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Tödliche Weihnachten

Weihnachtschallenge 2007

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Inhaltsverzeichnis

Beitrag zur Weihnachtschallenge 2007

Ruwen

„Brrr. Kalt. Zitternd schloss ich die Wohnungstür. Winter... einfach nicht meine Jahreszeit. Überall dieser Schnee, die hektischen Menschen in der Stadt, die panisch versuchen, ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen... und habe ich den Schnee und die Kälte erwähnt? Es war der 23.12., also quasi Fünf vor Zwölf...“

‚Oh je‘, fuhr es mir prompt durch den Schädel. Hätte ich doch nur nicht so groß herumgetönt letzte Woche.

‚Warum konnte ich nicht einmal meine vorlaute Klappe halten???‘

Zu dem vorgeschriebenen Thema fiel mir so gar nix ein, denn es war genau der Gegensatz zu meinen Vorstellungen von Weihnachten und der schönen Winterzeit. Außerdem bekam ich bei diesem Datum eine Gänsehaut und mein Magen zog sich zu einem schwarzen Klumpen zusammen.

Trotzdem saß ich hier nun vor meinem Bildschirm und starrte auf die Anfangssequenz, aus der ich eine Story basteln sollte. Eigentlich schwirrten mir schon sämtliche mögliche und unmögliche Entschuldigungen durch den Kopf, um mich vor dem Schreiben zu drücken.

„Sie haben Post!“, schrie mein Handy aus meiner Hose. Ich wusste sofort, wer sich hier meldete. Zögernd angelte ich den Störenfried aus meiner Tasche, und mein Gehirn hatte gerade eine neue Variante einer Ausrede durchdacht.

Hey Ruwymäuschenchenchen!

Untersteh Dich, NIX zu schreiben. Ran an die Tasten, ich will was von Dir lesen. Ich will, will, will, will!!!!!!!!!

Liebe Grüsse

Deine Cait

Da hatte ich den Salat. Nun würde keine Ausrede mehr nützen und ich saß sprichwörtlich in der Falle. Aber was jammerte ich jetzt herum, mein großes Mundwerk hatte mir das ja eingebrockt. So ganz kommentarlos konnte ich die Simse jedoch nicht durchgehen lassen.

Gegrüßt sei die Riesin unter den Zwergen!

Ich habe keine Ahnung, wovon Du redest. Ich glaube, ich gehe nun erst mal einkaufen.

Es grüßt Dich

Ruwen, der Große

Mit einem kleinen Lächeln schickte ich die SMS auf Reisen, behielt aber mein Handy gleich in der Hand, denn ich wusste genau, was gleich geschehen würde. Und siehe da, mein Handy klingelte.

„Ich bin nicht klein“, blökte eine Frauenstimme in mein Ohr. Im Geiste sah ich sie mit dem Fuß aufstampfen und mich grimmig mustern.

„Auch einen schönen Tag, Katyyyyyyyyy“, grinste ich süffisant in meine Sprechmuschel.

„Nenn mich nicht so“, kam die prompte Antwort.

„Du bist unmöglich, aber das weißt Du ja, und lenk hier mal nicht vom Thema ab. Setz Dich gefälligst hin und schreibe Deine Story“, befahl sie mir unmissverständlich.

Wie könnte ich solch zarten Persönchen widersprechen, oder…

„…habe mir gestern beim Training die rechte Hand verstaucht“, brachte ich sofort eine meiner sorgfältig recherchierten Ausreden hervor.

„Hast Du gar nicht?!? Weil, weil…“, hörte ich es bestimmt, aber über alle Maßen neugierig und unsicher aus dem Telefon.

„Habe ich wohl“, unterbrach ich ihr Gestottere und konnte mir gerade so noch das Lachen verkneifen.

„…Du Dich immer noch nicht im Verein angemeldet hast“, vollendete sie triumphierend den angefangenen Satz.

„Und wenn doch, dann tipp mit der linken Hand, bist ja eh ne Schnecke beim Schreiben“, setzte sie noch schnippisch einen drauf.

„Danke Katrin“, grummelte ich. Sie hasste es, wenn man sie mit ihren Vornamen ansprach. Ich fand den Namen Katrin schön, aber jeder hat halt so eine Macke.

„NENN MICH nicht so“, maulte sie sofort.

„Kommst Du nun am Samstag?“, nahm sie ansatzlos das nächste Thema auf.

„Klar.“

„Das ist fein, dann brauchst Du jetzt nicht shoppen zu gehen, das machen wir ja schon am Samstag“, trompetete sie und ich sah sie regelrecht über beide Wangen grinsen. Darauf hatte ich nun keine Antwort mehr, und wir verabschiedeten uns voneinander. Mein Blick wanderte wieder zu meinem Bildschirm, aber der Geistesblitz zu den vorgegebenen Anfangszeilen wollte sich nicht einstellen. So schweiften meine Gedanken zu Katrin, die sich selbst Caitlin nennt, zurück.

Vor zwei Jahren hatte ich mal eine Geschichte bei nickstories.de eingereicht, nachdem ich alle interessanten Stories da verschlungen hatte. Ich wollte einfach nur mal ausprobieren, ob ich das auch konnte. Die Resonanz erschlug mich, mein Stil schien wohl anzukommen und ein wenig schmeichelte es auch meinem Ego. Aus der ganzen Angelegenheit ergaben sich ein paar Mailfreundschaften und Katy war die Einzige, die ich dann auch mal traf.

In Erinnerung an das Treffen musste ich mir ein Lächeln verkneifen. Wir hatten vorher keine Bilder getauscht, und somit stellte es das klassische Blinddate dar. Ich wusste nur, dass sie sehr schlank war, lange Haare hatte und einen langen Mantel tragen wollte, und so stand ich am Münchener Hauptbahnhof herum und starrte jedem Mädchen hinterher. Sie kam aus München und ich aus Stuttgart. Treffen wollten wir uns um 13 Uhr gegenüber vom Zeitungsstand und ab 13.01 Uhr wurde ich nervös. Ich hatte keine Handynummer und freundete mich mit dem Gedanken an, dass ich wohl den Weg umsonst gemacht hatte. Gegen 13.08 Uhr kam eine junge Frau die Treppen hinauf und lächelte mich vorsichtig an. Figur passte, einen langen Mantel trug sie und das Alter kam auch hin. Sie war es. Und dann entwickelte sich ein sehr schöner Nachmittag, der wie im Fluge verging. Katrin war ein hübsches und intelligentes Mädchen, bei der man durchaus auch auf andere Gedanken kommen könnte, wenn da nicht zwei Sachen wären.

Die erste Ursache machte sich am frühen Abend bemerkbar, denn ihr Handy klingelte und ich lauschte grinsend dem Gespräch. Es war ihr Freund, der sich wohl doch etwas Sorgen machte, weil sie sich mit einem wildfremden Kerl herumtrieb. Sie konnte ihn aber beruhigen, denn ich hatte mich ihr nicht unsittlich genähert, womit wir bei der zweiten Ursache wären.

Ich stand nicht unbedingt auf Frauen. Warum sollte wohl sonst ein Kerl bei Nickstories Geschichten lesen? Eigentlich hatte ich damals ganz andere Stories gesucht, sagen wir mal um einiges erotischer. Aber dann bin ich doch da hängen geblieben und habe die Geschichten regelrecht wie ein trockener Schwamm aufgesogen.

Nach unserem ersten Treffen folgten weitere und wir tauschten uns über unsere Stories aus, denn sie hatte ebenfalls ein paar Werke von sich dort veröffentlicht. Mir gefielen sie sehr gut, zumal sie ewig an einer Zeile herumdoktern konnte. Auf jeden Fall waren die Stunden mit ihr immer sehr unterhaltsam, erstens konnte man sie so schön ärgern und zweitens konnte ich mit ihr über ein Thema reden, das ich eigentlich immer noch tief in mir vergrub.

Seufzend machte ich meinen PC aus und schlenderte ins Bad. Aus dem Spiegel lächelte mir spöttisch ein 23jähriger, aber um einiges jünger aussehender Junge entgegen. Jedoch sahen mich die tiefblauen Augen fragend an.

„Ruwen, bist Du schwul?“, hauchte ich mir selbst zögernd zu. Es war eigentlich keine Frage, aber so endgültig sicher war ich mir halt nicht.

Warum?

Ich hatte keinen Freund, hatte noch nie einen und ich war die sprichwörtliche Jungfrau. Ja, und das mit 23! Ich hatte da so antiquierte Vorstellungen. Sex konnte es für mich nicht ohne Liebe und Vertrauen geben. Nun ja, ein paar Jungen hatte ich schon hinterher gehimmelt, aber vom Verlieben und Sex war ich mindestens einen Mount Everest-Aufstieg entfernt. Bei gewissen Handlungen an mir selbst spielten jedoch diese Jungen immer eine Hauptrolle und bei meinen Shoppingtouren schaute ich hübschen Kerlen nach, so dass ich schon annahm, dass ich schwul war – nur wissen tat ich es mit Gewissheit nicht.

Ein Geräusch riss mich aus meinen Überlegungen. Das Klingeln war mir willkommen, denn so konnte ich meinen Gedanken entfliehen. Sekunden später nahm ich den Hörer aus der Ladestation.

„Hallo Junior“, hörte ich einen tiefen Bass aus dem Telefon.

„Hey Grandpa“, antwortete ich.

„Und, langsam eingelebt?“, fragte er besorgt.

„Na ja, es geht“, murmelte ich leise und schloss die Augen. Sofort waren sie wieder da, diese Bilder…

„Hast Du Dich endlich bei dem Verein angemeldet“, hakte mein Gesprächspartner jedoch unerbittlich nach.

„Nein.“

„Ruwen Jesper Holland“, knurrte es am anderen Ende.

„Ja, morgen, okay?“, versuchte ich meinen Großvater zu beschwichtigen. Dann plauderten wir noch ein wenig über allerlei Alltagszeugs und nach zehn Minuten verabschiedete sich mein Großvater. Einen Moment später nahm ich das Zwiegespräch mit meinem Spiegelbild wieder auf. Nur schweiften meine Gedanken in eine ganz andere Richtung und meine Augen füllten sich mit Tränen. Unbewusst wanderte meine rechte Hand zu meiner linken Bauchseite.

Würde ich je vergessen können?

Eine einzelne Träne löste sich und wanderte langsam auf meiner Wange hinunter. Mir war, als würde sie eine blutrote Spur hinterlassen…

Alessio

Man, der Alte nervte nur noch. Ich wusste auch, dass meine Schulnoten immer schlechter wurden, aber es gab halt wichtigeres als Schule. An erster Stelle kam da der Sport, dann waren die Partys nicht zu verachten, jede Woche eine Andere im Bett und irgendwann ganz, ganz hinten kam die Schule.

„Hey Alder“, riss mich jemand aus meinen düsteren Gedanken. Mein Blick wandere zu dem Störenfried, und meine Laune besserte sich nicht einmal um Nuancen! Der Schleimbeutel hatte mir gerade noch gefehlt.

„Moin Silvio“, entgegnete ich angepisst.

„Was ist Dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte er eine Spur zu neugierig.

‚Das werd ich Dir gerade erzählen, Du Quatschtante‘, fuhr es mir durch den Kopf.

„Sorry, bin auf dem Weg zum Training“, versuchte ich ihn wieder loszuwerden, und was machte die Schwachmatte?

„Ist auch mein Weg, können wir ja ein wenig plaudern“, faselte er weiter. Der hing wieder wie eine Klette an mir. Seitdem ich den zweimal aus einer brenzligen Situation gerettet hatte, wurde ich ihn einfach nicht mehr los. Dabei ging es mir gar nicht um diesen Wichtigtuer, sondern ich wollte nur mit seiner Schwester ins Bett.

Es war eine riesige Enttäuschung mit der Braut, und im Nachhinein verdammte ich meine Rettungsaktionen.

‚Vielleicht könnte ich die Typen von damals um eine nachträgliche Wiedergutmachung bitten!‘, ging mir durch den Schädel und ich musste ein Kichern unterdrücken.

„Und wie war es mit Klara am Samstag“, fragte er auf einmal mit verschwörerischem Unterton und grinste dämlich über beide Backen.

‚Oh Gott! Dir werde ich bestimmt nicht auf die Nase binden, dass ich keinen hoch bekommen habe!‘, dachte ich bei mir und zuckte unbestimmt mit meinen Schultern.

‚Oder wusste die Ratte was?‘, überlief es mich siedendheiß. Dann war ich geliefert, weil ich meine Unfähigkeit gleich selbst am schwarzen Brett im Gymnasium publik machen könnte.

„Hätte nicht gedacht, dass Du die abgeschleppt bekommst“, schwafelte er weiter und musterte mich neugierig.

„Hm“, machte ich unbestimmt.

„So unnahbar die sich immer gibt, aber am Samstag schien sie hin und weg“, erzählte er immer weiter und merkte nicht, wie sehr er mir auf den Keks ging. So schaltete ich ab und ließ ihn reden.

‚Moment, was war das eben?‘, horchte ich auf und nun lief es mir eiskalt den Rücken hinunter.

„Wie bitte?“, knurrte ich angepisst.

„Ähm…, was…?“, stotterte er.

„Was war das gerade?“, wandte ich mich nun mit einem drohenden Unterton an Silvio.

„Wie…, ach soooo. Meine Schwester meinte gestern, Du bringst es eh nicht im Bett, aber die ist doch nur sauer, dass Du sie abgeschoben hast. Voll die eingebildete Zicke“, antwortete er mir mit einem unruhigen Blick und der letzte Satz kam ziemlich angepisst herüber.

‚Na toll, seine Schwester ging mit unserem Sexleben hausieren.‘ Irgendetwas Sinnvolles sollte mir nun aber doch einfallen.

„Das hat auch immer was mit den Reizen der Frau zu tun, und Deine Schwester ist da…“, antwortete ich ihm und ließ den Rest mit einem abfälligen Unterton zwischen uns unausgesprochen. Er schien die Kröte zu schlucken und ein fieses Grinsen stahl sich in sein Gesicht.

„Jo, ich hab ihr ja schon immer gesagt, wenn der BH erst fällt, ist da nicht mehr viel“, blinzelte er mir verschwörerisch zu.

Diese Gefahr schien erst mal gebannt und ich ließ ihn weiter faseln. Die dunklen Gedanken blieben aber. Das ich es am Samstag nicht auf die Reihe bekam, nagte schon ziemlich an mir. Klara war ein Rasseweib, auch wenn die Klamotten gefallen waren, aber ich hatte sie am Wochenende nur herumbekommen, weil…

…sagen wir mal so, der Alkohol spielte eine nicht untergeordnete Rolle und ich hätte ihn auch für mein Versagen in die Waagschale werfen können, jedoch…

…ich war an diesen Abend nicht mal angeheitert. Mein Ziel war Klara, und als ich sie hatte, ging nichts. Zum Glück war sie so vollgedröhnt, dass sie davon gar nichts mitbekam und gestern hätte sie mir fast eine gescheuert, als sie mich zur Rede stellte. Eine Wiederholung schien da wohl nicht drin. War mir eigentlich auch egal, denn meinen Erfolg hatten ja alle mitbekommen – mehr Sorgen bereitete mir meine Unpässlichkeit. Nicht das dies sooo ganz neu für mich war…

…nach dem dritten oder vierten Mal Sex mit einem Mädel war meist der Ofen aus, deshalb hatte ich ja auch so einen Verschleiß. Für mich war Sex verdammt wichtig und ich fand ihn einfach nur geil. Nur, warum nutzte sich meine Erregung bei den Frauen ab und nun schien es, als würde sogar die Verlockung des Unbekannten nichts mehr nutzen.

Was war nicht in Ordnung?

„Alder, mach’s mal gut. Wir sehen uns ja nachher beim Treff?“, schob er seiner Verabschiedung noch die lauernde Frage hinterher.

‚Bloß nicht festnageln lassen‘, ging mir spontan durch das Hirn.

„Mal schauen, weiß noch nicht so recht“, antwortete ich dementsprechend vage. Wenigstens war ich den Nerver los und befand mich Minuten später im Dojo. Heute war allgemeines Training und der Trainer übergab mir die Verantwortung zum Warmmachen. Ich war wohl nicht ganz bei der Sache, denn einige Jüngere kicherten auf Grund meiner Anweisungen leise vor sich hin. Also zog ich das Training ein wenig an und Minuten später verstummte das Lachen. Nach 15 Minuten ließ sich Mathias immer noch nicht blicken und ich schaute kurz auf den aushängenden Trainingsplan – ah, Wurftechniken in Verbindung mit Falltechnik. Kurz und schmerzlos teilte ich die Pärchen ein. Dabei mischte ich munter unsere Anfänger mit den etwas Fortgeschrittenen. Hoffentlich kam Mathias bald, denn ich wollte weiter an meinem Kata für den Ni-dan üben – die Prüfung stand in ca. acht Wochen an. Und ich wollte meinen zweiten Meistergürtel unbedingt.

„Alessio?“, hörte ich hinter mir Mathias fragen.

„Na endlich“, grummelte ich und drehte mich genervt um. Der Trainer war jedoch nicht alleine. Neben ihm stand ein jüngerer Mann und schaute sich eher desinteressiert um. Als sein Blick auf mich fiel, war mir so, als würden sich seine Augen kurz weiten. Und genau diese Augen faszinierten mich sofort – so ein Blau hatte ich noch nie gesehen.

„Alessio, das ist Ruwen – Ruwen, das hier ist mein Aushilfsschleifer Alessio“, stellte Mathias uns grinsend einander vor.

„Schleifer?“, fragte der blonde junge Mann neugierig.

„Mein bester Judoka im Verein und der ehrgeizigste, was er die Trainingspartner spüren lässt“, erklärte Mathias mit einem spöttischen Unterton.

„Matzeeee!!!“, knurrte ich warnend. Und eigentlich hätte ich ja auf Grund der Lobeshymnen rosa anlaufen müssen, aber ich wusste, was ich konnte und war nicht gerade schüchtern – leicht rosa lief jedoch mein Gegenüber an. Dies war mir nun so gänzlich unerklärlich, aber irgendwie fand ich, dass ihm das stand.

Wieee bitteee???

‚Oh man, ich war ja total durch den Wind!‘, wies ich mich zurecht. Zuerst fielen mir bei einen TYPEN die Augen auf und dann gefiel mir seine gesunde Gesichtsfarbe – ich brauchte dringend eine Frau!

„Ruwen, die Umkleide habe ich Dir ja schon gezeigt. Wenn Du Lust hast, zieh Dich um und nimm heute probehalber schon mal am Training teil“, forderte Mathias den jungen Mann auf. Dieser wandte sich ab und schlenderte nicht gerade enthusiastisch Richtung Umkleide. Mein Blick wanderte prüfend über die schlanke Gestalt. Kopfschüttelnd und innerlich zurechtweisend wandte ich mich schnell ab und wollte mich meinen Übungen widmen.

„Duuuu, Soooocke?“, wandte sich Mathias wieder an mich und der bettelnde Unterton war nun so gar nicht zu überhören.

„Vergiss es!“, zischte ich postwendend. Wenn er mich mit meinem Spitznamen anredete, konnte es nur Arbeit für mich bedeuten.

„Och komm, die Kata beherrscht Du mittlerweile aus dem Effeff und ich brauche eine unabhängige Meinung über den Neuen“, bettelte er weiter.

„Einen sehr interessierten Eindruck machte er ja nicht gerade“, gab ich meinen ersten Eindruck wieder.

„Ach ist Dir das auch schon aufgefallen? Mir kam es so vor, als wäre er nicht ganz freiwillig da und über seine sportliche Vergangenheit hat er auch nicht viel verlauten lassen“, erklärte Mathias mir.

„Und was willste dann mit dem?“, fragte ich argwöhnisch.

„Zahlende Mitglieder kann ich immer gut gebrauchen und auch wenn er meinte, dass er seit ein paar Jahren nicht mehr trainiert hat, denke ich, dass da mehr ist“, schloss er seine Erklärungen und sah mich fragend an. Ich rang mit mir, denn ich hatte den Nachmittag heute wirklich für meine Übungen verplant und wollte mich nicht mit einem Neuling abgeben, anderseits…

…reizte mich der Kerl. Erschrocken sah ich Mathias an. Sein Blick war nach wie vor fragend, somit hatte ich meine Gedanken wohl nicht laut geäußert.

„Okay, aber beschwer Dich nachher nicht, dass ich ihn zu hart rangenommen habe und er nicht wieder kommt“, grummelte ich mein Einverständnis.

„Socke, hast was gut“, grinste er mir zu und wandte sich zu der Trainingsgruppe. Mein Blick wanderte zum Eingang, aber da war niemand zu sehen. So konzentrierte ich mich wieder auf meine Übungen, aber so recht wollte mir nichts mehr gelingen. Immer wieder musste ich von vorne anfangen und nach dem dritten Male gab ich entnervt auf – außerdem fühlte ich mich beobachtet.

Und das nicht zu Unrecht, denn am Eingang lehnte lässig der junge Mann, die Arme vor der Brust verschränkt, die Augen gebannt auf mich gerichtet, so, als wollten mich die tiefblauen Augen aufsaugen, und um den Mund spielte ein kleines spöttisch-wissendes Lächeln.

Machte der Typ sich über mich lustig??

Na warte Freundchen, da werden wir mal für klare Fronten sorgen. Seine Wettkampfkleidung schien nagelneu und erstrahlte in einem grellen weiß. Gegürtet war er mit einem Shi-kyū, einen orange-grünen Gürtel, den 4. Kyu.

‚Wenigstens kein absoluter Anfänger, aber zum Spielen gerade richtig‘, ging es mir durch den Schädel und ein kleines fieses Grinsen stahl sich in mein Gesicht. Mit einer Kopfbewegung lud ich ihn ein, näher zu kommen und er schien aus seinen Gedanken zu schrecken. Langsam, etwas zögerlich kam er näher und sah mich fast wie ein scheues Reh an, nur seine geschmeidigen Bewegungen sprachen eigentlich eine andere Sprache.

„Mathias meinte, ich solle mal schauen, was Du so kannst“, spielte ich gleich mit offenen Karten und konnte mir ein arrogantes Lächeln nicht verkneifen.

„Na toll“, hörte ich ihn murmeln und sein Blick wanderte zum Ausgang. Das nannte ich ja Begeisterung pur.

„Wenn Du keinen Bock hast, was willst Du dann hier?“, war ich sofort angepisst. Ich konnte meine Zeit auch sehr gut anders verbringen, als hier einen Unwilligen zu testen. Er warf mir einen undefinierbaren Blick zu und trat näher an mich heran.

„Wenn Du keinen Bock auf einen Neuen hast, warum testest Du mich dann?“, fragte er mich süffisant. Auf mich stürzten mit diesem Satz so viele Sachen ein, dass ich Mühe hatte, das alles zu verarbeiten. Zuallererst machte mich seine körperliche Nähe nervös, verdammt nervös. Dann stellte ich fest, dass er kein Schwabe war. Er sprach ein sehr reines Deutsch mit leichtem nördlichem Einschlag, aber da war auch noch ein kleiner Akzent dabei, den ich jedoch nicht einordnen konnte. Zu guter Letzt stieg mir sein Geruch in die Nase und seine Augen glitzerten spöttisch. Und genau diese letzten beiden Sachen brachten mich total aus dem Konzept und ich taumelte fast benommen einen Schritt zurück. Anderseits zupfte sein kleines Lächeln gewaltig an meinen Nerven und machte mich aggressiv.

„Komm mit“, schnauzte ich ihn schroff an, drehte mich um und ging zu einer freien Matte. Hinter mir brubbelte er was, aber so sehr ich auch die Ohren spitzte, ich konnte nicht hören, was es war. Auf der Matte nahmen wir Aufstellung, verneigten uns kurz voreinander – ich mehr aus Pflicht als aus Achtung dem Gegner gegenüber und er in meinen Augen ziemlich lässig und betont aufreizend.

Ich kochte!

So unvorbereitet war ich schon lange nicht mehr in einen Kampf gegangen. Ich wusste nichts über ihn. Er war etwas, ca. einen halben Kopf, größer als ich, aber beim Gewicht musste ich schon passen. Mir war das aber gerade völlig egal und ich wollte hier jemanden eine Abreibung verpassen. Fast zögerlich trat er auf mich zu und wollte in mein Revers greifen. Ein unsanfter Schlag auf seine Finger unterband es und ich griff meinerseits in den verstärkten Rand der Jacke. Eine große Außensichel und nicht gerade graziös landete er auf seinen Allerwertesten – eigentlich plumpste er ziemlich laut auf die Matte.

‚Oh je, was für ein Noob. Der beherrschte ja nicht mal die grundlegendsten Falltechniken‘, schoss mir durch den Kopf. Verächtlich sah ich auf ihn hinunter, ohne nachzusetzen, denn das schien mir überflüssig. Sein Gesicht nahm eine gesunde Gesichtsfarbe an und behände kam er wieder auf die Füße.

Na mal schauen, ob er schon mal etwas vom Hüftwurf gehört hatte – wohl nicht so oft, denn wieder lag er wie ein Maikäfer auf den Rücken vor mir. Okay, sooooo laut war er nicht mehr auf die Matte geknallt, wenigstens schien er vom richtigen Fallen schon mal etwas gelesen zu haben. Meiner großen Innensichel, die ich als nächstes an den Mann brachte, versuchte er zu kontern. Als Ergebnis riss er mich auf die Matte – okay, konnte er haben! Sein Arm lag gerade schön frei und bot sich regelrecht für einen Hebel an. Ich fixierte ihn mit meinen Körper und Sekunden später klopfte er mit der flachen Hand als Zeichen seiner Aufgabe auf die Matte. Zuerst wollte ich es nicht bemerken und genoss die Macht, die ich nun über meinen Gegner hatte. Vielleicht zog ich den Hebel auch zu fest an, denn er stöhnte gequält auf.

„Socke“, hörte ich Mathias von der Matte nebenan grollen und ließ meinen Gegner sofort schuldbewusst los. Fluchend stand er auf und sah mich mit einem undefinierbaren Blick an. Sein Fluchen verstand ich wieder nicht richtig, aber es schien gegen mich gerichtet zu sein.

‚Ja, Freundchen, wir waren hier nicht beim Kinderfasching‘, grinste ich gehässig in mich hinein. Durch die Würfe und die paar Sekunden auf der Matte, hatte ich mir nun ein kleines Bild von dem blonden Mann gemacht. Gewichtsmäßig lagen wir nicht so sehr auseinander. Er war nicht ganz so muskulös wie ich und durch seine langen Beine lag sein Körperschwerpunkt relativ hoch, was nicht so prickelnd für Kampfsportler war. Dadurch sollte er eigentlich für Wurftechniken wie geschaffen sein, weil er leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen war.

So probierte ich diverse Würfe aus und es machte mir sogar Spaß, den Kerl durch die Luft zu wirbeln. Was mich jedoch dann total aus dem Konzept brachte:…

…Der Nahkampf am Boden, resultierend aus Hebel-, Halte- und Würgetechniken machte mich an. Die Nähe zu den Typen gefiel mir und ich wurde geil. Als das durch mein vernebeltes Gehirn an die Oberfläche kam, ließ ich ihn sofort los und stand erschrocken auf.

„Okay, das reicht“, grummelte ich verstört und konnte ihm nicht in die Augen schauen.

„Was, schon fertig?“, hörte ich ihn mit dieser spöttischen Stimme fragen. Nun schaute ich ihn doch kurz an, das halblange blonde Haar hing ihm im Gesicht, dieses war durch die Anstrengung leicht gerötet und seine Augen glitzerten so komisch – spöttisch?? Nein, Spott war das nicht! So wie er da vor mir saß, sah der Kerl einfach scharf aus.

HALLO????!!!

‚Alessio Richter, Du hast wohl einen Knall. Du stehst nicht, begreifst Du, NIEMALS auf Kerle!!‘, rief ich mich innerlich sehr laut zur Ordnung.

„Und nun?“, hörte ich ihn leise fragen.

„Mach was Du willst“, antwortete ich etwas atemlos und betont schroff. Dann wandte mich ab und stiefelte in Matzes Büro. Ich musste weg von ihm und brauchte dringend etwas Ruhe zum Nachdenken. Kaum schloss sich die Tür hinter mir, warf ich durch das Glas in der Tür einen Blick zurück. Er stand immer noch am selben Fleck und schien in Gedanken versunken. Seine Augen schienen mir jedoch gefolgt zu sein und als er meinen Blick nun bemerkte, zauberte dies ein kleines wissendes Lächeln auf seine Lippen. Mit einem leichten Nicken in meine Richtung drehte er sich um und schlenderte zum Ausgang.

Minuten später tauchte Mathias auf und sah mich grimmig an.

„Alessio, was war das bitte schön da draußen?“

Verblüfft sah ich ihn an und zuckte mit meinen Schultern.

„Du solltest ihn prüfen und nicht demütigen!“, warf mir mein Trainer an den Kopf.

„Moment mal, DU wolltest, dass ich mich um ihn kümmere!“, knurrte ich zurück. Mathias ging zu seinen Stuhl, setzte sich hin und musterte mich intensiv.

„Alessio, ich kenn Dich nun fast schon 14 Jahre und immer warst Du fair Deinem Gegner gegenüber, manchmal schon zu fair, aber das da eben war teilweise unterste Schublade“, stellte er leise und ziemlich nüchtern fest. Dieser Angriff auf mich, so völlig unerwartet und vor allem von ihm, der, der mir blind vertraute, gab mir nun erst mal den Rest.

„Mach doch Deinen Scheiß alleine“, brüllte ich ihn an und schob zu meiner Rechtfertigung hinterher „der Typ hat mich herausgefordert!“

„Wie bitte?“, fragte mich Matze fassungslos und sah total verblüfft aus. Desto wütender starrte ich zurück.

„Ist Dir denn gar nichts aufgefallen?“, kam es um einiges ruhiger ein paar Sekunden später von ihm.

„Was sollte mir denn an dem Penner auffallen?“, stieß ich angriffslustig hervor.

„Er hat sich überhaupt nicht gewehrt!“

Ruwen

Nun stand ich hier unter der Dusche und konnte immer noch nicht fassen, was die letzte Stunde passiert war.

‚Ich konnte da unter keinen Umständen je wieder hingehen!‘

Das Ganze musste in einer ultimativen Katastrophe enden. Leider war mein Körper so gänzlich anderer Meinung als mein Hirn. Übermütig reckte sich da etwas aus meiner Leibesmitte empor. Mein Griff dorthin und ein Gedanke an diesen Arsch vorhin, ließen mich aufstöhnen und Sekunden später war die Schweinerei perfekt. Nur spürte ich keine angenehme Erleichterung, sondern meine Gier nach den Typen war dadurch noch mehr gesteigert.

„Das konnte doch alles nicht wahr sein“, fluchte ich leise vor mich hin und versuchte den Nachmittag noch mal nüchtern zu analysieren.

‚Dafür solltest Du vielleicht Deine Finger von Deinem besten Stück nehmen!‘, spukte eine spöttische Stimme in meinem Kopf herum. Kurz die Dusche abgestellt, notdürftig die Nässe abgetrocknet und nur mit einem Handtuch um den Hüften warf ich mich auf meine Couch.

Eigentlich hatte ich nur den Wunsch meines Großvaters erfüllt und mir einen Verein herausgesucht. Das war gestern Abend noch sehr pragmatisch erfolgt. Ein Blick in die gelben Seiten und schon wurde ich fündig. Nur ein paar Straßen weiter gab es ein Dojo. Also stiefelte ich vor ca. anderthalb Stunden dorthin. Vorher hatte ich mir noch einen neuen Judoanzug besorgt, wobei sie nur einen in weiß in meiner Größe hatten und ich in diesem wie in blutiger Anfänger aussah. Der Trainer und Dojo-Besitzer empfing mich sehr freundlich und verdammt neugierig. Da meine letzten Aktivitäten jedoch schon ein paar Jahre zurücklagen, hielt ich mich mehr als bedeckt und gab nur ein paar Grundkenntnisse preis. Eigentlich hatte ich mit diesen Kapitel abgeschlossen, aber mein Grandpa konnte sehr bestimmend sein, wenn er sich etwas in Kopf gesetzt hatte. Und dieses Mal vertrat er die Ansicht, dass ich in einem Sportverein am ehesten neue Freunde und Anschluss finden würde. Na ja, und dann wollte mir Mathias, so hieß der Trainer, die Einrichtung zeigen. In dem weitläufigen Trainingsraum waren schon ein paar Paare miteinander zugange, und eine jugendliche Stimme gab leise, aber präzise Anweisungen. Nachdem ich die Umkleide- sowie Sanitäranlagen gesehen hatte, führte mich der Trainer wieder in die Halle und steuerte mit mir in den hinteren Bereich.

„Alessio?“, hörte ich Mathias vor mir und ließ meinen gelangweilten Blick von den Pokalen an der Wand zu dem Angesprochenen gleiten und dann…

…begann die Katastrophe. Mein Mund war sofort furztrocken und ich sprachlos. Was da stand, war ein Traum – der Traum meiner schlaflosen Nächte.

„Alessio, das ist Ruwen – Ruwen, das hier ist mein Aushilfsschleifer Alessio“, stellte Mathias uns grinsend einander vor.

„Schleifer?“, krächzte ich leise.

„Mein bester Judoka im Verein und der ehrgeizigste, was er die Trainingspartner spüren lässt“, erklärte Mathias mit einem spöttischen Unterton.

„Matzeeee!!!“, knurrte dieser genervt. Aber die Lobeshymnen nahm er ziemlich gelassen und ich lief verlegen rosa an. Das zauberte bei ihm nun wieder Unverständnis aufs Gesicht und noch irgendetwas anderes nicht so leicht definierbares, welches er jedoch sofort wieder verschloss.

Dann forderte mich Mathias auf, doch heute mal ein Probetraining einzulegen und somit die Umkleidekabinen aufzusuchen. Ich war total durch den Wind und mit den Gedanken daran, diesem süßen Kerl gleich ausgeliefert zu sein, egal in welcher Beziehung, lenkten meine Schritte nur widerstrebend von ihm weg. In der Umkleidekabine schlüpfte ich schnell in meinen neuen Judoanzug und die Hand angelte nach meinem Gürtel. In diesen Moment kam ein Junge in die Kabine und lächelte mich an. Da fasste ich einen spontanen Entschluss.

„Kannst Du mir mal weiterhelfen?“, fragte ich ihn höflich.

„Klar.“

„Ich habe leider meinen Gürtel heute vergessen. Könntest Du mir mit einem weiterhelfen?“

„Ich könnte Dir meinen alten Gürtel geben. Habe am Wochenende meinen 3. Kyu erhalten“, erklärte er mir stolz.

„Na, dann meinen herzlichen Glückwunsch nachträglich“, gratulierte ich ihm ernst zu diesen Erfolg. Er errötete leicht und hauchte ein „Danke“, um mir dann schüchtern seinen orange-grünen Gürtel zu reichen.

„Ich hab zu danken.“ Mit diesen Worten nahm ich ihn entgegen und legte ihn um.

‚Oller Schwindler‘, ertönte eine spöttische Stimme in meinen Kopf und mit einem frechen Grinsen nickte ich dem Jungen zum Abschied zu. An der Eingangstür blieb ich stehen und lehnte mich betont lässig an den Rahmen. Meine Blicke durchstreiften den Raum und suchten Jemanden. Ein paar Sekunden später hatte ich den Gesuchten gefunden und sein Anblick hatte dieselbe verheerende Wirkung wie beim ersten Mal. Er war total in sich versunken und vollführte Kampfbewegungen. Da ich bei ihm einen Schwarzgurt sah, tippte ich auf eine Meisterprüfung, nur…

…wurden Meisterprüfungen im Judo immer mit Partner durchgeführt und außerdem waren mir diese Ablaufbewegungen unbekannt. Da ich dieses Rätsel jetzt nicht lösen konnte, musterte ich ihn intensiv.

Er war etwas kleiner als ich, machte aber einen sehr athletischen Eindruck. Seine Bewegungen waren auf der einen Seite kraftvoll und anderseits sehr geschmeidig. Das Sportliche nahm ich jedoch nur mit meinem Unterbewusstsein auf – so, als würde ich einen Gegner taxieren. Sehr bewusst nahm ich das auf, was mich so sprachlos machte. Ziemlich kurzes schwarzes Haar, welches wirr vom Kopf abstand. Ein schmales Gesicht, welches südeuropäische Wurzeln offenbarte – fast wie das Abbild eines römischen Aristokraten. Nur die Nase war nicht die typische Hakennase, sondern eher sehr schlank und schmal geraten. Die Lippen waren voll und verführerisch rot, welches durch seine etwas dunklere Hautfarbe noch besser zur Geltung kam. Die Wangen waren auf Grund der körperlichen Anstrengung etwas gerötet und die Augen wegen der Konzentration leicht zusammen gekniffen. Aber genau diese Augen hatten mich vorhin aus der Bahn geworfen. Sie waren fast schwarz und glänzten wie abgrundtiefe Seen, so unendlich tief und unergründlich. Dieses mehr als hübsche Köpfchen saß auf einen schlanken Hals, sein Körper war jedoch von einem dunkelblauen Judoanzug bedeckt, der seinen trainierten Körper eher erahnen ließ. Unbedeckt waren wieder seine Hände. Faszinierend fand ich seine langen schlanken Finger. Ich durfte mir gar nicht vorstellen, was die alles bei mir anstellen konnten. Zum Glück hatte ich mir heute einen engen Slip angezogen, alles andere wäre jetzt tödlich geworden. Mein Objekt der Begierde wurde zunehmend unruhig und schien sich über sich selbst zu ärgern. Dann brach er seine Übungen ab und sein Blick wanderte in meine Richtung, so als hätte er mitbekommen, dass er beobachtet wurde.

Damit mir der Sabber nicht zu offensichtlich über mein Kinn lief, zwang ich mich zu einen kleinen anerkennenden Lächeln. Mit einer flüchtigen, fast arroganten Kopfbewegung forderte er mich auf, näher zu treten. Eigentlich wollte ich ihm nicht soooo nah sein, sondern immer schön weiter aus der Ferne beobachten und natürlich anschmachten.

„Mathias meinte, ich solle mal schauen, was Du so kannst“, eröffnete er mir mit einem ziemlich eingebildeten Lächeln seine Ambitionen.

‚Oh nein, er wollte mich ANFASSEN und mir körperlich nahe, verdammt nahe sein????‘, fuhr mir mit Entsetzen durch den Kopf, aber aus meinem Munde kam etwas ganz anderes.

„Na toll“, flüsterte ich und suchte mit meinen Augen den kürzesten Fluchtweg.

„Wenn Du keinen Bock hast, was willst Du dann hier?“, platzte es genervt aus ihm heraus.

Das war ja so was von logisch. Wie immer hatte ich verdammtes Pech und konnte den Typen eigentlich sofort abschreiben. Er war ein so genanntes Alphamännchen, arrogant und sehr von sich eingenommen. Ein typischer Vorzeige-Hetero mit all seinen negativen Eigenschaften, aber er sah so verdammt gut aus. Ich sollte hier sofort die Flocke machen und dem aufgeplusterten Kerl da meine Rückseite zeigen, jedoch übernahm mein Mundwerk jetzt die Initiative.

„Wenn Du keinen Bock auf einen Neuen hast, warum testest Du mich dann?“, fragte ich ihn ironisch und trat dabei dicht an ihn heran. Tief sah ich ihm dabei in die Augen und konnte erkennen, wie sie sich auf einmal unmerklich weiteten und er daraufhin einen Schritt zurückwich.

„Komm mit“, raunzte er mich an, und ohne auf mich weiter zu achten, schritt er zu einer freien Matte. Mein Mundwerk wollte einfach keine Ruhe geben und gab eine passende Antwort auf diesen Befehl – wenigstens konnte ich es gerade noch so flüstern und in eine meiner Muttersprachen kleiden. Wir gingen auf der Matte in Ausgangsposition und er verbeugte sich mehr aus Gewohnheit als aus wirklichen Respekt seinem Gegner gegenüber. Ich konnte mich nur leicht und sehr langsam verbeugen, denn mir spukte nur ein Gedanke im Hirn herum.

‚Gleich wird er Dich anfassen. Das hielt ich nie im Leben aus!‘

‚Man, Ruwen!!‘, rief ich mich innerlich zur Ordnung und wollte ihm nicht kampflos das Feld überlassen. So griff ich halbherzig an seinen verstärkten Bund, um eine Aktion einzuleiten. Mit einem fast barschen Schlag auf meine Finger unterband er das umgehend, setzte seinerseits seinen Griff an und…

…die Berührung durch den Schlag elektrisierte mich und mit diesen herrlichen langen Fingern zog er mich näher an sich heran, sein Geruch stieg mir betörend in die Nase und ich hatte alles über Judo, was ich je gewusst habe, komplett vergessen. Sekunden später knallte ich sehr unsanft mit meinen Hintern auf die Matte und ein Schmerz schoss meinen Rücken hinauf. Ich musste einen ziemlich dämlichen Eindruck hinterlassen haben, denn er sah von oben verächtlich auf mich hinab. Das Resultat war: Ich lief knallrot an. Wenigstens kam ich wieder zügig auf meine Füße.

Ich hatte keine Ahnung, wie ich die nächsten Minuten hier überstehen sollte. Da, schon wieder kam er auf mich zu und drehte gekonnt ein. Oh nein, er wollte einen Hüftwurf ansetzen – seine Lenden so dicht an meine, das führte zwangsläufig zum Notstand. Ich war einfach viel zu perplex, um überhaupt zu reagieren. Wenigstens fielen mir im Fluge noch ein paar Grundkenntnisse vom Fallen ein und meine Landung war diesmal um einiges graziler.

In meinen Kopf war Chaos, ein heilloses Durcheinander und Schuld war dieser Machoarsch da mir gegenüber. Die große Außensichel, die er jetzt ansetzte, war schon meilenweit vorher zu erkennen, aber eine nur halbwegs sinnvolle Konterbewegung bekam ich nicht hin und landete wieder auf der Matte. Diesmal ließ ich ihn nicht rechtzeitig los und zog ihn mit mir. Das fasste er wohl als einen Angriff auf und nagelte mich sofort auf der Matte fest. Bodenkampf schien eine seiner Stärken zu sein, denn sein Armhebel war schnell und gekonnt angesetzt. Da ich mir gerade keine sehr großen Chancen in diesem Kampf ausrechnete, klopfte ich sofort ab und was machte er? Er zog den Hebel noch fester an, was mich dann doch gequält aufkeuchen ließ.

„Socke“, hörte ich jemanden zischen. Sofort lockerte sich sein Griff und ich kam frei. Benommen und leise vor mich hin fluchend stand ich auf. Ich sah ihm kurz in die Augen und gab mich geschlagen. Ich konnte diesem Jungen nichts entgegen setzen, dafür spielten meine Gefühle einfach zu verrückt. Und was anderes machte mir fast noch mehr zu schaffen, ich wollte Alessio nicht wehtun.

Er schien damit keine Probleme zu haben und kannte keine Hemmungen. Mit seinem nicht unbeachtlichen Wurfpotential wirbelte er mich durch die Luft und ich genoss jede auch noch so kleine Berührung von ihm.

Das war doch einfach pervers – ich ließ mich hier von dem arroganten Arsch vorführen und fand Gefallen daran?!

Dann wurde das Ganze noch schlimmer. Er zog seine Register im Bodenkampf und ich spürte seinen muskulösen Körper auf meinen. Seine Hände waren überall und ich kniff verbissen meine Zähne zusammen. In meinem Slip war es nun mehr als eng. Und was ich dann fühlte, warf mich endgültig aus der Bahn. Bei einer Würgetechnik lag er auf mir drauf und ich merkte auf meinem Hintern sein bestes Stück und das war hart!

Der Typ war erregt!

Wenn ich gekonnt hätte, wäre meiner Kehle ein Stöhnen entwichen – ging aber nicht, weil ich ja gerade gewürgt wurde. Anderseits lockerte sich gerade sein Griff und er stand schnell auf. Von unten sah ich ihn fassungslos, fast verträumt an. War das eben nur eine Illusion gewesen und spielte mir mein überreiztes Gehirn etwas vor?

„Okay, das reicht“, murmelte er leise und seine Miene zeigte einen Moment Fassungslosigkeit. Seine Augen glitten gehetzt über mich.

„Was, schon fertig?“, fragte ich ihn frech. Seine schwarzen Augen bohrten sich kurz in meine und er schien mit sich zu kämpfen.

„Und nun?“, hakte ich nach.

„Mach was Du willst“, fuhr er mich an und verschwand. Da saß ich nun und war total durch den Wind. Hinter mir hörte ich leise Schritte.

„Alles in Ordnung?“, fragte Mathias besorgt. Erstaunt sah ich ihn an.

‚Eigentlich nicht‘, lag mir auf der Zunge und trotzdem nickte ich kurz. Dann stand ich auf und verließ fluchtartig die Halle. In der Umkleide warf ich mir nur schnell eine Jacke über und schlüpfte in meine Straßenschuhe. Draußen schlug mir die feuchte Novemberluft entgegen, aber genauso hätte es Hochsommer sein können – ich bekam es eh nicht mit.

Benommen wachte ich auf der Couch aus meinem Tagtraum auf und meine Erregung zeigte mir, wie real das Ganze war. Dieser Junge war körperlich mein absoluter Traum und geistig mein Alptraum.

Ich konnte da NIE wieder hin, das stand ich einfach nicht durch!

Das Klingeln meines Telefons riss mich aus meinen Gedanken.

„Holland“, meldete ich mich ordentlich.

„Ebenfalls“, dröhnte der tiefe Bass meines Großvaters aus dem Hörer.

„Und wie war es?“, schob er gleich hinterher.

„Nicht so prickelnd“, antwortete ich ihm nervös.

„Was ist, mein Junge?“, wurde seine Stimme sofort sanft.

„Ach, er ist einfach nicht der Richtige“, wiegelte ich etwas zu laut ab. Als mir mein sprachlicher Lapsus bewusst wurde, überlief es mir siedendheiß.

„Jesp, was ist passiert?“, hakte er nach einer kleinen Pause nach.

‚Hatte er meine Aussage nun so mitbekommen, wie es eigentlich ihm gegenüber gar nicht gemeint war??‘, grübelte ich und saß hier wie auf Kohlen.

„Nichts“, antwortete ich demzufolge etwas zu schnell.

„Dann geh wieder hin“, kam es bestimmt von meinem Großvater. Bei seinen Worten formte sich ein Gesicht vor meinen Augen, aus der mich unendlich schwarze Seen unsicher anschauten.

Ich konnte da nicht hin! Ihn sehen, das ging gerade noch so, aber wenn er mich wieder berührte, würde ich in dasselbe Chaos stürzen.

„Jesp?“, hörte ich ihn fragen.

„Grandpa, bitte nicht“, murmelte ich nun sichtlich nervös in den Hörer.

„Ruwen, fang endlich an, Dein Leben zu leben!“, forderte er mich leise, aber bestimmt auf.

„Wenn es so einfach wäre“, flüsterte ich niedergeschlagen.

„Komm am Wochenende doch einfach mal vorbei“, schlug er mir spontan vor. Bevor ich einwilligen konnte, fiel mir mein Date mit Katrin ein.

„Entschuldige, das geht nicht, da ich am Samstag nach München fahre“, antwortete ich verlegen.

„Eine Verabredung?“, kam es prompt neugierig aus dem Hörer.

„Ja, ähm nein, nicht wirklich“, wand ich mich vor dem Inquisitionsgericht. Im Hintergrund hörte ich die Türklingel bei meinem Großvater läuten.

„Oh, mein Besuch kommt jetzt schon. Ich wünsche Dir viel Spaß bei Deiner Nichtverabredung am Samstag“, kam es süffisant vom anderen Ende, untermalt von einen kleinen Lächeln.

„Grandpa!“, brummte ich entrüstet.

„Und Jesp, überleg Dir das noch mal mit dem Judotraining, bitte. Bye.“ Und Sekunden später hörte ich nur noch das gleichmäßige Tuten aus dem Hörer.

Eigentlich hatte mein Großvater ja Recht, was hatte ich schon zu verlieren. Mich kannte hier keiner und dieser Junge war eh unerreichbar für mich. Woran er mich jedoch nicht hindern konnte, war, ihn anzuschauen. Wie ich meine Gefühle in Griff bekam, wenn er mir wieder körperlich nahe kam, darüber würde ich mir dann Gedanken machen.

Fast zeitgleich mit meinen Entschluss kam mir eine absurde Idee. Grinsend schlenderte ich zu meinen PC, welchen ich vorhin angeschaltet hatte, und holte mir die Vorlage für die Weihnachtschallenge von NiSt auf den Bildschirm. Jetzt hatte ich eine spontane Idee zu einer Geschichte, und mein Vier-Finger-Suchsystem war mal wieder zu langsam, um all meine Gedanken sofort auf Papier zu bannen. Somit verfasste ich zuerst mal nur einen kleinen Leitfaden zu meiner Story und fing dann an, die ersten Kapitel zu schreiben. Hauptakteure waren ein schwarzhaariger Judoka und ein verklemmter blonder Feigling. Ich ließ meiner Fantasie freien Lauf und meine Charaktere erlebten das, wovon ich nur träumen konnte. Als mein Blick auf einen der vorgegebenen Begriffe fiel, konnte ich mir ein kleines Kichern nicht verkneifen. Das war aber auch einfach zu witzig, denn ich hatte ein gezischtes Wort von Mathias im Ohr.

‚Socke‘

Eigentlich ein total bescheuerter Spitzname für meinen Traumboy, aber das bot sich regelrecht an, in der Story zu verewigen.

‚Bestimmt nicht der Sinn, der NiSt vorschwebte, aber wenn er nun mal solch blödsinnigen Spitzname hatte‘, grinste ich ein wenig fies vor mich hin.

Gegen zwei Uhr in der Nacht fiel mein Blick zufällig auf meine PC-Uhr und erstaunt hielt ich inne. Ich war so in der Entwicklung meiner Story vertieft, dass ich total die Zeit vergessen hatte. Zum Glück stand keine Vorlesung an, so dass ich ausschlafen konnte.

Zwei Tage später stand ich am Eingang des Sportvereins und zögerte. In meiner Fantasie und somit auch in der Geschichte hatte ich mir das alles so schön ausgemalt, aber nun hier in der Wirklichkeit war ich verdammt unsicher.

„Hey, kommst Du nun regelmäßig?“, hörte ich hinter mir eine helle Jungenstimme. Erschrocken drehte ich mich um. Dort stand der Boy, von dem ich immer noch den Gürtel hatte.

„Eigentlich schon“, murmelte ich unsicher.

„Socke hat Dich ganz schön rangenommen, wa?“, grinste er mich spitzbübisch an.

„Na ja, bin ein wenig aus der Übung“, versuchte ich mich zu rechtfertigen.

„Lass mal, Alessio hat es voll drauf. Die meisten Pokale in unserem Trophäenschrank hat eh er gewonnen“, klärte er mich auf. Und ich konnte so was wie tiefe Verehrung in seinen Augen erkennen.

„Du kennst ihn näher?“, fragte ich nun neugierig.

„Klar, er trainiert meine Gruppe ja seit Anfang an“, antwortete er mir stolz.

„Zur Zeit scheint er nur ziemlichen Stress zu haben, denn er meckert über jeden Fehler ellenlang rum“, seufzte er leise.

„Und verdammt arrogant scheint er auch zu sein“, knurrte ich mehr zu mir als zu meinem Gesprächspartner.

„Nee, eigentlich nicht“, widersprach der Kleine mir. Auf meinen wohl sehr skeptischen Gesichtsausdruck schob er dann noch folgende Erklärung hinterher.

„Er hilft jedem im Verein und zeigt den Jüngeren den einen oder anderen Trick. Sein Training ist anstrengend, aber es macht tierischen Spaß. So, nun muss ich aber rein, sonst gibt es Sonderaufgaben wegen zu späten Erscheinens.“ Bei den letzten Worten verdrehte er drollig seine Augen und grinste mich frech an.

„Ach übrigens, Deinen Gürtel…“, rief ich ihm noch hinterher.

„Kannste behalten“, warf er mir über seine Schulter zu. Nach wie vor stand ich zögernd vor der Eingangstür und konnte mich zu dem nächsten Schritt nicht so richtig entschließen. Ich gab mir innerlich einen Ruck und betrat mit mehr Elan, als ich wirklich verspürte, das Dojo. In der Umkleidekabine war diesmal viel Trubel und mir wurden einige neugierige Blicke zugeworfen. Der Eine oder Andere, der mich vom letzten Trainingstag wieder erkannte, kicherte wissend vor sich hin. Da ich es Leid war, hier das Schauobjekt zu machen, schlüpfte ich schnell in meinen Kampfanzug und verschwand in die Halle. Hier war ich ganz alleine und genoss die Stille. Wie von selbst stellte sich das Wissen aus der Vergangenheit ein und ich vollführte automatisch ein paar Aufwärmübungen.

Ein leises vergnügliches Lachen riss mich aus meiner Konzentration und ich beendete meine Übungen, um den Störenfried zu suchen. Mathias lehnte an der Tür zu seinem Büro und grinste frech über beide Wangen.

„Schau an, schau an“, beantwortete er meinen ertappten Blick. Mit einer Kopfbewegung forderte er mich auf, ihm in sein Büro zu folgen. Nervös folgte ich ihm und schloss die Tür hinter mir.

„Darf ich Dein Wiedererscheinen so bewerten, dass Du meinem besten Pferd im Stall sein Verhalten vor zwei Tagen nicht krumm nimmst?“, wollte er neugierig wissen.

„Mein Großvater ist der Meinung, dass mir regelmäßiges Training ganz gut tun würde und warum sollte ich bei einen anderen Verein noch mal neu anfangen?“, antwortete ich sehr ausweichend.

„Dann deute ich das mal als ein Ja!“

„Wenn Du mir bitte den Aufnahmeantrag geben könntest, ich möchte wieder auf die Matte“, versuchte ich die Flucht zu ergreifen. Als Antwort musterte mich Mathias intensiv.

„Warum hast Du Dich nicht gewehrt?“, fragte er mich dann unvermittelt und ich sah ihn erschrocken an.

„Was?“

„Ruwen, Du hast da eben draußen Übungen gemacht, die ich so und in dieser perfekten Ausführung selten gesehen habe“, gab er unumwunden zu. Ertappt lief ich rosa an und fühlte mich zunehmend unwohl.

„Wie lange machst Du schon Judo?“, bohrte er weiter.

„Ein paar Jährchen“, nuschelte ich.

„Wie lange?“, fragte er energischer.

„14 Jahre“, murmelte ich resignierend. Mathias zog überrascht die Luft ein.

„Und welche Graduierung hast Du?“, hörte ich ihn verdammt neugierig fragen.

‚Nahm das Verhör denn hier gar kein Ende‘, stöhnte ich innerlich auf.

„Habe seit ca. 4 Jahren kein Judo mehr betrieben“, antwortete ich ausweichend.

„Welchen Gürtel trägst Du wirklich?“

„Ich stand mitten in den Prüfungen zum 3. Dan.“

Anerkennend pfiff Mathias durch die Zähne.

„Da hast Du unseren Alessio aber schön an der Nase herumgeführt“, lachte er nicht gerade leise und schob dann noch mit einen forschenden Blick auf mich hinterher „Die Frage ist nur… warum?“

„Bitte sag ihm nichts. Er braucht das nicht zu wissen“, bat ich ihn fast flehentlich.

„Halte Alessio nicht für dumm. Ich weiß nicht, was vorgestern in ihn gefahren ist, aber dass Du mehr kannst, als bisher gezeigt, wird er schnell merken. Was mich wieder zwangsläufig zu der Frage bringt – Warum hast Du Dich nicht gewehrt?“

„Ich konnte irgendwie nicht“, nuschelte ich. Er sah mich weiter fragend an und dann spielte ein kleines wissendes Lächeln um seine Mundwinkel. Genau dieses Lächeln ließ mich rot anlaufen.

„Wie alt bist Du eigentlich?“, fragte er dann total aus dem Zusammenhang gegriffen.

„23“

„Also hast Du mit 5 Jahren mit Judo angefangen?“, fragte er verblüfft.

„Ja, ich bekam an meinem 5. Geburtstag den ersten Wettkampfanzug geschenkt“, erklärte ich.

„Eigentlich siehst Du viel jünger aus, deshalb fand ich die 14 Jahre Judo sehr großkotzig“, bemerkte er und sein Ton war entschuldigend.

„Okay, ich halte meinen Mund Alessio gegenüber und stecke Dich erst mal in die letzte Schülergradgruppe, damit Du wieder langsam warm wirst. Wenn Du Dich zu irgendetwas anderem berufen fühlst, dann sag bitte Bescheid, denn eigentlich bist Du nun der zweite Mann hier im Dojo“, erklärte er mir und lächelte mich frech an.

„Okay“, murmelte ich und wollte mich erheben.

„Alessio macht mich zur Sau, wenn er das rausbekommt“, hörte ich ihn dann noch seufzen.

„Danke“

„Auch wenn er für Dich wie ein Arsch beim letzten Male gewirkt hat, er ist es nicht! Deshalb bitte ich Dich, verarsch ihn nicht“, meinte er zum Abschluss noch sehr ernst und schaute mir tief in die Augen. Ich nickte fast unmerklich als Zeichen meines Einverständnisses. Gemeinsam verließen wir sein Büro und Mathias machte mich mit meiner Trainingsgruppe bekannt. Dort traf ich einen alten Bekannten, denn der Eigentümer meines angelegten Gurtes grinste mich an.

Mathias machte jetzt mit allen Trainingsgruppen kleine Aufwärmspielchen und nach kurzer Zeit spürte ich Muskeln, die ich wohl die letzten Jahre vergessen hatte. Ich hatte sehr wohl mitbekommen, das Alessio noch gar nicht anwesend war und ertappte mich immer wieder dabei, wie mein sehnsüchtiger Blick zur Eingangstür ging.

Das war doch nicht normal. Auf der einen Seite erwartete ich ihn mit klopfenden Herzen und auf der anderen Seite fürchtete ich mich vor meiner Reaktion, wenn ich ihn wieder sah. Zum Glück wurde das Training dann etwas intensiver und in meiner Gruppe stand Falltechnik in Kombination mit Wurfübungen auf dem Programm. Mein Wissen war ja längst wieder da, aber manchmal machte mein Körper noch nicht das, was er sollte, denn ich war mächtig eingerostet. Nach einer halben Stunde merkte ich jedoch, dass mich meine Trainingspartner mit ganz neuem Respekt betrachteten. Den Jüngeren aus der Gruppe zeigte ich den einen oder anderen Kniff. Auf jeden Fall war ich sehr schnell in den Trainingsbetrieb eingegliedert und fühlte mich nicht mehr als Fremdkörper. Einen großen Anteil hatte daran auch Tobias mit seiner großen Klappe, das war meine so genannte alte Gürtelbekanntschaft. Er war für sein Alter ziemlich gut und hatte ein verdammt loses Mundwerk, was mich an einen Jungen vor ca. 10 Jahren erinnerte.

Und dann stimmte irgendetwas nicht. Mitten in meiner Übung blieb ich wie erstarrt stehen und mein Blick wanderte zur Tür. Dort stand er mit lodernden Augen und sehr grimmigen Gesichtsausdruck. Entsetzt starrte ich jedoch auf den schwarzen Gürtel, den er in seiner Hand hielt. Unsicher ging ich einen Schritt in seine Richtung, doch er stürmte regelrecht auf mich zu.

„Du blöder Penner!“, fauchte er mich an, als er unmittelbar vor mir stand, und mein Gürtel glitt aus seinen Fingern.

Alessio

Man der Tag heute war die absolute Krönung. Seit langen würde ich auch noch zum Training zu spät kommen. Ich war ja sonst kein Pünktlichkeitsfanatiker, aber Mathias hatte mir meine Vorbildwirkung den Jüngeren ziemlich rigoros klar gemacht und im Nachhinein war ich ihm dankbar dafür. Leider entwickelten sich meine schulischen Probleme gerade zu einer mittleren Katastrophe. Heute gab es einen Englischtest zurück, den ich total in den Sand gesetzt hatte.

Die naturwissenschaftlichen Fächer bereiteten mir keine Probleme, meinen Notenschnitt versaute ich mir seit Jahren schon mit den Fremdsprachen, von denen ich zu allen Übel zwei hatte, Englisch und Französisch. Okay, wenn ich meine Note in Deutsch betrachtete, waren es drei Fremdsprachen. Da die Sprachen ein pures Auswendiglernen von Vokabeln verlangten, waren sie von Anfang an bei mir schon durch das Lernraster gefallen – ich hasste stupides Lernen. Was ich mir nicht mit Logik erschließen konnte, war mir zuwider. Leider sahen das meine Eltern, speziell mein Stiefvater, ganz anders und deshalb hatte ich zurzeit gerade akuten Stress.

Vorhin faselte er sogar etwas von Nachhilfestunden, damit ich wenigstens aus den gröbsten Schwierigkeiten herauskam. Ich würde doch meine karge Freizeit nicht mit solch einem Milchbubi-Strebertypen verbringen.

Oder vielleicht mit einer süßen Fremdsprachenstudentin, das würde mir schon mehr gefallen.

‚Hm, da könnte sich ja ein neues Eroberungsfeld auftun‘, schoss mir durch den Kopf. Eventuell sollte ich sogar die Initiative ergreifen und meinen guten Willen zeigen. Ich bräuchte dringend mal wieder eine Frau im Bett. Es war nun fast zwei Wochen nichts mehr gelaufen und das war absoluter Notstand. Gleichzeitig mit diesen Gedanken schob sich eine unangenehme Erinnerung in mein Bewusstsein.

Vor meinem inneren Auge erstrahlten zwei blaue Augen, so herrlich blau wie das Wasser in der Karibik. Zwar hatte das Gesicht einen leichten weiblichen Touch, aber die Person dahinter war eindeutig männlich.

‚Man ich stand doch nicht mal auf blonde Frauen!‘, brummte ich verdrießlich vor mir hin. Was war mit mir nur vorgestern geschehen, dass ich auf einen Typen, einen MANN, geil war. Hoffentlich hatte ich dem Kerl so richtig die Laune am Judo verdorben und er würde nicht wieder kommen. Ich hatte keinen Bock, mich auch noch mit solchen sexuellen Abweichungen zu beschäftigen.

So leicht vor mich hinköchelnd betrat ich den Verein. Natürlich waren die Gruppen schon beim Training, das komplette Aufwärmprogramm hatte ich verschwitzt. Mein Blick wanderte einmal über alle Matten und in der Umdrehbewegung zu den Umkleidekabinen blieb ich wie angewurzelt stehen. Dieser Hüftwurf der in weiß gekleideten Person war so was von elegant und nahezu perfekt, dass ich einfach nur baff war. Und noch einmal vollführte er diesen Wurf mit unserem Oberfrechdachs Tobias etwas langsamer, damit er sich den Bewegungsablauf merken konnte, und der sah ihn danach von unten mit leuchtenden Augen an.

Wer war das?

Fast gleichzeitig fielen mir die blonden Haare auf, und der Kerl fühlte sich wohl beobachtet, denn er drehte sich langsam um. Ich zog mich etwas ins Dunkel des Eingangsbereichs zurück und seine strahlend blauen Augen glitten zur Tür.

Meine Neugierde war sofort, wenn auch widerstrebend, geweckt, und ich beobachtete ihn weiter. Das, was er die folgenden Minuten zeigte, war das komplette Gegenteil von Vorgestern. Der Typ hatte Ahnung von Judo und das nicht zu knapp. Wie locker und leicht, manchmal jedoch auch ein wenig ungelenk, ihm schwierige Übungen gelangen, waren nicht mit seinen orange-grünen Gürtel zu vereinbaren.

Total verdattert wandte ich mich ab und schlenderte grübelnd in den Umkleidebereich.

‚War Matzes Beobachtung wirklich so auszulegen, dass er sich nicht gewehrt hatte? Und wenn es so war, WARUM?‘

Zurzeit häuften sich die Schwierigkeiten aber zügig an, stöhnte ich auf. Und mit diesem Problem wollte ich mich so gar nicht beschäftigen!

Nur diese Augen waren einfach faszinierend und außerdem kam der Wunsch in mir hoch, mich mit ihm in einem richtigen Wettkampf zu messen.

‚WIESO machte ich mir überhaupt Gedanken über einen KERL?‘

So saß ich grübelnd auf meinem Platz. Ich war schon längst komplett umgezogen, aber konnte mich nicht durchringen, in die Halle zu gehen. Mein Blick wanderte über die anderen Sachen und blieb an einer braunen Sporttasche hängen. Da schaute aus ihr etwas Schwarzes heraus, was sehr große Ähnlichkeit mit einem Gürtel hatte. Zögernd ging ich zu der Tasche und sah mir das genauer an.

Das war ein Schwarzgurt – ein Meistergürtel, den hier im Verein nur Mathias und ich trugen. Am Henkel baumelte ein kleines Namensschildchen, und ich drehte es zum Lesen um.

„R.J. Holland“

Wie hieß der blondgelockte Heini noch mal? Irgendetwas ausländisches mit…

…R – war es Ramon, neee… Ruwen!

Das war seine Tasche und DAS war sein Gurt. Nun machten seine Bewegungen von vorhin auch einen Sinn. Jedoch nicht seine Passivität von vorgestern, was ich aber großzügig verdrängte.

Dieser Typ hatte mich nach Strich und Faden verarscht! Eigentlich interessierte mich die Pfeife doch gar nicht, aber warum machte mich dann dieses Wissen so wütend? Angepisst riss ich den Gürtel aus der Tasche und stiefelte in die Halle.

Wo war der Arsch?

Da stand er und erklärte Tobias gerade etwas. Als ob er meinen wütenden Blick spüren würde, reagierte er zögerlich und drehte sich um. Als er mich sah, stahl sich erst ein kleines Lächeln in sein Gesicht, doch als er meine Wut erkannte, war es sofort wieder verschwunden. Dann wanderten seine Augen zu dem Gürtel in meiner Hand und als er den als das erkannte, was es war, weiteten sich diese erschrocken. Unsicher machte er einen Schritt auf mich zu, aber ich hatte die Entfernung zwischen uns schon längst überbrückt.

„Du blöder Penner!“, stieß ich wütend hervor und ließ den Gürtel achtlos fallen.

Wie der sprichwörtlich ertappte Sünder stand er vor mir und seine Augen strahlten nicht mehr. Fehlte nur noch, dass er gleich anfing zu flennen. Viel schien wohl nicht zu fehlen, denn seine Haltung erinnerte mich sehr an ein verschrecktes Kaninchen. Die Augen wie hypnotisiert auf mich gerichtet, die Wangen etwas gerötet, eine blonde Locke hing vor seinem rechten Auge und die vollen roten Lippen waren leicht geöffnet. Der Kerl zog mich auf einmal tierisch an und schien an meinen Beschützerinstinkt zu appellieren. Aber genau dieses Verlangen nach ihm machte mich noch wütender. Ich konnte damit nicht umgehen – ich wollte damit gar nicht umgehen!

„Das klären wir Beide und zwar jetzt“, fuhr ich ihn an und ging zu einer freien Matte. Ich drehte mich um und ging lässig in Kampfposition.

‚Dem Fatzke würde ich seine Grenzen zeigen‘, fluchte ich vor mir hin und brodelte wie ein Vulkan. Auf meinen herrischen Wink, endlich auf die Matte zu kommen, wich er eher noch ein Stück zurück, und ein gehetzter Blick wanderte zu dem schwarzen Gürtel auf dem Boden neben ihn. Zuerst sah es aus, als würde er aufbegehren und sich meiner Aufforderung zum Kampf widersetzen, aber dann schien er zu resignieren und kam zu mir getrottet. Ungeduldig wartete ich seine Verbeugung ab und griff danach sofort an. Als ich kräftig in den verstärkten Kragen der Jacke griff und ihn zu mir heranzog, stieg mir sein Geruch in die Nase und das stumme Flehen in seinen aufgerissenen blauen Augen gaben mir den Rest.

Ich hasste ihn – ich hasste ihn dafür, was er mit mir machte, was er aus mir machte!

Fast rabiat zwang ich ihm einen Hüftwurf auf und ließ mich elegant mit seinen Schwung mitreißen. Weniger elegant war sein Fall, denn er knallte wieder sehr ungeschickt und laut auf die Matte. Eigentlich war der Kampf schon entschieden, denn mein Wurf hätte mir im Wettkampf einen Ippon eingebracht. Aber ich war wie von Sinnen, oder…

…wollte ich nur weiter seine Nähe spüren?

Dieser Gedanke machte mich wahnsinnig Er drehte sich unter mir auf den Bauch und wollte von mir weg kriechen, aber ich war noch lange nicht mit ihm fertig. Er bot mir schutzlos seinen Hals an und dieser Einladung konnte ich einfach nicht widerstehen und setze den unvermeidlichen Würgegriff an. Und er wehrte sich wieder nicht – er tat einfach nichts. Mit meinen Beinen zwang ich ihn eng auf die Matte und zog den Griff immer weiter zu. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich seine Hand, um sein Abklopfen zu genießen. Er hob sie kurz und bevor er sie auf die Matte fallen ließ, ballte er sie zu einer Faust und blieb einfach so liegen.

Ich presste mich dicht an ihn und hörte ihn keuchen, die Atemnot musste schon sehr groß sein. Es kam jedoch kein Aufbäumen und auch keine Aufgabe. Somit zog ich ihn noch fester in meinen Griff und zischte ihm ins Ohr:

„Gib auf, Du Pisser!“

Eine große Hand fiel auf meine Schulter und riss mich von meinen Gegner herunter. Gleichzeitig holte mich eine eisige Stimme wieder in die Wirklichkeit zurück.

„Alessio, bist Du wahnsinnig!“ Mathias stand kurz davor, mir eine zu scheuern, sein Gesicht war feuerrot und seine Augen blitzten.

„Was soll der Scheiß?“, schrie er mich wütend an.

„Der Penner hat mich verarscht!“, antwortete ich ihm trotzig.

„Und das gibt Dir das Recht wozu?“ Dieser unglaublich verächtliche Ton stieß mich vor den Kopf. Sämtliche Achtung und Vertrauen, die Mathias mir entgegengebracht hatte, war mit einem Mal verschwunden. Mein Blick wanderte zu meinem Gegner, der sich auf die Knie gehockt hatte. Sein halblanges blondes Haar fiel ihm ins Gesicht, so dass man nicht viel sah.

„Verschwinde sofort in mein Büro, wir reden später“, forderte mich Mathias unmissverständlich auf.

„Arrét!“, hörten wir es heiser flüstern.

„Wie bitte?“, fragte Mathias.

„Moment, wir waren noch nicht fertig!“, kam es leise hinter den blonden Locken hervor.

„Dieser Irrsinn ist sehr wohl zu Ende“, stellte der Trainer fest.

„Das glaube ich nicht“, murmelte mein Gegner und stand langsam auf. Dann hob er seinen Kopf und Mathias zog scharf die Luft ein. Ein Teil von mir sah ihn gehässig an und war sehr zufrieden, aber mein Gewissen jaulte regelrecht auf und mein Magen schrumpfte zu einem kleinen schwarzen Etwas zusammen. An seinem Hals waren die Würgemale sehr gut zu sehen, blutige Striemen legten sich wie eine Halskrause darum. Aber viel mehr nahm mich die einzelne Träne mit, die langsam seine Wange hinunter wanderte – seine herrlichen blauen Augen schauten so unendlich traurig. Ich war noch viel zu sehr durch den Wind und wütend, als diesen Anblick objektiv bewerten zu können, aber es brachte tief in mir etwas zum Erklingen.

Mathias wollte noch einmal gegen die Fortsetzung des Kampfes aufbegehren, aber ein Blick auf uns Beide ließ ihn anders entscheiden und er ging von der Matte. Mit einer kleinen, eleganten wie spöttischen Handbewegung forderte mich mein Gegner zum Weitermachen auf. Lässig verneigte er sich vor mir und allein diese Bewegung brachte mich schon wieder gegen ihn auf.

Der TYP machte mich wahnsinnig!

Seine Haltung war anders, gefährlicher, aber ich merkte das nicht. Spätestens als ich meinen Griff an seine Jacke nicht hinbekam, schwante mir, das hier was schief lief. Ich sah den Wurf nicht kommen und bevor ich überhaupt an eine Konterbewegung zu diesem fantastischen Schulterwurf denken konnte, lag ich schon auf der Matte. Noch immer innerlich über diese Aktion staunend, musste ich mich einem Bodenangriff erwehren, der so schnell und kompromisslos vorgetragen wurde, dass ich nicht die Spur einer Chance hatte. Und ehe ich mich versah, hatten wir die selbe Szene wie vor ein paar Minuten – nur das ich diesmal unter ihm lag. Nun zog er die Würgeschlinge zu und was machte ich?

Anstatt mit einer Bewegung zu kontern oder abzuklopfen, genoss ich den engen Kontakt mit ihm. Sein sportlicher Körper so eng an mich gepresst, sein warmer Atem, der über meinen Nacken strich, und auf meinen Hintern spürte ich etwas, was mich eigentlich abtörnen sollte.

Ich wollte alles andere, als den Kampf mit einer Aufgabe zu beenden!

Mein Gott, was war mit mir los????

„Alessio, Du bist solch ein Idiot!“, hauchte mir eine angenehme Jungenstimme enttäuscht in mein Ohr. Diese Worte brachen den Bann, der auf mir lag, und fast zeitgleich löste sich der Würgegriff und ich war von dem angenehmen Gewicht auf meinem Körper befreit. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er zu dem schwarzen Gürtel ging, ihn aufhob und dann dem Ausgang zu strebte. Im Vorübergehen wuschelte er kurz Tobias durch das Haar und war dann meinen Blicken verschwunden.

Da lag ich nun besiegt und geschlagen in meinem Dojo auf der Matte. Ein völlig Unbekannter hatte ziemlich kurzen Prozess mit mir gemacht. Aber anstatt mir weiter Gedanken über meine körperliche Niederlage zu machen, hatte ich das Gefühl, dass ich auf einer ganz anderen Ebene vollkommen versagt hatte.

Sein letzter Satz klang unendlich traurig lange in mir nach.

Ruwen

Nach unserer ausgiebigen Shoppingtour durch die Münchener Innenstadt saßen wir nun in einem Eiskaffee und aßen in dieser Jahreszeit wirklich ein Eis. Katrin war aber auch eine Naschkatze, was sich jedoch nicht auf ihre superschlanke Figur auswirkte. Ich hatte ihr gerade die ersten Seiten meiner Story hinüber geschoben und sie las emsig die paar Kapitel. Ab und an kicherte sie in sich hinein.

„Och, Ruwyschchen, das ist sooo schööön“, hauchte sie entzückt, als sie die Blätter aus der Hand legte. Ich runzelte unwillig meine Stirn über die Verhunzung meines Namens, aber das tat sie einfach zu gerne.

„Nicht Katy???“, konterte ich sofort.

„Bitte schrieb die bloß zu Ende“, forderte sie mich quengelnd auf.

„Mir sind gerade die Hauptdarsteller ausgegangen“, murmelte ich resigniert.

„He?“

„Ach nix“

Aber damit hatte ich nun gerade ihre sprichwörtliche Neugier geweckt und ihre Augen durchbohrten mich fast.

„Los, rück mit der Sprache raus“, versuchte sie es auf plumpe Art und Weise.

„Hab keine Ahnung, was Du meinst“, wiegelte ich ab.

„Moment mal“, murmelte sie und angelte nach den Blättern. Schnell überflog sie noch einmal ein paar Passagen und sah mich dann forschend an. Ihre Mundwinkel wanderten ganz langsam nach oben, und schlussendlich grinste sie mich triumphierend an.

„Kann es sein, dass dieser blondgelockte Jüngling namens Florian eigentlich Ruwen heißt??“, stellte sie einfach fest. Ich ließ mir nichts anmerken, außer dass ich knallrot anlief.

„Tz, tz“, machte sie nur.

„Also gibt es diesen schwarzhaarigen Teufel mit Namen Alex auch in Wirklichkeit?“, bohrte sie neugierig weiter. Meine Kopfbewegung daraufhin hätte von Ja über Nein bis Vielleicht alles sein können. Und dieses kleine neugierige weibliche Wesen mit der untrüglichen Intuition nahm natürlich gleich das Richtige an

„Und wie heißt er wirklich?“

„Alessio“, nuschelte ich sehr, sehr unverständlich.

„Wie?“

„Alessio“

„Oh, was für ein schöner Name“, rief sie entzückt aus.

„Ruwen und Alessio, jo, ich glaube, das passt gut“, schwafelte sie weiter und griente über beide Wangen. Ich sah sie geschockt an.

„Das vergiss mal ganz schnell wieder“, grummelte ich. Sofort wurde sie ernst.

„Was ist denn passiert?“, fragte sie vorsichtig. Eigentlich hatte ich vor, darüber nicht zu reden, weil ich über so was noch nie mit jemanden geredet hatte. Ich hatte bisher auch noch keinem Menschen, mit dem ich über meine Schwärmereien, denn mehr war es ja nie, sprechen konnte. Aber dieses Mal hatte es mich sehr erwischt und ich wusste nicht so richtig, wie ich damit umgehen sollte. Obwohl der Typ ein richtiges Arschloch zu seien schien, zog er mich magisch an. Beim Verlassen des Dojos hatte ich mir geschworen, da nie wieder hinzugehen, erwischte mich aber schon am selben Abend dabei, wie ich Möglichkeiten durchspielte, um ihn wieder zu sehen.

Der TYP machte mich einfach wahnsinnig!

Unsicher sah ich Katrin an. Nur, was hatte ich zu verlieren. Eigentlich kannten wir uns nicht und doch wieder sehr gut. Sie wusste über meine sexuelle Ausrichtung Bescheid, war zudem noch eine Frau und somit der ideale Gesprächspartner. Zögernd fing ich an, ihr die wahre Geschichte zu erzählen. Es war ja eigentlich eine ziemlich kurze Angelegenheit und dadurch war ich auch bald fertig.

„Scheint ein ziemliches Arschloch zu sein“, kam auch postwendend ihre Reaktion.

„Sag das nicht“, verteidigte ich ihn und war ihr prompt auf den Leim gegangen.

„Ach ne?“, hörte ich es süffisant und schaute sie wieder an. Während des Erzählens hatte ich mir einen Punkt auf dem verschmierten Tisch gesucht. Ich grinste sie schief an.

„Beschreib ihn mir noch einmal bitte?“, forderte sie mich auf. Ich hatte echt Mühe, nicht ins Schwärmen zu geraten und seine körperlichen Vorzüge, die ich bei unseren kämpferischen Auseinandersetzungen gespürt hatte, zu sehr herauszuheben.

„Man könnte meinen, Ihr habt beide nackt unter der Dusche gestanden“, neckte sie mich nach meinen Ausführungen. Erschrocken riss ich die Augen auf – dieser Gedanke war einfach zu verrückt, um ihn weiter zu denken.

„Na ja, Du hast fast alle Einzelheiten von ihm sehr bildlich beschrieben“, grinste sie anzüglich und ich lief rot an. Die Betonung des Wörtchen ‚fast‘ war sehr eindeutig.

„Quatsch“, widersprach ich ihr, aber meine gesunde Gesichtfarbe sagte etwas anderes.

„Beim Judo ist der Körperkontakt nun mal sehr intensiv und da bekommt man so einiges mit“, versuchte ich meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

„Auf jeden Fall scheint es ein echter Schnuckel zu sein und Dich hat es ziemlich erwischt!“, teilte sie mir ihre Überlegungen mit.

„Erzähl mir mal was Neues“, grummelte ich. Ihre Schlussfolgerungen schockten mich nicht allzu sehr, denn sie waren ja wahr.

„Ach, eine Bitte hätte ich an Dich“, wandte sie sich an mich und mir entging der lauernde Unterton.

„Ja?“

„Nimm bitte das nächste Mal zum Training eine Digicam mit, denn ich will ein Foto von dem Kerl. Ich stehe voll auf Schwarzhaarige“, fing sie an zu schwärmen.

„Wehe“, knurrte ich.

„Ach komm, er steht ja wohl nicht auf Typen“, ärgerte sie mich weiter.

„Ich glaub, ich muss mal mit Deinem Schatz reden“, konterte ich und fing mir eine lange Zunge ein. Ein Gutes hatte unsere Fopperei, ich nahm es ein wenig lockerer.

„Nee, mal im Ernst, Ruwen. Ich kenn Deinen Schwarm ja nicht und in Deinem Bericht kommt Alessio nicht so blendend weg. Die Möglichkeit, dass er schwul ist, steht 1:9 und vielleicht hattet ihr nur einen grottenschlechten Beginn. Gib ihm und vor allen Dir noch eine Chance, aber bitte verrenn Dich nicht zu sehr in einen Traum?!“

„Na ja mal schauen, vielleicht beachtet er mich ja gar nicht mehr“, warf ich leichthin in unsere vertraute Runde, obwohl ich inständig das Gegenteil erhoffte.

„Und wenn alles nichts hilft, komme ich nach Stuttgart und schleife ihn persönlich in dein Bett“, kicherte sie.

„Das Ihr Frauen immer nur an das EINE denken könnt“, flutschte mir heraus.

„Wiiiiir?“, rief sie entrüstet.

„Klar, ich wäre schon mit einem Küsschen zufrieden“, erwiderte ich und wurde schon wieder rot.

„Auf jeden Fall solltest Du die Geschichte weiter schreiben“, forderte sie mich auf.

„Ja, ja“, murmelte ich.

„Ach los komm, Du Miesepeter – wir gehen jetzt mal weiter shoppen!“, grinste sie mich an und stand auf. Als ich die Rechnung bezahlen wollte, riss sie mir diese aus der Hand und drohte mir mit ihrer kleinen Faust.

„SO wie IMMER! Du das Mittagessen und ich den Kaffee“, brubbelte sie mich an. Ich hatte kein Problem damit, alles zu bezahlen, denn bei guten Freunden spielte das keine Rolle für mich, aber ich verstand sie. Deshalb verdrehte ich nur meine Augen und ließ ihr den Willen. Gemeinsam schlenderten wir durch die Innenstadt und wie von einem unsichtbaren Band gezogen, strebte sie einem bestimmten Konsumtempel entgegen.

„Och nöööö“, knurrte ich gespielt entsetzt, als wir davor standen.

„Du hast es gerade nötig! Wer ist denn von den dicken Schmökern nicht wieder weg zu bekommen?“, reagierte sie schnippisch. Zielstrebig schleppte sie mich erst mal in die Mangaecke und versuchte mich wiederholt dafür zu begeistern. Okay, manche Jünglinge waren da ganz nett gezeichnet, aber der Text hielt sich in kargen Grenzen. Und ich mochte nun mal mehr dicke, ganz dicke Bücher, mit denen man mal so schön träumen konnte.

Tja und so stand erst mal wieder mein vierteljährlicher Crashkurs in Sachen Manga an. Mir war es ja eigentlich schon zu blöd, ein Buch von hinten anzufangen zu lesen. So griff ich mir ein x-Beliebiges, um mich während der Suchaktion von Katrin ein wenig zu vergnügen. Natürlich wurde dies mir entrüstet aus der Hand gerissen.

„Du hast ja gar keine Ahnung“, brubbelte sie dann noch und drückte mir ein Anderes in die Hand.

„Hier, das ist schön und auch schön erotisch“, flüsterte sie mir delikat zu. Und sie hatte Recht, während sie fast alle Manga herauszog und begutachtete, verschlang ich den mir gereichten.

„Und wollen wir noch nach Deinen Wälzern schauen?“, hörte ich es süffisant neben mir.

„Hm, hm…“

„So ansprechend?“

Verwundert und etwas genervt wegen der Störung sah ich hoch. Katy grinste ziemlich anzüglich und ich errötete leicht. War ich doch wirklich gerade an einer sehr erotischen Szene angekommen und gewisse Körperteile hatten schon reagiert. Ich konnte jetzt unter keinen Umständen aufstehen!

„Na, die Hose etwas eng?“, kicherte sie leise. Man, mein Kopf musste wie eine Tomate aussehen.

„Vielleicht finde ich ja doch was Neues“, grinste sie mich an und verschwand zu den Regalen. Ein paar Minuten später war ich fertig und brachte den Manga zurück.

„So, fertig.“ Mit diesen Worten gesellte ich mich zu ihr. Sie sah von ihrem Buch auf und kicherte schon wieder.

„So schnell?“

„Ja, bin ein ganz Fixer! ...Aber nur beim Lesen“, konterte ich mit einer kleinen Pause zwischen den beiden Aussagen.

„Ach, und wo nicht?“, fragte sie ziemlich aufreizend.

„Das willst Du gar nicht wissen“, griente ich sie an. So mit allerlei Blödsinn im Kopf und Etage um Etage erklimmend, kamen wir endlich bei meinen Lieblingsbüchern an. Ich ging vor ihr rückwärts her und ärgerte die Kleine ein wenig.

„Vorsicht“, rief sie mir noch zu, aber ich knallte auf einen Widerstand, der sich ziemlich angenehm anfühlte.

„Grmpf“, hörte ich in meinem Rücken und drehte mich um. Und mein Kinn knallte vor Erstaunen fast auf die Erde.

„Ale…“, nuschelte ich, um den Rest zu verschlucken.

„Oh Scheiße“, entfuhr es meinem Gegenüber und die so unergründlich schwarzen Augen flackerten nervös. Zuerst lief er knallrot an und dann entwich sämtliche Farbe seinem Gesicht. Mir war, als würde seine Hand leicht zittern, als er das Buch zurückstellte. Ich riss mich zusammen und versuchte den Kloß, der sich bei seinem Anblick wieder in meinem Hals gebildet hatte, hinunter zu schlucken.

„Hey Alessio“, begrüßte ich ihn freundlich und versuchte die Nervosität aus meiner Stimme zu halten. Die Augen von Katy wurden tellergroß. Seine Augen glitten nun gehetzt über uns, mir war auch, als würde ich eine gewisse Traurigkeit erkennen und dann stürmte er wortlos an uns vorbei. Innerhalb von Sekunden war er unseren Blicken entschwunden.

„Das war Dein Schwarm?“, fragte Katrin aufgeregt. Ich war immer noch wie vor den Kopf gestoßen und stierte ihm hinterher, obwohl da nichts mehr zu sehen war. Ihre Worte drangen wie durch dutzende Lagen Watte gedämpft zu mir – nur zu einer Reaktion war ich nicht in der Lage.

„Deine Beschreibung hat ihn ja nicht mal annähernd wiedergegeben!“, meckerte sie nun mit mir, nachdem sie einfach das Richtige annahm.

‚Was machte Alessio hier?‘ Über 200 Kilometer von Stuttgart entfernt, traf ich ihn in einer Buchhandlung. Wie irrwitzig war das denn??

War es Zufall?

„Ruwen?“, rief sie energisch, und ich wurde rabiat in meinem Gedankenchaos unterbrochen. Ich schaute Katy verwirrt an. Mein fragender Gesichtsausdruck war wohl mehr als 1000 Worte.

„War das DER Alessio?“, hakte sie noch einmal nach.

‚Wie viele gab es denn noch mit diesen Namen?‘, lag mir bissig auf der Zunge, aber ich hatte kein Recht, meine Unsicherheit an ihr auszulassen. Leicht nickte ich mit meinem Kopf.

„Wow“, entfuhr es ihr. Wieder musste meine verwirrte Miene als Antwort reichen.

„Deine Schilderung aus dem Café trifft es nicht mal vage“, grinste sie mich schelmisch an.

„Ich versteh kein Wort“, murmelte ich immer noch zerstreut.

„Man, der Typ hat eine phänomenale Wirkung auf Dich. Allein seine Anwesenheit haut Dich ja total aus der Bahn“, sprach Katy mehr zu sich als mit mir. Dann ließ sie ihren Blick streifen und fing auf einmal breit an zu grinsen. Dieses wissende Lächeln machte mich zusehends nervös.

„Was grinst Du so blöde?“, knurrte ich demzufolge dann auch nach einer Weile.

„Och nüx“, kicherte sie.

„Katrin“, grolle ich warnend.

„Ja, Ruwymäuschen“, tat sie total teilnahmslos. Auch wenn es mir verdammt schwer fiel, nun zeigte ich ihr die kalte Schulter. Betont lässig drehte ich mich um und schlenderte langsam davon.

„Ach komm, Du willst es doch wissen“, quengelte sie ein wenig. Mit blitzenden Augen fuhr ich zu ihr herum, denn mich interessierte wirklich brennend, was so in ihrem hübschen Köpfchen vorging – zumal es ja um Alessio ging.

„Wusst ich es doch“, grinste sie triumphierend. Dann glitt ihre Hand zu dem Bücherregal und angelte zielstrebig das Buch heraus, welches mein Schwarm gerade zurückgestellt hatte. Innerhalb weniger Minuten schlug mein Kinn das zweite Mal laut auf den Boden. Nein, das traf es nicht korrekt – diesmal durchschlug es den Boden sogar. Fassungslos sah ich auf den Buchtitel.

Tim und Leon. Erste Küsse

Ein Blick auf die anderen Bücher in diesem Regal zeigte mir, dass wir in der homoerotischen Ecke gelandet waren.

Nein, das konnte nicht sein. Seine ganze Ausstrahlung, sein ganzes Auftreten war so heterolike, so machomäßig, dass er unmöglich schwul sein konnte. So sehr ich mir das auch wünschte und auch erhoffte, aber sein Auftreten widersprach diesem in allen Punkten. War ich vorher nur verwirrt wegen seines Erscheinens hier, befand ich mich nun mit diesem Wissen im totalen Chaos.

„Auf jeden Fall sind Deine Chancen eben gerade immens gestiegen!“, schlussfolgerte sie aus dem Ganzen.

„Du hast doch keine Ahnung“, murmelte ich.

„Ruwen, schau mich mal bitte an“, forderte sie mich auf. Nachdem ich dieser Aufforderung Folge leistete, bohrte sich ihr Blick in meine Augen und versuchte, meine Stimmung zu ergründen.

„Also ich habe eben einen verdammt nervösen Kerl hier gesehen, der mit einem flackernden Blick überstürzt weggelaufen ist. ICH glaube, Deine Chance besteht wirklich!“

‚Konnte sie Recht haben?‘, fragte ich mich und klammerte mich natürlich an diesem kleinen Hoffnungsschimmer. Unsicher, fast verzweifelt sah ich sie an. Ich wollte ihr ja so gerne glauben, aber sein Auftreten mir gegenüber war nur einfach daneben.

„Überforder ihn bloß nicht“, riet sie mir noch.

‚Ich IHN?‘ Mich überforderte das hier gerade und das nicht zu knapp. Ich musste nachdenken und die Nachhausefahrt jetzt kam mir gerade Recht. Wie auf Stichwort sah Katrin auf ihre Uhr und erschrak.

„Upps, Ruwen, ich muss los“, wandte sie sich entschuldigend an mich.

„Kein Problem, ich wollte ja auch schon längst auf der Autobahn sein“, entgegnete ich zerstreut. Gemeinsam gingen wir nach unten und am Eingang verabschiedeten wir uns. Sie drückte mir zum Abschied noch einen feuchten Kuss auf die Wange und nahm mich in den Arm.

„Wird schon Ruwy, trau Dir ruhig mehr zu“, mit diesen aufmunternden Worten verschwand sie. Kurz schaute ich ihr noch hinter und lief dann in Richtung Parkplatz. Zum Glück hatte ich jetzt zwei Stunden Ruhe, nur wie weit wollte ich meine Gedanken schweifen lassen?

Alessio

Was war da vorhin passiert – ich bekam es nicht in meinen Schädel.

„Ales, was hast Du?“, hörte ich eine weibliche Stimme vom Fahrersitz. Ich schrak aus meinen wirren Gedanken auf.

„Nix“, gab ich mürrisch von mir und versank wieder in schweigende Unnahbarkeit. In meinem Innersten jedoch brodelte es. Ein Vulkan war ein Scheißdreck dagegen.

So weit von zu Hause weg traf ich IHN – meinen Albtraum. Seitdem der Kerl in mein Leben getreten war, hatte sich alles in ein Chaos gesteigert. Erst brachte er meine sexuellen Empfindungen durcheinander, dann demütigte er mich in meinem Dojo und das Schlimmste war – ich bekam diese beknackten strahlenden blauen Augen nicht aus dem Kopf.

Mich machte ein Kerl an, MICH! Nicht das er mich ausschließlich in meinen Träumen verfolgte, nein, jetzt lief er mir auch noch gefühlte 1.000 Kilometer von Stuttgart entfernt über den Weg. Und das Schlimmste war, das Aller-, Allerschlimmste war,…

…wo er mich getroffen hat!

Ich könnte vor Scham in den Boden versinken. Meine klitzekleine Hoffnung, dass er es nicht bemerken würde, hatte seine Schnalle mit dem Ergreifen des Buches aus dem Regal sofort zunichte gemacht. Nach meinen überstürzten Abgang, wo ich nicht einmal ein vernünftiges Wort herausbekommen hatte, ist mir auf der Treppe der Schreck in die Glieder gefahren und das ganze Ausmaß meines Handelns bewusst geworden. Deshalb musste ich sehen, ob er die richtigen – NEIN, die FALSCHEN Schlussfolgerungen zog, denn ich war NICHT SCHWUL!

Und dann hielt ihm das Mädel brühwarm das Buch unter die Nase und er sah, hm…

…verdammt verwirrt aus. Dieser Blick, diese freche blonde Strähne über seinem Auge, diese ganze Haltung, nervös, wie auf dem Sprung – bei mir fing sofort etwas an zu schwingen, es kribbelte…

STOP!

HALT!

„Alessio Richter, reiß Dich zusammen“, fluchte ich vor mir hin.

„Ja, was ist?“

„Ich bin nicht…“, grummelte ich vor mich hin und biss mir noch rechtzeitig auf meine Zunge, bevor ich hier etwas ausposaunte, was nicht für andere Ohren bestimmt war. Nur konnte ich zwar meiner Zunge verbieten, unter Schmerzen versteht sich, die Worte verbal zu formen, doch meinen Gedanken konnte ich nicht so einfach Einhalt gebieten. Und sie führten weiter aufrührerische Reden in meinem Kopf. Ich hatte die Beiden anschließend beobachtet, irgendetwas zwang mich dazu. Das Mädel, das verdammt gut aussah und einfach seine Freundin sein musste, redete unentwegt auf ihn ein und Blondy machte einen sehr unentspannten Eindruck. Der dicke Kuss, den sie ihm dann vor dem Eingang aufdrückte, bestätigte meine Annahme, dass es seine Kirsche war, und gab mir einen kleinen Stich.

Ich war eifersüchtig!

Ich war WAS?

„Verdammte Scheiße!“, fluchte ich schon wieder vor mir hin.

„Du hast doch was“, nervte die Person nochmals vom Fahrersitz. Da meine Schwester nun so gar nicht auf den Kopf gefallen war, musste ich jetzt einmal sinnvoll reagieren.

„Norbert nervt mich mit der Schule“, war das einzig Sinnvolle, was mir gerade einfiel.

„Nun ja, so ganz unrecht hat er ja nun nicht“, verteidigte sie unseren Stiefvater.

‚Na toll, vom Regen in die Traufe‘, heulte ich innerlich auf.

„Fio“, grummelte ich.

„Wenn Du nicht so viel mit Deinem Schwanz denken würdest, hättest Du die Probleme gar nicht“, zischte sie mich nun an und ich riss erschrocken meine Augen auf. Wir hatten seit ein paar Jahren ein sehr geschwisterliches Verhältnis, aber solche offenen und vor allem vulgären Worte war ich von ihr nicht gewöhnt.

„Waaasss?“, stotterte ich.

„Hältst Du mich für blind?“, fragte sie mich schnippisch.

„Fast jede Woche schleppst Du ein anderes Mädel an und wenn Du sie im Bett hattest, lässt Du sie wieder genauso schnell fallen, wie eine heiße Kartoffel!“, wies sie mich streng zurecht.

„Aber,…“, fing ich an aufzubrausen.

„Nix ABER! Ich wollte mich nicht in Dein Liebesleben einmischen, aber das hier ist nur Dein geiler Jagdtrieb und mir tun die Mädels einfach leid“, polterte sie weiter.

„Man, lass mich zufrieden, Du hast doch keine Ahnung“, schrie ich nun zurück. So sehr ich meine Schwester auch schätzte, aber sie tanzte mir gerade auf meinen Nerven herum, die eh sehr angespannt waren.

„Dann red mit mir“, kam es auf einmal sehr ruhig und sanft zurück. Ablehnend sah ich sie an. Unter keinen Umständen konnte ich mit ihr DARÜBER reden! Wir hatten kaum Geheimnisse voreinander, aber das hier?

Nein, niemals!

„Oh je, wenn ich diesen bockigen kleinen Jungenblick sehe, weiß ich, dass ich verloren habe, schade“, seufzte sie.

„Und kann die Mädels ja verstehen, dass sie so auf Dich abfahren“, schob sie noch ziemlich trotzig und leise nach.

„Können wir bitte NICHT über mein Liebesleben reden“, versuchte ich es in einem ruhigeren Ton.

„Dein Gerammel kann man bestimmt nicht Liebesleben nennen“, antwortete sie schnippisch. Sie musste einfach immer das letzte Wort haben und dagegen kam ich kaum an, also schoss ich noch einen blitzenden Blick auf sie ab und hielt meinen Mund. Ich hatte auch vielmehr Angst, dass mich mein Mundwerk nur unnütz in Gefahr bringen könnte.

„Auch wenn ich mir nun die zweite Abfuhr hole, frage ich trotzdem nach. Was willst Du gegen die drohende Ehrenrunde am Gym tun?“, wechselte sie das Thema.

‚Oh je, hätte ich mich heute nur nicht zu dieser Shoppingtour nach München überreden lassen!‘, stöhnte ich innerlich auf.

„Hör auf mit den Augen zu rollen! Auch wenn Du es Norbert nicht abnimmst, aber er will nur Dein Bestes!“, wies sie mich zurecht.

„Mag sein“, stimmte ich ihr halbherzig zu, denn erstens war mir der Themenwechsel lieber als weiter über gewisse sexuelle Errungenschaften meinerseits in letzter Zeit nachzudenken und zweitens würde sie eh keine Ruhe geben – Frau halt!

„Sind es wieder die Sprachen, die Dich in Schwulitäten bringen?“, fragte sie neugierig. Ich hatte echt Mühe bei dem Wort „Schwulitäten“ nicht entsetzt zurückzuschrecken. Trotz allem wich mir sämtliche Farbe aus meinem Gesicht und ich sah sie mit großen Augen an. Soviel zum Themenwechsel!

„Was ist denn mit Dir los? Bist ja auf einmal weiß wie eine Wand“, murmelte sie besorgt.

„Ist Dir schlecht? Soll ich anhalten?“

„Ich mach nur kurz mal ein wenig das Fenster herunter“, antwortete ich erleichtert über den Ausweg, den sie mir hier anbot. Innerlich rief ich mich bestimmt heute zum hundertsten Male zur Ordnung, aber so richtig wollte mir das nicht gelingen.

„Ja es ist wie immer Französisch und Englisch“, gab ich dann von mir, denn die Fremdsprachen waren wirklich das dringendste Problem. In den anderen Fächern musste ich mich nur etwas zusammenreißen und dann kam es da alles wieder in Lot.

„Ich hätte da vielleicht einen Vorschlag“, wandte sie sich vorsichtig an mich. Dieser Ton ließ nun bei mir sämtliche Alarmglocken schrillen.

„Und der wäre?“, fragte ich argwöhnisch.

„Wie wäre es denn mit Nachhilfe aus meinem Uniumfeld?“

„Super“, platze ich postwendend heraus und das machte sie nun wiederum argwöhnisch. Forschend sah sie mich an und ich griente ihr frech ins Gesicht. So langsam fiel wohl der Groschen.

„Das, mein liebes Bruderherz, kannst Du Dir gleich aus dem Kopf schlagen! Ich besorg dir einen alten verknöcherten Professor, der Dir ordentlich die Hammelbeine lang zieht“, gab sie mir ihre Überlegungen preis und meine enttäuschte Miene war ihr wohl Antwort genug. Schallend lachte sie los.

„Du bist einfach unverbesserlich“, lachte sie mich an.

„Ich erlieg nur den Reizen der Natur“, griente ich zurück.

„Okay, Ales, ich schau mal, was ich da bekommen kann. Habe eigentlich auch schon eine Person im Auge, aber ich weiß nicht, ob sie so was macht“, zwinkerte sie mir zu.

„Ist sie hübsch?“, hakte ich fast sabbernd nach.

„Oh ja“, sagte sie und grinste danach nur in sich hinein und ließ sich nichts mehr entlocken.

„Wann passt es Dir denn?“, wollte sie dann noch wissen.

„Sagen wir nächsten Dienstag, am besten vor dem Training so gegen 15 Uhr“, schlug ich vor.

„Okay“, murmelte sie und damit war das Thema abgehakt. Leider war damit auch die willkommene Ablenkung vorbei und ich verfiel wieder ins Grübeln.

‚Man was hatte mich nur in diesen Buchladen geführt und vor allem, wie kam ich in diese Ecke dort?‘, überlegte ich wieder krampfhaft. Fast magisch hatten mich meine Schritte in diesen riesigen Lesetempel geführt, nachdem ich ihn entdeckt hatte. Ich bin nicht so die Leseratte, aber in meinem verwirrten Kopf fing sich an, ein Gedanke zu bilden. Diese Stadt war fremd, keiner konnte mich bei meiner Tat ‚erwischen‘. Ich verbrachte über eine Stunde mit der Suche nach dieser speziellen Literatur, und als ich dann vor dem Regal stand, lief ich doch sofort knallrot an. Trotz allem wollte ich einen kleinen Versuch starten und schauen, welche Gefühle das Lesen schwuler Literatur in mir hervorrief. Als ich mich dann endlich durchgerungen hatte und ein entsprechendes Buch aus dem Bord angelte, geschah die Katastrophe!

Verdammte Scheiße!

Ich musste heute Abend ein Experiment machen. Wenn das nicht klappte, war ich endgültig im Arsch.

Stunden später lag ich auf einem hübschen Mädel und rammelte sie gerade seit Minuten durch. Sie stöhnte in einer Tour, so gut war ich schon lange nicht mehr und unendlich befriedigt und zufrieden rollte ich mich Sekunden später von ihr herunter. Mein Selbstversuch war geglückt und ich war NICHT schwul! Meine Hochstimmung hielt die nächsten Tage an und ich dachte nicht einmal an den Typen.

Mit meinen Rucksack in der Hand griff ich gerade an die Türklinke.

„Alessioooo?“, hörte ich aus der Küche meine Schwester und der Ton ließ alle Alarmglocken schellen.

„Ja“, meldete ich mich knapp.

„Welchen Tag haben wir heute?“, hörte ich sie ärgerlich rufen.

‚So eine blöde Frage‘, ging mir durch den Kopf.

„Jedenfalls noch nicht Freitag“, antwortete ich frech.

„Nein, heute ist Dienstag und Du bist ein Schussel ohne Ende“, fuhr sie mich nun aus der Tür an und verschoss Blitze mit ihren Augen. Ich stand wirklich auf der Leitung, und machte dementsprechend ein bescheuertes Gesicht.

„Du bleibst HIER!“

„He, ich will zum Club“, begehrte ich rebellisch auf.

„Nein, Brüderchen, gleich kommt Deine Nachhilfe, und Du wirst gefälligst Deinen Hintern wieder ins Zimmer bewegen“, verscheuchte sie meinen unwissenden Nebel aus dem Kopf.

„Oh nein“, murmelte ich. Anderseits hatte ich es ihr ja versprochen und sie hatte verlauten lassen, dass meine Nachhilfelehrerin ein hübsches Wesen sei. Auf den Geschmack meiner Schwester konnte ich mich meistens verlassen.

„Los, los und leg mal schon Deine Bücher bereit“, forderte sie mich unmissverständlich auf.

„Och, mal schauen, ob wir überhaupt zum Lernen kommen“, zwinkerte ich ihr verführerisch zu. Nur mit Mühe konnte sie sich ein Lachen verkneifen und verschwand wieder in die Küche. Ein bisschen Ordnung in meinen vier Wänden konnte auch nicht schaden und das Bett wurde auch noch ein wenig hergerichtet. Okay, die Kondome verfrachtete ich mal in die Schublade – wir wollten ja nicht zu direkt sein. Eben ging die Türklingel, aber darum sollte sich mal schön mein Schwesterherz kümmern.

„Ales, Dein Nachhilfelehrer wäre dann da“, flötete sie vor meiner geschlossenen Zimmertür.

‚Was?‘, ich musste was an den Ohren haben. Hatte sie eben ‚Nachhilfelehrer‘ gesagt? Hatte die einen Knall? Wütend stiefelte ich zur Tür und riss sie mit Schwung auf und…

…zwei blaue Sterne, so tiefblau wie die See glitzerten mich an. Benommen stolperte ich zurück.

„Duuuu“, stotterte ich.

„Duu“, hörte ich genauso überrascht von meinem Gegenüber.

„Ihr kennt Euch?“, fragte meine Schwester in totaler Verblüffung.

„Das kannst Du vergessen. Nimm den Heini und schwirr ab“, brüllte ich los und schmiss die Tür mit ganzer Kraft zu.

Ruwen

Knapp vor meiner Nase schlug die Zimmertür zu und der Knall holte mich in die Gegenwart zurück.

„DAS ist DEIN Bruder?“, fragte ich Fiorina fassungslos. Gestern hatte sie mich bei einen Gespräch mit unserem Professor für englische Geschichte abgepasst und mich gefragt, ob ich mir einen Nachhilfejob vorstellen könnte. Wir kannten uns eigentlich nur flüchtig, denn wirklich zusammen studierten wir nicht. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust dazu und gab ihr eine ausweichende Antwort. Jedoch war sie verdammt überzeugend und bat mich, mir das wenigstens mal anzuschauen. Außerdem machte mir wieder Grandpa die „Hölle“ heiß, dass ich endlich mehr unter die Leute kam. Also sagte ich einfach zu und sie drückte mir gleich den ersten Termin heute in den Kalender.

Und nun stand ich hier und mein Nachhilfeschüler war ER! Das stand ich niemals, nicht mal nur annähernd durch. Dafür sah Fiorina jetzt aber verdammt angepisst aus.

„Du bleibst hier“, zischte sie mir zu und ging ihrem Bruder nach. Das Türknallen beherrschte sie mindestens genauso gut wie er. Und so stand ich hier im leeren Flur und eine Stimme in meinem Kopf schrie ‚Hau bloß ab!‘. Jedoch ein kleines Flüstern in demselben verwirrten Schädel nuschelte ‚Das ist Deine Chance‘. Die Stimmen hinter der Tür waren sehr leise und somit konnte ich nichts verstehen. Entweder hatten sie Beide zu der normalen Stimmlage zurück gefunden oder die Zimmer in diesem alten Bürgerhaus waren sehr gut isoliert. So schaute ich mich ein wenig im Flur um. Viel zu sehen gab es jedoch nicht und so langsam nervte mich das hier. Gerade als die Stimme mit dem ‚Hau ab‘ im Kopf die Oberhand gewonnen hatte und ich mich verabschieden wollte, flog die Tür auf. Da stand die personifizierte Furie, schwarzes wirres Haar, blitzende Augen, gerötetes Gesicht und ich fragte mich verblüfft, wieso mir die Ähnlichkeit mit ihrem Bruder nicht aufgefallen war, denn die Augen waren genauso geheimnisvoll und dunkel wie bei ihm.

„Er wäre jetzt soweit“, knurrte sie mich an.

„Bist Du sicher, dass er überhaupt Nachhilfe will?“, flutschte mir dann doch heraus.

„Fang Du nicht auch noch an“, giftete sie zurück, und meine ablehnende Haltung ließ sie wohl ein wenig zur Besinnung kommen.

„Er ist manchmal ein Arschloch und dann muss man ihm das gnadenlos unter die Nase reiben“, erklärte sie mir offen.

„Wem sagst Du das“, seufzte ich.

„Was…, wie…?“, stotterte sie verdutzt und sah mich forschend an.

„Na egal, eigentlich ist er ein ganz Lieber“, nahm sie ihren Bruder etwas in Schutz, als ich auf ihr Gestottere nur mit einem schiefen Lächeln antwortete.

„Geh mal zu ihm und ich setze uns einen Kaffee auf, in der Hoffnung, dass Du Kaffee trinkst?“

„Ja, gerne, aber ein Wasser hätte ich auch gerne. Leitungswasser reicht vollkommen“, antwortete ich und klopfte an die Tür, die sie wieder geschlossen hatte. Ein undeutliches Genuschel kam durch die Tür und ich fasste es mal optimistisch als ‚Ja‘ auf. Entschlossen drückte ich die Klinke herunter und öffnete die Tür. Im Schreibtischstuhl saß ein sehr unwilliger Nachhilfeschüler und sein Gesicht hatte einen trotzigen Ausdruck. Oh je, dieser Schmollmund war verheerend und mir blieben die Begrüßungsworte im Halse stecken.

„Was starrste denn so?“, blaffte er mich an und zeigte sich von seiner ‚besten‘ Seite.

„Pass auf Du Penner, ich habe das hier nicht nötig. Das Geld ist mir scheißegal und ich tue Deiner Schwester nur einen Gefallen!“, schnauzte ich ihn an, denn sein arschiges Verhalten löste wie ein Wunder meine Sprachbarriere. Und der Kerl saß in seinem Stuhl und schaute mich mit großen Augen an.

„Was faselst Du?“, fragte er lauernd, was meine Ansicht bestätigte. Er hatte kein Wort verstanden und somit wiederholte ich meine Ansage anstatt auf Französisch diesmal auf Englisch. Seine Augen wurden noch etwas größer, aber hier schien er ein wenig verstanden so haben.

„Lass meine Schwester aus dem Spiel“, zischte er mich an.

„Okay, da Deine Fremdsprachenkenntnisse wirklich sehr verkümmert sind, nutze ich jetzt mal die deutsche Sprache. Ich bin nur hier, weil Deine Schwester einen sehr gut um den Finger wickeln kann und ich ihr noch einen kleinen Gefallen schuldig bin. Ich habe das Geld nicht unbedingt nötig und vor allem kann ich mir eine andere Freizeitgestaltung vorstellen, als ständig blöde angemacht zu werden. Leider wusste ich nicht vorher, dass DU ihr Bruder bist, sonst…“, erklärte ich ihm in seiner Muttersprache und ließ den Rest einfach ungesagt im Raume stehen. Jedenfalls schien er die zu beherrschen, denn sein Unverständnis wich aus seinem Gesicht. Leider machte mich dieser Kerl zunehmend nervös. Gegen das Arschloch kam ich an und wurde gut damit fertig, aber dieser süße Schmollmund, der sich gerade zu einem Ansatz eines Lächelns geöffnet hatte, diese funkelnden, unergründlichen Augen...

„Glaubst Du denn, ich bin begeistert, dass gerade DU hier auftauchst?“

„Okay, hat ja keinen Sinn. Wir lassen es einfach“, murmelte ich und wandte mich zur Tür.

„Warte“, hörte ich ihn unsicher in meinem Rücken.

„Erstens macht mich meine Schwester zur Schnecke, wenn Du jetzt wieder gehst, und zweitens bräuchte ich wirklich Hilfe bei den Fremdsprachen“, murmelte er sehr leise und man konnte heraushören, wie schwer ihm gerade das letzte Eingeständnis fiel. Zögernd drehte ich mich wieder um. Das konnte hier nur in einer Katastrophe enden – ich begehrte diesen Kerl viel zu sehr, um normal mit ihm umzugehen. Meine Zweifel spiegelten sich wohl in meinem Gesicht wider, nur kannte er ja nicht deren wahren Hintergrund.

„Bitte“, murmelte er noch leiser und sein Blick nahm einen unsicheren Ausdruck an.

„In Ordnung“, übernahm mein Mund die Entscheidung.

„Wir schauen mal, ob ich Dir überhaupt helfen kann, denn ich bin ja kein professioneller Lehrer“, machte ich ihm einen Vorschlag und er nickte zustimmend. So klopfte ich sein Wissen ab. Zwischendurch kam Fiorina und brachte Kaffee und Kuchen. Verwundert nahm sie zur Kenntnis, dass ich immer noch an der Tür gelehnt stand und ihr Bruder im Stuhl saß. Da wir uns aber nicht anschrieen, zog sie nur die Augenbraue hoch und musterte uns intensiv. Ich hatte mit voller Absicht diesen Abstand zu Alessio gelassen, denn je näher ich ihm kam, desto willenloser würde ich werden.

Als mir dann doch nichts anderes übrig blieb und ich zum Schreibtisch gehen musste, stieg mir sofort sein Duft in die Nase. Ein unauffälliges Deodorant vermischt mit seinem Schweiß ergab eine betörende Mischung und ich musste aufpassen, dass ich nicht zu sehr schnüffelte. Hilfsbereit nahm er sein Schulbuch und gab es mir. Dabei streiften sich unsere Finger. Die kleinen Stromstöße, die sich von der Berührung durch meinen ganzen Körper ausbreiteten, hatten verheerende Auswirkungen. Zuerst ließ ich das Buch wie eine heiße Kartoffel fallen und zuckte erschrocken zurück, dann lief ich rot an.

Ich konnte das nicht!

Wenn ich weiter in diesen Zimmer mit diesem Boy blieb, würde ich durchdrehen. Im Hinausstürzen nuschelte ich: „Ich überleg mir was und melde mich!“, riss meine Jacke von der Garderobe und rannte fast Fiorina vor der Eingangstür um. Ihre Worte drangen gar nicht bis zu mir durch, denn das Rauschen in meinen Ohren war betäubend. Auf den Weg nach Hause hatte ich sein Gesicht vor Augen, nachdem sich unsere Finger berührt hatten. Es könnte das Spiegelbild meines Ausdrucks gewesen sein. Seine Augen waren erschrocken aufgerissen und eine feine Röte zierte seine Wangen. Seine schwarzen Augen loderten diesmal nicht, sondern flackerten unruhig. Dies war jedoch nur einen Wimpernschlag zu sehen, dann verhärteten sich seine Züge und er presste wütend die Lippen aufeinander.

Dieses „zweite“ Gesicht verwirrte mich kolossal, aber warum?? Darüber zerbrach ich mir den ganzen Weg den Kopf. Und zum Schluss wusste ich nicht mal mehr, ob ich es wirklich gesehen hatte oder es mir nur selbst vorgegaukelt hatte.

Hatte ich nur gesehen, was ich unbedingt ‚sehen‘ wollte?

Als ich meine Jacke zu Hause über den Garderobenhaken warf, grinste mich meine Sporttasche hämisch an. Nein, das konnte ich mir heute nicht antun. Nach meinem peinlichen Abgang, der mich nun ziemlich lächerlich hat aussehen lassen, wollte ich ihn innerhalb von ein paar Stunden nicht wieder sehen.

Ich wollte nicht? Oh je, war ich scheinheilig!

Natürlich wollte ich, ich lechzte ihm ja regelrecht entgegen!

Um ein wenig Klarheit in meinen überforderten Kopf zu bekommen, hielt ich selbigen erst einmal ein paar Minuten unter eiskaltes Wasser. Dieses zog mir die Kopfhaut zusammen, und als ich mich aufrichtete und mein halblanges Haar nach hinten warf, floss mir die Kälte den Rücken hinunter. Die Gänsehaut dieses Mal kam eindeutig durch die Kälte und nicht von Alessio. Unbedingt klarer sah ich nicht, aber dass ich mich eben zum Kasper gemacht hatte, wurde mir immer bewusster.

Was hatte ich für Möglichkeiten, da wieder einen Teil gerade zu rücken? Viel fiel mir nicht gerade ein! Und dann…

‚Du blöder hirnrissiger Trottel!‘, schalt ich mich gerade innerlich, aber das verdammt laut.

FREMDSPRACHEN – und ein kleines fieses Lächeln eroberte mein Gesicht. Kühl analysierte ich sein Wissen. Es war echt verkümmert. Ihm fehlten einfach die Vokabeln. Satzstellung und die verschiedenen Vergangenheitsformen schien er ganz leidlich zu beherrschen, es fehlten ihm einfach nur die Wörter, um es anzuwenden. Somit wurde meine Lehraufgabe auf diesem Feld nicht vor ein zu großes Problem gestellt. Ich musste mich einfach nur mit ihm unterhalten – ihn dazu bringen, sich in den beiden Fremdsprachen mit mir auseinanderzusetzen.

Inwiefern ich meiner Lehraufgabe bei einem weiteren körperlichen Kontakt mit ihm bzw. in unmittelbarer Nähe zu diesem Jungen gewachsen wäre, wollte ich jetzt nicht mit mir ausdiskutieren. Auf jeden Fall dürfte ich NICHT noch einmal weglaufen!

‚Lieber als willenloses sabberndes Objekt zu seinen Füßen liegen‘, flüsterte eine kleine teuflische Stimme in meinem Kopf.

„Pff“, machte ich zu meinem kichernden Spiegelbild. Die Gefahr bestand natürlich, aber solange er Mr. Arschloch war, konnte ich das gut in Zaum halten. So bestärkt in meinen Ansichten, setzte ich mich noch für eine Stunde vor meinen Rechner und versuchte meine Geschichte für die Challenge weiter zu treiben. So recht vorwärts kam ich nicht, denn meine Gedanken rutschten immer wieder zu jemanden ab, und verdammt viel von meinen Sehnsüchten Alessio gegenüber ließ ich in die Story einfließen. Das hatte zur Folge, dass ich die komplette letzte Seite wieder löschte. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es höchste Zeit war, sich zum Dojo auf den Weg zu machen. Ich gehörte heute zu den Ersten, die in der Halle aufschlugen. Der Frechdachs Tobias war auch schon da und schwärmte immer noch von dem Kampf zwischen mir und Alessio. Da mir das peinlich war, versuchte ich das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken und horchte den Kleinen über Alessio aus. Besonders wichtig war mir gerade, ob irgendetwas auf sein Verhalten im Buchladen in München hinwies, und…

…ich wurde arg enttäuscht. Alessio war sozusagen auch im Dojo als Muster eines Heterokerls verschrien. Ständig wechselnde Freundinnen, mit denen er wohl auch ein reges Sexleben hatte, glaubte man den schlüpfrigen Andeutungen eines pubertären 13-jährigen. Sein ganzes Verhalten offenbarte nur eins – er war definitiv nicht schwul!

Oder war es das genau, was es alle glauben machen sollte?

Der Junge war einfach ein Rätsel und je mehr ich über ihn hörte, desto mehr faszinierte er mich. Was nicht passte, war sein bescheuertes Verhalten mir gegenüber, denn alle in der Umkleidekabine schätzen ihn und stellten ihn durchweg als höflichen und hilfsbereiten jungen Mann dar. So kurzweilig und mit viel neuem Wissen angereichert vergingen die Minuten beim Umkleiden wie im Fluge. In der Halle erwartete uns schon der von mir Angehimmelte. Mich würdigte er keines Blickes und begann mit einem forschen Aufwärmprogramm. Da er mich ja nicht beachtete, konnte ich ihn umso besser beobachten. Sein Auftreten war extrem selbstsicher – für einen, der ihn nicht kannte, wirkte es sogar ein wenig arrogant. Seine Anweisungen waren knapp, manchmal sogar mit einem gereizten Unterton. Fragte aber einer aus der Trainingsgruppe nach, erklärte er die Übung noch einmal geduldig. Nur ich war für ihn Luft. Dann kam Mathias in die Halle und beide zusammen stellten die Gruppen zusammen, besprachen die Übungen und zum Schluss blieb ich noch übrig.

„Ach Ruwen, was mache ich denn heute mit Dir?“, hörte ich ihn murmeln. Dann war mir, als würden seine Augen belustigt aufblitzen und er wandte sich mit einem Grinsen an Alessio.

„Socke?“

Der war gerade mit zwei Jüngeren am Üben und hörte nur mit einem Ohr hin.

„Ja“, kam es genervt von ihm.

„Ich glaube, ich habe endlich mal einen ansprechenden Trainingspartner für Dich“, kam es von Mathias. Diese Worte ließen Alessios Handlungen stocken und misstrauisch schaute er auf. Mathias Blick wanderte erklärend zu mir. Mich überlief es siedendheiß – ein gesamtes Training nur mit ihm, ich würde handlungsunfähig sein.

„Oh nein“, murmelte ich.

„NEIN“, zischte Alessio Mathias an. Dessen Blick wanderte zwischen uns beiden hin und her, und sein Grinsen wurde immer breiter.

„Okay, heute lass ich Euch vom Haken, aber überlegt es Euch. Ihr seit wie geschaffen füreinander“, warf er mystisch in die Runde und wandte sich einer Trainingsgruppe zu. Ich konnte gerade noch so einen Blick auf das erschrockene Gesicht von Alessio werfen, welches sich aber gleich wieder verschloss. Übrig blieben blitzende Augen und fest zusammen gepresste Lippen. Ich fand die Bemerkung ziemlich zweideutig, dementsprechend war ich leicht errötet. Jedenfalls ließ er mich ebenfalls stehen und ich kümmerte mich wieder um die Gruppe um Tobias. Wir gingen uns die ganze Trainingseinheit aus dem Weg. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, alles von ihm aufzusaugen.

Wieso musste er so unnahbar sein, so unerreichbar? Trotz Allem war jedoch seine ablehnende Haltung mir gegenüber für mich kein NEIN. Es war einfach verrückt. Nach der Verabschiedung strömten die meisten zur Umkleidekabine, aber ich hatte noch etwas Anderes auf dem Herzen. Somit machte ich ein paar Schritte hinter Alessio her, der auf den Weg in die Trainerkabine war.

„Alessio“, sprach ich ihn an. Sein Schritt stockte und er drehte sich langsam um.

„Willst Du wieder wegrennen?“, fragte er mich gehässig. Und ich hatte an meinem Klos in der Kehle arg zu schlucken.

„Nein, ich…“ Mein Hals war einfach zu trocken und ich bekam kein weiteres Wort heraus. Seine Augen glitzerten spöttisch.

„Kommt da noch was oder nicht? Ich wollte eigentlich unter die Dusche!“, wunderte er herum.

„Hast Du immer noch Interesse an der Nachhilfe“, stieß ich hastig hervor. Verwundert zog er die Augenbrauen hoch.

„Hm, ich bin jedenfalls nicht weggelaufen?“, antwortete er hämisch. Dieses Arschlochverhalten brachte mich wieder auf den Weg und ich fand meine Sprache wieder.

„Ich kann Dir folgenden Vorschlag machen“, sagte ich und ging gar nicht auf seine Äußerung ein. Als Antwort zuckte er kurz mit seinen Schultern.

„Aus unserem Gespräch habe ich mehr oder weniger herausgefunden, dass Dir eigentlich nur die Übung mit den beiden Sprachen fehlt. Die Vokabeln lernst Du am besten, wenn wir uns einfach nur unterhalten und zwar auf Französisch und Englisch“, gab ich ihm meine Überlegungen preis.

„Und worüber wollen WIR uns unterhalten?“, fragte er hinterhältig. Mir ging diese Arschlochnummer zusehend auf den Sack.

„Das wird sich finden. Ich will jetzt nur ein Ja oder Nein von Dir“, knurrte ich ihn an. Auf Grund meines drohenden Tones verzog er amüsiert seine Lippen zu einem kleinen fiesen Lächeln.

„Vielleicht“, antwortete er mit einem hochmütigen Grinsen. Und genau dieses ließ eine kleine Sicherung bei mir durchbrennen. Ich warf einen flüchtigen Blick über meine Schultern, so als würde ich mich vergewissern, dass wir alleine waren und er das auch sehr wohl mitbekam.

„Vielleicht sollten wir uns mal über die schöne Stadt München unterhalten?“

Seine Reaktion war interessant. Sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht und das selbstsichere Lächeln verschwand umgehend. Seine Augen nahmen einen gehetzten Ausdruck an und er presste so sehr die Zähne aufeinander, dass man seine Wangenmuskeln sehr gut sehen konnte. Da hatte ich wohl verdammt gut ins Schwarze getroffen.

„Wenn Du nur ein Wort darüber ausplauderst…“, hing auf einmal seine Drohung in der Luft. Jetzt zog ich amüsiert meine Augenbrauen hoch.

„Wieso? Fandest Du die Stadt nicht so schön?“, stichelte ich weiter. Mich musste der Teufel geritten haben, denn mir tat meine Erpressung jetzt schon leid, aber sein Verhalten provozierte es regelrecht. Es war einfach verrückt, er zog mich wahnsinnig an und gleichzeitig forderte mich sein Verhalten heraus. Auf jeden Fall hielt er jetzt den Mund und musterte mich intensiv.

„Okay, wir können es versuchen“, gab er schließlich nach. Ich konnte nicht sagen, ob es aus Einsicht geschah oder nur allein der Wirkung meiner kleinen Erpressung zuzuschreiben war.

„Wo und wann?“, blieb ich kühl und sachlich.

„Also wir haben Dienstag und Donnerstag Training, deshalb wäre es mir persönlich am Montag und Mittwoch recht“, kam es relativ kleinlaut von ihm. Ich traute dem Braten nicht, zumal er mir gleich zwei Tage vorschlug.

„Zwei Tage in der Woche?“, fragte ich dann doch etwas überrascht.

„Ich will den Scheiß schnellstmöglich hinter mir haben“, kam dann auch seine abwertende Antwort. Ich hatte den Bogen wohl überspannt, denn er würdigte mich keines Blickes mehr. Etwas niedergeschlagen ging ich nach Hause. Auch wenn er sich so bescheuert verhielt, hätte ich nicht darauf eingehen dürfen. Bevor ich zu Hause endlich in die Wanne sprang, erwischte mich Katy noch am Telefon. Nachdem ich ihr alles gebeichtet hatte, wusch sie mir kräftig den Kopf. Am meisten wurmte mich, dass sie Recht hatte. Vielleicht konnte ich ja morgen ein wenig was gerade biegen.

Alessio

Der Penner hatte mich eben rotzfrech erpresst! Ich kochte innerlich und schickte ihn doch nicht in die Wüste?

Was war bloß los mit mir? Das fing schon heute Nachmittag bei mir im Zimmer an. Als sich unsere Finger berührten, als er das blöde Schulbuch haben wollte, traf es mich wie kleine Stromschläge.

Ich hatte ihn doch schon auf der Matte angefasst und das mehrmals! Und nun das – ich hatte dafür keine Erklärung. Aber ihm schien es ähnlich zu gehen, denn er ließ das Buch fallen und sah mich erschrocken an. Und diese bekloppten blauen Augen glitzerten so komisch. Fast panisch verließ er das Zimmer und rannte im Flur wohl noch Fio über den Haufen. Diese kam dann auch entrüstet in mein Zimmer gestürmt und wollte mich zusammen falten. Komischerweise schluckte sie ihre Predigt herunter, als sie mich sitzen sah. Ich hoffte, ich sah nicht gerade so belämmert aus wie Blondy.

Und dann wollte mich Matze mit dem noch zusammen stecken. Wie konnte der sich nur so in mein Leben schleichen?? Wenn er mich so wie ein Hund aus seinen schönen Augen treudoof anschaute…

Hatte ich eben ‚schön‘ gedacht?? Oh man, der Typ machte mich auf der einen Seite wahnsinnig und weckte Gefühle in mir, mit denen ich mich bestimmt nicht auseinander setzen wollte. Und anderseits reizte mich seine lässige Art, seine Leichtigkeit beim Judo und vor allen immer dieses unergründliche Glitzern seiner Augen. Darauf konnte ich einfach nur aggressiv reagieren.

Und dann hatte er vorhin München erwähnt, so einfach locker ins Gespräch gebracht. In seinen Augen sah ich, dass er sehr wohl wusste, was für ein Buch ich mir da geangelt hatte.

Scheiße, das Buch hatte ich doch nur wegen IHM genommen, wegen dieser unerklärlichen Gefühle während unseres Kampfes. Ich konnte es mir einfach nicht erklären, warum ich einen Kerl begehrte, und vor allem gerade ER erwischte mich dabei. Irgendwie lief gerade alles aus dem Ruder und dafür hasste ich ihn!

Was blieb mir denn anderes übrig, als seiner Nachhilfe zuzustimmen. Die Drohung stand von ihm sehr deutlich im Raum. Und nun würde er mich weiter demütigen, mir meine Grenzen zeigen. Nur wenn er meinen Ausflug nach München und besonders meine eigenartige Literaturneigung im Verein publik machte, war ich erledigt! Dann lieber doch das kleinere Übel und ein paar Nachmittage mit dem Typen verbringen. Ich würde ihn schön auflaufen lassen und dann würde ihm schon die Lust vergehen.

‚Aber das bringt dich bei deinen Noten auch nicht weiter‘, krakeelte eine verdammt vernünftige Stimme in meinem total überforderten Schädel.

„Du glaubst doch wohl nicht, dass ich mich länger als nötig mit diesem Kerl beschäftige?“, stieß ich unwirsch hervor. Erschrocken zuckte ich zusammen, denn ich hatte es ziemlich laut gesagt.

‚Auf jeden Fall macht er Dich an.‘

„Halt bloß die Klappe“, schnautzte ich noch etwas lauter. Das ging ja mal gar nicht, dass ich hier mit mir selbst stritt. Die Lust, heute noch zum Club zu gehen, war mir gründlich vergangen, und somit machte ich mich auf den Nachhauseweg. Und ob ich es wollte oder nicht, meine Gedanken schwirrten um Blondy.


Oh je, die Schule hatte mir heute mal wieder gezeigt, warum ich Nachhilfe bitter nötig hatte. Erst einen 5er in einer Französischarbeit herausbekommen und dann in Englisch im Mündlichen total versagt. Ich verstand einfach nicht, was der Lehrer von mir wollte. Wenn da nicht bald Besserung eintrat, drehte ich wirklich eine Ehrenrunde. Und das alles wegen der blöden Sprachen, in den anderen Fächern stand ich mindestens auf Gut – okay, Deutsch war auch nicht gerade meine Stärke. Als ich meine Schultasche in die Ecke feuerte, fiel sie so bescheuert, dass sie sich öffnete und wie aus Hohn mein Französischbuch heraus fiel. Okay, dann konnte ich es ja gleich draußen lassen, denn ich bekam ja noch Besuch – Besuch von IHM! Ich rang immer noch mit meinem kleinen Dämonen und wusste nicht recht, wie ich mich jetzt verhalten sollte.

Die Entscheidung wurde mir vorweggenommen, denn an unserer Tür klingelte es.

„Ich gehe“, rief ich in den Flur und warf mir noch schnell meine Freizeitkleidung über. Dann öffnete ich die Tür und davor stand Blondy. Er machte einen etwas schüchternen Eindruck, was durch ein kleines Lächeln bestärkt wurde.

„Hey, Mr. Richter“, begrüßte er mich und plauderte gleich locker auf Englisch weiter. Ich verstand nur Bahnhof und musste dementsprechend bescheuert aus der Wäsche geschaut haben. Er stockte kurz und da war es wieder, dieses selbstsichere Grinsen mit den glitzernden Augen.

‚Alessio, reiß Dich zusammen!‘, rief ich mich innerlich zur Ordnung, denn ich war schon wieder kurz vor dem Explodieren.

„Ich mach uns erst mal einen Kaffee“, versuchte ich es möglich neutral.

„Sprich Englisch oder Französisch mit mir“, forderte er mich unmissverständlich auf und schob noch ein kleines leises „Bitte“ hinterher, als er meine Ablehnung sah. Also versuchte ich mein Glück und zu meiner Überraschung bekam ich es sogar einigermaßen hin. Somit befanden wir uns dann in der Küche und ich stotterte mir die nächste halbe Stunde mächtig einen ab.

Das Komische war, mir war es nicht mal peinlich. Er hörte über jeden Fehler weg und machte einfach immer weiter. Eigentlich sorgte er nur dafür, dass der Redefluss erhalten blieb. Bei jedem kleinen Erfolg lächelte er mir aufmunternd zu, und so feierten wir wohl beide diese kleinen Erfolge still für uns. Trotz Allem glitzerten seine Augen ab an mal wieder so komisch, und außerdem fiel mir auf, dass er immer einen gewissen Abstand zwischen uns ließ. So kamen wir gar nicht mehr in die Situation, dass wir uns berührten. Vom Kaffeeduft angelockt kam meine Schwester in die Küche und machte es sich zu meinem Entsetzen auf dem Küchenstuhl bequem. Amüsiert beobachtete sie uns und brach ab und an in ein Kichern aus. Meine Laune verschlechterte sich von Minute zu Minute.

„Lass uns in Dein Zimmer gehen“, wandte sich mein Nachhilfelehrer dann an mich und das in Deutsch. Verwundert sah ich ihn an und meine Schwester zog einen Flunsch.

„Och, Ruwen, das war doch so lustig“, quengelte sie.

„Wir sind nicht zu Deiner Belustigung hier“, antwortete er höflich, aber ich hörte eine gewisse Verärgerung heraus. Auf jeden Fall schnappte sich jeder seine Tasse und wir gingen in mein Zimmer. Dort blieb er an der Türe stehen und ich fläzte mich auf mein Bett.

„Übrigens, mein Name ist Ruwen“, begann er wieder unser Gespräch, diesmal in Französisch. Erstaunt sah ich ihn an und wusste keine passende Antwort, jedenfalls keine in dieser bescheuerten Sprache.

„Na ja, ich habe bemerkt, dass Du um meinen Namen immer einen großen Bogen machst, Alessio“, murmelte er jetzt ziemlich leise und sogar auf Deutsch.

„Sorry, aber es ergab sich noch nicht“, antwortete ich ziemlich ausweichend, und in meinen Ohren hörte es sich total flach an. Zum Glück ging er nicht näher darauf ein, aber wir hatten nun ein neues Feld für die Erprobung meiner Fremdsprachenkenntnisse aufgetan. Ich musste alles über meine Familie und Vergangenheit berichten. Wenn es hier nicht um Nachhilfe gehen würde, hätte ich den argen Verdacht, dass er mich intensiv aushorchte. Da ich aber auch langsam neugierig wurde, versuchte ich den Spieß umzudrehen. Leider biss ich auf Granit. Außer, dass seine Familie zur Zeit in Hamburg und er nur wegen des Studiums hierher gekommen war, bekam ich nichts heraus – nicht einmal, warum er die beiden Sprachen so perfekt beherrschte. Sein Gesicht wurde abweisend und mir war, als wurde das Glitzern seiner Augen in eine unendliche Traurigkeit übergehen.

„Okay, das reicht für heute“, beendete er dann die Fremdsprachenfolter.

„Thanks“, grinste ich ihn frech an und er errötete doch. Oh man, wie er da schüchtern an der Tür stand, in einer lässigen Haltung, und eine blonde Locke hing vor seinem rechten Auge – das machte mich mehr an als alle Mädels, die ich bisher im Bett hatte. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Hammerschlag und ich reagierte prompt.

„Dann wird der Spuk ja hier bald zu Ende sein“, knurrte ich abweisend. Seine Wandlung geschah genauso schlagartig. Aus seinem Glitzern wurde wieder diese arrogante Herablassung, die mich noch mehr auf die Palme brachte.

„CU“, kam es ziemlich eisig von der Tür, und schon war er verschwunden. Als er weg war, ärgerte ich mich über mich selbst. Der Nachmittag war verdammt kurzweilig gewesen und das erste Mal seit Langem empfand ich die Sprachen nicht als Qual.

„Und wie war's?“, hörte ich Fio und schrak aus meinen Gedanken.

„Hm“, murmelte ich, war jedoch mit meinen Überlegungen ganz woanders.

„Alessio?“, quengelte sie von der Tür.

„Bin noch mal weg“, antwortete ich und drängelte mich an ihr vorbei. Sekunden später befand ich mich auf der Straße, und die kalte Luft blies mir ein wenig den Kopf frei. Ich musste herausbekommen, was mit mir los war. Warum fand ich diesen jungen Mann anziehend? Der erste Versuch mit einem Buchladen war nach hinten losgegangen. Dieses Mal wollte ich das Internet nutzen und befand mich auf den Weg in ein Internetcafé. Vor allem achtete ich heute darauf, dass es keine unliebsamen Überraschungen gab.

Oh je, was für ein Thema hatte ich da ausgegraben? Sehr Vieles stieß mich einfach nur ab – einfach zu viel Mist kursierte da im Netz. Ich fand aber auch ein paar Seiten, die sich ernsthaft mit dem Problem auseinander setzten.

Nach über zwei Stunden war ich nicht sehr viel schlauer. Für mich hatte ich herausgelesen, dass es bei einigen Jugendlichen immer eine homophile Phase gab, die sich dann aber wieder legte.

‚Je früher desto besser‘, murmelte ich vor mir hin, nur…

…warum fand ich die halbnackten Typen auf den diversen Seiten, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Blondy hatten, so anregend, dass es mir in der Hose mächtig eng wurde?

Und warum sprach mich eigentlich nur er an?

Den Abend verbrachte ich in meinen Zimmer und hing meinen Gedanken nach. Mein Selbstexperiment dann kurz vor dem Schlafengehen brachte mir einen heftigen Abgang nur bei der Vorstellung, Blondy mal nackt zu sehen. Zum Glück war ich zu müde und erschöpft, um weiter darüber nachzudenken.

Die nächsten drei Wochen vergingen wie im Fluge, und ruck zuck hatten wir Anfang Dezember. Draußen war es kalt und nass. Ich hasste Kälte in dieser Form, mit Schnee in Verbindung auf einer weißen Piste in den Bergen machte sie mir dagegen nichts aus. Aber ich hatte zurzeit ganz andere Probleme zu wälzen und trug etwas mit mir herum, was mich immer nervöser machte.

Ich kämpfte mit meinen inneren Dämonen und ich stand kurz davor, haushoch zu verlieren.

Seit drei Wochen hatte ich keine Frau mehr gehabt. Nicht, dass sie mir nicht nachliefen, nein – ich hatte einfach kein Interesse mehr. Stattdessen verfiel ich Blondy immer mehr und sehnte die Stunden mit ihm regelrecht herbei. Und ich fing an, ihn körperlich zu begehren. Eigentlich hatte sich nichts verändert. Beim Judo gingen wir uns aus dem Weg, aber ich bekam sehr wohl mit, dass er mich beobachtete – und warum bekam ich das mit? Weil ich ihm ebenso nachschaute, wenn ich glaubte, er würde es nicht sehen. Bei mir zu Hause hatten wir immer einen Sicherheitsabstand, der aber hauptsächlich durch ihn begründet wurde.

Und wie verkraftete ich das Ganze?? Das war einfach zu sagen – gar nicht! Ich strafte ihn mit Gereiztheit und Aggressivität. Immer wenn mich die Gier nach ihm, anders konnte ich es nicht ausdrücken, übermannte, war ich total von der Rolle und giftete ihn an. Und jedes Mal strafte er mich mit Arroganz und seiner unergründlichen Lässigkeit, die mich dann noch mehr köcheln ließ.

Was wollte ich eigentlich?

Genau diese Frage bekam ich nicht geklärt. Mein Körper sagte das Eine und mein Kopf was ganz anderes. Vielleicht…

…ne, das denkst Du nun nicht wirklich!!! Und trotzdem setzte sich der Gedanke in meinem Hirn fest. Es kam…

…NEIN!

Und dann traf es mich wie ein Blitz.

Wer sagte denn, dass er schwul war????

Ich durchdachte hier irgendwelche kruden Pläne und hatte gar keinen blassen Schimmer, wie mein zukünftiger „Partner“ reagieren würde. Bevor es mir richtig bewusst wurde, war ich in irgendwelchen Verführungsplänen. Ich hatte den abwegigen Gedanken einfach akzeptiert, welchen?

Einfach den – es mal mit einem Kerl in Sachen Sex zu versuchen. Ich musste einfach herausfinden, was mich da so erregte und da das ja nur einer schaffte, musste halt Blondy herhalten.

‚Und wenn er nicht auf Dich abfährt?‘, meckerte eine kleine höhnische Stimme in meinem Kopf. Ein kleines fieses Grinsen stahl sich in mein Gesicht.

‚Das werden wir ja sehen!‘, unterdrückte ich die aufmüpfige Stimme in meinem Schädel und entschied mich zu einer kleinen Kurskorrektur im Verhalten Blondy gegenüber.

Ruwen

Oh man, die letzten Wochen waren einerseits herrlich und anderseits der Horror. Alessio entpuppte sich immer mehr als Traumboy, vor allem, wenn er sein Arschlochverhalten ablegte. Das freche Grinsen gab ihm eine Art Verwegenheit und seine Augen waren einfach…

…seufz.

Anderseits legte er ab einer gewissen Stelle den Schalter um, und war einfach nur unausstehlich. Ein kleiner arroganter Giftzwerg – nur waren diese Phasen für mich einfacher zu ertragen, denn ich konnte damit besser umgehen. Ich weiß nicht, was alles schon passiert wäre, wenn er diesen Schalter nicht umgelegt hätte. Das war doch alles einfach zu widersprüchlich. Nur was sollte ich machen??

Am Besten, ich blieb in meinem Traum gefangen, schmachtete ihm heimlich hinterher und strafte sein bescheuertes Verhalten mit Arroganz. Nur eine klitzekleine Änderung in unserem Verhältnis musste in einer Katastrophe enden und das wollte ich nicht. Einfach still die Stunden mit ihm genießen!

Seufzend klingelte ich bei Richters und die Tür wurde mir Sekunden später vor der Nase aufgerissen.

„Ach Sie sind es“, hörte ich seine Mutter missmutig sagen. Sie hatte von Anfang an eine Abwehrhaltung mir gegenüber eingenommen, und ich wusste nicht warum. Vielleicht merkten Mütter ja, wenn man ihren Söhnen an die Wäsche wollte. Mühsam musste ich mir ein Kichern verkneifen, als mir dieser Gedanke durch den Kopf schoss.

„Sie finden ja den Weg“, brummte sie, und ohne eine Begrüßung verschwand sie in der Küche. Hier schien der Weg zum Sohn nicht über die Mutter zu führen. Nachdem ich mich meiner Schuhe und Jacke entledigt hatte, klopfte ich an Alessios Tür.

„Komm rein“, hörte ich es leise durch die Tür. Auf Grund der Aufforderung betrat ich sein Zimmer und merkte unterschwellig, dass sich irgend etwas verändert hatte – nur was? Alessio hatte in den letzten Wochen seine Hemmungen beim Sprechen abgelegt und begrüßte mich auf Französisch. Als er den Satz fehlerfrei heraus hatte, grinste er mich frech an und seine Augen glitzerten so komisch. Irgend etwas war hier faul. Während unserer Nachhilfestunden hatte ich schnell mitbekommen, dass er ein sehr intelligentes Bürschchen war, nur leider stinkend faul. Die Fremdsprachen bereiteten ihm nur Probleme, weil er keine Vokabeln lernte, aber aus dem Wenigen, was er wusste, machte er recht clever eine ganze Menge.

Ich hatte ihn über die drei Wochen sehr gekonnt ausgehorcht und wusste fast alles über meinen Alessio. Dass er Mamas Schatz war, die selbst Halbitalienerin war. Über seinen Vater, der eigentlich sein Stiefvater war, aber dass er seinen richtigen Vater nie kennen gelernt hatte. Akzeptieren tat er ihn trotzdem nicht als Vater und begehrte ziemlich häufig gegen ihn auf. Und seiner Schwester erfüllte er fast jeden Wunsch, denn sie beherrschte ihn mühelos. Sie war auch die Einzige in der Familie, die ihn zu Sachen ‚zwingen‘ konnte, die er eigentlich gar nicht machen wollte. An und für sich eine normale Familie mit ihren ganz eigenen Macken. Aber auch Alessio zeigte ein paar Verhörqualitäten und versuchte mich auszuhorchen. Außer meinem Grandpa gab ich nichts preis, dazu wäre ich auch gar nicht in der Lage gewesen, und blockte jeden weiteren Versuch kompromisslos ab. Trotz Allem ging uns der Gesprächsstoff nie aus, ob über Judo, allgemeine Sportveranstaltungen, Musik – in vielen Sachen stimmten wir einfach überein. Ein paar Mal war ich versucht, ein bestimmtes Thema vorsichtig anzupacken, aber meine innere Stimme warnte mich. Somit sprachen wir nie über unser Treffen in München.

Obwohl wir ganz normal begannen und er von seinen Erfolgen in der Schule berichtete, war heute irgendetwas anders. Er schien lockerer als sonst drauf zu sein, lächelte ziemlich oft frech und seine Augen waren der Hammer. Ich musste mich arg konzentrieren und mich öfter mal innerlich zur Ruhe rufen. Meine Gefühle waren in heller Aufruhr und ich erwischte mich immer öfter, dass ich ihn offen anschmachtete.

„Ruwen, solche Fehler lässt Du ihm durchgehen?“, riss mich Fiorina aus meiner Gedankenwelt. Verwirrt sah ich sie an, denn ich war wirklich nicht bei der Sache gewesen. In letzter Zeit nahm sie ab und zu an unseren Stunden teil, weil sie auch ihre Kenntnisse auffrischen wollte. Für mich war ihre Anwesenheit manchmal der letzte Rettungsanker, bevor ich Alessio endgültig verfiel.

„Ähm?“

„Fio, lass mal Blondy zufrieden, der hat gerade so schön geträumt“, grinste er verdammt spitzbübisch in die Runde.

‚Wie hat er mich eben genannt???‘ Mit offenem Mund starrte ich ihn an und mir wurde ganz anders.

„Blondyyyyy?“, hakte seine Schwester dann auch noch einmal nach.

„Na ja, Blacky passt bei der Haarfarbe ja nicht“, antwortete er, und sein Grinsen wurde noch frecher. Ich war sprachlos. Fiorina ließ den Blick vom Einen zum Anderen wandern und schüttelte nur amüsiert den Kopf.

Hier lief gerade mächtig was falsch und ich bekam nicht auf die Reihe, was es war!

So alberte Alessio noch eine Weile herum und ich wehrte mich nicht wirklich. Früher als beabsichtigt verabschiedete ich mich dann und verließ fast fluchtartig ihre Wohnung. Auf den Weg nach Hause zermarterte ich mir den Kopf, was da eben los war. Und dann durchzuckte mich der Geistesblitz!

Er war heute nicht einmal in seine Arschlochnummer verfallen und er…

…nein, das konnte nicht sein – das DURFTE nicht sein, jedoch…

…er hatte mit mir geflirtet!

Mein Traum hatte mich gerade angemacht, zwar verdammt vorsichtig und verdeckt, aber jetzt war es nicht mehr zu übersehen. Mir wurde heiß wie kalt und mein Magen spielte verrückt. Wenn er das so weiter trieb, musste es über kurz oder lang zum Knall kommen.

‚Und wo würde der Knall enden??‘

Nein, bitte nicht – lass mich einfach weiterträumen, denn aus dem Knall konnten nur wieder Schmerzen entstehen. Leider ging die kleine Euphorie, die sich in meinen Kopf gebildet hatte, übergangslos in Bilder über – Bilder, die ich hasste und liebte. Ich würde nie vergessen können…


Seit gestern hatte ich mir den Kopf zerbrochen, wie ich mit dem „neuen“ Alessio umgehen sollte – und natürlich keine befriedigende Lösung gefunden.

Es gab nur eine Lösung, aber die kam überhaupt nicht in Frage!

Mit diesen konfusen Überlegungen betrat ich das Dojo und begab mich flugs zur Umkleidekabine. Ich war heute ziemlich spät dran und Tobias musste natürlich sofort darauf herumreiten. Okay, dann nahm ich den Frechdachs halt mal in den Schwitzkasten, aber der Kleine hatte die letzten Wochen echt was gelernt und hätte mich fast auf die Bretter geschickt. Im Hinausgehen warf er mir noch zu:

„Ach übrigens sollst Du mal zu Matze ins Büro kommen.“

‚Huch, was wollte denn der Trainer von mir?‘

Somit beeilte ich mich ein wenig und ein paar Minuten später betrat ich das kleine Zimmer. Hier fand ich neben Mathias auch noch meinen Schwarm vor, nur machte dieser nicht gerade ein glückliches Gesicht.

„Socke, zieh nicht so eine griesgrämige Miene“, versuchte Mathias ihn aufzumuntern.

„Du hast gut reden, in ein paar Wochen ist die Prüfung“, grummelte er resigniert.

„Was ist denn los?“, warf ich vorsichtig ein.

„Schau Dir doch den Tollpatsch an“, knurrte Alessio angefressen.

„Hä?“

Matze lächelte leicht, hob kurz sein Bein über den Tisch und ich konnte einen Gehgips erkennen.

„Aua“, entfuhr es mir. Mathias schaute ziemlich verlegen aus der Wäsche.

„Kannst Du Dir vorstellen, DAS DA ist beim Aufstehen heute Morgen passiert. Er beherrscht nicht mal die einfachste Fallschule“, kam es gehässig von Alessio.

„Socke“, knurrte Mathias verärgert.

„Mein Sohn war der Meinung, dass er seine Matchboxautos vor unserem Bett parken muss, und ich bin erst draufgetreten, dann ausgerutscht und verdammt bescheuert gefallen. Herausgekommen ist ein Knöchelbruch, zum Glück nichts Kompliziertes, aber er setzt mich für die nächsten Wochen außer Gefecht“, erklärte er mir.

„Bestell Ronny einen lieben Gruß von mir, das Weihnachtsgeschenk ist gestrichen“, grummelte Alessio weiter vor sich hin.

„Der fand das sehr lustig“, brummte Mathias, musste sich aber ein kleines Lächeln verkneifen.

„ICH find das aber nicht witzig!“, brach es aus meinem Schwarm heraus.

„Nun komm mal wieder auf den Teppich, die Lösung Deines Problems ist doch gerade durch die Tür hereinmarschiert“, wies ihn Matze zurecht.

„Waaaaas?“, entfuhr es Alessio und er schaute irritiert zur Tür. Die war zu. Sein Blick wanderte zu Mathias und der schaute mich spitzbübisch an.

„Wieeeee???“, keuchte ich jetzt auf.

„Die ideale Lösung!“, sagte Mathias sehr selbstzufrieden.

„Oh“, kam es von Alessio.

Und ein kategorisches „Nein“ brachte ich zwar etwas stotternd, aber doch laut genug heraus.

„Ruwen, Du standest vor den Prüfungen zum 3. Dan und bist der einzige Schwarzgurt noch hier in dem Verein“, versuchte Mathias auf mich einzureden. Alessio riss verwundert die Augen auf, denn, wie schon angedeutet, über mich wusste er fast gar nichts.

Das durfte doch nicht wahr sein. Zuerst musste ich mit dem veränderten Verhalten meines Nachhilfeschülers mit meinereinem klarkommen und nun wollte der Trainer, dass ich INTENSIV mit diesem Kerl da trainiere. Das würde ich nicht durchstehen!

„Matze, das ist Jahre her und aus einer…“, fing ich an und musste bei dem zweiten Teil arg schlucken – „längst vergessenen Zeit.“

„Papperlapapp, es wird Dir gut tun, wenn Du mal wieder etwas gefordert wirst, und Du kannst doch unsere Socke hier nicht im Stich lassen?“, kommandierte er herum. Alessio hatte gar nichts mehr gesagt, stattdessen hatte ein kleines Lächeln sein Gesicht erobert und seine Augen fingen wieder so an zu glitzern. Damit war mir klar, das er seinen Flirt nun wohl auf der Matte im engen Körperkontakt fortführen wollte und das durfte ich unter keinen Umständen zulassen.

„Zieh Dich warm an“, zischte ich Alessio zu und mein vorlautes Mundwerk hatte eine verhängnisvolle Entscheidung gefällt. Meinem Schwarm fiel auf Grund meines Tones der Unterkiefer fast ins Bodenlose und Matze grinste selbstzufrieden vor sich hin. Wütend, aber eher mit mir als auf die anderen Beiden, stiefelte ich aus dem Büro und schloss die Tür mit einem lauten Knall.

‚Scheiße, scheiße, was hatte ich da nur angerichtet. Das konnte nur in einer Katastrophe enden! Und vor allen wie ging ich die Sache an?‘, zerbrach ich mir den Kopf. Hinter mir wurde die Tür wieder geöffnet und ein Blick über meine Schulter zeigte mir, das Beide die Halle betraten. Und dann kam mir eine Idee!

Ich würde jetzt mal das Arschloch spielen! Vielleicht konnte ich dann ja so eine Art Schutzbarriere um mich errichten. Ganz wohl war mir bei dem Gedanken nicht, aber es war die einzige Lösung, die mir gerade einfiel. Mathias teilte uns mit, dass wir Beide erst einmal ein paar Übungskämpfe machen sollten, damit wir uns besser kennen lernten. Tja, genau das wollte ich ja nicht – wenn ich diesen Boy noch besser kannte, war ich ihm rettungslos verfallen.

‚Bist Du es nicht jetzt schon?‘, kicherte eine Stimme hysterisch in meinem Kopf. Und dann stand er mir gegenüber, ein leichtes Lächeln zierte seine vollen Lippen und die Augen sogen jede Kleinigkeit auf. Hilfe, gleich würden wir uns wieder berühren und dann…

Ich wappnete mich gegen meine Empfindungen und setze auch äußerlich eine grimmige Miene auf. Er dachte wohl, dass er ein leichtes Spiel mit mir hatte, denn sein Lächeln war schon verdammt selbstsicher – hatte er vergessen, was bei unserem letzten Kampf passiert war? Mathias eröffnete den Kampf und wir verbeugten uns der Regel entsprechend. Leider bekamen die Anderen das mit und bildeten einen Kreis um uns – sie waren gespannt, wie das diesmal enden würde. Ob ihr Idol die Oberhand behielt oder der Neue wieder verrückt spielte. All das und noch viel mehr Mist schoss mir durch den Kopf und mir gelang es, Alessio nur als Gegner zu sehen. Das Resultat konnte sich sehen lassen – mit einem Opferwurf über den Kopf machte ich kurzen Prozess mit seinem Grinsen. Als ich wieder auf den Beinen war, schaute er mich verblüfft an.

‚Ja mein Süßer, das hast Du Dir wohl anders vorgestellt‘, ließ ich in meinem Kopf höhnisch meine Stimme erklingen. Ich puschte mich noch ein wenig weiter auf, damit ich ja nicht seinem Charme verfiel. Beim nächsten Wurf hatte ich dann schon mehr Probleme, diesen zum Erfolg zu führen, aber schlussendlich lag er wieder auf der Matte. Der Kampf wurde in der Folge echt hart, denn Alessio war sehr gut und ich verdammt eingerostet. Seine Schwäche, wenn man es überhaupt so nennen konnte, waren die Würfe, aber vor dem Bodenkampf mit ihm musste ich mich hüten. Leider schwanden mir zusehends die Kräfte, denn ich war nicht nur eingerostet, sondern auch eine Lusche geworden. Ruckzuck lag ich auf der Matte und Alessio mit einem kleinen triumphierenden Grinsen auf mir. Ich musste alle erlaubten und unerlaubten Tricks anwenden, um mich seiner diversen Hebel- und Würgetechniken zu erwehren. Zum Glück hatte Mathias ein Einsehen und beendete den Kampf. Die Trainingsgruppe um uns klatschte begeistert, aber meine Beine waren echt wabbelig, so sehr hatte mich das Ganze angestrengt.

„Hey Alder, Du bist wirklich gut, nur etwas schwach auf der Brust“, grinste mich Alessio spöttisch an. Dieses Machogehabe war mir viel lieber, als dieser komische glitzernde Blick. Den Rest der Trainingseinheit verbrachten wir mit lockeren Wurf- und Fallübungen, die mehr dafür gedacht waren, dass wir gegenseitig unsere Eigenheiten kennen lernten. Zum Glück blieb er bei seinem überheblichen Auftreten – woher er das nahm, war mir jedoch ein Rätsel. Selten war ich nach einem Training so geschafft wie heute und flüchtete nach der Verabschiedung in die Umkleidekabine. Ich wollte nur noch nach Hause in die heiße Wanne und trocknete mir recht lässig die Haare ab. Schnell die Jacke übergeworfen und ab nach Hause. Doch an der Umkleidekabinentür prallte ich mit einem halbnackten Alessio zusammen. Nur mit einem Handtuch um die Hüfte und Badelatschen bekleidet, lächelte er mich an.

„Nicht duschen?“, fragte er verwundert. Und ich sabberte ihn an. Dieser Oberkörper war ein Traum, schlank, unbehaart und durchtrainiert. All meine Beherrschung zerbröselte bei diesem Anblick wie ein von Termiten zerfressener Baumstamm. In meiner Hose reagierte prompt etwas und das harte Stück Fleisch holte mich in die Gegenwart zurück.

„CU, muss los“, stammelte ich noch und stürzte an ihm vorbei. Das konnte doch alles nicht wahr sein, allein sein Anblick hatte fast gereicht, mir einen Abgang zu bescheren. Da hatte mir mein Traum eben indirekt angeboten, mit ihm zu duschen, ihn ganz nackt zu sehen – und ich flüchtete. Aber ein gemeinsames Duschen, egal in welcher Form, kam nicht in Betracht – niemals! Es gab Sachen, die gehörten nur mir – die gehörten zu mir, wie diese Dämonen meiner Vergangenheit.

Alessio

Oh man, der Kampf vorhin auf der Matte mit Blondy war der Hammer. Der Kerl hatte echt was drauf und hatte die Sache ganz klar für sich entschieden. Zum Schluss ging ihm die Puste aus und ich bekam langsam die Oberhand. Er schreckte sogar vor ein paar dreckigen Tricks nicht zurück. Ich hätte im Bodenkampf gerne noch etwas ausprobiert, aber Matze beendete dann den Kampf. Zuerst fand ich seinen Vorschlag ja abartig, dass ich meine Kata für die Meisterprüfung mit Blondy durchführen sollte. Jedoch Mathias fiel definitiv aus und während des Kampfes gefiel mir die Idee immer besser. Ich würde noch mehr Zeit mit ihm verbringen und mehr Gelegenheiten haben, ihn zu verführen.

Nachdem ich diesen Entschluss vor ein paar Tagen gefällt hatte, war ich von dieser Idee wie besessen. Ich sah ihn als mein nächstes Jagdopfer, eine besondere Herausforderung, und dass es ein Kerl war, störte mich nicht mehr so. Was danach passieren sollte, darüber zerbrach ich mir nun gar nicht den Kopf. Der Flirt gestern bei der Nachhilfe hatte mir sogar sehr großen Spaß gemacht, denn ich hatte keine Ahnung, wie man einen Boy anmacht. Und nun noch die Chance, ihn ständig beim Training zu berühren. Bei dem Gedanken allein startete mein bestes Stück sofort durch.

Nach dem Training beeilte ich mich, denn mir war spontan die Idee gekommen, dass ich ihn ja ohne besondere Aktivitäten meinerseits nackt sehen könnte. Ein Blick auf seinen unbekleideten Körper hatte einen starken Reiz auf mich, und das gemeinsame Duschen bot dazu die ideale Gelegenheit. Als ich dann in die Umkleide einbog, prallte Blondy auf mich drauf und sah verdammt verwirrt aus. Sein Haar war feucht, aber er hatte die Sportklamotten noch an. Sein Blick irrte über meinen Körper und der Kerl lief leicht rosa an.

„Nicht duschen?“, fragte ich ihn dann enttäuscht, denn so schnell konnte er nicht gewesen sein.

„CU, muss los“, war seine verdammt kurzsilbige Antwort und fast panisch verschwand er. Ich holte dann noch ein paar Informationen ein und erfuhr, dass ihn noch nie einer hat duschen sehen.

‚Oh man, wie unhygienisch‘, kräuselte ich leicht angewidert meine Stirn. Jedoch nutze ich die Gelegenheit zu einem Selbstversuch und musste feststellen, dass mich kein anderer Kerl aus der Trainingsgruppe auch nur annähernd sexuell anmachte. Das verwirrte mich nun wieder – warum fuhr ich nur auf Blondy ab??

Da, nur ein Gedanke an ihn, und das Kribbeln war sofort wieder da sowie viele andere unanständige Gedanken.

„Na, Socke, zufrieden?“, hörte ich hinter mir Matze süffisant fragen.

„He?“

„Ich meine mit dem Partner, den ich Dir ausgesucht hatte?“, bohrte er weiter.

„Geht so“, knurrte ich abweisend.

„Was hast Du gegen Ruwen?“, fragte er mich dann auf den Kopf zu. Verwundert riss ich die Augen auf und sah ihn verblüfft an.

„Du bist sonst sehr hilfsbereit, okay auch ansonsten ziemlich selbstsicher, aber das auch zu Recht, aber bei dem Typen scheint es, als wäre er das sprichwörtliche rote Tuch für Dich“, schob Mathias eine Erklärung hinterher. Mit ihm konnte ich eigentlich über alles reden und er hatte mir auch schon oft den Kopf gewaschen wegen meines ausschweifenden Sexlebens, aber das…

…konnte ich ihm auf keinen Fall sagen! Verzweifelt suchte ich nach einer Erklärung.

„Kann es sein, dass Ruwen Dich nervös macht?“, fragte Matze leise und vorsichtig. Diesmal fuhr mir der Schreck aber kräftig in die Glieder.

„Quatsch“, zischte ich sofort angepisst, jedoch Mathias musterte mich lächelnd.

„Dann erklär es mir“, gab er nicht auf.

„Ich weiß auch nicht, er macht mich irgendwie aggressiv“, versuchte ich es mit Halbwahrheiten. Zweifelnd sah Mathias mich an.

„Nein, das ist es nicht“, schmetterte er meine Erklärung ab. Als ich wieder aufbrausen wollte, winkte er nur ab.

„Das war es vielleicht am Anfang, aber jetzt hat sich Dein Auftreten gewandelt und ich weiß nicht recht, ob mir das gefällt.“

„Wenn Du mir nicht glaubst, dann ist das nicht mein Problem“, murrte ich verärgert, war aber vielmehr darauf bedacht, dass mir nicht doch noch etwas herausrutschte.

„Sei froh, dass ich hier herumhumple, sonst würde ich Dir die Hammelbeine lang ziehen“, konterte er meinem Ausbruch. Nervös machte mich jedoch nach wie vor seine intensive Musterung. Eigentlich vermochte Matze in mir wie in einem offenen Buch zu lesen, aber diesmal konnte er sich wohl keinen Reim machen.

„Alte Männer verspeise ich zum Frühstück“, grinste ich ihn an und versuchte die Stimmung wieder etwas zu lockern. Mathias war gefährlich nahe an die Wahrheit gekommen, viel zu nah.

„Schwirr bloß ab“, knurrte er. Dieser liebevollen Aufforderung konnte ich nun wirklich nicht widerstehen.

Die nächsten drei Wochen intensivierte ich meine Flirtversuche bei Blondy. Und die Bezeichnung „Versuche“ war richtig, denn ich wusste wirklich nicht, wie man einen Kerl anmacht. Ich hatte eher das Gefühl, dass die Anmache reflektiert wurde und mich mit voller Wucht traf, denn ein paar Mal stand ich kurz davor, einfach über ihn herzufallen. Anderseits hatte er es verdammt gut drauf, mich immer wieder zu reizen und ich mutierte zum Arschloch. Zwei Sachen hatten sich aber kaum geändert. Bei der Nachhilfe vermied er jeglichen Körperkontakt und hielt immer einen Sicherheitsabstand. Und bei unseren Übungskämpfen gewann er zum größten Teil, er wurde immer besser, und meiner Stärke, den Bodenkämpfen, wich er sehr geschickt aus. Und waren wir dann doch mal zu Boden gegangen und ich spürte seinen schlanken Körper auf oder unter mir, dann startete mein bestes Stück durch.

Ding, dong – meldete sich unsere Türklingel. Das musste er sein. Da ich heute alleine war, machte ich ihm die Tür auf.

„Hey Blondy“, grinste ich ihn frech an. Erst wollte er wieder gegen den von mir verpassten Spitznamen aufbegehren, aber dann stahl sich dieser bestimmte Blick in seine Augen und er schwieg.

„Und was machen wir heute?“, fragte ich auf Französisch.

„Na ja, ich hätte da so eine Idee“, druckste er herum und lief sogar rosa an.

‚Na, dann komm mit mir ins Bett‘, spukte es in meinem Kopf herum.

„Na, dann komm…“, übernahm meine vorlaute Zunge diesen vorgedachten Satz und wollte ihn wirklich aussprechen. Verzweifelt biss ich mir auf die Zunge und konnte den letzten „unwichtigen“ Teil gerade so noch verschlucken.

„Jaaaa?“

„In mein Zimmer“, murmelte ich erleichtert, da ich gerade noch die Kurve bekommen hatte. Trotz Allem war ich bei seinem Anblick sofort geil geworden und hätte ihn auf der Stelle vernaschen können. Seit Wochen hatte ich keinen Sex gehabt – die eigene Hand konnte man ja nun nicht als Sex bezeichnen. Ich hatte es ein oder zweimal mit Girls aus der Disse versucht, aber es ging einfach nicht – erst als ich mir Blondy nackt vorgestellt hatte, ging ich ab wie eine Rakete. Da waren wir beim nächsten Problem. Ich musste mir mein Opfer immer noch nackt vorstellen, denn trotz der vielen Trainingseinheiten mit ihm zusammen, mied er die Gemeinschaftsduschen wie die Pest. Als ich ihn mal auf den Kopf fragte, wich er mir aus und brabbelte dann etwas von Badewanne. Anderseits, die letzten paar Male mit ihm zusammen unter der Dusche, und es wäre zu einer Katastrophe gekommen. Wenn mir schon beim Vorstellen seiner Nacktheit einer abging, was würde erst passieren, wenn ich ihn wirklich so sah? Und dem kleinen Kobold, der immer öfter in meinem Kopf lästerte:

‚Alessio ist schwul, Alessio ist…‘,

antwortete ich: „Wollen doch erst mal schauen, wie weit mir das dann wirklich Spaß macht.“ Viel Anderes hatte ich nicht dagegenzusetzen. Als ich mein Zimmer erreicht hatte, schaute ich mich verwundert um, denn mein Nachhilfelehrer war mir nicht gefolgt und stand immer noch komplett eingemümmelt an der Tür.

„Ich würde gern heute mal ein neues Thema in die Runde werfen, damit sich Dein Wortschatz erweitert“, druckste er herum.

„Nu rück schon raus“, brummte ich.

„Weihnachtsmarkt“, murmelte er fast unhörbar und seine Hautfarbe glich der einer Rothaut.

„Klar, ich werf mir nur kurz was über“, stimmte ich ihm zu und amüsierte mich über seine Verlegenheit. Beim Umziehen grübelte ich dann doch herum, warum ihm dieser Vorschlag solch Unbehagen bereitete, außer…

‚Moment mal‘, durchfuhr es mich. Zwei Kerle zusammen auf den Weihnachtsmarkt, an und für sich nichts Besonders, außer der Eine wird bei dem Vorschlag rot und das konnte ja nur sein, wenn dahinter mehr steckte…

…Stand Blondy etwa auch ein wenig auf Kerle??? Nur passte das nicht zu der innigen Verabschiedung von dem Mädel in München.

Eine Stunde später verfluchte ich meine Zusage zum Weihnachtsmarkt. Der war ja schlimmer als eine Frau, blieb an jedem Stand stehen und musste schauen, was es da so gab. Natürlich verband er das mit intensivem Unterricht. Mir taten vom langsamen Umherlatschen und immer wieder Stehenbleiben die Füße weh. Zum Glück schien er dem Glühwein nicht abgeneigt, denn es war jämmerlich kalt geworden, und der wärmte schön von innen. Hatte er nicht mal verlauten lassen, dass er Alkohol nicht mochte? Nun kippte er schon den dritten Glühwein hinter die Binde.

Irgendwann hatte er dann ein Erbarmen mit mir und wir verließen den Weihnachtsmarkt. Eigentlich waren wir mit der Nachhilfe für heute durch, jedoch begleitete er mich nach Hause. Er torkelte zwar nicht, aber schien doch einen Kleinen im Tee zu haben. Als wir Minuten später in meinem Zimmer waren und er in unmittelbarer Nähe zu mir auf meinem Bett saß, war mir klar, heute oder gar nicht.

‚Sollte ich wirklich seinen alkoholisierten Zustand ausnutzen?‘, kamen mir Bedenken. Scheiße, was war denn jetzt mit mir los? Bei Frauen hatte ich doch diese Hemmungen bisher nicht, und außerdem war er ja nicht willenlos, sondern nur leicht angeheitert. Wenn ich ihn mir so anschaute, wurde es jedoch schon wieder verdammt eng in meiner Hose – und ich musste einfach wissen, wie der Sex mit Kerlen war.

‚Ja Alessio, nur darum geht es!‘, rief ich mich innerlich zurecht. Blondy saß da nur einen Meter von mir entfernt, die Lippen leicht geöffnet und seine herrlichen blauen Augen waren auf meine Finger gerichtet. Fasziniert beobachtete er diese. Wenn ich über etwas nachdachte, brauchten meine Hände immer was zu tun und so hatte ich unbewusst nach einer Walnuss geangelt. Diese wanderte durch meine Finger, fast konnte man es kleine Kunststückchen nennen. Da kam mir eine wirklich aberwitzige Idee.

„Wettest Du eigentlich?“, fragte ich ihn leicht lauernd.

„Ne, das ist mir zu glücksabhängig“, antwortete er.

„Och komm“, bettelte ich und sein Blick löste sich von meinen Fingern. Sekunden später sah ich in strahlend blaue Augen. Dieses Glitzern kehrte in sie zurück und seine Lippen umspielte ein geheimnisvolles Lächeln. Oh man, war der Kerl heiß!

„Tja, Alessio, wo das wohl hinführt?“, meinte er kryptisch.

„Und?“, hakte ich noch einmal nach.

„Okay.“

„Alsooooo…, ich knack Dir diese Walnuss mit nur einer Hand“, bot ich großkotzig meine Wette an. Ruwen sah mich verdutzt an und kicherte leise.

„So was Blödes“, hörte ich ihn leise in Englisch murmeln.

„Ah, der Herr glaubt mir nicht?“, fragte ich lauernd.

„Na ja, ich hatte da an etwas Fantasievolleres gedacht“, entgegnete er mir spitzbübisch.

‚Oh Blondy, Du wirst gleich sehen, wie viel Fantasie ich so hab‘, grinste ich in mich hinein.

„Also nimmst die Wette an?“, ließ ich nicht locker.

„Hm, okay. Aber ich hab einen klitzekleinen Einwand“, kam sein Einverständnis mit einem leicht spöttischen Einschlag.

„Ja?“

„Mach es bitte mit der linken Hand“, grinste er mich herausfordernd an. Schau an, der Kerl hatte es faustdick hinter seinen Löffeln, jedoch wusste er ja nicht, dass ich beide Hände immer gleichstark trainierte. Beim Judo ist es oft entscheidend, dass die Finger kraftvoll zufassen können – was er nun wiederum wissen musste.

„In Ordnung“, stimmte ich zögernd zu, als wäre ich mir meines Erfolges nicht mehr so sicher. Meine Taktik schien aufzugehen.

„Und der Einsatz?“, hörte ich ihn siegessicher.

„Denk Dir was aus.“

„Keine Ahnung“, kam es von Blondy. Und somit ließ ich meinen Versuchsballon steigen.

„Das entscheiden wir danach“, schlug ich ihm vor. Seine Augen bohrten sich in meine und ich hoffte, dass man da nichts erkennen konnte. Ruwen nickte leicht zu seinem Einverständnis.

Ich nahm die Walnuss in meine linke Hand und drückte ein wenig an ihr rum, natürlich ohne Ergebnis. Sein kleines Lächeln wurde breiter. Okay, dann wollten wir mal den Spieß umdrehen. Ich nahm mir eine zweite Nuss und legte sie zu der anderen in meine Hand. Es gab einen kleinen Trick, indem man beide Nüsse gegeneinander drückte und das an einer bestimmten Stelle. Ein Knirschen und Knacken in meiner Hand zeigte ihm das Ergebnis.

„Mist“, entfuhr es ihm und enttäuscht sah er auf meine Finger.

„Gewonnen“, gab ich triumphierend von mir. Sein Blick wanderte an mir hoch und blieb dann auf meinen Gesicht hängen.

„Und nu? Was war der Wetteinsatz?“, fragte er leise.

„Du“, gab ich leise von mir. Seine Augen weiteten sich kurz, aber er schien nicht erschrocken zu sein.

„Und Du benötigst mich wozu?“, hauchte er heiser. Ich stand von meinem Bürostuhl auf, nachdem ich die Schalen der Walnüsse entfernt hatte, und setzte mich zu ihm auf mein Bett. Komischerweise begann ein angenehmes Kribbeln im Bauch und ich bekam schweißnasse Hände.

‚Reiß Dich zusammen, Alessio‘, rief ich mich zur Ordnung. Das hier war nur Geilheit, purer Sex – nur wieso musste ich mir das immer wieder einreden? Ich wollte nur an seinen Schwanz und er hatte sich gefälligst um meinen zu kümmern, nur warum…

…näherten sich dann meine Lippen langsam seinen? Ich wollte ihn doch gar nicht küssen!

Sanft stießen unsere Lippen aufeinander. Seine waren weich, warm und leicht feucht. Und die Gänsehaut, die sich gerade über meinen ganzen Körper auf Grund seiner Nähe ausbreitete, hatte ich beim Sex auch noch nie bekommen. Seine Zunge klopfte sanft an meine geschlossenen Lippen und nur bereitwillig gewährte ich ihr Einlass und dann…

…schaltete mein Trieb sämtliche Bedenken ab und ich ergab mich ihm…

„Scheiße, das hätte nie passieren dürfen“, holte mich eine heisere Stimme zurück in die Realität. Verwundert sah ich hoch. Ruwen zog sich fast hektisch seine Hose wieder hoch und ich konnte noch einen Blick auf seinen Schwanz werfen.

‚Was für ein geiles Gerät!‘, schoss mir durch den Kopf. Mein Blick wanderte an ihm hoch. Seine Augen schauten mich fast panisch an, sein Haar hing halb vor seinem geröteten Gesicht und der Alkohol schien verflogen. Und als ich ihn so sah, wollte ich ihn wieder hier neben mir haben.

„Blondy, komm, das ist doch geil“, murmelte ich erregt. Zuerst erstarrte er, dann schien es bei ihm Klick zu machen und seine Augen musterten mich so unendlich traurig. Wortlos drehte er sich um und war Sekunden später spurlos verschwunden.

‚Was war das jetzt???‘

Solchen Supersex hatte ich noch nie gehabt! Eigentlich war ja gar nicht so viel passiert, aber ich war das erste Mal gekommen, als er mir während des Küssens nur ganz sanft über meine Beule gestrichen hat. Er hatte nur kurz aufgelacht und mir als Antwort die Hose heruntergezogen. Seine Finger vollführten Wunderdinge auf meinen Körper, waren überall und nirgends – nur mein bestes Stück berührte er nicht. Ich musste einfach seinen Schwanz anfassen und knöpfte unter Schwierigkeiten seine Hose auf, denn da war es schon sehr eng geworden. Als sich meine Finger endlich um das heiße harte Fleisch schlossen, musste ich einfach laut aufstöhnen. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass ich innerhalb von nur ein paar Minuten das zweite Mal kommen konnte, aber als ich seine warmen Finger auf meiner Erregung spürte, genügten nur ein paar Auf- und Abbewegungen und ich ergoss mich schon wieder. Fast gleichzeitig verkrampfte er sich unter meinen Händen und spritzte ebenfalls ab. Aber als ich ihm seinen Pullover ausziehen wollte, stieß er mich von sich und sprang auf.

Nun saß ich hier mit runtergelassenen Hosen, mächtig vielen Proteinen auf meinem Körper und war immer noch strunzgeil. Mit dem Typen könnte ich Dauersex haben, wurde mir gerade klar. Anderseits…

…mich überlief es siedendheiß. War ich etwa doch schwul? War das mehr als nur ein pubertärer Versuch?

Nein, das war nur geiler hemmungsloser Sex gewesen – das war ALLES!

Oder…

Ruwen

‚Das durfte doch alles nicht wahr sein‘, hämmerte es mir immer wieder durch den Schädel. Dieser kleine Mistkerl hatte mich überlistet und dann einfach zum Sex verführt. Eins wusste ich jetzt aber mit Sicherheit:

‚Alkohol lässt wirklich sehr viele Hemmungen verschwinden und Schutzmauern einreißen!‘

Nicht, dass das eben mit Alessio nicht geil war – nein, es war der absolute Hammer, aber genau das Gegenteil von dem, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Und sein letzter Ausspruch hatte das noch untermalt. Immer noch hatte ich sein ‚Blondy, komm, das ist doch geil‘ in meinen Ohren. Das war eben nur pure Geilheit, keine Liebe. Er hielt es ja nicht einmal für nötig, mich mit meinem Namen anzusprechen.

Seine Flirterei die letzten Wochen hatte mir schon gefallen, auch wenn ich große Probleme hatte, dieser ständig zu widerstehen. Ab und an kitzelte ich ja wieder das Arschloch aus ihm heraus und ich war stolz auf mich, dass ich mich so wunderbar beherrschen konnte. Natürlich war mir seine Anmache angenehm und in meinen schier zahllosen Träumen zu Hause malte ich mir alles so schön aus. Jedoch irgendwie traute ich ihm nicht so recht und ich war mir fast sicher, dass er nicht wusste, dass ich schwul war und auf ihn stand.

Warum?

Weil es dann schon viel eher zu solch einer Aktion wie heute gekommen wäre. Er war so von seinem Sexappeal überzeugt, dass er sich gar nicht vorstellen konnte, dass dieser gar nicht nötig war. Der natürliche Alessio, den es auch gab und den ich viel zu wenig sah, war mir hundertmal lieber.

Wie sollte es nun weiter gehen? Dazu war entscheidend, was das für ihn eben gerade war. Alles in mir schrie danach, es einfach so zu nehmen, wie es war, und den Sex zu genießen. Natürlich war das eben geil gewesen, aber ich suchte jemanden zum Verlieben – ich brauchte wieder einen Menschen, bei dem ich mich fallen lassen konnte. Und wenn dieser Mensch auch in meinen Träumen Alessio war, ich war jedoch nicht so realitätsfern, um mich der Wahrheit zu verschließen.

Nüchtern analysierte ich noch einmal die Fakten. Er schien sich mit der Liebe unter Männern auseinanderzusetzen. Nein, das stimmte so nicht, ich konnte hier Liebe nicht mit Sex gleichsetzen. Wenn wir es positiv sahen, fand er Schwule schon mal nicht abstoßend. Na ja, und dem Sex zwischen Männern schien er nicht abgeneigt. Nur kurz über seine Ausbuchtung hatte ich gestrichen und schon war er explodiert. Ein kleines Lächeln machte sich bei mir breit. Aber viel anders erging es mir auch nicht. Auch wenn ich mich eigentlich mehr seinen Küssen hingab, bei denen er eher zögerlich vorging. Und meine Hände ließ ich endlich über seinen Körper wandern. Diese zarte Haut und das Muskelspiel darunter waren einfach gigantisch. Unbeholfen hatte er dann meine Hose geöffnet. Gierig umschlangen seine starken Finger meinen Schwanz und waren wider Erwarten verdammt zärtlich. Bisher hatte ich sein bestes Stück nicht angefasst, aber der Drang danach wurde nicht mehr kontrollierbar und dann massierte ich sein heißes Fleisch. Wir brauchten beide nicht lange und die Schweinerei war perfekt. Alkohol machte doch ziemlich hemmungslos!

Als er jedoch seine Hände unter meinen Pullover schob, um mich von diesem zu befreien, war ich schlagartig stocknüchtern.

‚Nein, das durfte er nicht!‘, schrie es in mir und ich entzog mich seinen Fingern. Und kaum war ich seiner unmittelbaren Nähe entkommen, wurde mir klar, was da eben passiert war. Seine Worte gaben mir den Rest und ich wollte da nur noch weg. Nun saß ich hier zu Hause und wusste nicht weiter.

‚Auf jeden Fall bist Du nun keine Jungfrau mehr‘, meldete sich ein kleine höhnische Stimme in meinem Kopf.

‚Das war ja wohl bloß eine kleine Spielerei. Jungfräulich war ich an gewissen Stellen immer noch!‘, versuchte ich sie zum Schweigen zu bringen.

‚Dann geh hin und hol das nach, abgeneigt scheint er ja nicht zu sein‘, lästerte sie weiter.

‚NEIN!‘ Mein Grundsatz für Sex stand nach wie vor fest, und den würde ich mir nicht noch einmal durch Alkohol aushebeln lassen. Auch wenn ich mir darüber nun wieder klar war, verging der Abend mit endlosen Grübeln und die Nacht mit sehr angenehmen Träumen, in welche schlanke, kräftige Finger eine Hauptrolle spielten.

Jetzt war ich gerade wieder auf dem Weg zur Nachhilfe, und je näher ich seiner Wohnung kam, desto nervöser wurde ich. Würde ich genug Kraft haben, seinen Annährungen zu widerstehen? Das Training gestern war schon sehr verwirrend für mich gewesen. Nach Außen hin verhielt sich Alessio wie immer, aber sobald wir in Körperkontakt kamen, fühlte ich seine Erregung und seine Hände waren an Stellen, die hundertprozentig keinen Vorteil beim Kampf verschafften. Natürlich reagierte ich oder sagen wir mal, mein bestes Stück, umgehend und ich lief während des gesamten Trainings mit dieser Erregung herum. Auf jeden Fall waren wir beide nicht bei der Sache und ich schwor mir dann zu Hause, dass dies nicht so weiter gehen konnte.

Fiorina machte mir auf, nachdem ich geklingelt hatte.

„Kennst ja den Weg“, warf sie mir nach einem Hallo zu und verschwand wieder. Ich klopfte an Alessios Tür und bekam keine Antwort. Also versuchte ich es noch einmal, dieses Mal etwas energischer. Irgendein Grummeln war zu hören und ich legte es mal als ein Einladung zum Eintreten aus. Verwundert betrat ich ein abgedunkeltes Zimmer.

„Alessio?“, fragte ich in den Raum. Ein undeutliches Brummen kam von seinem Bett. Sekunden später leuchtete seine Nachtischlampe auf. Ein verwuschelter Kopf schaute mir aus dem Kopfkissen entgegen.

„Ähm…, wir haben Nachhilfe“, stotterte ich.

„Scheiße, verschlafen“, murmelte er und schlug die Decke zurück.

‚Oh nein, das durfte nicht wahr sein‘, überlief es mich heiß. Er hatte ein mehr als knappes T-Shirt an und eine Shorts. Mir wurde ganz anders, als ich seinen sportlichen Oberkörper nur so knapp bekleidet sah und das Zelt in seiner Shorts sprach auch eine eigene Sprache. Wie gebannt starrte ich ihn an. Er wiederum sah mich mit einem kleinen Lächeln an und seine Augen loderten. Der Typ da war viel zu wach, um als verschlafen zu gelten.

Das war geplant gewesen!

Diese Erkenntnis brach den Bann, der über mir lag. Schlagartig war jede Erregung von mir gewichen und ich schaute ihn ernüchtert an.

„Was soll das werden?“, fragte ich abweisend.

„Och komm Blondy, lass uns den Unterricht ein wenig praktisch auflockern“, griente er mich spitzbübisch an.

„Ich glaube, ich verstehe nicht richtig“, gab ich zurück und die Wut kochte langsam in mir hoch.

„Na ja, ich habe gehört, dass es für Französisch auch noch andere Anwendungsmöglichkeiten gibt“, hauchte er mir zu und es sollte wohl verführerisch klingen. Dabei schlug er einladend neben sich auf das Bett. Als Reaktion lehnte ich mich an die Tür und verschränkte meine Arme vor der Brust. Dieses selbstgefällige und siegessichere Lächeln von ihm kotzte mich so an.

„Nicht alle hier im Raum lesen schwule Literatur“, warf ich eisig in den Raum. Als ihm die Botschaft, die sich hinter den Worten befand, klar wurde, entgleisten ihm die Gesichtszüge.

„Aber…, aber…“, stotterte er jetzt total durcheinander.

„Was aber?“, hakte ich trocken nach.

„Du hast doch vorgestern mitgemacht und es schien Dir gefallen zu haben“, hörte ich ihn fast ängstlich sagen. Der Schreck schien ihm mächtig in die Glieder gefahren zu sein.

„Da spielte der Alkohol eine nicht unwichtige Rolle“, stellte ich klar.

„Und gestern beim Training konnte ich Deinen Harten ständig fühlen“, versuchte er sich weiter zu verteidigen.

„Wenn man an etwas ständig reibt, reagiert es irgendwann einmal!“

„Ach, komm Blondy, hab Dich nicht so. Ich weiß, dass ich Dich geil mache und Du gerne mit mir in die Kiste steigen würdest. Danach können wir ja ganz normal weiter machen“, startete er hoffnungsvoll noch einen Versuchsballon und die Gier leuchtete aus seinen Augen.

Ich war heute hergekommen, um etwas zu klären – okay, dann sollte es gleich geschehen.

„Jetzt pass mal auf, Alessio“, fing ich mit besonderer Betonung auf seinen Namen an zu erklären.

„Mein Name ist NICHT Blondy, sondern einfach Ruwen, wenn Dir das nicht passt, kannst Du mich auch Mr. Holland nennen.“

„Okay, dann eben Ruwen“, kam es von ihm trotzig.

„Das vorgestern war eine einmalige Sache. So was wird es so nicht mehr geben!“

„Und ich dachte, es gefällt Dir. Also doch ein Hetero“, murmelte er leise.

„Nein Alessio, ich bin SCHWUL!“, ließ ich die Bombe platzen und sein Kopf, der sich gesenkt hatte, schoss nach oben. Seine Augen fingen wieder an zu glitzern und ein Siegerlächeln zierte seine Lippen.

„Na, dann komm her!“, griente er nun wieder und kapierte es einfach nicht.

„Keine Chance! Sex hat bei mir etwas mit Liebe und Vertrauen zu tun und BEIDES spür ich bei Dir nicht. Ich bin keine Sexmaschine, die das nur auf diesen Teil fokussieren kann. Such Dir ein anderes Versuchsobjekt, denn nichts weiter schein ich bei Dir zu sein!“

„So ein Quatsch, Sex ohne Liebe klappt hervorragend“, knurrte er enttäuscht.

„Tja, das ist Deine Meinung, aber es gibt noch etwas, was diese ganze Sache verdammt kompliziert macht“, sprach ich weiter und mein Hirn war für einen Moment nicht mal mehr im Standby.

„Und was?“, fragte er argwöhnisch.

„Dass ich mich in Dich verliebt habe“, flüsterte ich traurig und schaute ihm dabei kurz in die Augen. Diese weiteten sich entsetzt, und sein Gesicht nahm einen fast panischen Ausdruck an.

„Das ist nicht Dein Ernst?!?“, keuchte er auf. Ich konnte darauf nicht antworten, denn im Innersten verfluchte ich meine vorwitzige Zunge.

„Ich bin doch nicht schwul“, murmelte er total durcheinander. Schweigend drehte ich mich um und verließ zögernd sein Zimmer. Ein kleines Wort hätte genügt, um mich zum Bleiben zu überreden, aber nichts geschah. Deprimiert machte ich mich auf den Weg nach Hause. Natürlich wollte ich heute mit ihm ein paar Sachen klären, aber doch bitte nicht…

…IHM gestehen, dass ich ihn LIEBE! Verdammt, was hatte ich nur angerichtet.

Die nächsten Tage war ich ein Wrack. Ich ließ mich nicht beim Training blicken und die Nachhilfestunden schwänzte ich auch. Es gelang mir, teilweise die Realität auszuschalten und mich meinen Träumen hinzugeben. In diesen redete ich mir pausenlos ein, dass er ja gar nicht soooo abweisend reagiert hatte und es immer noch Hoffnung gab. Irrwitzigerweise hoffte ich, dass er endlich an meiner Tür klingeln würde und wir uns tränenüberströmt in die Arme fielen.

Nur niemand klingelte.

Am Dienstag war ich soweit, dass ich nicht weiter davon laufen wollte und begab mich zum Dojo. Ich wusste nicht, was geschehen würde, wenn ich ihm begegnete – aber ich musste ihn einfach wiedersehen! Ich war etwas zu früh dran und wollte mit Mathias noch etwas wegen des Beitrages klären.

Somit näherte ich mich dem kleinen Zimmer im hinteren Bereich der Halle und hörte laute Stimmen im Büro. Eigentlich war es nur eine sehr laute Stimme, die wütend einen Monolog hielt. Meine Hand, die ich zum Anklopfen erhoben hatte, schob langsam die Türe auf und ich trat zögernd über die Türschwelle. Alessio stand mit dem Rücken zu mir und redete auf Mathias ein.

„Der Penner ist schwul und will mir an die Wäsche. Ständig begrabbelt er mich und schaut mich so komisch an. Schmeiß ihn raus oder ich bin weg“, brüllte er Mathias mit panischer, sich fast überschlagender Stimme an.

‚Moment mal, wer hatte denn hier wen immer angefasst und seine Finger über gewisse Stellen bei mir streichen lassen?‘, kam mir spontan in den Sinn. Ich war viel zu sehr entsetzt über seine Worte, um es laut auszusprechen.

„Alessio, was ist denn mit Dir los? Überleg einmal, was Du da von Dir gibst!“, antwortete Mathias im sehr ruhigen Ton.

„Matze, ICH bin nicht SCHWUL“, zischte Alessio total von der Rolle. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Zuerst diese Aktion in der letzten Woche in seinem Zimmer, als er MIR an die Wäsche ging. Okay, mein Geständnis zwei Tage später hatte er nicht so gut weggesteckt, aber ich fühlte nach wie vor, dass da mehr war!

Nur waren das alles nur meine Wunschträume – denn das hier war eindeutig. Alle Hoffnungen, die ich mir nach den letzten Wochen gemacht hatte, platzten wie eine Seifenblase.

„Ich geh von alleine“, flüsterte ich mit staubtrockener Kehle. Alessio fuhr wie von einer Tarantel gestochen herum und sah mich erschrocken an. Ich konnte ihn nicht anschauen – ich fühlte mich so verraten, wie erst einmal in meinem Leben. Mathias wies einladend auf einen Stuhl, damit ich Platz nahm.

„Bye, Mathias“, sagte ich heiser und verließ, ohne Alessio zu beachten, das Büro. Von meiner Wolke des Glücks ganz oben fiel ich und fiel…

…der Fall wollte nicht mehr enden.

Wir hatten heute den 18. Dezember, 6 Tage vor Weihnachten und die Vergangenheit holte mich mit aller Wucht ein. Aus dem wütenden Gesicht Alessios mit diesen wahnsinnig unergründlichen Augen entstanden übergangslos neue Bilder – Bilder des Schmerzes, Bilder die ich niemals vergessen würde und nicht konnte. Dagegen gab es kein Vergessen, nur ein Abmildern, welches genährt wurde von dem Glück mit einem Menschen – von meiner Liebe zu Alessio, aber nun…

…tiefer konnte man nicht mehr fallen, aber ich kam nie an.

Hieraus gab es keinen Ausweg. Aber ich konnte den Schmerz noch steigern, mich wieder in diese Hölle begeben, und dann konnte ich ihn eventuell vergessen.

Mom, Dad und Steven – ich komme…

Alessio

„Bye, Mathias“, hörte ich Ruwen und diese Worte stießen wie ein glühendes Messer in mein Herz. Seine herrlichen Augen schauten so unendlich traurig.

Scheiße, was hatte ich getan?? Wortlos und vor allem ohne mich anzuschauen, schlich er aus dem Büro und ich fühlte mich irgendwie schuldig. Mathias hatte mich eben sehr gereizt und all meine widersprüchlichen Empfindungen hatten sich eben in diesen Ausbruch kanalisiert.

„Du bist so ein ARSCH, Socke“, bellte mich Mathias jetzt an.

„Wie bitte?“, fragte ich benommen.

„Da ist endlich mal ein Typ, der Dir das Wasser reichen kann, der Dir offen seine Hand ausstreckt und was machst Du?? Du stößt ihn immer wieder vor den Kopf. Führst Dich auf wie das größte Arschloch, und…“, wies mich Mathias zurecht. Nur der Ton gefiel mir nicht und immerhin war er ja an allem Schuld.

„UND was?“, fragte ich ihn hämisch.

„Bewunderst ihn in Wirklichkeit“, antwortete er ziemlich trocken.

„Hast Du ne Macke?“

„Und ist da vielleicht sogar noch mehr?“, schob Mathias noch einen hinterher. Entsetzt riss ich die Augen auf. Vorhin hatte er auch schon solche Andeutung gemacht, die mich ja erst zu den Ausbruch ‚Ich bin nicht SCHWUL!‘ verleitet hatte.

„Was willst Du damit sagen?“, wandte ich mich drohend an ihn.

„Nichts, was Du selbst erst herausfinden musst“, antwortete er mehr als kryptisch.

„Da gibt es NICHTS herauszufinden!“, schrie ich jetzt fast hysterisch und stampfte wütend aus dem Büro.

Wie sollte man nur normal bleiben, wenn alle um einen herum anfingen zu spinnen. Erst hatte ich diesen ultrascharfen Sex mit Blondy, und wir hatten ja nur gewichst. Zwei Tage später, als ich die Sache noch etwas steigern wollte und so schön geplant hatte, gab er mir einen Korb und beichtete mir dann noch seine Liebe.

Ein KERL war in MICH verliebt! Das konnte doch alles nicht wahr sein!

Und nun noch Matze mit seinen komischen Anspielungen, die mich so haben ausrasten lassen. Ich wollte das alles gar nicht sagen und schrie es dann doch heraus. Und wer hörte das noch – ausgerechnet er!

‚Ich bin trotzdem nicht SCHWUL!‘, murmelte ich trotzig vor mich hin. Leider war das nur ein Gedanke, der zu meinen anderen Empfindungen so gar nicht passte. Als Blondy nicht zum Training erschien nach seinem Geständnis, war mir das nur recht, denn ich wusste beim besten Willen nicht, wie ich bei seinem Anblick reagiert hätte. Zum folgenden Nachhilfeunterricht kam er auch nicht und ich fing an, ihn ein wenig zu vermissen, was sich von Tag zu Tag steigerte.

Scheiße, ich kannte den Typen doch erst ein paar Wochen.

Dann noch die Auseinandersetzung mit meiner Mutter gestern am Abendbrottisch. Sie war einfach so über Schwule hergefallen, weil sie zwei Kerle beim Einkaufen händchenhaltend gesehen hatte. Irgendetwas hatte mich geritten, denn ich bin ihr ins Wort gefallen und habe die beiden erst mal verteidigt. Meine Mutter hatte mich entsetzt angeschaut und den lieben Gott gefragt, ob sie in der Erziehung etwas falsch gemacht hätte. Danach wetterte sie in einem fort über Homosexuelle, dass es mir nach ein paar Minuten zu bunt wurde und ich mich in mein Zimmer verzog. Unter dem Strich konnte man behaupten, ich war total durch den Wind.

‚Morgen bei der Nachhilfe musst Du das mit Blondy klären!‘, nahm ich mir vor. Ich musste ihm seine Liebe zu mir ausreden, das ging einfach nicht. Einer Freundschaft war ich nicht abgeneigt, aber nicht mehr!

‚Und der Sex?!‘, kicherte die vorlaute Stimme in meinem Kopf.

‚Kein SEX mehr mit MÄNNERN!‘, befahl ich mir selbst, aber erleichtert fühlte ich mich nicht.


Heute war Freitag. Blondy war vorgestern nicht zur Nachhilfe und gestern nicht zum Training erschienen. Und je länger ich darüber nachdachte, desto logischer erschien mir das. Ich hatte auch verdammt wenig Hoffnung, dass er heute zur Weihnachtsfeier des Vereins aufschlug. Und was mich immer konfuser machte, war, dass er mir fehlte.

Seine lässige Art, das Verbessern meiner Sprachfehler, seine Eleganz in unseren Kämpfen und sogar das komische Glitzern in seinen Augen, all das und noch ungezählte Kleinigkeiten vermisste ich. Ohne dass ich es bemerkte, hatte er sich in mein Leben geschlichen und von meiner körperlichen Gier nach ihm wollte ich gar nicht reden. Ich konnte mir noch so oft vorbeten, dass ich nicht schwul war, aber mein Körper zeigte mir etwas anderes.

Ich wusste auch gar nicht mehr, was ich mit ihm klären wollte – ich wollte IHN nur zurück! Dementsprechend deprimiert saß ich nun hier bei der Weihnachtsfeier. Mathias mied mich immer noch und nach einer Stunde Herumgrübeln fasste ich den Entschluss zum Gehen.

„Wo ist dieser Alessio?“, hörte ich dann vom Eingang eine weibliche Stimme. Verwundert sah ich auf. Ein schwarzer Wirbelwind kam auf mich zu und mir fiel vor Überraschung das Kinn bis auf den Boden.

„Bist Du der aus dem Buchladen?“, fragte sie noch einmal zur Bestätigung und ich nickte leicht.

Klatsch – landete ihre Hand mit ordentlichem Pfeffer auf meine Wange. Ich hatte den Schlag kommen sehen, aber zu einer Reaktion war ich nicht in der Lage.

„Du verblödeter Penner, was hast Du mit Ruwen gemacht?“, fuhr mich das zarte Persönchen an, obwohl ihr Hammerschlag eine andere Sprache zeigte. Ich hatte sie schon längst als die Begleitung von Blondy in München erkannt, war aber immer noch keines Wortes fähig.

„Ich prügel es aus Dir raus“, drohte sie unverhohlen und ihre Körpersprache war mehr als deutlich. Wenn ich nicht gerade handlungsunfähig gewesen wäre, dann hätte man durchaus amüsiert gewesen sein können.

„Wie kommst… Du…, ähm…?“, fing ich an, zusammenhangslos zu stottern.

„Entschuldigen Sie bitte, könnten Sie Ihr Streitgespräch bitte in meinem Büro weiterführen“, unterbrach uns Mathias. Mein Blick wanderte zu ihm und hinter ihm hatte sich der komplette anwesende Verein versammelt. Das Mädel fuhr zu ihm herum und wollte ihm ebenso die Leviten lesen, verbiss sich das dann aber. Mathias humpelte voran und sie folgte ihm auf den Fersen. Schweigend schloss ich mich ihnen an. In dem Büro angekommen, wandte sich Mathias wieder zum Gehen.

„Nein, bleib bitte“, forderte ich ihn auf und war selbst erschrocken über diesen Entschluss.

„Bist Du sicher?“, fragte er verwundert.

„Ja“, murmelte ich in „totaler“ Überzeugung.

„Und wer sind Sie?“, wandte sich Mathias höflich an die dritte Person im Raum.

„Katrin, aber alle nennen mich Caitlin“, gab sie mit selbstbewusster Miene bekannt.

„Okay, Caitlin, ich bin Mathias und den Herrn da scheinst Du ja schon zu kennen“, stellte sich Matze vor. Nachdem die Formalitäten geklärt waren, wandte sie sich wieder mit blitzenden Augen an mich.

„Ich frag Dich noch einmal, was hast DU mit Ruwen gemacht?“

„Habe ihn selbst drei Tage nicht gesehen“, antwortete ich resigniert.

„Moment, können wir einmal von vorne anfangen?“, schlug Mathias vor. Zustimmend nickten wir.

„Woher kennen Sie Ruwen und Alessio?“

„Also Ruwen habe ich…“, fing sie an und hörte dann sehr plötzlich auf, welches durch ihre Hand, die sie sich vor den Mund schlug, unterstützt wurde. Fragend sah sie mich an.

„Ich habe sie und Ruwen vor ein paar Wochen in München in einem Buchladen getroffen“, setzte ich ihre angefangene Erklärung fort.

„Aha“

„Wie hast Du mich eigentlich gefunden?“, fragte ich sie neugierig, denn so langsam erwachten meine Lebensgeister wieder.

„Das war die sprichwörtliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen!“, grummelte sie.

„Bist Du sicher, dass er dabei sein sollte?“, fragte sie mich dann verwundert und wies mit dem Kopf auf Mathias.

„Ja“, murmelte ich, aber die eigentliche Antwort hätte nein sein sollen.

„Alessio, ich muss das hier nicht wissen. Es geht mich eigentlich gar nichts an“, wandte sich Mathias an mich, nachdem er uns noch einmal gemustert hatte.

„Das kann sein, aber ich möchte, dass Du es hörst“, flüsterte ich und starrte auf den Boden vor mir.

„Warum?“, fragte er vorsichtig.

„Weil…, weil ich…“, zögernd begann ich den Satz und schaute ihn dann an. Ich hatte eben etwas begriffen, mir fehlte Blondy und irgendwie wollte ich ihn wieder, nur alleine bekam ich das nicht auf die Reihe.

„…ich höchstwahrscheinlich Hilfe brauche“, schloss ich den Satz und der kostete mich verdammt viel Kraft. Matze sah mich nachdenklich an und zwinkerte mir dann aufmunternd zu.

„Und wie hast Du nun die Stecknadel namens Alessio im Heuhaufen Stuttgart gefunden?“, fragte er das Mädel. Ich richtete nun meine Augen auf sie und betrachtete sie einmal interessiert. Sie war sehr hübsch, für meinen Geschmack etwas zu schlank, aber nach ihrem rabiaten Auftritt vorhin musste sie sehr sportlich sein. Jedoch ansonsten regte sich nichts bei mir, kein Jagdinstinkt, keine sexuelle Begierde – eigentlich sollte ich mir Sorgen machen. Nur die hatte ich schon, mehr als mir lieb waren, und die mich in ein Chaos der Gefühle stürzten.

„Ruwen schreibt Stories für gewisse Internetseiten, und seine letzte handelte von einem Judoka“, fing sie mit einer Erklärung an.

„Bei unserem Treffen in München lernte ich völlig unbeabsichtigt Alessio kennen und bedrängte Ruwen solange, bis er zugab, dass dieser Judoka eigentlich Alessio war. Vor einer Woche hat er mir einen Entwurf der Geschichte zugesandt und die habe ich mir gestern sehr gründlich durchgelesen. Zum Glück hat er den Namen des Dojos nicht abgewandelt. Der Rest war dann nicht so schwer“, schloss sie ihren Monolog.

„Okay, das klärt erst einmal Dein Erscheinen hier, aber immer noch nicht den Grund“, führte Mathias das Gespräch weiter.

„Die Story hätte eigentlich am Wochenende on gehen sollen, es war so eine Art Beitrag zu einem Wettbewerb, aber es passierte nichts“, antwortete sie und wurde nervös.

„Was für eine Geschichte ist es denn und was für eine Internetseite“, fragte Mathias neugierig.

„Ähm…, also…“, fing sie nun an zu stottern.

„Na ja, Ruwen ist schwul“, warf ich dann zögernd ein.

„Das hattest Du mir schon vor ein paar Tagen an den Kopf geworfen“, gab er zurück.

„Waaaaas, Du outest IHN bei anderen. Was bist Du denn für ein Arsch???“, fuhr sie schon wieder heftig auf und funkelte mich zornig an. Sicherheitshalber nahm ich noch etwas Abstand, denn meine Wange brannte immer noch.

„Da ist noch mehr, oder Alessio?“, fragte Mathias mich vorsichtig.

„Ja.“ Erwartungsvoll sahen mich zwei Menschen an und ich gab mir einen Ruck.

„Vor etwa einer Woche hat er mir gestanden, dass er mich liebt“, murmelte ich nervös.

„Oh je“, seufzte Katrin.

„Und warum haut Dich das so von der Rolle?“, hörte ich Mathias.

„Hat Dir schon mal ein Kerl gestanden, dass er in Dich verknallt ist??“, fragte ich Mathias hämisch.

„Nein, aber ich sehe auch nicht so umwerfend aus wie Du“, entgegnete er entwaffnend. Ich starrte ihn fassungslos an. Katrin verfolgte jetzt schweigend unser Zwiegespräch.

„Aber, mein lieber Alessio, das ist es nicht wirklich, was Dich so aus der Bahn wirft, oder?“

Genau das war die Frage – was setzte mir so zu? Ich konnte es nicht in Worte fassen, nein ich wollte nicht.

„Alessio“, hakte er sanft nach. Ich fuhr mir mit der Hand über die Augen.

„Er fehlt mir.“

‚Scheiße, hatte ich das eben wirklich gesagt?‘

„Oh“, kam von Katrin und Mathias lehnte sich mit einem kleinen wissenden Lächeln zurück. Damit war die Frage nach dem „wirklich aus der Bahn werfen“ sofort beantwortet.

„Aber das gibt keinen Sinn“, murmelte Katrin.

„Wieso?“, hörte ich Matze.

„Warum liegen sie sich denn beide hier nicht in den Armen?“, fragte sie schnippisch.

„Weil Ruwen Sachen gehört hat, die nicht für ihn bestimmt waren“, antwortete Mathias. Auf den fragenden Blick ihrerseits erzählte er ihr in kurzen Worten von unserem Zusammenstoß hier in seinem Büro.

„Und mein eigentliches Ziel, Alessio aus der Reserve zu locken, ging sprichwörtlich nach hinten los“, seufzte er. Aber ich konnte ihm nicht die Schuld daran zuschieben.

„Nein Matze, da bin ich ganz alleine dran schuld. Ich hab ihm noch mit etwas Anderem vor den Kopf gestoßen“, murmelte ich nervös.

„Und was?“, wollte er wissen. Als Antwort schaute ich nur verlegen zu Boden, denn das würde ich nicht erzählen.

„Das ihr Männer immer nur mit Euren Schwanz denken müsst“, brachte Katrin es dann jedoch voll auf den Punkt und ich lief rot an. Schweigend saßen wir eine Weile da und jeder hing seinen Gedanken nach.

„Das erklärt mir aber immer noch nicht, warum Du den langen Weg nach Stuttgart gemacht hast?“, wandte sich Mathias an Katrin. Als Antwort angelte sie ihr Handy aus der Tasche und spielte ein wenig auf den Tasten herum. Sie hielt es Mathias hin und er warf ein Blick auf das Display.

„Eine sehr verworrene Nachricht“, murmelte er. Neugierig geworden griff ich danach und las Sekunden später folgendes.

Aus den Träumen wurden Schmerzen und diese führen mich wieder nach Hause…

„Scheiße“, entfuhr es mir. Ich hatte in den letzten Tagen genug geträumt, um die Bedeutung dieser Zeile wenigstens zu erahnen.

„Ja, sie ist zwar ziemlich kryptisch, aber Ruwen denkt manchmal sehr kompliziert. Mit ‚Scheiße‘ triffst Du es vielleicht nicht mal annähernd, denn er geht nicht ans Telefon, beantwortet keine Mails, kurzum, der Kontakt ist gänzlich abgebrochen“, redete sie sich in Rage.

„Warst Du schon bei ihm zu Hause?“, versuchte Matze sie zu beruhigen.

„Ich kenn seine Adresse nicht. Wir haben uns immer in München getroffen, und Persönliches gibt er sehr, sehr wenig bekannt“, sagte sie dann niedergeschlagen.

„Das ist mir auch schon aufgefallen. Mich hat er ausgehorcht wie Sherlock Holmes persönlich, aber über ihn weiß ich fast nichts“, entfuhr es mir erstaunt.

„Na vielleicht kann ich ja weiterhelfen“, warf Mathias amüsiert in die Runde. Er durchstöberte kurz einen Stapel auf dem Schreibtisch und wedelte dann mit einem Bogen vor unserer Nase herum.

„Sein Aufnahmeformular?“, mutmaßte ich.

„Jo.“ Und so schnell konnte er gar nicht schauen, wie wir beide nach dem Blatt griffen. Ich war den Bruchteil einer Sekunde schneller und überflog das Blatt.

„Das ist ja nur zwei Straßen weiter“, murmelte ich erstaunt, als ich die Adresse fand.

„Na dann ab in die Spur“, forderte uns Mathias unmissverständlich auf. Eine Minute später standen wir beide auf der Straße und beäugten uns misstrauisch.

„Wehe Du tust ihm noch einmal weh, dann kommst Du niemals mit einer Backpfeife davon“, knurrte sie wütend.

„Erst mal müssen wir ihn finden“, antwortete ich, denn das war mein größtes Problem zurzeit. Wenn ich ihm gegenüberstand, musste ich einfach abwarten, zu was ich noch fähig war. Wir brauchten nur ein paar Minuten und klingelten bei Holland. Zu meiner großen Verwunderung ging der Türsummer und wir konnten eintreten. Langsam erklommen wir Etage für Etage, denn das Klingelschild hatte keinen Aufschluss darüber gegeben, wo er wohnte. Im 3. Obergeschoss wurden wir dann fündig, nur empfing uns an der Tür ein älterer Herr.

„Guten Abend“, begrüßte er uns mit einer tiefen Stimme recht freundlich.

„Wir wollten eigentlich zu Ruwen“, fiel ich gleich mit der Tür ins Haus.

„Da sind Sie zwar bei der richtigen Wohnung angekommen, aber mein Enkel ist nicht da“, erklärte er uns in einem ruhigen Ton.

„Oh“

„Wissen Sie denn, wann er wiederkommt“, fand Katrin als erste die Sprache wieder.

„Ich hatte eher gehofft, Sie könnten mir da weiter helfen“, antwortete er ziemlich enttäuscht. Trotzdem öffnete er die Haustür einladend und wir gingen in die Wohnung. Diese war ziemlich teuer eingerichtet, was ich alleine nur an den technischen Geräten festmachte. Sein Großvater besorgte noch etwas zu trinken, um sich dann schweigend zu uns zu gesellen.

„Gestatten Sie mir eine Frage?“, begann er wieder das Gespräch.

„Ja.“

„Klar.“

„Sind Sie beide ein Paar?“ Entsetzt sahen wir uns an und schüttelten vehement mit dem Kopf. Um weitere Peinlichkeiten zu umgehen, stellten wir uns vor, wobei ich mich nur kurz als ein „Freund“ aus dem Verein und sie als eine Freundin aus München vorstellte.

„Ach, die Nichtverabredung aus München“, flüsterte er leise in Französisch. Katrin schaute ihn verwirrt an und ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Der Großvater musste ziemlich gut informiert sein.

„Kann es sein, dass Sie über meinen Enkel nicht allzu viel Persönliches wissen?“

„Wie kommen Sie denn darauf?“, fragte Katrin verblüfft.

„Weil Sie beide mich anstarren wie ein achtes Weltwunder“, lächelte er charmant und das brach ein wenig den Bann.

„Nennt mich einfach Frederic“, schlug er uns vor.

„Katrin.“

„Alessio.“

„Sie, ähm, Du kommst aber nicht von hier“, wollte ich dann von ihm wissen.

„Nein, ich wohne in Hamburg, wo Ruwen bis vor einem halben Jahr auch war. Aber eigentlich…“, brach er mitten in seiner Erklärung ab.

„Und warum treffen wir Dich heute hier an?“, bohrte ich neugierig nach.

„Ich hatte nun ein paar Tage keinen Kontakt zu ihm, und wollte ihn Weihnachten nicht alleine lassen“, antwortete er mir, dabei bohrten sich seine Augen in meine. Irgendwie verspürte ich eine Art Schuld und brach den Blickkontakt ab.

„Wieso Weihnachten?“, hörte ich nun Katrin neugierig fragen.

„Was ist hier passiert?“, fragte er uns ernst, aber er musterte mich weiter intensiv.

„Das kann ich ohne Ruwens Zustimmung nicht sagen“, murmelte ich niedergeschlagen. Schweigen breitete sich wieder aus.

„Kann es sein, dass Du der Grund seines Verschwindens bist?“, hörte ich Frederic leise fragen und mein Kopf schoss nach oben. Sein Blick war auf MICH gerichtet. Benommen nickte ich mit dem Kopf.

„Und er ist vor Deiner Liebe weggelaufen?“

„Nein, genau umgekehrt“, hauchte ich heiser.

„Das müsst ihr mir erklären“, forderte er uns nach einer Weile ernst auf. Kurz setzten wir ihn ins Bild, wobei ich delikate Sachen ausließ. Zum Schluss zeigte Katrin ihm die SMS.

„Oh mein Gott“, murmelte er traurig und legte kurz seine Hände aufs Gesicht. Als er uns wieder ansah, sah ich ein paar Tränen schimmern und mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen.

„Wie viel bedeutet er Dir?“, wandte er sich dann an mich. Ich musste schlucken.

„Ich weiß es nicht“, stieß ich mühsam hervor. Hier geriet gerade meine ganze Welt aus den Fugen und mit jedem Satz, den wir über Ruwen wechselten, bemerkte ich, dass er etwas Besonderes war.

Das ER für MICH etwas Besonderes war!

„Vielleicht weiß ich es, wenn ich ihn wieder sehe, aber gerade jetzt weiß ich nichts mehr“, gab ich leise zu.

„Das reicht mir“, hörte ich ihn sagen.

„Bist Du bereit für eine lange Reise?“, fragte er mich.

„Reise?“, murmelte ich verstört.

„Ja, ich weiß jetzt ziemlich sicher, wo er sein könnte. Nur ist das leider nicht hier um die Ecke“, antwortete er.

„Wo?“

„Ruwen ist kein Deutscher, ähm, kein waschechter. Geboren wurde er in Kanada und ist auch da aufgewachsen“, fing Frederic an.

„Deshalb seine guten Fremdsprachenkenntnisse“, unterbrach ich ihn verblüfft.

„Ja, er ist mit drei Muttersprachen aufgewachsen, denn ein Teil seiner Wurzeln liegt hier in Deutschland, sprich Hamburg. Vor vier Jahren ist er zu mir gekommen. Mehr möchte ich Dir darüber nicht erzählen, entweder er sagt es Dir selbst oder nicht. Auf jeden Fall ist er zu 90 Prozent nach Kanada zurückgekehrt. Die restlichen 10 Prozent klär ich noch mit ein paar Anrufen. Die Frage ist nun, willst Du die Mühen auf Dich nehmen und ihm nachreisen?“

Geschockt sah ich ihn an. Ich sollte nach Kanada fliegen! ICH, der maximal einmal im Jahr zum Skifahren nach Österreich ging. Und in ein paar Tagen war Weihnachten – meine Mutter würde mich niemals gehen lassen.

War es das wert??

Ich brauchte gar nicht weiter darüber nachdenken, denn mein Herz hatte schon längst die Führung übernommen.

„Ja“, murmelte ich meine Zustimmung.

„Hast Du einen aktuellen Reisepass?“

„Ja“

„Wie ist Dein voller Name?“

„Alessio Richter“

„Gut, wartet bitte ein paar Minuten“, bat er uns und verschwand im Nebenzimmer.

„Hol ihn zurück“, wandte sich Katrin an mich. Ich sah sie zwiegespalten an.

„Bitte.“ Und dann versanken wir wieder ins Schweigen.

Wieso sollte Ruwen auf mich warten und vor allem mich empfangen? Und, was erwartete mich dort in Kanada? Hier schien ein Geheimnis das nächste zu jagen.

„Also Ruwen ist in Kanada und Flüge sind gebucht. Entweder morgen früh oder am Mittag, das Ticket liegt am Schalter am Stuttgarter Flughafen unter Deinem Namen“, eröffnete uns Frederic, als er wieder das Zimmer betrat.

„Wo muss Alessio überhaupt hin?“, konnte Katrin nun ihre Neugier nicht mehr beherrschen.

„Nach Victoria, die Perle Kanadas“, antwortete er ihr lächelnd. Und ich hatte keine Ahnung, wo das lag.

„An der Miene Deines Begleiters seh ich, dass er keine Ahnung hat, wo das ist“, grinste Frederic ziemlich frech.

„Na ja, gehört habe ich davon aber auch noch nicht“, gab Katrin leise zu.

„Das Wissen über Kanada ist außerhalb des Landes eh sehr verkümmert, aber ich will Euch mal erleuchten“, schmunzelte er weiter.

„Victoria ist die Hauptstadt der Provinz Britisch-Kolumbien. Sie liegt an einer Meeresbucht des Pazifiks und mit den Bergen in Hintergrund bietet sie ein einmaliges Panorama. Sie ist ein sehr beliebtes Touristenziel und bildet den südlichsten Punkt Westkanadas. Mit ihren vielen Vororten zusammen hat sie ca. 300.000 Einwohner, wobei die eigentliche Stadt nur knapp 80.000 Menschen zählt. Und…“, hörte er plötzlich auf und sah mich stirnrunzelnd an.

„…egal, Du wirst es eh erfahren. Die Familie Holland gehört zu so einer Art Gründervätern dieser Stadt“, ließ er dann die Bombe platzen.

„Waaaas?“, keuchte ich auf.

„Alessio, das spielt im Moment keine Rolle. Fahr zu Ruwen und red mit ihm, bitte“, flehte mich der ältere Herr fast an.

‚Was wurde mir hier noch alles verschwiegen?‘ Aber es zog mich immer stärker zu diesem Kerl hin. Ich wollte seine herrlichen blauen Augen wieder sehen, sein leicht lässiges schüchterndes Lächeln, ihn berühren, seine warmen feuchten Lippen schmecken…

…erschrocken fuhr ich aus meinen Gedanken auf. Wissend lächelte mich Katrin an.

„Hoffentlich lassen mich meine Eltern fahren“, murmelte ich pessimistisch.

„Das schaffst Du schon, hier hast Du noch meine Handynummer, und ruf gefälligst an“, wies sie mich an und stand auf.

„He?“

„Sorry, ich muss los. Mein Freund wird eh schon ausflippen, aber in einer halben Stunde fährt der nächste Zug zurück nach München und den würde ich gern schaffen.“

So brachte ich sie, mit zwei neuen Handynummern bewaffnet, noch zur S-Bahn und machte mich auf den Heimweg. Ich fand die komplette Familie im Wohnzimmer versammelt.

„Was, die Feier schon aus und mein Bruder kommt nüchtern und aaaaleine nach Hause?“, grinste mir meine Schwester frech entgegen. Ich warf ihr nur einen kleinen Blick zu.

„Na, Alessio, was hast Du denn auf dem Herzen?“, fing mein Stiefvater an. Irgendwie war er mir immer etwas unheimlich, weil er mich fast mühelos durchschaute.

„Ich hab wirklich ein Problem“, murmelte ich leise.

„Na dann raus damit“, ermunterte mich meine Mutter. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen.

„Ich müsste morgen für ein paar Tage verreisen“, ließ ich die Bombe platzen.

„Kommt überhaupt nicht in Frage“, lehnte meine Mutter kategorisch ab.

„Warum?“, fragte ich sie trotzig. Okay, ich war ihr Liebling, aber ich lebte nicht in einem Käfig.

„Weil in ein paar Tagen Weihnachten ist und Du da gefälligst zu Hause zu sein hast“, ließ sie erst gar keine Diskussionen aufkommen.

„Vielleicht gibt es ja einen Menschen, der meine Anwesenheit zur Zeit sehr viel nötiger hat“, murmelte ich leise und mein Blick fiel dabei auf Fio. Ihre Augen weiteten sich.

„Wer ist es?“, wollte meine Mutter herrisch wissen.

„Magda, jetzt gib mal eine Minute Ruhe“, fuhr Norbert sehr ruhig aber bestimmt dazwischen. Meine Mutter verschluckte vor Schreck ihren nächsten Satz und funkelte ihn wütend an.

„Zu wem möchtest Du denn fahren?“, fragte mich mein Stiefvater nun ruhig. Ich schaute ihn an und unsere Blicke verhakten sich ineinander.

„Zu Ruwen“, antwortete ich tonlos und musste trocken schlucken.

„Deinem Nachhilfelehrer?“, fragte meine Schwester erstaunt und ich nickte leicht.

„Ich mochte diesen Kerl noch nie und Du wirst wegen dem nicht das Haus verlassen“, platzte es dann wieder aus meiner Mutter wütend heraus. Ich löste meinen Blick von Norbert und schaute meine Mutter an. Ihr Gesicht schien hassverzerrt und ich konnte es einfach nicht verstehen.

„Ob es Dir passt oder nicht, ich werde fahren, so oder so. Ich habe einen schweren Fehler gemacht und möchte versuchen, diesen wieder gutzumachen. Weil, weil… ach, das verstehst Du eh nicht“, antwortete ich aufgebracht und verließ die Küche, wobei die Tür verdammt laut ins Schloss fiel. Fast hätte ich meiner Mutter ins Gesicht geschrieen, dass ich höchstwahrscheinlich auf „diesen Kerl“ stand. Wütend riss ich meinen Koffer vom Schrank und warf wahllos Sachen aus dem Schrank hinein. Ein leichtes Klopfen an meiner Tür ließ mich beim Packen innehalten.

„Was ist denn noch?“, rief ich unwirsch.

„Darf ich kurz reinkommen?“, hörte ich meinen Stiefvater fragen. Auf mein zustimmendes Brummen betrat er mein Zimmer und setzte sich auf mein Bett. Eine Weile schaute er mir beim Packen zu und fing dann an zu grinsen. Das brachte mich aus dem Konzept – nicht dass ich eins eben beim Packen gehabt hätte.

„Was lachst Du so?“, fragte ich immer noch ziemlich sauer.

„So richtig scheinst Du nicht zu wissen, wo Du hin willst?“, lächelte er noch breiter.

„Why?“, knurrte ich.

„Na Deine Fremdsprachenkenntnisse haben sich ja rapide verbessert“, grinste er weiter. Seine Lockerheit brachte mich total durcheinander, mir war, als wäre Norbert jetzt ein ganz anderer Mensch.

„Ja, auch das hat er bewerkstelligt“, gab ich leise zu.

„Und noch einiges mehr, oder?“, hörte ich ihn vorsichtig fragen. Ich erstarrte in meiner Bewegung und schaute ihn unsicher an.

„Alessio, auch wenn wir beide immer auf Kriegsfuss standen, warst Du mir immer der Sohn, den ich nie haben konnte. Meinen Segen hast Du für die Reise und ich wünsche Dir alles Glück der Welt für Deine Aufgabe“, sprach er sehr ernst zu mir. Hin und her gerissen von seinen Worten und meiner Abneigung, die ich schon lange gegen ihn hegte, wusste ich nicht, was ich sagen sollte.

„Löse erst das eine Problem und dann stell Dich den anderen“, riet er mir und zwinkerte mir zu.

„Und wo willst Du nun hin?“, kam es neugierig von ihm.

„Kanada“, murmelte ich.

„Oh.“

„Ja, frag mich mal“, murmelte ich und setzte mich ebenfalls auf das Bett. Nervös knetete ich meine Finger.

„Ziemlich weite Reise, und die Kosten deckt Dein Taschengeld bestimmt nicht“, sprach er mehr zu sich.

„Der Flug ist schon bezahlt,“ antwortete ich, und als ich seinen erstaunten Gesichtsausdruck sah, schob ich noch hinterher, „nicht von mir.“

„Das alles scheint mir ja noch um Einiges komplizierter, als ich schon angenommen hatte.“

„Wenn das doch nur alles wäre“, seufzte ich.

„Alessio?“

Fragend sah ich ihn an.

„Wie stehst Du zu diesem Jungen?“ Antworten konnte ich ihm darauf nicht, aber meine Augen füllten sich langsam mit Tränen.

„Sag ihm das!“, forderte er mich leise aber bestimmt auf. Dann stand er auf und im Hinausgehen wuschelte er mir noch kurz aufmunternd durch die Haare. Die Nacht war eine einzige Katastrophe. Mit Ruwens Großvater hatte ich mich auf den Flug gegen Mittag geeinigt und dieser verlief dann ziemlich unspektakulär. Von den insgesamt über 13 Stunden bekam ich gar nichts mit, denn ich war so in meinen Gedanken versunken. Ich erlebte noch einmal unsere gemeinsame Zeit und legte mir alle möglichen Versionen meiner Eröffnungsrede zurecht, um sie dann Sekunden später zu verwerfen. Je näher ich ihm kam, desto nervöser wurde ich, das Kribbeln in meinem Bauch nahm zu und wurde von kleinen Schweißausbrüchen begleitet. Trotz Allem sehnte ich mich nach ihm und konnte das Wiedersehen kaum erwarten.

Einsam stand ich vor dem Flughafengebäude in Victoria und fror. Die Literatur, die mir Frederic über Kanada und im Speziellen über Britisch-Kolumbien besorgt hatte, hatte ganz was Anderes versprochen als die Kälte und den Schnee, der hier überall herumlag.

„Mister, wollen Sie ein Taxi?“, sprach mich eine tiefe höfliche Stimme in Englisch an. Mein Blick fiel auf einen älteren freundlich lächelnden Taxifahrer und ich nickte. Schnell war mein Koffer verstaut und ich nahm Platz auf dem Rücksitz.

„Möchten Sie zuerst in ein Hotel?“

„Nein, ich habe hier eine Adresse, zu der ich gerne fahren würde“, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, und meine neuen Fremdsprachenkenntnisse halfen mir sehr weiter.

„Aha, und wohin?“

„St. Martins Street Nr. 9“, las ich von dem Zettel ab, den mir Frederic zugesteckt hatte. Der Taxifahrer würgte den Wagen ab und drehte sich erschrocken um.

„Sind Sie sicher?“ Wortlos gab ich ihm den Zettel. Forschend sah er mich an.

„Diese Straße gibt es nicht mehr“, sagte er aufgeregt.

„Wie bitte?“, entfuhr es mir, denn ich dachte, ich hätte ihn nicht richtig verstanden.

„Sie heißt seit ein paar Wochen Hollandstreet und diese Nummer…“, brach er ab und sein Blick bohrte sich in meine Augen.

„Sie werden es sehen“, murmelte er und startete den Wagen. Schweigend verlief die Fahrt und ich hatte einen herrlichen Blick auf die Berge im Hintergrund. Aus dem Radio erfuhr ich, dass dieser Wintereinbruch in Victoria der schwerste seit Jahrzehnten war und die Kälte und der Schnee noch mindestens eine Woche vorherrschen würden. Wir streiften das Stadtzentrum nur und fuhren dann durch ein vornehmes Viertel mit lauter mehrstöckigen Villen. Und dann sah ich es.

Zwischen den Häusern wurde eine freie Fläche sichtbar. Überall lag Schnee und er erstrahlte in seinem herrlichen Weiß. Nur diese einzelne Fläche stach wie ein Blutstropfen hervor. Wir fuhren langsam auf diesen Farbfleck zu und ich erkannte die Ursache dessen.

Es waren Blumen. Eine riesige Menge und unterschiedlichster Art. Sie waren nicht nur in rot gehalten, aber diese Farbe überwog.

„Mister, das ist St. Martins Street Nr. 9“, eröffnete mir der Taxifahrer mit bewegter Stimme.

„Danke“, murmelte ich leise und stieg aus.

„Ich warte hier auf Sie“, bot er mir an und ich nickte als Zustimmung. Langsam umrundete ich das Auto und meine Schritte führten mich automatisch in diese Farbenpracht.

In dem Blumenmeer saß eine einsame Gestalt. Sie war in einen dicken Anorak gekleidet, aber die blonden Haare waren nicht bedeckt. Auch wenn er mir den Rücken zuwandte, wusste ich sofort, dass da Ruwen saß. Ein unsichtbares Band zog mich beständig zu ihm hin und ich ließ mich willig leiten. Jetzt war es viel zu spät, umzukehren, auch wenn er mich noch nicht bemerkt hatte. Erstens war ich viel zu neugierig und zweitens habe ich mich noch nie zu einem Menschen so hingezogen gefühlt, wie zu diesem jungen Mann. Ruwen saß auf einer Bank und starrte auf etwas. Je näher ich kam, desto bewusster nahm ich auf, dass er völlig weggetreten war. Vor ihm war schräg in die Erde ein Stein eingelassen, eine Art Gedenkstein. Im oberen Drittel waren drei Bilder hinter Glas in den Stein eingefügt, die eine Familie zeigten. Meine Augen wurden riesengroß, denn die Ähnlichkeit dieser drei Personen mit Ruwen war zu groß, um ein Zufall zu sein. Ungewöhnlich war, dass es keine Namen und keine Daten unter den Bildern gab, dafür zog sich in schwarzen schmalen Lettern eine Inschrift über den restlichen Stein. Erschrocken keuchte ich auf, als ich bemerkte, dass die Zeilen in Deutsch gehalten waren und der Sinn der Worte zu mir durchdrang.

Warum war meine Liebe nicht stark genug, um Euch zu halten?

Warum war meine Kraft nicht groß genug, um Euch zu retten?

Warum durfte ich weiterleben, so gänzlich sinnlos ohne Euch?

In ewiger Erinnerung an Mom, Dad und my little Stevy und in tiefster Liebe, die niemals enden wird

Jesp

Was für eine Tragödie hatte sich hier abgespielt?

Der Kloß in meinem Hals war zu groß, um ihn hinunter zu schlucken. Dieses ganze Arrangement, die vielen Blumen auf dem weißen Schnee, dieser Platz zwischen den anderen Villen und dieser blonde hübsche Junge auf der Bank waren einfach zu unwirklich, für mich nicht fassbar. Aber genau dieser Kerl berührte mein Herz und ließ sämtliche Gefühle Achterbahn fahren. Vorsichtig trat ich näher an ihn heran und legte meine Hand auf seine Schulter. Erschrocken zuckte er zusammen und hob seinen Blick. Ich blickte in diese herrlichen blauen Augen, die leider nun trüb und mit Tränen gefüllt waren. Ein Erkennen huschte über sein Gesicht.

„Warum durfte ich nicht mit ihnen gehen?“, flüsterte er so unendlich traurig, dass es mir die Luft abschnürte und mein Herz zu rasen anfing.

„Weil ich Dich brauche!“, gestand ich ihm und kleidete endlich in Worte, was ich schon eine ganze Weile fühlte. Ein ungläubiges Erstaunen konnte ich in seinem Gesicht ablesen.

„Du… mich…“, stotterte er fassungslos. Seine Offenheit und Erstaunen ließen mich rot anlaufen – so hatte mich noch kein Kerl angeschaut, oder vielmehr, ich hatte es bisher noch nie so wahrgenommen.

„Der obercoole Alessio, der Unfehlbare?“, fragte er zweifelnd, fast abweisend.

„Nein, das bin ich nicht mehr, und Du hast da einen großen Anteil dran“, murmelte ich nervös.

„Und was willst Du?“, fragte er mit zitternder Stimme, die nicht mehr so abweisend klang.

„Nur mit Dir reden, über…“, druckste ich herum und versank in seinen herrlichen Augen.

„Über?“, flüsterte er.

„…Über das, was Du mit mir machst“, hauchte ich heiser. Obwohl in seinen Augen immer noch Tränen standen, fingen sie an zu glitzern und ein klitzekleines Lächeln umspielte seine Lippen.

„Ich mit Dir?“, murmelte er nervös. Sein Blick löste sich von mir und wanderte über den Platz. Unter meiner Hand, die immer noch auf seiner Schulter ruhte, erzitterte er und beruhigte sich kaum.

„Ruwen, lass uns gehen?“, forderte ich ihn vorsichtig auf.

„Ja“, hauchte er tonlos und stand auf. Seine Hand strich über die Fotos im Stein. Obwohl er mir gerade geantwortet hatte, schien er nicht wirklich anwesend zu sein. Erschrocken zuckte ich zusammen, als sich eiskalte Finger in meine Hand verirrten. Völlig perplex sah ich auf meine Hand, in welcher sich seine Finger befanden, aber ich zog sie nicht zurück, nein, ich schloss meine Hand um seine. Mein Blick wanderte an ihm hinauf und traf auf seine rotgeweinten Augen. Fragend sahen sie mich an und meine Finger schlossen sich noch fester um seine Hand. Ein kleines Lächeln stahl sich in sein verfrorenes Gesicht, welches ihm viel besser stand als diese unfassbare Traurigkeit. Hier befand ich mich nun in einer wildfremden Stadt am anderen Ende der Welt und hielt mit einem Kerl Händchen.

Und es fühlte sich so gut und richtig an.

„Mein Taxi wartet da drüben“, hauchte ich ihm zu.

„Okay, wobei ich schon gerne mit Dir ein Stück so gelaufen wäre“, schmunzelte er und ließ unsere Hände ein wenig hin und her schwingen. Natürlich lief ich knallrot an und schaute verdammt verlegen aus der Wäsche, was zu einem Heiterkeitsausbruch bei ihm führte. Dieses glockenhelle Lachen war tausendmal besser als seine Tränen. Schweigend gingen wir zum Taxi. Der Taxifahrer war in eine Zeitung vertieft und als ich mit einem Klopfen an die Scheibe auf uns aufmerksam machte, schaute er auf. Seine Augen weiteten sich erschrocken, als sein Blick auf Ruwen fiel. Schnell riss er die Tür auf und sprang ins Freie.

„Es ist mir eine Ehre, Mr. Holland“, sagte er fast ehrfürchtig. Dieser bedankte sich und nannte dem Fahrer eine neue Adresse. Die Fahrt verlief schweigend. Die einzige Besonderheit war, dass sich unsere Finger wieder zueinander verirrten und miteinander spielten. An einem sehr luxuriösen Hotel hielten wir und ein Page half uns beim Ausladen. Als ich den Taxifahrer bezahlen wollte, lehnte er strikt ab und wünschte Ruwen alles Gute. Diese Wünsche kamen so inbrünstig und ehrlich, dass ich schon wieder ins Grübeln kam. Ruwen schien hier auf jeden Fall bekannt zu sein, was auch das Hotel betraf, denn ein weiterer Page nahm den Zimmerschlüssel und lief voraus. Wir betraten eine gemütlich eingerichtete Wohnung und unsere hilfsbereiten Geister verschwanden kommentarlos.

„Ich brauch ein heißes Bad“, murmelte Ruwen und seine Zähne stießen klappend aneinander.

Tja, und nun saß ich hier und im Bad nebenan war ER. Ich wusste nicht weiter, wie sollte ich ihm das alles sagen. Mir ging soviel im Kopf herum, was aber immer wieder nur in einer Empfindung endete.

Leise Klänge erfüllten den Raum, und auf Grund meiner dank dieses Kerls relativ guten Fremdsprachenkenntnisse von ihm nur durch eine Wand getrennt, konnte ich den englischen Zeilen fast mühelos einen deutschen Sinn geben. Es war zu verrückt, aber dieses Lied gab alles das wieder, was mir wichtig war. Und als ich die Vollkommenheit des Gesanges in mich aufgesogen hatte, war der Song zu Ende. Was nun? Fast panisch checkte ich meine Möglichkeiten, und mein Blick fiel auf ein Notebook auf dem Tisch. Mit fliehenden Fingern schaltete ich ihn an und betete, dass dieser nicht passwortgeschützt war. Ein wenig schäbig kam ich mir schon vor, aber ich unterdrückte meine Neugierde und stöberte nicht auf seinem Rechner herum. Der Song war dann schnell gefunden und auf mein MP3-Handy geladen. Als ich den Mauszeiger zum Ausschalten nach unten huschen ließ, blieb ich wie magisch an einem Textdokument hängen. Zuerst war mir nur der Eigenname „Nickstories.de“ vage bekannt vorgekommen, aber das Folgende war noch viel interessanter – da stand „Ein Judoka zum Verlieben – unvollendet“ .

Sollte ich??

‚Nein‘, rief ich mich energisch zur Ordnung, und schaltete den Rechner aus. Mit dem Handy und meinen Ohrsteckern bewaffnet näherte ich mich der Badezimmertür. Schüchtern klopfte ich an. Da ich keine Reaktion bekam, drückte ich langsam die Klinke herunter und öffnete die Tür einen kleinen Spalt. Ruwen lag in einer großen Wanne, von einem großen Berg Schaum bedeckt. Sein halblanges nasses Haar hing ihm teilweise in der Stirn und seine herrlichen Augen waren geschlossen. Außer seinem Kopf war von ihm im Wasser nichts zu sehen und der Wunsch, mich zu ihm in die Wanne zu legen, übermannte mich plötzlich. Ich wollte ihn endlich nackt sehen, ich wollte seine Haut auf meiner spüren, ich wollte…

Dieses plötzliche Verlangen erschreckte mich einerseits, aber anderseits fand ich nichts Abstoßendes oder Falsches daran. Trotz allem rutschte mir ein Ton heraus und Ruwen bekam mit, das er nicht mehr alleine war. Seine Augen schauten schon wieder so unendlich traurig und schienen mich gar nicht wahrzunehmen.

„Verschwinde“, murmelte er matt.

„Bitte lass mir Dir etwas zeigen. Ich finde keine Worte dafür, aber ich habe hier etwas, was ein Ersatz sein könnte“, flüsterte ich verlegen. Seine Augen verengten sich kurz, und er glitt noch tiefer ins Wasser. Meine Blicke wanderten gebannt über diesen undurchsichtigen Schaumberg, während ich mich ihm näherte. Zögernd hielt ich ihm die Ohrstecker hin.

„Bitte hör es Dir an, bitte“, murmelte ich, und mir wurde heiß wie kalt. Seine Hand kam aus dem Schaumberg und wollte die Stecker aus meiner Hand nehmen.

„Geht nicht, ich bin zu nass“, wies er meine Bitte zurück.

„Darf ich?“, hauchte ich fast unhörbar. Seine widerstreitenden Gefühle waren in seinem Gesicht abzulesen, und auch ich war von meinem Entschluss sehr erstaunt. Dann nickte er leicht und ich schob ihm die Ohrstecker ins Ohr, dabei blieb es natürlich nicht aus, dass ich ihn berührte. Ich wusste sehr gut, was geschehen würde, war aber von der Intensität des Kribbelns, welches ungehindert von meinen Fingern in den Bauch wanderte, überrascht. Gerne wären meine Hände da verblieben und hätten ihn erkunden wollen, aber fast panisch zog ich sie zurück. Dann drückte ich den Playknopf auf meinem Handy und in seinen Ohren erklangen folgende Zeilen…

Ich weiß, dass ich nicht für Dich da war,

als Du mich am meisten gebraucht hast.

Ich weiß, dass ich rücksichtslos war

Und Angst vor Nähe hatte

Ich beobachtete ihn genau und seine Augen weiteten sich leicht.

Heute Nacht werd ich keinen Schlaf finden,

weil ich alles kaputt gemacht hab

und ich es nicht mehr rückgängig machen kann.

Daher muss ich Dir noch was sagen:

Es tut mir leid, dass ich Dir wehgetan hab,

Es tut mir leid, dass Du weinen musstest.

Es tut mir leid, um all die kleinen Dinge, von denen ich nichts wusste,

um das, was ich Dir nie gesagt habe.

Aber Eins tu ich immer noch –

Ich liebe Dich

Seine Augen schlossen sich während dieser Zeilen und seine Hand, die immer noch über den Schaum schwebte, ballte sich zur Faust.

Ich weiß, ich hab Dich warten lassen,

war viel zu lange von Dir weg.

Aber jetzt blick ich erst,

was ich alles falsch gemacht hab.

Kann nicht mehr atmen, wenn ich nur daran denk,

dass ich Dich verlieren könnte,

und Du mir nicht verzeihst.

Ich geh auf die Knie,

bitte hör mir zu

und lass mich noch mal Deine Hand halten.

Auch wenn mich sein nasses Haar täuschen konnte, aber aus den Wimpern seines rechten Auges löste sich eine einzelne Träne. Fasziniert sah ich, wie sie sich ihren Weg auf seiner Wange suchte und dann unwiederbringlich in den Schaum fiel.

Es tut mir leid, dass ich Dich angelogen hab,

dass ich mich mit Dir gestritten hab,

dass ich Dir dutzende Male nicht gezeigt hab, wie sehr ich Dich liebe.

Es tut mir leid, dass ich nur an mich gedacht hab.

Aber es ist immer noch so –

Dass ich Dich liebe.

Und das werde ich immer tun. (*Reeve, Thommy: I’m Sorry)

Der Song war schon eine Weile zu Ende und ich stand hier immer noch vor ihm. Mittlerweile war mir die ganze Tragweite der Zeilen zu Bewusstsein gekommen. Ich hatte einem Boy gerade gestanden, dass ich ihn liebte und ich meinte es wirklich so. Das war MIR bei dem Song klar geworden. Nur wusste ich jetzt nicht weiter. Zögernd legte ich mein Handy auf den Stuhl neben der Wanne und drehte mich langsam um. Etwas enttäuscht schlich ich zur Tür.

„Arrét“, hörte ich ihn in meinem Rücken hauchen. Schnell drehte ich mich ihm wieder zu. Seine Augen hatten einen unglaublichen Glanz, schauten aber unsicher zu mir.

„Ist das wirklich wahr?“, fragte er leise. Es war fast nur ein Wispern.

„Ja, absolut“, antwortete ich ihm ernst und in tiefster Überzeugung. In diesen wunderschönen Augen tauchte jetzt ein Glimmen auf, das ich nicht einzuordnen wusste, mich aber fast willenlos machte. Fast bedauernd riss ich mich von diesem Blick los und verließ nun doch das Bad. Schwer atmend lehnte ich mich dann an die geschlossene Tür und versuchte etwas Ordnung in meine Gefühle zu bekommen. Natürlich wusste ich immer noch nicht, wie er zu mir stand, aber diese Entscheidung musste er ja selbst treffen. Ich hatte mich ihm offenbart und fühlte mich richtig gut dabei.

Ruwen

Ich lag in der heißen Wanne und mir war kalt, fürchterlich kalt. Nur kam diese Kälte nicht von außen. Sie war in mir, sehr tief, und hockte dort wie ein überdimensionaler Eisblock. In den letzten Tagen hatte ich mich ihr einfach ergeben und lebte wieder in meiner Vergangenheit. Natürlich versuchte ich die schönen Zeiten auszugraben, aber kam immer wieder sehr schnell zum grausigen Ende.

Und nun war jemand gekommen und rüttelte an den Eisketten. Jemand, den ich hier nie erwartet hätte und den ich eigentlich vergessen wollte. Jetzt hatte es knapp eine Stunde gebraucht, um an meinen selbst auferlegten Fesseln zu rütteln und all meine Wünsche wieder zu reanimieren. Da, nur eine Tür von mir entfernt, saß der Junge meiner Träume und hatte mir eben etwas ganz Unfassbares gestanden. Verträumt schaute ich auf das Handy und spielte mir noch einmal den Song vor.

Sollte es wirklich so einfach sein? Bot sich hier eine Chance – meine Chance?

Das würde ich nur in dem anderen Raum klären können und so langsam erwärmte ich mich wieder. Oberflächlich trocknete ich mich ab und warf mir einen Bademantel über. Lächelnd nahm ich sein Handy und verließ das Bad. Da saß er in einem Sessel und stierte auf seine Finger, die verkrampft ineinander verschlungen waren.

„Etwas dick aufgetragen, oder?“, riss ich ihn aus seinen Überlegungen. Sein Kopf zuckte nach oben und er sah mich verwirrt an. Ich ließ in meiner Hand sein Handy aufblitzen.

„Aber nur ein klein wenig“, lächelte er mich schief an. Er sah verdammt unsicher aus und da war nichts mehr von seiner Arroganz und Machoart übrig. Wortlos legte ich sein Handy neben ihn auf den Tisch und platzierte mich auf der anderen Seite auf der Couch. Seine Augen waren mir die ganze Zeit gefolgt.

„Alessio, warum bist Du hier?“, fragte ich ihn leise.

„Wegen Dir“, kam die sofortige Antwort, aber ich sah ihn weiter fragend an. Zögernd brach unser Blickkontakt, und mit einer Hand rieb er sich über seine Augen.

„Wegen mir“, wisperte er tonlos. Dieser Junge war total zerrissen, und trotzdem hatte er mir mehr oder weniger indirekt seine Liebe gestanden. Und er war durch die halbe Welt hierher gekommen.

„Ich möchte nur sicher sein, das es diesmal nicht nur wieder der pure Sex ist“, konnte ich mir trotzdem ein Teil meiner früheren Verärgerung nicht verkneifen.

„Nein!“, stieß er heftig hervor.

„Kein Sex mehr?“, neckte ich ihn und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Sein Kopf schoss wieder nach oben und seine Augen funkelten.

„Du Arsch…, ich…, ich weiß nicht so recht… und DU? Du machst Dich lustig über mich?“, fuhr er verärgert auf.

„Ich würde mich nie über Dich lustig machen, niemals! Jedoch manchmal muss man Dich aus der Reserve locken. Außerdem waren unsere letzte Zusammentreffen bei Dir nur durch einen Gedanken beherrscht, oder?“ Er hielt tapfer meinem Blick stand und der Hauch der Verärgerung wich wieder der Unsicherheit. Seine Augen hatten jedoch für mich nicht die Spur ihrer Faszination verloren.

„Seitdem hat sich Einiges geändert“, gestand er mir.

„Ich weiß Deine musikalische Offenbarung sehr wohl zu schätzen, aber wenn ich meinem Leben wieder einen Sinn und Inhalt gebe, dann muss das von Bestand sein“, murmelte ich leise und versuchte krampfhaft, die aufkommenden Bilder auszuschalten.

„Deinem Leben?“, fragte er fassungslos.

„Seit vier Jahren existiere ich nur noch, Leben kann ich das nicht nennen“, sagte ich mehr zu mir als zu Alessio.

„Was ist passiert?“, hörte ich ihn leise fragen. Diesmal war ich es, der den Blickkontakt brach und mein Gesicht hinter den Händen verbarg. So gern ich diese Last von meinen Schultern nehmen wollte, ich konnte nicht darüber reden – die Kraft hatte ich einfach nicht. Hinter meinen Händen schüttelte ich langsam meinen Kopf.

„Gibst Du mir denn eine Chance?“, kam es fast verzweifelt von ihm.

„Du weißt, wie ich zu Dir stehe und daran hat sich in den letzten Tagen nichts geändert. Der Alessio, den ich in Deutschland verlassen habe, hätte keine Chance mehr verdient…“, begann ich leise und nahm die Hände von meinen Gesicht. Mein Gegenüber sah mich gebannt an, sein Gesichtsausdruck war eine Mischung von Hoffnung und Verzweiflung.

„…aber der Junge, der jetzt hier sitzt, hat sich einen Neuanfang erarbeitet und mehr als verdient“, offenbarte ich ihm meine Empfindungen. Als er den Inhalt der Worte verarbeitet hatte, lächelte er scheu. Zudem lief er leicht rosa an und dieses Gesamtbild schrie regelrecht danach, ihn zu vernaschen, nur…

…war ich ja genauso schüchtern wie er gerade und beobachtete ihn somit lieber. Ein kleines Seufzen konnte ich mir dann doch nicht verkneifen.

„Was?“, sprang er sofort darauf an.

„Ach nichts“, murmelte ich mit dem gewissen Unterton, der ihn einfach keine Ruhe lassen würde. Zweifelnd sah er mich an und man konnte regelrecht den Kampf hinter seiner Stirn beobachten, den er da mit seiner Neugierde austrug.

„Rück schon raus“, brummte er.

„Ab und an wäre mir der kleine Macho schon recht“, griente ich ihn an.

„Ich bin kein Macho“, maulte er herum.

„Ach ne“, neckte ich ihn weiter.

„Nein, wirklich nicht. Nur Deine lässige Art und Weise manchmal lässt bei mir so ein paar Sicherungen durchbrennen“, gestand er mir und war wohl von seiner Offenheit selbst überrascht.

„Ich und lässig?“, wiederholte ich und war total baff.

„Oh ja“, kam es mit dem Brustton der Überzeugung. Ich konnte mir nur mit Mühe ein Kichern verkneifen.

„Wenn Du nur halbwegs so gut über Kerle Bescheid wissen würdest wie über Mädels, dann…“, den Rest verkniff ich mir dann doch lieber.

„Dann was?“

„Oh man, Alessio, Du hättest manchmal nur mit den Finger schnipsen brauchen, und ich wäre willenlos in Deinem Bett gelandet“, gab ich nun meinerseits zu. Erstaunt sah er mich an und den Geistesblitz, den er gerade hatte, konnte ich sehr gut sehen.

„Und meine Wandlung zum Macho hat alles wieder zunichte gemacht“, schlussfolgerte er zerknirscht. Leicht nickte ich mit dem Kopf.

„Mist“, entfuhr es ihm, aber dann besann er sich und sah mich unergründlich an.

„Aber ich glaube, so ist es mir lieber“, sagte er geheimnisvoll. Sein Blick schweifte über den Tisch. Auf einmal grinste er und das ziemlich frech. Ich folgte seinem Blick. Er würde doch nicht?

„Ach schau an, so was kennt man hier auch?“, brubbelte er vor sich hin. Dann setzte er ein verführerisches Lächeln auf.

„Und eine kleine Wette gefällig, Mr. Holland?“

„Kommt auf den Einsatz an“, antwortete ich trocken.

„Nicht mehr, aber auch nicht weniger als letztes Mal“, schmunzelte er spitzbübisch. Mir wurde heiß, fürchterlich heiß. Er flirtete mit mir nun sehr direkt. Eben wussten wir beide nicht mehr weiter und nun diese bescheuerte Schale voller Walnüsse. Meine Kehle war sehr trocken und ich bekam keinen Ton heraus. Seine langen schlanken Finger griffen nach einer Nuss und ließ sie in seiner großen Hand verschwinden. Unsere Blicke trafen sich und seine Augen fingen an zu leuchten.

„Aber diesmal machen wir es anders herum: Du musst die Nuss knacken und ich bin der Einsatz“, schlug er mir frech grinsend vor.

„Ich kann das nicht“, murmelte ich leise und mein Puls fing an zu rasen. Bedächtig erhob er sich, angelte sich noch eine Nuss während er um den Tisch ging und stand dann so nah vor mir, viel zu nah! Ich saß wieder wie das Kaninchen vor der Schlange und war zu keiner vernünftigen Handlung fähig. Innerhalb von Sekunden hatte mich seine Ausstrahlung willenlos gemacht, und diesmal wusste er ja von dieser Wirkung. Er hockte sich vor mir hin und sein Geruch stieg mir nun noch zusätzlich in die Nase.

„Ich zeig es Dir“, flüsterte er und seine Hand berührte die meine. Dieses Mal waren die kleinen Stromschläge so stark, dass sich meine Härchen auf der Hand und den Unterarm aufstellten. Erstaunt sah ich, dass sich bei ihm eine Gänsehaut auf dem Arm ausbreitete. Behutsam legte er die beiden Nüsse in meine Hand, rückte sie in die richtige Position und umschloss meine Hand mit seiner. Sein Daumen strich sanft über meinen Handrücken und meine Augen suchten mal wieder Kontakt zu seinen.

„Hm, Mr. Richter, wollen Sie mich etwa verführen?“, flüsterte ich heiser.

„Wer sitzt denn hier nur mit einem Bademantel leicht bekleidet?“, konterte er mit rauchiger Stimme. Dann übten seine Finger Druck auf meine Hand aus und unter leisem Knirschen knackte ich die Walnuss.

„Siehst Du, so einfach ist das“, hauchte er und ich war mir nicht sicher, was er damit meinte. Achtlos ließ ich die Schalen und deren Inhalt auf den Tisch fallen und angelte sofort wieder nach seiner Hand. Als ob unsere Finger ein Eigenleben hätten, verschlangen sie sich ineinander, und fasziniert beobachtete ich dieses Schauspiel. Alessio stand vorsichtig auf und glitt auf meinen Schoß. Er setzte sich mit geöffneten Beinen auf meine Oberschenkel und rutschte sehr nah an mich heran. Ich war zu sehr in seinen schwarzen Augen versunken, um mich zu wehren, aber wollte ich das überhaupt?

„Weißt Du eigentlich, was für unglaublich blaue Augen Du hast?“, fragte mich Alessio sehr heiser.

„Ich habe unglaubliche Augen, ICH?“

„Oh ja, wie tiefe klare Bergseen, und gerade bringt mich ihr Glitzern um den letzten Verstand“, hauchte er leise. Seine linke Hand tauchte in meinem Sichtfeld auf und verharrte vor einer widerspenstigen blonden Locke, die vor meinem rechten Auge hing.

„Darf ich?“, hörte ich ihn schüchtern fragen. Mit den Augen signalisierte ich ihm mein Einverständnis, denn meine Stimme war mir abhanden gekommen. Zärtlich strich er mein Haar beiseite und ließ seine Finger über meine Wange in meinen Nacken wandern.

Und dann sah ich nur noch seine roten, vollen, leicht geöffneten Lippen auf mich zukommen. Obwohl ich mich auf diesen kommenden Zusammenstoß mit ihm innerlich vorbereitete, haute mich die Berührung doch aus den Latschen. Seine Lippen waren heiß und seine Zunge vorwitzig. Bereitwillig öffnete ich meine Lippen und vorsichtig ging seine Zungenspitze auf Erkundung. Seine Hand wanderte von meinem Nacken über den Hals in meinen Ausschnitt des Bademantels. Als seine Finger sanft über meine Brust strichen, wurde mein Kuss gieriger und ich saugte mich an seinen Lippen fest. Ein anderes Körperteil war längst schon durchgestartet und der Bademantel zeigte zu offensichtlich, wie es um mich bestellt war.

„Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich“, trällerte es auf einmal lustig aus Alessios Hose. Ich musste mich von diesen Wahnsinnslippen lösen, weil ich erstens keine Luft mehr bekam und zweitens sich gerade ein Kichern in mir breit machte.

„So’n Mist“, knurrte Alessio und angelte nach dem witzigen Störenfried in seiner Hose. Da meine Augen ja seiner Hand gefolgt waren, sah ich, dass es meinem kleinen Macho auch sehr eng in der Hose geworden war. Endlich hatte er sein Handy aus der Tasche gefummelt und nahm das Gespräch entgegen.

Dem „Ja“ folgte ein „hm“, dann ein „Ähm“ – schien ein sehr interessantes Gespräch zu sein. Mich musste irgendwie der Teufel geritten haben, denn ich ließ meine Finger über das streichen, was sich zwischen den beiden Hosentaschen mächtig hervorhob. Alessio konnte sich ein kleines Aufstöhnen nicht verkneifen und seine Augen blitzten mich an.

„Hier, für Dich“, knurrte er und drückte mir das Handy in die Hand. Dann hörte ich noch ein gemurmeltes „Na warte“ und bekam einen sanften Schlag auf meine vorwitzigen Finger. Ich nahm das Handy an mein Ohr.

„Was macht Ihr denn da?“, hörte ich eine wohlbekannte Stimme aus dem Handy krähen.

„Katyyy?“, musste ich mich dann doch vergewissern und beobachtete Alessio argwöhnisch. Dieser hatte seine Augen an meinem Körper herunterwandern lassen und als er den erhobenen Bademantel vor seinen geöffneten Oberschenkeln sah, nur amüsiert die Augenbraue hochgezogen.

„Nenn MICH nicht so“, hörte ich sie postwendend meckern. Ich konnte mich wahrlich nicht auf sie konzentrieren, denn die Hand, die er aus meinem Bademantel genommen hatte, wanderte an diesem langsam nach unten und machte mich tierisch nervös.

„Wie geht es Dir, Ruwyschenchen?“, fragte sie besorgt. Nur beobachtete ich gebannt lange schlanke Finger, die einer Stelle gefährlich immer näher kamen. Fast fassungslos schaute ich ihn an und seine Lippen umspielte ein diabolisches Lächeln.

„Ähm, ja“, murmelte ich heiser.

‚Er würde doch etwa nicht???‘

„Ruwen?“, drängelte meine Gesprächspartnerin.

„Oh“, stöhnte ich auf, denn Alessios Finger waren unter meinen Bademantel gehuscht und die Kuppen strichen sanft über die nackte Innenseite meines Oberschenkels. Der Hallodri nutzte die Situation schamlos aus. Seine Wangen waren leicht gerötet und seine Zungenspitze huschte zwischen seinen leicht geöffneten Lippen hin und her. Ich musste dem Einhalt gebieten.

„Alessio, STOPP“, keuchte ich und welch Wunder, seine Finger verharrten.

„Katrin, mir geht es gut, Alessio ist hier und ich meld mich wieder, CU“, nuschelte ich rasend schnell ins Telefon und ihren Protestschrei drückte ich fast gleichzeitig mit dem Handy aus. Mit einer fahrigen Handbewegung warf ich sein Handy auf den Tisch und sah ihn mit funkelnden Augen an. Sein Lächeln verflog und er wurde unsicher. Fest aber trotzdem sanft umschloss ich sein Handgelenk und zog die Hand aus meiner gefährdeten Körpergegend heraus. Natürlich wollte ein Teil von mir das gar nicht, aber ich musste so lange eine Grenze ziehen, wie ich es noch konnte.

„Alessio, bitte nicht“, forderte ich ihn mit nervöser Stimme auf.

„Erklär es mir“, kam seine Gegenforderung.

„Na ja, ich bin Dir etwas im Nachteil bei der Bekleidung“, druckste ich um den wahren Grund herum und so gut schien er mich schon zu kennen, dass er darauf nicht einging und nur wieder seine Augenbraue hob.

„Okay, das ist für mich, ähm…, na ja, das erste …“, stotterte ich grauenhaft in der Gegend herum und wurde knallrot.

„Für mich doch auch“, flüsterte er und lächelte verlegen.

„Was?“, entfuhr es mir erstaunt.

„Mit einem so süßen Kerl wie Dir“, schob er jetzt errötend hinterher.

„Lass uns einfach langsam machen?“, murmelte ich mächtig zerrissen. Einerseits wusste ich nicht, was ich machen sollte und wie ich es machen sollte, und anderseits schrie dieser schnuckelige Boy nur danach, vernascht zu werden.

„Natürlich“, antwortete er und mir war, als würde ich eine gewisse Erleichterung hören.

„Aber ein Kuss ist erlaubt“, fragte er lauernd.

„Blödmann“, nuschelte ich und versank schon wieder in diesen Augen. Er rückte noch dichter an mich heran und seine Lippen eroberten gierig meinen Mund. Also küssen konnte er, auch wenn mir eigentlich Vergleichsmöglichkeiten fehlten – ich ergab mich einfach diesen unglaublichen Gefühlen. Seine Finger stahlen sich wieder unter meinen Bademantel und liebkosten meine Brust. Ich zahlte es ihm damit heim, dass eine Hand seinen Nacken packte und die andere seinen knackigen Hintern erkundete, jedoch schön sittsam über der Jeans. Es war wie in meinen Träumen und noch viel schöner.

Mir kam es so vor, als würden wir stundenlang an unseren Lippen hängen und einfach die Anwesenheit des Anderen genießen. Atemlos lösten wir uns und versuchten die Stimmung des Partners zu erkunden. Seine Augen glitzerten verliebt, aber es war auch eine ordentliche Portion Lust darin zu sehen. Dieser ließ er nun auch wieder freien Lauf und seine Finger strichen über meinen Bademantel. Beim Gürtel verweilten sie und fragend sah er mich an. Mir fuhr der Schreck fürchterlich in die Glieder.

„Bitte nicht“, murmelte ich tonlos, denn ich schämte mich auf einmal sehr vor dem, was er sehen würde. Er bekam meinen Stimmungsumschwung nicht mit.

„Vielleicht sollte ich bei mir anfangen“, bot er lächelnd an. Als Antwort schob ich ihn von meinen Schenkeln und stand langsam auf.

„Hab ich etwas falsch gemacht?“, hörte ich ihn leise fragen.

„Nein, Du nicht“, antwortete ich mit dem Rücken zu ihm und verschwand im Schlafzimmer. Schnell fand ich ein paar Sachen und kleidete mich an. Währenddessen kämpfte ich gegen meinen wieder aufgetauchten Dämonen.

Warum ließen sie mir nicht ein wenig Zeit zum Aufatmen?

‚Weil Du nur deswegen hierher gekommen bist!‘, antwortete eine Stimme eisig in meinem Kopf.

‚Aber jetzt hatte sich ALLES geändert!‘, stritt ich heftig mit dieser Stimme.

‚Nein, der Tod ist endgültig‘, kam ihre unmenschliche Antwort.

„Leck mich“, knurrte ich angewidert und brachte sie zum Schweigen. Wütend riss ich die Tür auf und Alessio sah mich erschrocken an. Ich brauchte dringend Ablenkung, damit ich nicht wider diesen düstereren Betrachtungen verfiel.

„Los komm, ich zeig Dir meine Stadt“, kam es etwas zu laut von mir und er sah mich zweifelnd an. Energisch streckte ich ihm meine Hand entgegen und als sich seine Finger um meine schlangen, durchströmte mich ein wenig von seiner Ruhe. In einem vom Hotel bereitgestellten Wagen chauffierte ich ihn durch Victoria und versuchte ihm die Reize dieser Stadt näher zu bringen. Ob mir das so recht gelang, wagte ich zu bezweifeln, denn zwei Sachen sprachen dagegen. Erstens machte Victoria in diesem Schneechaos keine solche rühmliche Figur und zweitens schien der junge Mann auf dem Beifahrersitz mehr an anderen Reizen interessiert, denn er ließ mich kaum aus den Augen.

Nach über einer Stunde war mir klar, dass das eine bescheuerte Idee von mir gewesen war, denn fast jede Ecke hier in der Innenstadt offenbarte mir ein Stück Vergangenheit. Alessio bemerkte meine steigende Anspannung.

„Lass uns zum Hotel zurückfahren?“, forderte er mich auf.

„Aber Du hast noch nicht einmal die Hälfte gesehen“, wehrte ich mich schwach.

„Die einzige Sehenswürdigkeit, an der ich wirklich Interesse habe, sitzt hier mit mir im Auto“, grinste er mich frech an.

„Die lässt sich aber nicht besteigen“, rutschte mir prompt als Antwort heraus und sein noch frecheres Grinsen wies mich umgehend auf meinen sprachlichen Lapsus hin.

„Du bist total versaut“, grummelte ich, konnte mir jedoch das Lachen nicht ganz verkneifen.

„Iiiich?? Wer macht den hier solche Aussagen?“, konterte er. Meine Zunge als Antwort musste genügen, denn der Verkehr wurde dichter, und was machte der Kerl? Hauchte mir doch wirklich einen Kuss zu!

„Da kann ich mich nicht auf den Verkehr konzentrieren“, maulte ich herum, als sich komischerweise auch noch eine Hand auf meinen Oberschenkel verirrte.

„Och, da war nur ein Fussel“, kicherte er vor sich hin. Unter solchen ständigen Neckereien suchte ich wieder einen schnellen Weg zurück ins Hotel. Kurz vor der Unterkunft fing Alessios Magen vernehmlich an zu knurren, und wir machten einen kleinen Abstecher in das exquisite Restaurant. Als wir dann ohne zu bezahlen einfach aufstanden und gemütlich zum Fahrstuhl schlenderten, schaute er mich doch erstaunt an. Auch wenn er bei der Sightseeingtour etwas uninteressiert wirkte, konnte ich nun die eine oder andere Frage auf seinem Gesicht ablesen. Nur hielt er seine Neugierde im Zaum und trat im Fahrstuhl sehr dicht an mich heran. Seine Nähe machte mich schlagartig nervös, denn seine Wirkung auf mich hatte den ganzen Tag nicht nachgelassen, eher immer mehr zugenommen.

„Du machst mich einfach verrückt“, flüsterte ich heiser.

„Warum soll es Dir anders gehen als mir?“, schnurrte er und schlang seine Arme um mich. Ich spürte seinen warmen Atem über meine Wange streichen und einen Augenblick später knabberte er an meinem Ohrläppchen.

„Ding“, machte sich der Fahrstuhl bemerkbar. Wir hatten unser Stockwerk erreicht und widerstrebend machte sich Alessio von mir los. Als wir dann das Hotelzimmer erreicht hatten und sich die Tür hinter uns schloss, blieben wir beide ein paar Schritte voneinander getrennt stehen und beobachteten jeweils den Anderen. Ich konnte es noch nicht so richtig fassen, dass dieser Boy da mein Freund sein sollte. Er war ein absolutes Prachtexemplar und besonders machte es mich an, wenn er so ein wenig schüchtern mit erröteten Wangen zu mir herüberschaute.

„Komm endlich her und küss mich“, knurrte ich.

„Immer wieder gern, Blondy“, neckte er mich mit einem schelmischen Lächeln.

„Macho“, brubbelte ich zurück.

„Ist doch lieb gemeint“, hauchte er nun sehr dicht bei mir, und seine Lippen nahmen mir jede Antwortmöglichkeit. Das hier war mir auch viel lieber als ein Streitgespräch. So standen wir immer noch an der Tür und schmusten herum. Irgendwann zog ich ihn einfach mit zur Couch und wir sanken ineinander verschlungen darauf nieder. Mein kleiner Macho war verdammt liebesbedürftig und zeigte mir das auch. Ich war ihm aber ebenso dafür dankbar, dass er keine Fragen stellte.

Unterbrochen wurde das Ganze von einem ausführlichen Telefonat mit Katrin, denn das war ich ihr schuldig. Sie wollte natürlich unbedingt wissen, warum ich vor ein paar Stunden das Gespräch beendet hatte. Zum Glück konnte sie meinen knallroten Kopf sowie den kichernden Alessio nicht sehen. Irgendwie tischte ich ihr halb glaubhaft eine krude Erklärung auf und sie gab sich zufrieden. Zum Schluss wollte sie doch wirklich noch Alessio sprechen und ich reichte das Telefon weiter. Er war ziemlich einsilbig, und zu meinem Erstaunen lief er dann rot an.

Die Zeit war schnell verflogen und wir saßen am frühen Abend immer noch auf der Couch. Alessio hatte seinen Kopf in meinen Schoss gelegt und die Augen geschlossen. Er machte allgemein einen müden Eindruck und schlummerte ein wenig vor sich hin. Ich konnte meine Finger nicht von ihm lassen und erkundete sein Gesicht.

„Alessio?“, sprach ich ihn leise an.

„Hm“, murmelte er schläfrig.

„Was hältst Du von schlafen gehen?“ Sofort öffneten sich seine Augen und ein kleines lüsternes Glitzern konnte er nicht verstecken.

„Nicht miteinander, sondern nur schlafen“, brummte ich kopfschüttelnd. Und was machte er, zog einen kleinen Flunsch. Das konnte ich nicht so durchgehen lassen und meine Finger fanden zielsicher seine kitzligen Stellen.

„He, denk dran, im Bodenkampf bin ich besser“, kicherte er unter meinen Händen.

„Wirklich?“

„Können wir im Bett ausprobieren“, ließ er nicht locker.

„Mal im Ernst. Möchtest Du im Gästezimmer, hier auf der Couch oder mit im großen Doppelbett auf DEINER Seite schlafen?“

„Blöde Frage, Blondy“, hauchte er. Langsam erhob er sich und streckte mir seine Hand entgegen. Mit ihm im Schlepptau ging ich ins Schlafzimmer. Ich zeigte ihm noch kurz das Bad und verschwand im selbigen. Als ich ins Schlafzimmer zurückkam, war er schon im Bett verschwunden und sein Atem ging gleichmäßig. Vorsichtig legte ich mich auf meine Hälfte, denn ich wollte ihn nicht wecken. Es war unfassbar, was heute alles passiert war und das Ergebnis dessen lag hier vor mir im Bett. Ein letzten Blick auf meinen schlafenden Freund und dann löschte ich das Licht.

„Dichter, Blondy!“, hörte ich ihn in meiner Nähe murmeln, und fühlte schon seine Finger auf meinen Körper, die an mir herumzottelten. Nichts war mir lieber, und ich robbte ihm entgegen. Von Angesicht zu Angesicht kamen wir dann nebeneinander zu liegen und ich spürte seine Wärme. Alessio hauchte mir noch einen kleinen Kuss auf die Nasenspitze und Sekunden später schien er eingeschlafen. Mit einem sehr zufriedenen Lächeln entschwand auch ich in das Reich der Träume.

„Daaaaad, noooooooooo“, schrie ich laut und schreckte zitternd aus meinem Albtraum. Ich war schweißnass und vollkommen orientierungslos. Starke warme Hände zogen mich wieder auf das Bett. Ich spürte, wie jemand mich an sich zog und beruhigend auf mich einsprach. Ein Gefühl der Sicherheit legte sich über mich und ich kam zur Ruhe. Jemand wachte über mich und dies hatte ich jahrelang nicht mehr gefühlt. Diesem ergab ich mich und sank ich in einen erholsamen Schlaf.

Verschiedene Kleinigkeiten holten mich dann aus diesem Schlaf. Zuerst spürte ich einen warmen, sehr angenehmen Körper an meinem Rücken, der sich dort liebevoll anschmiegte. Starke Arme hielten mich umschlungen und ließen diesen Kontakt noch enger erscheinen. Warmer Atem strich über meinen Nacken und trockene heiße Lippen liebkosten ihn. Wohlig entspannte ich mich und gab mich diesem Kerl in meinem Rücken hin. Im Unterbewusstsein registrierte ich, dass seine langen Finger nicht über meinem Shirt waren. Er hatte seine Hände darunter geschoben und sie zeichnete sanfte Kreise auf meiner Haut. Als mir die Folgen dessen klar wurden, versteifte ich mich sofort.

„Sch, mein Großer. Es ist gut“, murmelte eine sanfte und sehr wache Stimme in mein Ohr.

„Nein, ich bin hässlich“, murmelte ich resigniert.

„Du und hässlich, so ein Blödsinn“, wies mich jemand energisch zurecht.

„Du hast es doch gefühlt“, antwortete ich trotzig.

„Ach, das hier meinst Du“, bestätigte er meinen bisherigen Verdacht, und seine Finger streichelten sanft über meine linke Oberkörperseite.

„Ja“, murmelte ich leise.

„Das gehört zu Dir, wie Deine herrlichen blauen Augen, Deine süße Stupsnase, Dein dichtes blondes Haar und all die anderen Dinge, die ich noch nicht kennen lernen durfte“, neckte er mich zum Schluss seines Satzes ein wenig. Dabei schob er sein Unterleib noch etwas dichter an meinen Hintern, und ich spürte seine Erregung. Unter seinen Worten und Fingern entspannte ich mich wieder und schämte mich nicht mehr.

„Darf ich es sehen?“, fragte er vorsichtig. In mir schrie alles nach einer Ablehnung, aber ich nickte leicht. Irgendwie schaffte er es, mich von meinem Shirt zu befreien, ohne den Kontakt zwischen uns abbrechen zu lassen. Überrascht keuchte ich auf, als ich seine nackte Brust an meinem Rücken spürte. Der Schlawiner hatte seins schon gar nicht mehr an. Zuerst glitten nur seine Finger über meine Stellen, die ich so gerne verborgen hielt. Dann richtete er sich hinter mir leicht auf und ich schloss meine Augen. Und wieder überraschte er mich, als ich seine warmen Lippen auf meinen Oberkörper spürte. Sanft zwang er mich auf den Rücken und ich öffnete meine Augen. Schwarze leuchtende Augen schauten mich liebevoll an und er glitt auf mich drauf.

„Ich mag Männer mit Narben“, flüsterte er mir zu und keine Spur von Ekel war zu spüren. Meine Antwort war ein gieriger Kuss und meine Hände wanderten über sein Rücken zu seinem Allerwertesten. Ich konnte mir ein kleines Auflachen nicht verkneifen, als ich den Stoff seiner Shorts spürte. Alessio löste sich von mir und sah mich grübelnd an.

„Lachst Du mich aus?“, knurrte er leise.

„Nein, ich war mir nur nicht sicher, wie weit Du gehen würdest“, grinste ich ihn frech an und zupfte an seinen Shorts. Ein verlegendes Lächeln war seine Antwort.

„Das läuft uns nicht weg“, kam es ehrlich von ihm.

„Alessio, lass uns nach Deutschland fliegen. Übermorgen ist Weihnachten und dann gehörst Du zu Deiner Familie“, gab ich ihm eine spontane Idee von mir bekannt. Seltsamerweise drückte sein Gesicht nicht unbändige Freude aus.

„Ich kann mit Dir nicht hier bleiben, zu viele Erinnerungen“, murmelte ich entschuldigend.

„Natürlich.“ Nur sehr überzeugend klang das nicht.

„Kann es sein, dass wir beide vor etwas davonlaufen wollen?“, fragte ich und sah ihn forschend an.

„Meine Mutter wollte nicht, dass ich hierher fahre“, gestand er mir.

„Sie mag mich nicht, nicht wahr?“

„Nein“, murmelte er niedergeschlagen.

„Und nun?“, hakte ich nach. Seine Augen nahmen einen kämpferischen Blick an.

„Bis gestern war ich mir selbst nicht sicher, war wie zerrissen, und dann habe ich gespürt, was mir bisher gefehlt hat…“, sprach er mehr zu sich selbst als zu mir.

„…und das ist der Kerl hier unter mir und den geb ich nicht wieder so einfach her“, schloss er seine kleine Selbsterkenntnis und lächelte mich liebevoll an.

Alessio

‚Hatte ich das eben wirklich laut gesagt?‘, fuhr mir durch den Kopf. Sein Lächeln war Antwort genug. Und auch, wenn ich mir über Vieles noch nicht so im Klaren war und in den letzten Tagen mehr passiert war, als ich verkraften konnte, meinte ich es genau so.

Ich lag hier auf der süßesten Versuchung, seit es für mich Sex gab – da kam keine Frau heran, nicht mal annähernd. Es war nicht nur die pure Geilheit wie bei ihnen, sondern dieses Kribbeln bei jeder Berührung, dieses rasende Herzklopfen, wenn mich seine blauen Augen so ansahen und seine vorwitzigen Finger, die gerade glühende Spuren auf meinem Hintern hinterließen, und das AUF dem Stoff.

Eine Frau hätte ich schon längst flach gelegt, aber bei diesem Boy hatte ich Hemmungen. Sein Geständnis gestern, dass es für ihn das Erste Mal sei und er erst alles langsam erkunden wollte, hatte mich mehr berührt, als ich mir eingestehen wollte, und vor allem sprach er mir aus dem Herzen. Ich wollte das genießen, und allein schon unser Herumgeknutsche gestern war der Hammer. Diese zarte Haut unter meinen Fingern, seine sensible Brust, die sofort auf meine Streicheleinheiten reagierte, brachten mich fast mehrmals über die Schwelle zum Orgasmus. Und dann…

…pennte ich einfach weg! Anstatt meine Hände weiter wandern zu lassen, versetzte mir die Müdigkeit mit ihren imaginären Hammer einen sanften Schlag und weg war ich. War es die Ruhe, die er ausstrahlte, oder eher die Geborgenheit, die ich fühlte?

Wie ich schlussendlich ins Bett kam, wusste ich nachher nicht mehr. Seine aufkommende Unruhe holte mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Er warf sich im großen Bett hin und her und war es wohl nicht gewohnt, dass er es mit einem Menschen teilte. Ziemlich rüde traf mich seine Hand nicht nur einmal, und dann schrie er unmenschlich auf. Zitternd saß er neben mir im Bett und mir gingen seine seelischen Schmerzen sehr nahe. Sanft zog ich ihn wieder auf das Bett und schob mich dicht an ihn heran. Leise redete ich auf ihn ein und schloss ihn in meine Arme. Meine Brust ruhte an seinem schweißnassen Rücken und sein Zittern ebbte langsam ab. Sein Atem wurde ruhiger und gleichmäßiger. Welche Dämonen piesackten meinen blonden Engel? Mit diesen Gedanken versank ich auch wieder in einen leichten Schlaf. Am frühen Morgen war ich jedoch innerhalb von Sekunden hellwach und konnte nicht mehr einschlafen. Mein Shirt war mittlerweile ebenfalls durchnässt und so befreite ich mich davon. Ruwen wurde unruhig, als ich mich von ihm löste und nach einem kurzen Gang auf die Toilette nahm ich nur sehr bereitwillig den Platz an seiner Seite wieder ein. Eine Weile lag ich nur so da und genoss die Wärme seines Körpers. Jedoch meine Finger wollten ihn kennen lernen. Mit leicht schlechtem Gewissen schob ich sie unter sein Shirt. Auf keinen Fall wollte ich, dass er dachte, ich würde die Situation ausnutzen, aber sein Körper übte einen unglaublich magischen Reiz auf mich aus. Seine Reaktion kam fast sofort, er brummte irgendetwas und kuschelte sich noch dichter an mich heran. So nahm ich das einmal als Zustimmung und ließ meine Finger wandern. Wir lagen beide auf der rechten Seite, und dadurch konnte ich seine linke Seite erkunden. Meine Fingerkuppen stießen auf der linken Seite auf unebene Haut, fast erschrocken keuchte ich auf. Vorsichtig zeichnete ich diese Unebenheit nach, die sich von seinem Bauchnabel über die linke Seite fast bis zu sein Rückgrat hinzog. Kurz unter seiner Brust hörte sie auf und die Shorts war die Abgrenzung nach unten. Ich hatte mal ein Mädel gehabt, die so etwas Ähnliches auf ihren Fuß hatte, und somit erkannte ich es mühelos als eine Brandnarbe.

Was für eine Geschichte verbarg sich dahinter? War das die Vergangenheit, die ihn heute Nacht aus den Schlaf gerissen hatte? Die Zeit verflog bei solchen Grübeleien wie im Fluge und ich hatte begonnen, meinen Liebkosungen mit den Fingern welche mit meinen Lippen hinzuzufügen. Diese weiche Haut in seinem Nacken lud regelrecht zum Küssen und Knabbern ein. So holte ich ihn wohl sacht aus seinem Schlaf, denn er räkelte sich wohlig unter meinen Händen. Plötzlich versteifte er und ich redete beruhigend auf ihn ein.

„Nein, ich bin hässlich“, murmelte er leise in das Kopfkissen und ich wusste sofort, was er meinte. Zum Glück konnte ich ihm diesen Blödsinn ausreden, denn an diesem Traumtypen war nur eins hässlich, und das waren seine Erinnerungen. Er vertraute mir sogar soweit, dass ich mir seine Narbe anschauen konnte. Doch als ich erst einmal seine nackte Haut auf meiner spürte, wäre es fast geschehen. Seit Stunden lag meine Erregung dicht an seinen knackigen Hintern gedrückt – ich musste mich sehr zusammen reißen, um ihm nicht auch die Shorts herunterzureißen.

Und was machte er?

Nachdem ich seine Narbe mit meinen Fingern, Augen und Lippen erkundet hatte, seine warme Haut auf meinen Lippen spürte und ihn vor mich auf den Rücken zwang – öffnete er seine Augen und ich versank in endlos tiefen Bergseen. Ich glitt sanft auf ihn und wollte diesen Jungen mit Haut und Haaren, mit all seinen kleinen Fehlern.

Und er? Zupfte an meinen Shorts und kicherte leise in sich hinein. Da hatte einer sehr genau meine Hintergedanken erraten und seine Direktheit machte mich verlegen. Der pure Sex mit ihm konnte warten – irgendwann würde uns keiner mehr halten können.

Meine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück und ich war mir noch nie eines Kampfes so sicher gewesen. Wegen Ruwen würde ich auch gegen meine Mutter kämpfen, da war ich mir absolut sicher.

„Ich müsste mal ein paar Anrufe tätigen“, grummelte er unter mir, machte aber überhaupt keine Anstalten, das Bett zu verlassen.

„Und was hält Dich auf?“, grinste ich ihn frech an und knabberte an seinen Lippen.

„Auuuu“, grunzte ich gespielt entrüstet auf, denn er hatte mir doch wirklich in meinen Allerwertesten gekniffen.

„Das hier“, griente er siegessicher über beide Wangen.

„Na warte, Freundchen“, knurrte ich, griff mir seine Handgelenke und fixierte seine Hände mit meinen über seinem Kopf, so dass sie nicht auf weitere Dummheiten kommen konnten. Dadurch thronte ich ein wenig über ihm und hatte die Gewalt über diesen Kerl…

…dachte ich jedenfalls…

…er öffnete seine Schenkel und ich rutschte zwischen sie, dann umschlang er mich mit seinen langen Beinen und ehe ich mich versah, lag ich unten und er oben.

„Soviel zu der Aussage ‚Im Bodenkampf unbesiegbar‘“, lächelte er geheimnisvoll und gab mir einen kleinen Kuss auf meine Nase. Dann schwang er sich von mir herunter und blieb kurz neben dem Bett stehen. Sein Blick wanderte über meinen Körper und nahm einen lüsternen Ausdruck an. Fast bedauernd riss er sich los und lächelte mich verlegen an.

„Los, troll Dich, sonst…“, grinste ich frech und gab ihm einen sanften Klaps auf den knackigen Po. Mit einem Flunsch verschwand er im Bad und Sekunden später hörte ich das Wasser rauschen. Nach dem Frühstück, welches wir unten im Restaurant einnahmen, musste ich sein Organisationstalent bewundern, denn nur eine Stunde später hatten wir einen Flug schon gegen Mittag des heutigen Tages und das in der Weihnachtszeit. Meine Neugier auf den Kerl an meiner Seite wuchs von Minute zu Minute – es gab so viele Rätsel, und je länger ich ihn um mich hatte, desto geheimnisvoller wurde er. Köstlich amüsierte er sich dann über meinen großen Koffer – konnte ich denn ahnen, dass wir nach knapp einem Tag schon wieder zurückfliegen würden? Er kam mit einem kleinen Handgepäck aus. So flog ich innerhalb von 48 Stunden das zweite Mal in meinem Leben, und das auch noch Businessclass. Nach einer Stunde Staunen langweilte ich mich jedoch, denn mein Schnuckel las in einem dicken Buch und mehr als die Finger seiner linken Hand überließ er mir nicht.

„Blondyyyy???“, quengelte ich.

„Grmpf“, knurrte er ungehalten. Ich zupfte als Antwort ein wenig an seinem Shirt herum. Widerstrebend löste er seinen Blick von dem Buch und schaute mich fragend an.

„Der Herr langweilt sich wohl“, schlussfolgerte er dann folgerichtig und schlug sein Buch zu.

„Und was wollen wir dagegen tun?“, fragte er leicht lächelnd.

„Mir würde da glatt was einfallen“, murmelte ich und lief rosa an.

„So ein kleiner versauter Macho“, grinste er provozierend, als er sich leicht zu mir herüberbeugte. Ich wich ihm etwas aus und schaute mich vorsichtig um, aber wir waren vollkommen ungestört und die wenigen anderen Mitreisenden in dieser Klasse konnten uns nicht sehen. Zu so vollkommen offenen Liebesbekundungen fühlte ich mich noch nicht in der Lage, aber als die Situation geklärt schien, küsste ich ihn stürmisch.

„So gierig“, flüsterte Ruwen atemlos, als wir uns wieder lösten.

„Eigentlich hatte ich ja etwas anderes im Sinn, aber das war besser“, grinste ich nun frech.

„Und was hat mein kleiner Wirbelwind so auf dem Herzen?“

„Na, ja…“, druckste ich herum.

„Trau Dich, mehr als Nein kann ich auch nicht sagen“, antwortete er.

„Hm, ich platze fast vor Neugierde, aber ich will Dir nicht weh tun“, gestand ich ihm. In seinen Augen stahl sich ein trauriger Schimmer und sein Gesichtsausdruck wurde leicht abwesend.

„Erzähl mir nur, was Du kannst“, versuchte ich ihm ein Ausweg zu zeigen.

„Leider ist alles miteinander verwoben, aber Du hast ein Recht darauf, mehr über mich zu erfahren“, murmelte er und sah mich ernst an.

„Nur…“, flüsterte er und ich sah, wie schwer ihm der Rest fiel „…nur zu Einigem bin ich noch nicht bereit.“

„Vielleicht erst ein wenig Familiengeschichte“, machte ich noch einen Vorschlag. Zögernd nahm ich seine Hand und ließ meinen Daumen über seinen Handrücken streichen.

„Okay. Meinen Grandpa scheinst Du ja schon kennen gelernt zu haben“, lächelte er mich dann spitzbübisch an.

„Nö, wie kommst denn darauf?“, tat ich sehr erstaunt.

„Oller Schwindler“, knurrte er und bestrafte mich mit einem langen Zungenkuss.

„Er hat zwar vorhin alles abgestritten, aber ohne ihn hättest Du mich kaum gefunden“, stellte er danach klar.

„Pff.“

„Eigentlich ist er ja an allem schuld!“

„He?“, machte ich verständnislos.

„Er hat mich überredet, wieder mit Judo anzufangen, und nach unseren ersten Zusammenstößen, die alles andere als erfolgsversprechend waren, klargemacht, dass ich nicht aufgeben sollte“, erklärte er.

„Er wusste von uns Beiden“, flutschte mir heraus und ich war baff.

„Nein, außer Katy habe ich niemanden gesagt, dass ich schwul bin, aber ich glaube, er ahnt so etwas, ansonsten…“, sprach er mehr zu sich als mit mir und sah mich prüfend an.

„Ansonsten?“

„Hätte er mir meinen kleinen Macho nicht nach Kanada geschickt,“ grinste er mich an und schob dann umso trauriger hinterher, „er war der Einzige, der sich einen Reim hätte machen können, wo ich mich aufhalte“.

„Sorry“, murmelte ich.

„Quatsch, und nun frag ruhig weiter“, sagte er und zwinkerte mir zu.

„Na ja, ohne Matze und Deiner Freundin wäre ich ja gar nicht bis zu Deinem Großvater gekommen“, gestand ich ihm. Ruwen stutzte und sah mich prüfend an, dann kicherte er doch wirklich los.

„Du warst auf Katy neidisch??“, fragte er gackernd.

„Nö“, entfuhr es mir entrüstet, aber meine gesunde Hautfarbe sagte etwas anderes.

„Wenn ich ihr das beichte“, kicherte er weiter.

„Untersteh Dich“, fauchte ich, konnte mir aber ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen.

„Jedenfalls ist sie sehr schlagfertig“, musste ich dann noch nachschieben, und rieb mir unbewusst meine Wange.

„Ne, oder?“, stieß er erstaunt hervor und seine Augen wurden tellergroß.

„Und ob!“, brubbelte ich und unterstützte die Aussage mit einem kräftigen Nicken. Ruwen beugte sich zu mir herüber und sein warmer Atem streifte meine Wange.

„Du Armer, hat es sehr weh getan?“, säuselte er und seine Lippen liebkosten meine Haut.

„Ganz fürchterlich“, murmelte ich mit weinerlicher Stimme. Jetzt war es mit unserer Beherrschung vorbei und wir kugelten uns vor Lachen.

„Hat sie Dir wirklich eine gescheuert?“, musste er dann noch einmal nachhaken.

„Das kann ich Dir flüstern“, knurrte ich immer noch atemlos vom Lachen. Und dann schilderte er mir, wie und wo er sie kennen gelernt hatte. Ich war erstaunt, dass in meinem Freund solch eine künstlerische Ader steckte, jedoch fiel mir dann das Dokument auf der Oberfläche seines Desktop ein.

„Hast Du in letzter Zeit auch eine Geschichte geschrieben?“, fragte ich ihn lauernd.

„Ähm, nö.., hm…“, druckste er herum.

„Blondyyyyy“, quengelte ich, und er schaute mich mit blitzenden Augen an.

„Ja.“

„Vielleicht eine über Judokas?“, warf ich lächelnd in die Runde. Ruwen stutzte und lief rosa an.

„Woher weißt Du?“, murmelte er echt verlegen. Da erzählte ich ihm von meiner Entdeckung auf seinem Notebook, machte ihm aber klar, dass ich sie nicht gelesen hatte. Zweifelnd sah er mich an und schien sehr mit sich zu kämpfen.

„Möchtest Du es lesen?“, fragte er leise und ziemlich nervös.

„Gerne, aber erst quetsche ich Dich noch weiter aus.“

„Okay:“

„Also eigentlich waren wir ja bei Deinem Großvater hängen geblieben – wieso ist er eigentlich in Deutschland?“, fragte ich neugierig.

„Argh, Du lässt nicht locker, was?“, stöhnte er, aber sein Ausbruch war von einem Lächeln untermalt.

„Also, sagen wir mal so, in meiner Person vereinen sich zwei Familienstränge unterschiedlichster Art“, fing er geheimnisvoll an.

„Zuerst einmal die Situation väterlicherseits, der Hollandclan. Mein Ururur…zigmalurgroßvater war einer der Gründer von Victoria. Dazu sollte man wissen, dass 1843 das Fort Camosun als ein Posten der Hudson’s Bay Company gegründet wurde, welches dann später in Fort Victoria umbenannt wurde. Mein Urvater war ein Mitglied dieser Company, wurde dann aber in Fort Victoria heimisch und löste sich von der Gesellschaft. Das erste eigene Geld machte er aber trotz allem mit Pelzhandel, der Domäne dieser Company, und kaufte zu seiner Zeit schon recht viel Land in und um Victoria. Neben dieser finanziellen Grundlage legte er auch die Wurzeln zu einem anderen Zweig unserer Familie – ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung der Stadt und Britisch-Kolumbien gegenüber. Als er verstarb, teilte er sein Erbe und zu jeweils 50% ging es auf seinen Sohn und auf eine Art Stiftung über. Da sich meine Vorfahren mehr oder weniger sehr geschickt im Familienunternehmen und bei der Verwaltung der Stiftung anstellten, gedieh beides sehr prächtig.“ Verlegen brach er ab und fummelte mit seinen beiden Händen an meinen Fingern. Ich hatte gebannt zugehört, denn so richtig reale Familiengeschichte aus dem Munde einer Person, die man zudem auch noch sein Freund nannte, war verdammt faszinierend.

„Wie prächtig?“, rutschte mir dann doch infolgedessen heraus.

„Wir reden nicht gerne darüber“, murmelte er und mir kam es so vor, als würde er sich dessen schämen.

„Wieso schämst Du Dich über diesen Erfolg Deiner Familie?“, fragte ich erstaunt.

„Na ja, ich habe ja nicht soviel dazu beigetragen. Mir fällt das alles mehr oder weniger in den Schoß“, flüsterte er.

„Na und? Dann liegt es an Dir, das Richtige daraus zu machen“, antwortete ich ihm. Er sah mich zweifelnd an und ein kleines Lächeln wurde sichtbar.

„Dir ist es egal, dass ich nicht gerade arm und, na ja in Victoria jedenfalls, ziemlich bekannt bin?“, wollte er nervös wissen.

„Darüber habe ich mir nun wirklich noch keinen Kopf zerbrochen, warte mal“, äußerte ich mich und legte meine Stirn in Falten. Ich zog die kleine Pause etwas in die Länge und Ruwen wurde immer unruhiger.

„Nö, ist mir schnuppe“, grinste ich ihn an und das war es mir wirklich. Ruwen würde sich durch seine Geschichte nicht für mich ändern, denn ich hatte ja den Menschen lieb gewonnen und nicht sein ganzes Drumherum.

„Blöder Schauspieler“, knurrte er liebevoll und schob noch ein „Danke“ hinterher.

„Weiter“, drängelte ich, aber „musste“ doch wirklich erst einmal einen Kuss über mich ergehen lassen.

„Den hab ich gebraucht“, grinste er und leckte sich genießerisch über seine Lippen.

„Okay, also weiter im Text. Mit meinem Grandpa väterlicherseits setzte dann ein kleiner Wandel ein. Er wandelte die Familienfirma in eine Holding mit verschiedenen AGs um und brachte seine ganze Schaffenskraft in die Stiftung ein. Seitdem verwalten wir eigentlich nur noch unseren Aktien- und Landbesitz, die eigentlich tägliche Arbeit findet in dieser Stiftung statt.“ Hier machte er eine kleine Pause und in meinen Kopf bildete sich ein Gedanke.

„Hm, Blondyyy“, versuchte ich den dann auch an den Mann zu bringen.

„Man, wie gewöhn ich Dir nur diesen Spitznamen wieder ab“, stöhnte er auf.

„Haare färben?“, rutschte mir spontan heraus.

„Dann rasier ich mir lieber ne Glatze“, knurrte er.

„Wehe, Du schneidest Dir Dein herrliches Haar ab“, grummelte ich und zog ihm spielerisch an seinen Locken.

„Und Deine Frage war?“

„Na ja, ich kenn mich ja in der Geschichte und vor allen in der kanadischen nicht so aus, aber Britisch-Kolumbien heißt bestimmt nicht so, weil es von Franzosen beherrscht wurde? Das führt mich zu dem Problem, warum Du so perfekt beide Sprachen sprichst?“, gab ich meine Überlegungen preis.

„Nicht schlecht mein süßer Macho, aber ein bisschen vorschnell“, grinste er frech. Er bekam meine lange feuchte Zunge zu sehen.

„Hm, lecker, aber zurück zur Geschichte. Also die schon erwähnte Hudson Bay Company wurde von Franzosen gegründet und meine Ururahnen waren Holländer… HÖR AUF ZU GRIENEN!“, knurrte er, denn ich sah ihn in Gedanken mit einem Wohnwagen durch die Gegend gondeln und musste dabei einfach grinsen.

„So mit Holzlatschen und Käse“, kicherte ich, und seine Finger bohrten sich in meine Seite, so dass ich nun wirklich einen Grund zum Lachen hatte.

„Blöde Klischees“, maulte er, lächelte aber ebenso vergnügt vor sich hin.

„Aber was denkst Du denn, wo der Name Holland herkommt?“, fragte er mich dann süffisant.

„Wie einfallsreich“, tat ich geschockt.

„Darf ich fortfahren?“, fragte er provokativ. Auf mein generöses Nicken zog er einen süßen Schmollmund. Nur ein fordernder Zungenkuss meinerseits konnte ihn wohl ein wenig besänftigen.

„Also meine Urvorfahren verbündeten sich dann mit den Franzosen und gingen in dieser Company voll auf. Aber der westliche Teil Kanadas ist wirklich von den Briten bestimmt, und so pflegten sie ihre Muttersprache gar nicht. Ja, ich kann kein holländisch, blöde Grinsebacke! Und die vorherrschende Amtssprache in Britisch-Kolumbien war Englisch. So habe ich jetzt auch wunderbar den Übergang zu den anderen Wurzeln meiner Herkunft geschafft. Meine Mutter stammt aus Sherbrooke, Quebec. Die Provinz Quebec versucht schon seit Jahren die Unabhängigkeit von Kanada zu erreichen, bisher immer erfolglos. Sherbrooke selbst hat etwa 147.000 überwiegend französischsprachige Einwohner. Der Kontakt zu ihrem Umfeld in ihrer Geburtsstadt ist nach ihrem Umzug abgebrochen. Viele ihrer Freunde und Verwandte haben ihr den „Verrat“ an Quebec sehr übel genommen. Ihren Vater hast Du aber schon kennen gelernt, denn das ist Frederic. Er ist nach dem unmöglichen Verhalten seiner Frau und deren Verwandten gegenüber ihrer Tochter wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Frederics Eltern stammen aus Hamburg und er hat auch die Liebe zur deutschen Sprache in mir geweckt“, schloss er seine Ausführungen. Er versank in seinen Gedanken und eine Welle der Traurigkeit schwappte über ihn herein. Augenblicklich wusste ich, dass er zu mehr gerade nicht in der Lage war und bekümmert sah ich, wie sich Wasser in seinen herrlichen Augen sammelte.

„Ruwen, danke“, flüsterte ich. Traurig sah er mich an.

„Sorry, Alessio, aber…“, murmelte er und eine Träne wanderte über seine Wange. Sacht beugte ich mich zu ihm hinüber und küsste sie weg.

„Ich bin froh, dass Du so ein Fremdsprachengenie bist, sonst hätten wir uns ja nie verständigen können“, versuchte ich ihn etwas aufzuheitern.

„Ja, Du warst wirklich grottenschlecht“, pflichtete er mir bei. Ich hatte immer noch so viele Fragen, nur konnten die warten.

„Aber ich hatte einen guten Lehrer und holländisch kann ich besser als Du“, murmelte ich und schob mich grinsend auf seinen Schoß.

„Tz, tz Herr Richter, so in aller Öffentlichkeit“, lächelte er mich schief an.

„Egal, ich will Dich fühlen“, flüsterte ich und schmiegte mich an ihn. Die Küsse mit ihm wurden immer besser und ich spürte an meinem Hintern, wie es um ihn bestellt war. Sachte ließ ich mein Becken kreisen.

„Alessio, nicht“, stöhnte er unter mir leise auf, krallte seine Finger aber in meinen Po.

„Okay, jetzt kannst Du weiter lesen“, grinste ich ihn frech an und warf mich wieder in meinen Sitz.

„Du Arsch“, murmelte er entrüstet.

„Ja, der gefällt Dir, was?“, lächelte ich ihn unschuldig an.

„Na ja, es geht so“, tat er ziemlich gleichgültig, aber seine Augen leuchteten vor Gier.

„Ich hab mir eigentlich auch immer was sportliches fürs Bett gewünscht“, ging ich auf seine Neckerei ein.

„Waaaas?“

„Beim Training bist Du immer nach ein paar Minuten fix und alle“, legte ich eine Erklärung nach.

„Und Du rubbelst bei mir immer an den unmöglichsten Stellen“, blitzte er mich an. Sein Blau in den Augen glitzerte so verliebt und ich beugte mich wieder zu ihm hinüber.

„Du machst mich verrückt“, hauchte ich ihm zu.

„Schön“, grinste er jetzt schelmisch und griff sich sein Buch. Verblüfft sah ich ihn an – hatte er mir doch gerade mit selber Münze zurückgezahlt, was ich vor ein paar Minuten in Gang gesetzt hatte.

„Grmpf“, entfuhr es mir und er kicherte leise vor sich hin.

„Blondyyyyy“, trompetete ich und wusste ganz genau, wie ich ihn wieder herunter bekam.

„Pff.“

„Meinst Du, ich kann hier Deine Geschichte lesen?“, fragte ich ihn neugierig, da er sich ja wieder seinem Buch zuwandte. Zögernd schaute er auf und seine Miene strahlte eine gewisse Nervosität aus. Mir schien es, als wäre ihm das Lesen der Story durch mich nicht so recht, aber er wollte sein Einverständnis auch nicht zurücknehmen.

„Eigentlich sollte das gehen. Wir müssen nur den Steward kurz fragen.“ Ein kurzer Griff zum Klingelknopf und ein wenig später hatten wir sogar einen Stromanschluss für das Teil. Routiniert brachte er sein Notebook in Gang und öffnete mir die Datei. Dann reichte er mir das Gerät herüber und sah mich mit einem undefinierbaren Blick an. Ich platzierte das Notebook auf meinen Knien und begann zu lesen. Die Geschichte hatte ein paar Seiten und würde mich wohl eine Weile beschäftigen.

Eigentlich war ich der totale Antibücherwurm, jedoch die Story schlug mich von Anfang an in ihren Bann und ich litt, lachte und fieberte mit den beiden Hauptpersonen regelrecht mit.

Warum berührte mich eine Geschichte aus dem Alltagsleben so?

Und dann fiel es mir gegen Ende der Story wie Schuppen von den Augen! Das war unsere Geschichte, mit kleinen Abweichungen und auch etwas optimistischer dargestellt, aber das waren eindeutig wir Beide. Ich war fassungslos und löste nervös meine Augen von dem Bildschirm. Vorsichtig lugte ich zu ihm hinüber und sah in zwei blaue Sterne, die gebannt auf mich gerichtet waren. Seine Nervosität stand meiner in gar nichts nach und schüchtern verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln.

„Das sind wir?“, flüsterte ich heiser. Die leichte Röte, die seine Wangen verfärbte, waren mehr als hundert Worte.

„DAS fühlst und empfindest Du für mich?“, fragte ich immer noch vollkommen erschlagen.

„Jedenfalls so gut man es mit Worten ausdrücken kann“, wisperte er tonlos. Jetzt war mir sein Unbehagen am Anfang auch vollkommen klar – Ruwen hatte hier vor meinen Augen einen kompletten seelischen Striptease seiner Gefühlswelt hingelegt. Das war nicht der lässige, selbstsichere Kerl aus dem Dojo oder von der Nachhilfe, sondern ein total sensibler, lieber, aber auch verdammt verzweifelter Boy, der sich seinen Gefühlen genau so unsicher war wie ich. Wenn nur die Hälfte von dem wahr war, was da stand, dann hatte ich mich wie die sprichwörtliche Axt im Walde aufgeführt. Ich als Person in dieser Geschichte kam viel besser weg als in der Realität. Verdammt noch mal, ich war so ein Arschloch gewesen!

„Oh man, war ich bescheuert“, murmelte ich sauer und schlug mit meinem Hinterkopf an die Kopfstütze meines Sitzes.

„Nur ein klitzekleines bisschen“, hörte ich und schaute ihn zweifelnd an.

„Ich komm ziemlich gut in Deiner Story weg“, murmelte ich dann bewegt.

„Na ja, Alessio, das da ist nach wie vor zum größten Teil Fiktion, meine Träume und Sehnsüchte. Und da biege ich mir so einen kleinen Macho halt zurecht“, lächelte er mich an. Als ich widersprechen wollte, schüttelte er leicht mit dem Kopf und legte mir einen Finger auf die Lippen.

„Pscht…, aber der reale Alessio ist mir hundert Mal lieber, denn er hat Ecken und Kanten und ist vor allem nicht reine Fantasie!“, unterdrückte er meine Erwiderung.

„Mal schauen, wie weit Du bist“, murmelte er und beugte sich zu mir hinüber. Hm, er duftete fantastisch und ich schnupperte möglichst unauffällig.

„Ach, da haste ja fast alles gelesen“, murmelte er und wollte mir das Notebook wegnehmen. Ich warf einen kurzen Blick auf die Seitenanzeige – da stand 70 von 100. Unabhängig davon wollte ich unbedingt alles lesen, weil es ja von ihm war, und außerdem lief er gerade rosa an. Was war denn hier im Busch?

„Moment mal“, grummelte ich und haute ihm spielerisch auf die Finger.

„Ich will ALLES lesen“, meldete ich meine Ansprüche an. Ruwen brubbelte irgendwas und verschanzte sich hinter seinem Buch, passen tat der knallrote Kopf nun gar nicht dazu. Bevor ich das Problem weiter vertiefen konnte und wollte, las ich einfach weiter. Ein paar Seiten später hatte ich so eine Ahnung, warum ich NICHT weiter lesen sollte. Mein Freund war ja richtig versaut. Also der Sex zwischen den beiden Jungs war hammergeil beschrieben und meine Hose spannte mächtig. Ich verschlang die Zeilen regelrecht und konnte mir das hier auch sehr gut in der Realität vorstellen. Mal schauen, was der Autor davon hielt.

„Also das hier sollten wir mal ausprobieren“, warf ich völlig emotionslos in die Runde. Ruwen brubbelte sich wieder etwas in seinen nicht vorhandenen Bart.

„Eigentlich war ich ja immer mehr der Aktivere“, schwadronierte ich frisch und frei weiter. Der Autor ließ sein Buch sinken und über dem Rand blitzten mich zwei wunderschöne Augen wütend an.

„Aber die Beschreibungen sind so bildlich und anregend, das muss einfach Spaß machen“, setzte ich dann der Sache noch die Krone auf. Das Buch sank endgültig auf seine Brust und sein Gesicht war etwas für Götter. Wütend, lüstern, nervös, zweifelnd – all das konnte man da sehen und noch so einiges mehr.

„Das ist alles FIKTION!“, knurrte er.

„Hm, Fick…“, säuselte ich.

„Alessio!“

„He, ICH hab das nicht geschrieben“, grinste ich ihn an. Auf jeden Fall gefiel mir aber seine Fantasie, das konnte richtig lustig im Bett mit ihm werden. Aufgedreht wandte ich mich dann wieder der Story zu und ein paar Seiten weiter brach sie ab. Erstaunt schaute ich ihn an. Seine Augen waren wohl die ganze Zeit auf mich gerichtet, denn ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen.

„Warum hast Du sie nicht zu Ende geschrieben?“

„Mir kam ein echter Judoka dazwischen“, lächelte er.

„Schreib sie zu Ende“, bat ich ihn.

„Mal schauen“, kam es ausweichend von ihm. Dann wurden wir vom Essen unterbrochen und anschließend gab es zwei Filme, die ich mir zu Gemüte führte. Ruwen legte irgendwann seinen Kopf in meinen Schoß und schlief ein. Meine Finger strichen durch sein Haar, und während des Films beobachtete ich ihn ab und an. Mir gefiel immer mehr, was ich da sah und erkundete. Durch die Zeitverschiebung und den langen Flug kamen wir dann gegen Mittag des 24. Dezember in Stuttgart an. Am Flughafen wurden wir schon von Ruwens Grandpa erwartet. Lächelnd empfing er uns und schloss erst Ruwen und dann einen ziemlich verdutzten Alessio in seine Arme. Dabei murmelte er mir ein „Danke“ ins Ohr. Die Fahrt ging zuerst zu mir. Ruwen ließ seine Tasche im Auto und schickte seinen Grandpa nach Hause. Bis zur Landung hatte ich das Zusammentreffen mit meiner Mutter aus dem Gedächtnis verbannt, aber seit dem Flughafen konnte ich kaum an etwas Anderes denken. Gemeinsam betraten wir die Wohnung, und ich zog ihn gleich in mein Zimmer. Eine hatte unser Kommen natürlich mitbekommen und Sekunden später klopfte es an meiner Tür. Wir standen beide etwas unschlüssig im Zimmer herum und ich rief ein halblautes „Herein“.

Die Tür schwang auf und meine Schwester trat lächelnd in mein Zimmer.

„Hey Ruwen“, begrüßte sie zuerst meinen Freund und trat zu mir.

„Na Bruderherz“, flüsterte sie und schloss mich in ihre Arme. Zögernd löste ich mich dann wieder und konnte noch den traurigen Blick von Ruwen erhaschen, mit dem er uns musterte.

„Und wie steht es mit Euch“, fragte sie neugierig. Spontan schnappte ich mir Blondy und zog ihn an mich heran. Stürmisch eroberte ich seine Lippen. Er war so perplex, dass er seine öffnete und meiner gierigen Zunge Einlass gewährte. Ansonsten hielt er sich sehr passiv und seine Augen waren riesengroß. Sanft löste ich mich von ihm und lächelte ihn verlegen an.

„Na dann ist ja alles klar“, griente meine Schwester über beide Wangen.

„Nicht überrascht?“, fragte ich zögernd.

„Nein, ihr ward von Anfang an füreinander bestimmt, und je mehr ihr Euch beide gewehrt habt, desto offensichtlicher wurde es mir. Ich wusste nur nicht, wie klar Euch das war. Bei meinem Bruder schien der Groschen gefallen zu sein, kurz bevor er Dir nach geflogen ist“, setzte sie zu einer Erklärung an und schaute zum Schluss Ruwen an.

„Ohne ihn wäre ich garantiert nicht wieder hier“, antwortete er leise.

„Und Du mein allerliebster, weil einziger Bruder hast ja wohl voll den Arsch offen“, raunzte sie mich an, und ich riss die Augen erschrocken auf.

„Nicht dass Du die Damenwelt völlig irre machst, nee, nun schnappst Du uns armen Mädels noch die allersüßesten Schnuckel weg“, seufzte sie theatralisch und verdrehte die Augen. Ruwen lief angesichts dieses Lobes rot an und sah einfach zu süß aus.

„Ist er nicht niedlich“, hauchte ich und musste wieder an seinen Lippen nuckeln.

„Soviel Liebe halt ich nicht aus“, frotzelte Fio und verließ kopfschüttelnd das Zimmer. Einen Augenblick später war ich mit Auspacken beschäftigt, und mein Schatz saß sittsam auf dem Stuhl und schaute mir grinsend zu. Mit einem Knall flog die Tür auf. Im Rahmen stand meine Mutter und war völlig außer sich.

„Verschwinden Sie sofort aus meiner Wohnung“, fuhr sie Ruwen an und kam drohend noch einen Schritt ins Zimmer.

„Mama“, entfuhr es mir entrüstet.

„Du bist still“, fauchte sie mich an.

„Warum?“, entgegnete ich und wurde nun ebenfalls wütend. Hinter meiner Mutter war Norbert und dieser schüttelte nur traurig mit dem Kopf.

„Weil Du diesen Kerl nie wiedersehen wirst, Dir gefälligst wieder eine Freundin suchst und so lange Du hier wohnst, gefälligst machst, was wir sagen!“, keifte sie nun wirklich hysterisch.

„Vielleicht hörst Du…“, versuchte ich es mit ruhiger Stimme.

„NEIN. Und Sie, verschwinden Sie endlich“, unterbrach sie mich. Ruwen stand auf und trat zu mir.

„Alessio, ist gut. Ich geh nach Hause. Schöne Weihnachten Dir und Deiner Familie“, hauchte er mir traurig zu und ich konnte mich von diesen Augen nicht lösen. Wie gerne hätte ich ihn geküsst, aber er schüttelte leicht den Kopf, als würde er meinen Wunsch erahnen. Wortlos schob er sich an meiner Mutter und den Rest der Familie vorbei. Einen Moment später war er meinen Blicken entschwunden, und ich fühlte mich so unendlich leer und alleine. Meine Mutter rannte ihm hinterher und überschüttete ihn mit irgendwelchen Verwünschungen.

„So, das wäre geklärt“, kam es immer noch hysterisch von ihr, während sie wieder in meine Zimmer kommen wollte.

„Verschwinde“, zischte ich sie an und fassungslos starrte sie mich an. Mit ein paar schnellen Schritten war ich an der Tür.

„Wie kannst Du…“, entfuhr es ihr wütend.

„…es wagen?“, unterbrach ich sie zynisch und warf ihr die Tür vor der Nase zu. Mit einer Schlüsselumdrehung verwehrte ich ihr den Zutritt und durch die sehr gut isolierte Tür hörte ich sie wieder keifen. Mit zittrigen Fingern angelte ich mein Handy aus der Hose und steckte mir die Ohrstecker in meine Lauscher. Traurig gab ich mich unserem Lied hin und war viel zu geschockt, um klar denken zu können.

Ruwen

Nun war ich wieder hier in Deutschland und viel geändert hatte sich nicht. Verzweifelt seufzte ich auf. Okay so ganz richtig war das ja nicht, aber trotz Allem stand mir ein schauriges Weihnachten bevor. Das Einzige, was mich aus der Düsternis reißen könnte, war dieser absolut niedliche Kerl ein paar Häuser weiter. Der Abschied eben von ihm war alles andere als erfolgsversprechend, wobei ja „nur“ seine Mutter zwischen uns stand. Ich beschloss, mich mit einem Einkaufbummel ein wenig abzulenken und schwelgte dabei in den Erinnerungen der letzten Stunden. Sacht fuhr ich mit meinen Fingern über meinen Mund – mir war immer noch, als spürte ich seine warmen weichen Lippen auf meinen.

Man, ich wusste immer noch nicht, was mich geritten hatte, ihn die Story lesen zu lassen. Und wieder hatte er mir bewiesen, was für ein intelligentes Kerlchen er ist. Dieser absolut offene Blick, als er merkte, wen ich da charakterisiert hatte, ließ mich bis in sein Innerstes schauen und war einer der schönsten Augenblicke der letzten beiden Tage.

Als er dann unbedingt die Geschichte zu Ende lesen wollte, wurde mir verdammt heiß. Er hatte ja die richtigen Schlüsse gezogen über die wahren Personen, die hinter meinen Hauptdarstellern standen und nun dies…

…ich hatte da meine schönsten und innigsten, aber auch heißesten Vorstellungen vom Sex mit meinem Traumjungen einfließen lassen. Ich stierte auf meine Seiten und konnte kein Wort davon in mich aufnehmen vor Scham. Leider hatte ich nicht den Mut, ihn anzuschauen, und dann flötete er doch wirklich los:

„Also das hier sollten wir mal ausprobieren.“

Ich konnte mir mit Mühe ein „Du spinnst wohl“ herunterschlucken und bewunderte weiter meine Buchstaben im Buch. Als er dann noch was nachschob mit Aktivere und so, hatte ich auf einmal seinen absoluten Knackarsch vor Augen und musste mir auf die Zunge beißen. Ich schaute ihn dann doch an, und als ich diesen neugierig-lüsternen-liebevollen Blick sah, war mir klar, dass er es wirklich ausprobieren wollte. Der Junge brachte mich noch um das letzte bisschen Verstand. Vor einem Geschäft in der Einkaufsstraße blieb ich dann stehen. Weihnachten war schon seit ein paar Jahren kein Fest mehr für mich, aber meinem Freund musste ich einfach etwas schenken. Grinsend betrat ich das Geschäft und gab alles in Auftrag – zwei Stunden später konnte ich es abholen. Am frühen Abend schlossen dann leider fast alle Geschäfte und ich machte mich auf den Weg nach Hause. Länger konnte ich das Kommende nicht aufschieben.

‚Du musst ihm alles sagen‘, war da auf einmal eine Stimme wie aus den Nichts in meinem Kopf. Erschrocken zuckte ich zusammen. Da waren sie schon, meine Dämonen. Zum Glück wartete mein Grandpa in meinem Wohnzimmer und sah mich erwartungsvoll an.

„So alleine?“, fragte er mich verwundert.

„Alessio konnte nicht“, antwortete ich ausweichend.

„Jesp, was ist los?“, hörte ich ihn besorgt. Seufzend ließ ich mich in einen Sessel nieder.

„Seine Mutter mag mich nicht“, murmelte ich und dann überlief es mich siedendheiß. Mein Grandpa wusste ja noch gar nicht, dass ich auf Jungs stand. Mein Schreck musste wohl für ihn sehr deutlich zu sehen sein, denn er schmunzelte in sich hinein.

„Wolltest Du mir eigentlich noch etwas beichten?“, fragte er vorsichtig.

‚Was konnte ich ihm noch erzählen, was er nicht schon ahnte?‘, überlegte ich.

„Ich glaube, Du hast schon Deine Schlüsse daraus gezogen, dass mir ein Kerl nach Kanada nachgereist ist“, flüsterte ich tonlos.

„Ja, dass er Dich mag und das war auch sehr offensichtlich am Flughafen, aber mein lieber Enkel, wie stehst Du zu ihm?“, bohrte er weiter.

„Ich war ihm von Anfang an verfallen, total verliebt, handlungsunfähig“, murmelte ich noch leiser, dabei hatte ich meinen Kopf gesenkt und schaute auf den Boden.

„Also ihm scheint es nicht viel anders zu gehen, wenn ich seine Blicke am Flughafen richtig gedeutet habe“, lächelte mein Grandpa, und mein Kopf schoss nach oben.

„Du bist nicht enttäuscht, dass ich einen Jungen liebe?“

„Warum sollte ich, mein Junge? Es ist Dein Leben und Deine Entscheidung, und Du wirst für mich dadurch nicht zu einem anderen Menschen. Außerdem sind wir nicht mehr so viele, als dass ich mich mit einem Fakt, den ich sowieso nicht ändern kann, herumärgern sollte. Nur um eins möchte ich Dich bitten“, fing er mir ernst an zu erklären und brach am Schluss fast verlegen ab. Ich musterte meinen Großvater, aber konnte mir kein Reim aus seinem Herumgedruckse am Ende machen.

„Ja?“

„Ich möchte Dich nicht durch eine Leichtsinnigkeit verlieren“, murmelte er errötend. Ich hatte immer noch keine Ahnung, worauf er hinaus wollte.

„Hier Jesp, eine Kleinigkeit zu Weihnachten“, brummte er und hielt mir ein kleines Päckchen vor die Nase. Verdutzt schaute ich es an, denn wir schenkten uns nie was zu Weihnachten. Diesen Brauch hatten wir in unserer Familie irgendwann mal als Unsinn abgetan, weil wir uns eh alle kauften, was wir brauchten. Bei uns Kindern wurde da, solange wir klein waren, eine Ausnahme gemacht, aber aus dem Alter war ich seit Jahren ja hinaus. Ich schüttelte es ein wenig, aber aus den Geräuschen wurde ich auch nicht schlau. Auch wenn ich aus dem Alter heraus war, erfasste mich doch eine fiebrige Erregung – wer packte nicht gerne Geschenke aus. Fast hektisch riss ich das Papier herunter. Erst einmal kam nur ein neutraler Karton zum Vorschein, beim dem der Deckel nochmals mit Klebeband fixiert war. Empört sah ich meinen Grandpa an und der grinste doch wirklich ziemlich frech.

Ich riss den Deckel regelrecht herunter und als mir der Inhalt entgegen leuchtete, stand mein Mund mehr als offen. Da lagen zwischen zerknülltem Geschenkpapier doch wirklich eine große Packung Kondome und eine Tube Gleitgel.

„Grandpa“, stieß ich entrüstet hervor, als ich meine Sprache wieder gefunden hatte.

„Kannst Du es nicht brauchen?“, fragte er ziemlich nüchtern, aber seine gesunde Gesichtsfarbe zeigte mir was anderes.

„So weit sind wir noch lange nicht“, murmelte ich, nur stand die Farbe meines Gesichts seiner nicht viel nach.

„Sicher ist sicher und bitte benutze es auch“, schob er dann noch hinterher.

„Danke“, murmelte ich. Meine Geschenke führten mich zwangsläufig wieder zum meinen Schwarm und den Ausführungen in der Story. Ich bekam wirklich richtig Lust auf die ganzen „Schweinereien“ da und wünschte ihn mir sehnsüchtig hierher.

„Wollen wir eine Kleinigkeit essen?“, hörte ich Grandpa fragen. Fast gleichzeitig musste ich stark gähnen und die Zeitverschiebung machte sich bemerkbar. Da ich im Flugzeug nur leicht geschlummert hatte, Alessios Finger auf meinen Körper hatten gar nichts anderes zugelassen, übermannte mich langsam aber sicher die Müdigkeit.

„Sei nicht böse, aber ich werde wohl schlafen gehen“, murmelte ich. Mit meinem Päckchen unter den Arm verschwand ich dann in meinem Schlafzimmer, und nach einer schnellen Dusche sank ich müde auf mein Kissen. Auch wenn meine fast letzten Gedanken Alessio gehörten, war bei dem heutigen Datum eine Erinnerung nicht auszuschalten.

„Ich liebe Euch auf immer“, flüsterte ich leise, und meine Tränen füllten die geschlossenen Augen. Nur stahl sich diesmal in diese Dunkelheit ein kleiner Lichtschimmer namens Alessio und ich schlief besänftigt ein.

Zarte Finger holten mich sanft, aber unaufhaltsam aus den Schlaf. Sie liebkosten meine Wange, Nase, Lippen, strichen mir das Haar aus der Stirn. Ich gab mich diesen Liebkosungen hin und meine Nase hatte längst erschnüffelt, wer das mit mir anstellte. Warme Lippen streiften über meine Wange und dann knabberten vorwitzige Zähne an meinem Ohr.

„Blondy, Du hast geweint“, hörte ich ihn leise traurig sagen. Endlich öffnete ich meine Augen, und im Dämmerlicht konnte ich meinen Freund erkennen.

„Was machst Du denn hier?“, fragte ich erstaunt.

„Ich glaube, ich gehör heute hierher“, flüsterte er mir zu und schaute mich sehnsüchtig an.

„Du hast mir gefehlt“, hauchte er weiter. Er senkte seine Lippen auf meinen Mund. Ich zog ihn auf mich rauf und genoss die Nähe seines Körpers. Dieser Kerl machte mich einfach süchtig.

„Warum musste ich denn hier Tränenspuren beseitigen“, hauchte er leise und seine Lippen wanderten über meine Wange. Sofort war die Stimmung hin und ich versteifte mich.

„Sorry, Ruwen, das tut mir leid“, murmelte er traurig.

„Nein, leider gehört es für mich untrennbar zu Weihnachten dazu“, antwortete ich ihm niedergeschlagen. Besorgt schaute er mich nun an.

„Alessio, ich werde nie wieder in meinem Leben ein unbesorgtes, fröhliches Weihnachten feiern können. Der Tod ist untrennbar mit diesem Fest verbunden, aber…“, flüsterte ich tonlos und schon wieder füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich unterbrach mich, als ich sah, dass er etwas erwidern wollte und legte meinen Finger auf seine vollen Lippen.

„…aber durch Dich werde ich auch nicht wieder in diesen Tagen in unendlicher Dunkelheit versinken. Die letzten vier Jahre waren die Hölle auf Erden für mich. Ich habe nur existiert, eher vor mir hervegetiert, aber durch Dich fange ich wieder an zu leben“, flüsterte ich bewegt. Seine Augen fingen an zu leuchten, und ein schüchternes Lächeln umspielte seine Lippen. Das war bei Weitem nicht mehr der arrogante Macho vom Anfang. Seine Anwesenheit und Nähe gab mir die Kraft für das Folgende.

„Alessio, ich möchte Dir etwas erzählen…“, fing ich leise an und konnte seine Zweifel in den Augen sehen.

„Bitte, lass es mich versuchen, solange ich den Mut dafür habe“, setzte ich fort und er nickte mir aufmunternd zu.

„Vor genau vier Jahren am Heiligabend war innerhalb von einer Stunde nichts mehr so wie es mal war. Ich habe meine Familie in einem Feuer verloren, meine Mum, mein Dad und mein kleiner Bruder waren einfach nicht mehr da. Das habe ich nicht verkraftet und war wochenlang wie von Sinnen. Meinem Grandpa blieb nichts anderes übrig, als mich in eine Psychiatrie einzuweisen. In dieser Zeit habe ich auch alle meine Freunde und solche, die sich immer als Schulterklopfer aufführten, verloren, nur mein Grandpa stand weiter zu mir. Dann nahm er mich vor ca. drei Jahren, nachdem man mich aus der Klinik als „geheilt“ entlassen hatte, bei sich in Hamburg auf und versuchte, meinem Leben wieder einen Sinn zu geben…“, erschüttert brach ich ab, denn mir ging das näher, als ich angenommen. Alessios Augen waren riesengroß und schauten unendlich traurig.

„…Leider holte mich zu den Feiertagen am Jahresende die Erinnerung immer wieder ein und ich brauchte Wochen, um in das normale Leben zurückzukehren. DU hast es innerhalb von Stunden geschafft!“, endete ich mit tränenerstickter Stimme.

„Die Personen auf dem Stein waren Deine Familie?“, fragte er.

„Ja“, hauchte ich nur.

„Danke, mein Liebling“, murmelte er liebevoll. So hatte er mich noch nie genannt, aber es hörte sich fantastisch an.

„Und die Inschrift auf diesen Stein ist von Dir? – Jesp?“

„Mein vollständiger Name ist Ruwen Jesper Holland“, erklärte ich ihm, aber er sah mich immer noch fragend an.

„Steven, mein kleiner Bruder, konnte nicht Ruwen und auch nicht Jesper aussprechen. Was dem am nächsten kam, war ein Genuschel von Jeschp, und somit war mein Spitzname geboren. Innerhalb der Familie hat man mich nur noch so genannt“, fuhr ich fort und die Erinnerung an meinen Bruder war dann zu viel. Ungehindert flossen meine Tränen über mein Gesicht.

„Sch, sch“, machte Alessio und küsste mir wieder die Tränen von meinen Wangen.

„Ich kann Dir Deine Familie nicht wiedergeben, aber ich möchte für Dich da sein“, flüsterte er mir heiser zu.

„Wenn Du möchtest, darfst Du mich Jesp nennen“, schlug ich leise vor.

„Jesp“, hauchte er fasziniert.

„Küss mich, mein kleiner Macho“, forderte ich ihn auf, und seine Lippen verschlossen sofort meinen Mund. Was sanft und liebevoll begann, entwickelte sich zu einem wahren Feuerwerk. Gierig pressten wir unsere Körper aneinander, und meine Traurigkeit verflog von Kuss zu Kuss. Diesmal übernahm ich die Initiative und zottelte an seinem Pullover. Heiser lachte er auf und befreite mich ebenso von meinem Schlafshirt. Sekunden später lagen wir nur noch mit Shorts bekleidet in meinem Bett, und seine warme Haut auf meinen Körper machte mich verrückt. Er lag auf mir und ich hatte meine Finger in seinen Knackarsch vergraben. Und dann überschritt ich die Schwelle. Etwas nervös schob ich meine Hände unter seine Shorts und massierte seine zarte Haut. Atemlos löste er seine Lippen von meinen und sah mich unergründlich an. Ein kleines Lächeln lag um seine Lippen.

„Bist Du sicher“, hauchte er mir erregt zu. Ich wusste nicht, ob das der richtige Zeitpunkt war. Hatte keine Ahnung, wie weit ich gehen würde, aber ich wollte ihn jetzt!

„Nein, aber sogar mein Grandpa ist der Meinung, dass es Zeit wird“, schmunzelte ich ihn frech an. Totale Verblüffung machte sich in seinem Gesicht breit. Mein Blick wanderte zu meinem Nachttisch, auf dem das Paket stand. Er fasste dies als Aufforderung auf und angelte nach dem Geschenk. Als er erkannte, was sich da alles drin befand, kicherte er los.

„Er scheint einen Sinn für das Praktische zu haben“, griente er frech weiter.

„He, mir war das oberpeinlich“, grummelte ich.

„Brauchen wir das wirklich alles“, hörte ich ihn lauernd fragen.

„Mal schauen“, lächelte ich ihn frech an. Dann legte ich eine Hand in seinen Nacken und zog seinen Kopf zu mir herunter. Fordernd knabberte ich an seinen Lippen, und meine Finger massierten seinen herrlichen Hintern. Langsam schob ich den Bund seiner Shorts nach unten, und Alessio hob ein wenig sein Becken. Ich schob sie soweit herunter wie ich konnte und den Rest erledigte er mit seinen Beinen. Vollkommen nackt lag er nun auf mir und ich wusste gar nicht, wohin ich meine Finger zuerst wandern lassen sollte.

„Das ist nicht fair“, knurrte er und löste sich kurz von mir. Sein lüsterner Blick wanderte an meinem Körper hinunter und blieb an meiner Shorts hängen. Meine Augen wurden von etwas ganz anderem magisch angezogen. Aus einer dichten, pechschwarzen Schambehaarung reckte sich mir eine sehr harte Erregung entgegen. Ich konnte dem Reiz nicht widerstehen und meine Finger schlossen sich um sehr heißes Fleisch.

„Finger weg. Zuerst befreien wir Dich hiervon“, stöhnte er auf und zog ungeduldig an meiner Shorts. Als er sie hinunterzog, bog er meinen Schwanz mit nach unten, und als er den Bund der Shorts passiert hatte, klatschte er satt und hart auf meinen Bauch.

„Schau an, was für ein Prachtexemplar“, murmelte er zufrieden und befreite mich endgültig von meiner Hose. Fast zärtlich legte er sich wieder auf mich rauf und als sich unsere Schwänze berührten, wir die Lust des anderen ungehemmt spürten, stöhnten wir synchron auf. Ich umschlang ihn sehr fest und zog ihn noch enger an mich. Vor Gier biss er mir in meine Zunge und seine Lenden kreisten über meinen.

„Du bist so heiß“, keuchte mein Schwarm über mir und ich krallte mich als Antwort in seine Backen. Leicht öffnete ich meine Schenkel und er rutschte dazwischen. Sein Reiben wurde intensiver und seine Hitze trieb mir den Schweiß aus den Poren. Wo würde das hier nur enden…

…ein Kitzeln holte mich aus einem tiefen erholsamen Schlaf. Mein Schwarm lag halb auf mir und seine kurzen Haare spielten um seine Nase. Meine Blase drückte und vorsichtig löste ich mich von Alessio. Unwirsch grummelte er und zog mich wieder an sich.

„Du kleiner Macho, ich muss mal auf Klo“, flüsterte ich ihm zu. Er schien mich in seinem Schlaf gehört haben und lockerte seine Arme, die er um mich geschlungen hatte. Er murmelte noch etwas während ich aufstand, und kuschelte sich in das Kissen. Ich sah ein sehr zufriedenes und erschöpftes Lächeln auf seinem Gesicht. Als ich meinen Blick an mir herunter wandern ließ, stahl sich ein lüsternes Grinsen in mein Gesicht – die Spuren der Nacht waren überall zu sehen. Oh man, waren das Stunden gewesen. Mein Kleiner da schlief nicht zu Unrecht tief und fest, denn ich hatte ihn ganz schön gefordert. In der Fantasie hatte ich mir das so schön geil ausgemalt, aber in der Realität war es noch sehr viel schöner und aufregender. Unter der Dusche kam mir dann so eine spontane Idee.

‚Das bist Du Deinem Schatz schuldig‘, murmelte ich mir beim Abtrocknen zu. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass wir es kurz vor 10 Uhr hatten, also war es nicht zu früh. Doch zuerst deponierte ich mein Geschenk noch auf dem Nachttisch mit einer kleinen Karte dazu. Schnell in meine Klamotten geschlüpft und Alessio noch einen leichten Kuss auf seine Wange gehaucht. Meinem Grandpa in der Küche sagte ich kurz Bescheid, dass ich nicht allzu lange weg sein würde, und er hatte so ein blödes Grinsen auf seinen Lippen. Als er dann noch etwas von „ziemlich anstrengende Nacht gehabt“ sagte, war mir klar, dass wir doch nicht so leise gewesen waren. Alessio hatte seine Lust aber auch unmissverständlich kundgetan und ich habe ihm da nicht viel nachgestanden.

Meine Schritte führten mich nun zu einer sehr bekannten Adresse. Durch Glück konnte ich die Eingangstür mit einer älteren Frau passieren und klopfte dann energisch an der Tür. Die Tür schwang auf und Fio schaute mich erschrocken an.

„Was willst Du denn hier?“, murmelte sie verwirrt.

„Auch einen schönen guten Tag“, antwortete ich höflich.

„Hallo.“

„Sind Deine Eltern da?“

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, murmelte sie ablehnend.

„Fio, ich muss ihnen etwas sagen!“, bedrängte ich sie.

„Ist Alessio bei Dir? Er ist gestern einfach gegangen“, fragte sie mich und schluchzte leise.

„Ja, er ist bei mir“, beruhigte ich sie.

„Gut, komm herein“, forderte sie mich auf und trat beiseite. Dann ging sie vor mir her und unsere Schritte führten uns in die Küche.

„Wir haben Besuch“, eröffnete sie ihren Eltern und die schauten fragend zur Tür. Als ich hindurch trat, verfinsterte sich das Gesicht seiner Mutter sofort, nur das kleine wissende Lächeln seines Stiefvaters brachte mich aus dem Konzept.

„Verschwinden Sie oder ich hole die Polizei!“, schrie sie mich an.

„Einen schönen guten Tag“, wiederholte ich mich.

„Bis eben war er das“, antwortete sie gehässig.

„Was haben Sie gegen mich?“, wollte ich von ihr wissen, und diese Frage brachte sie aus dem Konzept.

„Sie…, Sie…“, stotterte sie herum.

„Ja?“

„Sie haben meinen Jungen verführt und ihm diese ganzen Flausen in den Kopf gesetzt. Er ist ein vernünftiger Junge“, heulte sie hysterisch auf.

„Ich wollte mich mit Ihnen vernünftig unterhalten, aber dazu scheinen Sie nicht in der Lage“, fing ich ernst und ruhig an. Sie öffnete den Mund, aber ich fuhr dazwischen.

„Jetzt hören Sie mir mal eine Minute zu. Ihr Sohn ist für mich der liebste Mensch auf der Welt und alle Schmerzen, die ihm zugefügt werden, tun auch mir sehr weh. Ich kann Ihren Hass nicht verstehen, weil er so kleingeistig ist. Alessio liebt Sie und seine Familie und das wollen Sie ihm nehmen? Wer gibt Ihnen das Recht dazu?“, redete ich mich in Rage und sie schaute mich entgeistert an.

„Es gibt Leute, die keine Familie mehr haben und um diese Liebe für immer gebracht wurden. Und Sie wollen ihm das verwehren, wofür?“, schloss ich dann sehr traurig meinen Vortrag und wandte mich ab. Ungehindert gelangte ich zur Tür und machte mich niedergeschlagen auf den Heimweg.

Alessio

Irgendetwas fehlte und raubte mir den Schlaf. Unruhig wälzte ich mich noch ein wenig herum, aber einschlafen konnte ich nicht mehr. Dann musste eben mein Schnuckel dran glauben. Grinsend streckte ich mit geschlossenen Augen meine Hand aus und…

…griff ins Leere. Verwundert öffnete ich meine Augen und sah mich alleine im Bett liegen. Ich spitzte die Ohren, aber aus dem Bad waren auch keine Geräusche zu hören. Na ja, ich war noch viel zu sehr in meinen Träumen gefangen, um dem Problem auf den Grund zu gehen. Ich schloss meine Augen wieder und ließ mich treiben.

Diese Nacht war der Hammer gewesen. Fast sofort startete mein bestes Stück durch. Was ich da in den letzten Stunden erlebt hatte, in dieser Intensität und Heftigkeit, war mir bisher total unbekannt gewesen. Seine Finger waren so was von sanft und zärtlich, dass ich immer noch wie elektrisiert war. Und seine Lippen, was die auf meinem Körper anstellten – hmmm. Nach seinen Geräuschen zu schließen war ich jedoch auch nicht so schlecht gewesen. Sein Körper war aber auch himmlisch, zarte Haut und das Muskelspiel darunter – na ja und dann könnte ich mich fast als einen Fetischisten bezeichnen, denn dieser kleine knackige Hintern und sein bestes Stück…

Man, ich brauchte ihn jetzt, aber dringend. Ich riss noch einmal meine Augen auf, aber das Zimmer war leer. Meine Augen streiften über den Nachttisch und als ich das Päckchen, das Geschenk seines Großvaters, da stehen sah, grinste ich mehr als dämlich. Ruwen hatte wirklich nichts ausgelassen und war wie ausgehungert gewesen. Der Akt der Vereinigung mit ihm war durch Nichts mit meiner Rammelei mit Frauen zu vergleichen. Am Anfang verspürte er wohl Schmerzen, aber ich beherrschte meine Geilheit mühsam und ging es sehr langsam und zärtlich an. Zum Schluss war es vollkommen und mein Blondy wand sich in endloser Lust unter mir.

Mit einer fast schmerzhaften Erregung sprang ich aus dem Bett. Kopfschüttelnd schlurfte ich ins Bad. Man es war Weihnachten und ich dachte nur an meinen nackten Freund. Ein durchaus leckerer Gedanke, aber das verstand man bestimmt nicht unter dem Fest der Liebe. Das warme Wasser beseitigte die Spuren unserer Liebe und wohlig räkelte ich mich unter dem Strahl.

‚Wo war nur Ruwen?‘, überlegte ich und verbesserte mich gleich ‚Jesp‘. Zurück im Zimmer warf ich mir meine Sachen über und dabei fiel mein Blick nochmals auf den Nachttisch. Da stand neben dem Päckchen des Großvaters ein neues, um einiges kleineres Päckchen und davor stand eine Karte in einem Umschlag. Auf den Umschlag konnte ich „Alessio“ lesen. Der Name war von Hand geschrieben und mehrmals nachgezogen worden. Vorsichtig nahm ich den Umschlag und zog den Inhalt heraus. Dort in der Karte stand nur ein Satz.

Eine Kleinigkeit für meine Liebe

Damit meinte er wohl das kleine Paket. Mit fliegender Hast riss ich das Papier herunter und hielt eine kleine Schatulle in der Hand. Vorsichtig öffnete ich sie und sah ungläubig auf den glitzernden Inhalt. Mir leuchtete ein sehr hübscher Silberring entgegen. Oh man, das Geschenk war viel zu kostbar. Ungläubig entnahm ich den Ring und schob ihn über meinen Ringfinger – er passte wie angegossen. Ich hatte bisher nicht so viel für Schmuck übrig gehabt, aber der Ring sah sehr elegant aus und ich wollte ihn nicht mehr ablegen. Nur konnte ich so was Wertvolles nicht annehmen und zog ihn wieder von meinen Finger. Ich saß auf dem Bett und spielte verträumt mit dem Ring. Meine Fingerkuppen erfühlten eine Gravierung innerhalb des Ringes und hielt ihn mir vor die Augen.

Für den süßesten Macho der Welt

Na ja, der Ring schien wohl wirklich für mich zu sein, und gedankenverloren streifte ich ihn wieder über meinen Finger. Darüber würde ich aber noch einmal mit ihm reden müssen. In der Küche traf ich dann Frederic an. Grinsend begrüßte er mich.

„Mahlzeit, eine anstrengende Nacht gehabt?“, hörte ich ihn amüsiert fragen. Ich lief postwendend knallrot an. Ihm schien das wohl als Antwort zu reichen, denn er lachte schallend los.

„Dein Geschenk war jedenfalls nicht umsonst“, rutschte mir doch wirklich heraus und nun lief er leicht rosa an.

„Setz Dich mal hin, ich mach uns noch einen Kaffee. Ruwen dürfte in Bälde wieder da sein“, forderte er mich auf.

„Jesp“, hauchte ich sehnsüchtig. Frederic drehte sich abrupt wieder zu mir um und musterte mich intensiv.

„Den Namen hat er Dir genannt. So darfst Du ihn nennen?“, murmelte er mehr als erstaunt.

„Ja“, antwortete ich und schaute ihn unsicher an. Wortlos drehte er sich wieder um und setzte eine Kanne Kaffee an. Nachdem er ein paar Brötchen in den Backofen geworfen und den Tisch mit verschiedenen Sachen eingedeckt hatte, setzte er sich wieder zu mir und schaute mich lange unergründlich an.

„Zuerst einmal muss ich Dir danken, mein Junge“, hörte ich ihn leise mit bewegter Stimme sagen.

„Warum?“, fragte ich erstaunt.

„Weil Du meinen Enkel gerettet hast, wahrscheinlich mehr, als Du Dir eigentlich vorstellen kannst.“

„Wegen der Ereignisse vor vier Jahren?“, hauchte ich tonlos. Seine Augen wurden groß vor Erstaunen.

„Die Nacht war wohl wirklich sehr ereignisreich“, sprach er mehr zu sich und ich lief schon wieder rot an.

„Als ich ihm heute Morgen in die Augen geschaut habe, sah ich da einen Jesper, den ich vor vier Jahren verloren geglaubt hatte. Die Weihnachtsfeiertage waren die letzten Jahre immer der reinste Horror, und ich musste mich sehr zusammen reißen, um nicht ebenfalls seiner Trauer zu verfallen. Es hat immer Wochen gedauert bis er in das normale Leben zurückgefunden hatte, wobei Leben übertrieben war.“

„Seine komplette Familie an einem Tag zu verlieren würde wohl keiner einfach so verkraften“, flüsterte ich bewegt und vor meinen Augen formte sich das Bild meiner überschäumenden Mutter mit ihrem hassverzehrten Gesicht.

„Was hat er Dir denn erzählt?“, fragte Frederic vorsichtig. Leise berichtete ich davon.

„Ich sehe, mein lieber Enkel hat zwar die Fakten erzählt, aber nicht, was genau passiert ist. Wichtig ist jedoch, dass er Dir überhaupt davon erzählt hat“, kam es dann nach einer Weile von ihm.

„Was ist denn genau passiert?“, fragte ich, war mir aber gar nicht so sicher, ob ich das hören wollte. Mein Gegenüber straffte sich und sah mich lange an.

„Also seine Eltern und sein Bruder sind wirklich verbrannt, nur hat Ruwen verschwiegen, dass er alles mit eigenen Augen ansehen musste. Sein Vater hatte ihn als erstes aus dem brennenden Haus getragen. Auf Ruwen war im Eingangsbereich ein brennender Balken gestürzt, sein linkes Bein war gebrochen und das Feuer hatte ihm eine große Brandwunde am Oberkörper zugefügt. Sein Vater kam gerade von einer Veranstaltung und fand seinen großen Sohn als erstes, dann legte er ihn vorsichtig außerhalb des Gefahrenbereichs ab und stürzte wieder in das Haus. Die Nachbarn mussten Ruwen mit aller Kraft zurückhalten, da er unter allen Umständen zurück wollte. Das Haus brannte zu diesem Zeitpunkt schon lichterloh. Obwohl die Feuerwehr, die kurze Zeit später eintraf, ihr Möglichstes versuchte, sah Ruwen seinen Vater sowie seine Mutter und seinen über alles geliebten kleinen Bruder, die im zweiten Stock im Schlaf vom Feuer überrascht wurden, nie wieder. Ich war den nächsten Tag sofort in Victoria, habe aber meinen Enkel kaum wiedererkannt. Ruwen war früher ein lebenslustiger Junge, der nur Blödsinn im Kopf hatte, alle mit seinem Charme bezirzte und nur von einem Menschen beherrschbar war – seinem kleinen Bruder Steven. Stevy war sieben Jahre jünger und vergötterte seinen großen Bruder. Diese Familie spielte nicht nur die Bilderbuchfamilie, sie war es!“ Während seines Berichtes waren seine Augen feucht geworden und ein, zwei Tränen kullerten über seine Wange.

„Danach war Ruwen ein Wrack. Der Aufenthalt in der Klinik hat seinen Schmerz, der vorher äußerlich zu sehen war, nur tief in ihn hineingetrieben. Und von dort brach er jedes Weihnachten aufs Neue hervor. Ich kann Dir seine Gefühle nicht nahe bringen, aber es ist ein Anfang, dass er darüber mit jemanden redet, und sein Verhalten heute Morgen zeigt mir, dass er den ersten Schritt zu dem alten Ruwen getan hat“, schloss er seinen Vortrag.

„Oh man, ob ich ihm da wirklich helfen kann?“, murmelte ich verzweifelt.

„Da hab ich keine Sorgen. Das Du ihn Jesp nennen darfst, ist ein untrügliches Zeichen, dass Du etwas ganz Besonderes bist. Das war bisher wirklich nur der Familie vorbehalten!“

Das Klingeln meines Handys unterbrach uns und ich nahm das Gespräch entgegen.

„Hallo“

„Alessio“, hörte ich Matze an anderem Ende.

„Klar, wer sonst“, antwortete ich etwas in Gedanken.

„Wo bist Du?“

„In der Küche“, lächelte ich frech.

„Blödmann, zu Hause?“

„Nö“, grinste ich weiter und das war ja nur die Wahrheit.

„Schade“, kam es enttäuscht aus dem Hörer.

„Aber ich bin in Stuttgart“, warf ich ihm als Häppchen hin.

„Ich leg Dich wirklich noch einmal über das Knie“, knurrte Mathias.

„Pff“

„Kommst Du nun morgen Nachmittag vorbei, wie abgesprochen?“, hörte ich ihn fragen. Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass ich den zweiten Weihnachtsfeiertag ja zum Kaffee bei Mathias eingeladen war. Was sollte ich nun machen?

„Na ja…“, murmelte ich zögernd.

„Ach komm, Ronny würde sich auch freuen“, versuchte er mich zu überreden. Ich fasste einen spontanen Entschluss.

„Okay, aber ich würde nicht alleine kommen“, gab ich diesen bekannt. Dabei kam mir noch eine Idee und ich teilte diese Mathias mit. Frederic nickte zustimmend, als er mich das sagen hörte.

„Das sollte machbar sein. Gut, bis morgen dann, und bestell ihm schöne Grüße“, beendete er dann das Gespräch. Fast zeitgleich mit dem Ende des Gespräches hörte ich die Tür ins Schloss schlagen.

„Hm, Kaffeeduft“, hörte ich eine vermisste Stimme aus dem Flur. Die Tür wurde aufgestoßen und Ruwen betrat den Raum. Seine Wangen waren von der Kälte etwas gerötet und seine Augen blitzten unternehmungslustig.

„Komm mal her“, knurrte ich drohend. Erstaunt sah er mich an, befolgte aber ohne zu zögern meine Aufforderung. Ich schob meinen Stuhl leicht zurück und zog ihn auf meinen Schoß. Schnüffelnd vergrub ich mein Gesicht in seinem Haar.

„Wehe ich finde das Bett noch einmal so leer beim Aufwachen“, flüsterte ich entrüstet in sein Ohr. Er lachte heiser auf.

„Noch solche Stunden heute beim Aufstehen hätte ich nicht durchgestanden“, antwortete er süffisant.

„Blödmann“, knurrte ich und verschloss seinen süßen Mund, damit da nicht noch mehr Unsinn herauskam. Unser Kuss setzte da an, wo wir mitten in der Nacht aufgehört hatten. Sanft und trotzdem gierig saugten wir uns aneinander fest. Atemlos lösten wir uns nach Minuten und schauten beide gleichzeitig wie ertappt zu seinem Großvater. Der lächelte nachsichtig und goss uns dann allen Kaffee ein. Ruwen blieb auf meinen Schoß sitzen und ich ließ meine Finger unter seinen Pullover huschen.

„Tz, tz“, machte er nur, genoss aber meine Streicheleinheiten.

„Sag mal, mein lieber Herr Holland“, knurrte ich ihm ins Ohr, denn ich konnte meine Lippen nicht von ihm lassen.

„Jaaa?“

„Was ist das denn hier?“, fragte ich unschuldig und hielt ihn mein Ringfinger vor die Augen. Diese leuchteten auf und er versuchte, teilnahmslos zu schauen.

„Keine Ahnung“

„Danke, Jesp“, flüsterte ich verliebt in sein Ohr und wir versanken wieder in einem Kuss. Das Frühstück entwickelte sich zu einer langen lustigen Angelegenheit. Ruwen ließ sich fast alles gefallen, aber seine Finger waren nicht untätig. So schaukelten wir uns wohl gegenseitig hoch. Dann sprang er auf.

„Komm mit Du kleiner Macho, Du bist mir noch was schuldig“, grinste er mich herausfordernd an. Er nahm meine Hand und zog mich hinter sich her.

„Gegen 18 Uhr habe ich einen Tisch zum Abendessen bestellt, also um 17.30 Uhr ist Abmarsch“, rief uns Frederic noch hinterher.

„Ich bin Dir noch was schuldig?“, fragte ich atemlos, als er hinter sich die Tür schloss. Er trat dicht an mich heran und zog mich in seine Arme.

„Ja das hier“, flüsterte er lüstern und seine Finger krallten sich in meinen Hintern.

„Bringst Du es denn noch?“, neckte ich ihn. Aber mir wurde ganz heiß, wenn ich daran dachte, was er mit mir vorhatte.

„Nur, wenn Du dafür bereit bist“, hauchte er mir zu und seine Augen glitzerten.

Über eine Stunde später schlummerte er selig in meinen Armen. Es war ungewohnt, aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir nicht gefallen hätte. Diese passive Rolle war etwas total Neues für mich, aber Ruwen schenkte mir ungeahnte Gefühle mit seinem nicht zu verachtenden Schwanz. Dafür, dass es das erste Mal für ihn war, musste er ein Naturtalent sein, denn er zeigte eine ungeahnte Ausdauer. Meine Finger spielten mit seinem halblangen Haar.

„Du bist unersättlich“, murmelte er leise.

„Bei dem Kerl in meinen Armen ist das kein Wunder“, hauchte ich verliebt. Seine Finger huschten zwischen meine Schenkel und als er meine Härte fühlte, lachte er leise vor sich hin. Trotz der Lust, die ich schon wieder verspürte, wand ich mich unter ihm hervor und stand auf.

„Menno“, knurrte er entrüstet. Ich huschte schnell auf den Flur und hoffte, dass mich Frederic so nicht erwischte. Dort angelte ich nach meiner Tasche und schlüpfte schnell wieder in das Zimmer. Ruwen hatte sich aufgesetzt und grinste mich frech an.

„In diesen Zustand in die Öffentlichkeit gehen“, kicherte er spitzbübisch, und seine Augen verschlangen regelrecht mein bestes Stück.

„So, ich hab zwar nur eine Kleinigkeit für Dich, mein Schatz, aber es kommt von Herzen“, eröffnete ich ihm und legte einen mittelgroßen Karton auf das Bett. Mit großen erstaunten Augen sah er mich an. Ich musste sehr stark an mich halten, um nicht laut loszulachen. Er schüttelte das Geschenk kurz und ein leises Klappern war zu hören. Mit einer ungeahnten Schnelligkeit riss er das Papier herunter und öffnete den Karton. Sein Mund stand aber so was von offen, als er den Inhalt erkannte und ich gackerte ungehemmt los.

„Du bist ja total bescheuert“, entfuhr es ihm dann, als er sich etwas gefangen hatte. Mit spitzen Fingern angelte er einen Gegenstand aus dem Karton und hielt mir einen wunderschönen, bemalten Holzpantoffel vor die Nase.

„Damit soll ich Dir wohl den Allerwertesten versohlen“, grunzte er amüsiert, und ein diabolisches Funkeln trat in seine Augen.

„Ich dachte, Du solltest Dich mal auf Deine Wurzeln besinnen“, neckte ich ihn. Wortlos ließ er den Pantoffel wieder in den Karton gleiten und stellte diesen auf den Boden, dann stürzte er sich auf mich. Aus der wilden Rangelei wurde dann ein liebevolles Schmusen.

„Die Prügel mit dem Latschen heb ich mir mal für die Zukunft auf, mir fällt gerade eine liebevollere Behandlungsmethode für Dein Prachtstück ein“, flüsterte er lüstern…


Nun stand ich hier mit Ruwen vor Mathias Haustür und war doch etwas nervös. Mit ihm stundenlang durch das Bett zu toben war das eine, aber diesen niedlichen Kerl als meinen Freund anderen vorzustellen, war doch etwas ganz anderes. Meine Finger zitterten ein wenig, als ich den Klingelknopf bestätigte. Mathias öffnete uns persönlich die Tür.

„Hallo, da seit Ihr ja beide“, begrüßte er uns lächelnd. Zögernd folgte ich Ruwen und Mathias.

„Glückwunsch“, murmelte Mathias mir zu und nickte leicht zu Ruwen. Schüchtern lächelte ich zurück.

„Alessio, Alessio“, krähte jemand aus seinem Zimmer und kam angerannt.

„Na Ronny, was hat der Weihnachtsmann denn alles gebracht?“, empfing ich ihn lachend. Dieser griff sich meine Hand und zog mich hinter sich her. Dann stutzte er und schaute Ruwen mit großen Augen an.

„Wer bist denn Du?“

„Das ist Ruwen, mein Freund“, antwortete ich ihm. Mathias zog anerkennend seine Augenbraue hoch.

„Also doch“, lächelte mir seine Frau von der Tür entgegen. Ruwen war bei dem Zwiegespräch leicht rot angelaufen, trat aber dichter an mich heran.

„Dann ist ja alles klar“, rief Ronny und zottelte weiter an meiner Hand. Entschuldigend lächelte ich meinem Schatz zu und folgte ihm in sein Zimmer. Bis zum Kaffee durfte ich mir dann alle Geschenke genau anschauen und verfiel mit ihm zusammen dem Spieltrieb.

Am Kaffeetisch angelte ich in meine Tasche und schob Ronny noch ein Geschenk über den Tisch.

„Das hat der Weihnachtsmann gestern bei uns für Dich abgegeben“, wandte ich mich an den sechsjährigen Knips.

„Oh toll“, leuchteten mich große Kinderaugen an. Stürmisch riss er das Geschenk auf und hielt dann triumphierend Sekunden später zwei nagelneue Matchboxautos in den Fingern.

„Super“, krähte er und Mathias warf mir einen finsteren Blick zu. Corinna fing an zu gackern und auch Ruwen konnte sich das Lachen nur mit Mühe verkneifen. Ein Läuten an der Tür unterbrach den Heiterkeitsausbruch der meisten Leute am Tisch, und Mathias stand brubbelnd auf. Auf dem Flur waren leise Stimmen zu hören, aber da er die Küchentür geschlossen hatte, war nichts zu verstehen. Die Tür schwang langsam auf und in dieser stand…

…meine Mutter.

„Alessio“, fing sie stockend an und ich nahm sofort eine Abwehrhaltung ein. Unter dem Tisch angelte Ruwen nach meiner Hand und seine Finger schlossen sich sanft um meine. Nun konnte man hinter ihr auch Fio und Norbert sehen.

„Ja“, sagte ich abweisend.

„Bitte komm wieder nach Hause“, flüsterte sie heiser.

„Das geht nicht“, wehrte ich ruhig ab, jedoch sah es in mir ganz anders aus.

„Ich…, ich muss damit erst klar kommen. Bitte…, hilf mir dabei“, stotterte sie den Tränen nah.

„Nur wenn Du meinen Freund akzeptierst“, antwortete ich leise. Ihr Blick irrte von mir zu Ruwen, und dieses Mal verzerrte sich ihr Gesicht nicht vor Hass. Lange musterte sie ihn und ich weiß nicht, welchen Kampf die beiden gerade ausfochten, aber zum Schluss umspielte ein leichtes Lächeln ihre Lippen.

„Einen hübschen Kerl hast Du Dir da ausgesucht“, war ihre Antwort, die mich total überraschte.

„Eher hat er mich erwählt“, murmelte ich verlegen. Ruwen gab mir einen kleinen Schubs und ich ging meiner Mutter entgegen. Erleichtert schloss ich sie in meine Arme, und dieselbe Erleichterung konnte ich in den Gesichtern von Fio und Norbert sehen.

„Er sei uns immer willkommen“, murmelte meine Mutter in meinen Armen und es klang verdammt ernst. Wir verbrachten dann einen herrlichen Nachmittag miteinander, und als ich Ruwen zwischendurch einen kleinen flüchtigen Kuss gab, lächelte meine Mutter sogar. Zu mehr war ich noch nicht in der Lage, aber etwas anderes konnte ich mir gerade nicht mehr vorstellen. Beim Abschied grummelte Mathias auf einmal los.

„Man, fast hätten wir das vergessen“, knurrte er und verschwand noch einmal in ihrem Schlafzimmer. Zurück kam er mir einer großen Tüte, die er Ruwen in die Hand drückte.

„Das hat der Weihnachtsmann gestern bei uns für Dich abgegeben“, grinste er ihn dabei an.

„Aber ausgepackt wird das erst zu Hause“, mischte ich mich ein und schlug auf seine vorwitzigen Finger. Das entrüstete Gesicht war einfach zu niedlich, aber ich ließ mich nicht erweichen.

Ruwen

Dieser kleine Mistkerl hier neben mir grinste vergnüglich in sich hinein und ließ mich wie auf heißen Kohlen sitzen. Ich wollte endlich wissen, was in der Tüte war, aber er war unerbittlich. Fast rannte ich nach Hause und er kicherte in einem fort. In meinem Zimmer angekommen, schmiss ich erst einmal das Geschenk auf das Bett und zog den frechen Kerl in meine Arme. Gierig knutschte ich ihn ab und ihm schien die lange Abstinenz seit heute Morgen auch nicht so richtig gut bekommen zu sein. Zum Glück hatte die Versöhnung mit seiner Mutter funktioniert, denn eine Entscheidung zwischen seiner Familie und mir hätte mich unheimlich belastet.

„Und, gar nicht mehr interessiert an Deinem Geschenk?“, keuchte er atemlos, als wir uns nach Minuten wieder trennten. Als Antwort kniff ich ihn in seinen herrlichen Hintern, was mit einem entrüsteten „Au“ beantwortet wurde. Ich drehte mich in seinen Armen um und angelte nach dem Geschenk. Er zog mich dicht an sich heran und ich lehnte mich zufrieden an ihn. Nur das Knistern des Papiers unterbrach diese Stille. Verblüfft zog ich ein dunkelblaues Kleidungsstück aus dem Papier. Sekunden später erkannte ich es als einen neuen Kampfanzug.

„Damit Du nicht mehr wie ein blöder Anfänger herumläufst, denn mit einem weißen nagelneuen Anzug hätte ich Dich zu meiner Prüfung als Partner nicht mitgenommen“, flüsterte er leise in mein Ohr.

„Wie wir die Kata durchstehen wollen, ohne über uns herzufallen, ist mir auch noch ein Rätsel“, grinste ich vor mich hin.

„Aber vielen Dank, mein süßer Judoka“, murmelte ich verliebt.

„Das mit der Kata können wir gleich mal üben und Du kannst schauen, ob der Anzug auch passt“, kicherte er hinter mir.

„Okay“, gab ich mein Einverständnis und stand auf. Lüstern schaute er mich an und erwartete wohl einen Striptease vor seinen Augen.

„Tz, tz“, machte ich nur und verschwand im Bad.

„Feigling“, hörte ich ihn noch enttäuscht. Fix war ich in den Kampfanzug geschlüpft, und er passte wie angegossen. Lächelnd betrat ich wieder das Schlafzimmer und sah einen verdammt süßen Kerl auf meinem Bett liegen. Die Hose war ihm schon mächtig eng geworden und seine Blicke taxierten mich gierig.

„Auf in den Bodenkampf“, knurrte ich und stürzte mich auf Alessio. Heiser lachte er auf und seine Finger griffen fest in meine Jacke. Da ich keine Angriffmöglichkeiten bei ihm hatte, ohne seine Sachen kaputt zu machen, lag ich schnell auf den Rücken und er thronte siegessicher grinsend über mich.

„Gewonnen“, hauchte er atemlos und lächelte mich an. Ich konnte mich mal wieder nicht von seinen Augen lösen und ergab mich ihm willenlos.

„Und Sie waren der Preis, Mr. Holland“, grinste er frech und seine Hände fuhren unter meine Jacke. Schnell war ich von ihr befreit. Als er sich an meiner Hose zu schaffen machte und merkte, dass ich nichts anderes als die anhatte, hielt er verblüfft inne.

„Du kleiner hinterhältiger Mistkerl, das war alles geplant“, knurrte er empört, riss mir aber stürmisch die Hose vom Leib. Seine Sachen flogen ebenfalls auf den Boden, und einen Augenblick später führten wir den Bodenkampf, so wie Gott uns geschaffen hatte, fort…

Einige Orgasmen später lagen wir uns erschöpft in den Armen, und seine Finger spielten mit meinen Haar. Dafür konnte ich meine Hände nicht von seinem Körper lassen und streichelte seinen herrlichen Oberkörper. Er lag unter mir und mein Kopf ruhte an seiner Schulter.

„Jesp“, hörte ich ihn leise, aber sehr ernst. Verwundert hob ich meinen Kopf und sah in schwarze Sterne. Sie glitzerten so verliebt, dass sich mein Herz fast schmerzhaft zusammen zog.

„Ich habe es Dir noch nie mit eigenen Worten gesagt…“, fing er heiser an und man konnte sehen, dass ihm die Worte nicht leicht fielen.

„…ich liebe Dich!“ Diese Worte waren nur ein Hauch gewesen, aber deutlicher hätte mir ein Mensch nicht beichten können, was er gerade empfindet. Bei mir verhielt es sich im Prinzip genauso, nur ging das Alles viel tiefer.

„Alessio, willst Du meine neue Familie sein?“, flüsterte ich ihm sehr leise zu.

„Wow.“

„Das Angebot ist unglaublich und ich sage von ganzen Herzen JA“, erwiderte er fast feierlich. Zufrieden und glücklich legte ich meinen Kopf wieder auf seine Schulter und träumte von unserer gemeinsamen Zukunft. Vorsichtig hörte in mich hinein, aber meine Dämonen waren erst einmal verstummt…

Ende

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