentlich einen sehr schüchternden Eindruck machte, aber nach seinem Erzählen bei einem Dorffest ausgetickt war. Also entweder waren die da alle hackevoll gewesen, oder der hatte mehr auf den Kasten als der erste Eindruck vermittelte. Aus dem Kauderwelsch von Mister Schwarzenegger 1 und 2 bekam ich nur soviel mit, dass sie die Dorfdiscos abklapperten und dort mehr die übliche Schlägerei genossen hatten, als das Tanzbein zu schwingen. Nach 1,5 Stunden war der Zirkus vorbei und ich wollte mich schon trollen, als der Vorturn-Hippie was von Aufbruch faselte. Irgendwie waren die anderen wohl auch der Meinung, dass wir fertig wären und motzten dementsprechend rum. Hier musste ich Müllerchen jetzt meinen Respekt zollen, er machte uns ziemlich schnell klar, dass ihn der Scheiß – er sagte wortwörtlich Scheiß -, den wir gelabert hatten, nicht die Bohne interessierte und wir nun zum eigentlichen Teil der Veranstaltung kommen würden. Wer das nicht wollte, dürfte natürlich gehen, wäre aber raus aus dem Programm.
Das Resultat war, sieben Jugendliche mit einem Hippie waren auf dem Weg nach irgendwo. Eine S-Bahn Station weiter standen wir vor einem alten Fabrikgebäude, hinter dem ein Seitenarm der Spree floss. Müller lotste uns zu einem Eingang, an dem ein Schild mit einem frei schwebenden Kletterer hing. Nach der Eingangstür öffnete sich eine große Halle, in der nur mäßig Betrieb war. An der einen Stirnseite prangte eine aberwitzige Kletterwand, mit zwei Überhängen. Ansonsten sagten mir die restlichen Einrichtungen und Ausrüstungsgegenstände überhaupt nichts. Klettern war noch nie mein Fall gewesen – immer schön auf dem Boden bleiben.
Müller sprang auf einen Mittdreißiger zu und verwickelte ihn in ein Gespräch. Wir standen ziemlich verloren in der Gegend herum und nach den Gesichtsausdrücken der Anderen war mehr als die Hälfte von dieser Einrichtung nicht begeistert. Nur der Rothaarige zeigte ein gewisses Interesse. Ich ließ meinen Blick weiter streifen. Da kam um die Ecke einer weiteren Kletterwand, in dessen Nähe wir uns befanden, ein Typ mit den Armen voller Seilen geschlendert. Ich sah nur kurzes, wirres, pechschwarzes Haar und eisblaue Augen, die aus seinem Gesicht regelrecht herausstachen.
Das konnte doch nur ein blöder Scherz sein – Wollmütze, nur ohne Mütze, lief mir regelrecht in die Arme. Sein Blick fiel auf mich, ein kurzes Zögern, Erkennen und Lächeln war seine Reaktion.
„Hey Schwuli.“, flötete ich ihm nicht gerade leise entgegen.
Darian
„Oh“
‚Na toll, was für eine fantastische Reaktion von mir‘, griff ich mir sinnbildlich an den Kopf.
„Kann ich bitte Rainer Teufel sprechen“, hörte ich den blonden Schnuckel fragen, aus seiner Stimme war eine gewisse Unsicherheit rauszuhören. Hm, eigentlich war Paps um die Zeit noch auf der Arbeit, aber schauen schadete ja nichts, aber irgendwie musste ich jetzt mal einen ordentlichen Satz herausbekommen.
„Moment, ich schau mal, ob er in seinem Arbeitszimmer ist“, sagte ich ziemlich nervös in den Hörer. Ich hörte ihn atmen und hatte den Eindruck, als wollte er noch etwas sagen. Dann klopfte ich an der Tür zum Arbeitszimmer und hörte ein leises ‚Herein‘. Ah, mein Vater war wirklich schon zu Hause und schrieb irgendwas an seinem Laptop. Manche Berichte oder Aktenvermerke machte er lieber zu Hause in aller Ruhe. Ich hielt leicht die Muschel am Telefonhörer zu.
„Hier ist Jonas Engel dran“, sagte ich ihm auf seinen fragenden Gesichtsausdruck.
„Ah“, nuschelte er und sah mich lächelnd an. Moment, grinste er nicht gerade ziemlich anzüglich?
„Nee, nee für dich“, griff ich hier jeglicher Spekulation voraus.
„Das weiß ich doch“, antwortete er mir und nahm mir den Hörer ab, nur das Grinsen wollte nicht verschwinden. Dann scheuchte er mich mit einer Handbewegung aus dem Zimmer, wobei ich natürlich viel lieber geblieben wäre. Berufliche Sachen nahm mein Vater aber sehr ernst und ein gehorsamer Sohn wusste, was er zu tun hatte – nämlich die Tür von außen zuzumachen.
Seufzend widmete ich mich wieder meinem Kakao und einem neuen Stückchen Kuchen. Dieser kurze Anruf hatte genügt, um das Gesicht des süßen Engels vor meinen Augen wieder auferstehen zu lassen.
‚Engel‘, kicherte ich leise in mich rein, wie wahr und doch falsch. Das Aussehen dafür hatte er ja und den Namen auch, nur schien er eher ein Teufel zu sein. Oh je, bloß keine Wortspiele, da träumte ich dann doch lieber weiter.
‚Nur wovon träumte ich hier eigentlich?‘ – von Unmöglichkeiten. Meinen Vater sah ich dann heute erst zum Abendbrot wieder. Zu dem Anruf wurde kein Wort mehr verloren. Leider hatte ich das untrügliche Gefühl, dass meine Mutter informiert war, denn sie sah mich ein paar Mal prüfend an. Also wenn hier nichts im Busch war – die Frage war nur, WAS?
So, Schule hatten wir heute auch nur mehr schlecht als recht über die Bühne gebracht. Seit dem Morgen hatte mich schon eine gewisse Unruhe erfasst, ich konnte sie nur nicht in Worte fassen. Zum Glück war heute Donnerstag und ich konnte mich mal wieder richtig an der Kletterwand verausgaben, denn heute war nichts bei meinem Arbeitgeber geplant. Ich hatte den späten Nachmittag für mich. Also mein Fahrrad gegriffen und ab ging die Luzy.
Man, ich war ja heute ganz alleine – nichts los, aber mir sollte es recht sein. Eine Stunde hielt ich mich draußen im Hochseilgarten auf und prüfte nebenbei die Spannung der Seile. Über die Strickleiter im hinteren Bereich würde ich mit Jürgen mal reden müssen, ein paar Seile machten da nicht mehr den besten Eindruck. Dann ging ich wieder in die Halle. Ah, Jürgen war jetzt da.
„Devil, haste mal ´ne Minute?“, quatschte er mich an.
Grmpf, diesen Spitznamen hatte er mir nach den ersten Klettertouren an seiner Wand verpasst und sollte nicht aus meinem Nachnamen abgeleitet sein. Ja ja, wer’s glaubt!
„Klar.“
„Hast du nachher schon was vor?“, fragte er mich lauernd.
‚Nachtigall, ick hör dir trapsen!‘
„Schlafen gehen?“, antwortete ich ihm frech.
„Blödmann.“, grinste er zurück.
„Ich hätte noch einen Job für dich heute, kam ziemlich überraschend“, murmelte er.
„Heute noch?“, fragte ich zweifelnd nach.
„Ja, dauert nicht lange und außerdem hat Rainer gemeint, du könntest jetzt jeden Schein gebrauchen. Führerschein und so.“
‚Was für ein besorgter Vater!‘
„Scheint ja eh schon beschlossen zu sein“, grummelte ich noch ein wenig, denn so einfach wollte ich meinen freien Abend an der Kletterwand nicht aufgeben.
„Wusst ich es doch, auf meinen besten Mann ist eben Verlass“, rief er triumphierend.
„Und was liegt an?“, gab ich mich endgültig geschlagen.
„Nichts großes. Nur eine kleine Gruppe, sechs, sieben Leute. Eine kleine Runde über den Hochseilgarten und dann noch ein paar Sachen an der einfachen Kletterwand“, grinste er.
‚Oh je, blutige Anfänger wollte er mir auf´s Auge drücken. Vielen Dank!‘
„Okay. Da du gerade mal greifbar bist. Die Strickleiter hinten im Hochseilgarten sieht nicht mehr so gut aus“, eröffnete ich ihm noch schnell meine Beobachtung von vorhin.
„Ach, dir es das auch aufgefallen. Die Neue liegt noch im Bus, habe sie gerade geholt, denn mir ist das gestern auch aufgefallen. Tauschst du sie gleich aus?“, fragte er mich hinterhältig.
„Ausbeuter!“
„Von Herzen“, grinste er mir noch zu, aber ich war schon längst auf dem Weg zum Bus.
Das Austauschen war problemlos, sie war ja nur an ein paar Karabinerhaken befestigt. Somit trat ich den Rückweg mit der alten Leiter an, die sich auf meinen Armen türmte. Mit Schwung bog ich um die Ecke. Ach da schien wohl meine Gruppe angekommen zu sein, denn Jürgen sprach mit Bernd. Den kannte ich von einigen Touren. Er war ein sehr fähiger Sozialarbeiter, der meistens strafffällige Jugendliche betreute – Papa hatte eine sehr hohe Meinung von ihm, auch wenn er wie ein Hippie aussah.
Moment mal, strafffällige Jugendliche, das waren ja meistens Kerle – der Abend schien doch noch einen versöhnlichen Ausklang zu finden. Vielleicht war ja was zum Träumen dabei. Somit ließ ich meinen Blick schweifen und blieb gebannt bei zwei rehbraunen Augen hängen. Sein blaues Auge war fast verschwunden und ließ ihn somit noch schnuckeliger aussehen. Vor mir stand:
Jonas
Und in seinen Augen war dasselbe Erstaunen zu sehen wie wohl in meinen. Sein Anblick zauberte dann doch ein Lächeln auf meine Lippen, der Nachmittag wurde ja immer besser.
Auch seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, jedoch war das ganz anderer Art, hinterhältig?
„Hey Schwuli“, hörte ich ihn ziemlich laut sagen. Mein Lächeln erstarb umgehend und seins wurde noch eine Spur fieser. So hatte ich mir ein Wiedersehen bestimmt nicht vorgestellt.
„Wer is´n die Schwuchtel?“, hörte ich noch einen von der Gruppe fragen.
‚So ein blödes Arschloch. Ich hatte mit meinem Schwulsein keine Probleme, aber ich hing es nicht an die große Glocke. Wer mich fragte, bekam eine ehrliche Antwort, aber ich beschimpfte ja auch nicht jeden anderen als blöde Hete. Mit dieser Bemerkung und vor allem seinem beschissenen Lächeln hatte er sich nun endgültig disqualifiziert.‘ Ich schenkte ihm noch einen kalten Blick, in den ich soviel Verachtung packte, wie ich gerade so zusammenkratzen konnte.
‚Vielleicht bekam ich Jürgen ja überredet, dass er die Gruppe übernahm. Ich hatte keine Lust mehr!‘, überlegte ich mir. Wortlos stiefelte ich an der Gruppe vorbei, um die Strickleiter ins Lager zu bringen.
„Immer schön mit dem Arsch wackeln“, hörte ich in meinem Rücken mit südländischem Akzent. Musste wohl ein Brüller gewesen sein, denn die Gruppe lachte herzhaft. Als ich das Lager wieder verließ, standen Bernd und Jürgen bei der Gruppe und mein Arbeitgeber winkte mich rüber. Zögernd ging ich näher. Ich spürte den Blick von Mister Arsch, aber erwiderte ihn nicht. Tja, das haste voll verbockt!
„So Leute, das ist Devil. Der wird euch bei eurer Tour durch meine heiligen Hallen begleiten und unterstützend unter die Arme greifen“, eröffnete Jürgen der Gruppe, nachdem ich zu ihnen gestoßen war. Die Reaktionen waren so unterschiedlich wie interessant.
„Der Devil?“, fragte ein rothaariger schlaksiger Kerl, den ich noch nie gesehen hatte.
„Ich lass mir nichts von einer blöden Schwuchtel sagen, geschweige denn mich anfassen“, grölte der Kleinste der Südländer postwendend los. Dies ließ Jürgen scharf die Luft einziehen. Er wusste, dass ich schwul war, aber seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, konnte er sich nicht vorstellen, woher die das wussten. Die zwei Begleiter des Kleinen nickten mit dem Kopf und warfen mir einen angeekelten Blick zu. Die Muskelberge gaben irgendeinen dumpfen Laut von sich, der auch auf eine gewisse Ablehnung schließen ließ. Tja, und Jonas – was der machte, sah ich nicht, weil ich ihn vollkommen ignorierte.
„Okay Jürgen, ich bin raus“, eröffnete ich meinem Chef.
„Bernd, …“, fing Jürgen an zu grollen und an seinem Tonfall erkannte ich, dass er kurz vor dem Explodieren war. Wenn der mal ausflippte, wurden sogar die hohen Managerfuzzys, die sich hier ab und an mal rumtrieben und ein arrogantes Gehabe an den Tag legten, ganz schnell ganz klein.
„Also Leute, ich mache es euch ganz einfach. Ihr habt zwei Optionen:
1. Da ist die Tür und tschüs
2. Ihr haltet euch daran, was Devil euch sagt
und diese Entscheidung hat jetzt zu fallen!“, hörte ich Bernd eisig sagen. Wie gesagt der Alibi-Hippie war nicht zu unterschätzen.
Mich interessierte das alles eigentlich überhaupt nicht mehr, denn ich drehte mich um und stiefelte zu meiner Kletterwand.
„Darian?“, rief Jürgen mir hinterher. Wenn er mal meinen Vornamen benutzte, war es mehr als ernst. Langsam drehte ich mich um. Immer noch stinkwütend jedoch mit flehendem Gesichtsausdruck stand er direkt vor mir.
„Jürgen, das ist doch nicht dein Ernst?“, fragte ich ihn entgeistert.
„Darian, ich habe jetzt noch ein Meeting und ich kann mir diesen Auftrag dort nicht durch die Lappen gehen lassen. Wenn das da mit der Gruppe funktioniert, bekommen wir höchstwahrscheinlich einen großen Folgeauftrag“, redete er auf mich ein und fügte dann mit einem diabolischen Grinsen noch hinzu: „Und außerdem kannst du den Heinis da am besten ihre Grenzen aufzeigen, indem du sie über unsere Anlage hetzt.“
‚Hm, Jonas zu zeigen, was er wirklich konnte, war eine durchaus verlockende Idee‘, überlegte ich mir und gab meine Zustimmung mit einem Nicken. Somit begab ich mich wieder zu der Gruppe.
Der erste Tag war immer relativ einfach gestrickt. Man bildete Zweiergruppen, in denen die Teamfähigkeit überprüft wurde, denn die Übungen konnten nur zu zweit geschafft werden. Meistens bildete ich mit einem der Leute eine Gruppe und machte alles eins zu eins vor. Da wir eine ungerade Anzahl von Teilnehmern hatte, war das auch einfach.
Kurz angebunden erklärte ich nur sachlich, wie die ersten Übungen aussehen sollten. Als es um das Zusammenstellen der Gruppen ging, erschien es mir kurz so, als wollte Jonas mit mir zusammenarbeiten. Wie gesagt, ich ignorierte ihn, aber ich war ja nicht blind. Um dem gleich einen Riegel vorzuschieben, griff ich mir den Rothaarigen, der als Einziger ein wenig Begeisterung mitbrachte.
Es machte mir eigentlich keinen Spaß, Anfänger zu triezen, aber das hier war was ganz anderes. Am Anfang fielen immer mal wieder dumme Bemerkungen über meine sexuelle Ausrichtung und als sich Bernd zu dem Thema noch einmal zu Wort melden wollte, gab ich ihm durch ein verstecktes Zeichen zu verstehen, er solle es lassen. Eine halbe Stunde später war ihnen sämtliches Lästern vergangen und sie waren nur noch mit sich selbst beschäftigt. Bernd grinste mir nur zustimmend zu. Der Sinn der Übungen war weiterhin, dass die Partner ständig wechselten und man sich somit immer wieder auf eine neue Person einstellen musste und vor allem vertrauen musste. Mit Absicht drehte ich es so, dass ich nie mit Jonas eine Gruppe bildete.
Ich hatte keinen Bock, mich auch nur ansatzweise mit ihm zu beschäftigen, geschweige denn in Körperkontakt zu kommen. Trotz meiner Wut auf ihn, erwischte ich mich immer wieder, wie ich ihn beobachtete. Er hielt sich in der Gruppe zurück, obwohl er der heimliche Chef zu sein schien. Die Aufgaben meisterte er größtenteils problemlos, obwohl ich das Niveau ungewöhnlich hoch geschraubt hatte und die anderen hatten ganz schön zu knabbern. Seine Bewegungen waren geschmeidig und er war sich seiner Wirkung bewusst.
‚Oh man, ich hechle diesem Kerl ja immer noch hinterher!‘, rief ich mich zur Ordnung. Aber dann fand ich seinen Knackpunkt.
Er mochte die Höhe nicht. Je höher wir in dem Hochseilgarten kamen, desto vorsichtiger wurde er. Seine Augen schauten mehr als einmal skeptisch und er wurde unsicher, machte dadurch auch Fehler. Und er musste sich mehr auf seinen Partner verlassen und das behagte ihm dann ganz und gar nicht.
Ich sah es sofort – Jonas war nicht teamfähig! Nur mit Widerwillen ließ er sich helfen, aber woraus das resultierte blieb mir verborgen. Die zwei Stunden waren ziemlich schnell vorbei und bei der Verabschiedung kam ich mit dem Rothaarigen ein wenig ins Gespräch. Ah, jetzt war mir auch klar, woher er meinen Spitznamen kannte. Bernd setzte das nächste Meeting auf Dienstag an, weil er unbedingt wollte, dass ich es wieder leitete – warum auch immer, ich wehrte mich nicht so sehr dagegen. Kurzes Shakehands mit Bernd und dem Rothaarigen, die Hand von Herrn Engel übersah ich und stiefelte ins Büro, um meine Stunden abzurechnen.
Jonas
Das Lächeln von Darian gefror umgehend, als ich meinen Begrüßungssatz raus hatte. Dann hörte ich den Satz von der Pappnase
„Wer is´n die Schwuchtel?“
und mir wurde klar, dass ich hier Mist gelabert hatte. Eigentlich wollte ich nur eine lockere Begrüßung rüberbringen. Als mir Wollmütze dann auch noch einen eiskalten verachtenden Blick zuwarf, der es in sich hatte und an mir wortlos vorbeistiefelte, kam ich mehr ins Grübeln als mir lieb war.
‚Er war doch schwul, oder? Klar, er hatte es mir doch selbst am Samstag gesagt. Wo also war das Problem?‘, überlegte ich.
Als ich meine geliebten Südländer aber so nett über die Schwulen herziehen hörte, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Wie gesagt, ich hatte mit dieser „Spezies“ nicht so viel zu tun, somit hatte ich mich auch damit noch nicht beschäftigt. Irgendwie hatte ich auf einmal das Gefühl, dass ich ihn bloßgestellt hatte und somit den anderen ausgeliefert – und das Gefühl war echt scheiße.
Dann kam Bernd mit dem anderen Typen zu uns, den er als Jürgen vorstellte. Sie laberten irgendetwas von Teamspirit, verschiedenen Aufgaben und den allgemeinen Sicherheitsbestimmungen. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Darian durch eine Tür wieder in die Halle trat. Mein Blick ruhte auf ihm, ich wollte ihm zu verstehen geben, dass das nicht meine Absicht gewesen wäre, aber er ignorierte mich vollkommen. Der Typ neben Bernd winkte ihn heran.
„So Leute, das ist Devil. Der wird euch…“, fing Jürgen an.
‚He, wer? Devil, was ist das denn für nen beknackter Name!‘, ging mir durch den Schädel. Da Jürgen aber dabei auf Wollmütze zeigte und etwas davon faselte, dass er uns anleiten würde, hatte ich das doch wohl richtig mitbekommen.
Rotkäppchen neben mir brach fast in grenzenloser Begeisterung aus „Der Devil?“. Und das Sprachrohr der Südfraktion eröffnete uns feierlich
„Ich lass mir nichts von einer blöden Schwuchtel sagen, geschweige denn mich anfassen!“ Welches von Schwarzenegger 1 und 2 undeutlich bestätigt wurde.
Darians Mine wurde noch abweisender und er sagte nur frostig „Okay Jürgen, ich bin raus“. Ein kurzes Zischen von Jürgen und Bernd machte uns unmissverständlich klar, welche Optionen wir hatten.
Spätestens jetzt wäre bei mir der imaginäre Hammer gefallen, aber ich Dummbeutel hatte ja schon vorher begriffen, dass ich was verbockt hatte. Minuten später gesellte sich Darian wieder zu uns und tat so, als wäre nichts vorgefallen. Absolut professionell erklärte er uns dann, was uns erwartete und ging auf die weiteren hämischen Bemerkungen gar nicht ein. Ich bekam sehr wohl mit, dass unser Vorturner eingreifen wollte, aber Wollmütze machte eine kleine fast unbemerkte Handbewegung und Bernd ließ es.
Warum ich das sah?
Ich beobachtete Darian, nein ich starrte ihn an und irgendwie bewunderte ich, wie selbstsicher er das Ganze hier durchzog und sich von dem blöden Gelabere überhaupt nicht beeinflussen ließ. Dann mussten Zweiergruppen gebildet werden und das war meine Chance, mit ihn wieder zu kommunizieren. Aber was machte er? Er griff sich den Rothaarigen. Er übersah mich vollkommen, so als wäre ich Luft. Die nächste Stunde entwickelte sich dann mehr als anstrengend und das Schlimmste war, ich musste jemand anderem vertrauen. Das konnte ich nicht – ich hatte bisher alles mit mir selbst ausgemacht und war damit gut gefahren. Aber hier ging das einfach nicht! Und das Schlimmste war, sie wechselten ständig die Partner durch – nur Darian mied mich wie die Pest.
Okay, ich hatte ein schlechtes Gewissen, aber als letzten Arsch ließ ich mich auch nicht behandeln. Wie arrogant konnte man denn sein? Er war wirklich gut, beherrschte die Situation vollkommen und gab kleine Hilfestellungen. Die über ihn gelästert hatten, ließ er ihre Unfähigkeit ab und an mal spüren und Ruhe war schnell eingekehrt. Meiner Gruppe halste er immer ein wenig mehr auf, machte die Aufgabe immer ein klein wenig kniffliger, aber die Blöße wollte ich mir nicht geben. Und das Seltsamste war, er beobachtete mich wieder heimlich – nur wenn ich den Blickkontakt suchte, schaute er demonstrativ weg.
Und dann hatte er mich! Die Höhe war mein Problem. Ab fünf Meter über dem Boden wurde mir mehr als unwohl, vor allem als ich anfing, zu überlegen. Immer öfter musste ich nach unten schauen und wurde zusehends unsicherer. Dadurch häuften sich meine Fehler und ich wurde abhängiger von meinen Partnern. Die letzte halbe Stunde war einfach nur noch der Horror und Wollmütze nervte mich mit seiner Arroganz nun gewaltig.
Als wir schon fast auf dem Heimweg waren, quatschte der Rothaarige Wollmütze an.
„Sag mal, ist Devil eventuell dein Klettername?“, hörte ich ihn sehr neugierig fragen. Interessiert spitzte ich die Ohren. Trotz meiner Wut über sein Verhalten machte mich der Typ einfach wahnsinnig. Ich hasste ihn, andererseits wollte ich alles wissen – war das normal?
„Na ja, den Spitznamen hat mir Jürgen verpasst, warum auch immer“, antwortete er.
‚Ha, für dumm verkaufen konnte er seine Großmutter. Nachname Teufel, Spitzname Devil, noch eindeutiger ging es ja nun wirklich nicht!‘, grummelte ich vor mich hin, hörte aber trotzdem weiter sehr interessiert zu.
„Nee, ick meene, ob du unter den Namen an Events teilnimmst?“
„Ja, ab und an mal“
„Geil, mein Bruder wird kotzen, wenn er hört, wer mich heute hier echt geschunden hat“, grinste Rotkäppchen Darian an.
„Wieso, ist er ein Fan von mir?“
„Nee, eher nicht. Seine Originalaussage ist ‚Devil, dieser kleine schwarzhaarige Mistkerl verarscht uns doch nur‘“, prustete er los und schob noch hinterher „nur tut es ihm ab und an mal gut, dass er seine Grenzen aufgezeigt bekommt.“
„Ups.“
„Er nennt sich Brain, was für ein einsfallsreicher Name“, gab er noch preis.
„Das ist dein Bruder? Der ist wirklich nicht schlecht und fordert mich ganz schön“, antwortete Darian.
„Hm, das behalte ich mal lieber für mich, sonst schwebt er mir auf und davon“ hörte ich den Rothaarigen sagen und dann sprach er noch etwas leiser und sehr ernst „und dass du schwul bist, behalte ich auch für mich“.
„Danke“, kam es von Wollmütze und hörte ich eine gewisse Erleichterung heraus? Auf jeden Fall rief mir das wieder meine Entgleisung vom Nachmittag in die Erinnerung zurück. Meine Wut, die ich noch auf ihn hatte, war schlagartig verflogen und mein schlechtes Gewissen meldete sich.
Bei der Verabschiedung wurden die nächsten Termine abgesprochen, wobei wir uns schon nächsten Dienstag gleich hier einfinden sollten. Als er dann Rotkäppchen die Hand schüttelte, schob ich ihm meine auch zögernd entgegen. Das Resultat war mir schon klar, bevor er überhaupt reagiert hatte. Er schaute nicht mal auf meine Hand und stiefelte an mir vorbei.
‚Dieses blöde Arschloch!‘ Auf den Weg nach Hause war ich nur mit Verwünschungen und Hasstiraden beschäftigt. Ich überlegte ernsthaft, ob ich nächsten Dienstag überhaupt noch einmal hingehen sollte, denn dieses Nichtbeachten ging mir richtig auf den Sack. Irgendwann kam mir ein gar seltsamer Gedanke.
‚Vielleicht hatte ich ihn zutiefst verletzt!‘
Hä?
Klar, der machte sich doch jetzt bestimmt immer noch lustig über meine Fehltritte zum Schluss der Veranstaltung. Außerdem gab er mir gar keine Chance, mich bei ihm zu entschuldigen. Da fasste ich einen ganz anderen Entschluss. Ich würde mich auf den Dienstag vorbereiten und nicht noch einmal wie ein Trottel dastehen. Am Sonntagfrüh hatte ich ein wenig Zeit, bevor ich zum Job musste und würde noch einmal diesen Verein aufsuchen.
‚Ja, ein wenig üben und meine Angst besiegen, das war ne gute Idee‘, lächelte ich in mich hinein.
Dring, dring.
‚Aaaaaaaaaargh, ich schmeiße den Fuckwecker noch an die Wand‘, fluchte ich leise vor mich hin, als ich das Gerät endlich zur Ruhe brachte. Es war Sonntagmorgen gegen acht Uhr und ich hatte einiges vor. Somit raus aus den Federn, zum Glück war ich kein Morgenmuffel. Zu Essen war natürlich nichts mehr im Hause und den Kaffee hatte die Alte auch schon wieder weggesoffen. Zum Glück schnarchte die auf der Couch und ließ mich in Ruhe.
Eine Dreiviertelstunde später stand ich vor der Fabrikhalle und war mir doch wieder unschlüssig. Oh man, worauf hatte ich mich hier nur eingelassen. Zögernd ging ich auf die Eingangstür zu – verschlossen!
‚Blödmann! Das hättest du dir ja wohl auch denken können‘, schimpfte ich mit mir. Aber so schlimm war das nicht, mein Ziel war eher der Hochseilgarten hinter der Halle, der sich halb über dem Wasser spannte. Zuerst kletterte ich in den unteren Bereichen herum. Okay, das hatte sogar einen gewissen Spaßfaktor. Also ein wenig höher. Das unangenehme Kribbeln wurde stärker. Meine Augen wanderten immer wieder nach unten – man war das hoch. Gut, versuchen wir mal auf die andere Seite zu hangeln. Dabei musste ich meine Blicke auf das Seil über mir richten und schon war mir ein wenig wohler.
Los ging’s!
„He duuuuuuu!“, erscholl es von unten. Vor Schreck ließ ich fast das Seil los. Meine Augen suchten den Schreihals – oh je, war das hoch.
„Beweg deinen Arsch sofort hier runter!“
Die Aufforderung war eindeutig und so gern ich ihm dazu etwas Passendes gesagt hätte, musste ich mich wohl oder übel erst einmal auf mich konzentrieren. Das war mir eindeutig zu hoch. Vorsichtig tastete und hangelte ich mich weiter, zum Glück kamen keine Kommentare mehr von unten. Das Abseilen von der anderen Seite über die wohl nagelneue Strickleiter war dann nur noch reine Formsache. Trotzdem schlich ich wie ein begossener Pudel zu dem Typen, der sich als dieser Jürgen herausstellte, als ich näher kam.
„Ach du bist das, einer aus der Jugendgruppe vom Donnerstag?“, stellte er mehr oder minder fest.
„Wie ist denn dein Name?“, fragte er nun schon freundlicher.
„Jonas“, antwortete ich ihm. Mir war es irgendwie peinlich, hier erwischt zu werden.
„Du übst wohl heimlich“, grinste er mich an. Überrascht sah ich ihn an.
„Komm mal mit rein, eine Tasse Kaffee wird uns beiden wohl gut tun“, sprach er und war schon verschwunden. Zögernd ging ich hinterher.
In einem kleinen gemütlichen Büro brodelte schon der Kaffee in einer Maschine. Das Zimmer war ordentlich und gefiel mir sofort. Aber das schönste waren große Schwarz-Weiß-Fotographien von Klettern in den unmöglichsten Positionen an Überhängen. Die Bilder waren einfach genial fotografiert.
Moment mal, den Typ auf den meisten Fotos kannte ich. Von dem Einen grinste mir Wollmütze regelrecht frech entgegen.
„Devil ist fotogen, oder“, hörte ich hinter mir und fuhr ertappt herum. Jürgen grinste mich breit an.
„Ich habe mich nur gefragt, wer da fotografiert hat und vor allen von wo?“, stotterte ich leicht herum und wollte mit meiner Frage ablenken – nur wovon?
„Das wer ist ganz einfach“, sagte er und grinste mich noch breiter an.
„Tja und wo, ich hing meistens neben ihm in der Wand!“
„Der Junge ist der Wahnsinn. Als ob er mit dem Fels verwachsen wäre, einfach unheimlich. Hm, ich weiß nicht…“, unterbrach er sich auf einmal und sah mich prüfend an „…ob ich dir das sagen sollte, habe ich bisher noch keinem erzählt. Aber irgendwie habe ich das Gefühl es wäre richtig.“
Schweigen, ein weiterer prüfender Blick und er goss in aller Ruhe erst einmal den Kaffee ein.
‚Man Typ, fasel endlich weiter. Ich wollte alles über Darian wissen.‘
‚Wollte ich das wirklich?‘, fragte ich mich erschrocken.
„Seinen Spitznamen habe ich ihm verpasst. Alle denken, es ist eine Ableitung aus seinem Nachnamen“, murmelte er und sah mich dabei fragend an.
„Teufel“, hakte ich nach. Vor Neugierde nahm ich einen großen Schluck Kaffee und verbrannte mir jämmerlich die Fresse – Scheiße, war der heiß.
Leicht nickend fuhr er fort „Ja, aber er hat einen anderen Hintergrund. Ich habe ihm den verpasst, da kannte ich noch nicht einmal seinen richtigen Namen. Er tauchte hier etwa vor über zwei Jahren auf und wollte ein wenig klettern. Ich brachte ihn zu unserer Hobbykletterwand für Anfänger und er sah mich nur mitleidig an – diesen Blick werde ich nie vergessen. Dann stiefelte er zu der Großen und fing einfach an zu klettern. Zielstrebig nahm er die komplizierteste Route und glitt wie ein kleiner Derwisch über die schwierigsten Punkte hinweg. Minuten später feixte er mich von oben frech an. Der kleine schwarzhaarige Teufel hatte mich herrlich verarscht und somit hatte ich ihm seinen Spitznamen verpasst – Devil.“ Verträumt schwelgte er in der Erinnerung.
„Er hat euch am Donnerstag ganz schön rangenommen, wa?“, riss er mich dann aus meinen Überlegungen. Ich schwieg daraufhin mal, denn ein Urteil darüber konnte er sich ja wohl am besten bilden.
„Kennt Ihr euch?“, kam die nächste Frage total überraschend.
„Ähm…, wieso?“
„Weil er noch nie jemanden so links hat liegen lassen“, knallte er mir dann ernst an den Kopf, jegliches Lachen war aus seinem Gesicht verschwunden. Der Typ wurde mir unheimlich, was würde noch alles kommen.
„Ich habe mich scheiße benommen.“
‚He, hatte ich das gerade gesagt. Wie kam ich denn dazu, so einen Mist zu labern!‘, versuchte ich mich selbst zu rechtfertigen, anderseits war da der unangenehme Gedanke, dass ich mit meiner Aussage mehr als Recht hatte.
„Trotzdem, so nachtragend kenn ich ihn gar nicht, wobei…“, unterbrach er sich, musterte mich intensiv und lächelte dann leicht in sich rein – nur den Satz ließ er unvollendet. Ich hasste kryptische Aussagen von Leuten, die mich irgendwie betrafen.
„Okay, du wolltest also ein wenig üben, um am Dienstag nicht so blöd dazustehen. Nur Jonas, alleine kann ich dich nicht auf den Hochseilgarten lassen, das lassen die Sicherheitsbestimmungen nicht zu. Jedoch mache ich dir einen Vorschlag, hier in der Halle kannst du klettern, wo du willst, ich zeige dir nur, wie du dich zu sichern hast und draußen lasse ich dich auf den unteren Teil, wenn du mir versprichst, nicht höher zu gehen.“
‚Als ob ich freiwillig gerne höher gehen würde.‘ Mein verzweifelter Gesichtsausdruck ließ ihn dann stutzen.
„Sehr gesprächig biste ja nicht gerade.“
„Hm“, antwortete ich geistreich.
„Du hast Respekt vor der Höhe?“, fragte er mich.
Zustimmend nickte ich und war froh, dass er nicht Angst gesagt hatte, denn das hätte ich nie und nimmer zugeben können.
„Von Angst will ich mal nicht reden, die hat so ein Kerl wie du ja nicht“, kam es prompt und er grinste mich frech an.
„Komm mal mit“, forderte er mich dann auf, als wir den Kaffee intus hatten. In der Halle zeigte er mir dann, wie ich mich anleinen konnte und ich versuchte ein paar Kletterübungen. Danach ging er mit mir nach draußen und brachte mir ein paar Tricks bei, um meinen Respekt einzudämmen. Die Sache fing sogar an, mir Spaß zu machen. Die Sonne kam jetzt auch noch hinter den Wolken hervor und nicht nur die körperliche Anstrengung brachte mich ins Schwitzen. Alleine machte ich dann weiter. Mit der Zeit wurde ich etwas mutiger und probierte etwas aus.
Und dann passierte es…
…mit meinen schweißnassen Händen rutschte ich ab…
…fand keinen Halt mehr und segelte aus zwei bis drei Metern Höhe ins Wasser.
Scheiße, war das kalt und prustend tauchte ich auf.
„Haha, hoho, hihi“
Nicht weit von mir amüsierte sich jemand königlich und als ich mich dem Ufer zuwandte, konnte ich erkennen, dass sich Wollmütze an einem Baum gelehnt unter spastischen Lachanfällen krümmte.
Darian
Als mich mein Vater am Freitagmittag süffisant fragte, wie wohl mein Donnerstag beim Klettern gewesen wäre, strafte ich ihn nur mit einem eisigen Blick. Sein Lächeln verschwand blitzschnell. Ich stand einfach vom Küchentisch auf und verschwand auf mein Zimmer, was eigentlich gar nicht meine Art war.
‚Ich verstand mich ja selbst nicht mehr!‘ Einerseits war ich auf den Idioten immer noch stocksauer, anderseits hatte ich die Nacht sogar von ihm geträumt – das Resultat war ´ne versaute Shorts am Morgen. Ich spielte mit dem Gedanken, den Kurs an Jürgen abzugeben, aber ich wollte ihn trotz allem wiedersehen – wurde ich bekloppt?
Und nun kam mein Vater daher und machte mir in seiner Art klar, dass er die Finger dabei mit im Spiel hatte.
‚Gib ihm ´ne Chance!‘, hörte ich ihn immer noch vom letzten Samstag.
Klar, aber er gab mir ja keine. Er stempelte mich als Schwuchtel ab…
…und aus. Blöder Arsch! Und das Beste war – das Wochenende war voll im Ar… Ich kam aus dem Grübeln nicht mehr raus, ging meinem Vater aus dem Weg oder er mir, das wurde nicht so klar.
Am Sonntagmorgen lag ich dann ab neun Uhr wach im Bett – ich, der Langschläfer. Mein Entschluss stand fest, ich würde einen Schlussstrich ziehen. In der Küche schlang ich schnell im Stehen ein halbes Brötchen runter und weg war ich. Meine Eltern waren viel zu verdattert über meine morgendlichen sonntäglichen Aktivitäten, als dass sie eine halbwegs sinnige Frage herausbekommen hätten.
Ah, Jürgen war in seinem Büro und erledigte den Schreibkram. Ich enterte das Zimmer. Er sah mich erstaunt an, denn er wusste, dass ich sonntags nie vor dem frühen Nachmittag hier auftauchte, dann fing er auf einmal an zu grinsen und lehnte sich genüsslich in seinen Stuhl zurück. Ich kannte diese Haltung – der Mann hatte Hintergedanken!
„Jürgen, ich will den Kurs am Dienstag abgeben“, eröffnete ich ihm gleich.
„Aha.“
„Das hat keinen Sinn mehr.“
„Hm.“
„Der eine Typ regt mich tierisch auf – so ein Arsch!“
„Nee.“
Habe ich schon mal erwähnt, dass ich einsilbige Antworten hasste? Ich war kurz davor, ihm hier meine Seele auszuschütten und er grinste mich immer breiter an.
„JÜRGEN!“
„Komm Devil, setz dich erst einmal hin und trink einen Kakao – du schläfst ja noch“, redete er beruhigend auf mich ein. Fünf Minuten später hatte ich das Versprochene und Jürgen hatte mich mit anderen Sachen abgelenkt. Ich besann mich aber dann doch wieder auf mein Anliegen als meine Tasse leer war.
„Nee nee, Jürgen das zählt nicht. Mit dem Dienstag mein ich es ernst – ich kann das nicht“, gestand ich ihm.
„Los, komm mal mit“
Er ging mit mir durch die Halle und führte mich zum Hochseilgarten. Aus der Ferne konnte ich eine einzelne Person im unteren Bereich herumturnen sehen. Langsam ging ich näher, denn die Bewegungen kamen mir bekannt vor.
‚Verdammter Mist‘, fluchte ich vor mich hin. Da kletterte Jonas herum. Ich wandte mich zu Jürgen und wollte ihn zur Rede stellen, aber der lächelte mir nur zu, gab mir einen kleinen Schubs und verschwand wieder. Vorsichtig schlich ich näher, aber das wäre gar nicht nötig gewesen, denn er war so in die Kletterei vertieft, dass er seine Umwelt ausgeschaltet hatte – das kannte ich zur Genüge. Meine Wut und mein Frust auf den Typen waren wie weggeblasen und ich beobachtete ihn fasziniert.
Der Typ war einfach nur geil. Der hatte keine Ahnung wie schnuckelig er eigentlich aussah. Er machte viel mit Kraft, aber wirkte dabei doch gelenkig. Sein Gesicht war leicht gerötet von der Anstrengung, die Haare, die ihm ab und an in sein Gesicht fielen, wischte er unwirsch zur Seite. Und er wurde mutiger. Jürgen musste ihm den einen oder anderen Kniff gezeigt haben, denn er unterließ typische Anfängerfehler. Und dann geschah es – ich sah es wahrscheinlich eher als er es bemerkte…
…er wurde zu mutig und rutschte ab…
…und landete im Wasser.
Zuerst erschrak ich und wollte ihm schon hinterherspringen, aber als er prustend an der Oberfläche auftauchte, gab es kein Halten mehr.
„Haha, hoho, hihi“, gackerte ich los und bekam kaum noch Luft. Jonas wandte sich zu mir um und suchte mit blitzenden Augen den Krachmacher. Als er mich ausmachte, stutzte er erst und warf mir einen mörderischen Blick zu. Bibbernd krabbelte er ans Ufer und baute sich vor mir auf.
‚Oh je, was würde er jetzt wieder vom Stapel lassen?‘, überlegte ich und mein Lachen verlor sich.
„Kommt mir so vor, als wenn ich mich vor dir immer zum Arsch machen würde“, grummelte er los. Erstaunt sah ich ihn an, das hörte sich ja fast schon wie eine Beichte an.
„Darian, es tut mir Leid“, murmelte er und schaute vor sich auf den Boden.
‚Wie bitte? Hatte ich das eben richtig gehört? Mister Vollarsch hatte sich entschuldigt?‘ Das verschlug mir dann doch die Sprache. Da stand er vor mir, zitterte wie Espenlaub, denn Anfang Mai war das Wasser noch schweinekalt und machte einen ziemlich verlorenen Eindruck.
„Wie bitte?“ – Oh man was Besseres fiel mir nicht ein?
„Dann eben nicht“, hörte ich ihn leise, etwas trotzig und mit gesenktem Kopf wollte er sich an mir vorbeidrücken.
„Moment“, forderte ich ihn auf und er hob seinen Blick.
‚Oh nein, mit diesen brauen Rehaugen machte er mich willenlos und konnte alles von mir haben‘, durchfuhr es mich. Fehlte nur noch, dass ich anfing zu sabbern.
„Vergeben und vergessen“, stotterte ich mir dann doch noch zu recht. Wenn er mich weiter so anschaute, konnte ich für nix mehr garantieren. Ein leichtes Lächeln verzauberte sein Gesicht, verdammt das wurde ja immer schlimmer – das Lächeln stand ihm einfach wahnsinnig gut und zeigte ein paar niedliche Grübchen auf seinen Wangen. Schnell schaute ich weg und ging an ihm vorbei. Über die Schulter rief ich ihm zu.
„Los komm mit, sonst holst du dir hier den Tod.“ Und folgsam trottete er hinter mir her. In der Halle schüttelte Jürgen nur seinen Kopf.
„Jonas, ich hatte nicht gesagt, du solltest schwimmen gehen“, feixte er. Derjenige warf ihm einen bösen Blick zu, musste dann aber auch wieder grinsen.
„Devil, gib ihm paar von den Klettersachen und kommt dann ins Büro. Ich setze mal eine Kanne Tee auf“ Rasch führte ich meinen Schützling zu den Wasch- und Duschräumen.
Dort angekommen, kramte ich in meinem Spind und angelte mein Shampoo hervor. Jonas stand nach wie vor unschlüssig herum. Das drückte ich ihm in die Hand.
„Hier, nimm das.“
„Deins?“
„Ja.“
„Nee, das kann ich nicht annehmen.“
„Papperlapapp, hier hast du auch noch ein Handtuch von mir und Badelatschen. Es nützt uns ja nichts, wenn du zwar sauber aber immer noch nass durch die Gegend rennst“, erstickte ich seine Widerrede. Und was machte der Kerl…
…nee das konnte er mir doch nicht antun…
Langsam streifte er sich sein T-Shirt vom Oberkörper.
WOW! Der pure Wahnsinn, ein Sixpack zum Träumen. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte.
Oh nein, jetzt löste er auch noch seinen Gürtel. Ich blieb wie angewurzelt und sprachlos an Ort und Stelle stehen. Die Hose glitt locker leicht an seinen schlanken muskulösen Beinen herab. Bitte nicht auf die Shorts starren, Herr Teufel!
Der Ausdruck – kleines sabberndes Teufelchen traf es wohl eher. Okay, okay ich hatte schon einige Boys im Bett gehabt, aber der hier war einfach himmlisch. Und er wird doch wohl nicht…
… oh doch! Langsam griff er in den Bund der Shorts und…
Wie ein riesiger imaginärer Hammer traf mich die Erkenntnis. Er wusste, dass ich schwul war und somit auf Jungs stand. Und er zog sich hier vor meinen Augen aus und der Sabber lief mir sprichwörtlich aus dem Mund – besser hätte ich das Klischee nicht bedienen können. Mühsam zwang ich meinen Blick von diesem Traum und drehte mich schnell um. Ich nuschelte ihm noch zu, dass ich die trockenen Sachen besorgen würde und schloss die Tür von außen.
Innerhalb von Sekunden hatte mich der Typ so aufgegeilt, dass mir in meiner Hose mehr als eng war. Oh man Jonas, einmal ins Bett schleifen und so richtig … STOP – ich rief meine primitiven Gefühle zur Ordnung und gestand mir ein, dass dies ein unerfüllter Traum bleiben würde. Seufzend machte ich mich auf den Weg, der Anblick wollte einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden. Ich suchte ihm was von meinen Sachen heraus, ich hatte eine Jeans, die war mir zu groß und bei dem Shirt war es fast egal, ich trug die eh immer eine Nummer größer. Zögernd öffnete ich die Tür zum Waschraum. Zu meiner Erleichterung, aber auch Enttäuschung hörte ich die Dusche noch rauschen und legte die Sachen auf die Bank.
Eine Viertelstunde später erschien er in den neuen Klamotten.
„He, die passen ja wie angegossen. Da könnte man sich dran gewöhnen“, eröffnete er mir.
„Kannste behalten“, lächelte ich ihm zu. Sein Gesicht versteinerte.
„Du bekommst sie am Dienstag wieder“, zischte er als Antwort.
‚Oh weh, was war nun wieder falsch gelaufen?‘
Zum Glück erschien nun Jürgen und ließ erst gar keine schlechte Stimmung aufkommen. Bei dem heißen Tee und ein wenig Gebäck erzählte er eine Anekdote nach der anderen und brachte Jonas zum Lachen.
Und Lachen stand ihm hundert mal besser, als sein Machogehabe. Es war offen und ehrlich und zeigte einen ganz anderen Menschen. Gegen 12 Uhr sprang er auf einmal auf.
„Verdammt, ich muss los“, sagte er entschuldigend.
„Bis Dienstag“, verabschiedete ich mich und streckte ihn meine Hand entgegen.
„Bis Dienstag, Devil“, grinste er mich an und ergriff meine Hand. Es war das zweite Mal, dass wir Körperkontakt hatten und es war der Hammer. Er hatte einen warmen festen Händedruck, aber viel mehr beschäftigte mich das Kribbeln, das von dieser Berührung ausging. Seine Hand ruhte auch länger als üblich in meiner. Auf Grund seiner Anrede verdrehte ich nur die Augen.
„Nein, nicht du auch noch“, bat ich ihn.
„Mir gefällts, Cu.“ Und weg war er.
Er hinterließ einen total aufgewühlten Darian – er hatte mich an diesem Sonntagmorgen auf ein Neues verzaubert.
„Erde an Devil, Erde an Devil“, hörte ich hinter mir Jürgen feixen. Flink drehte ich mich um und beantwortete diesen Ausspruch mit einem Knurren.
„Schau an, unseren Darian hat es erwischt!“
Ich versuchte, diese Bemerkung mit einer Handbewegung wegzuwischen, aber dazu passte wohl mein verklärter Gesichtsausdruck nicht.
„Viel Glück, Kleiner“, wünschte mir Jürgen.
„Die Chancen stehen mehr als schlecht“, seufzte ich dazu.
„Na Kopf hoch, am Dienstag haste ihn ja wieder zwischen den Fingern“, grinste er mich zweideutig an, was ihm prompt den Anblick meiner Zunge bescherte.
Jonas
Oh je, der Tag in der Schule wollte heute gar nicht vergehen. Ich war so was von hibbelig, dass ich auf dem Stuhl nur so hin und herrutschte.
‚Was war nur mit mir los?‘
Diese Frage stellte ich mir seit Sonntag ununterbrochen. Ich konnte den Nachmittag gar nicht erwarten, wollte Darian endlich wieder sehen.
‚Aber warum wollte ich ihn wieder sehen und das auch noch ziemlich sehnsüchtig? Mensch Engel – der Typ war SCHWUL!‘, grübelte ich. Und je öfter ich mir das einredete, desto normaler fand ich das. Was faszinierte mich nur an dem Kerl? Allein darauf fand ich keine Antwort. So sehr ich es auch drehte und wendete, ich kam nicht drauf.
Der vergangene Sonntag war auch so eine Geschichte für sich. Als ich meinen sehr eleganten Abgang in die Brühe der Spree gemacht hatte, musste irgendetwas meinen Kopf klargespült haben. Klar war ich erst angepisst, als ich Wollmütze da so lachen sah, aber ich konnte ihm nicht böse sein, außerdem war das Wasser schweinekalt. Somit musste ich schnellstens aus der Brühe heraus und bewegte mich zu Darian. Zuerst einmal war ich froh, dass ich den glitschigen Abhang beim ersten Mal problemlos hinter mir ließ und streckte mich vor ihm. Sein fröhliches Lachen erstarrte und das lustige Funkeln, welches ich in seinen eisblauen Augen entdeckt hatte, erlosch.
‚Oh je, der Kerl fährt ja total auf Körpersprache ab‘, fuhr es mir durch den Kopf. Mal schauen, ob er meine verklausulierte Entschuldigung wenigstens verstand.
„Kommt mir so vor, als wenn ich mich vor dir immer zum Arsch machen würde“, murmelte ich, musste aber aufpassen, dass meine Zähne nicht zu arg aufeinander stießen – mir war saukalt. Er schaute mich überrascht an und sein Gesichtsausdruck spiegelte Zweifel wieder.
‚Verdammt was für eine schwere Geburt, aber den nächsten Satz war ich ihm einfach schuldig!‘
„Darian, es tut mir Leid“, flüsterte ich und konnte ihm dabei nicht in die Augen schauen. Mir war dies wichtig, aber ich hatte auch einen gewissen Respekt vor seiner Reaktion. Aber ich bekam keine, jetzt zitterte ich nicht unbedingt wegen der Kälte mehr, nein so langsam kroch in mir etwas anderes hoch.
„Wie bitte?“
Das war ALLES? Also war er doch so ein arrogantes Arschloch. Okay, ich hatte einen Versuch gestartet – man, ich hatte mich sogar entschuldigt!
„Dann eben nicht“, knurrte ich ihn an und wollte endlich irgendwie ins Warme kommen.
„Moment.“
Etwas in seiner Stimme ließ mich meinen Blick heben und ihn aufmerksam betrachten. Oh, Wollmütze wurde nervös – warum das denn?
„Vergeben und vergessen“, gab er von sich und verhaspelte sich fast. Da musste ich dann doch grienen, irgendwas brachte ihn fürchterlich durcheinander. Dann schleifte er mich zu den Duschräumen und ich hörte nur warmes Wasser und war happy. Auf dem Weg dahin grübelte ich über seine Reaktion. Mir kam so ein komischer Gedanke – war der Typ wegen mir nervös?
In der Umkleidekabine vor den Duschen kramte er in einem Spind herum und hielt mir dann sein Duschgel unter die Nase. Meine Widerstände wurden schnell zerbröselt und er schob mir noch ein Handtuch und Badelatschen zu. Dabei kam mir ein diabolischer Gedanke. Wenn Darian auf mich stand, musste ich mal schauen, wie weit er ging.
Extrem langsam zog ich mir mein Shirt aus. Mir war zwar saukalt, aber das musste ich einfach ausprobieren. Sein Blick wanderte über meinen Oberkörper und sog jede Einzelheit auf. Okay weiter, mein Kleiner. Lässig löste ich meinen Gürtel und die nasse Hose rutschte von ganz alleine runter. Da, erwischt, Darian errötete leicht und er wusste gar nicht, wo er zuerst hinschauen sollte. Seine Augen nahmen wieder diesen verträumten Ausdruck an und er stand wie erstarrt. Hm, nun war ich in der Zwickmühle. So ganz nackt wollte ich mich nun doch nicht vor ihm zeigen, ein bisschen anheizen ja, aber mein bestes Stück war für ihn tabu – nur er ging nicht.
MIST!
‚Da habe ich mir ja jetzt was Schönes eingebrockt‘, grummelte ich mit mir. Also dann auch bis zum bitteren Ende, zur Not konnte ich mich ja immer noch elegant wegdrehen. Langsam schob ich meine Finger in den Bund der Shorts und auf einmal schrak er hoch. Jetzt sah er aus, wie jemand, den man auf frischer Tat ertappt hatte, sein Gesicht war gerötet und dann drehte er sich abrupt um. Er nuschelte noch etwas und weg war er.
‚Puh, gerade noch mal so gutgegangen‘, murmelte ich erleichtert. Unter der Dusche musste ich dann feststellen, das mich die Szene erregt hatte und gar nicht mal so knapp.
‚Herr Engel, nur mal zur Klarstellung – DU stehst auf FRAUEN!‘ Nach dieser Feststellung war die Erregung zwar nicht verschwunden, aber die Fronten waren wieder mal geklärt.
Ein Punkt waren dann noch seine Klamotten. Okay sie waren echt geil und passten wie angegossen – zudem war es Markenware, die ich noch nie getragen hatte. Als er mir die aber überlassen wollte, wurde ich sauer – sah ich aus wie ein Bettler? Sein Mitleid brauchte ich nicht! Dieser Jürgen entspannte jedoch die Situation.
Man mit dem Typen konnte man sich echt gut unterhalten. Okay, gesprochen hat meistens Jürgen und hat so einige Storys gucken lassen, aber wenn Wollmütze mal was sagte, hatte das Hand und Fuß. Unter dem Strich habe ich selten soviel gelacht, wie an diesem Vormittag und hätte fast meinen Job verpasst. Als wir uns dann die Hand gaben, war ich ein bisschen traurig, dass ich gehen musste. Sein Händedruck war angenehm und warm. Was mich aber am meisten überraschte, war, dass er SO ANGENEHM war und ich nicht mehr loslassen wollte. Diese Berührung hatte irgendwas besonders.
Und genau über das alles rotierten nun meine Gedanken seit Sonntag. Vorhin hatte ich ihm seine Sachen gewaschen zurückgegeben. Er hat zwar ein bisschen erstaunt geschaut, aber nichts dazu gesagt.
Der Nachmittag verging wie im Fluge. Heute bildete Darian sogar ab und an ein Team mit mir und das machte mir richtig Spaß. Wollmütze turnte gerade vor mir herum und da traf es mich wie aus heiteren Himmel. Ich erkannte endlich, warum ich Darian so faszinierend fand. Der Gedanke war so heftig und der Ort dafür so ungeschickt, dass ich fast einen Abflug machte. Er merkte das rechtzeitig und gab mir Halt, dabei umschlang er meine Hüften und zog mich an sich. Als ich wieder sicher stand, ließ er mich schnell, fast zu schnell wieder los und wandte sich leicht errötend ab. Ich sah es zwar, nur registrierte ich es nicht. Dafür spukte mir nur der eine Gedanke im Hirn herum.
Ich brauchte ihm nichts beweisen!
Ich musste nicht zwanghaft versuchen, besser als er zu sein, denn dazu war ich nicht mal annähernd in der Lage. Ich akzeptierte einfach, dass er hier beim Klettern klar der Bessere war und konnte mich so geben wie ich wirklich war – kein Macho, einfach nur ich! Seine ganze Art und Weise war freundlich, nicht überheblich und ich ließ mir helfen, sogar gerne helfen, was sonst nicht in die Tüte kam. Dieser Typ gab mir eine Sicherheit und ich genoss mal die Freiheit, mich fallen zu lassen.
In der Pause laberte mich der Leader unserer Südfraktion an.
„Na, du lässt Dich wohl gerne von der Schwuchtel begrabbeln?“, zischte er mir zu, dabei zierte ein süffisantes Grinsen seine Fresse. Ich war noch zu sehr in meinen Gedanken, als dass ich sofort passend reagieren konnte.
„Hm.“
„Dann pass mal auf, dass dir beim Duschen nicht die Seife herunterfällt“, grinste er mich höhnisch an. Seine Kumpels fanden das wohl zum Schreien komisch und leise hatte er auch nicht gerade gesprochen. So langsam drang jedenfalls der Sinn seiner Worte zu mir durch. Ich beugte mich zu ihm und schnüffelte leicht.
„Na ja, wenigstens duscht er“, antwortete ich ihm mit einem angeekelten Gesichtsausdruck. Schlagartig verstummte das Lachen, nur der Rothaarige hatte arge Mühe, sich das Grinsen zu verkneifen und die Augen des Stänkerers funkelten.
„Pass auf, dass ich deinen neuen FREUND nicht mal alleine erwische“, flüsterte er mir wütend zu. Die Aussprache des Wortes „Freund“ ließ keinen Interpretationsspielraum. So langsam fand ich in meine Rolle wieder zurück.
„Würde ich dir nicht raten, denn dann könnte es sein, dass wir beide Freunde werden“, lächelte ich ihn eisig an und auch mein Satz ließ keine Auslegungsmöglichkeiten zu.
Dieses ganze Zwischenspiel hatte aber einen Nebeneffekt – ich stellte mir eine neue Frage.
‚Wollte ich Darian als Freund haben?‘ Ich hatte sonst keine Freunde, war eh immer der Einzelgänger, aber der Typ interessierte mich. Seine Anwesenheit störte mich nicht und vor allem nervte er nicht.
‚Aber der Kerl war schwul! Konnte der mit Männern eigentlich normale Freundschaften pflegen?‘
Diese Frage stellte ich mir auch und fand leider keine Antwort. Okay, Darian war nicht aufdringlich – nur manchmal hatte er diesen komischen Blick drauf. Ansonsten war er ein angenehmer Gesprächspartner, obwohl ein wenig maulfaul und er hatte was auf dem Kasten. Ich kümmerte mich nicht mehr so um die Deppen aus meiner Gruppe, nein ich hatte angefangen, ihn zu beobachten.
In den nächsten beiden Sitzungen ging es mir nicht besser. Ich genoss einfach seine Gegenwart und war enttäuscht, wenn die Nachmittage vorbei waren. Bei dem letzten Meeting traf es mich Mitte der Veranstaltung wie mit dem Vorschlaghammer.
‚Heute war es vorbei!‘ So sehr ich mir nach dem ersten Mal gewünscht hatte, dass der Scheiß endlich vorbei sei – so sehr wollte ich heute gar nicht mehr aufhören. Irgendwie schien auch Darian etwas neben der Kappe zu stehen und ich erwischte ihn ab und an mal, wie er mir einen traurigen Blick zuwarf. Der Rotschopf machte noch einen weiteren Termin zum Klettern klar, denn er hatte echt Gefallen dran gefunden. Die Südländer hatten sich schnell verpisst, nicht, ohne von sich zu geben, wie abartig das Ganze gewesen sei – tja und dann…
Standen wir beide alleine in der Halle.
„Machs gut, Jonas“, hörte ich ihn. Seine Stimme war definitiv traurig.
„Hm.“
„Vielleicht sieht man sich ja mal“, stotterte er weiter und wurde zusehends nervöser. Ich bekam das alles gar nicht so mit, denn meine Gedanken rasten und suchten irgendeinen Ausweg. Ob schwul oder nicht, der Typ war cool und ich wusste nicht, wie ich über meinen Schatten springen sollte. Ich wusste doch gar nicht, wie man mit Freunden umgehen sollte.
„Haste Bock, dass wir mal was zusammen machen?“
‚Hatte ich das jetzt gesagt?‘ Nach dem verdatterten Gesichtsausdruck, den Darian mir gerade offenbarte, wohl ja und zudem errötete er auch noch leicht.
‚Was hatte ich noch mal gesagt?‘
‚Zusammen machen?‘ Oh je, wurde ich jetzt etwa rot?
„Ähm, abends mal weggehen oder auch mal hier wieder Klettern oder so“, stotterte ich ihn an. Jetzt grinste er mich doch wirklich anzüglich an.
„War doch klar, oder dachtest du an was anderes?“ Seine Augen blitzten spöttisch.
„Also was nun?“, grummelte ich genervt. Diese ganze Aktion hatte mich schon Überwindung genug gekostet. Sein Lächeln verschwand und er musterte mich ernst. Irgendetwas kämpfte in ihm.
„Okay.“
Schweigend sahen wir uns an. Man den nächsten Schritt würde ich nicht gehen, sollte er mal was vorschlagen.
„Komm doch am Samstagnachmittag her zum Klettern“, hörte ich ihn dann sagen.
„Geht nicht.“
„Hm, oder am Sonntagmittag, da ist hier immer nicht soviel los, erst zum späten Nachmittag hin.“
„Geht nicht.“
„Gut, wie wäre es morgen Abend. Wollen wir ins Kino?“
„Kann nicht.“
Schweigen.
„Jonas?“
„Ja?“
„Du wolltest etwas mit mir unternehmen!“
„Hm.“
Schweigen.
„Okay, wünsch dir was“, murmelte er mir zu und wollte verschwinden.
„Warte mal“
Zögernd blieb er stehen und sah mich unsicher an. Ich wollte ihn nicht vor dem Kopf stoßen, aber ich hatte angestrengt nachgedacht, wann es passen könnte und somit immer nur auf seine Angebote reagiert.
„Das Problem ist, am Samstag und Sonntag muss ich auf dem Schrottplatz arbeiten und morgen Abend erwarten mich Aufgaben zu Hause“, erklärte ich ihm. Seine Mine hellte sich ein wenig auf.
„Du jobbst auf einem Schrottplatz? Das ganze Wochenende?“, fragte er fast ungläubig.
„Ja“, bekam er wieder eine einsilbige Antwort. Das Warum und Wieso wollte ich ihm nicht mal annährend auf die Nase binden. Sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich wieder.
„Ich jobbe schon seit zwei Jahren auf dem Schrottplatz Nähe Sonnenallee. Am Wochenende habe ich dafür nun mal die meiste Zeit“, bot ich ihm eine Erklärung an, die nichts sagte, aber seine Frage beantworten sollte.
„Aha.“ Auf jeden Fall schien er enttäuscht zu sein, dass seine Vorschläge alle ins Leere liefen.
„Pass mal auf Devil. Ich schau mal, was ich morgen zu Hause auf die Reihe bekomme und melde mich dann bei dir. Ich möchte nichts versprechen, aber wenn ich das ein wenig organisiere, sollte ich den Abend freischaufeln können!“ Okay, das Lächeln stand ihm wirklich besser.
„Und ich würde dann gerne in irgendeine Disse gehen“, schlug ich ihm vor und als ich erkannte, dass ein schelmischer Ausdruck in seinen Augen aufkeimte, schob ich noch hinterher „keine Schwulendisco bitte“. Jetzt grinste er mich ertappt an.
„Das überlasse ich dir“, hörte ich ihn gönnerhaft.
„Okay, ich meld mich dann morgen“, nuschelte ich, gab ihm noch einen Abschiedknuff und weg war ich.
‚Man, war das ne schwere Geburt gewesen. Aber war es auch richtig?‘ Ich hatte ja immer noch die Chance, für morgen abzusagen, aber in Wirklichkeit hatte ich schon alles durchgeplant und dem gemeinsamen Abend sollte nichts im Wege stehen.
Zu Hause versuchte ich allen Eventualitäten vorzubeugen. Das sah in etwa so aus, dass ich eine Pulle Alk in den Kühlschrank stellte und eine halbvolle in einen Küchenschrank. Damit sollte die Alte sich am Nachmittag zugeschüttet haben und mich in Ruhe lassen. Der Freitag verging wie im Fluge und ich stand jetzt vor der Entscheidung, ihn anzurufen oder nicht. Noch konnte ich einen Rückzieher machen, aber irgendwie zog ich das gar nicht in Betracht. Wir verabredeten uns auf dem Potsdamer Platz und wollten dann mal schauen, wo uns der Zufall hintrieb.
Seufzend sah ich in meine Brieftasche und war mir bewusst, dass ich sehr sorgfältig mit meinen paar Kröten umgehen musste, wenn der Abend nicht schon um 20 Uhr zu Ende sein sollte. Man, zur Vorbereitung auf das Treffen verbrachte ich sogar länger als üblich im Bad – die Klamottenwahl war dafür einfach, so viele hatte ich nicht. Zu meiner einzigen vernünftigen Jeans, mit der ich mich auch mal so unter die Leute trauen konnte, wählte ich einen ziemlich engen Pullover, mehr als körperbetont. Okay, ich hatte auch gewisse Hintergedanken bei meiner Wahl, mir gefiel es zunehmend, wenn Darian nervös wurde.
Gegen 18 Uhr fanden wir uns dann auch auf dem überfüllten Platz. Na ja, das war nicht ganz richtig. Ich sah ihn schon eine Weile vorher und war sehr überrascht über seinen Anblick, nein vielmehr über meinen spontanen Gedanken.
‚Der Typ sah gut aus, fast schon geil!‘ Als mir die Tragweite dieser Überlegung bewusst wurde, schrak ich zusammen. Nur entsetzte oder ekelte mich dieser Gedanke überhaupt nicht, nein ich beobachtete ihn interessiert weiter. Seine kurzen schwarzen Haare standen wirr von seinem Kopf ab. Aus seinem schmalen Gesicht strahlten seine hübschen Augen erwartungsvoll und etwas nervös. Diese Anspannung war auch daran zu erkennen, dass er nicht so recht wusste, was er mit seinen Händen machen sollte. Je länger ich ihm zuschaute, desto mehr übertrag sich von seiner Nervosität auf mich. Um uns beide zu erlösen, trat ich dann von hinten auf ihn zu.
„Hey Devil“, sprach ich ihn an. Er zuckte zusammen und drehte sich blitzschnell um.
„Hallo Mister Engel“, grinste er mich spitzbübisch an und seine Augen strahlten regelrecht. Dann schlich sich wieder der verträumte Blick in sein Gesicht als er diesen über mich wandern ließ.
„Na, woran denkst du gerade“, neckte ich ihn. Ich bekam keine Antwort, doch seine Hautfarbe im Gesicht wurde leicht rötlich. Schnell hatte er sich wieder gefangen und lotste mich zu einem kleinen Café um die Ecke. Und da taute er dann so richtig auf. Bisher war Darian ja etwas einsilbig herübergekommen, aber hier plapperte er nur so drauf los. Manchmal war mir so, als wollte er erst gar kein Schweigen aufkommen lassen, das eventuell unangenehm hätte werden können. Mir war seine Anwesenheit jedoch keineswegs unangenehm, ich genoss die Stunden. Ich führte hier einfach das fort, was mir bei den Klettersessions schon aufgefallen war – ich war nur ich selbst, kein Verstellen, kein sich beweisen müssen. Außerdem quetschte mich der liebe Darian aus, der hatte vielleicht Verhörmethoden drauf – bestimmt von seinem Alten gelernt. Ich erzählte ihm von meinen Jobs, dem auf dem Schrottplatz und noch beim Aldi um die Ecke. Sie waren nicht berauschend, aber brachten Geld ein. Von ihm erfuhr ich, dass er neben der Kletterei auch noch beim Judo aktiv war. Das erinnerte mich dann doch lebhaft an unsere erste Begegnung und wir mussten beide tierisch lachen.
Das schien eh eine seiner Grundeigenschaften zu sein - er war echt witzig. Wie der manchmal die Leute verarschte, die wir trafen, einfach genial. Okay, zu zweit machte das noch viel mehr Fun. Gegen 20 Uhr landeten wir dann in einer kleinen Kneipe, sehr gemütlich und mit angenehmen Preisen. Nach einer Weile machte mich nur eins stutzig.
„Devil?“, unterbrach ich seinen Redeschwall und sah ihn durchdringend an. Ertappt hielt er inne und schaute mich nervös an.
„Ich geh mal auf Klo“, murmelte er und wollte sich verdrücken.
„Moment!“
„Ähm…, ich …, muss wirklich, … dringend“, stotterte er.
„Kann das sein, dass du mich ganz schön an der Nase herumgeführt hast?“, grummlte ich ihn an. Ich versuchte ein ernsthaftes Gesicht zu machen, aber so richtig gelingen wollte mir das nicht. Mir war nämlich etwas aufgefallen.
In dieser Kneipe gab es nur KERLE und einige musterten ihn und mich. Und dies ziemlich eindeutig! Darian wand sich unter meinem Blick und war mehr als unruhig. Da konnte ich nicht mehr an mich halten.
„Haha, du hast mich, hihi… in einen, huhu… Schwulenclub, hoho… geschleppt“, japste ich und die Luft wurde mir verdammt knapp. Dieser kleine hinterhältige Mistkerl hatte mich kräftig über das Ohr gehauen und grinste mich jetzt über beide Backen an. Dieser Anblick reichte mir, um eine neue Lachsalve von mir zu geben. Nur schwer konnte ich mich beruhigen.
„Wir hatten eigentlich eine Abmachung“, kiekste ich nach einer Weile vor mich hin.
„Jo, in keine Schwulendisco!“, kicherte er zurück.
„Man Typ, das war doch nicht… wortwörtlich… gemeint“, stotterte ich, denn ich litt noch immer unter Atemnot.
„Nicht?“
„Nee.“
„Na, dann lass uns in eine gehen“, lächelte er mich anzüglich an. Ich schüttelte nur den Kopf.
„Schade.“
‚Ups, das war das erste mal, dass er ganz offen mit mir geflirtet hatte. Das merkte ich sogar als potentieller Nichtschwuler!‘, durchfuhr es mich. Ein wenig nachdenklich sah ich ihn an, was ihm sofort auffiel. Sein Lächeln verschwand und er druckste herum.
„Jonas, bist du sauer auf mich? Wenn du willst, können wir wieder gehen!“
„Nee, lass mal. Ist schon okay“, gab ich ihm als Antwort und musste spontan noch was nachschieben, „aber nur, wenn mich hier keiner anmacht und mich ins Bett schleppen will“.
„Da pass ich schon auf.“
Ups, die Antwort kam eigentlich ein bisschen zu schnell und er merkte, dass ich das sehr wohl mitbekommen hatte. Seine Gesichtsfarbe wurde wieder mehr als gesund und er verschwand zügig auf die Toiletten. Das gab mir ein bisschen Zeit, die Umgebung genauer zu scannen. Meistens saßen da stinknormale Typen, nichts ausgeflipptes. Dann kam er wieder, wir sahen uns kurz in die Augen und machten einfach weiter. Ich war ihm überhaupt nicht böse, vielmehr genoss ich immer mehr seine Gegenwart und was machte dieser Kerl. Er flirtete nun ziemlich offensichtlich mit mir. Gerade wollte ich ihn noch einmal dezent darauf hinweisen, dass ich nicht auf Männer stand, da erscholl auf einmal eine Stimme von der Theke.
„Ach, Devil, mein Schatz, dass du hier bist?“ Der Angesprochene zuckte kurz zusammen und saß auf einmal stocksteif da. Ihm war das unangenehm, das konnte ich sofort erkennen. Langsam drehte ich mich zu dem Typen um. Dieser war etwas älter als wir, blondes halblanges Haar, braune Augen, schlanke drahtige Figur, aber eher ein Durchschnittstyp. Dann beugte er sich zu Darian und drückte dem einen Kuss auf die Lippen. Sofort war ich angepisst. Ohne uns zu fragen, setzte er sich einfach neben ihn und umarmte ihn wie selbstverständlich. Okay, Darian schaute ziemlich unglücklich aus der Wäsche, aber er brauchte dem Kerl doch nur seine Grenzen aufzuzeigen. Jedoch nichts dergleichen geschah.
„Jonas, das ist Patrick. Patrick, das ist Jonas“, stellte er uns zögernd vor.
„Aaaahh, dein neeeuuuer Freeeuuuund?“, säuselte Patrick und schmachtete Darian an. Diese Aussage mit eindeutiger Betonung war der Auslöser, um in meine Rolle zurückzuschlüpfen und ich tat dies mehr als gerne.
„Ich bin keine Schwuchtel“, zischte ich ihn genervt an. Irritiert sah er mich an und aus Darians unglücklichem Gesichtsausdruck wurde ein nervöser.
„Jonas“, bat er mich leise. Nee, mein Lieber, wenn du nicht für klare Fronten sorgst, tu ich es und setzte dem Ganzen noch die Krone auf.
„Und du, du bist sein Stecher, oder?“, knurrte ich sauer. Wenn ich gedacht hatte, das verletzte den Typen, dann war ich auf dem Holzweg. Sein Gesicht nahm einen fast verklärten Zustand an.
„Wenn er mich mal wieder ranlässt, sehr gerne“, hauchte er. In mir kam das plötzliche Gefühl hoch, dem Typen eins in die Fresse zu geben. Mein Spruch hatte jedoch Darian aufgeweckt und seine Miene wurde eisig. Er sah mich fast feindselig an und wandte sich Patrick zu. Je mehr die miteinander herumturtelten, desto angepisster wurde ich und ließ immer mehr den alten Jonas raushängen. Mein Problem war nur, dem Typen schien mein Machogehabe am Arsch vorbei zu gehen und Darian ignorierte mich immer mehr.
So ein FUCK-Abend! Die ganze Situation überforderte mich. Ich wollte mit Darian zusammensein, aber ohne diesen Typen da. Aus lauter Frust geschah etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte.
Ich bestellte mir ein Bier. Ich trank NIE Alkohol, niemals. Das Warum konnte sich ja bestimmt jeder denken. Es schmeckte zudem noch abartig und die Wirkung trat schon nach dem zweiten Bier ein, ich war angeheitert. Die beiden machten nun ganz offen miteinander herum und wie Darian gerade seine Zunge in das beschissene Maul von dieser Weichwurst schob, das machte mich …
…eifersüchtig? Wie er seine Hand unter dessen Shirt schob, es ekelte mich nicht an, nein ich fand, er machte es bei der falschen Person. Schnell trank ich noch ein Bier, um die blöden Gedanken wegzuspülen, aber die Folge war…
… ich wurde noch ein wenig geiler.
„Passt auf, ihr beiden Pissnelken, ich verschwinde jetzt. Das kann ja keiner mit anschauen“, eröffnete ich ihnen. Zögernd löste sich Patrick von Darians Lippen.
„Ja ja, machs gut“, murmelte er und wollte sich gerade wieder festbeißen.
„Und dir wünsche ich einen geilen Fick“, knurrte ich Wollmütze zu. Darian schuppste Patrick von sich herunter, sprang auf und sah mich mit blitzenden Augen an. Dann griff er meine Hand und zischte mich an
„Komm mit, du blöder Arsch!“
Darian
Heute war Freitag und ich war sehr euphorisch. Ich saß hier am Potsdamer Platz und wartete auf Jonas. Dabei hätte ich mir vor 24 Stunden nie vorstellen können, dass genau das hier geschehen würde. Ich dachte zurück…
Der gestrige Donnerstag fing so scheiße an, denn es war mit aller Voraussicht der letzte Tag, an dem ich Jonas sah. So sehr ich mich auch auf die zwei Stunden am Nachmittag freute, umso klarer wurde mir, das es auch die letzten sein könnten. Dieser großkotzige Macho hatte sich seit dem ominösen Sonntag total gewandelt. Er war ein anderer Mensch geworden. Zu seinem verdammt süßen Aussehen war nun auch noch ein wahnsinnig interessanter Charakter gekommen. Und wenn Jonas lachte, schmolz ich fast immer dahin. Okay die Verwandlung war nicht am Sonntag alleine geschehen eher taute er Tag für Tag mehr auf. Eins war mir aber schnell klar geworden. Aus irgendeinem Grund ließ er sich nicht so gerne anfassen, dabei würde ich am liebsten meine Finger gar nicht mehr von ihm lassen. Bei dem Treffen am Dienstag nach dem Sonntag wäre er mir aber fast abgestürzt. Mir war so, als traf ihn irgendein Gedankenblitz, als er hinter mir herkletterte und er zuckte tierisch zusammen. Mir blieb gar nix anderes übrig und ich fasste ihm um die Hüften. Ich zog ihn sanft zu mir heran, damit er wieder ins Gleichgewicht kam und für einen klitzekleinen Moment berührten sich unsere Körper. Das war der pure Wahnsinn, jede Berührung von ihm haute mich jedes Mal auf´s Neue um. Als er einigermaßen wieder Halt gefunden hatte, ließ ich ihn sofort los, denn es reichte, wenn er mein Erröten mitbekam, meine anderen körperlichen Reaktionen brauchte er nicht unbedingt spüren.
Tja und dann kletterte ich schon wieder mit ihm rum. Am gestrigen Nachmittag war mir alles egal gewesen und ich hatte gleich von Anfang an ein Team mit ihm gebildet. Irgendwie konnte ich mich jedoch nicht so richtig konzentrieren und war ziemlich neben meiner Kappe. Ich hatte nur Augen für Jonas. Dieser schien in sich gekehrt, als ob er angestrengt über etwas nachdenken musste. Und dann war es vorbei – einfach so. Wir standen uns in der Halle zum wahrscheinlich letzten Male gegenüber.
Wortlos. Ich wollte nicht den ersten und somit den letzten Schritt tun.
„Machs gut, Jonas“, übernahm mein Mund die Entscheidung.
„Hm.“ Sehr gesprächig schien er ja nicht zu sein. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und stieß hervor.
„Vielleicht sieht man sich ja mal“.
Oh man, hoffentlich sagte der Typ endlich mal was, ich ging hier voll am Stock. Völlig unvorbereitet trafen mich dann seine Worte.
„Haste Bock, dass wir mal was zusammen machen?“, fragte er etwas heiser.
Oh je, meine Gedanken schweiften sofort ab und ich wusste sogar ziemlich genau, WAS wir zusammen machen könnten! Mist, jetzt wurde ich auch noch rot, was er natürlich bemerkte.
„Ähm, abends mal weggehen oder auch mal hier wieder Klettern oder so“, stotterte er nervös los. Ah das Thema schien ihm nicht so zu behagen und ich musste ihn einfach anzüglich angrienen.
„War doch klar, oder dachtest du an was anderes?“, griente ich ihn an.
‚Oh je, Teufel was laberst du denn nur für einen Scheiß‘, durchfuhr es mich siedendheiß.
Na ja und das Resultat unseres komischen Gespräches gestern war – ich saß hier rum und wartete auf Jonas. So langsam könnte er aber auftauchen oder versetzte er mich doch? Ich hatte heute Ewigkeiten im Bad gebraucht bis alles so einigermaßen aussah. Wir hatten uns gegen 18 Uhr verabredet und nun war es schon 18.02 Uhr, da durfte man doch wohl ein bisschen nervös werden.
Ich war aufgeregter als bei meinem ersten Mal, gestand ich mir ein. Meine Hände machten auch, was sie wollten und die Uhr zeigte nun schon 18:07 Uhr.
‚Bitte lass ihn erscheinen‘, betete ich. Nur warum hatte ich so ein Interesse an dem Typen. Ich hatte ihn in den letzten Meetings beobachtet und da war nicht der klitzekleinste Hinweis darauf, dass er eventuell doch ein klein wenig auf Männer stand.
„Hey Devil“, hörte ich es leise hinter mir und schrak fürchterlich zusammen. Das war seine Stimme und ich drehte mich hastig um.
„Hallo Mister Engel“, entfuhr es mir und ich war baff. Da stand im wahrsten Sinne ein Traum. Dieser schwarze Pulli war mehr als eng und zeigte seinen fantastischen Oberkörper – da hätte er auch gleich nackt herumrennen können. Meine Gedanken schweiften in alle möglichen und unmöglichen Richtungen ab.
„Na, woran denkst du gerade“, erschall es wie durch einen Nebel zu mir herüber, mit einem leicht spöttischen Unterton.
‚Der Kerl wusste ganz genau, wie er auf mich wirkte‘, durchfuhr es mich. Was aber nicht verhinderte, dass ich rot anlief. Bloß schnell die Initiative übernehmen! Ich bugsierte ihn in ein kleines Kaffee und wir machten es uns bei einer Schokolade und einem Glass Wasser gemütlich. Als ich mir etwas später ein Eis bestellte und er bei seinem immer noch ersten Wasser blieb, wusste ich, wie der Hase lief. Zuerst musste ich ihn aber noch ein wenig ausquetschen und wandte mal ein paar Methoden von meinem Paps an. Ab und an schmunzelte er wissend, als wenn er mich durchschaut hatte, aber er gab bereitwillig Auskunft. Und jedes noch so kleines Detail interessierte mich. Er war aber auch nicht besser und wollte ebenfalls sehr viel wissen.
Einen Plan für heute Abend hatte ich mir schon zu Recht gelegt. Er hatte ja nur verlauten lassen, er wolle in keine Schwulendisco. Darauf hatte ich eh kein Bock, ich wollte mich einfach mit ihm unterhalten und das ging nun mal in einer Disse mehr schlecht als recht. Somit würde ich ihn in eine kleine schnuckelige Kneipe führen, die, na ja ein wenig schwul war. Kaum saßen wir an Ort und Stelle, fand ich meine Idee nicht mehr so prickelnd – denn ein paar Typen starrten Jonas ziemlich eindeutig an. Er war aber auch ein Hammertyp und ich bestimmt nicht der Einzige, der auf so was stand. Okay also die Flucht nach vorne und Quatschen was das Zeug hält, vielleicht konnte ich ihn ja damit ablenken.
„Devil?“, hörte ich ihn ernst fragen und der Blick, oh je.
„Ich geh mal auf Klo“, flüsterte ich. Ganz schnell weg hier, er hatte was bemerkt.
„Moment!“
„Ähm…, ich …, muss wirklich, … dringend“, stotterte ich und meine Blase machte sich wirklich langsam bemerkbar. Dann faselte er irgendetwas von „an der Nase herumgeführt und so“ und schaute mich sehr ernst an, nur passten seine zuckenden Mundwinkel nicht dazu.
Und dann fing er an zu lachen, aber so doll, dass ich seine Worte nur mit Mühe verstehen konnte. Als er den Satz endlich raus hatte und mich ansah, musste ich über beide Backen grienen, der Scherz war mir wirklich sehr gut gelungen. Dann verschwand ich doch langsam auf´s Klo, denn sonst würde ich mir bei dem nächsten Lachanfall in die Hose schiffen. Na ja, der letzte Satz mit dem Aufpassen, der war dann wohl doch ein bisschen zu eindeutig, aber wenn er nicht mit mir in die Kiste hüpfen würde, dann bestimmt auch nicht mit einer der anderen Trannasen hier.
‚Oh je, Herr Teufel, Sie sind ja strunzgeil auf den Typen‘, hörte ich eine, meine?, innere Stimme.
„Das kannst du wohl laut sagen“, antwortete ich laut darauf. Der war einfach heiß, aber für eine schnelle Nummer mir viel zu schade – zumal da immer noch seine heterosexuelle Orientierung im Raum stand. Der hatte doch gar keine Ahnung, wie verheerend er auf mich wirkte. Vielleicht sollte ich ein wenig mit ihm flirten. Als ich zum Tisch zurückkehrte und in seine Augen sah, hätte ich am liebsten …
Ich ließ ein paar Hemmungen fallen und machte ihn an. Manchmal schaute er erstaunt, aber es schien ihn nicht anzuekeln oder zuwider zu sein. Gerade als ich mal wieder in den schönen Augen versank, begann die Katastrophe.
„Ach, Devil, mein Schatz, dass du hier bist?“ Die Stimme traf mich ins Mark. Nein bitte nicht der Typ. Ein kleines besitzergreifendes Arschloch, der aber sehr gut mit seinem besten Teil umgehen konnte. Nur konnte ich den hier nun gar nicht gebrauchen.
‚Selbst Schuld, mein Lieber, wieso schleppst Du Jonas auch hierher‘, wies ich mich selbst zurecht. Patrick kam auf mich zu und wollte mir gleich seine Zunge in den Hals stoßen. Ich ließ meine Lippen aber zu. Dann setzte er sich ganz dicht neben mich hin und legte wie selbstverständlich seinen Arm um meine Schultern. Die andere Hand wanderte, unbemerkt von Jonas unter dem Tisch über meine Schenkel zu meinem besten Stück. Der war schon seit Stunden auf Halbacht, da Jonas nun mal diese Wirkung auf mich hatte. Dieser schaute ziemlich sauer aus der Wäsche und sein Blick wandelte sich. Nach der üblichen Vorstellung flötete dieser Arsch neben mir doch wirklich.
„Aaaahh, dein neeeuuuer Freeeuuuund?“ Dabei warf er mir noch einen Dackelblick zu. Ich hatte nur Augen für meinen Engel und bei dem machte es Klick. Ich konnte es regelrecht hören und sehen, er setzte seine Machomaske wieder auf und mutierte…
„Ich bin keine Schwuchtel“, zischte er Patrick an und die Mutation zum Arschloch war abgeschlossen. Der Abend war verloren und der Kerl da drüben wohl auch. Traurig sah ich ihn an.
„Jonas“, flehte ich fast.
„Und du, du bist sein Stecher, oder?“
Der Satz war so was von daneben, das glaubt man ja gar nicht. Eigentlich hätte ich stocksauer sein müssen, aber ich habe aus diesem Satz etwas rausgehört, beziehungsweise der Ton hat mich stutzig gemacht. Als dann dieser „Stecher“ neben mir ins Träumen geriet und das auch noch kundtat, konnte ich es in Jonas Augen aufblitzen sehen.
Hatte ich da wirklich Eifersucht gesehen? Okay ich hätte Patrick in die Wüste schicken können, aber wir hatten doch heute schon ganz andere Leute verarscht, warum auf einmal diese Reaktion. In mir überschlug sich alles – nichts passte und doch fügte sich alles zusammen. Aber auf sein Machogehabe hatte ich mein probates Mittel – Ignoranz. Und an Patrick perlte so was ab, der wollte eh nur das EINE heute haben.
Hm, hatte er nicht vorhin erzählt, er trinkt keinen Alk – also das Bier vor seiner Nase sprach was anderes. Ab und an erwischte ich einen undefinierbaren Blick von ihm – er beobachtete alles sehr genau. Okay, mal gucken, wie weit er sich das anschaut. Offen machte ich jetzt mit Patrick rum und dazu war nicht viel Verstellung nötig, denn
1. Patrick wusste, wie man jemanden geil macht,
2. die zwei Longdrinks, die Patrick geholt hatte, ließen ein paar Hemmungen vergessen,
3. der Nachmittag mit Jonas hatte mich eh schon aufgeputscht und zu guter Letzt,
4. mich machte es tierisch an, dass Jonas den Macho raushängen ließ, anderseits aber sehr interessiert wirkte.
Huch, jetzt sprach er uns an. Dabei war er aufgestanden und lallte leicht. Sollten die drei Bier bei ihm wirklich schon gereicht haben. In seinen Augen stand die Unsicherheit, aber er wollte definitiv gehen. Hatte ich die letzten Aktionen überzogen – muss ich wohl, denn ich hörte ihn mich anknurren
„Und dir wünsche ich einen geilen Fick.“
Eigentlich hörte ich nur das Wort „Fick“ und sah diesen megageilen Typen eifersüchtig vor mir herumstehen. Da machte es Klick und bei mir sprang eine Sicherung raus. Ich griff mir seine Hand und zischte ihn an
„Komm mit du blöder Arsch“. Dann zerrte ich ihn hinter mir her und nahm zielstrebig den Weg zu den Toiletten.
‚Du willst Sex – du sollst ihn haben‘, murmelte ich vor mich hin. Vor der letzten Kabine in der Ecke machte ich halt, stieß die Tür auf und schubste ihn rein. In seinem Gesicht stand nur Unglauben. Dann schloss ich die Tür und trat ganz dicht an ihn ran. Sein Duft betörte mich und machte die ganze Situation noch geiler. Ich nahm seine Hand und legte sie auf meine mittlerweile steinharte Ausbuchtung und keuchte auf.
„Du willst es, also sollst du es haben“, stöhnte ich auf. Mit der einen Hand zog ich seinen Kopf zu mir und presste meine Lippen auf seine. Die Berührung brachte mich fast um, nur die Lippen öffnete er nicht. Mit der Anderen griff ich jetzt an sein bestes Stück und das war HART. Der Typ war geil. Ungelenk knetete er nun meine Beule.
Irgendwas wollte mich aufhalten, irgendjemand schrie im Geiste auf mich ein – genau das hier jetzt nicht zu machen!
Aber ich wollte Sex, jetzt und hier und vor allem mit IHM!
Schnell nestelte ich an seinem Gürtel und ließ die Hose runtergleiten. Durch die Shorts ließ sich sein Stück viel besser massieren und da wartete wirklich was auf mich. Mit der linken Hand fuhr ich unter seinen Pulli und streichelte diese fantastische Brust. Die hatte es mir einfach angetan und zu meiner Verwunderung wurden seine Brustwarzen hart wie Radiergummis. Das schien ihn richtig anzumachen, seine Finger waren in meine Hose gewandert und massierten mittlerweile ziemlich zart meinen Schwanz.
‚Jetzt würde ich dir mal zeigen, was dir bisher entgangen war‘, grinste ich mir diabolisch zu und ließ mich an seinem Körper abwärts gleiten. Dabei zog ich ihm die Short von den Hüften und mir schnellte ein fettes hartes Teil entgegen.
WOW, das war ein Gerät. Ein bisschen Realität hatte ich mir jedoch bewahrt und nestelte fahrig ein Kondom aus meiner Gesäßtasche. Das Abrollen bereitete mir ein wenig Probleme, aber dann saß es und ich leckte über seine Eichel. Ich bekam ihn nicht ganz in meinem Mund unter, aber es war einfach nur geil. Meine Augen sahen sein Gesicht vor Geilheit verzerrt und er krallte seine Finger in meine Haare.
„Du geile Sau willst also meinen Schwanz?“, keuchte er nach einer Weile und zog ihn mir aus meinen Mund.
„Dann sollst du ihn richtig haben.“ Bei diesen Worten zog er mich zu sich hoch und ich sah nur hemmungslose Gier in seinen Augen. Er riss mir regelrecht die Hose von den Hüften und meine Short wanderte gleich mit. Mein bestes Stück stand senkrecht nach oben. Ich wusste nicht, ob mir das jetzt gefiel, was da kommen sollte, aber zum Nachdenken war es eh schon zu spät.
Er drehte mich zum Spülkasten und zwang meinen Oberkörper runter. Dann drückte er meine Beine auseinander und ich sog gespannt die Luft ein. Ich war ja im Bett öfter mal passiv und hatte schon harte Tatsachen kommen und gehen sehen, aber der Kaliber da hinten war mir neu. Verwundert spürte ich, dass Jonas mich erst etwas mit seinen Fingern vorbereitete und meine Backen massierte.
Er schob ihn mir langsam, fast sanft, aber mit stetigem Druck, hinein. Als er ganz drin war, gab er mir etwas Zeit, mich daran zu gewöhnen und dann hörte ich ihn an meinem linken Ohr flüstern. Es war nur geil.
„Du willst gefickt werden? Dann merke dir diesen hier!“
Und ich wurde genommen. So hat es mir noch keiner besorgt, mit harten langen Stößen. Wir beide waren über den Punkt des vernünftigen Denkens lange hinaus – wir waren nur noch Sexmonster. Er atmete kürzer und wurde schneller. Dann kam er in mir und ich spritzte ebenfalls ab, ohne, dass jemand berührt hatte. Keuchend lag er auf meinem Rücken.
„Oh man, war das geil“, murmelte ich erschöpft. Dabei drehte ich mich um und sah in sein Gesicht, in dem ein paar verschwitzte Strähnen seines Haares vor den Augen hingen. Die Geilheit wich aus seinen Augen und machte Entsetzen Platz. Ungläubig schaute er erst auf meinen Schwanz dann auf seinen und wurde wohl schlagartig nüchtern.
„Scheiße“, flüsterte er und zog sich hastig die Hose hoch. Seine Finger zitterten und er schaute mich nicht mehr an. Fluchtartig verließ er die Kabine und ich hörte nur noch die WC-Tür knallen – weg war er.
Seine unruhigen Augen, sein Entsetzen darin hatte mich sofort in die Wirklichkeit zurückgeholt.
„Verdammte Scheiße, was habe ich getan?“, schrie ich auf. Schnell säuberte ich mich ein wenig und hetzte ihm hinterher. An unserem Tisch saß nur Patrick, von Jonas weit und breit nichts zu sehen.
„Dein Freund hatte es aber eilig“, säuselte er mir zu.
„Dann hast du jetzt wenigstens für mich Zeit und wir können…“, ließ er die eindeutige Forderung im Raume stehen. Ich war viel zu sehr in den Gedanken, um darauf einzugehen. Als er mir aber ungeniert in den Schritt fasste, wurde ich munter.
„Lass das!“, zischte ich ihn an. Beim Kellner bezahlte ich meine Drinks und bekam mit, dass Jonas seine Rechnung noch nicht beglichen hatte. Sofort übernahm ich die Kosten und ohne mich von Patrick zu verabschieden, verließ ich die Kneipe.
Den ganzen Weg nach Hause hatte ich den entsetzten fast panischen Gesichtsausdruck von Jonas vor meinen Augen und fühlte mich hundeelend. Ich hatte eine riesige Dummheit gemacht!
Völlig verstört kam ich zu Hause an und verkroch mich sofort auf mein Zimmer. Ich konnte es drehen und wenden wie ich wollte, mein verdammter Schwanz hatte vorhin das Denken übernommen. Okay, ich hatte das bekommen, was ich mir in meinen kühnsten Träumen ausgemalt hatte, aber wieso fühlte ich mich dann so schlecht.
‚Weil du ihn nur benutzt hast. Du hast Jonas verführt, um deine Lust zu befriedigen‘, hörte ich immer wieder diese sehr unangenehme Stimme im Kopf. Das folgende Wochenende war gelaufen. Ich lief wie Falschgeld durch die Gegend und wusste nicht so recht, was ich machen sollte. Am Anfang der Woche redete ich mir dann so intensiv ein, dass Jonas das ja alles selbst mit seinem arschlochigen Verhalten provoziert hatte. Nur klappte das immer nur bis zum nächsten Gewissensbiss. Und das Schlimmste war – er fehlte mir! Gut, so viel Zeit hatten wir ja noch nicht miteinander verbracht, aber am Dienstag und Donnerstag schwelgte ich ein paar Mal in den wenigen schönen Erinnerungen, die ich hier mit ihm im Hochseilgarten gehabt hatte. Am Freitagabend war ich dann so fertig, dass ich mich unbedingt mit etwas ablenken musste.
So saß ich nun gegen 22 Uhr in einer Disse auf einer Eckcouch und in meinem Arm lag einer meiner Verehrer. Man, was fummelte der denn so an mir herum. Bekam er nicht mit, dass ich dazu nun gar keinen Bock hatte?
‚Stop, Herr Teufel, Sie waren doch zur Ablenkung genau hier her gekommen!!‘
Also wandte ich mich meinem Sitzpartner zu und wollte mich gehen lassen. Als der mir ziemlich ungestüm seine Zunge in den Hals rammen wollte, passierte es…
… vor meinen Augen entstand ein Gesicht mit riesigen wunderschönen braunen Augen, zwei Strähnen blondes Haar, welche neckisch über dem einen Auge hingen, eine kleine freche Stupsnase und ein fantastisches offenes Lachen, die zwei kleine Grübchen in den Wangen freilegten.
Jonas
Erschrocken schob ich den Typen beiseite und setzte mich kerzengrade hin. Geahnt hatte ich es ja schon vorher, nein eigentlich eher gefühlt – ich hatte mich hoffungslos in den Kerl verliebt. Sogar so sehr, dass mir das Rummachen mit anderen Kerlen als Verrat ihm gegenüber vorkam. Und mit dieser Erkenntnis fühlte ich auch, wie sehr ich ihn verletzt haben musste und auf welch verlorenem Posten ich stand. Das führte dazu, dass ich mir die Kugel gab. Die Kugel in Form von Barccardi Cola und Wodka Lemon – eine mehr als verhängnisvolle Mischung. Ich trank ja ab und an mal was, aber das artete in Komasaufen feinster Güte aus.
Die restliche Nacht verbrachte ich über unsere Kloschüssel im Bad gebeugt. Kotzen konnte ich schon lange nicht mehr, aber der Würgereiz war ständig präsent. Gegen 6 Uhr fand ich dann wohl doch ein wenig Schlaf und wachte gegen die Mittagszeit total verkatert auf. Alkohol war für die nächsten Jahrzehnte von meiner Konsumierungsliste gestrichen. Dann durchfuhr es mich heiß und kalt.
‚Heute war Samstag!‘
Scheiße!
Mühsam schleppte ich mich ins Bad und nahm erst einmal eine heiße Dusche. Zum Glück brauchte ich nach den Kopfschmerztabletten nicht lange suchen und bekam die Widererwarten auch problemlos hinunter. Mir ging es nicht wirklich gut, aber den Gang zu meinen Eltern würde mir heute niemand ersparen. Meinen Paps hatte ich draußen schon Rasen mähen gesehen und meine Mum wuselte leise im Haus herum. Tja, ein Punkt mehr für mein schlechtes Gewissen. Eigentlich hätte ich den Alkohol gar nicht gebraucht, um mich schlecht zu fühlen. Dann enterten beide die Küche. Meine Mutter sah mich nur mit einem undefinierbaren Blick an, aber mein Vater übernahm gleich die Initiative.
„Junior, wir machen mal einen Ausflug. Die frische Luft wird uns beiden gut tun“, sprach er, nahm die Autoschlüssel vom Schrank und weg war er. Meine Mutter nickte mir aufmunternd zu und so trottete ich hinterher. Die Fahrt verlief schweigend und das war eine sehr unangenehme Stille. Ich traute mich nicht, dieses Schweigen zu brechen und mein Paps schien in Gedanken. Irgendwo im Grunewald machten wir Halt. Sekunden später schlenderten wir genauso schweigend durch die Natur.
„Darian, ich muss mich bei dir entschuldigen“, hörte ich ihn auf einmal heiser sagen.
‚Was? Wie? Er sich bei mir? War ich hier im falschen Film?‘, total erstaunt sah ich ihn an. Sein Blick glitt über meine fassungslose Mine und er bestätigte seine Aussage mit einem traurigen Nicken.
„Ich habe dich da vor drei Wochen in etwas reingedrängt, was ich mir besser hätte überlegen sollen. Leider kann ich es nicht rückgängig machen und möchte dich somit um Verzeihung bitten“, flüsterte er weiter traurig. Mein Gesichtsausdruck musste sich nicht sehr gewandelt haben, denn er fuhr in seiner Erklärung weiter fort.
„Natürlich hatte ich meine Finger mit im Spiel, als es um die Maßnahmen für Jonas ging und habe es so gedreht, dass sie die Sitzungen bei Euch auf dem Hochseilgarten abhalten. Ich hatte am Dienstag ein Gespräch mit Bernd, nachdem du uns ja die letzten Tage gemieden hattest und dieser hat mir auf den Kopf zu ein paar unangenehme Sachen gesagt.“
„Moment Paps“, unterbrach ich ihn. Nun sah er mich verwundert an.
„Also nach dem ersten Tag war ich schon sauer auf dich, da ich mir so meinen Teil denken konnte, aber danach…“ Den Rest verschluckte ich, da vor meinen Augen wieder Jonas auftauchte und der Kloß in der Kehle wahnsinnig groß wurde.
„… hätte es nicht besser laufen können“, fuhr ich zögernd fort und schob noch ein sehr leises „bis ich einen riesigen Scheiß gemacht habe“ hinterher. Ich sah ihn stutzen. Er hatte sich wohl etwas zusammengereimt aus meinem Verhalten – nur leider das vollkommen falsche.
„Pass auf Junior. Normalerweise würde ich jetzt solange herumwundern, bis du mit allem herausgerückt bist, aber da du mein Sohn bist und ich dir vertraue, überlasse ich dir die Entscheidung, was und vor allem wie viel du erzählen willst“, antwortete er sehr sanft.
Mein Vater war schon immer mein bester Freund und wie schon angedeutet, hatte ich kaum Geheimnisse vor ihm. Ich wusste, dass ich ihm alles erzählen konnte, aber mir waren gewisse Aspekte der Geschichte einfach peinlich. Wenn es aber eine Möglichkeit gab, auf den Weg zu Jonas wieder zurückzufinden, dann sah die mein Vater. Ich war zurzeit hoffnungslos überfordert. So fing ich an, ihm stockend von den Erlebnissen der letzten Wochen zu berichten. Ein kurzes Zögern kam wieder auf, als ich zu der delikaten Stelle kam. Ich stellte es nicht in allen Einzelheiten dar, machte meinem Paps aber schon klar, dass ich Jonas verführt und somit zum Sex gezwungen hatte. Er sah mich zuerst verblüfft an und schüttelte dann etwas den Kopf, als wenn er mir so was nie zugetraut hätte. Die nächsten Worte bestätigten das auch.
„Und ich dachte, ich kenn meinen Sohn“, murmelte er.
„Da schlummern nun zwei Seelen in meiner Brust“, begann er und sah mich zweifelnd an.
„Zum Einem die des Vaters, der nicht so recht weiß, ob er da nähere Einzelheiten hören will und natürlich die des Polizisten, der mit den schwammigen Ausführungen des Beklagten nichts, aber auch gar nichts anfangen kann“, eröffnete er mir.
„Als Vater überfordert mich die ganze Situation ein wenig und ich bete im Stillen, dass ihr geschützten Sex hattet. Des weiteren würde ich sagen, das müsst Ihr beide alleine klären, ich misch mich da nicht ein, aber als Polizist …“, sagte er und sah mich beim letzten Wort prüfend an.
„Ja?“, fragte ich und erhoffte mir eine sinnvolle Antwort. Zu seiner Beruhigung hatte ich beim Safer-Sex mit dem Kopf genickt und die Erleichterung war ihm anzusehen.
„Darian, wenn du eine einigermaßen objektive Einschätzung haben willst, soweit das als dein Vater geht, muss ich Alles wissen“, ließ er mir die Entscheidung. Gequält verzog ich meinen Mund, ich konnte doch meinen Paps nicht erzählen, WAS wir gemacht hatten. Schweigend gingen wir wieder nebeneinander her.
„Gut, ich mache dir einen Vorschlag und du sagst nur ja oder nein. Vielleicht reicht das“, brummte er, aber wohl schien ihm auch nicht in seiner Haut zu sein.
„Habt Ihr euch geküsst?“
Ich nickte, zögerte leicht.
„Nur kurz, so richtig Zunge war es nicht“, beichtete ich.
„Hm, oral?“
Oh je, meinem Paps war das peinlich – frag mich mal einer bitte. So langsam wurde ich rot.
Leicht nickte ich mit dem Kopf.
„Er bei dir, oder …“
„Nein ich hab ihm einen geblasen“, rutschte es mir raus. Ich wurde rot und noch verlegener als ich sah, dass mein Vater auch leicht anlief. Kurz schüttelte er den Kopf und riss sich zusammen.
„Hattet Ihr auch Analsex?“, fragte er leise aber bestimmt. Jetzt war er wieder ganz der Polizist.
Ich schaute nur noch auf den schönen Waldboden und machte eine sehr unbestimmte Kopfbewegung, die wirklich alles hätte bedeuten können. Mein Paps erkannte aber wohl das Richtige daraus.
„Also hast du ihn …“, formulierte er genauso nebulös seine Überlegungen.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und schüttelte den Kopf – der Waldboden war aber auch schön grün.
„Er hat dich“, stieß er überrascht aus. Das ließ mich dann doch hoch schauen und ich sah einen total überraschten Vater. Bevor hier aber sehr falsche Vermutungen aufkommen sollten, musste ich doch noch was loswerden.
„Ja, er hat mich … und um es nun endgültig absolut peinlich für mich zu machen. Es hat mir gefallen, sogar verdammt gut. Als er danach erkannt hatte, was er da eben gerade gemacht hatte, stand in seinen Augen nur Entsetzen und Angst, so als ob er sich …“
Ich hörte plötzlich auf, denn wenn es wirklich auch noch Ekel gewesen war, dass ich da gesehen hatte, dann hatte ich nie wirklich eine Chance. Diese plötzliche Erkenntnis war dann doch zuviel und mir liefen die Tränen über die Wangen. Mein Vater vergaß seine Polizistenrolle und nahm mich in den Arm.
„He Junior“, redete er beruhigend auf mich an.
„Ach ich bin so ein Idiot“, murmelte ich und schniefte noch hinterher „verdammt ich liebe ihn doch“.
Sanft fuhr mir mein Paps mit seinen Fingern durch´s Haar. Dann schob er mich von sich und sah mir lange und prüfend in die Augen. Ich sah, wie sich ein kleines Lächeln in sein Gesicht stahl.
„Nun gut, analysieren wir mal die Fakten“, brummte er. Unbewusst zuckte ich zusammen, denn jetzt noch einmal die Umstände genau mit ihm durchzugehen, dazu hatte ich bei weitem den Mut nicht mehr.
„Nein, nein, ich werde nur mal ein paar Schlussfolgerungen daraus ziehen“, zerstreute er sofort meine Befürchtungen.
„Zuerst einmal bleibt mir gar nichts anderes übrig, als dir zu bestätigen, dass du riesigen Bockmist gebaut hast. Aus deinen Schilderungen hörte ich heraus, dass Jonas endlich begonnen hat, er selbst zu sein. Du hast es wirklich geschafft, ihn aus seinem Schneckenhaus herauszuholen, aber du hast ihn auch wieder sehr tief hineingetrieben. Ich kann dir nur eins raten, geh zu ihm und sprich mit ihm. Lass ihn jetzt nicht im Stich, ich glaube, nein ich bin ziemlich sicher, dass er noch nie solch einen Freund wie dich hatte und damit meine ich nicht deine sexuelle Orientierung.“
Hier unterbrach er sich und druckste ein wenig herum.
„Okay ich hab damit angefangen. Also kommen wir zu dem Sex. Hier kann man es auch von zwei Seiten betrachten. Erstens du hast ihn wirklich verführt und man könnte sagen, fast vergewaltigt…“ Bei diesen Worten sackte ich in mich zusammen, denn wenn mein Vater das auch so sah - was für einen gewaltigen Berg Mist hatte ich denn da aufgehäuft.
„…aber“, fuhr er fort, als er meine Reaktion sahf, „sehe ich das eigentlich gar nicht so. Gut, du hast ihn verführt, das schien dir ja nicht weiter schwer zufallen, wo ich meinen lieben Sohn wohl etwas unterschätzt hatte“, redete er weiter und in seinem Gesicht erschien ein süffisantes Lächeln.
„Jedoch zu dieser Art Sex, wie du sie mir beschrieben hast, gehören immer zwei und da er ja eher der aktivere Teil war, muss auch eine gewisse Lust bei ihm vorhanden gewesen sein. Ich vermute da vielmehr, dass das Entsetzen bei Jonas nicht daher rührte, WAS er da machte sondern mit WEM er es machte und vor allen, welche Rolle er dabei übernommen hat!“
Je weiter er in seinen Ausführungen kam, desto leiser wurde er und mir schien es, als würden gewisse Schlussfolgerungen gerade erst jetzt erkannt werden. Nur hasste ich es, wenn er so verworren mit mir redete.
„Also war er entsetzt, dass er in seinem Suff keine Frau hatte sondern mich“, murmelte ich niedergeschlagen, denn das hatte ich mehr oder weniger aus den Worten meines Paps herausgehört.
„Nein, ich nehme an, ihm war sehr wohl die ganze Zeit klar, dass er es mit einem Kerl machte, nur …“
Na Danke, den Rest behielt er mal wieder für sich.
„Darian, ich möchte dir folgenden Rat geben. Häng diesen Sex nicht zu hoch. Ihr ward beide geil und aus deinem Rumgestottere habe ich mehr oder weniger herausgehört, dass du es genossen hast. Aber mach das mit ihm nie wieder, nicht auf diese Art und Weise. Gehe zu ihm, rede mit ihm und versuche, ihn zurückzugewinnen – ihr braucht euch beide.“
„Glaubst du denn, er redet noch mit mir?“
„Es wird nicht einfach und höchstwahrscheinlich wird er zuerst wieder das Arschloch raushängen lassen, aber das hast du dir ja selbst damit eingebrockt. Ich glaube aber, er möchte wieder nur Jonas sein und das kann er am besten bei dir!“
Aufmunternd legte er seinen Arm um mich und wir gingen den Weg schweigend zurück. Oh man, mein Kopf war noch immer nicht wirklich klar und die verschiedensten Gedanken schwirrten da herum. Hatte ich das eben richtig verstanden, dass mein Paps den Sex als gar nicht so verwerflich ansah? Aus irgendeinem Grund gab er uns eine Chance, soviel hatte ich auf jeden Fall herausgehört.
Aber okay, ich würde morgen meinen ganzen Mut zusammennehmen und ihn aufsuchen. Ich wusste ja, wo er sich am Sonntagnachmittag herumtrieb.
Und nun stand ich hier vor dem großen Tor. Dahinter türmten sich Berge von Schrott. Die Entscheidung gestern zu fällen, hierher zu kommen war das Eine, aber nun auch den Schrottplatz zu betreten war was ganz anderes. Ich kratzte das, was ich noch an Mut hatte zusammen und zwängte mich durch eine kleine Tür in dem riesigen Tor. Kaum war ich da durch, da hörte ich in unmittelbarer Nähe.
„He Alder, wir haben zu“
Zehn Meter entfernt von mir hatte sich ein Türke aufgebaut und schaute mich unfreundlich an.
„Arbeitet heute ein Jonas Engel bei Ihnen“, fragte ich höflich. Abschätzend musterte er mich und nickte dann mit dem Kopf.
„Den findste hinten beim Buntmetall“, kam seine Antwort. Als er meinen fragenden Blick sah, rollte er entnervt mit den Augen.
„Geh einfach den Weg da bis zum Ende des Platzes und dann siehste ihn schon“, brummelte er und wies mit der Hand zu einer Gasse, die sich zwischen zwei großen Schrottbergen auftat.
„Und behalt die Finger bei dir – Nix anfassen!“, brüllte er mir noch hinterher. Man war das ein großer Platz. Zu allem Überfluss schien die Sonne es heute schon sehr gut zu meinen und blendete mich durch die Spiegelungen des herumliegenden Metalls. Deshalb sah ich ihn ziemlich spät. Wir standen uns fast Aug in Aug gegenüber und ich war schon wieder weggetreten.
Jonas stand mit schweißnassem, nacktem Oberkörper vor mir und ich war sofort wieder in meinen Träumen gefangen. In seinem Gesicht sah ich zuerst Erstaunen, dann eine große Unsicherheit, die sich zu einer unerklärbaren Verlegenheit wandelte. Er wandte seinen Blick ab und schaute auf den Boden, griff sich ein Hemd und zog es schnell über.
„Hey Jonas.“
„Hallo.
Jonas
Gerade eben war ich aus der Dusche getaumelt und lag nun mit geschlossenen Augen im Bett. Wie ich nach Hause gekommen war, wusste ich nicht mehr, zu sehr war ich mit mir beschäftigt gewesen. Das benutzte Kondom, welches mir vor dem Duschen aus meiner Shorts fiel und die Sauerei, die sich dabei offenbarte, brachte mich knallhart aus diesem Zustand in die kalte Wirklichkeit zurück.
‚Ich hatte mit einem KERL rumgemacht‘, angewidert verzog ich das Gesicht bei dieser Überlegung.
ANGEWIDERT?
Das stimmte so nicht ganz, denn nur der vage Gedanke daran, was ich mit IHM gemacht hatte, ließ meinen Schwanz reagieren.
‚War ich immer noch besoffen?‘, flehte ich fast, aber vom Alkohol war keine Spur mehr zu merken. Vielmehr lag ich sehr nüchtern und äußerst verwirrt in meinem Bett. Konnte ich die Sache vielleicht mal klar durchdenken? Vorsichtig tastete ich mich an die Erinnerungen von vor einer Stunde heran.
Darian stand vor mir und presste seine Lippen auf meine. Ich war viel zu überrascht, um meine Lippen zu öffnen und merkte mit Bedauern, dass er sich wieder löste.
BEDAUERN?
Und vor allen, wie betörend er roch! Meine Hand hatte er zu seinem besten Stück geführt und ich wusste nicht so recht, was ich machen sollte. Dann spürte ich seine langen Finger auf meiner Beule ruhen und gekonnt knetete er mein Glied. Der startet von null auf hundert in Null-Komma-Nichts durch.
So wie jetzt! Ich öffnete meine Augen und sah, dass mein Schwanz hart war. Ob ich wollte oder nicht, das Ganze erregte mich jetzt immer noch. Und wenn ich mir den geil-verträumten Gesichtsausdruck von Darian vorstellte, wie er von unten zu mir raufschaute und seinen Mund über mein bestes Stück schob, dann…
Entsetzt erkannte ich, dass ich nicht den geringsten Ekel verspürte – nein, vielmehr musste ich mir eingestehen, dass ich noch nie so geil gewesen war. Bis dahin genoss ich es in vollen Zügen und dann tickte etwas in mir aus.
Dieser kleine schwule Mistkerl da unten wollte Sex, okay, den konnte er haben, aber zu meinen Konditionen! Als ich vor meinem inneren Auge jetzt noch einmal die weiteren Szenen ablaufen ließ, atmete ich immer schwerer. Ich verwünschte mich regelrecht, dass ich seinen harten Schwanz, der sich mir entgegenreckte nicht einmal richtig berührt hatte. Meine Hand strich wieder fordernd über seinen knackigen Hintern, der mich noch mehr aufgeilte. Ich wusste auf einmal, was ich zu machen hatte – dass er meinen Schwanz nicht ohne ein wenig Vorbereitung vertragen würde. Und es machte mir nichts aus, vielmehr wurde meiner immer härter. Endlich war es soweit und ich schob mich zwischen seine langen Beine. Mit Geduld, die ich eigentlich nicht hatte, drang ich langsam in ihn ein, die Enge machte mich schier wahnsinnig. Und als ich vollkommen drin war, stöhnte er geil auf. Nicht nur mir schien es zu gefallen, okay dann sollte er mehr davon haben.
Und dann besorgte ich es ihm so lang und hart, wie ich es noch nie bei jemandem gemacht hatte. Sein Stöhnen turnte mich immer mehr an und der Punkt war erreicht. Keuchend und unendlich befriedigt kam ich auf seinem Rücken zum Liegen.
Moment, was war hier so nass – verwundert sah ich hinunter und musste erkennen, dass ich schon wieder abgespritzt hatte, diesmal nur bei dem Gedanken daran! Und genau wie vor über einer Stunde traf mich die Erkenntnis, jetzt wie aus dem Nichts.
WAS hatte ich getan! Ich hatte Sex mit einem Kerl und fand und finde es immer noch saugeil!
Ich hatte Sex mit IHM – mit Darian! Verdammt, ich wollte ihn doch als Freund und nun das, aber das zerstörte alles.
‚Jonas Engel, du bist ein beschissener Hurensohn‘, schrie ich mich an.
Ich wusste, dass er schwul ist.
Ich ahnte, dass er auf mich abfuhr.
Und was machte ich!
Ich benutzte ihn! Ich habe mir genommen, was ich dachte, dass mir zustand und ihn dann einfach da sitzen lassen. Ich werde diesen Gesichtsausdruck nie vergessen, als er sich zu mir umdrehte. Zuerst war purer hemmungsloser Sex darin zu lesen und als er bei mir wohl sah, was ich dachte, wandelte sich dieser in Ungläubigkeit und Trauer. Ich konnte ihn nicht mehr anschauen und wollte nur noch weg.
Verdammte Scheiße!
Fluchend stand ich auf, um mich von der Sauerei zu befreien, die sich auf meinem Oberkörper gebildet hatte. Ich kapierte das alles nicht richtig. Im Bad sah ich mich im Spiegel an und sah nur Ekel.
Nein, nicht Ekel vor dem, was ich gemacht hatte, sondern vor mir.
‚Du bist ein blödes, selbstgefälliges Arschloch‘, zischte ich mich selbst an. Da kam endlich mal einer, der mich nicht so akzeptierte, wie ich war, der mir zeigte, dass es Spaß machte, anders zu sein.
ANDERS zu sein? Wie viel anders war ich denn?
War ich schwul? Oh man, noch mehr Fragen. Erschöpft schlief ich dann irgendwann ein und war keinen Deut weiter in meinen Überlegungen. Die nächsten Tage waren der Horror. Ich redete mir immer mehr ein, dass ich Darian nur benutzt hatte, um meinen Trieb zu befriedigen. Und der Hammer war, ich träumte nachts von ihm. Ich sah seine Augen blitzen, fühlte seinen herrlich schlanken Körper und trieb es mit ihm.
Manchmal stand ich vor unserem Telefon und hatte den starken Drang, ihn anzurufen.
‚Der schaut dich nicht mal mehr mit dem Arsch an!‘, behauptete jemand in meinem Kopf. Und dann stand immer noch die Frage im Raum, ob ich so einfach über einen Abend SCHWUL geworden war. Ich war wenigstens so ehrlich zu mir, um mir einzugestehen, dass ich Darian sehr attraktiv fand und mich gewisse Stellen an seinem Körper erregten, sogar sehr erregten, aber könnte ich mit ihm auch …
‚Nee, Herr Engel! Zeit für ein Experiment!‘, entschloss ich mich am Freitagabend und rief meine letzte Ex an. Die Kirsche schmachtete mir eh immer noch hinterher und war sehr süß. Wie zu erwarten, war sie aus dem Häuschen und gegen 22 Uhr traf ich bei ihr ein. Und was soll ich sagen – ich brachte es noch. Die Frau ist fast ohnmächtig geworden, so ausdauernd und hart besorgte ich es ihr.
Ich war also doch nicht schwul. Überhaupt keine Probleme bei der Schnalle!
Tja, wenn da nicht eins wäre. Zwischen dem heißen Sex sah ich immer ein paar eisblaue Augen, die mich vorwurfsvoll musterten. Und den Megaorgasmus hatte ich erst, als ich mir vorstellte, wessen Teil ich da unter mir bearbeiten könnte.
Auch wenn ich es mir unter allen Umständen nicht eingestehen wollte, aber ich fuhr auf den kleinen schwarzhaarigen Teufel ab!
Ich war nicht nur ein Arsch – ich war im Arsch!
Da half nur eins, ich musste die letzten vier Wochen einfach vergessen, aus meinem Leben streichen und zurück in mein wahres Leben finden. Ich schuftete am Samstag wie bescheuert erst auf dem Schrottplatz und dann im Supermarkt. Am Abend fühlte ich mich etwas besser, was aber wohl daran lag, dass ich keine Kraft mehr hatte zum Nachdenken. Seit langem schlief ich dann endlich mal eine Nacht durch, ohne zu träumen.
Am Sonntag hatte ich einen riesigen Muskelkater, jedoch fühlte ich mich im Allgemeinen besser. Nach der ersten Stunde beim Buntmetall hatte ich den Muskelkater auch vertrieben und klotzte wie blöde ran – nur keine Muße haben, um nachzudenken.
Dann spürte ich eine Bewegung leicht hinter mir und drehte mich der Person zu, die wohl etwas orientierungslos herumirrte. Als ich erkannte, wer sich da näherte, war ich zu keiner weiteren Regung mehr fähig – ich stand wie vom Donner gerührt.
Mir gegenüber stand mein Alptraum! Ungläubig musterte ich ihn. Als mir klar wurde, dass es wirklich keine Fata Morgana war, machte sich Unsicherheit in mir breit.
‚Was wollte er hier?‘
‚Wollte er mich zur Rechenschaft ziehen? Dafür, dass ich ihn benutzt hatte!‘ So beschämt hatte ich mich noch nie gefühlt und konnte ihn nicht weiter anschauen. Da wurde mir bewusst, dass ich hier mit nacktem Oberkörper vor ihm stand und griff mir schnell mein Arbeitshemd, um es mir überzuwerfen.
„Hey Jonas“, hörte ich seine Stimme. Sie schien belegt und nervös zu klingen.
„Hallo.“
Weiter passierte erst einmal nichts und wir standen uns schweigend gegenüber.
„Wie geht’s dir?“, flüsterte er.
‚Was für eine seltsame Eröffnung?‘, grübelte ich. Aber ich wollte ihn ja vergessen.
„Bis vor ein paar Minuten blendend“, antwortete ich ihm schnell, konnte ihn aber immer noch nicht anschauen.
„Oh“, murmelte er und seine Nervosität schien sich rapide zu steigern.
Ob ich wollte oder nicht, ich fühlte mich zu ihm hingezogen und wollte nicht, dass er wieder verschwand.
„Soll ich wieder gehen?“, fasste er sehr leise in Worte, was ich gerade dachte. Die Stimme oder vielmehr der verletzliche Ton, den ich heraushörte, machte mich noch unsicherer als ich schon war. Solche Gefühle hatte ich bei noch keinem Mädchen gefühlt, der Kerl machte mich wahnsinnig.
„Es …, Jonas es tut mir so Leid“, wisperte er, seine Stimme war kurz davor, zu versagen.
‚Wie bitte? Hatte er sich gerade bei mir entschuldigt – ER bei MIR? WARUM?‘ Erstaunt zuckte ich nun doch mit meinem Blick nach oben und sah ihn an. Seine Augen waren ziemlich feucht und ich erkannte, dass er es sehr ernst meinte.
„Du…“, fing ich an.
„ähm…, du entschuldigst dich bei MIR?“, murmelte ich fassungslos.
Was war hier los?
„Ja, glaubst du wirklich, dass kann ich nicht. Das ich nur ´ne geile Schwuchtel bin, die sich von allen bespringen lässt?“, hörte ich ihn aufgebracht und trotzig sagen. Seine Stimme kiekste trotzdem auffällig. Leider hatte er mich total falsch verstanden. In seinen Augen stand soviel Hoffnung, Trauer aber auch Stolz, dass ich innerhalb von Sekunden einen Entschluss fasste.
Scheiß was auf mein Vorhaben, wieder in die alte Welt zurückzufinden. Einen besseren Freund als diesen komischen Typen da vor mir hatte ich noch nie besessen. Noch nie hatte ich jemanden so verstanden, noch nie so etwas für einen anderen Menschen gefühlt – er bot mir eine Chance, einen Weg, unsere Freundschaft zu retten. Meine Überlegungen dauerten ihm wohl etwas zu lange, denn in seinem Gesicht machte sich Resignation breit und er sackte in sich zusammen. Langsam drehte er sich um.
„Moment, Darian“, hielt ich ihn auf. Mit dem Rücken blieb er zu mir stehen.
„Warum entschuldigst du dich bei mir?“, brach es aus mir raus.
„Weil…“, stockend brach er ab und schien seinen ganzen Mut zusammenzunehmen.
„Weil ich dich enttäuscht habe“, schluchzte er. Oh verdammt der so coole Typ, dem ich nicht das Wasser reichen konnte, heulte hier vor mir.
‚Nur warum hatte er mich enttäuscht?‘
„Du mich?“, formulierte ich es auch laut und schob noch ziemlich leise hinterher, „Das blöde Arschloch war ja wohl ich“. Zögernd drehte sich Darian zu mir um und sah mich unsicher mit tränenverschmierten Augen an. Nervös ließ ich meinen Blick tiefer gleiten und starrte auf seine Brust. Jetzt hatte ich den ersten Schritt getan, da konnte ich auch den Rest bringen – nur hätte ich nie gedacht, dass es mir so schwer fallen würde, mit einem Kerl so zu reden.
„Die Situation war wohl eindeutig. Ich habe dich benutzt und das bedaure ich zu tiefst. Ich habe dein Vertrauen missbraucht.“
„Oh.“
Das war seine ganze Reaktion?
Seufzend setzte er sich vor mir hin und sah mich von unten an. Trotz seiner Tränen in den Augenwinkeln glitzerten diese so komisch. Ein kleines Lächeln stahl sich in sein Gesicht und er schüttelte leicht den Kopf.
„Kann es sein, dass wir uns beide dieselben Vorwürfe machen?“ Das war eigentlich keine Frage, es war vielmehr eine Feststellung. Zweifelnd sah ich ihn an, so ganz konnte ich seinem Gedanken nicht folgen.
„Jonas, lass mich eins klarstellen. Du hast mich nicht benutzt! Ich fand die ganze Sache abartig geil und habe sie in vollen Zügen genossen“, gab er von sich und lief dabei ziemlich rot an, wurde sogar etwas verlegen über die Direktheit seiner Aussage, aber mit einem kleinen hinterhältigen Lächeln schob er noch hinterher, „und wenn du nicht so besoffen gewesen wärst, hättest du es gehört und vor allem gesehen“.
„Ich glaube, du hast sehr gut gespürt, was ich von der ganzen Sache gehalten habe“, grummelte ich zurück, aber nun war es bei mir soweit, leicht rot anzulaufen, denn ich hatte ja eben nichts anderes zugegeben, als dass ich den Sex geil fand. Schweigen breitete sich wieder aus. Ich sah, dass er noch mit etwas kämpfte, aber ich wollte ihm die Sache erleichtern.
„Darian, lass uns unter die Sache einen Strich ziehen und sie vergessen. Vor allem wird es nie wieder vorkommen, das verspreche ich dir!“ Die Enttäuschung, die sich in seinem Gesicht abzeichnete, war so offensichtlich.
„Darian, ich bin nicht schwul!“, rechtfertigte ich mich etwas zu heftig. Und zu seiner Enttäuschung gesellte sich auch noch Traurigkeit.
‚Verdammt, was hatte er denn erwartet, dass wir jetzt knutschend durch die Gegend liefen?‘, fluchte ich vor mich hin. Mein Entsetzen darüber stand mir wohl auf der Stirn geschrieben.
„Okay Jonas, was möchtest du dann?“
‚Oh je, der Typ war erbarmungslos! Ja, was wollte ich eigentlich?‘
„Deine Freundschaft?“, murmelte ich unsicher. Man, ich wusste es doch selbst nicht so richtig.
„Freundschaft“, flüsterte er. Nicht nur ich war wohl unsicher.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, hörte ich ihn noch leiser.
Ich wusste, dass ich da nicht fragen sollte, aber bevor ich den Gedanken zu ende geführt hatte, war es schon geschehen.
„Warum?“ Darian sah mich an und seine Augen bekamen wieder diesen verträumten Ausdruck.
„Weil ich mich seit dem ersten Kontakt in dich verknallt habe!“, gestand er mir mit zittriger Stimme.
WUMM! Mit allem hatte ich gerechnet, aber doch nicht mit so was.
„Aber ich bin doch nicht schwul!“, schrie ich fast. Mir war bloß nicht klar, wem ich mit diesem Ausbruch etwas beweisen wollte.
„Ja, das sagtest du schon!“, war seine leise Antwort und ich merkte sehr wohl das spöttische Glitzern in seinen Augen. Bevor ich ihm jedoch eine passende Antwort darauf geben konnte, hob er beschwichtigend seine Hand.
„Jonas, solange du akzeptieren kannst, dass ich schwul bin, werde ich mich auch damit abfinden, dass du es nicht bist! Ich werde meine Gefühle dir gegenüber nicht unterdrücken können, aber ich will versuchen, dir ein Freund zu sein. Ob das so funktioniert, müssen wir abwarten. Lass uns erst einmal näher kennen lernen, okay?“
Mit diesem Angebot konnte ich leben. Unsere Freundschaft hatte vielleicht doch eine Chance. Während ich noch so grübelnd vor mich hinrstarrte, bemerkte ich, wie sich Darian ein Plätzchen suchte. Erstaunt beobachtete ich ihn dabei und sah, wie er sich mit einem Grinsen auf einem alten Kotflügel niederließ.
„Was machst du da?“, fragte ich ihn vorsichtig.
„Dich beim Arbeiten beobachten und kennenlernen“, lächelte er mich an.
„Soll ich mein Hemd wieder ausziehen?“, fragte ich ihn süffisant.
„Oh ja“, entfuhr es ihm etwas zu schnell und er lief rötlich an.
„Blödmann“, grummelte ich.
„Ich werde dir hier bestimmt nichts vorarbeiten. Komm, lass uns verduften, hab keinen Bock mehr.“
Die nächsten drei Wochen vergingen wie im Fluge. Manchmal fragte ich mich schon, wie das vorher ohne Darian gewesen war und fand keine befriedigende Antwort. Okay, wir hatten beide genug neben der Schule zu tun, aber wir sahen uns doch fast täglich und wenn nicht, dann rief ich ihn an. Ich genoss jede Minute mit ihm und seine Meinung war mir wichtig. Trotz allem gab es da zwei Dinge, über die wir nicht sprachen beziehungsweise die wir geflissentlich versuchten, irgendwie zu umschiffen.
Zum Einen redeten wir nie wieder über unseren Sex. Das Thema war einfach tabu. Das ging sogar soweit, dass ich nicht über Frauengeschichten und er nicht über seine Kerle sprach. Was mir dabei noch auffiel, war …
Wir hatten kaum körperlich Kontakt. Er vermied geschickt alle Situationen, in denen man sich mal zufällig berührte. Da ich persönlich körperlichen Kontakt hasste, war mir das nur recht, nur ab und an …
Und zum Zweiten hielt ich mein zu Hause, respektive meine Mutter aus allem raus. Er wusste, dass ich mit ihr eine Wohnung in Marzahn bewohnte, aber er kannte sie nicht, geschweige denn war er mal bei mir zu Hause. Apropos zu Hause, zu seinem war ich gerade unterwegs. Er hatte mich heute zu sich eingeladen und ich würde das erste Mal beim ihm aufschlagen. Eigentlich wollte ich es nicht so richtig wahrhaben, aber ich war echt nervös.
‚Schickes Häuschen‘, dachte ich mir noch so, als ich an der Haustür klingelte. Den Typen, der mir die Tür öffnete kannte ich.
„Hallo“, murmelte ich nervös, denn sein Vater war schon eine Erscheinung. Dabei ging mir durch den Kopf, dass Darian ihm gar nicht ähnlich sah.
„Kenne ich dich?“, grummelte es aus zwei Metern Höhe zu mir runter.
‚Na warte‘, dachte ich mir noch so.
„Rainer“, sagte ich knapp zur Begrüßung und nickte leicht mit dem Kopf. Verblüfft sah er mich an und grinste dann.
„Haha Paps, bei einigen helfen die 2 Meter einfach überhaupt nichts“, hörte ich es hinter dem breiten Rücken lachen.
„Na warte, Junior“, grummelte es wieder und mir war, als zwinkerte mir sein Vater kurz zu. Blitzschnell drehte er sich um und hatte sich seinen Sohn gegriffen. Problemlos legte er sich Darian zurecht und kitzelte ihn kräftig durch. Also kitzlig schien er zu sein, so wie er quiekte. Trotz des Lachens, welches sich in mir breit machte, vernahm ich sehr wohl den kleinen Stich in der Magengrube, als ich Vater und Sohn so zusammen sah.
„Paps, hör auf, biiiittteeee“, japste Darian. Als er dann vor mir zu stehen kam, etwas außer Atem mit leicht geröteten Gesicht und blitzenden Augen, da erwachte was ganz anderes in mir. Diesmal war ich es wohl, der ihn verträumt ansah. Zum Glück störte Herr Papa.
„Willkommen“, grinste er mich an und streckte mir seine Pranke entgegen.
„Guten Tag“, erwiderte ich höflich. Rainer stutzte und sah mich forschend an.
„Jonas, hier bin ich nur Darians Vater, was schon anstrengend genug ist…“
„Paaaaaaaaaaps!“, knirschte dieser.
„… und nicht der Polizist, also sind auch Dummheiten erlaubt“, fuhr er mit seiner Erklärung fort und mit einer Handbewegung wies er auf seinen Sohn, „wenn sie zu bunt werden, dann haste die Bestrafung dafür gerade gesehen“, schloss er den Satz breit lachend.
„Unmöglich, und so was ist mein Vater“, hörte ich Darian vor sich hinbrummeln. Dann bugsierte er mich zu seinem Zimmer und mich empfing …
… das totale Chaos!! Er bemerkte meinen entsetzten Gesichtsausdruck und wurde nervös.
„Sorry, hab ein wenig aufgeräumt. Wollte nicht, dass es zu unordentlich ausschaut“, murmelte er verlegen.
‚Wie bitte – AUFGERÄUMT?‘ Meine Augen wurden wohl noch größer.
„Sag endlich was“, stammelte er.
„Also das hier ist das totale Chaos!“
„Bei dir sieht es nicht so aus?“, fragte er verdutzt.
„Neeeeeee“, sagte ich und schüttelte dabei noch entschieden mit dem Kopf.
„Dann zeig es mir“, forderte er mich auf und sah mich erwartungsvoll an. Der Satz kam so schnell, als hätte er schon lange auf eine solche Gelegenheit gewartet.
‚Verdammt, jetzt saß ich in der Klemme!‘ Ich wollte nicht, dass Darian meine besoffene Alte kennenlernte. Ich schämte mich für sie und auch ein wenig für die Verhältnisse, in denen ich lebte. Nur sah er mich so hoffnungsvoll an, dass meine Lippen die Worte formten, die ich am liebsten nie ausgesprochen hätte.
„Okay, dann gehen wir Dienstag nach dem Klettern zu mir.“
‚Oh je, der Horror war ausgesprochen!‘
Strahlend sah Darian mich an und nickte begeistert mit dem Kopf. Na, mal schauen, wie er das am Dienstag verarbeitete. Er zeigte mir das ganze Haus und ich musste anerkennen, dass dieser Lebensstandard meinen um ein Vielfaches überstieg. Aber er ließ gar keinen Neid aufkommen, ihm schien es nicht wichtig zu sein und dass er gerne abgab, hatte ich die letzten Wochen schon bemerkt. Mir war das immer ein wenig peinlich und so versuchte ich, solche Situationen nicht aufkommen zu lassen.
Zum Mittag lernte ich dann seine Mutter kennen. Jetzt wusste ich auch, von wem aus der Familie er sein Aussehen hatte. Mir war es einen Moment so, als würde sie mich erstaunt betrachten, aber das war nur einen Wimperschlag. Das Mittagessen war dann die Hölle – nein nicht das Essen an und für sich, sondern die Neugierigkeit seiner Eltern. Was die alles wissen wollten! Darian amüsierte sich dann, als wir auf seinem Zimmer angekommen waren, königlich und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, die Bestrafungsmethoden seines Vaters anzuwenden.
Hatte ich schon mal gesagt, dass ich gegen den Kerl keine Chance hatte – ich hatte sie wirklich nicht. Ruckzuck lag ich unten und Darian schwebte über mir. Seine eisblauen Augen leuchteten regelrecht und sein Atem ging schwerer als die Anstrengung verlangt hätte. Dann spürte ich auf meinem besten Stück auch den Grund – er war erregt und das machte mich sofort an. Blitzschnell war er runter von mir und nuschelte ein sehr leises, verschämtes „Entschuldige“. Das registrierte ich gar nicht recht, denn mich bewegte gerade etwas anderes.
‚Dieser Typ macht mich an‘, durchfuhr es mich. Unbewusst wahrgenommen hatte ich es wohl schon länger, aber jetzt stand die Erkenntnis klar vor mir. Nein, nicht nur auf dem sexuellen Sektor, es war mehr als pure Geilheit. Der Nachmittag war eigentlich gelaufen, jeder von uns beiden hing seinen Gedanken nach. Nach dem Kaffee verabschiedete ich mich dann und konnte seine Enttäuschung in den Augen sehen.
„Sehen wir uns morgen?“, hörte ich ihn fragen, als wir an der Haustür standen.
„Mal sehen. Ich rufe dich an. Cu“, murmelte ich. Mir ging einfach gerade zuviel durch den Kopf. Eigentlich war der Abschied mehr eine Flucht und schon war ich um die erste Ecke verschwunden.
Darian
Eben war Jonas gegangen, nein nicht gegangen, geflohen. Enttäuscht lehnte ich an der Tür. Der Tag hatte so schön angefangen und dann das.
Die letzten drei Wochen waren mit die schönsten in meinem Leben gewesen. Von Minute zu Minute verliebte ich mich mehr in diesen blonden Engel. Unser Abkommen, welches wir auf dem Schrottplatz geschlossen hatten, war mehr als vage gewesen. Jedoch, es funktionierte – na ja, so halbwegs, weil ich mich mächtig zusammenriss.
Manchmal konnte ich nicht anders und himmelte ihn offen an. Am niedlichsten war, wenn er schüchtern oder verlegen von irgendeiner Sache ablenken wollte. Wie gerne hätte ich ihn in den Arm genommen, seinen Körper erkundet…
Aber ich fasste ihn nicht mal an, vermied jede Berührung, jeden körperlichen Kontakt. Er mochte das nicht und ich akzeptierte es. Was ich nicht so hinnahm, war, dass er nie etwas von sich zu Hause erzählte. Er blockte alle Fragen in dieser Richtung sofort ab, aber ich gab nicht auf. Eine Chance sah ich noch, indem ich ihn mal zu mir einlud, vielleicht würde sich dann was ergeben.
Und es ergab sich was!
Da hatte ich heute Vormittag bei mir im Zimmer klar Schiff gemacht und was machte er – er nölte über meine Unordnung herum. Ich war total baff, aber ich konnte eine Einladung zu ihm damit herauskitzeln, das machte alles wieder wett.
Oh je, das Mittagessen musste der Horror für ihn gewesen sein. Meine Mutter war ja noch um Klassen schlimmer als mein Vater und triezte Jonas von vorne bis hinten mit Fragen.
Tja und als ich meinem Vergnügen oben im Zimmer dann Luft machte, passierte es doch. Schuld war eigentlich er, aber ich sollte mich doch wirklich besser unter Kontrolle haben. Jonas wollte mich abkitzeln wie mein Paps, aber das konnte ich nicht zulassen. Die Berührung seinerseits machte mich schon mehr als nervös, aber dann noch sein willenloses Kitzelobjekt zu sein, das ging nicht. So musste ich in meine Trickkiste greifen und ruckzuck lag er unter mir.
Oh man, diese Augen, dieses herrlich-süße Lächeln, dieser geile Körper unter mir, mehr als enger Kontakt – einer meiner vielen Träume wurde fast Wirklichkeit. Am liebsten hätte ich ihm meine Lippen auf seine gedrückt und ein gewisses Körperteil reagierte sofort. Sanft rieb ich mich an ihm und spürte, dass ihn das nicht kalt ließ. Genau diese Reaktion brachte mich aber wieder ins wahre Leben zurück und blitzschnell löste ich mich von ihm.
Man, war mir das peinlich. Und irgendetwas hatte es bei ihm auch ausgelöst, denn die Stimmung war im Eimer. Jonas schien sehr in sich gekehrt und wurde maulfaul. Das Kaffeetrinken mit meinen Eltern war zwar noch ganz nett, aber es läutete den Abschied ein.
Und dann war er weg.
Niedergeschlagen trottete ich in Küche. Hoffentlich meldete er sich morgen, so sicher war ich mir da nicht mehr. Ich hatte nach wie vor keine Telefonnummer von ihm und war somit immer auf einen Anruf von ihm angewiesen. Als ich die Küche betrat, lächelte mich meine Mutter an.
„Einen schönen Kerl haste dir da an Land gezogen“, hörte ich sie sagen. Verwundert sah ich sie an. Mein Vater grinste über beide Backen.
„Ach ja“, seufzte ich. Sie hatten doch keine Ahnung, wie schwer es mir fiel, gerade diese Zuneigung zu dieser absoluten Sahneschnitte nicht zu zeigen.
„Na ja, wenigstens scheint ihr euch gut zu verstehen“, kam jetzt von meinem Vater.
„Wenn er seinen Macho zu Hause lässt, ist er der beste Freund, den man sich wünschen kann“, erwiderte ich. Nun sah mich meine Mutter erstaunt an.
„Wieso, er schien doch ganz nett und war sehr höflich“, äußerte sie ihre Verwunderung.
„Christine, den Jonas, den du eben kennen gelernt hast, den gibt es so noch nicht lange!“, eröffnete ihr mein Paps.
„Aber von seinem zu Hause scheint er ja nicht so gerne zu berichten“, merkte meine Mam noch an. Mir war es, als würde über das Gesicht meines Paps ein Schatten fliegen, aber so schnell er gekommen war, war er auch wieder verflogen.
„Ich glaube, wir müssen dem Jungen noch Zeit lassen. Es war zu sehen, dass ihm die ganze Situation manchmal nicht behagte. Nein, das ist so nicht richtig..., dass ihm die ganze Situation unbekannt und ungewohnt war. Und du, mein liebster Sohn…“, wandte er sich dann an mich. Fragend sah ich ihn an.
„… friss den Kleinen nicht auf!“, grinste er mich an.
„So schlimm?“, seufzte ich.
„Aber da gibt es immer noch ein Problem – eigentlich DAS PROBLEM“, sagte ich resignierend. Meine Eltern sahen mich fragend an.
„Er ist nach wie vor nicht schwul!“
„Hm.“ – mein Paps.
„Aha.“ – meine Mam.
„Jaaa“, gab ich noch einmal zur Bestätigung von mir.
„Na ja, so unangenehm schien ihm dein Rumgeflirte und Angeschmachte nicht zu sein“, äußerte mein Vater etwas nachdenklich.
„Gib ihm Zeit, Darian“, ließ nun auch noch meine Mutter verlauten.
„Aber ich hab da noch so eine Idee. Kannst du mich mal Montagnachmittag im Theater besuchen kommen?“
Fragend sah ich sie an, denn solch ein Wunsch war eher selten. Meine Mutter arbeitete als Bühnengestalterin in einem kleinen Theater und sie mochte es nicht, wenn einer aus der Familie ihr auf die Finger schaute.
„Klar, wann soll ich denn da sein“, hakte ich dann doch noch verwundert nach. Sie schien kurz zu überlegen.
„So gegen 15 Uhr, das müsste passen.“
„Um was geht es denn“, war mein Vater jetzt auch neugierig geworden. Meine Mutter grinste geheimnisvoll.
„Das soll unser Sohnemann mal selbst sehen und sich ein Urteil bilden. Es ist schwer zu erklären. Vielleicht liege ich auch total daneben, aber irgendwie…“
„Okay.“
Der Tag floss dann eher zähflüssig dahin. Ich machte mir immer noch Vorwürfe, dass ich meine Gefühle wieder mal nicht unter Kontrolle hatte. Zum Glück meldete sich Jonas am Sonntag und schien so normal wie immer. Und das Schönste war, er bestätigte seine Einladung am Dienstag nach der Klettertour noch mal. Begeistert klang er nicht, als das Thema aufkam, aber versuchte sich auch nicht rauszureden.
Am Montag gegen 15 Uhr traf ich dann bei dem kleinen Theater, in dem meine Mutter arbeitete, ein. Zielstrebig nahm ich den Weg hinter die Bühne. Ich bog um die letzte Ecke und knallte mit etwas zusammen. Schnell umschlang ich das menschliche Geschoß, das auf mich geprallt war und konnte somit einen Sturz vermeiden.
„Umpf“, hörte ich auf Höhe meiner Brust und schob die Person von mir. Jetzt traf mich der geistige Hammer, denn ich sah in wunderschöne dunkelbraune Augen, die mir seltsam bekannt vorkamen.
„Was gaffste denn so?“, blaffte mich der Besitzer dieser Augen an. Diese nahmen einen trotzigen Ausdruck an, jetzt fielen ihm auch noch halblange blonde Strähnen ins Gesicht. Ich war vollkommen von der Rolle, vor mir stand
JONAS!!!
Nur war diese Ausgabe um einiges jünger, ich schätzte ihn so auf 10 oder 11 Jahre und dementsprechend frech war er auch.
„Könntest du nun endlich aus dem Weg gehen, hast mich schon lange genug aufgehalten“, grummelte der Kleine und weg war er. Man, das Kerlchen sah wie ein Zwilling von Jonas aus, sogar dessen große Klappe hatte er. Total durcheinander betrat ich den Raum, in dem meine Mutter meistens arbeitete. Sie hatte sich über eine Gipsfigur gebeugt.
„Hey“, brummte ich immer noch in Gedanken. Meine Mutter musterte mich kurz.
„Ach biste unserem neuen Hauskobold schon begegnet. Er war ja eben bei mir“, lächelte sie mich an.
„Der…, der sieht…, sieht aus, wie…“, stotterte ich los.
„Jonas!“, schloss meine Mam den Satz.
„Ja, was denkst du denn, wie irritiert ich war, als du ihn mir am Samstag das erste Mal vorgestellt hast“, offenbarte sie mir.
„Die Ähnlichkeit ist so verblüffend, dass es irgendeinen Zusammenhang geben muss. Deshalb war ich auch so neugierig über seine Familie, aber er hat ja nichts erzählt“, seufzte sie.
„Wer ist der Kleine?“
„Hm, das klein würde ich ganz schnell wieder streichen, sonst macht Dir der „Kleine“ fix die Hölle heiß“, lächelte sie mich an.
„Er ist der Jüngste unseres neuen Intendanten und heißt Lars.“
„Sein Vater arbeitet hier?“
„Ja und er ist gut. Er kommt von einem großen Theater aus Süddeutschland und hatte wohl Lust, mal was anderes zu machen. Der bringt die ganze Truppe hier ganz schön auf Zack. Seine Familie beziehungsweise seine Kinder sind häufig hier, da seine Frau wohl eine sehr beschäftigte Ärztin ist und er sich um sie kümmert. Ein echt lustiger Haufen und Lars hat seine Geschwister voll in Griff, wobei …“, unterbrach sie sich auf einmal und dachte angestrengt nach. Dann schien sie ihren Gedanken zu verwerfen und wandte sich wieder ihrem Kunstwerk zu.
„Schau, dass ist auch so eine seiner Ideen“, meinte sie und zeigte auf den halbfertigen Gipsklumpen.
‚Hm, das Ding war nur zum Teil in seiner Form schon ausgebildet. An den Enden sah es nach Griffen aus. Es erinnerte mich an irgendein Küchengerät, aber ich kam einfach nicht drauf‘, grübelte ich und gab meine Überlegungen mit einem Schulterzucken preis.
„Ein Nudelholz“, grinste meine Mutter.
„Ich muss für die Bühne zwei dieser Dinger überdimensional als Requisite herstellen. Das neue Stück heißt ‚Das vererbte Nudelholz‘“, erklärte sie mir und lachte sich fast kaputt.
„So eine durchgeknallte Komödie habe ich noch nicht gesehen, aber den Darstellern gefällt sie. Es geht um ein Nudelholz, das von der Oma an ihre Enkeltochter vererbt wird. Jedoch beinhaltet dieses ausgehöhlte Nudelholz das ganze Erbe, was keiner so recht weiß. Okay, ich will dir nicht alles erzählen, denn zu dem Stück schleppe ich dich und deinen Vater eh“, fuhr sie fort, als sie wieder etwas Luft geschnappt hatte.
„Komm mal mit. Ich glaube, du solltest Holger kennen lernen“, murmelte sie dann und stiefelte zur Tür. Erstaunt sah ich sie an.
„Holger?“
„Ja, der Vater von Lars und vielleicht auch von …“, antwortete sie mir. Im Saal schaute sie sich kurz um und strebte dann zielsicher auf eine Gruppe in der dritten Reihe zu. Je näher wir kamen, desto mehr erkannte ich einen Mann Mitte der Vierzieger und drei Kinder, die ihn umschwärmten.
„Holger?“, hörte ich meine Mutter fragen, als wir uns auf wenige Schritte der Ansammlung genähert hatten. Der Mann drehte sich um.
„Ja, Christine.“
Das musste einfach sein Vater sein, die Ähnlichkeit war so überwältigend, dass mir wohl der Mund vor Staunen offen stehen blieb. Das blieb natürlich nicht unbemerkt und der kleine blonde Kobold von vorhin kicherte leise vor sich hin.
„Das ist mein Sohn Darian und auch wenn er jetzt ein wenig belämmert aus der Wäsche schaut, ist er normalerweise ein aufgewecktes Bürschchen“, stellte meine Mutter mich vor. Holger lächelte leicht.
„Dass dieser junge Mann dein Sohn ist, war unschwer zu erkennen. Ein wirklich hübscher Kerl, wie ich leider nicht nur alleine festgestellt habe“, grinste er spitzbübisch und seine Augen hafteten da auf einem jungem Mädchen etwa in meinem Alter, dass neben ihm saß. Zwei junge Menschen bekamen eine knallrote Birne – zum Ersten natürlich ICH und dann noch die junge Dame. Diese ließ ihren Blick sinken, beobachtete mich aber aus den Augenwinkeln. Daneben saß noch ein Junge, auch etwa in unserem Alter, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Mädchen aufwies.
„Vati“, grummelte dann auch dieser und sah seinen Vater vorwurfsvoll an.
„Oh, wie unhöflich von mir. Also Darian, ich bin der Holger und das sind meine Kinder Klara und Dominik, die Zwillinge sind und somit ein verschworener Haufen und das ist mein Jüngster mit Namen Lars, der alle mehr als in Griff hat!“, erklärte er und griente über beide Backen.
Ein dreistimmiger Ausbruch in Form eines langezogenen „Vaaaaaattttttttiii“ war die Folge. Okay, Lars konnte man ohne Bedenken Holger als Sohn zuordnen, aber die anderen Kinder hatten nicht sehr viel Ähnlichkeit mit ihm. Und bevor ich mich versah, war ich in diesem Haufen mit eingebunden. Meine Mutter ließ mich wissend grinsend zurück und widmete sich wieder ihrer Arbeit.
Oh man, das war eine Chaotentruppe. Eigentlich sollten seine Kinder die Hausaufgaben machen, aber sie wurden auch in die Beurteilung des Stückes mit eingebunden. Holger hörte sich ihre Meinungen geduldig an, führte mit Dominik sogar kleine Streitgespräche, aber eins merkte man sofort. Er liebte seine Kinder und sie liebten ihn und hatte einen riesigen Respekt vor ihm. Der Anstrengendste war aber Lars – ein Wirbelwind und nach ein paar Minuten irgendwie auf mich fixiert. Er ähnelte Jonas in so vielen Sachen, dass es mir manchmal einen Stich gab – vor allem sein herzhaftes Lächeln mit den kleinen Grübchen war eine vollendete Kopie. Na ja und Klara flirtete mit mir. Sie war wirklich genauso alt wie ich und ich war ihr wohl ein willkommenes Opfer. Lars verdrehte ein paar Mal genervt die Augen und Dominik lächelte still in sich rein. In diesem ganzen Durcheinander fasste ich einen Entschluss.
Gegen 19 Uhr musste ich mich dann wieder auf den Weg nach Hause machen. Meine Mutter war schon gegangen und so trat ich den Rückweg alleine an. Kurz vor der Ausgangstür passte mich dann noch einmal Holger ab.
„Mein lieber Darian“, grollte er. Ich sah ihn erschrocken an und wenn ich nicht den Schalk in seinen Augen hätte blitzen sehen, wäre mir wohl ganz anders geworden, denn er spielte die Rolle ziemlich perfekt.
„Ja?“, fragte ich schüchtern, was er konnte, sollte mir doch auch gelingen.
„Meine Tochter sollte für dich aber tabu sein“, knurrte er weiter.
„Aber ich habe sie doch gar nicht angefasst“, gab ich weinerlich von mir. Das brachte dann doch das Fass zu überlaufen und wir mussten beide herzhaft loslachen.
„Willst du nicht in unserer Theatergruppe einsteigen. Talent scheinst du zu haben und die Frauen liegen dir eh zu Füßen, wie ich an meinem eigenen Fleisch und Blut sehen konnte“, grinste er mich an.
„Nein, ich glaube nicht, dass da meine Zukunft liegt und das mit den Frauen…“, den Rest verschluckte ich.
„Holger, darf ich dich was fragen?“, versuchte ich vorsichtig mal einen Vorstoß.
„Ich glaube, du hast über den Nachmittag sehr wohl mitbekommen, dass du fast alles fragen kannst“, antwortete er mir.
„Hast du noch einen Sohn?“, fragte ich ihn nervös.
„Ja“, kam seine schnelle Antwort.
„Maximilian studiert und ist 21. Er kommt nur noch selten ins Theater, aber er ist ja in München geblieben, somit wäre das auch ´ne beschwerliche Anreise“, grinste er mich schelmisch an.
So schnell mein Herz bei seinem „Ja“ auch angefangen hatte zu schlagen, so schnell hörte das auch wieder auf. Aber ich gab nicht so leicht auf.
„Und hast du noch einen …“, murmelte ich. Sein Lächeln blieb, aber seine Augen verfinsterten sich.
„Darian, komm gut nach hause“, verabschiedete er mich sehr abrupt und ohne mir eine Antwort zu geben, verschwand er wieder.
‚War das jetzt ein Ja?‘, überlegte ich. Den Entschluss, den ich vorhin gefasst hatte, wollte ich nun unbedingt in die Tat umsetzen.
Mein Wiedersehen mit Jonas am Dienstag war unspektakulär. Wir taten einfach so, als hätte es die letzte Stunde bei mir zu Hause gar nicht gegeben. Er wurde beim Klettern immer besser, wobei ich ihn heute öfter dabei erwischte, wie er mich heimlich beobachtete. Seine Einladung zu sich nach Hause erwähnte er mit keinem Wort und ich wollte mich schon damit abfinden, dass es wohl doch nichts werden sollte, da schnappte er sich mein Fahrrad und schob es in Richtung S-Bahn. Je näher wir seiner Wohnung kamen, desto nervöser wurde er.
Okay, hier war ich noch nie. Ich kannte zwar Plattenbauten, aber eher vom Hörensagen als real. Die Grünflächen waren meistens runtergetrampelt, Müll lag auch hier und da rum, die Spielplätze waren runtergekommen – irgendwie sah alles ziemlich deprimierend aus. An einer beschmierten Haustür machen wir halt und Jonas schloss mir auf. Wir stiefelten die Treppe hoch und im dritten Stock holte er wieder die Schlüssel raus. Mir war so, als würde er einmal tief einatmen und sich wappnen. Schweigend wies er in den leeren Flur und ich trat ein.
„Haste den Schnaps mitgebracht“, hörte ich aus einem Zimmer am Ende des Flurs eine weibliche Stimme krähen.
„Im Kühlschrank ist noch eine“, antwortete Jonas hinter mir genervt.
„War, da war eine“, kam es zurück und die Stimme hatte einen leicht lallenden Zungenschlag.
„Scheiße“, zischte Jonas, der sich jetzt zügig an mir vorbeidrückte. Langsam folgte ich ihm.
„Bevor ich keinen Neuen habe, kannst Du gleich wieder verschwinden“, hörte ich noch, als ich auch in das Zimmer trat. Aus der höhnischen gehässigen Grimasse wurde sofort ein sanftes Lächeln, als sie merkte, dass Jonas nicht alleine war.
„Ach, du hättest mir ja ruhig sagen können, dass du Besuch mitbringst“, säuselte sie auf einmal. Ich musterte die Frau, die so Anfang 40 war. Sie hatte ein verlebtes Gesicht und war bestimmt mal eine recht hübsche Frau gewesen. Jetzt konnte man erkennen, dass sie dem Alkohol sehr oft zusprach.
„Jonas, mein Schatz willst du mir deinen Freund nicht vorstellen“, forderte sie ihren Sohn auf. Die aufgesetzte Freundlichkeit erkannte ich sofort als verdammt falsch. Irgendwie sah ich, dass zwischen den beiden eine tiefe Abneigung stand, wenn nicht sogar Hass. Woran das lag, konnte ich nicht sagen. Vielleicht, weil ich Jonas nun schon ziemlich gut kannte und sofort spürte, wenn sich mein heiß begehrter Boy unwohl fühlte.
„Darian, meine Mutter“, murmelte Jonas.
„Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich doch dein Zimmer etwas besser aufgeräumt“, lächelte sie auf eine Art und Weise, dass ich die Gehässigkeit sofort erkannte. Jonas versteifte sich bei den Worten sogleich und sackte etwas in sich zusammen.
„Vielleicht solltest Du mit ihm zusammen das Abendbrot einkaufen gehen“, forderte sie ihn noch auf, als er wieder zur Tür schritt. Jonas hatte nur diese drei Worte meiner Vorstellung gesprochen, ansonsten blieb er einfach still. Ich folgte ihm zu einer Tür, die er vorsichtig aufstieß. Jetzt sackte er vollends in sich zusammen, sein Gesicht wandelte sich und der alte Jonas gewann langsam wieder die Oberhand. Als ich in der Tür stand, durch die er nun durchgegangen war, sah ich ein Zimmer im totalen Chaos. Alles, aber wirklich auch alles war durcheinandergeworfen, sogar der Kleiderschrank war ausgeräumt und der Inhalt lag verstreut am Boden. Fahrig räumte er ein paar Sachen von einem Stuhl und wies auf ihn, damit ich mich setzen konnte.
„Entschuldige“, murmelte er und sah mich dabei nicht an. Mir tat es weh, ihn so leiden zu sehen.
„Komm, lass uns einkaufen gehen“, schlug ich ihm vor. Fast zu schnell stürmte er an mir vorbei und war schon zur Haustür raus. Laut krachend schlug sie dann hinter mir ins Schloss. Immer noch schwieg Jonas.
„Jonas?“, fragte ich ihn vorsichtig.
„Waaas?“, grummelte er mürrisch.
„Kann ich dich für morgen wohin einladen?“, ließ ich mich nicht beirren.
„Wenn das auch so eine fantastische Idee ist, wie die, mich mal zu besuchen, dann vergiss es!“, zischte er mich an.
‚Huch, war ich jetzt sein Feindbild geworden‘, durchfuhr es mich und ich fand meine Idee wirklich aberwitzig. Der kurze Besuch bei ihm zu Hause hatte ihn wieder in den Machoarsch verwandelt. Wenn er jedes Mal diese Transformation durchmachte, wie schwer war es für ihn, diese zwei Leben zu führen?
„Okay, dann nicht“, antwortete ich ihm überheblich. Meistens hatte ich mit meiner arroganten Art ja die Chance, ihn wieder aus seiner Machoscheiße herauszureißen, nur jetzt blieb er ruhig. Heute fühlte ich mich jedoch schuldig daran, dass er wieder so war.
„Entschuldige, Jonas“, flüsterte ich.
„Wofür?“
„Das ich unbedingt zu dir nach Hause wollte“
„Nun hast du ja meine liebe Frau Mama kennengelernt – zufrieden?“, fragte er zynisch.
„Jonas?“, bat ich ihn.
„Was willst du denn noch? Es kann nicht jeder so eine fantastische Familie haben wie du“, fauchte er mich an. Er sah gehetzt aus und schien vollkommen von der Rolle. Da war nicht nur dieser obercoole Macker zu sehen, nein er schämte sich.
„Komm mich nie, hörst du, nie wieder besuchen!“, schrie er mich fast an, seine Augen flackerten unruhig.
„Bitte“, schob er flehentlich hinterher. Diese wunderschönen herrlichen braunen Augen schimmerten feucht und wie hätte ich ihm diese Bitte abschlagen können. Zustimmend nickte ich ihm zu, so schwer mir dies auch fiel, denn ich wollte ihn und alles was ihn betraf kennenlernen.
„Devil, bitte geh nach Hause. Ich muss mich um die und um das da kümmern“, murmelte er und nickte unbestimmt in die Richtung seiner Wohnung.
„Ok, cu“, flüsterte ich traurig, schnappte mir mein Rad und stieg auf.
„Und morgen schauen wir mal, ob deine anderen Ideen mehr hergeben“, sagte er noch zum Abschied und lächelte mir ein wenig verschämt zu.
‚Tja, das würde ich mal so nicht behaupten‘, kam mir in den Sinn.
Und nun standen wir hier.
„Wo sind wir?“, fragte mich Jonas neugierig. Er hatte sich wieder total gewandelt und war die positive Energie pur.
„Meine Mum arbeitet hier“, murmelte ich nervös. Mir persönlich ging es hundeelend und je näher der Moment der Wahrheit kam, desto schlechter wurde mir.
„In einem Theater“, fragte er verblüfft.
„Ja, sie ist Bühnenbildnerin“
Mit einem Seufzen stieß ich die Nebeneingangstür auf und betrat mit ihm das Theater. Wir befanden uns gleich im Saal und die kleine Familie hatte sich wieder weiter vorne niedergelassen. Ich sah Holger und die beiden Zwillinge, der kleine Wirbelwind war nicht zu sehen.
„Dariaaaaaaan“, krähte es schon hinter mir und ich drehte mich um. Der Lauser kam den Seitengang hinuntergesaust und grinste über beide Backen. Ich merkte die Bewegung leicht hinter mir, denn Jonas hatte sich nun auch zu dem Schreihals gewandt. Und die Reaktion war nicht sehr überraschend. Lars blieb plötzlich stehen und bestaunte meinen Nebenmann – Jonas zog scharf die Luft ein.
„Du…, du… siehst ja…, ja… aus wie ich“, stotterte der Kleine.
„Devil“, hörte ich Jonas leise warnend grollen. Jetzt galt es, Augen zu und durch.
„Jonas, komm bitte mit, ich möchte dir jemanden vorstellen“, flüsterte ich mit zittriger Stimme. Dieser war viel zu sehr verblüfft als sich zu wehren. Die Entscheidung wurde uns aber auch eher abgenommen, denn Lars stürmte an uns vorbei und rief:
„Vati, Vati, schau mal.“
Dieser drehte sich in seinem Stuhl um und sah uns verwundert an. Da es hier recht dunkel war, dauerte es eine Weile, bis er uns richtig erkannte.
„Ach Darian, du bist es und wen hast du uns da noch …“ Mitten im Satz brach er ab und wurde kalkweiß.
„Jonas“, flüsterte er mit ganz leiser, tonloser Stimme. Die Zwillinge spürten, dass etwas nicht stimmte und schauten ihren Vater alarmiert an.
„Du blöder Arsch“, zischte Jonas neben mir. Er hatte seine Augen auf Holger gerichtet, aber seine Worte waren an mich gewandt, denn seine Hand hatte sich in meinen Oberarm gekrallt.
„Du kleine, miese Schlange“, knurrte er weiter, seine Stimme schlug um und er murmelte traurig, „und ich hatte dir vertraut. Warum machst du so was?“, dabei schaute er mich anklagend an.
„Weil ich dich liebe“, flüsterte ich so leise, dass nur er es verstehen konnte. Seine Augen leuchteten kurz auf, dann verschloss sich seine Mine und seine Mundwinkel verzogen sich verächtlich.
„Fick Dich“, waren die letzten Worte, die ich von ihm hörte und er stürmte dem Ausgang entgegen. Meine Beine gaben nach und ich musste mich an einem Stuhl festhalten. Ich merkte, dass ich am ganzen Körper zitterte und sank unendlich traurig auf diesen Stuhl. Wie durch einen Nebel hörte ich Holger.
„Kinder, lasst mich mal bitte mit Darian alleine.“ Ich hörte zwar ein ablehnendes Gemurmel, aber Sekunden später waren wir alleine. Im Moment war ich immer noch nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, vielmehr beherrschte eine Überlegung mich total.
‚Jetzt hast Du ihn endgültig verloren!‘ Und diese Endgültigkeit dieser Aussage war so real, dass ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Nach einer Weile wurde mir bewusst, dass ich ja nicht alleine hier herumsaß und hob meinen verschleierten Blick, Holger sah mich sehr, sehr traurig an, richtete aber nicht das Wort an mich.
„Bist du mir böse?“, fragte ich ihn vorsichtig, denn auch ihn hatte ihn ja mit etwas konfrontiert, ohne vorher etwas anzudeuten.
„Ich …? …. DIR…?“, beantwortete er meine Frage mit einer Gegenfrage.
„Die Trauer und den Schmerz, den du gerade spürst, hätte mich vor über zwölf Jahren fast in den Wahnsinn getrieben und ist nun mit ganzer Macht zurückgekehrt…“, murmelte er, schüttelte aber dann leicht den Kopf, „nein, eigentlich war er immer in meinem Herzen gefangen und meldete sich ab und an mal, wenn ich Lars beobachtete.“
„Also ist Jonas...“, versuchte ich die ultimative Frage zu stellen.
„…mein Sohn?“ Holger ließ diese zwei Worte fragend im Raum stehen. Fast wollte ich meine Frage wiederholen, denn er schien so in sich gekehrt, als wenn er alles um sich herum vergessen hätte.
„Oh ja, das ist er.“ Dann erzählte er mit stockenden Worten, dass er damals im Sorgerechtprozeß nicht die Spur einer Chance hatte, da er in seiner Verzweiflung, Jonas zu verlieren, alles falsch machte, was falsch zu machen war, vom falschen Anwalt über ein Sich-Gehen-Lassen bis hin zur überstürzten Flucht nach Süddeutschland als sich das Ende und das Ergebnis des Prozesses abzeichnete. Man untersagte ihm jeglichen Kontakt zu seinem eigenen Sohn, nur die Alimente durfte er schön regelmäßig auf ein Rechtsanwaltskonto bezahlen. Nach einem Jahr hatte er dann seine jetzige Frau kennen gelernt, die als allein erziehende Mutter ihre Probleme mit den Kindern hatte. Holger versuchte, das Vertrauen von ihren Kindern zu gewinnen, er versuchte, ihnen der Vater zu sein, der er für Jonas nicht sein konnte. Nach großen Anfangsschwierigkeiten gelang dies und er liebte sie bald wie seine eigenen Kinder. Und dann kam Lars. Er war seinem Stiefbruder, den er gar nicht kannte, nicht nur äußerlich sehr ähnlich, sondern glich ihm in Vielem. Und je älter er wurde, desto größer wurde Holgers Sehnsucht nach Jonas.
„Deshalb, lieber Darian, sind wir eigentlich nur nach Berlin gekommen. Jonas Spur, die ich vor Jahren mal verfolgt hatte, verlor sich in Potsdam und ich wusste, dass ich mit der Suche nur hier anfangen konnte.“
„Weiß denn deine Familie gar nichts über ihn?“, formulierte ich die Frage, die mir schon eine Weile auf der Zunge brannte.
„Doch, Susanne weiß alles. Nur den Kindern habe ich bisher nichts gesagt.“
„Tja, nun sind wir schon über ein halbes Jahr hier, haben uns so langsam ein wenig eingelebt und seit zwei Monaten suche ich nun intensiv nach irgendeinem Lebenszeichen von ihm und dann…“, unterbrach er sich und schaute mich prüfend an. Unter diesen bohrenden Blick schrumpfte ich noch ein wenig zusammen.
„…kommst du heute Nachmittag einfach so hereinspazierst und offerierst mir meinen verloren geglaubten Sohn“, beendete er seine Überlegungen. Müde wischte er sich mit der Hand über die Augen und seufzte.
„Ja, das war eine meiner schlechtesten Einfälle, die ich hatte“, flüsterte ich total niedergeschlagen.
„Warum?“, hörte ich Holger nun verwundert fragen.
„Du hast doch seine Reaktion gesehen. Er ist wieder zum absoluten Arsch mutiert, dabei…“, erschrocken brach ich ab. Fast hätte ich meine Liebe zu Jonas seinem leiblichen Vater gebeichtet. Dieser sah mich jetzt forschend an, dann stahl sich ein kleines Lächeln in sein Gesicht.
„Und ich Trottel dachte, dass Jonas wegen mir Hals über Kopf abgehauen sei“, murmelte er mehr in Gedanken, dann versteifte er sich kurz und musterte mich nun noch intensiver.
„Kann es sein, dass er sich aus seinen Eltern nichts macht?“ Schweigend bestätigte ich seine Vermutung mit einem Kopfnicken.
„Kann es sein, dass Jonas für dich ein wenig mehr als ein Freund ist?“, hörte ich ihn lauernd fragen.
Ich schrumpfte noch ein wenig, schaute verlegen zu Boden, aber mein Kopf nickte automatisch.
„Kann es sein, dass der liebe Herr Teufel gar nicht hinter meiner Tochter, sondern hinter einem meiner Söhne her ist?“ Die Stimme war noch ein wenig tiefer geworden.
Ich konnte gar nicht weiter in mich hineinschrumpfen, aber das Nicken konnte ich ebenso wenig lassen.
„Kann es sein, dass mein Ältester noch gar nicht weiß, dass er schwul ist?“, fragte er nun sehr leise. Zuerst wollte ich nicken, aber als mir die Bedeutung seiner Worte bewusst wurde, schoss mein Kopf nach oben und ich schaute Holger erstaunt an. Jedoch bevor ich eine Frage stellen konnte, schüttelte er leicht seinen Kopf.
„Nein, Darian, ich weiß es nicht, wie denn auch. Ich habe meinen Sohn heute nach mehr als zwölf Jahren das erste Mal wiedergesehen. Aber vielleicht spürt man so was ja als Elternteil oder es war der Blick, mit dem er dich vorhin durchbohrt hat. Du scheinst ihm sehr wichtig zu sein, wie und in welchem Maße, das musst du allein herausfinden.“
„Was wirst du jetzt machen?“, fragte ich ihn stockend.
„Ich?“
„Na ja, nach dem du ihn nun gefunden hast“, erklärte ich meine Frage.
„Mich mit meiner Familie beraten, Erkundigungen einziehen und sehr vorsichtig vorgehen. Ich kann mich jetzt nicht auf einmal als Jonas´ Vater aufspielen, aber ich kann versuchen, ihn kennenzulernen. Deshalb möchte ich dich bitten, Jonas nicht weiter in der Sache zu bedrängen. Wenn er nur die Hälfte meines Dickschädels geerbt haben sollte, dann würde ein Bedrängen in der ultimativen Katastrophe enden!“
„Die Hälfte? Ich vermute eher, das Doppelte!“, seufzte ich.
Nach diesen Worten trennten wir uns, und ich musste in den nächsten zweieinhalb Wochen noch oft an meinen letzten Satz zurückdenken.
Jonas meldete sich in dieser Zeit nicht einmal. Auf dem Schrottplatz hatte er gekündigt und ich erwischte mich ein paar Mal, wie ich um sein Zuhause schlich, ohne ihn einmal zu entdecken. Ich schien für ihn gestorben und das wohl endgültig. Meine Eltern waren in dieser Angelegenheit sehr geteilter Meinung. Meine Mutter fand es gut, was ich versucht hatte. Jedoch mein Vater explodierte förmlich, als ich ihm davon erzählte. Fast eine Woche redete er mit mir nur das Nötigste. Da ich dies nicht gewohnt war, denn wir diskutierten immer alles aus, stellte ich ihn zu Rede.
„Wo war Jonas als du ihn kennengelernt hast?“, fragte er mich streng. Ich musste schlucken.
‚Als ob ich das nicht wüsste!‘
„Bei dir auf dem Polizeirevier“, antwortete ich trotzig.
„Und wo glaubst du, landet er nach deinem Vertrauensbruch nun wieder?“, warf er mir in einem ganz leisen und äußerst vorwurfsvollen Ton an den Kopf. Dabei sah er mich traurig an und ging ohne ein weiteres Wort aus meinem Zimmer.
Okay, ich hatte mich schon vorher auf Grund meines Einfalls beschissen gefühlt, aber nun? In diesem Augenblick wurde mir erst richtig bewusst, welche Verantwortung ich da getragen hatte. Die nächsten Tage ging es mir noch schlechter als davor. Zum Glück hatte mein Vater wohl ein Einsehen und redete wieder mit mir. Er ging sogar soweit, dass er sich mit Holger traf und ihn über das, was er sagen konnte, informierte.
Und ich – ich vermisste Jonas schrecklich. Immer wieder träumte ich von seinen herrlichen Augen und seinem herzhaften Lachen. Die letzten Tage war ich fast jede freie Minute im Theater, um die Zeit mit Lars zu verbringen – wenn ich ihn sah, dann musste ich an meinen blonden Engel denken….
Hm, die Kletterei hatte heute doch länger gedauert. Kurz zu Hause angerufen und Paps wollte in einer halben Stunde hier sein. Ich machte noch einmal einen Kontrollgang durch die Halle, die Türen waren alle abgeschlossen und es sah aufgeräumt auf. Okay, in zehn Minuten war er da, somit verließ ich die Halle durch einen Nebeneingang. Schöne laue Sommerluft empfing mich, ich liebte die langen hellen Sommerabende. Die trüben Gedanken waren für einen Augenblick vergessen. So langsam dämmerte es schon. Gemütlich schlenderte ich zur Strasse, als ich hinter mir ein kleines Geräusch hörte.
„Ah, da ist ja unsere Kletterschwuchtel“, zischte jemand aus dem Schatten der Halle. Schnell drehte ich mich um. Ich hatte die drei Südländer aus Jonas´ Kurs vor mir. Der Eine schwang eine Art Knüppel und sie sahen nicht so aus, als wollten sie mit mir plaudern. Das Verhältnis mit 3:1 war mehr als ungesund – ich hatte nur eine Chance, wenn ich schnell war.
„Habt ihr euch verlaufen?“, fragte ich gehässig, wütend kämpfte man unüberlegt. Der kleine Anführer lachte zynisch.
„Jetzt bringen wir dir mal Manieren bei. Mit mir spielt keiner ungestraft Spielchen“, bei diesen Worten gab er dem Typen mit dem Knüppel einen Wink und der sprang auf mich zu.
Hm, das war einfach. Mit einem Schulterwurf, kurz eindrehen und schon lag er. Fallen konnte er auch nicht, denn er schlug sehr unsanft auf und blieb erst mal benommen liegen. Dabei verlor er seinen Schläger. Das brachte den Zweiten auf den Plan. Schön, dass er einen Schrei ausstieß, da wusste ich, wie schnell und aus welcher Richtung er auf mich zu kam. Ich duckte mich unter ihm weg und fegte mit einer großen Aussenfußsichel seine Beine weg. Leider fiel er nicht so günstig und ich musste nachsetzen. Schnell einen Armhebel angesetzt und der Typ fing an zu wimmern. Ein klein wenig Euphorie machte sich bei mir breit.
Zu früh gefreut…
Aus der Ferne hörte ich jemanden rufen, aber das wurde unterbrochen von einer Stimme hinter mir.
„Feierabend, Schwuchtel“, hörte ich es krächzen und dann fühlte ich einen Schlag und dunkel wurde es.
Jonas
‚WAS fiel Darian bloß ein?‘ Dieser Gedanke hämmerte in meinem Schädel, als ich aus dem Theater stürzte. Zuerst dieser äußerst beschissene Nachmittag, an dem meine „liebe“ Mutter mich dermaßen demütigte, dass ich hätte kotzen könnte. Darian machte ja einen auf verständnisvoll, aber ich wollte sein Mitleid nicht.
Eigentlich war er ja selbst schuld – er wollte doch unbedingt meine Mutter kennenlernen!
Was konnte ich denn dafür, dass er in einer heilen Familienwelt groß geworden war. Mein Leben ist nun mal beschissen und das hoch drei. Und ich dachte, ich hätte ihm klar gemacht, dass meine Familie tabu war.
Und nun das.
‚Man, ich hatte einen Bruder‘, durchfuhr es mich. Und der Alte machte auch einen ganz manierlichen Eindruck, nur jetzt nach 17 Jahren brauchte er auch nicht angekleckert zu kommen.
Was fiel der blöden Schwuchtel eigentlich ein, mich so bloßzustellen?
Ich strich Darian aus meinem Kopf. Damit er mir nicht wieder auf dem Schrottplatz auflauern konnte, kündigte ich den Job da. Es tat mir zwar weh, aber ich wollte einfach neu beginnen…
…ich konnte nicht. Immer wieder sah ich Darian vor mir.
Ich hasste ihn!
Er fehlte mir! Verdammt, was waren das für blöde Gedanken. Ich stand nicht auf Kerle, aber je mehr ich mir das immer wieder einredete, desto unglaubwürdiger klang es.
Ich wollte und brauchte ihn als Freund, aber nur als solchen. Wenn er in mich verknallt war, war das sein Problem. Zugegeben, die Zeit mit ihm hatte was, so einen Typen hatte ich bisher nicht kennengelernt und er tatschte mich nicht an, auch wenn ich manchmal sein Verlangen spürte. Er vermied es eher wie die Pest.
Und dann hatte er mir im Theater zum zweiten Mal seine Liebe gebeichtet. Auf dem Schrottplatz hatte ich das nicht so ernst genommen, aber in diesem Saal da, da ging mir das näher als meinen leiblichen Vater nach vielen Jahren wieder zu sehen. Das hatte mich stärker aus den Socken gehauen, als alles andere bisher.
Die nächsten Tage verbrachte ich nur mit Grübeln. Wälzte die Gedanken von einer Gehirnecke in die andere. Jetzt erst merkte ich, wie sehr wir uns nahe gekommen waren. Mir fehlten unsere Gespräche oder einfach nur sein Lächeln. Er hatte sich einfach so in mein Leben hineingeschlichen und ich genoss es in vollen Zügen. Meine ganzen Überlegungen mündeten in einer Feststellung.
Wir mussten reden!
Ich wusste, dass Darian am Donnerstag immer ziemlich lange beim Klettern war und machte mich auf den Weg.
Und worüber wir reden würden, war mir auch klar. Was er vor über zwei Wochen abgezogen hatte, war absolute Scheiße – ich hatte ihn nicht darum gebeten, meinen Vater zu suchen. Er sollte es lassen, sich massiv in mein Leben einzumischen.
Mein Leben nahm ich selbst in die Hand. Und das würden wir heute klären so oder so, entweder er hielt sich dran oder unsere Wege trennten sich.
Ja, so machten wir es und ich bog mit Schwung um die Ecke. Von weitem sah ich eine Gruppe von vier Personen, die mir irgendwie bekannt vorkamen. Die einzelne Person war Devil, aber die anderen drei kannte ich ebenso. Auf einmal sprang der eine auf Devil los und der Kleine warf ihn elegant über die Schulter auf den Boden.
Wow, war er gut. Katzenhaft glitt er zurück, bückte sich und fegte dem Zweiten die Beine weg, so dass dieser auch zu Boden ging. Leider reichte das wohl nicht und irgendwie tackerte er den am Boden fest. Ich fing automatisch an zu laufen, denn der Dritte hatte den Knüppel des Ersten aufgehoben und näherte sich Devil von hinten. Mittlerweile hatte ich in den Dreien die Südländer aus der Gruppe erkannt.
„Vorsicht“, schrie ich so laut ich konnte, aber dann sah ich den Knüppel wie in Zeitlupe auf Darians Kopf knallen. Ich war viel zu weit weg, um rechtzeitig eingreifen zu können. So sah ich Darian zusammensacken und spürte etwas Seltsames.
Ich hatte Angst!
Angst um diesen schwarzhaarigen Boy.
„Ihr verblödeten Schweine“, brüllte ich auf den letzten Metern. Der Zweite hatte sich unter Devil hervor geschoben und stand nun auch wieder.
„Schweine?“, grinste mich der Kleine höhnisch an.
„Das einzige Schwein ist der hier“, spie er angewidert aus und stieß Darian seine Fußspitze unsanft in die Seite.
„Lass das!“, zischte ich ihn eiskalt an.
„Ach, hatte ich ja ganz vergessen. Der Arschficker ist ja dein Freund, oder warte mal…“, unterbrach er sich kurz und musterte mich höhnisch.
„…durftest du deinen Schwanz mal in ihn versenken?“
Das ganze bescheuerte Gelabere ging an mir vorbei. Meine Augen waren auf Darian gerichtet und sahen eine rote blutende Stelle an seinem Hinterkopf.
‚Wenn ihm was passiert ist, dann…‘, durchfuhr es mich.
„Das werdet ihr büßen!“, knurrte ich kurz. Der Kleine sah sofort, dass es mir bitterernst war, drückte seinem Kompagnon den Knüppel in die Hand und schob ihn vor.
„Los“, gab er eine kurze Anweisung und brachte noch mehr Abstand zwischen uns. Die Sau war so was von feige, aber zuerst musste ich mich um Mister Knüppelschwinger kümmern. Da ich nun in Schlägereien nicht ganz unerfahren war, machte ich kurzen Prozess. Ein Volleyschuss mit seinen Eiern und ein Wischer an die Schläfe, die er mir nach meinem Tritt geradezu anbot und da war es nur noch einer. Dabei behielt ich immer ein Auge auf den Kleinen und das war gut so. Aus seinem Hosenbund wischte er ein Messer und ließ es geräuschvoll aufschnappen.
„So, verschwinde, oder du darfst deinem Fickschlitten in die Jagdgründe folgen“, zischte er.
„Schmeiß das Messer weg, oder ich verpass dir ne Gesichts-OP“, sagte ich ganz ruhig. Mir war eben klar geworden, mit welcher Absicht er den Knüppel auf Darians Kopf gedroschen hatte.
Er wollte ihn umbringen!
Diese Erkenntnis und dass er das Messer nicht wegwarf, ließ im wortwörtlichen Sinne bei mir eine Sicherung rausspringen. Er hatte nie eine Chance gehabt, aber das zu erkennen und vor allem einzugestehen, war er zu dumm. Mit einem schnellen Tritt beförderte ich das Messer aus seiner Hand. Seine erste Bewegung danach war, wieder zu seinem Messer zu kommen. Als er jedoch erkannte, dass ich ihm dieses nicht verwehren würde, hatte er wohl einen Geistesblitz und wollte sich zur Flucht wenden. Mit einer Fußsichel, nicht so elegant wie Devil holte ich ihn von den Beinen und saß im nächsten Augenblick auf seinem Oberkörper. Zuerst versuchte er, sich noch mit seinen Händen zu wehren, aber meine Schläge prasselten so schnell und stürmisch auf ihn nieder, dass die Gegenwehr nur kurz ausfiel. Ich wollte ihm seine verdammte Fresse blutig schlagen…
…kraftvoll hatten mich zwei Hände unter den Achseln gegriffen und zogen mich sanft aber bestimmt von dem Kerl fort. Wie eine Furie drehte ich mich um und wollte auf den neuen Widersacher losgehen. Diesem war ich jedoch nicht gewachsen, denn er hielt mich so geschickt in seinen Armen, dass ich mich kaum rühren konnte. Wie durch einen Nebel hörte ich.
„Jonas…, Jonas bitte nicht…, ich bin´s.“ Nicht die Worte, vielmehr die ruhige aber bestimmte Stimme brachten mich zurück in die Wirklichkeit. Hellgraue Augen schauten mich sorgenvoll an und ich erkannte Rainer vor mir. Fast gleichzeitig fiel sämtliche Wut von mir und machte meiner unterdrückten Angst Platz.
„Darian“, keuchte ich gequält auf und entwand mich Rainers starken Armen. Da lag der kleine schwarzhaarige Teufel und rührte sich nicht mehr. Vorsichtig kniete ich neben ihm nieder und sprach ihn an.
„Devil, Devil hörst du mich, bitte, bitte sag was“, flüsterte ich mit zittriger Stimme. Meine Hand fuhr durch sein kurzes Haar und ich spürte die klebrige Flüssigkeit sofort.
‚Scheiße, er blutete stärker, als es den Anschein hatte‘, durchfuhr es mich eiskalt. Derweil hatte sich Rainer ebenfalls zu seinem Sohn gekniet und fühlte seinen Puls.
„Bewusstlos“, murmelte er, griff nach seinem Handy und rief einen Notdienst. Als ich Darian in meine Arme nehmen wollte, irgendwas schrie danach, hinderte er mich dran und legte seinen Sohn in eine stabile Seitenlage. Mir blieb nichts anderes übrig, als eine Hand von ihm zu greifen und ihn zu betrachten.
‚Warum hatte ich nicht einmal Glück in meinem beschissenen Leben?‘, fragte ich mich verzweifelt. Der Krankenwagen war schnell da und nach einer kurzen Untersuchung schnallten sie Darian auf eine Liege. Rainer sorgte dafür, dass ich mit im Krankenwagen fahren durfte und er folgte uns mit seinem Wagen. Im Krankenhaus musste ich dann seine Hand loslassen, die ich verzweifelt die ganze Zeit umklammert hatte. Es war, als würden sie meinen Kontakt zu Darian abbrechen und ich fühlte mich auf einmal leer.
Dumpf vor mich hinbrütend und total niedergeschlagen saß ich nun im Wartezimmer und versuchte, meine Gefühle in den Griff zu bekommen.
War ich in Darian verknallt? Benommen schaute ich auf meine Finger, die ich nervös knetete.
Was fühlte ich, wenn ich an ihn dachte?
Zu aller erst einmal Angst – ich hatte gerade jetzt die fürchterliche Angst, nie wieder mit ihm reden zu können, keine Zeit mehr mit ihm zu verbringen.
Warum wollte ich mit ihm zusammen sein?
Weil er mir Ruhe gab, weil er mich nicht als Macho sah, weil ihn alles an mir interessierte, weil, weil, weil… Mir fielen noch hunderte Sachen ein, die mir unsere gemeinsame Zeit so begehrenswert machte.
‚Und sonst?‘, hörte ich eine leise innere Stimme. Genau an diesem Punkt wurde ich nervös, an dieser Stelle war ich die letzten 14 Tage immer nervös geworden und trotz allem konnte ich es nicht wegdiskutieren.
Angefangen hatte es damit, dass mir seine Flirterei gefiel, seine kleine versteckten Andeutungen, sein bewundernder Blick, sein verträumtes Strahlen – ich sog es regelrecht in mich auf. Und es hatte mir gefehlt in den letzten Tagen.
Dazu gesellte sich immer mehr ein Gedanke, nämlich der, dass er mich berühren sollte. Ich, der Berührungen so hasste, wünschte mir heimlich, dass er mich aus Versehen streifte, dass er mir beim Klettern Halt geben musste… Mit der schönste Moment war, als er mich bei sich zu Hause niederwarf und auf mir zu liegen kam, seinen Körper auf mir, das war einfach nur WOW – diesen Augenblick hatte ich mir sorgfältig konserviert. An unsere sexuelle „Entgleisung“ in der Kneipe dachte ich nur sporadisch, denn sie war unüberlegt und nur hormongesteuert gewesen – aber sogar diese Begegnung weckte in mir die Lust nach mehr. Ich wollte das Ganze in einem schöneren Umfeld bewusst noch einmal erleben.
Aus all diesem gab es nur eine Schlussfolgerung – ich begehrte ihn!
War ich SCHWUL?
All das wälzte ich immer und immer wieder durch meinen stark strapazierten Kopf, nur beantworten wollte ich mir diese letzte Frage nicht. Irgendetwas störte mich in diesem leeren Wartezimmer – es war nicht mehr leer! Mir gegenüber hatte Rainer Platz genommen und beobachtete mich. Als er sah, dass ich ihn bemerkt hatte, nickte er mir aufmunternd zu.
„Jonas, ich muss mich bei dir bedanken. Du hast meinem Sohn höchstwahrscheinlich das Leben gerettet, denn ich wäre viel zu spät gekommen“, kam es sehr ernst von ihm.
„Wie…, wie geht …?“ Ich bekam den Satz nicht mal annährend heraus, so groß war der Kloß in meinem Hals, der von einer unglaublichen Angst herrührte.
„Darian geht es den Umständen entsprechend, wie der Arzt mir versichert hat. Da uns das aber beiden nicht reicht, habe ich noch ein wenig nachgehakt. Er hat wohl meinen Dickschädel geerbt und kommt mit einer schweren Gehirnerschütterung davon“, beantwortete er meine eher gedachte Frage. Erleichterung erfasste mich. Ich hatte Darian nicht verloren, aber …
… hatte ich ihn auch wieder gewonnen? An mir nagte einfach zu viel, Ungewissheit, Zweifel, Angst. Eigentlich war mein Leben gerade ein fürchterliches Chaos, meine geregelten Bahnen hatte ich vor Wochen schon verlassen.
All das und noch viel mehr konnte man wohl auf meinem Gesicht ablesen, denn Rainer stand auf und kniete sich vor mir hin. Behutsam legte er seine Hand auf meine Schulter und sah mir in die Augen.
„Jonas, sag ihm einfach, was du fühlst, was dich bewegt. Mach nicht alles mit dir alleine aus. Darian kann manchmal ein verdammter Sturrkopf sein, aber bei dir…“, hier brach er ab und lächelte mir geheimnisvoll zu.
„Zimmer 311“, fuhr er fort und wuschelte mir noch einmal durch das Haar. Zögernd stand ich auf und ging den Flur entlang. Aus dem Zimmer 311 kam eine junge Schwester und sah mich forschend an.
„Bist du Jonas?“, fragte sie mich. Mein Kopfnicken musste genügen.
„In Ordnung, dann darfst du zu ihm. Er schläft noch und bitte lass ihn schlafen, das hilft ihm jetzt am meisten“, teilte sie mir noch mit und war verschwunden. Unsicher stand ich vor der Zimmertür und mich hatte sämtlicher Mut verlassen.
‚Man oh man, wovor hatte ich eigentlich solch einen Schiss? Darian schlief doch!‘ Entschlossen drückte ich die Klinke herunter und betrat das Krankenzimmer. Es war ein heller Raum, in dem zwei Betten standen. Nur eins davon war belegt und ich sah einen schwarzen Wuschelkopf in dem weißen Kissen ruhen. Langsam ging ich näher. Vorsichtig zog ich mir einen Stuhl an das Bett und setzte mich zu ihm. Prüfend ließ ich meinen Blick über sein Gesicht streifen, er sah so friedlich aus. Und wieder war das Kribbeln da, welches mich in letzter Zeit immer übermannte, wenn ich Darian sah. Fast magisch zog mich seine Hand an und ich nahm seine Finger in meine Hand. Sanft spielte ich verlegen mit seiner Hand und betrachtete ihn.
‚Dieser Kerl dort hatte mich kolossal verwirrt und mir gefiel es!‘, fing ich an zu grübeln. So versank ich wieder in meine Gedanken und verirrten Gefühle, dabei betrachte ich meine Finger, die sich in seine schlangen. Nach einer Weile wanderte mein Blick zurück zu seinem Gesicht und mich musterten zwei sehr wache eisblaue Augen.
„Hey Blödmann“, hörte ich ihn. Vor Schreck ließ ich erst einmal seine Finger los und schob meine Hände ertappt in meine Hosentaschen. Meine Reaktion löste in seinem Gesicht ein kleines Lächeln aus.
„Hi Wollmütze“, antwortete ich ihm. Verwundert sah er mich an.
„Wollmütze?“, fragte er verständnislos.
„Na ja, so nenne ich dich manchmal in Gedanken. Du hattest dieses komische Ding bei unserer ersten Begegnung auf“, gab ich ihm verlegen eine Erklärung.
„Was machst du hier?“, fragte er mich und seine Stimme hatte einen nervösen Klang angenommen.
Eine verdammt gute Frage, aber keine, die ich so einfach beantworten konnte beziehungsweise wollte.
„Ich war auf dem Weg zu dir, da musste ich sehen, dass die drei Arschlöcher über dich hergefallen sind. Die ersten Beiden haste ja gekonnt aus dem Verkehr genommen, nur diese dritte feige Sau hat dir eins übergezogen“, sprudelte es aus mir raus und schnell reihte ich ein Wort an das andere, nur, um nicht zum eigentlichen Thema zu kommen „und ich war leider ein paar Sekunden zu spät, um es zu verhindern. Na ja, danach habe ich die beiden noch mal verarztet und dein Vater…“
„JONAS“, unterbrach er mich sanft aber bestimmt. Ich verschluckte den Rest meines Berichtes.
„Was machst du HIER?“, wiederholte er leise aber bestimmt seine Frage. Ich fing an zu schwitzen und wurde nun selber nervös.
„Ich weiß nicht“, gab ich leise zu. Dann kratzte ich ein wenig Mut zusammen und schob noch hinterher.
„Eigentlich wollte ich mit dir reden.“ Den Mut jedoch, ihn anzuschauen, hatte ich nicht mehr und starrte somit auf die Decke.
„Wo ist denn nun der Macho-Jonas geblieben, der obercoole Prollarsch?“, hörte ich ihn ironisch fragen. Diese Bemerkung forderte geradezu meinen Trotz heraus. Entrüstet richtete ich den Blick auf ihn.
‚Warum grinste der Kerl mich nur so an?‘, durchfuhr es mich. Das Lächeln machte mich zudem noch schwach.
„Ach man Jonas, du bist manchmal so leicht auszurechnen und manchmal …“, den Rest seines Satzes verschluckte er. Seine Augen nahmen wieder diesen verträumten Ausdruck an.
„Okay, lass uns reden“, forderte er mich dann auf. Die Aufforderung war so eindeutig an mich gerichtet, dass sogar ich es schnallte. Nur hatte ich keinen Bock zu beginnen. So stierten wir uns beide an und ich verlor mich in seinen Augen.
„Jonas?“, ließ er nach einer ganzen Weile hören.
„Hm.“
„Über was wollen wir reden?“
„Weiß nicht.“
„Okay“, murmelte er und dann fing er leicht an zu grinsen.
„Dann spiel wieder mit meinen Fingern“, warf er mir wie aus dem Nichts an den Kopf. Ich schreckte zurück, lief rot an und schob meine Hände noch tiefer in meine Taschen. Und seine Reaktion – er grinste noch breiter.
„Eigentlich wollte ich dir sagen, dass du dich nicht mehr in mein Leben einmischen sollst, sonst…“, stieß ich nun doch hervor. Ich wollte etwas anderes sagen, aber mein Mund hatte die Initiative übernommen. So stand nun auf einmal eine Drohung im Raum, die das Klima spürbar abkühlen ließ.
„Eigentlich?“, mit dieser Frage nahm er mir den ganzen Wind aus den Segeln und ging überhaupt nicht auf das „sonst“ ein.
„Verdammt“, grummelte ich. Dieser Typ trieb mich noch in den Wahnsinn. Ich konnte doch nicht mit einem Kerl über meine Gefühle reden und vor allem nicht mit diesem KERL, der meine Gefühle beherrschte.
„Ich hatte Angst um dich“, rutschte mir raus. Erschrocken sah ich ihn an, wie er wohl meine Entgleisung aufnehmen würde. Mit großen Augen schaute er mich erstaunt an.
„Du bringst mich total aus dem Konzept! Du hast dich in mein Leben geschlichen! Mein ganzes altes Leben ist im Arsch! Du mischt dich ein!“, stieß ich schnell hervor.
„Du verwirrst mich“, fügte ich leiser hinzu.
„Ich weiß nicht, was ich machen soll.“
„Ich hasse das!“, murmelte ich zum Schluss sehr leise.
Darian
Hatte ich das eben richtig gehört?? Meine Augen füllten sich mit Tränen. Da wachte ich mit tierischen Kopfschmerzen auf und sah Jonas an meinem Bett sitzen. Er hatte seinen Kopf gesenkt und schien angestrengt über etwas nachzudenken. Und er spielte mit meinen Fingern. Allein diese Berührung nahm mir sofort jegliche Schmerzen und machte einem angenehmen Kribbeln Platz. Ich wagte überhaupt nicht, mich zu regen, denn ich wollte diesen Moment so lange als möglich auskosten. Als er mich dann doch erwischte und seine Finger schnell von den meinen wegnahm, leicht errötete und seine Hände tief in den Hosentaschen vergrub, da sah er einfach süß und zum Anbeißen aus.
Und nun das. Zuerst laberte er darüber, wie ich ihn aus dem Konzept bringen würde und sogar, dass ich ihn verwirrte.
Ich - ihn? Frag mich mal, lieber Jonas. Und dann dieser letzte Satz.
Er hasste mich! Seine einzige Schlussfolgerung aus seinem ganzen Wirrwarr, war, dass er mich hasste? Scheiße, das war mir dann doch zu viel und ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Mir war egal, dass er das sah, sollte er mich doch für eine verheulte Schwuchtel halten.
„Du hasst mich?“, hakte ich mit zittriger fast tonloser Stimme nach. Sein Kopf schoss nach oben und entsetzt sah er mich an.
„Wie kommst du darauf?“, fragte er alarmiert.
„Das hast du doch eben gesagt!“
„Nein, nein, ich hasse, dass ich nicht weiß was ich machen soll, du Dummkopf“, flüsterte er und sah mich so komisch an. Bisher hatte ich doch nur diesen verträumten Blick drauf.
„Was fühlst du gerade?“, fragte ich ihn vorsichtig.
„Viel zu viel“, flüsterte er.
„Würdest du…, könnte ich…, deine Hand…“, stotterte er sehr, sehr leise.
„Gerne, aber dafür müsstest du deine aus der Hosentasche nehmen“, neckte ich ihn ein wenig. Verlegen zog er sie heraus und gerade in Zeitlupe glitt sie über der Bettdecke zu mir rüber. Unsere Fingerkuppen berührten sich und…
WOW – dieselben elektrischen Stromstöße durchfluteten mich wie vor ein paar Wochen, als er das erste Mal in mich rannte. Seine Finger glitten in meine Hand und unsere Finger verschlangen sich ineinander.
„Und?“, hauchte ich, denn lauter wollte ich nicht sprechen, um diesen Moment nicht zu zerstören.
„Wahnsinn“, murmelte er. Seine Augen bohrten sich in meine und ich konnte mit einem Mal seine riesige Sehnsucht nach Liebe sehen. Er war so alleine und verloren auf dieser Welt, dass er gar nicht wusste, was lieben hieß.
„Komm her mein Engel“, flüsterte ich ihm zu und er kam. Näher schob er sich an mich ran und sein Geruch stieg mir betörend in die Nase.
‚War er hierfür schon bereit?‘, stellte ich mir die bange Frage. Aber es gab kein Zurück mehr. Ich näherte mich mit meinen Lippen seinem Mund und seine Augen wurden immer größer. Erstaunt, aber auch unentschlossen, nicht fähig, sich dieser Situation zu entziehen, strahlten sie mir entgegen. Sanft berührten meine Lippen die seinen und …
„Aaaaaargh“, stöhnte ich gepeinigt auf. Meine Kopfschmerzen waren mit einem plötzlichen Stechen direkt hinter meiner Stirn zurückgekehrt. Erschöpft ließ ich meinen Kopf wieder auf das Kissen sinken.
‚Würden wir uns denn nie vernünftig zeigen dürfen, was wir für einander empfanden?‘, seufzte ich still. Langsam und vorsichtig öffnete ich meine Augen, die ich bei der Schmerzattacke geschlossen hatte und linste zu Jonas rüber. Er saß verträumt da, seine Lippen leicht geöffnet und seine Finger glitten sanft über diese. Wie aus einer Trance wachte er auf und sah mich fragend an.
„Warum hast du denn…?“, fing er seine Frage an, aber als er eine Träne über meine Wange laufen sah, unterbrach er sich.
„Oh, was ist?“, fragte er besorgt.
„Mein Kopf bringt mich um“, murmelte ich.
„Ich dachte schon, ich küsse so schlecht?“, lächelte er mir schelmisch zu.
„Das nennst du einen Kuss? Das war doch gar nichts!“, brummte ich entrüstet. Jonas lief leicht rot an und fummelte verlegen mit meiner Hand.
„Ich fand es schön“, hörte ich ihn leise flüstern. Auf einmal ließ er meine Hand los und stand auf.
„Devil, ich muss los“, meinte er und hatte es plötzlich eilig.
„Okay“, murmelte ich matt, denn ich fühlte mich elendig schlapp, aber eigentlich meinte ich schade. Gerade fingen wir an, uns ein wenig näher zu kommen und schon ergriff er die Flucht. Ich hatte nur keine Kraft mehr, um heute dagegen anzukämpfen. Traurig sah ich an.
„He Darian, ich komm dich morgen besuchen und dann reden wir weiter, okay?“, versuchte er mich aufzumuntern, wobei er das Wort „reden“ schon arg komisch aussprach. Auf jeden Fall entlockte dies mir ein kleines Lächeln und mit einem breiten Grinsen verschwand er aus dem Zimmer.
Sekunden später war ich schon wieder eingeschlafen und der Arzt beschloss, mich zur Überwachung die Nacht im Krankenhaus zu behalten. Etwas später trudelten dann noch meine Eltern ein und das sorgenvolle Gesicht meiner Mutter konnte ich mit ein paar dummen Späßen aufheitern. Ihr fiel ein Stein von Herzen, dass mir nichts weiter passiert war. Angesicht der ernsten Situation wollte das leicht dämliche Grinsen meines Paps nicht so recht ins Bild passen. Aber darüber machte ich mir nun gar keine Gedanken, vielmehr schwelgte ich in unserer letzten Berührung – in unserem leider nur gehauchten Kuss.
Beim Abschied warf mir mein Vater von der Tür dann noch etwas an den Kopf.
„Tschüss, mein kleiner Machoverführer“, und griente dabei über beide Backen. Ich war einfach nur baff und Sekunden später war die Tür zu.
Gegen Mittag des nächsten Tage war mir stinklangweilig und ich wartete auf meinen Vater, der mich eigentlich abholen sollte. Auf einmal flog die Tür auf und ein strahlender Jonas betrat das Zimmer.
„Raus aus den Federn“, forderte er mich auf.
„Schade, ich dachte du kommst mit hinein“, konnte ich meine vorlaute Klappe nicht halten. Oh weh, was hatte ich da wieder für einen Scheiß gelabert. Mein Engel lief rot an und schaute verdammt verlegen aus der Wäsche. Zum ganzen Überfluss war er auf halbem Wege stehen geblieben und rührte sich keinen Schritt mehr.
„Kannst du mir mal bitte helfen“, murmelte ich nervös. Ich hatte bei meinen Stehversuchen heute schon festgestellt, dass ich etwas wacklig auf den Beinen war. Vorsichtig kam Jonas näher, fast zögerlich.
„Wobei?“, fragte er argwöhnisch.
‚Oh je, diese Stimmungsschwankungen hielt ja kein Mensch aus. Da hatten wir aber noch ein großes Stück Arbeit vor uns‘, durchfuhr es mich.
„Ich hab ab und an noch leichte Schwindelanfälle und möchte nicht auf den Knien vor dir rumrutschen“, erklärte ich ihm. Jetzt grinste der Kerl wieder, Moment mal, das Lachen war ziemlich anzüglich und außerdem lief er schon wieder rot an.
„Das hatten wir doch schon mal“, rutschte ihm doch raus. Verdutzt sah ich ihn an und da dämmerte es mir, welche Stellung er da meinte.
„Blödarsch“, grummelte ich, konnte mir aber das Grinsen nicht ganz verkneifen. Jonas war ziemlich versaut, das stand fest.
„Wollmütze“, konterte er, trat aber zu mir ans Bett. Vorsichtig schwang ich meine Beine über die Kante und stellte mich hin. Na, das ging ja besser als erwartet. Mutig machte ich den ersten Schritt und prompt wurde ich bestraft. Ich schwankte. Da spürte ich starke Arme, die mich von hinten umschlangen und vorsichtig an sich zogen.
„Moment, mein kleines Teufelchen“, hörte ich seine heisere Stimme an meinem Ohr flüstern.
‚Was war das?‘ Verwundert drehte ich mich in seinen Armen um und schaute in verträumt blickende, dunkle Augen.
„Wie hast du mich genannt?“, fragte ich leise noch mal nach.
„Devil, wie sonst“, grinste er mich an und ließ mich langsam los.
‚Ich hatte mich doch nicht verhört?‘ Zusammen verließen wir das Zimmer. Obwohl ich gut alleine gehen konnte, blieb Jonas in meiner Nähe. Fast schien es mir so, als würde er auf einen Ausrutscher meinerseits warten. Ich war aber viel zu sehr mit seinen geflüsterten Worten beschäftigt. Hatte ich mich wirklich so verhört? Die Fahrt nach Hause war schnell hinter uns gebracht und Jonas folgte mir wie selbstverständlich auf mein Zimmer. Erleichtert ließ ich mich auf mein Bett sinken, das Ganze strengte mich doch mehr an als ich vermutet hatte. Mein Blick schweifte zur Tür – im Rahmen stand immer noch Jonas. Verlegen schaute er zu mir rüber.
„Los, komm schon rein und pflanz dich irgendwo hin“, gab ich müde von mir.
„Willst du lieber alleine sein und schlafen?“, fragte er leise.
„Nein!“
Er schlenderte zu meinem Bürostuhl und ließ sich etwas verlegen nieder.
„So, wir wollten reden“, erinnerte ich ihn an unser Vorhaben.
„Hm.“
„Und welche Art von Unterhaltung schwebt dir so vor?“, neckte ich ihn. Jonas sog überrascht die Luft ein und musterte mich komisch.
‚Oh man, hoffentlich war ich nun nicht wieder zu weit gegangen‘, durchfuhr es mich. Das kleine spitzbübische Grinsen, welches sich aber nun in seinem Gesicht breitmachte, sprach eine andere Sprache.
„Ich glaub, dazu bist du körperlich gar nicht in der Lage“, grinste er mich nun süffisant an. Tja, wo er Recht hatte – hatte er nun mal Recht.
„Schade“, seufzte ich und schloss meine Augen.
„Darian?“, hörte ich ihn vorsichtig fragen.
„Ja?“
„Bitte versuch nicht weiter, mein Leben zu ändern.“
Entsetzt riss ich die Augen auf. War das hier gerade ein Abgesang, sollte ich mich so getäuscht haben. Jonas sah mich so traurig an, dass sich meine Vermutung zu erhärten schien.
„Oh man, wie erklär ich das nur?“, murmelte er vor sich hin.
„Fangen wir mal bei dem Grundsätzlichen an. Solch einen Freund wie dich, nein vielmehr überhaupt einen Freund hatte ich noch nie. Deshalb ist das alles neu und ich werde bestimmt noch öfter Fehler machen. Da du mich so entsetzt anschaust, habe ich wohl gerade wieder einen gemacht. Deshalb lass uns miteinander reden, wenn es irgendwelche Unstimmigkeiten gibt.“
Mein Entsetzen schwand langsam, denn er hatte ja wohl doch nicht vor, diese Freundschaft zu beenden.
„Ich möchte die Freundschaft jedenfalls zu dir nicht mehr verlieren“, hörte ich ihn leise, eher verlegen meine Vermutung bestätigen.
„Das bringt mich aber nun zu dem etwas heikleren Punkt. Ich habe nicht diese nette Bilderbuchfamilie wie du und das, mein lieber Darian, kannst du auch nicht ändern. In knapp einem Jahr bin ich volljährig und so lange muss ich noch gute Mine zum bösen Spiel machen. Mich kotzt …“, plötzlich brach er ab und knetete nervös seine Finger. Ich sah, wie schwer es ihm fiel mit jemandem über diese Sachen zu reden, nur so ganz konnte ich das nicht hinnehmen.
„Okay Jonas, ich verspreche dir, dass ich solche unüberlegten Sachen nicht mehr mache“, druckste ich herum.
„Du sollst gar nichts mehr machen“, brummte er ernst.
„Können wir denn wenigstens darüber reden?“, fragte ich ihn.
„Warum? Warum willst Du immer wieder in meinem Leben herumstochern?“, wurde er laut. Ihm behagte das Thema definitiv nicht.
„Warum ich das mache? Ganz einfach mein Lieber, weil ich dich mag – nein, weil ich mich bis zur Schwachsinnigkeit in dich verliebt habe. Und da geht mich alles an, was dich bewegt. Verdammt, ich will dich doch nicht verletzen, ich will dich glücklich sehen!“, schrie ich ihn fast an. Wenn er es nicht durch die Blume verstand, vielleicht halfen ja ein paar sehr direkte Worte. Sprachlos sah er mich an. Ich schien ihm seine ganzen Überlegungen und Pläne zu zerschlagen und mit einem Mal sah ich die Verletzlichkeit, die sich unter seinem ganzen Machogehabe ganz tief verbarg.
„Entschuldige Jonas, es tut mir Leid“, flüsterte ich und schob noch hinterher, „aber nur eine Gute-Laune-Freundschaft wird es mit mir nicht geben. Ich will dich mit deinen ganzen positiven aber auch deinen negativen Erfahrungen – ich will ALLES von dir!“
Resignierend sackte er in sich zusammen.
„Darian, ich weiß nicht, was ich machen soll“, gab er sehr leise und sehr zögerlich zu.
„Gar nichts sollst du machen, spiel mir nichts vor, sei einfach du selbst. Der Rest kommt schon von alleine“, sagte ich ihm einfach. Und es war genau das, was ich wirklich von ihm erwartete.
„Und warum macht mich das hier alles so verdammt nervös?“, hörte ich ihn fast schon verzweifelt fragen.
„Was macht dich nervös?“, fragte ich ihn leise. Er hob seinen Kopf und schaute mich intensiv an.
„Du“, wisperte er tonlos.
Jetzt waren wir also wirklich an DEM Punkt angekommen. Der Punkt, der mich seit Wochen nervös machte, der mir einige schlaflose Nächte, aber auch einige sehr erregte Momente beschafft hatte. Wie es um mich ihm gegenüber stand, dass hatte ich ja nun schon mehrmals herausposaunt, aber wo stand er?
Ich könnte ihm nun auf den Kopf zusagen ‚Jonas du bist schwul. Du bist geil auf mich, also mach dir weiter keinen Kopf und lass es uns tun!‘ Also sozusagen Nägel mit Köpfen machen. Aber hier stand viel mehr auf dem Spiel. Er war sich seiner Gefühle total unsicher. Hier liebte ihn jemand, etwas, was er noch nie kennengelernt hatte und zu allem Überfluss war das auch noch ein Kerl. Das wurde mir natürlich nicht in diesem Augenblick klar, nein die Erkenntnis traf mich viel später. Aber meine Reaktion auf sein Geständnis war eine Bauchentscheidung und sie war verdammt gefährlich.
Seine Augen waren gebannt auf mich gerichtet. Langsam erhob ich mich von meinem Bett und ging zu ihm. Vorsichtig setzte ich mich auf seine Oberschenkel, so dass nur noch ganz wenig Platz zwischen uns war. Sanft schob ich ihm eine Strähne, die über sein linkes Auge gefallen war, hinter sein Ohr zurück. Bisher hatte er alles regungslos hingenommen, war nicht mal unter meiner Berührung zurückgeschreckt.
„Was an mir macht dich denn am meisten nervös?“, hauchte ich ihm zu.
„Kann ich nicht genau sagen“, murmelte er.
„Dass ich schwul bin?“, fragte ich fast beiläufig. Bloß diese Frage war mir verdammt wichtig. Seine Ablehnung meiner Frage sah ich schon in seinen Augen, bevor er leicht seinen Kopf schüttelte.
„Dass du vielleicht schwul bist?“ Diesmal konnte ich das leichte Flackern in seinen Augen sehen. Dieser Umstand schien ihn wirklich zu beschäftigen.
„Sag mir, was du hierbei fühlst“, flüsterte ich heiser und ließ meine Hand in seinen Nacken gleiten. Mich brachte diese Berührung fast um den Verstand, aber um mich ging es hier nicht. Sanft zog ich seinen Kopf zu mir und seine Augen bohrten sich in meine. Ich sah keinen Ekel, keine Abscheu und so senkte ich meine Lippen langsam auf seine. Diese sinnliche Berührung, seine warmen schmalen Lippen auf meinen war wie eine Explosion – ich sah im wahrsten Sinne Sterne und schloss meine Augen. Leicht öffnete ich meinen Mund und ließ meine Zunge wie eine Feder über seine Lippen huschen und was machte er…
.. er öffnete sie und stieß vorsichtig mit seiner Zungenspitze an meine. Fast scheu liebkosten sie sich und die Sterne in meinem Kopf wurden zu Supernovas. Nur unter größtem Zwang löste ich mich wieder von diesen himmlischen Lippen und schaute ihn fragend an. Fast scheu, ein wenig errötend aber mit einem intensiven Strahlen in seinen Augen saß er ein paar Zentimeter vor mir.
„Wow“, flüsterte er atemlos. Mit einem kleinen diabolischen Grinsen schob er mir eine Hand in den Nacken und die andere legte er auf meinen Allerwertesten. Dann zog er mich sehr eng an sich ran und presste seine Lippen fast ungestüm auf die meinen. Seine Zurückhaltung war wie weggeblasen und neugierig erkundete er meinen Mund, wobei ich ihm darin in nichts nachstand. Zärtlich streichelte er dabei meinen Nacken, dafür massierten seine Finger der anderen Hand umso intensiver meinen Hintern. Nach einer Weile trennten wir uns atemlos.
„Was war denn das?“, fragte ich ein wenig kurzatmig, denn eigentlich war das je mein Experiment.
„Ich musste doch nachschauen, ob das jedes Mal so ist“, lächelte er mich verträumt an.
„Und?“, neckte ich ihn leicht.
„Es scheint immer besser zu werden.“
Da er seine Hand nicht von meinem Hintern lassen konnte, dachte ich mir ‚Warum selbst in Zurückhaltung darben!‘ und schob meine Hand unter sein T-Shirt. Oh je die Wirkung war verheerend. Diese zarte Haut, diese Muskeln, die darunter spielten, brachten mich fast um die mir auferlegte Zurückhaltung. Sanft streichelte ich über seine Brust und rieb sogar mit meinem Po leicht über seine Lenden – und was machte der liebe Jonas?
Der fing an zu schnurren. Mit einem Kuss eroberte ich wieder seinen süßen Mund. Ich hatte schon längst gespürt, wie es um ihn stand und wanderte mit meiner Hand tiefer.
Auf einmal löste er sich und schob mich ein Stück von sich. Verlegen lächelnd schüttelte er leicht mit dem Kopf. Dieser plötzliche „Liebesentzug“ förderte bei mir nun ein unwilliges Knurren hervor.
„Darian, bitte gib mir ein wenig Zeit“, murmelte er. Fragend sah ich ihn an.
„Du machst mich nach wie vor nervös, ziemlich sogar, wenn du so nahe bei mir bist, aber mir ist das nicht unangenehm…“, flüsterte er und legte leicht seinen Kopf schief, dabei fiel ihm wieder eine blonde Strähne vor das Auge.
„… eher sogar sehr angenehm.“
„Ich geb dir alle Zeit der Welt mein blonder Engel“, antwortete ich ihm, wobei ich den lüsternen Klang nicht ganz unterdrücken konnte. Er grinste mich breit an und strich leicht über meine nicht zu übersehende Ausbuchtung.
„Das seh und spür ich.“
„Schleicher“, grummelte ich und ließ mein Becken einmal kräftig über seine Verhärtung kreisen.
„Hmmm“, knurrte er nun.
„Übrigens, wie hast du mich eben genannt?“, fragte er einen Moment später. Huch hatten wir das nicht schon mal heute?
„Jonas?“, fragte ich scheinheilig, blieb aber nach wie vor auf ihm sitzen.
„Ne, ne, das mit blond und so“, konterte er.
„Und wie war das im Krankenhaus mit klein und so?“, kam es von mir.
„Okay, mein kleines schwarzes Teufelchen“, griente er.
„Mein großer blonder Engel“, antwortete ich ihm. Schweigend beobachteten wir uns, erkundeten jede kleine Regung. In seinen braunen Augen fielen mir zum ersten Mal kleine schwarze Pünktchen auf, die sie noch geheimnisvoller wirken ließen.
„So Devil“, unterbrach er die Stille. Unwillig nahm ich zu Kenntnis, dass er sich unter mir hervor winden wollte.
„Ich muss mal auf Toilette“, murmelte er fast entschuldigend.
„Ist es etwas, wo du meine Hilfe gebrauchen könntest?“, neckte ich ihn. Oh je, Jonas war damit aber auch leicht aus dem Konzept zu bringen, denn er lief puterrot an.
„Nee, nee, bei mir meldet sich nur die Blase“, brummelte er. Um mich nicht auf dumme Gedanken kommen zu lassen, war er auch ruck zuck wieder da. Ich hatte es mir mittlerweile auf meinem Bett bequem gemacht und er stand nun etwas unschlüssig herum. Aufmerksam beobachtete ich ihn. Wie würde er sich entscheiden? Sein Blick wanderte zwischen dem Stuhl und dem Platz, den ich ihm auf meinem Bett gelassen hatte hin und her. Man konnte regelrecht sehen, wie er sich einen Ruck gab und zu mir geschlendert kam. Neben mir, jedoch mit ein wenig Abstand, ließ er sich dann nieder. Unser Gespräch kam erst stockend in Gang. Irgendwie schien die Intimität von vorhin zwischen uns zu stehen. Den ersten Schritt tat jedoch Jonas. Verwundert spürte ich, wie er auf einmal mit meinen Fingern spielte. Beim Reden hatte er wohl eher unbewusst meine Hand gegriffen. Auf jeden Fall rückten wir immer näher und dann lag sein Kopf in meinem Schoss und meine Finger wuschelten durch sein Haar. Jonas hatte beim Sprechen seinen Blick unverwandt auf mich gerichtet und ich konnte in ihnen sehen, dass er anfing, das Ganze richtig zu genießen. So langsam führte ich unser Gespräch auf seinen Vater und zu meiner Freude, blockte er nicht ab. Er wollte wissen, wie ich ihn kennengelernt hatte und was ich von ihm hielt. Als die Sprache auf Lars kam, wurde er sehr nachdenklich und beichtete mir sehr viel später, nach minutenlangem Schweigen, dass er sich immer einen Bruder gewünscht hatte.
Seine Bitte kam dann doch überraschend für mich. Er wollte Holger wiedersehen. Jedoch rang er mir das Versprechen ab, dass ich ihn begleiten sollte. Schnell hatten wir den nächsten Montag ins Auge gefasst.
„Abendbrot“, ertönte es auf einmal hinter meiner Zimmertür. Jonas schnellte wie von einer Tarantel gestochen hoch und setzte sich ein gehöriges Stückchen von mir auf die Bettkante. Die Tür ging einen Spalt auf und mein Vater steckte die Rübe rein.
„So, ihr Turteltäubchen, das Essen ist fertig“, grinste er uns breit entgegen. Jonas war einfach baff und lief dunkelrot an. Ich war sauer und warf meinem Paps tödliche Blicke zu. Er stutzte kurz.
„Oh, hab ich euch bei was gestört?“, hörte ich ihn anzüglich fragen. Jetzt schoss meinem Engel noch mehr Farbe ins Gesicht und er schaute verdammt verlegen aus der Wäsche.
„Paaaaaaps“, grollte ich warnend. Dieser wandte sich an Jonas.
„Keine Sorge, Herr Engel, solange sie meinen Sohn nicht verführen und zu unsittlichen Handlungen auffordern, werde ich sie nicht behelligen“, brummte mein Vater auf einmal ernst.
‚Oh man, konnten Eltern peinlich sein?‘
Mein Schatz hatte jedoch seine Sprache und vor allem seine große Klappe wiedergefunden und führte das auch gleich noch vor.
„Wer hier wohl wen verführt?“, flötete er ziemlich anzüglich. Nun war es an mir, rot zu werden und mein Paps machte schallend lachend den Abgang. Diese freche Bemerkung strafte ich erst einmal mit einem Kuss und dann ging es zur Nahrungsaufnahme.
Die nächsten Tage vergingen wie im Fluge. Wir lernten uns immer besser kennen und ließen die Finger bei uns. Okay, ab und an kam es zu stürmischen Kussszenen, aber ansonsten lief außer ein paar Streicheleinheiten nichts. Ich war auf meine Zurückhaltung mächtig stolz und Jonas schien sich immer wohler zu fühlen.
Und nun standen wir hier vor dem Theatereingang und er war ziemlich nervös.
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, murmelte er.
„Feige, Mister Machoengel?“, foppte ich ihn. Mit der Zeit hatte ich herausbekommen, dass so eine kleine Lästerei über seine Machomanieren Wunder wirkte.
„Du hast gut reden“, murrte er.
„Los komm schon. Ich bin ja mit dabei“, munterte ich ihn auf. Ganz wohl war mir ja selbst nicht. So gut kannte ich Holger ja nun doch nicht und Jonas war immer noch in seiner Findungsphase – hier konnte viel, verdammt viel in die Hose gehen.
Dementsprechend unsicher sah er mich auch an. Okay, Augen zu und durch. Mit Jonas im Schlepp enterte ich dann das Theater. In der dritten Reihe saß wie immer Holger, heute wohl nur von dem kleinen Wirbelwind begleitet.
Irgendetwas schien Holger aufzufallen und er schaute über seine Schulter. Sein Blick fiel auf uns und blieb an Jonas hängen. Dieser stockte im Schritt neben mir, so als wollte er die letzten Meter nicht mehr gehen.
„Lars, kannst Du uns mal einen Augenblick alleine lassen“, forderte er seinen Jüngsten auf. Der schien jedoch ganz anderer Meinung und wollte gerade dagegen aufbegehren. Ein Blick von Holger zwang ihn, den Mund zu halten und er trollte sich.
„Guten Tag, Jonas!“, hörte ich Holger leise sagen. Das Sprechen schien ihm schwer zu fallen. Mir nickte er nur leicht zu, sein Blick war undefinierbar. Mein Freund sagte gar nichts, starrte weiter Holger an. Mir fiel ein, dass wir eigentlich noch nie darüber gesprochen hatten, ob Holger wirklich sein Vater war.
Jonas´ Blick wanderte zu mir. Sein Mund war sehr zusammengekniffen und ich sah in seinen Augen das Alte zurückkehren. Langsam drehte er sich um und wollte wieder den Abflug machen.
„Ich kann es nicht mehr rückgängig machen“, hörte ich Holger mit unendlich trauriger Stimme sagen. Ich schnappte mir Jonas und schob ihn zu Holger.
„Versucht wenigstens zu reden“, murmelte ich den beiden zu und schlenderte zur Bühne. Dahin war auch Lars verschwunden. Dieser saß sehr ruhig auf der kleinen Treppe, die zur Bühne heraufführte und beobachtete die Szene mit Holger und Jonas. Ich setzte mich neben ihn und folgte seinem Blick. Die beiden standen sich immer noch wortlos gegenüber, so als warte jeder jeweils auf den ersten Schritt des anderen. Dann machte Holger einen Fehler – er wollte Jonas seine Hand auf den Arm legen. Dieser riss sich wütend los. Na jedenfalls redeten sie jetzt miteinander.
„Darian?“, hörte ich den kleinen Wirbelwind neben mir ernst fragen.
„Jo.“
„Jonas ist mein Bruder?!“ War das nun eine Frage von ihm oder stellte er es nur fest. Fragend sah ich ihn an. Er hatte seine Augen immer noch gebannt auf Jonas gerichtet.
„Ich spüre es einfach. Er ist mir so vertraut“, erklärte er mir. Schweigend beobachteten wir weiter – die beiden schienen sich zu streiten.
„Hat Dad ihm wehgetan?“, hörte ich auf einmal seine bange Frage und große braune Kinderaugen waren auf mich gerichtet.
‚Was sollte ich ihm sagen? Was konnte ich ihm sagen?‘, grübelte ich und fand einfach keine richtige Antwort drauf.
„Sie sollen sich nicht streiten!“, murmelte er und stand entschlossen auf. Der Kleine strahlte auf einmal solch eine Energie aus, die mich sehr an Jonas erinnerte. Mit vorsichtigen Schritten ging er zu den beiden rüber. Für mich war es zu spät, einzugreifen und so hörte ich ihn schüchtern fragen.
„Bist du mein Bruder?“
Jonas
Hier stand ich mit Darian, der hatte mich doch wirklich dazu bekommen, mit ihm meinen Vater nochmals aufzusuchen.
Vater? Was bedeutete das Wort für mich – einfach nichts. Ich hatte die letzten Tage Devil und seinen Vater, Paps wie er gern sagte, beobachtet und war verdammt eifersüchtig auf ihr Verhältnis.
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, murmelte ich. Darian ging ja von seinem Verhältnis zu seinem Vater aus, er kannte gar nicht die andere Seite. Er wusste nicht, wie es ist, ohne Vater und mit einer alkoholabhängigen Mutter aufzuwachsen. Er war immer so positiv.
Ja, Darian – der kleine schwarze Teufel, mein kleiner schwarzer Teufel? Der Kuss im Krankenhaus hatte alles verändert, einfach alles. Für ihn mag es nur ein Windhauch gewesen sein, denn unsere Lippen hatten sich nur sanft berührt, aber ich habe zum ersten Mal gespürt, dass mich ein Mensch liebte, mit ganzen Herzen, vollkommen und rücksichtslos. Der Schock war so groß, dass ich einfach fluchtartig sein Zimmer verlassen musste.
Und am nächsten Tag stand es einfach für mich fest, ich wollte Darian als Freund gewinnen.
Freund? Meine Gefühle gingen viel tiefer und das machte mich dann doch sehr nervös. Ich konnte mich diesen Gefühlen noch nicht so richtig stellen. Und was machte Devil – er riss bei sich zu Hause alle meine Schutzwälle ein. Ob ich es akzeptierte oder nicht, ich begehrte den Kerl, er machte mich heiß und küssen konnte er, hmmm. Und er drängte mich zu nichts. Tja und dass er auf mich stand, das merkte ich zu Genüge, seine Blicke, seine Küsse, aber er ließ mir sämtliche Initiative.
Und wo er jetzt leicht vor mir stand, glitt mein Blick automatisch zu seinem Knackarsch, der machte mich aber auch an. Dort ließ ich öfter meine Finger verweilen, natürlich immer züchtig auf der Hose.
„Feige, Mister Machoengel?“, foppte er mich und lächelte mich schief an.
Der Typ machte mich schwachsinnig. Das ist auch so eine Masche von ihm. Wenn ich zu sehr in alte Muster zurückfiel, zeigte er mir das auf seine lustige Art und Weise. Jedoch war dies die letzten Tage fast nie passiert, dafür waren die einfach zu fantastisch. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich bei einem Kerl fallen lassen könnte. Er gab mir Sicherheit und Vertrauen – er zog mich magisch an, aber …
… liebte ich ihn auch?
„Du hast gut reden“, murrte ich.
Somit stiefelte ich hinter ihm her. Im Halbdunklen konnte ich vorne eine große und eine kleine Person sehen. Die Größere wandte sich auf einmal uns zu, als hätte er meine Anwesenheit gespürt.
Der Typ sollte also mein Vater sein. Was fühlte ich?
Nichts?! Nein, das stimmte nicht. In mir fing es an zu rumoren.
‚Warum hatte er mich bei dieser blöden Kuh gelassen?‘
So liebevoll wie er mit dem Kleinen da umging, das hätte ich doch sein müssen. Dieser Junge glich mir wirklich wie ein Ei und ein wenig aufmüpfig schien er auch zu sein, denn so ganz widerspruchslos räumte er das Feld nicht.
Und nun sprach er mich an – ich konnte nicht antworten, ich konnte es einfach nicht. Nein, ich wollte hier nur noch raus! Kurz sah ich Devil an und drehte mich dem Ausgang zu.
„Ich kann es nicht mehr rückgängig machen“, hörte ich es in meinem Rücken. Darian griff mich am Arm und drehte mich sanft zu dem Typen herum.
„Versucht wenigstens zu reden“, brummte er uns zu und verschwand in Richtung Bühne. Da standen wir beide nun und belauerten uns.
„Warum hast du mich bei Ihr gelassen?“, fragte ich ihn wütend.
„Warum bei dieser Alkoholikerin?“, brüllte ich ihn fast an. Und was machte er, er wollte mir zur Beruhigung seine Hand auf den Arm legen. Er wollte mich anfassen, das durfte zurzeit nur einer!
„Fass mich nicht an!“, knurrte ich und entriss ihm meinen Arm. Bedröppelt sah er mich an. Er schien nicht richtig weiter zu wissen.
„Jonas, ich habe dafür keine Entschuldigung. Das Einzige, was ich versuchen kann, ist, dir eine Erklärung zu geben“, sagte er und sah mich dabei offen und ehrlich an.
„Das wischt die beschissenen letzten Jahre auch nicht wieder weg!“ Ich war immer noch auf hundertachtzig und musste meine Wut einfach rauslassen.
„Was willst du jetzt eigentlich von mir?“, fragte ich gehässig.
„Dich kennenlernen!“ Mit seiner Offenheit machte er mich verrückt.
„Ihr habt mich in die Welt gesetzt und somit die Pflicht, euch um mich zu kümmern!“, schleuderte ich ihm an den Kopf. Jetzt ließ er seinen hängen und schien zu resignieren.
„Bist du mein Bruder?“, hörte ich es schüchtern hinter mir fragen. Ich fuhr zu dieser Person herum und wollte gerade auf sie losgehen, als ich in große unschuldige fragende Kinderaugen sah.
‚Bruder‘, hallte es in meinen Ohren. Dieser kleine Kerl da, war mein Bruder! Meine Wut war mit einem Mal verflogen und nachdenklich musterte ich ihn.
„Also, so ähnlich wie wir uns sehen, nehm ich schon an, dass wir Brüder sind“, murmelte ich in Gedanken und schob noch hinterher „Halbbrüder“.
„Halbbrüder?“, fragte er neugierig.
„Naja, denselben Vater aber verschiedene Mütter“, beantwortete ich ihm seine Frage.
„Jonas, ich bin der Lars. Wäre ja schöner gewesen, wenn ich mal einen jüngeren Bruder gehabt hätte, aber was soll´s“, grinste er mich spitzbübisch an.
„Laaaars, ich glaube …“, hörte ich hinter mir eine Stimme grollen.
„Dad, ich glaube, du hast uns was verschwiegen“, fuhr er seinem Vater in die Parade. Da ich mich nun wieder herumgedreht hatte, konnte ich sehen, wie sein (besser: unser?) Vater wie der sprichwörtlich ertappte Sünder aussah.
„Warum erfahre ich erst jetzt, dass ich noch einen Bruder habe?“, bohrte Lars das Messer noch ein wenig weiter in die Wunde. Ein kleines gehässiges Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen, der Kleine hatte es faustdick hinter den Ohren.
„Und?“, er bohrte immer weiter.
„Lars, das ist keine Sache, die ich zwischen Tür und Angel erklären kann. Außerdem haben die anderen auch ein Recht, alles zu erfahren“, murmelte sein Vater niedergeschlagen.
„Okay, wann kommst du zu uns?“, fragte er mich auf einmal neugierig. Erstaunt sah ich ihn an. Das entwickelte sich nun langsam äußerst unangenehm. Nein, ich wollte den Typen da nicht weiter kennenlernen. Er hatte mich 17 Jahre nicht beachtet, da brauchte ich ihn nun auch nicht mehr.
„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist“, gab ich meine Abneigung kund. Oh je, jetzt zog der Kleine noch einen Flunsch und sah mich bittend an.
„Warum nicht?“, fragte mich aber jemand ganz anderes. Nicht nur Lars konnte einen Schmollmund ziehen, nein, Darian beherrschte das auch. Ich war hin- und hergerissen. Einerseits wollte ich mit dem Typen, der sich mein Vater schimpfte nichts zu tun haben, anderseits hatte ich einen Bruder, etwas, was ich mir schon immer gewünscht hatte.
„Okay“, stimmte ich zögerlich zu.
‚Man, worauf ließ ich mich nur ein?‘, grübelte ich.
Sein Vater sah uns an und schüttelte leicht verwundert den Kopf.
„Habe ich das jetzt richtig verstanden. Du willst uns besuchen kommen?“, hakte er noch einmal nach.
„Man Dad, du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff“, lästerte Lars.
„Kommste nachher gleich mit?“, ließ er erst gar keine Langeweile aufkommen. Oh je, der Junge war ja schneller als sämtliche D-Züge zusammen. Eigentlich hatte er mich regelrecht überfahren, aber ich konnte nun schlecht einen Rückzieher machen. Unentschlossen zuckte ich mit den Schultern.
„Abgemacht“, hörte ich von dem Kleinen. So konnte man auch Diskussionen beenden.
„Oh man, Klara wird ausflippen, noch so nen hübschen Kerl in der Familie und dann auch noch in ihrem Alter“, plapperte er munter weiter. Dabei griente er über beide Backen und sein Vater rollte genervt mit den Augen.
„Darian“, bat ich meinen Begleiter ohne weitere Worte, doch bitte mitzukommen. Dieser schüttelte nur den Kopf.
„Nein Jonas, da habe ich nichts zu suchen“, lehnte er meine Bitte ab.
„Nur hat Holger noch gar nicht gesagt, wie er zu dieser Einladung steht“, warf er in die Runde und gab damit zu verstehen, dass eine Entscheidung noch nicht gefallen sei.
„Ich wäre ja von allen guten Geistern verlassen, wenn ich mich dagegen wehren würde“, sagte er und wuschelte seinem jüngsten Sohn durch die Haare.
„Daaaad“, kam es entrüstet von dem. Diese kleine Szene gab mir wieder einen Stich, aber ich hatte einen kleinen Fürsprecher gewonnen. Lars vereinnahmte mich total, zeigte mir alles im Theater und hatte nur Blödsinn in Kopf. Darian begleitete uns und grinste manchmal wissend in sich hinein. Dann standen wir draußen auf dem Parkplatz und Lars war kurz verduftet, um seinen Vater zu holen. Verstohlen angelte ich nach Devils Hand.
„Willst du nicht doch mitkommen?“, fragte ich ihn vorsichtig. Leicht schüttelte er den Kopf.
„Aber wenn ich wieder zum Macho mutiere, wer holt mich dann von dieser Wolke runter?“, murmelte ich verzweifelt.
„Also mein blonder Engel, erstens vertraue dir selbst mal ein wenig und sei einfach nur du. Und zweitens wirst du dich nicht gehen lassen, denn die Blöße würdest du dir vor Lars nicht geben. Der Kleine himmelt dich an!“
Mein Verlangen, ihm einen Kuss zu geben, wurde übermächtig. Aber Darian löste seine Hand aus meiner und schaute den beiden Personen erwartungsvoll entgegen, die sich uns vom Ausgang her näherten.
„Darian, willst du wirklich nicht mitkommen?“, fragte mich Holger noch einmal.
„Nee, nee“, murmelte er, wobei ich seine Sehnsucht schon in den Augen sehen konnte. Ihm behagte es gar nicht, den Abend ohne mich zu verbringen.
„Dann mal einsteigen“, kommandierte Holger. Wir fuhren ein ganz schönes Stück durch die Landschaft und landeten dann in einer Steglitzer Villengegend. Vor einer riesigen Villa hielten wir und Lars sprang raus.
‚Oh je, mehr protzen ging wohl nicht‘, grummelte ich vor mich hin und meine Stimmung stieg nicht gerade. Holger merkte mein Unbehagen, aber ging nicht näher darauf ein. Gut, sehr viele Worte, vernünftige Worte hatten wir eh noch nicht gewechselt.
„Joooonas, kommst du?“, drängelte der Kleine und stürmte zu der Türe. Nach seinem Läuten sprang sie Sekunden später auf und eine sehr attraktive Frau stand in ihr. Sie drückte Lars einen Willkommenskuss auf die Wange. Vorwurfsvoll schaute er seine Mutter an und ließ seinen Blick verschämt zu mir rüber wandern.
„Muuum“, gab er dann auch noch entrüstet von sich. Als ich mit Holger um das Auto kam und auf sie zuhielt, sah sie kurz rüber und stutzte.
„Hallo Jonas“, begrüßte sie mich mit einem kleinen Lächeln. Lars schaute sie total baff an und seine Augen waren weit aufgerissen.
„Du … du kennst… Jonas?“, stotterte er.
„Nein, aber ich wusste, dass es ihn gibt und wenn ich Vater und Sohn so zusammen stehen sehe, dann…“, verträumt schaute sie uns an und führte den Satz nicht zu ende.
„So und nun ab ins Bad, Hände waschen, das Essen steht auf dem Tisch und die Familie ist dann vollzählig“, eröffnete sie uns und machte eine Handbewegung in die Villa, damit wir endlich eintreten sollten.
„Vollzählig?“, hörte ich Lars fragen. Aber bevor er eine Antwort kam, hatte er wohl die Stimmen analysiert, die zu ihm drangen und stürzte los.
„Maxiiiiiiiii“, schrie er und weg war er. Etwas verloren stand ich nun im großen Flur herum und spürte die Augen zweier Erwachsener auf mir ruhen.
„Jonas, ich bin Susanne. Herzlich Willkommen“, sprach sie mich mit einem offenen Lächeln an.
„Danke“, murmelte ich.
„Holger, bevor dieser hübsche Junge der Bande da drinnen zum Fraß vorgeworfen wird, geh kurz vor und erklär es ihnen ein wenig“, forderte sie dann ihren Mann auf. Der schaute nicht so glücklich aus der Wäsche.
‚Den Tag hatte er sich bestimmt auch leichter vorgestellt‘, dachte ich ein wenig fies. Zuerst hörte ich ein großes Hallo, als er zu seinen Kindern stieß.
„Du bist nicht ganz freiwillig hier, stimmts?“, fragte mich auf einmal Susanne.
„Lars“, antwortete ich kurz angebunden. Ich fühlte mich echt nicht wohl in meiner Haut. Sie lächelte leicht.
„Gib Holger eine Chance“, bat sie mich dann ernst.
„Warum?“, stieß ich hervor.
„Weil manche Dinge nicht so sind, wie sie scheinen“, antwortete sie mir geheimnisvoll.
„Kommt ihr endlich“, erscholl es auf einmal und Lars stand grinsend in einer Tür.
‚Was hatte sie mit diesem Satz gemeint?‘, grübelte ich, als ich ihr folgte.
Die große Küche war sehr gemütlich und durch die anwesenden Familienmitglieder gut gefüllt. Natürlich gafften mich alle neugierig an, als ich den Raum betrat und ich musste mir arge Mühe geben, keinen dummen Spruch vom Stapel zu lassen. Ich merkte aber, dass mir so langsam die Kontrolle entglitt und ein gewisser alter Jonas die Oberhand gewann.
Nur machte mir eine Person einen gewaltigen Strich durch meine finsteren Überlegungen – Lars. Der nahm mich einfach an die Hand und zog mich zu einem Stuhl.
„Gafft doch nicht so, das bin ich, nur ein paar Nummern größer“, warf er locker in die Runde und die anderen mussten sich arg das Lachen verkneifen.
„Auf jeden Fall ist Jonas um einiges ruhiger als unser Kleiner. Da besteht dann ja für die Zukunft noch Hoffnung“, feixte ein junger Mann Anfang 20. Das brachte ihm die Zunge des Erwähnten ein.
„So Kinder, das ist also Jonas und das sind unsere Kinder, Klara, Dominik und Maximilian. Den Blondschopf kennst du ja schon“, stellte Holger mir die Personen in der Küche vor. Dabei fiel mir jetzt erst auf, dass die drei eben genannten, sehr große Ähnlichkeit mit Susanne hatten, nur Lars kam nach seinem Vater.
Das Abendessen war einfach nur laut. Jeder sprach mit jedem. Der ruhende Pol war Holger, er hörte seinen Kindern geduldig zu und diskutierte dann mit ihnen. Der frechste mit Abstand war Lars, nicht unhöflich, nein nur eine große Klappe, aber seine großen Geschwister liebten ihn abgöttisch und er sie. Obwohl das Essen gut war und die Atmosphäre locker, fühlte ich mich fehl am Platze.
Ich gehörte nicht hierher!
Nach dem Essen wollte Lars mir was zeigen, aber Maximilian schob einen Riegel davor.
„Lars, du hilfst bitte mal Mum und lässt uns Drei mal mit Jonas alleine, ok“, sagte er zu dem Wirbelwind und der akzeptierte den Vorschlag sofort, ohne zu murren.
„Maxi, vielleicht sollte ich erst einmal mit Jonas reden“, widersprach jedoch Holger.
„Nein Dad“, antwortete er, aber das ungesprochene Wort erklärte Holger wohl mehr, als diese Antwort. Dann schleppten mich Maximilian, Dominik und Klara in ein großes Zimmer, welches sich später als Besucherzimmer herausstellte. Schweigend saßen wir uns zuerst gegenüber, aber dann ergriff Maximilian das Wort.
Ich weiß nicht, woher sie das Vertrauen nahmen, aber sie redeten schonungslos mit mir. Sie erzählten mir, wie schwer sie es Holger am Anfang gemacht hatten, als er sich in ihre kleine Familie geschlichen hatte. Als was für ein Arsch sich Maximilian aufgeführt hatte, was er jetzt zutiefst bereute. Das sagte er zwar nicht, aber es stand in seinen Augen geschrieben. Mit größter Achtung sprach er dann davon, wie Holger um sie gekämpft hatte, wie er immer wieder versuchte, ihnen den Vater zu ersetzen. Und mit der Zeit merkten sie, dass er es ehrlich meinte und als Lars auf die Welt kam, war zwar noch nicht alles perfekt, aber sie hatten sich zusammengerauft. Und ich merkte noch eins, ich hörte es zwischen den Zeilen heraus - sie liebten ihn.
„Jonas, warum wir dir das alles erzählen? Ganz einfach, ich kann mich zwar nicht ganz in deine Situation hineindenken, aber ein wenig davon habe ich auch erlebt. Ich bitte dich nur, gib Dad eine Chance – hör ihm zu. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einen von uns einfach so fallen lässt. Ich kenne ihn mittlerweile über zwölf Jahre und wir haben manchen Kampf ausgefochten, aber das passt nicht zu ihm. Und so wie er uns liebt, obwohl wir nicht seine leiblichen Kinder sind, will mir nicht in den Schädel, dass er dich einfach so hat sitzen lassen!“, schloss er seine Überlegungen.
Leise klopfte es an der Tür. Dominik grinste vor sich hin und Klara verdrehte die Augen.
„Wollen wir wetten, dass das dein Abbild ist?“, sagte Maximilian und schüttelte amüsiert seinen Kopf.
„He?“, murmelte ich abwesend, denn ich war viel zu sehr in Gedanken.
„Dem Wirbelwind wurde langweilig“, erklärte Dominik.
„Ja, bitte“, erlöste Klara den Störenfried.
Langsam öffnete sich die Tür und ein Blondschopf schaute um die Ecke. Fast schüchtern blickte er zu uns rüber.
„Dad hat es seit langem mal wieder erwischt“, eröffnete er uns. Ein dreistimmiges „Oh“ war die Folge. Man sah sofort, dass ihnen das allen nicht so behagte.
„Spielt er mit diesem komischen Ding herum?“, fragte Maximilian. Lars nickte.
„Jonas, komm mal bitte mit. Ich hab da so ein hirnrissige Idee, aber kannst du dich an irgendetwas aus der Zeit mit Dad zurückerinnern?“, fragte er nach einer kurzen Grübelphase.
„Nö. Ich ahnte, nein wusste vielmehr sofort, dass Holger mein Vater ist, aber Bilder konnte ich damit nicht verbinden“, grummelte ich. Maximilian wollte nach meiner Hand greifen, da ich keine Anstalten machte, um aufzustehen, aber Lars war schneller.
‚Man, mussten die in dieser Familie einen alle betatschen?‘, ärgerte ich mich. Zurzeit durfte das eigentlich nur Darian, aber dem Kleinen konnte ich nicht böse sein, denn ich sah ihn auch jetzt das erste Mal etwas sorgenvoll.
„Was ist denn los?“
„Na ja, ab und an mal versinkt Dad in einer Art Depression. Dann sitzt er ein paar Stunden regungslos herum und stiert vor sich hin. Das Unheimliche ist, dass er weit, weit weg scheint und auf Sachen um ihn herum nicht reagiert. In den letzten Jahren ist das weniger geworden, aber das es heute wieder auftaucht, lässt mich was vermuten“, erklärte mir Maximilian auf dem Weg durch den Flur.
„Da sitzt er und spielt mit diesem blöden Ding“, sagte Lars nervös zu mir. Ich sah Holger auf einem Sessel in einem sehr gemütlichen Zimmer sitzen und etwas pinkes in den Händen drehen. Er war wirklich wie weggetreten und ich ging langsam näher. Dann erkannte ich den Gegenstand in seinen Händen und starrte es entgeistert an. Es war eine…
… eine pinke Bettflasche…
Bettflasche? In mir blitze ein Erinnerungsfetzen auf. Ich lag als kleines Kind, circa vier oder fünf Jahre alt, in meinem Bett und hatte starke Magenschmerzen. Holger, nur um einiges jünger, beugte sich über mich und schob mir dieses Ding da unter meinen Schlafanzug. Liebevoll sah er mich an, streichelte über mein Haar und setzte sich zu mir.
Ich stand wie von Donner gerührt. Diese Erinnerung war so stark, dass sie mich fast umhaute. Dieser Mann da hatte mich geliebt, ER hatte sich um mich gekümmert, als es mir schlecht ging – Warum kam die Erinnerung erst jetzt?
„Oh je, jetzt siehst du genauso wie Dad aus“, hörte ich es vorwurfsvoll neben mir. Und da schoss der nächste Blitz durch meinen Kopf. Meine Mutter stand irgendwo und rief mir genau diesen Satz zu. Unsere kleine Familie befand sich im Urlaub, eine herrliche Landschaft zeigte sich mir und ich wusste auch gleich, wo es war. Die Gedanken und Gefühle überfluteten mich. In dieser kleinen Szene stand er mir gegen meine Mutter bei, gegen SIE bei!
Langsam löste ich meine Hand aus Lars Fingern und ging vorsichtig zu Holger hinüber.
„Jonas, das ist keine gute Idee“, hörte ich Dominik leise hinter mir sagen. Aber ich war wie in Trance und näherte mich der sitzenden Person. Vor ihr hockte ich mich hin und nahm ihr die Bettflasche aus der Hand. Holger wandte seinen Blick auf mich und mir schien, als würde er aus sehr tiefer Erinnerung zu mir zurückkehren. Und er weinte, dieser erwachsene Mann weinte.
„Sie hat mir dich weggenommen…“
„…einfach verschwunden und …“
„…und ich war zu feige, mit allen Mitteln zu kämpfen. Jonas, bitte verzeih mir, bitte“, flüsterte er tonlos.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann?“, murmelte ich ehrlich.
„Du weißt nicht, wie es war und nicht wie sie ist?“, stieß ich hervor.
„Dann lass uns reden, wenigstens darüber reden“, bat er mich. Und das taten wir dann. Die anderen hatten uns alleine gelassen und wir sprachen den ganzen Abend, die halbe Nacht durch. Okay manchmal schrie ich ihn wütend an, weil mich die Abneigung gegen meine Eltern wieder übermannte. Aber Holger blieb ruhig und wartete, bis ich mich beruhigt hatte. Nur außer diesen beiden Erinnerungsfetzen kam nichts weiter zurück. Die letzte Stunde hatte sich dann Susanne zu uns gesellt. Als alles gesagt schien, breitete sich ein Schweigen über uns. Ich hatte viel zu viel zu verarbeiten, als dass ich dies bemerkte.
„Jonas?“, hörte ich Holger fragen.
„Hm“, murmelte ich in Gedanken.
„Lass mich um dich kämpfen“, sagte er zu mir.
„Wie meinst du das?“, fragte ich ihn argwöhnisch.
„Dann lass mich dies mal erklären“, mischte sich Susanne ein.
„Schau dich mal hier um. Wir haben ein riesiges Haus, also Platz genug. Unsere Kinder sind sofort warm mit dir geworden und vor allem Lars betet dich ja regelrecht an. Kurz und gut, du bist uns hier jederzeit herzlich willkommen“, kam es ernst von ihr.
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, hier öfter vorbeizukommen“, murmelte ich. Susanne lächelte mich leicht an.
„Ich meinte das auch endgültig!“
Wumm! Das hatte gesessen.
Hatten sie mir eben vorgeschlagen, dass ich in ihre Familie wechseln sollte? Ungläubig schaute ich beide an. Und Holger nickte wie zur Bestätigung.
Darian
Mathestunde und ich war noch nicht richtig wach. Nein, diesmal lag es nicht daran, dass ich grundsätzlich nie vor Mittag richtig bei mir war, nein, ich machte mir Sorgen, sogar große.
Seit ich Jonas mit zu Holger gelassen hatte, war er sehr durcheinander. Oft saß er einfach nur da und schien ganz weit weg. Und wenn ich mit ihm darüber reden wollte, blockte er ab. Er war nun ab und an bei seinem Vater, aber auch darüber redeten wir nicht.
Und vorgestern und gestern hatten wir uns gar nicht gesehen, nicht einmal angerufen hatte er. Das konnte nicht so weitergehen, da gefiel mir der Machoengel aber um einiges besser.
Leise klopfte es. Der Bildungsbeauftragte, Lehrer wollte ich die Niete nicht nennen, meinte doch wirklich, er wolle nicht gestört werden. Schon öffnete sich die Tür einen Spalt und …
…mein Paps steckte den Kopf hinein.
„Entschuldigung, könnte ich ihnen mal bitte Darian Teufel entführen?“
„Und Sie sind?“, keifte der Lehrer.
„Polizeihauptkommissar Teufel und die Sache ist dienstlich“, erklärte mein Paps, ließ aber mit diesen Worten gar keine weitere Diskussion zu. Wie benommen nahm ich meine Tasche, denn ich hatte so ein Vorahnung, eine sehr dunkle.
Draußen auf dem Flur standen wir uns gegenüber und mein Vater sah mich ernst an.
„Jonas?“, fragte ich tonlos. Er nickte.
„Was ist…?“, mehr bekam ich nicht heraus, meine Angst war übermächtig.
„Er ist verschwunden!“, offenbarte er mir.
„Verschwunden?“, hakte ich noch einmal verwundert nach.
„Ja. Heute Morgen hatte ich ein Schreiben auf dem Tisch, in dem von einer Anzeige wegen Körperverletzung und einer Vorladung eines gewissen Jonas Engel die Rede war. Eure „Freunde“ von den Klettermeetings haben eine Anzeige gegen Jonas gestellt.“
„Die haben was?“, fragte ich entgeistert.
„Ja, haben sie und treten gegenseitig als Zeugen auf. Da Jonas den Einen ziemlich zugerichtet hat, sieht es auf den ersten Anschein auch schlecht aus, aber sie haben noch nicht registriert, dass ich auch in die Sache involviert bin“, hörte ich meinen Vater grimmig knurren.
„Aber egal“, unterbrach er sich.
„Ich kann Jonas nicht finden. Zu Hause macht keiner auf beziehungsweise die Frau, die sich seine Mutter schimpft, machte ein paar sehr abfällige Andeutungen. In der Schule war er gestern und heute auch nicht. Und Holger weiß auch nicht, wo er steckt“, erklärte er mir und sah mich dabei prüfend an.
„Bei mir hat er sich die letzten beiden Tage auch nicht gemeldet“, murmelte ich niedergeschlagen. Auf einmal, ich weiß nicht woher, hatte ich einen Gedankenblitz.
„Fahr mich zum Kletterverein“, rief ich aufgeregt. Mein Paps stutzte, dachte kurz nach und nickte dann zustimmend.
Eine halbe Stunde später waren wir da. Ich stürmte gleich in die Halle und weiter in das Lager.
Nein, da war er nicht. Jürgen sah mich entgeistert an, als ich in sein Büro stürmte. Er musterte mich kurz.
„Hochseilgarten“
Mehr brauchte er nicht zu sagen, wir verstanden uns manchmal halt ohne Worte. Naja wenn man zusammen klettert, baute sich wohl eine Art Verbindung auf. Mit meinem Vater ging ich nach draußen und wir sahen eine einsame Person oben auf der Plattform sitzen.
„Geh und red mit ihm. Ich bin erst einmal beruhigt, warte dann bei Bernd“, murmelte mein Vater und gab mir einen Schubs. Schnell kletterte ich zur Plattform hoch und sah einen total in Gedanken versunkenen Jonas. Ich setzte mich zu ihm und er schien mich nicht zu bemerken.
„Sie hat mich rausgeschmissen“, offenbarte er mir nach einer Weile des Schweigens.
„Aber sie hat nicht begriffen, dass sich Grundlegendes geändert hat“, flüsterte er weiter. Dabei kam er zu mir und lehnte sich an mich. So offen hatte er seine Zuneigung selten gezeigt. Sanft nahm ich ihn in meine Arme.
„Ich wusste, dass du kommst“, flüsterte er leise.
„Jonas, wie geht’s dir?“ Ich musste diese Frage einfach stellen.
„Seit dem ich dich kenne, einfach zu gut“, murmelte er. Dann entwand er sich meinen Armen und sah mich lange an.
„Darian, kommst du mit?“, fragte er sehnsüchtig.
„Wohin?“
„Lass Dich überraschen, nur wir beide, heute und morgen“, erklärte er kurz.
‚Oh je, die Schule‘, zweifelte ich leise an der Durchführung seinen Wunsches. Nun, das konnten wir schnell klären. Mein Vater und Jürgen saßen bei einer Tasse Kaffee und als ich meinen Wunsch äußerte, stimmte mein Paps wider Erwarten sofort zu. Zusammen fuhren wir zu uns nach Hause. Jonas wühlte in meinen Klamotten, ließ sich ein zwei Sachen von Paps geben und packte einen kleinen Rucksack. Ich saß wie Falschgeld herum und hatte nix zu tun. Dann leierte er meinem Vater noch sein Fahrrad aus den Rippen und war abmarschbereit. Wartend stand er drängelnd in der Tür. Beim Abschied konnte sich mein Paps jedoch eins nicht verkneifen.
„Jonas, du bist für meinen Kleinen verantwortlich“, knurrte er.
„Aber anfassen darf ich ihn doch?“, griente Jonas zurück.
„Haut schon ab, und Darian, wenn was ist – Handy!“
Dann fuhr Jonas mit mir zum Bahnhof. Und etwas später stand ich mit ihm auf einem Bahnsteig des Ostbahnhofes, ein Zugticket in der Hand – Ziel Güstrow. Ich verstand nur böhmische Dörfer und dieser kleine eklige Engel neben mir schwieg wie ein Grab. Fahrräder im Gepäckwagen aufgegeben und schwups saßen wir in einem Abteil. Da wir dieses für uns alleine hatten, saß Jonas auf einmal auf meinem Schoß und wir versanken in einen ultralangen Kuss. Die Zugfahrt war äußerst kurzweilig. Von der vorbeifliegenden Landschaft bekam ich nicht so viel mit, dafür aber umso mehr von Jonas. Wir holten die letzten zwei Tage nach, so zärtlich und liebesbedürftig hatte ich ihn noch nie erlebt. In Güstrow stiegen wir dann in einen Bummelzug und eine halbe Stunde später endete die Zugfahrt in Krakow am See. Nun ging es ab auf die Fahrräder und wir radelten durch plattes Land. Irgendwie kam es mir so vor, als würde Jonas sich hier auskennen und doch wieder nicht. Sein Blick ging ständig suchend an der Straße entlang. Dann bog er in einen kleinen Feldweg ab. Wir fuhren kurz durch einen kleinen Wald, dann breitete sich vor uns ein See aus. Es sah alles so friedlich aus, das Wasser war glasklar. Am Ufer fuhren wir noch ein Stück und dann blieb Jonas stehen und schien wieder tief in Gedanken versunken. Einige hundert Meter von uns entfernt stand eine Scheune am Wasser, dahinter war ein großes Feld.
„Ja, hier ist es“, murmelte er. Ich sah ihn prüfend an – er schien glücklich, sehr glücklich.
„Komm“, rief er mir zu und sprintete mit seinem Rad los. Atemlos kamen wir bei der Scheune an.
„Wir sind am Ziel“, hörte ich ihn und er trat auf mich zu.
„Komm her, meine Wollmütze“, lächelte er mich spitzbübisch an. Er schlang seine Arme um mich und zog mich ganz dicht an sich, unsere Lippen vereinigten sich. Mich brachte nach wie vor jede Berührung mit ihm um den Verstand. Dann löste er sich und kramte in unserem Rucksack.
„Lass uns baden gehen“, hörte ich ihn nuscheln.
„Nackt?“, quiekte ich auf.
„Stört dich was an meinem Körper?“, grinste er mich diabolisch an.
‚Oh man, das stand ich nicht durch. Ich wollte ihn nicht überfordern, aber wenn wir hier nackt herumturnten, konnte ich für nichts, aber auch gar nichts garantieren!‘
Dann baumelte auf einmal eine Badeshorts vor meinem Face. Der Schlingel hatte an alles gedacht. Grummelnd schnappte ich sie mir und verschwand kurz in der Scheune. Schämte ich mich auf einmal? Nein, aber wer mich so übers Ohr haut, dem musste ich mal kurz die Grenzen aufzeigen, denn ich hatte sehr wohl die Enttäuschung in seinen Augen gesehen, als ich zur Scheune ging. Sekunden später stand ich wieder bei den Fahrrädern – Jonas hörte ich trotzdem schon aus dem Wasser kreischen.
„Etwas kalt, aber es geht.“
Kurz einmal den Zeh ins Wasser gehalten und ich brauchte mir über meine aufkommende Versteifung der Körpermitte keine Gedanken mehr zu machen – das Wasser war saukalt! Die Blöße konnte ich mir jedoch nicht geben. Mit einem kleinen Anlauf stürzte ich ins Wasser und gleich auf Jonas zu. In kürzester Zeit war die größte Balgerei in Gange. Und noch ganz andere Sachen regten sich trotz der Kälte. Es war das erste Mal, dass ich Jonas fast nackt sah – sein Striptease im Umkleideraum des Vereins zählte nicht. Und vor allem konnte ich seine Haut auf meiner spüren. Lange würde ich mich nicht mehr zurückhalten können, vor allem nicht, wenn er mich weiter so aus seinen hübschen Augen anschaute. Das Wasser stand uns bis zum Bauchnabel, da tauchte er auf einmal hinter mir auf. Er schob sich ganz dicht an mich und legte seine Arme um meinen Körper.
„Jonas, bitte nicht“, versuchte ich ein bisschen Ruhe zu bewahren.
„Mache ich dich nervös?“, hörte ich ihn leise in mein Ohr flüstern. Verwundert drehte ich mich in seinen Armen um und sah zwei verliebte Augen.
„Seit der ersten Minute“, murmelte ich.
„Ich weiß nicht, ob ich das Richtige mache, aber ich weiss, dass du der Richtige bist“, gestand er mir, dabei strichen seine Finger über meinen Hals, Wange, Nase.
„Küss mich“, forderte ich ihn auf und das tat er - und wie. Seine Hände wanderten dabei über meinen Rücken und er schob die Finger in meine Shorts. Fest krallten sie sich in meinen Hintern und zogen mich noch dichter an sich. Durch den dünnen Stoff spürte ich seine Erregung an meiner und sanft rieben wir sie aneinander. Atemlos lösten wir uns.
„Dann brauchen wir die Dinger auch nicht“, flüsterte ich lüstern und streifte mir meine Shorts runter. Jonas lächelte etwas verlegen, aber die Geilheit siegte. Das Wasser war zwar klar, aber so richtig sehen konnte ich sein bestes Stück doch nicht, aber spüren. Jonas hatte sich wieder ganz dicht an mich gedrängt und sie berührten sich zum ersten Mal ohne Hindernisse. Ich stöhnte auf, das war schon fast zuviel. Ich wusste gar nicht, was ich mit meinen Händen zuerst erkunden sollte – doch ihm ging es wohl genauso. Seine Finger huschten über alle Stellen, die sie erreichen konnten.
„Das wird zu kalt“, murmelte er ungeduldig und löste sich von mir. Unwirsch nahm ich zur Kenntnis, dass er mich losließ und nur meine Hand schnappte. Sanft zog er mich zum Ufer und dort nahm er sich ein Handtuch. Ich trocknete mich ebenfalls ab und breitete eine Decke aus. Dabei konnte ich meine Augen nicht von ihm lassen – der Boy war einfach eine Wucht. Und sein bestes Stück war einfach …, und damit hatte er mich…? Nun lag ich auf der Decke und Jonas stand etwas verlegen vor mir. Seine Augen streiften über meinen Körper und blieben an meiner Körpermitte hängen.
„Komm her, mein Engel“, forderte ich ihn auf. Langsam ließ er sich neben mir auf der Decke nieder. Seine Finger gingen wieder auf Erkundungstour und wie magisch angezogen wanderten sie zu meinen Lenden. Als sie sich um ihn schlossen, keuchte ich auf.
„Darian, ich möchte, dass du mich…“, flüsterte er. Erstaunt sah ich ihn an. Ich sollte ihn …? Wenn er nicht sofort seine Finger von meinem Schwanz nahm, würde ich eine Weile brauchen, bis ich wieder dazu in der Lage war.
„Meinst du, dass du dazu schon bereit bist?“, fragte ich ihn vorsichtig. Vertrauensvoll sah er mich an und nickte leicht.
„Sehr gerne“, lächelte ich ihn an. Ich war nicht nur passiv, nein diesen schnuckeligen Kerl würde ich nach Strich und Faden vernaschen. Langsam bereitete ich ihn vor und es bereitete ihm Lust. Sein Hintern war einfach knackig. Und dann drang ich langsam in ihn ein. Er grunzte kurz und ich ließ ihm Zeit, sich daran zu gewöhnen.
„Mach schon“, knurrte er. Und je tiefer ich mich in ihn schob, desto geiler wurde er. Es schien ihm verdammt gut zu gefallen, denn anders war sein Stöhnen nicht zu verstehen und ich wurde von der Lust endgültig übermannt. Ich besorgte es meinem Engel kräftig. Leider konnte ich es dann nicht mehr zurückhalten und brach nach einem Megaorgasmus auf ihm zusammen.
„Wow, das war verdammt geil“, keuchte er unter mir und ich spürte seinen Samen zwischen uns. Er war ebenfalls gekommen.
‚Oh ja‘, dachte ich mir und zog mich aus ihm zurück. Eine Weile lagen wir nur schweigend aufeinander.
„Darian?“
„Ja“, murmelte ich erschöpft.
„Danke.“
„Das kannst du öfter haben“, grinste ich ihn an.
„Blödmann, das meine ich nicht“, grinste er zurück
„War ich so schlecht?“, fragte ich entrüstet.
„Nein, aber ich meine was anderes“, sprach er auf einmal ernst. Fragend sah ich ihn an.
„Du bist mein Engel, mein persönlicher Rettungsengel“, gestand er mir.
„Und du manchmal mein kleiner Teufel“, lächelte ich ihm zu, aber ich hatte genau verstanden was er meinte.
„Wir gehören zusammen und nichts wird uns trennen“, gestand ich ihm meine innersten Gedanken.
„Und nun zeig mir mal, ob du das besser machst als ich eben“, flüsterte ich ihm lüstern zu und griff nach seinem besten Stück, das schon wieder im Wachsen begriffen war.
„Lüstling“, murmelte er, aber genau diese Lüsternheit blitze aus seinen Augen.
Und Jonas nahm mich sanft. Das war nicht nur purer Sex, nein wir vereinigten uns mit Liebe. Es war einfach unglaublich.
Jonas
Ein kleiner Sonnenstrahl kitzelte mich im Gesicht, aber das war nicht alles, was mich aus dem Schlaf holte. Zuerst roch ich etwas – ich schnüffelte leicht. Ja, das war der unverkennbare Duft von meinem kleinen Teufel. Einen ganz kleinen Spalt öffnete ich meine Augen und konnte seinen schwarzen Wuschelkopf sehen. Aber es störte mich noch etwas. Mir war, als hätte ich eine andere Präsenz gespürt, nein keine weitere Person, eher einen Geist. Und je mehr ich diesem Gefühl versuchte, nachzugehen, desto mehr verschwand es. So wandte ich mich lieber anderen Tatsachen zu und öffnete meine Augen ganz.
Darian sah wie ein Engel aus, wenn auch ein teuflischer. Meine Aussage von gestern war nicht so aus der Luft gegriffen. Ich hatte sie zwar erst vor ein paar Stunden in Worten fassen können, aber genau das traf zu. Dieser Kerl dort hatte mich ganz alleine gerettet, hatte mir einen Weg ins Leben gezeigt – mein persönlicher Engel.
‚Und dazu ein ziemlich geiler‘, durchfuhr es mich. Der Abend und die Nacht waren der Hammer gewesen. Gut, der Sex mit Frauen hatte mich auch befriedigt, aber das gestern war einfach unglaublich. Als er in mich eindrang, war mir das nicht unangenehm, nein es war einfach … Und als Darian merkte, dass ich keine Schmerzen hatte und es mir sogar ziemlich gefiel, da hat meinen Engel der Teufel geritten beziehungsweise der Herr Teufel hat den Engel geritten. Bei diesem Wortspiel musste ich nun doch grunzen. Der Kleine konnte ganz schön ausdauernd und fordernd sein. Tja und als wir dann die Rollen tauschten, war er sehr überrascht, wie sanft ich ihn genommen hatte. So waren immer meine Träume gewesen. Ich wollte nicht nur puren Sex, ich wollte ihn lieben!
Ja und ich liebte diesen Jungen, dessen war ich mir nun endgültig sicher. Leicht regte er sich neben mir und zog mich enger zu sich heran.
„Wie kann man so früh schon munter sein?“, grummelte er leicht und kuschelte sich ganz dicht an mich. Da blieb nun nicht aus, dass er mein Verlangen spürte.
„Hm“, schnurrte er und seine Hand strich zwischen meine Schenkel.
„Du Nimmersatt“, neckte ich ihn. Jetzt öffnete er doch seine eisblauen Augen.
„Iiiiiccch?“, fragte er vorwurfsvoll. Meine Finger hatten längst seine Härte erspürt und streichelten ihn sanft.
„Eigentlich ist mir mehr nach küssen“, flüsterte er mir zu. Das konnte er haben. Ich schob mich auf ihn und senkte meine Lippen auf seine. Ich konnte stundenlang an seinen Lippen knabbern. Stunden später lösten wir uns wieder und seine Augen strahlten wieder mal verträumt. Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und blieb einfach mal so liegen. Seine Finger fingen an, in meinen Haaren zu spielen.
„Jonas?“, hörte ich ihn fragen.
„Hm“, murmelte ich.
„Ich stell mir schon seit gestern eine Frage“, fing er zögernd an. Man merkte, dass er unter keinen Umständen diese Stimmung stören wollte, aber seine Neugierde siegte doch.
„Frag einfach“.
„Warum sind wir hier?“
„Ich verbinde mit diesem Ort etwas.“
„Aha.“
„Als ich bei Holger war und wir versuchten, uns auszusprechen, wurden zwei Erinnerungen in mir wach, die ich sorgsam in meinem Herzen gehütet, aber wohl vergessen hatte.“ Ich merkte, dass die Worte nicht so einfach heraus wollten. Darian hatte ein untrügliches Gefühl für meine Stimmungen und schlang seine Arme fest um mich.
„Das Eine war diese lächerliche pinke Bettflasche, die er wohl wie eine Art Trophäe aufbewahrt und die Andere war unser letzter Urlaub mit unser kleinen Familie…“ Meine Stimme war immer leiser geworden und brach zum Schluss ganz ab.
„Hier?“, hörte ich ihn wispern. Leicht hob ich meinen Kopf und schaute ihm in die Augen.
„Mein Engel, ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, weiß nicht, ob ich nun einen Vater habe und keine Mutter mehr, aber eins weiß ich – ich habe jetzt dich!“
„Dieser Urlaub war die letzte schöne Erinnerung, die ich an eine heile Familie hatte…“
„… die ich an eine glückliche Zeit hatte. Lass uns die Zeit dazwischen vergessen und hier einfach neu anfangen. Du bist jetzt meine Familie, mein Freund und ich liebe dich!“
Seine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt und ich konnte seine Antwort in ihnen sehen. Seine Hände nahmen meinen Kopf und zogen ihn zu sich hinunter. Unsere Lippen vereinigten sich und wir versanken in einem Kuss…
…einem Kuss für eine neue Zukunft…
Lächelnd schwebte ich aus der Scheune. Diese beiden jungen Menschen hatten zueinander gefunden. Auf ihrem steinigen Weg würden sie noch einige Schwierigkeiten aus dem Weg räumen müssen, aber die Liebe war zu vielem fähig.
Jeder von beiden war ein Teufel aber auch ein Engel, aber welcher Mensch war das nicht?
Wer würde die Menschen schon je richtig verstehen können?
Um dies halbwegs zu können, machte ich mich weiter auf die Suche…
…auf die Suche nach Geschichten.
Ende
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