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Christmas Hustle

Teil 5 - Eine Geschichte von Finsternis

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Vorwort

 

Nach unserem Kuss passierte nichts. Jedenfalls nicht an diesem Tag. Ich hab keine Ahnung, wie wir nach Hause gekommen sind, ob wir uns unterhalten haben - und wenn ja, worüber wir geredet haben könnten. Meine Erinnerung an diesen ersten gemeinsamen Nachmittag endet mit diesem Kuss.

Auch an die folgenden Tage kann ich mich kaum erinnern. Ich weiß nur, dass Logan und ich nachmittags nach der Schule und an den Wochenenden so oft zusammenhingen, dass es fast schon ein bisschen auffiel. Logan hatte sich sogar in den Faith&Abstinence-Club eingeschrieben, in dem ich ja schon seit ewiger Zeit Mitglied war. Es nervte mich zwar zunehmend, aber ich konnte den Club kaum verlassen, ohne von irgendwem gefragt zu werden warum. Außerdem glaubte ich ja an Gott. Und mit Frauen schlafen wollte ich sowieso nicht.

Apropos Sex:

“Glaubst du an Gott?”, fragte ich ihn an dem Nachmittag, nachdem ich seinen Namen auf der Liste des Clubs gesehen hatte, während wir auf seinem Bett lagen.

“Schon, du?”, erwiderte Logan.

“Ja, auf jeden Fall”, sagte ich im Brustton der Überzeugung.

“Auch an diese Abstinence-Sache?”

Ich stockte. Wollte er....?

“Logan...”, begann ich, “wie meinst du das?”

“Naja...ich...ich weiß nicht, aber ich meine...”, offensichtlich hatte meine unsichere Reaktion ihn angesteckt, jedenfalls begann er herum zu stottern und wurde rot.

Ich sah ihn an und errötete ebenfalls. Eine kurios lange Weile schwiegen wir, bevor er irgendwann sein Gesicht abwandte und einen weit entfernten Punkt in den Baumwipfeln suchte, die wir aus unserer Position durch sein Zimmerfenster erkennen konnten.

“Ich würd schon gern mit dir schlafen, irgendwann.... Irgendwann bald”, sagte er leise und ohne mich anzusehen.

Ich erinnere mich noch, dass ich mich auf ihn drauf gelegt und ihn geküsst habe.

Die Zeit danach war, ungelogen, die glücklichste Zeit in meinem ganzen Leben. Nichts, was danach kam, war jemals wieder so schön. Nicht nur, weil Logan und ich einige Wochen später wirklich miteinander geschlafen haben - so richtig romantisch mit Kerzen, stinkenden Duftölen und so - sondern vor allem, weil wir uns in allem gut verstanden und gegenseitig ergänzt haben.

Nur mitbekommen durfte natürlich niemand etwas. Uns war völlig klar, dass das alles in einer Katastrophe enden würde, sobald jemand etwas von uns wusste. Seine Eltern, obwohl sicher nicht so unglaublich konservativ wie meine, waren, soviel war uns bewusst, nicht sonderlich schwulenfreundlich. Und dann war Logan noch ihr einziges Kind. Wir mussten vorsichtig sein - und wir waren es. Wir hatten nur Sex, wenn niemand im Haus war. Weil wir beide enge Freunde zu sein schienen, war es für unsere Eltern irgendwann normal, dass wir am Wochenende regelmäßig beim jeweils anderen übernachteten. Soweit lief alles gut.

Die Katastrophe begann, also Logans Onkel zu Besuch kam und Logan mitteilte, es sei ziemlich ungewöhnlich, in seinem Alter noch keine Freundin zu haben. Ich war selbstverständlich nicht dabei, aber die Art, in der Logan mir von dem Gespräch erzählte, alarmierte mich sofort. Nachfragen war allerdings nutzlos. Er blockte jeden meiner Versuche ab, behauptete stattdessen steif und fest, nichts sei los und sein Onkel hätte ihn völlig kalt gelassen.

Ich glaubte ihm nicht – und sollte Recht behalten.

Eine Woche später hatte er eine Freundin.

Logan erzählte mir zunächst nichts davon. Erst als meine Mutter die Beiden, es handelte sich bei dem Mädchen um eine gemeinsame Bekannte aus dem Abstinenz-Club, bei Wal-Mart getroffen hatte, erzählte er mir davon.

“Andrew”, begann er, kaum dass er meine Zimmertür hinter sich geschlossen hatte.

Ich, ahnungslos, lag auf dem Bett und erwartete nichts sehnlicher, als dass er sich zu mir legen würde. Durch seinen Ton alarmiert, setzte ich mich auf und sah ihn mit großen Augen an.

“Was ist los?”

Er wusste offensichtlich nicht, wie er anfangen sollte, knetete seine Hände und sah unsicher im Raum umher.

“Ich hab jemanden kennengelernt. Mary-Anne. Wir sind jetzt zusammen”, brach es nach einer kurzen Weile aus ihm heraus.

Ich konnte ihn nur anstarren und die Kaskade aus Erklärungen, die folgte, an mir vorbeiziehen lassen, ohne wirklich zu verstehen, was er da sagte.

“Das mit uns, das geht hier nicht. Das endet in einer Katastrophe. Es ist besser so. Glaub mir.”

Logan ließ mich irgendwann alleine. Bewegungslos saß ich auf meinem Bett. Ich heulte die ganze Nacht.

In der Folge sah ich Logan quasi gar nicht mehr. Das lag vor allem daran, dass ich ihm aus dem Weg ging, weil ich den Anblick des Typen, den ich liebte, nicht ertragen konnte. Zumal, weil er ständig mit seiner Tussi herumhing und seine ‘Liebe’ zu ihr in einer Weise zur Schau stellte, die mich anwiderte. Natürlich waren sie züchtig genug, um dem Christentum Genüge zu tun. Aber trotzdem hingen sie permanent aneinander, hielten Händchen und tauschten diese Blicke aus, die nur Verliebte austauschen können.

Er war ein ziemlich guter Schauspieler. Jedenfalls verursachten seine Darbietungen mir Übelkeit – und das ziemlich heftige.

Für mich hatte sich alles verändert. Das, was passiert war, der Sex mit Logan und alles, was damit zusammenhing, hatten mir zugleich den Weg zurück in mein altes Leben versperrt. Klar, nach außen hätte das keiner mitgekriegt. Wieso auch? In die Kirche ging ich ja noch, aber eher, um die Form zu wahren. Aber den Unterschied merkt ja keiner. Ich hab auch keine Ahnung, ob die anderen Leute in der Gemeinde gerafft haben, dass irgendwas anders war. Ich redete nicht mehr mit ihnen. Nach allem, was war, erschien es mir sinnlos, mein Leben mit ihnen zu teilen. Das ging nicht mehr. Es kam mir alles entsetzlich hohl vor, weil mir klar war, dass ich nach der High-School diesen Ort und alles, was damit zusammenhing, verlassen würde. Würde verlassen müssen.

Mein Leben war zu dieser Zeit eine einzige, tägliche Demütigung. Ich war mit mir selbst an einem Tiefpunkt und redete mir ein, es würde bald alles besser werden. Mein Körper rebellierte gegen die Situation und meine Gefühle, ich konnte nichts mehr essen, kaum noch schlafen, war lustlos und unfreundlich. Also ganz das Gegenteil von dem netten Jungen, den alle kannten. Irgendwer muss das mitbekommen haben, aber entweder es interessierte die Leute in meinem Dreckskaff von Heimatort einfach nicht – oder sie dachten, ich sei nur ein Teenager. Keine Ahnung. Und solange man keine Scheiße baut kann man ja immer alles machen.

Wobei, für meine Familie war natürlich schon irgendwie offensichtlich, dass ich litt. Wie offensichtlich mein Leiden für sie aber wirklich war, bemerkte ich leider nicht. Vielleicht wäre mir einiges erspart geblieben, wenn meine Eltern mich einfach gefragt hätten. Dann hätte ich mir eine Lügengeschichte ausgedacht und alles wäre okay gewesen. Jedenfalls hätten sie mich in Frieden gelassen. Aber aus irgendwelchen Gründen taten sie das nicht. Sie ließen mich machen, guckten ab und an wütend, wenn ich wieder mal mürrisch war oder nix aß. Aber sie sagten nichts.

Bis zu dem Tag, an dem meine Mutter sich in mein Zimmer schlich und mein Tagebuch las.

Danach hatte sich für mich das Tor zur Hölle geöffnet. Denn wie es sich für eine gute Christin gehörte, hatte meine Mutter natürlich zuerst ihrem Mann und dann dem Pastor meiner Gemeinde über mein Schwulsein berichtet, das aus den Einträgen über mich und Logan ziemlich deutlich herauszulesen war. Alle reagierten sie auf ihre sehr eigene Weise auf meinen “sündigen Lebenswandel”, wie sie es in ihren freundlicheren Tiraden kommentierten .

Meine Mutter weinte, wann immer sie mich sah und hielt, wenn wir gemeinsam am Tisch saßen und beteten, eine Fürbitte an Gott für angemessen, in der sie dafür betete, ich möge bitte wieder normal werden.

Mein Vater beschloss, mich von nun an regelmäßig zu verprügeln, etwas, das vorher noch nie vorgekommen war und ihm jetzt nahezu spielerisch leicht von der Hand zu gehen schien. Von jetzt ab gab es jeden Tag zweimal Dresche. Mal mit, mal ohne Gürtel. Ich habe nie verstanden, wie ich das ausgehalten habe, als es vorbei war. Aber als ich noch mittendrin war, hatte ich immer das Gefühl, dieses eine Mal überstehen zu müssen, dann würde es das nächste Mal schon aufhören. Tat es natürlich nicht. Vielleicht nutzte mein Vater das alles auch einfach als Vorwand, um mal die Sau rauszulassen. Keine Ahnung. Schon bei dem Gedanken an diesen Menschen kriege ich heute immer noch Wutanfälle. Meine Mutter, die meistens dabei war, wenn er wieder einen seiner Wutanfälle bei dem Gedanken an einen schwulen Sohn hatte, schritt nie ein. Überhaupt hat nie jemand eingegriffen, obwohl ja meine Verletzungen irgendwem aufgefallen sein müssen.

Am Schlimmsten war es jedoch in der Kirche. War ich dort früher beliebt und geachtet, so änderte sich das von einer Minute zur anderen. Der Pastor, früher einer meiner engsten Vertrauten, sprach nicht mehr mit mir - und wenn, dann nur in einem Ton höchster Besorgnis. Diese Haltung übertrug sich, obwohl nie offen darüber gesprochen wurde, auf die restlichen Gemeindemitglieder. Diese begannen zu tuscheln, denn irgendwas muss ja mit mir los sein, wenn sich doch alle so und so mir gegenüber verhielten - was wiederum für die Atmosphäre zu Hause pures Gift war.

Nicht mehr hingehen oder die Bibelstunden schwänzen kam nicht in Frage, das wollten meine Eltern nicht, schließlich glaubten sie, vermutlich bis heute, dass Jesus mich von der Krankheit, an der ich in ihren Augen leide, erlöst.

Wenn sie nur wüssten, was ich heute tue!

Ich durfte, damit ich ihnen aus den Augen kam, wie ich vermute, einen Nebenjob in einer Autowerkstatt antreten. Vielleicht dachten sie, der Kontakt zu echten Kerlen und Maschinen würde mich wieder normal machen? Keine Ahnung. Das Geld sammelte ich jedenfalls sorgsam zwischen meinen Büchern, weil mir klar war, dass ich irgendwann von hier würde verschwinden müssen.

Eines Tages war es soweit. Mein Vater hatte für die tägliche Tracht Prügel dieses Mal wieder seinen Gürtel verwendet und mir tat buchstäblich jeder Knochen weh. Ich wollte nur noch weg und vor allem: Ich wollte nie wieder zurückkommen müssen. Also fasste ich einen Plan: Autostop bis Laramie, von dort mit dem Zug nach Denver und von Denver aus entweder nach New York oder nach LA. Mit dem Flugzeug.

Nur dumm, dass ich in meinem Alter zwar das Geld, aber nicht das Recht hatte, einen Flug zu buchen. Also musste ich anders an mein Ziel kommen.

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