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Bring mir dein Lachen bei
Akt 1 - Ouverture
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Informationen
- Story: Bring mir dein Lachen bei
- Autor: Kida Takahama
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama
Inhaltsverzeichnis
Genre: Shounen Ai / Yaoi
Fandome: Original / Eigene Serie
Kapitel: 1-15, Epilog
Disclaimer: Die Charaktere und alles Sonstige gehört mir ^^
Entstehung:
Meistens habe ich bei meinen Geschichten vorher einen Plan, wie sie ablaufen soll. Dies war hier nicht wirklich der Fall. Die einzige Idee, die ich zu Beginn hatte, war die allererste Szene dieser Geschichte. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, was ich daraus machen sollte. Doch kaum hatte ich angefangen zu schreiben, konnte ich auch schon nicht mehr damit aufhören und die Ideen flossen nur so aus meinen Fingern heraus *drop*
Interessanterweise verwarf ich den Plan, der sich mit der Zeit in meinem Kopf bildete, bei Kapitel 3 wieder vollkommen. Fast alles, was ich zu dem Zeitpunkt vorhatte, erschien mir plötzlich zu ausgelutscht und unpassend. Daher habe ich mir eine Grundhandlung ausgedacht, die ohnehin viel besser zu dem passte, was ich bereits geschrieben hatte.
Letztendlich blieb es nicht mal bei dieser zweite Grundidee. Der Verlauf, die geplanten Szenen haben sich immer wieder geändert, vertauscht oder sind komplett weggefallen. Der eigentliche Höhepunkt der Geschichte passte nicht mehr, weshalb ein neuer her musste, und Szenen kamen dazu, die zu Anfang nicht mal angedacht waren ...
Titel:
Der Titel ist für mich etwas sehr schwieriges, während ich mich mit den Kapiteltiteln eher leichter tue. In diesem Fall war das genau andersherum. Zwar ist „Bring mir dein Lachen bei“ nicht meine erste Titelidee gewesen, aber ich habe auch nicht besonders lange nachdenken müssen, bis mir dieser, meiner Meinung nach perfekt passende Titel eingefallen ist ...
Bei den Kapiteltiteln war das viel schwieriger. Vorweg muss ich dazu sage, dass ich nicht gerne einem Kapitel einfach einen passenden Titel gebe, sondern bei meinen mehrteiligen Geschichten meist sehr darauf achte, dass alle Titel zusammenpassen, sei es durch Stil, durch der Sprache oder irgendeine andere (für mich) erkennbare „Ordnung“.
Bei dieser Geschichte nun habe ich mich letztendlich für Begriffe aus dem Musicalbereich entschieden. Wieso Musical? Das werdet ihr später erfahren ^__~
Nathanael:
Mir ist es noch nie SO schwer gefallen, eine Person zu schreiben! Wirklich, Nathanael war eine richtig harte Nuss. Das liegt vielleicht daran, dass mir noch nie einer meiner Ich-Erzähler so unähnlich war wie Nathanael. Schnell war mir zwar klar, was er für ein Mensch sein soll, aber da ich selbst nicht so bin, musste ich versuchen, mich sehr in seine Gedankengänge hineinzufinden. Und dann hat er sich sogar bei mir gesträubt hat, mir seine Gedanken zu öffnen ... ihr könnt euch vorstellen, wie schwierig es war, ihn dennoch erzählen zu lassen *lach*
Kommentar:
Es würde mich sehr freuen, wenn ihr mich dann und wann eure Gedanken wissen lasst! Ich bin auch für negative (aber bitte konstruktive) Kritik durchaus zu haben, da sie mir nur weiterhelfen kann, also keine Scheu :)
Aber natürlich hoffe ich sehr, dass euch diese Geschichte gefallen wird, dass ich es geschafft habe, die Szenen glaubwürdig zu beschrieben, und dass ihr versteht, was in Nathanael vorgeht. Ich hoffe, dass ihr ihn und meine anderen Charaktere liebgewinnt… und vor allem hoffe ich, dass ihr Spaß beim Lesen habt!
Akt 1 - Ouvertüre
„Mutter ... ich bin schwul.“
Wie oft schon habe ich diese Worte gedacht?
Wie oft schon wollte ich sie einfach sagen?
Wie oft schon wollte ich ihre Reaktion kennen?
Unzählige Male.
Und wie oft habe ich es gesagt?
Ein Mal.
Um genau zu sein: Heute ... jetzt ... in diesem Augenblick.
Eigentlich müsste ich jetzt wohl das Gefühl haben, im Boden zu versinken oder aus dem Raum rennen zu wollen… doch nichts dergleichen geht in mir vor. Letztendlich wende ich nicht einmal den Blick ab.
Das Gesicht mir gegenüber ist etwas bleicher geworden als es ohnehin schon ist. Jegliches Restblut scheint aus den Wangen gewichen zu sein und mit dem dunklen Lippenstift wirkt sie nun wie eine Puppe.
Wie passend, fährt es mir unpassender Weise durch den Kopf.
Die schmale Hand legt nun endlich Blatt und Stift zur Seite. Sie verschränkt die Finger ineinander, knetet sie ... während sie mich noch immer so anstarrt. So ... wie?
Ich habe keine Ahnung ... aber wenn ich raten müsste, wäre entweder gleichgültig oder wütend das passende Wort. Und dass wütend nicht auf diese Person passt, weiß ich nur zu gut…
„Was bezweckst du damit, mir dies zu sagen?“, kommt es schließlich mit fast diplomatischer Stimme.
Ist nun der Zeitpunkt zum Verhandeln gekommen? Wäre es nicht so ernst, könnte ich fast darüber lachen.
„Ich wollte es nur endlich loswerden ...“ Wieso zittert meine Stimme?
Ein leichtes Nicken.
„Das hast du hiermit getan. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest? Das hier kann nicht warten.“ Mit spitzen, verkrampften Fingern deutet sie auf den Schreibtisch und wendet dennoch ihre Augen nicht von mir ab.
„Ist das dein Ernst?“, entweicht es mir ruhig.
„Ja, das ist es. Oder erwartest du allen Ernstes, dass ich mich weiter mit dieser Perversität befasse? Tut mir leid, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür.“ Sie greift nach dem Stift, den sie nur wenige Sekunden zuvor fallengelassen hat. „Also ...?“
Sprachlos stehe ich da ... irgendetwas erwartend, wenn ich auch nicht weiß, was es eigentlich ist… und irgendwie muss ich daran denken, wie ich als kleiner, neunjähriger Junge damals hier stand, als ich diese sündhaft teure Büste beim Spielen kaputt gemacht hatte. Damals stand ich ebenso nicht wissend hier, keine Ahnung, was kommen würde, nicht wissend, wie schwer die Strafe sein würde. Meine Mutter war damals so starr wie heute, sagte nur das Nötigste dazu ... und sprach danach nie wieder auch nur ein Wort darüber. Dafür wurde der Platz, an dem die Büste gestanden hatte, mit einem anderen Kunstwerk geschmückt. Heute noch gefällt es mir nicht ... und ich bereue, als Kind so unachtsam gewesen zu sein. Die Büste war das letzte Stück meines Großvaters gewesen. Im Endeffekt war ich als einziger traurig über den Verlust.
Dass sie mich natürlich nicht so leicht ersetzen können wie diese Büste ist mir klar, aber die Situation ist der von damals ähnlich ... nur dass ich nicht kurz davor bin, in Tränen auszubrechen. Immerhin weiß ich ja, wie auf derartige Situationen reagiert wird. Habe ich tatsächlich heute mit etwas anderem gerechnet?
„Ich ...“
„Du bist ja immer noch da!“ Über den Brillenrand hinweg werde ich finster angesehen. Mittlerweile ist die Farbe in die Wangen zurückgekehrt. „Worauf wartest du noch?“
„Ich weiß nicht. Ich ...“
„Dann kann ich dir auch nicht helfen. Also geh jetzt endlich. Um Neun gibt es Abendessen, bis dahin will ich dich nicht mehr sehen!“
Ich spüre wie meine Schultern an Spannung verlieren und hinuntersacken. Ich kann nichts anderes tun als zu nicken, mich umzudrehen und zu gehen.
Ich laufe den langen Flur nur sehr langsam entlang, nachdem ich die schwere Eichentür hinter mir geschlossen habe. Irgendwie habe ich das Gefühl, nicht wirklich hier zu sein.
Ich wusste, dass sie ausdruckslos ist, dass sie nur das Nötigste spricht und sich ungern mit Dingen beschäftigt, die nicht mit ihrer Arbeit zu tun haben ... aber dass sie selbst in diesem Moment so emotionslos reagiert, dass hätte ich nicht gedacht… Obwohl, hätte ich das wirklich nicht?
Habe ich etwa gehofft, dass sie endlich einmal ausflippt? Wenigstens dieses eine Mal?
Was ein Quatsch.
Während meine Füße mich zum Wintergarten tragen, muss ich aus irgendeinem Grund daran denken, wie ich in meiner Kindheit bei Steffen zuhause war. Es war das erste Mal in meinem jungen Leben gewesen, dass ich einen Streit erlebte. Steffen stritt sich lautstark mit seiner Mutter und ich war zutiefst eingeschüchtert, kauerte mich am Fußboden zusammen und dachte, die Welt würde untergehen. Ich hatte noch nie jemanden schreien hören, außer manchmal meine Mutter, wenn sie den Telefonhörer hielt – ich dachte aber eigentlich immer, dass die Leute, mit denen sie sprach, einfach nur schwerhörig wären. Nun, mit acht Jahren begriff ich, dass dies ein Streit war ... und so sehr es mich im ersten Moment erschreckte, so sehr wünschte ich mir nur einige Minuten später, auch einen erleben zu können. Dann nämlich, als Steffen von seiner Mutter in die Arme geschlossen wurde und sie ihn tröstete, als sie ihn liebevoll aufs Haar küsste und ich noch etwas zum ersten Mal sah: elterliche Liebe.
Hatte ich vielleicht daher ein dreiviertel Jahr später die Büste zerstört?
Nachdenklich wiege ich mich im Schaukelstuhl hin und her.
Was habe ich erwartet, als ich heute her kam? Dass alles mal anders läuft als normal? War ich wirklich so blauäugig? Ich weiß doch, dass in meiner Familie noch nie über Probleme gesprochen wurde, dass ich bei allem immer alleine gelassen wurde, dass sich bei Erfolgen nie jemand für mich freute, dass ich einfach in einer Familie lebe, die als Zweckgemeinschaft fungiert. Sogar das Verhältnis zu meinen Geschwistern ist doch nur ein solches.
Ein emotionsloses Lachen entfährt mir.
Eigentlich geschieht es Ihnen ganz recht, dass ich schwul bin, pervers, wie sie vorhin so schön gesagt hat. Endlich ist da ein Fleck auf ihrer weißen Weste, der sich nicht davon wischen lässt.
„Unser Sohn hat mir heute gesagt, dass er homosexuell ist.“
Ich verschlucke mich an den Erbsen. Hustend fällt es schwer, sie nicht alle über den Tisch zu verteilen. Ich schlage mir auf die Brust, den Hustenreiz nur schwer unterdrückend, greife nach einem Glas und höre dann, wie ohne Beachtung meines Zustandes weitergesprochen wird.
„Du meinst ihn?“ Ein Seitenblick auf mich.
„Ja.“
Kühle Augen treffen mich, während ich den Wein hinuntergieße und würge, es irgendwie schaffe, endlich wieder richtig zu atmen.
Schließlich schaffe ich es, den Blick, der auf mir liegt, zu erwidern. Irgendwann hebt sich eine Augenbraue.
„Was gedenkst du nun zu tun?“
„Was ich tun will?“, wiederhole ich.
„Wunderbar wie du hören kannst. Ja, das war meine Frage.“ Fast klingt es verachtend. Fast?
„Ich weiß nicht ...“, zögere ich. Was erwartet er von mir?
Ich werfe meiner Mutter einen Blick zu. Sie aber isst nur still weiter, mit ausdruckslosem Gesicht.
Ein tiefes Seufzen lässt mich wieder zurücksehen.
„Gedenkst du eine Therapie zu machen?“, klingt es wenig genervt.
„Ein Therapie?“, werde ich fast etwas laut, woraufhin sein Blick nur noch missgünstiger wird.
„Dann schaffst du es also ohne Therapie, das loszuwerden?“
„DAS loswerden? Moment mal! Ich werde nicht ...“
„Sohn!“, werde ich harsch unterbrochen. Finster sieht sie mich an. „Sag bloß, du willst nichts an deinem Zustand ändern?“
„An meinem Zustand?“, spucke ich das Wort heraus. Das kann doch nicht wahr sein!
„Scheint mir nicht so.“ Ein Schulternzucken mir gegenüber. Er senkt den Blick wieder auf seinen Teller. „Gut, dass du Kenneth bist, sonst müsste ich mir jetzt einen anderen Nachfolger suchen ...“, kommt es wie nebenbei, während ich ihn sprachlos anstarre.
„Denkst du ans Enterben?“, klingt es diplomatisch von meiner Seite.
„Ich werde darüber nachdenken, ja ...“
„Mutter ... Vater ... das ...“
„Wann geht dein Zug?“, werde ich unterbrochen.
„Ich wollte erst morgen ...“
„Ach, ruf dir einfach ein Taxi.“ Die Schwärze seiner Augen scheint mich erdrücken zu wollen, weshalb mir jegliche Antwort im Halse stecken bleibt. „Na los! Worauf wartest du noch?“
„Sie haben einen ziemlich miesen Abend gehabt, was?“
„Hm?“ Ich wende den Blick von der vorbeiflitzenden Nacht ab zum Rückspiegel, von wo mich ein Augenpaar kurz ansieht, bevor es wieder nach vorne blickt.
„Oh ... naja ... wie man’s nimmt ...“
„Dann ist es für Sie üblich, um diese Uhrzeit mit schlechter Stimmung fast hundertfünfzig Kilometer mit dem Taxi zu fahren?“
Ich zucke mit den Schultern. „Sie haben wohl recht ...“
„Wollen Sie darüber sprechen?“ Wieder werde ich durch den Rückspiegel angesehen.
„Es würde Sie nur langweilen ...“
„Langweiliger als eine dunkle Autobahn? Glaub ich kaum ...“ Ein kurzes Lachen, das Schmunzeln der Augen. „Wissen Sie was? Ich fahre bei der nächsten Raststätte ab, hole uns ´nen Kaffee und dann erzählen Sie mir, was Ihnen den Abend versaut hat, in Ordnung?“
„Meinetwegen“, sage ich und starre wieder aus dem Fenster.
Was soll ich ihm schon groß erzählen? Dass ich schwul bin und mein Vater mich deshalb enterbt? Nicht sonderlich spannend ... vielleicht sollte ich das noch irgendwie aufpeppen ... vielleicht durch den tragischen Schlaganfall, den er dadurch erlitten hat ... oder durch einen behinderten Bruder, der nun die Firma übernehmen muss.
Schwachsinn!
Ich schüttle meinen Kopf und sehe mein schwaches Spiegelbild dasselbe tun.
Tobias wird bestimmt nicht schlecht gucken, wenn ich heute schon wieder auftauche. Eigentlich habe ich gar keine Lust darauf, ihm irgendwas zu erklären…
Seufzend schließe ich für einen Moment die Augen und versuche an nichts zu denken. Nicht so einfach, sehe ich doch die gesamte Zeit die kühlen Augen meines Vaters vor mir ...
Das Abbremsen des Autos lässt mich die Augen wieder öffnen. Ich blicke nach vorne, sehe den Taxifahrer an der Armatur etwas herumdrücken.
„Lassen Sie’s ruhig laufen ... das kann er ruhig auch noch bezahlen.“
Kurz zögert er, zuckt dann mit den Schultern. „Okay, wie Sie meinen. Ich bin gleich zurück!“ Damit steigt er aus.
Ich folge ihm mit den Augen und frage mich einen Moment lang, ob ich dasselbe tun soll.
Kühle Nachtluft schlägt mir entgegen, als ich aussteige, und obwohl es hier nach Abgasen stinkt, habe ich das Gefühl, zum ersten Mal seit Stunden richtig durchatmen zu können.
Mit geschlossenen Augen lehne ich mich gegen das Taxi. Mein Kopf rauscht und ich will nicht mehr nachdenken müssen. Zu viel, viel zu viel ...
„Die Luft tut gut, nicht wahr?“
Erschrocken reiße ich die Augen auf. Ich hatte ihn gar nicht kommen hören.
„Äh ... ja ...“
„Hier, für Sie.“ Er hält mir einen dampfenden Becher entgegen.
„Danke ...“, ergreife ich ihn.
Dann wird es still. Ich sehe in den Becher und frage mich, was ich sagen soll. Stattdessen führe ich den Kaffee zum Mund.
„Vorsicht!“
„Autsch!“ Brühend heiß fließt es mir über die Finger. Erschrocken lasse ich den Becher fallen, spüre die warmen Spritzer durch meine Hose.
„Mist! Das tut mir leid! Ich wollte nicht-“
„Schon okay“, unterbreche ich ihn. „Es war nicht Ihre Schuld.“
Leicht ziehe ich an meinem Handgelenk, welches er noch immer festhält. Nun gibt er es frei.
„Ich wollte nur ... Sie hätten sich den Mund verbrannt, wenn ich nicht ...“
„Es ist okay!“, wiederhole ich nachdrücklich. Und ich versuche ein Lächeln.
„Ich ...“ Er spricht nicht weiter und nickt. Seine Augen sehen mich verlegen an. „Wollen Sie Ihre Hand kühlen?“
„Es geht schon. Ich bräuchte nur ein Taschentuch.“
„Ah! Natürlich!“ Er kramt in seiner Tasche herum, hält mir ein Päckchen entgegen.
„Danke.“
„Wollen Sie ... Ich hole Ihnen noch einen Kaffee!“
„Nicht nötig“, halte ich ihn auf. „Können wir weiterfahren?“
„Oh! Klar!“ Sofort setzt er sich in Bewegung, murmelt irgendwas, das ich nicht verstehe, und deutet dann auf die Beifahrertür. „Wollen Sie vielleicht ... Da ließe sich besser reden ...“
Ich versuche ihm ein Lächeln zu schenken, um ihm endlich wieder die Spannung zu nehmen.
„Gerne“, gehe ich um das Auto herum.
Das Auto gestartet und kaum wieder auf der Autobahn zurück, scheint er so langsam seine Ruhe zurückzugewinnen. Nach ein paar Minuten stellt er das Radio leiser und dann spüre ich den Blick von der Seite ... oder ich sehe ihn in der Fensterscheibe.
Ich drehe ihm mein Gesicht zu.
„Erzählen Sie mir jetzt, wieso Sie um diese Uhrzeit noch ein Taxi brauchten?“
„Wollen Sie das wirklich wissen oder sind Sie nur höflich?“
Ein ehrliches Schulternzucken. „Eigentlich letzteres ... Obwohl es mich mittlerweile tatsächlich interessiert ...“
Ich sehe ihn skeptisch von der Seite an und beschließe, ihm zu glauben.
„Also ...“ Ich lehne mich im Sitz zurück und sehe wieder geradeaus. „Ich habe heute meinen Eltern gesagt, dass ich schwul bin. Meine Mutter hat genau so reagiert, wie erwartet und mein Vater ... naja, eigentlich hat er auch wie erwartet reagiert. Er wollte mir ne Therapie andrehen und da ich das nicht will, hat er gesagt, dass er mich enterbt. Im Haus haben wollte er mich dann heute Nacht auch nicht mehr, darum bin ich nun auf dem Heimweg. Das ist eigentlich schon alles.“
Stille.
Zwei Minuten lang lasse ich sie vergehen, bevor ich ihn ansehe. Seine Lippen sind ein wenig geöffnet, die Augen ein wenig geweitet. Irgendwie sieht es dämlich aus.
„Hab ich Sie schockiert?“
Ein zögerndes Nicken.
„Wieso? Weil ich schwul bin?“
„Quatsch!“, kommt es sofort und er sieht mich an. Das Auto fährt einen komischen Schlenker, als er dabei das Lenkrad etwas verreißt. Sofort sieht er wieder nach vorne. „Das ... es ist nur ... wow ... ich meine ...“
„Ja?“, frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen nach.
„Wie ... wie können Sie bloß so ruhig bleiben?“
„Was soll ich denn sonst tun?“, frage ich verwirrt.
„Ausflippen? Ihrem Vater die Meinung sagen? Ihm sagen, dass er sich seine Therapie sonst wohin stecken kann? So was halt!“
Überrascht sehe ich ihn an. Darauf fällt mir keine Erwiderung ein.
„Macht man das so?“, frage ich dann.
Vollkommen verständnislos werde ich angesehen ... so als wäre ich die Maus vom Mars.
„Natürlich! Sagen Sie bloß, Sie haben es einfach so hingenommen?“
„Ich ... ja ...?!“ Ich zucke mit den Schultern. „Ich brauche sein Geld nicht, wieso sollte ich also-“
„Es geht doch nicht ums Geld! Ihr Vater kann Sie doch nicht einfach verstoßen! Was sagt denn Ihre Mutter dazu?“
„Nichts.“
„Nichts?“
„Nein. Ich glaub, ihr ist das ziemlich egal.“
„Das ist nicht Ihr ernst?!“
„Doch. Wieso?“
„Weil das ....“ Er bricht ab und ich sehe ihn den Kopf schütteln. Er blickt mich an, dann wieder zur Straße, dann wieder mich. Noch ein Kopfschütteln.
„Was ist?“
„Nichts ... ich frag mich nur ... wie es sein kann, dass es Sie tatsächlich nicht stört. Ich meine, Sie geben das nicht nur vor oder so ... es ist Ihnen wirklich egal. Ich begreif das nicht.“
Ich schweige. Was soll ich auch sonst tun? Ihm sagen, dass mir diese Situation bekannt vorkommt? Tobias hat am Anfang, als er mich kennenlernte, auch mal zu mir gesagt, dass er nicht begreifen könne, wie ich in vielen Situationen so ruhig bleiben kann. Und ich begriff nicht, was er meinte.
„Darf ich Sie was Persönliches fragen?“
Ich zucke die Schultern. „Ja.“
Ein merkliches Zögern seinerseits. „Haben Ihnen Ihre Eltern jemals gesagt, dass sie Sie lieb haben?“
„Nein“, antworte ich sofort. Leichte Frage, darüber brauch ich nicht mal nachdenken.
„Wurden Sie in den Arm genommen? Haben Sie mit Ihnen gespielt, als Sie kleiner waren?“
„Nein ... beides nicht.“
„Das ... erklärt einiges“, klingt es fast schon etwas bedrückt.
Stirnrunzelnd sehe ich ihn an. Er spürt meinen Blick, erwidert ihn, lächelt verkniffen. Wahrscheinlich bereut er mittlerweile, dies Gespräch mit mir begonnen zu haben.
Seufzend lehne ich mich wieder gegen die Fensterscheibe, mich auf meiner Hand aufstützend. Ein Ziehen durchfährt meinen Körper und ich ziehe sie zurück.
„Tut es sehr weh?“, kommt es erschrocken neben mir.
Ich schüttle den Kopf, meine Hand auf mein Knie legend. „Es geht schon.“
„Wirklich?“
„Wirklich.“
„Okay.“
Wieder ist es einen Moment still. Ich starre hinaus auf die roten Lichter der Autos vor uns und frage mich, wie lange wir eigentlich schon gefahren sind.
„Darf ich fragen ... was Sie beruflich machen?“
„Ich?“, sehe ich ihn verwundert an. „Ich arbeite in einem Verlag ... ziemlich trocken, aber was will man machen ...“
„Das klingt nicht als hätten sie Spaß an Ihrem Job“, stellt er fest.
„Spaß? Nein, nicht wirklich. Aber das ist ja nicht der Sinn der Sache ...“
„Wie bitte?“, kommt es mit schockierter Stimme neben mir. „Hat Ihnen Ihr Vater das beigebracht?“
„Was?“
„Dass Arbeit nur Pflichterfüllung ist.“
„Ich weiß nicht. Wahrscheinlich ja. Fahren Sie etwa fremde Leute in der Gegend herum, weil es Ihnen Spaß macht?“
Ein Lachen neben mir. „Erwischt. Aber das ist nur ein Nebenjob. Eigentlich studiere ich.“
„Ehrlich?“ Verwundert sehe nun ich ihn an. Irgendwie hätte ich ihn gar nicht so eingeschätzt ... zumindest nicht, wenn ich mir darüber Gedanken gemacht hätte.
„Ja, seit vier Semestern.“
„Und was?“
„Sportwissenschaften.“
Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. „So was gibt es? Und was lernt man da? Wie man das Runde ins Eckige bekommt?“
Wieder lacht er, schüttelt mit amüsierten Augen den Kopf.
„Mein Fachgebiet ist Sportpsychologie und -pädagogik. Ich würde gerne später was mit Kindern machen ... Wissen Sie, über Sport kann man Kindern aus schlechten Elternhäusern helfen, ihre Energie loszuwerden. So haben Sie in der Schule mehr Ruhe und können sich auf das Lernen konzentrieren. Außerdem ist es schön zu sehen, wie sie Spaß dabei haben und-“ Er bricht ab, wirft mir einen Blick zu. „Entschuldige, ich langweile Sie bestimmt.“
„Nein, ganz und gar nicht“, gebe ich zu. „Es ist definitiv spannender als eine dunkle Autobahn ...“
Er grinst. „Damit sind wir dann also quitt?“
„Ja. Aber erzählen Sie ruhig weiter.“
Ein skeptischer Seitenblick trifft mich, bevor er mir im nächsten Moment die Hand vor die Nase hält.
„Ich bin Marcel.“
„Nathanael“, ergreife ich die warme Hand.
„Ungewöhnlicher Name.“
Ich zucke die Schultern. „Mein Großvater hieß so. Ich find den Namen etwas altmodisch, aber man gewöhnt sich daran ...“
„Haben Sie wenigstens einen Spitznamen?“
„Ein paar Leute nennen mich Nathan oder Nate ...“
„Das klingt schon besser.“ Er grinst. „Nichts für ungut, der Name ist schön, aber halt fremd ...“
„Kein Problem.“
Wieder tritt Stille ein, doch er unterbricht sie relativ schnell wieder.
„Also, fragen Sie! Was wollen Sie wissen?“
„Nichts Bestimmtes“, gebe ich zu. Ich lehne mich gegen die Tür, so dass ich ihn besser ansehen kann, ohne mir den Kopf zu verrenken. „Erzählen Sie einfach mal, wie Sie dazu gekommen sind ...“
Wieso ich ihn das frage? Ich weiß es nicht. Eigentlich ist es nicht meine Art, mich für das Leben fremder Leute zu interessieren. Aber wahrscheinlich kommt es mir heute einfach gerade recht, um nicht über mein eigenes Leben nachdenken zu müssen. Das hätte eh keinen Sinn gehabt.
Kaum hat Marcel angefangen zu erzählen, vergeht die restliche Fahrt wie im Fluge. Ich sage nur ab und zu ein paar Worte. Die meiste Zeit höre ich ihm einfach nur zu.
„Hier war ich noch nie“, reißt er uns schließlich in die Gegenwart zurück. „Könnten Sie mir sagen, wo ich lang fahren muss?“
„Natürlich.“ Damit setze ich mich wieder richtig hin, überrascht, dass wir schon fast da sind. „An der nächsten Ampel erstmal rechts ...“
Die letzten Minuten der Fahrt vergehen damit, dass ich ihn durch die dunklen Straßen leite. Gegen Ende entweicht mir ein Gähnen. Ich freue mich auf mein Bett.
„Wohnen Sie alleine hier?“, fragt Marcel, als er das Taxi am Straßenrand anhält.
„Wie man’s nimmt“, bleibe ich die Antwort schuldig. Das gesamte Beziehungsding zwischen Tobias und mir muss ich ihm nun wirklich nicht auftischen.
„Na dann ... einen schönen Abend noch“, lächelt er.
„Ihnen auch ... und lassen Sie sich nicht zu sehr von der Autobahn langweilen.“
„Naja, sie ist kein besonders guter Gesprächspartner. Glauben Sie, sie geht mit mir aus, wenn ich sie darum bitte?“
Verdutzt sehe ich ihn an ... und dann kann ich nicht anders, als zu Lachen.
„Na endlich!“, strahlt er daraufhin sofort. „Endlich lachst du!“
Er legt den Kopf schief und sieht mich freundlich an. Irgendwie hinterlässt der Blick ein angenehmes Gefühl, welches jedoch sofort von einem Frösteln abgelenkt wird.
„Ich glaube ... ich werde jetzt gehen ...“, sage ich, zögernd meine Hand von der Sitzlehne lösend. Ich richte mich auf, als mir doch noch etwas einfällt. Lächelnd beuge ich mich zurück ins Auto. „Sagen Sie ihr, dass Sie mit Ihnen ausgehen sollte. Sie wird bestimmt einen tollen Abend haben!“ Ich zwinkere ihm zu, murmle noch ein „Auf Wiedersehen“ und schließe dann endlich die Beifahrertür.
Mich umgedreht, ziehe ich meinen Mantel enger um mich und blicke zu einem meiner Fenster hinauf, in dem Licht brennt.
Während ich mich in Bewegung setze, wird mir für eine Sekunde lang bewusst, dass Marcel mich zuvor geduzt hat. Ein Lächeln nicht unterdrückend überlege ich mir im nächsten Moment, wie ich Tobias mein Auftauchen wohl am unspektakulärsten erklären kann.
Die Treppe in den zweiten Stock hinaufsteigend, komme ich zu keinem Ergebnis. Ich habe eigentlich gar keine Lust, ihm überhaupt irgendwas zu erklären. Er macht wieder nur eine riesen Sache daraus. Am liebsten würde ich jetzt einfach nur schlafen und dann morgen so weitermachen, als habe es den heutigen Tag nie gegeben. Natürlich wird Tobias das nie zulassen.
Seufzend schließe ich die Wohnungstür auf. Im Flur empfängt mich Licht und aus dem Wohnzimmer hallt leise Musik. Er ist also noch wach. Natürlich, er ist ja auch ein Nachtmensch.
Mit Worten der Erklärung schon auf den Lippen öffne ich die Wohnzimmertür, als mir jedes davon im Halse steckenbleibt.
Vier nackte Arme und Beine keuchen auf dem Teppich herum und es dauert ein paar Sekunden, bis realisiert wird, dass ich soeben hereingekommen bin.
In sekundenschnelle ist Tobias auf den Beinen, stolpert dabei über eines der Beine, die nicht ihm gehören, fängt sich am Sofa ab und blickt mir dann erschrocken ins Gesicht.
„Nate, das-“
Die Klingel unterbricht ihn.
Ohne einen der beiden nackten Körper eines weiteren Blickes zu würdigen, drehe ich mich herum. Meine Hand zittert ein wenig, als ich die Wohnungstür öffne. Das Lächeln von Marcel trifft mich.
„Sie haben Ihr-“
„Nate! Es tut mir leid! Ich wusste nicht, dass du heute schon ...“
Ich wende mich von dem Lächeln, das mittlerweile wieder verschwunden ist, ab und sehe meinen Freund an, wie er splitterfasernackt da steht und mich ansieht, mit einem flehenden Blick.
Ehe ich dazu komme, etwas zu sagen, stolpert hinter ihm eine andere, nun nur noch halbnackte Gestalt hervor. Der Junge presst seine restlichen Kleider an sich, sieht mich fast ängstlich an und drängt sich dann schüchtern an mir vorbei, um die Wohnung fluchtartig zu verlassen.
„War der überhaupt schon erwachsen?“, strecke ich meinen Arm in seine Richtung aus und sehe Tobias fragend an.
„Ich ... er ist 17 ... Aber Nate, das ...“
„Ich glaub’s nicht ...“ Kopfschüttelnd wende ich mich wieder ab. Erst da fällt mir ein, dass ja noch immer jemand im Hausflur steht. Ich sehe in die vollkommen erschütterte Miene und verziehe das Gesicht.
„Sorry, was wollten Sie?“
„Ich hab-“
„Nate, wer ist das?“
„Mein Taxifahrer“, wende ich mich ungeduldig Tobias wieder zu. „Willst du dir nicht mal was anziehen?“
Ungläubig werde ich angesehen und ich entgehe dem Blick erneut, indem ich Marcel ansehe – der nicht weniger verwirrt dreischaut.
„’Tschuldigung, jetzt dürfen Sie“, versuche ich ein Lächeln.
Er öffnet den Mund ... doch kein Ton kommt heraus. Hinter mir höre ich die Wohnzimmertür sich schließen. Marcel folgt dem mit den Augen, dann sieht er wieder mich an.
„Ja?“, frage ich.
„Ihr Handy.“ Blitzschnell wird es mir vor die Nase gehalten. „Das haben Sie liegenlassen.“
„Oh, hab ich gar nicht gemerkt. Dankeschön.“ Ich nehme es entgegen, trete einen Schritt zurück und greife nach der Tür.
Marcel jedoch macht keine Anstalten, sich zum Gehen zu wenden.
„Ist sonst noch etwas?“, frage ich.
„Oh ... nein ... aber ...“
„Aber?“
„Das grade ... ich meine ...“
„Ach Sie meinen, dass mein Freund mich mit einem Minderjährigen betrogen hat? Tut mir leid, dass Sie das mitbekommen mussten.“ Ich zucke mit den Schultern, obwohl ich meine Hand an der Tür zittern spüre. Innerlich spüre ich irgendwas brodeln. „Also dann“, sage ich, als er sich noch immer nicht bewegt hat. „Die Autobahn wartet. Sie sollten Sie nicht versetzen.“
Ich zwinkere ihm zu ... und endlich scheint er zu begreifen. Stotternd faselt er eine Verabschiedung hinunter, bevor er sich umdreht. Ich schließe die Tür.
Als ich mich herumdrehe, wird mir bewusst, dass es still ist. Tobias hat die Musik ausgeschaltet.
Ich fahre mir mit meiner unruhigen Hand durch die Haare, öffne dann die Knöpfe meines Mantels. Ein Gähnen entweicht mir, als ich mich auf den Weg zum Schlafzimmer mache.
Minuten vergehen, in denen ich komischerweise sehr schwer zur Ruhe komme, bis die Schlafzimmertür ein weiteres Mal geöffnet wird. Ich nehme die Schritte wahr, dann das Absenken der Matratze. Eine Hand berührt mich.
„Nate, es tut mir leid.“
Ich schüttle die Hand ab.
„War es das erste Mal?“
„Ja.“
„Okay, ich verzeihe dir.“
„Du ... was?“
„Muss ich es echt wiederholen? Ich bin müde, ich will schlafen.“
„Aber-“
„Gute Nacht.“
Ich weiß, dass ich damit jegliche Erklärungsversuche von ihm im Keim ersticke, aber das ist genau, was ich beabsichtige. Was bringt es mir, seine Entschuldigung zu hören? Ändert das etwas an der Tatsache? Nein, also ist es vollkommen unnötig!
„Es ist nur Verschwendung von Worten.“, höre ich die Stimme meines Vaters mich bestätigen, während neben mir die Decke angehoben wird.
Ich spüre eine zögernde Hand und lasse sie mich berühren. Dann beschließe ich, dass ich nun endlich schlafen sollte.
ENDE Akt 1
Ouvertüre:
Zumeist wird mit der Ouvertüre das einleitende Stück eines Musicals bezeichnet. Ich glaube, ich brauche nicht erklären, weshalb der 1. Akt bei mir diesen Namen trägt *lach*
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