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Ein letzter Brief

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Informationen

Vorwort der Redaktion

Liebe Leser,

die folgende Geschichte befasst sich unter anderem mit der Thematik Suizid. Dies ist ein sensibles Thema, das Nickstories.de nicht unkommentiert lassen kann und will. Deshalb haben wir uns entschieden diese Geschichten generell mit einem Vorwort zu versehen.

Für uns ist dieses Thema in Stories kein Tabu, aber wir wollen deutlich machen, dass Selbstmord mit Sicherheit kein Weg ist, um ein Problem zu lösen. Jeder, der sich in einer scheinbar aussichtslosen Lage befindet, sollte wissen, dass er Hilfe finden kann.

Wenn du jemanden kennst, der über diesen Schritt nachdenkt oder ihn geäußert hat, solltest du das nicht auf die leichte Schulter nehmen und versuchen mit dieser Person zu reden. Erst dann wird deutlich, wie ernst die Lage wirklich ist.

Wenn du über Selbstmord nachdenkst, bitten wir dich, Kontakt mit einer Hilfseinrichtung aufzunehmen, bevor du etwas tust, das für deine Freunde und deine Familie ein unwiederbringlicher Verlust sein wird.

Informationen und Notrufnummern findest du z.B. unter: www.telefonseelsorge.de

 

Chris,

ich weiß nicht genau, warum ich diesen Brief ausgerechnet an dich schicke, aber du hast mich bisher eigentlich immer am besten gekannt und warst, trotz allem, immer für mich da.

Heute war mal wieder ein Tag wie jeder andere in meinem Leben. In deinem wäre es wohl eher ein Tag, zu dem du sagen würdest: "Mit dem falschen Bein aufgestanden, abhaken, beim nächsten Mal gleich im Bett bleiben, morgen kann es nur besser werden..."

Wie ich darauf komme, dass mein Leben so aussieht?

Weißt du noch, wie ich vor einigen Jahren durch Zufall erfahren habe, dass ich eine Schwester habe?

Wir haben in den letzten Jahren immer viel erlebt und durchgemacht. Leider waren Drogen auch ein Teil davon. Du hast mir damals schon, als bester Freund, immer wieder auf die Beine geholfen.

Du warst sogar dabei, als ich mein Kind vom Jugendamt bekommen habe. Du hast mit mir versucht, die Mutter zu finden. Du warst dabei, als der Kleine mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus kam. Du hast mit mir am Bettchen gesessen, als er starb. Meine Schwester war nicht zu erreichen. Sie hat alles in sich hinein gefressen. Der Kleine war für sie wie ein Sohn.

Aber nicht nur sie war so verschlossen. Ich habe sogar meine Ausbildung geschmissen. Hab alle aus meinem Leben ausgeschlossen. Sogar dich. Aber du hast nie aufgegeben. Hast mich nach drei Monaten endlich wieder aus dem Sumpf gezogen. Nur meiner Schwester stand niemand bei. Sie hat es einfach nicht zugelassen.

Sämtliche Beziehungen habe ich durch meine Verlustängste zerstört.

Bis ich meine Gefühle für dich entdeckte. Du warst immer da und doch merkte ich erst dann, wie sanft du mir gegenüber warst. Mir fielen plötzlich deine wunderschönen Augen auf. Deine Nähe kribbelte auf meiner Haut. Dein Lächeln blendete die ganze Welt aus.

Erst hatte ich Angst es dir zu sagen. Hatte Angst, dich dadurch zu verlieren. Aber du hast mich plötzlich berührt, mir wie schon so oft in die Augen gesehen und da wurde mir klar, dass ich keine Angst haben brauchte.

Dein Kuss gab mir Recht.

Als ich meinen Eltern dann von uns erzählt habe, haben sie mich raus geschmissen. Ja, das ist auch für dich etwas Neues. Ich wollte dir nicht noch mehr zur Last fallen.

Nach nicht ganz einem Jahr auf der Straße, habe ich mich endlich getraut, wenigstens zu meiner Schwester zu gehen. Ich konnte dann ja auch bei ihr für ein paar Wochen wohnen.

Als ich bei ihr ankam, hab ich sie kaum erkannt. Sie war komplett zerfressen von nie verarbeiteter Trauer und ständigem Drogenkonsum.

Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem auch der letzte Funken Hoffnung auf die Rettung meiner Schwester erloschen war? Du hattest mir einen Tag zuvor einen Heiratsantrag gemacht. Wir schwebten auf Wolke 7. Ich war glücklich. Wir wollten meiner Schwester die Einladung geben. Ich hatte sie ja auch seit Wochen nicht mehr gesehen.

Doch als wir in die Wohnung traten, lag sie regungslos auf dem Boden. Den Korn in der Hand, den Schnee auf dem Tisch.

Du warst fassungslos und musstest mich halten. Hast dich wochenlang um mich gekümmert, bis du selbst nicht mehr konntest.

Ich bin dir dankbar. Dankbar für alles, was du für mich getan hast. Für dich war die Trennung der letzte Ausweg. Es war gut, dass du gegangen bist, sonst wären wir beide zu Grunde gegangen. Ich war dir nie böse. Ich konnte es dir nur bis heute nicht sagen.

Irgendwann bin ich wieder aufgewacht, habe mich um Tiere gekümmert, konnte abschalten.

Inzwischen habe ich mich sogar neu verliebt.

Doch auch diese Beziehung scheine ich gerade zu ruinieren. Der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt ist gerade im Begriff die Wasseroberfläche zu durchbrechen.

Alles was ich anfasse geht zu Bruch...

Das hat er nicht verdient. Das habt ihr alle nicht verdient.

Ich bin ein reines Nervenbündel. Vermisse mein Kind und meine Schwester. Sogar dich vermisse ich, obwohl ich weiß, dass es dir mit deinem neuen Freund gut geht.

Bitte werdet glücklich und lasst mich gehen.

Ich möchte zu meiner Familie.

Ich liebe euch...

Key

Chris liest den Brief nicht einmal bis zum Ende, als er schon an der Garderobe angekommen ist, sich Schuhe und Jacke überzieht und aus der Tür rennt. Er greift nach seinem Handy.

'Antonio. Wo zum Teufel ist Antonios Nummer?' Er wählt die Nummer von seinem Freund.

"Nun geh' schon dran, verdammt", schreit er verzweifelt. Dabei rennt er die Hauptstraße hinunter. Er hat eine Ahnung, wo Key hingegangen war. Aber er konnte nur hoffen, dass er recht hatte und noch rechtzeitig ankommen würde. Endlich nimmt Antonio ab: "Schatz, was ist los?" "Frag nicht. Steig ins Auto und sammel mich an der Kirche ein. Ich erklär dir alles, wenn wir unterwegs sind." "OK, ich beeil mich." Schon hat er aufgelegt. 'Gut, dass er keine Fragen gestellt hat. Er kennt mich einfach', lächelt Chris kurz, wählt aber schon die nächste Nummer. "Chris, was willst du? Ich bin am arbeiten. Lass uns endlich in Ruhe", faucht Keys Freund. "Joey, halt die Klappe. Wo ist euer Lieblingsplatz? Wo ist Keys Lieblingsplatz?", faucht Chris mit zitternder Stimme zurück. "Was geht dich das an?" "Dein Freund will sich das Leben nehmen, verdammt. Ich muss ihn finden. Bitte, Joey, hilf mir." "Ach und das weißt du woher? Meinst du nicht, ich würde so was merken?" "Er hat mir einen verdammten Brief geschrieben", schreit Chris nun ins Telefon. "Ist ja gut. Er war am liebsten am Fluss. Da wo die Enteninsel mitten drin liegt. Ich mache hier Feierabend und helfe dir", antwortet Joey resignierend. Ohne eine Antwort zu geben, legt Chris wieder auf. 'So ein Idiot', schimpft er leise vor sich hin. Joey und er hatten noch nie ein gutes Verhältnis zueinander. Die Eifersucht hatte Keys Freund im Griff.

Chris dachte nicht weiter darüber nach. Er läuft und läuft. Am Kirchplatz angekommen, ist von Antonio noch nichts zu sehen. Nervlich am Ende, rennt Chris auf und ab. Es kommt ihm vor wie eine Ewigkeit, bis sein Freund endlich neben ihm hält. Er springt ins Auto, sagt kurz die Richtung an und schon wird er vom Fahrersitz aus gefragt, was eigentlich los sei. In Kurzform erklärt er die Situation und Antonio drückt das Gaspedal mehr und mehr durch. So schnell es geht, bewegt sich das Auto durch den Verkehr in Richtung Fluss. Keys Lieblingsplatz hatte sich also nie geändert. Chris erinnert sich daran, das genau dort auch eine Brücke über den Fluss führt. Im Normalfall nicht tragisch, jedoch hatte Key nie schwimmen gelernt.

Chris sah sich um, als Antonio, so nah er konnte, den Wagen zum Stillstand bringt. 'Es hat sich nichts verändert, seit ich das letzte Mal hier war.' Dann fiel sein Blick auf die Brücke. Dort oben steht er. Noch hält er sich an der Brüstung fest. Doch in dem Moment, wo Chris einen Schritt auf die Brücke zu macht, lässt er los, lässt sich einfach fallen.

Chris schreit auf. Er sprintet los. Springt ins Wasser und schwimmt auf den noch treibenden Key zu. Als er ihn zu fassen bekommt, fängt dieser an, um sich zu schlagen. 'Er scheint es wirklich ernst gemeint zu haben in dem Brief', durchzuckt Chris plötzlich der Gedanke. Schon packt er seinen besten Freund noch ein wenig fester und zieht ihn mit sich an Land. Hustend und prustend werden sie dort von Antonio in Empfang genommen. Vorsichtig legt er den beiden jungen Männern je eine Decke um die Schultern. Chris hält Key noch immer fest. "Man, Key, was machst du denn für einen Mist? Das ist doch keine Lösung. Was meinst du denn, was es gebracht hätte?" Tränen fließen bei jedem Wort mehr über seine Wange. "Chris, lass mich. Ich hab es dir doch schon erklärt. Ich kann einfach nicht mehr. Joey und ihr habt einfach etwas besseres verdient." "Kannst du mir mal sagen, wo ich einen besseren Mann finden soll, als dich?", hören die drei plötzlich eine Stimme hinter sich.

"Joey? Was machst du denn hier?", fragt Key erstaunt. "Chris hat mich angerufen. Warum machst du so was? Ich weiß ja, dass wir gerade ziemliche Probleme haben. Ich weiß auch, dass du deine Familie vermisst. Aber das ist doch trotzdem keine Lösung. Wir finden schon einen Weg. Bitte bleib bei mir." Nun laufen Joeys Tränen unaufhaltsam. Er stürzt zu seinem Freund und schließt ihn in seine Arme. "Wir bekommen das hin." Key nickt und nun weint auch er. "Ja, mein Schatz, wir bekommen das hin."

Als Joey Key in sein Auto gesetzt hat, kommt er noch einmal auf Chris zu: "Chris, danke. Danke, dass du immer für ihn da bist. Danke, dass du ihm heute sein Leben gerettet hast. Ich war so ein Idiot... Entschuldige bitte..." Joey reicht Chris die Hand hin und dieser schlägt ohne zu zögern ein: "Schon gut. Aber versprich mir, dass du besser auf ihn aufpasst." "Versprochen." Die beiden nicken sich zu und dann geht Joey zu seinem Auto und fährt los. Antonio nimmt seinen Freund in den Arm. Zusammen schauen sie auf den Fluss, in welchem sich die untergehende Sonne spiegelt: "Der Tag geht zu Ende. Ich hoffe nur, es werden noch viele schöne Tage folgen. Auch für Key..."

"Ich glaube, Joey ist aufgewacht und ich werde auch immer auf dich aufpassen."

Mit diesen Worten versinkt nicht nur die Sonne hinter den Bäumen, sondern auch wir in einem innigen Kuss.

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