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Löschmeister Lukas

Folge 1 - Jugendlicher Leichtsinn

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Informationen

Das Kleingedruckte vorweg...

Diese Story spielt hauptsächlich im Milieu der freiwilligen Feuerwehr und beschäftigt sich mit lauter erfundenen Personen. Nicht erfunden sind technische und taktische Details. Grundsätzlich wird wohl jeder Teil einer mehr oder weniger in sich geschlossenen Handlung folgen, in etwa wie bei einer Fernsehserie. Das heißt aber auch, dass sich die Charaktere weiterentwickeln werden und ihr sie immer besser kennen lernen werdet. Noch was zum Titel: Mir ist klar, dass "Löschmeister" ein wenig komisch und altertümlich klingt, aber das ist in Baden-Württemberg nun mal der Dienstgrad, den man als Gruppenführer hat, und so erschien es mir recht passend. Außerdem ist mir kein besserer Titel eingefallen... ;-)

 

"Tüt-Tüüüüt-Tüt-Tüüüüt-Tüt-Tüüüüt..."

Ein unangenehmes und lautes Zweitonpiepsen riss mich aus meinem Schlaf. "Shit, nicht schon wieder", dachte ich, sprang aber mehr oder weniger motiviert aus dem Bett. Jetzt musste es schnell gehen.

Was mich da so unsanft geweckt hatte war mein Funkmeldeempfänger. Jedes Mitglied der freiwilligen Feuerwehr hat so ein Gerät, das einem zu jeder Tages- und Nachtzeit zum Feuerwehrgerätehaus rufen kann.

Die Fahrt zum Gerätehaus verlief ruhig und ging schnell, schließlich war es 5 Uhr morgens und die Strassen waren dementsprechend leer. Im Gerätehaus verloren wir keine Zeit. Das Anlegen der Einsatzkleidung dauerte

kaum eine halbe Minute, rein in das große rote Auto und schon ging es los.

Da die Einsatzstelle ein ganzes Eck weg war konnte ich ein wenig meine Gedanken schweifen lassen... Und sie schweiften, sie schweiften weit zurück in eine Zeit, als das nächtliche geweckt Werden nicht unangenehme Realität, sondern eine unscharfe Zukunftsvision war, der man entgegenfieberte.


Ich hatte noch nie besonders viele Freunde; als Zehnjähriger nannte ich nur etwa ein Dutzend Gleichaltrige "Freunde". So wenige Freunde ich hatte, so war die Freundschaft mit den Wenigen aber umso enger. Alle Jungs aus unserer Gruppe wohnten in einem Wohngebiet am Stadtrand nahe eines großen Spielplatzes, den wir immer unsicher machten.

Eines verband uns alle: Wir hatten keine Lust darauf, einem Sportverein oder einer ähnlichen Vereinigung beizutreten, auch wenn manche Eltern das gerne gesehen hätten. Viele Klassenkameraden von uns waren in solchen Vereinen und dienten uns als Negativbeispiel - Wir hatten keine Lust, uns vorschreiben zu lassen, an einem bestimmten Wochentag immer das Selbe zu tun und uns dem sportlichen Leistungsdruck auszusetzen. Zu oft hörten wir: "Nein, morgen habe ich keine Zeit, ich hab' doch Training. Ich würde ja gerne, aber in zwei Wochen ist das Spiel..."

Eines denkwürdigen Tages jedoch fragte mich Tobias, einer meiner besten Freunde, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm mal zur Jugendfeuerwehr zu gehen. Sein drei Jahre älterer Bruder Martin war auch mit 10 Jahren in die Jugendgruppe der örtlichen Feuerwehr eingetreten und seitdem hellauf begeistert davon.

Tobias war von seinem Bruder überredet worden, mal zu Feuerwehr mitzukommen, und jetzt versuchte er seinerseits, mich zum Mitkommen zu bewegen, da er keine Lust hatte, da ganz alleine aufzutauchen. Wen wundert's, ich ließ mich breitschlagen und willigte ein, am nächsten Dienstag um 18 Uhr meine erste Begegnung mit der Jugendfeuerwehr zu haben.

In meinem jugendlichen Leichtsinn dachte ich mir: "Angucken kann ich mir das ja mal, wird aber wohl sowieso doof sein..." Aber wie ist das immer? Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.

Lust hatte ich an besagtem Dienstag nicht so richtig, aber was ich versprochen hatte, hielt ich auch. Um kurz vor 17.30 Uhr ging's dann mit dem Fahrrad los...

Ein wenig nervös war ich schon, wusste ich doch nicht, was mich erwarten würde. Ein paar Jungs und ein Mädchen, die alle etwas älter als wir waren, saßen schon auf den Treppenstufen zum Eingang des Feuerwehrhauses, als wir ankamen.

Da wir mit Martin hergeradelt und damit nicht völlig alleine hier angekommen waren, kamen wir uns nicht ganz so blöd vor. Er stellte uns den Anderen vor, doch mehr als ein schüchternes "Hi" kam von unserer Seite erst mal nicht.

Nach kurzer Zeit kam dann auch das erste Auto auf den Hof gefahren - das musste einer der Jugendleiter sein. Tatsächlich, es war Markus, der Jugendwart, wie er sich uns vorstellte. (Der Jugendwart ist der Leiter der Jugendfeuerwehr, auch manchmal liebevoll "Jugendwärter" genannt)

Martin zeigte uns gleich voller Stolz die großen roten Fahrzeuge, die in der Halle standen, er erklärte, wie viel Liter Wasser in dem einen und dem anderen Fahrzeugtank seien und wie hoch die Drehleiter reicht und lauter so technisches Zeug. Merken konnte ich mir davon nichts, es war ein wenig viel auf einmal. Aber beeindruckt war ich schon, das muss ich zugeben. Die ganze Technik reizte mich mehr, als ich es mir jemals vorgestellt hätte.

Da es ein sonniger und heißer Julitag war, wurde der eigentlich nach Dienstplan anstehende Theorieabend kurzerhand verschoben und stattdessen ein Löschangriff geübt. Dazu nur so viel: Wir hatten alle viel Spaß, waren aber am Ende des zweistündigen Übungsabends klatschnass.

Auf dem Heimweg war klar, dass wir am nächsten Dienstag wieder da sei würden. Ein Jugendleiter, den Namen konnte ich mir noch nicht merken, hatte uns Informationen und Anmeldeformulare für unsere Eltern mitgegeben, die ich mir noch am selben Abend von meinen Eltern ausfüllen ließ und gleich wieder in den Rucksack packte, um sie das nächste Mal auf keinen Fall zu vergessen.


Mittlerweile hatte ich meinen 14. Geburtstag hinter mir, es war wieder Hochsommer und wieder einmal stand ein Zeltlager an. Schon die letzten zwei Jahre war ich auf einem solchen Zeltlager dabei gewesen, dieses Mal sollte es sogar eine ganze Woche dauern, fast doppelt so lange wie die vergangenen Lager!

Schon seit Wochen fieberte ich dem Abreisetag entgegen, denn Zeltlager hieß für uns Aufbleiben bis in die Nacht, gemütlich am Lagerfeuer sitzend tiefsinnige oder lustige Gespräche führen und die ganze Zeit mit meinen besten Freunden zusammen sein. Ja, mittlerweile hatte sich mein Freundeskreis verändert: Fast alle meine Freunde waren entweder in der Jugendfeuerwehr oder in meiner Schulklasse.

Da viele meiner Jugendfeuerwehrkollegen in den ersten beiden Wochen der Sommerferien mit ihren Eltern in Urlaub waren, war unsere Gruppe der Mit-ins-Zeltlager-Fahrer mit nur 12 Leuten inklusive zweier Jugendleiter recht überschaubar. Ein Vorteil dabei war, dass wir nur eines der 16-Mann-Zelte zum Schlafen brauchen würden und so das Zweite als "Wohnzimmer" nutzen konnten, was sehr komfortabel war und uns sicher manch neidischen Blick benachbart "wohnender" Jugendgruppen einbringen würde.

Endlich war der Tag der Tage gekommen, es ging los zu der besten Woche meines jungen Lebens - zumindest war das damals das, was ich erwartete. Mit dem jugendfeuerwehreigenen Ford Transit mit Gepäckanhänger und einem privaten PKW machten wir uns auf den Weg zu dem erstmals weiter weg stattfindenden und zusammen mit einigen anderen befreundeten Wehren und Hilfsorganisationen organisierten Event.

Es würden außer 23 Jugendfeuerwehren auch einige Jugendgruppen des Technischen Hilfswerks (THW) und des Roten Kreuzes auf dem Jugendzeltplatz im tiefsten Bayern sein.

Wir waren tatsächlich die Ersten, die auf dem Zeltplatz in der Nähe des Städtchens Woertzberg ankamen, wir konnten uns also den besten Platz aussuchen, was wir natürlich gerne ausnutzten. Der Platzverwalter empfahl uns eine Stelle direkt an dem blau schimmernden Ufer des Bergsees, leicht abgelegen, erstaunlich flach und ohne irgendwelche Mulden am Boden, die Einen im Dunkeln zum Stolpern bringen könnten.

Wie immer hatten wir die Zelte schnell aufgestellt und begannen gerade mit dem Verteilen der Feldbetten und dem Aussuchen der Schlafplätze, als die zweite Gruppe eintraf und sich gleich neben uns breit machte. Nun konnten wir den Neuankömmlingen beim Auspacken und Aufräumen zusehen und blöde Kommentare zu ihrem Zelt-Aufbau-Stil abgeben, während wir uns mit eiskalten Getränken erfrischten. Es hatte sich offensichtlich gelohnt, unseren Transit mit einem geräumigen, gasbetriebenen Camping-Kühlschrank auszustatten.

Die ersten Tage waren geschafft, die erste Nacht ganz ohne Schlaf hatten wir gerade hinter uns, worauf wir natürlich irrsinnig stolz waren. Lange währte die Freude allerdings nicht, denn heute sollte die Lagerolympiade stattfinden.

Das würde bedeuten, dass wir uns richtig anstrengen mussten, schließlich wollten wir wieder einen Pokal mit nach Hause bringen, was bedeutete, dass wir mindestens den dritten Platz belegen mussten. Und das in unserem Zustand... Ein Glück nur, dass in unserer Feuerwehr nur sehr wenig und in der Jugendfeuerwehr noch weniger bis gar kein Alkohol genossen wurde, denn mit einem handfesten Kater hätte den Tag keiner überlebt. Unsere Jugendleiter gingen da mit gutem Beispiel voran, und Spaß hatten wir auch ohne alkoholhaltige Getränke mehr als genug.

Wir glaubten es selbst kaum, doch spätestens als wir den Pokal in den Händen hielten, konnten wir uns nichts mehr vormachen: Wir hatten tatsächlich den ersten Platz belegt! Es hatte alles geklappt, wir waren ein perfektes Team gewesen. Den ganzen Abend sonnten wir uns in den anerkennenden Kommentaren der anderen Gruppen und unserer Jugendleiter. Dieses Zeltlager schien wirklich verdammt gut zu werden...

Komischerweise konnte ich nach unserer Siegesfeier und dem harten Tag nicht einschlafen. Trotz der Anstrengungen lag ich selbst dann noch wach, als unsere zwei Betreuer schon schliefen. Ich beschloss, noch einen kleinen Abendspaziergang zu machen, vielleicht würde mir die kalte Bergluft helfen.

Ohne jemanden zu wecken schlich ich mich mit einem dicken Pullover aus dem Zelt und schlenderte am Ufer des Bergsees entlang, in dem sich der fast volle Mond spiegelte. Ein beeindruckender Anblick, der eine etwas melancholische Stimmung aufkommen lies, die ich mir nicht erklären konnte. Na toll, jetzt war ich noch wacher als vorhin, aber gleichzeitig irgendwie total fertig. "Das zu meiner genialen Spaziergang-Idee", dachte ich mir.

Ohne es zu merken hatte ich mich ziemlich weit vom Lager entfernt. Ich versuchte einen Grund für meine gedrückte Stimmung auszumachen. So richtig schlecht gelaunt war ich nicht, irgendwie hatte ich auch das Gefühl, zu schweben, doch das konnte auch an der Müdigkeit liegen. Aber warum war ich dann hellwach? Fragen über Fragen, und es wollte sich keine Antwort finden lassen... Sonderbar war das. Ich fühlte mich sehr alleine, was gleichzeitig irgendwie schmerzhaft, aber auch auf eine gewisse Art beruhigend war.

Ein Laut direkt am Ufer ließ mich zusammenzucken. Nur aus den Augenwinkeln hatte ich eine Bewegung gesehen und ein Geräusch wie ein Schluchzen gehört. Mein Herz raste, ich wagte ein paar Sekunden kaum zu atmen. Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte schlich ich vorsichtig weiter, bis ich um den riesigen Findling herum sehen konnte, der mir den Blick aufs Ufer verstellt hatte.

Da saß ein Junge, etwa in meinem Alter, und weinte anscheinend leise vor sich hin. Tja, da stand ich nun, und wusste nicht, was ich tun sollte: Sollte ich ihn zu Tode erschrecken, indem ich ihn ansprach, oder sollte ich einfach wieder verschwinden? Ganz in Gedanken stieß ich ungeschickter Weise mit meinem Fuß einen lose liegenden Stein den Abhang hinunter.

Auch gut, jetzt hatte er mich gehört. Dass der arme Kerl ziemlich erschrocken war sah ich daran, dass er beinahe von seinem Sitzplatz herunter und ins Wasser fiel, als die Stille vom Geräusch des ins Wasser rumpelnden Steines zerrissen wurde.

Er starrte mich eine Weile an, merkte dann, dass ich im Mondlicht sein verheultes Gesicht sehen musste und drehte sich schnell wieder weg. Ich dachte nicht weiter nach, was ich machen sollte, sondern handelte einfach. Bis heute weiß ich nicht, wie ich mich aus meiner Erstarrung lösen konnte, aber es hat auf wundersame Weise geklappt.

Ich setzte mich ungefähr einen Meter weg von dem Jungen auf einen Stein und saß nun wie er nur da und schaute aufs Wasser. Ich sah, dass er aus einer Jugendfeuerwehr ganz in der Nähe meiner Heimatstadt Sattelwegen war, denn er trug die typische Uniformhose und ein Sweatshirt mit der Aufschrift "Jugendfeuerwehr Siedenbach".

Es musste mindestens eine viertel Stunde vergangen sein, bis er in einem versucht unfreundlichen Ton fragte: "Was machst du hier?" Es gelang ihm nicht wirklich, es so abweisend klingen zu lassen, wie er anscheinend wollte.

"Ich sitze auf einem Stein, schau mir den See an und rede mit dir", antwortete ich nach einer Weile, "und was machst du?"

Er antwortete lange nicht, dann sagte er nur: "Aber ich rede nicht mit dir."

"Schade... Aber ich rede trotzdem mit dir", war meine Antwort. "Ich bin der Lukas, und wer bist du?" Ich streckte ihm meine Hand hin.

Ohne meine Hand zu nehmen murmelte er leise "Emanuel" in meine Richtung, dann nach einer Weile "Manu".

Ich ließ meine Hand wieder sinken... Na gut, wenigstens hatte er irgendwas gesagt. "Also, was machst du hier?"

"Ich sitze auf einem Stein und schau mir den See an...", war seine treffende Antwort. Na super, da hatte ich ihm eine gute Vorlage geliefert. Aber er hatte immerhin Humor, das musste man ihm lassen.

"Hmm, Eins zu Null für dich... Ok, ich fang' an: Ich konnte nicht einschlafen, deshalb bin ich noch ne Runde spazieren gegangen. Du hast mich übrigens ziemlich erschreckt, als ich dich von hinter dem Stein gehört hab!"

Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er antwortete: "Und ich bin fast ins Wasser gefallen, als du den Krach da oben veranstaltet hast..."

Es war wieder eine Weile still, nur der See plätscherte ein wenig am Ufer. Ich erwischte mich bei dem Gedanken, dass Manu ja eigentlich echt ganz süß ist. Moment Mal, ich fand ihn süß? Süß... Mein Gott, wie schwul... Hmmm - Was war nur mit mir los? Erst diese komische Stimmung vorhin, und dann das jetzt...

Manu riss mich aus meinen Gedanken: "Ich konnte auch nicht schlafen, weil..." Seine Stimme verlor sich in die Stille...

"Weshalb konntest du nicht schlafen? Weil wir den ersten Platz gemacht haben?", grinste ich ihn an. Ok, doofer Witz. Aber ich werde es wieder tun, ich versprech's.

"Angeber", meinte er schief grinsend, wurde aber sofort wieder ernst, sein Blick war unendlich traurig. "Egal, du erfährst es ja morgen sowieso... Spätestens morgen Nachmittag weiß es jeder..." Und wieder fing er an zu schluchzen, es schüttelte ihn richtig.

Ich wartete, bis er sich wieder ein wenig beruhigt hatte, dann fragte ich "Was weiß morgen jeder?"

"Dass... Dass ich... Dass ich..." Und wieder fing er an zu heulen, es wurde immer schlimmer. Ich rückte rüber auf seinen Stein und wollte ihm tröstend die Hand auf die Schulter legen, aber er stieß mich bei der ersten Berührung von sich weg. Kräftig war er ja, der Kleine... Dumm nur, dass wir direkt am Wasser saßen und ich nicht mit so einer Reaktion gerechnet hatte.

Ich machte mich schon auf den großen Platsch gefasst, als ich eine kurze Gnadenfrist erhielt. Manu hatte mich geistesgegenwärtig festgehalten, und einen Moment lang sah es so aus, als ob mir das kühle oder besser eiskalte Bad erspart werden würde.

Die Schwerkraft war leider anderer Meinung, wir landeten beide im See. Wisst ihr, wie verdammt kalt so ein Bergsee ist? Ja, ich weiß, Gletscherwasser und so... Scheiße, war das KALT!

Da das Ufer sehr flach auslief war hier dummerweise höchstens 30 Zentimeter Platz zwischen der Wasseroberfläche und dem harten Kies am Grund, so dass meine Landung alles andere als angenehm war. Manu hatte damit keine Probleme, er lag ja halbwegs auf mir drauf und war nur Untenrum nass geworden, weil er sich noch mit den Händen an mir abstützen konnte. Ich jedoch war für kurze Zeit komplett untergetaucht und dementsprechend nass bis auf die Unterhose, die harten Steine waren auch nicht sehr komfortabel. Na super.

Zähneklappernd und Wasser spuckend knurrte ich ein mürrisches "So ne Scheiße", während mich Manu wieder hochzog. So standen wir uns im Wasser gegenüber, meine Hände hielt Manu noch fest. Im Mondlicht konnte ich grade so erkennen, wie sich seine Mundwinkel langsam verzogen, bis er schließlich anfing zu lachen. Anfangs noch verärgert, fing ich auch an zu grinsen und schließlich lachten wir uns beide halb tot.

Plötzlich sah ich, dass er meine Hände immer noch festhielt. Ich hörte auf zu Lachen und schaute grinsend auf unsere Hände, Manu sah das, hörte auch auf zu Lachen und ließ meine Hände so schnell los, als wären sie plötzlich rot glühend. Glühend rot war auch sein Gesicht, doch es schlich sich bald ein schiefes Grinsen in seine Mundwinkel.

Er meinte nur "Arsch!" Und ich grinste zurück.

"Angenehm, Lukas!" Ich grinste immer noch breit, doch das Grinsen verging mir sofort, als ich wieder im Wasser lag. So ein Hund! "Na warte, dich krieg ich..."

Er versuchte sich noch schnell ans Ufer in Sicherheit zu bringen, aber ich war schneller. Sein "Hey!" endete in einem Blubbern, als er an der gleichen Stelle im Wasser lag wie ich noch kurz zuvor.

Er rappelte sich schnell wieder auf und stürzte sich auf mich, und in kürzester Zeit war ein gnadenloser Ringkampf im Gange. Irgendwann waren wir beide so außer Atem, dass wir uns beide zum Ufer schleppten. Jetzt merkten wir auch wieder, wie kalt das Wasser eigentlich war und begannen beide zu zittern wie die Weltmeister.

"Vielleicht sollten wir uns was Trockenes anziehen gehen", meinte ich bibbernd.

Die Antwort war ein zähneklapperndes "Gute Id-d-d-d-eee".

So liefen wir zitternd und schweigend zurück zum Lager. Es war kein peinliches Schweigen, und ich fühlte mich trotz der Kälte irgendwie warm und wohl. Komisch, das... Allein-Gefühl von vorhin war wie weggeblasen.

Am Lager angekommen überlegte ich mir, wie ich so tropfend nass, wie ich war, ins Zelt schleichen und neue Klamotten holen könnte. Manu sah mein Zögern. "Wenn du nicht an deine Sachen kommst, ohne jemanden aufzuwecken... Meine Tasche steht direkt neben dem Eingang, ich kann dir was leihen bis morgen... Ich bin ja

auch nicht ganz unschuldig an deinem Bad... Wir sind ja ungefähr gleich groß, passen sollte es dir also."

Ich überlegte kurz und entschied mich, das Angebot anzunehmen - Ich würde es kaum schaffen, etwas bei uns im Zelt aus meiner Tasche zu kramen, ohne jemanden zu wecken. "Ok, das Angebot nehme ich gerne an, Danke!"

"Keine Ursache", grinste er und wir stiefelten los zu seinem Zelt. Er holte seine Tasche raus, dann standen wir da und wussten erst mal nicht so recht, was wir jetzt machen sollten. Schließlich meinte Manu "Wie wär's mit 'ner heißen Dusche? Die Duschen sind ja weit genug weg von den Zelten, wir würden also niemand stören."

"Hmmja, is ne Idee... Aber gibt's überhaupt warmes Wasser um die Zeit?"

"Ich glaub' schon - Lass uns doch einfach mal gucken..."

"Ok, auf geht's!" Und los ging's zu den Duschen. Und siehe da, es gab wirklich warmes Wasser.

Und wieder mal wurde es peinlich. Obwohl wir die letzten Tage beide neben anderen Jungs geduscht hatten zögerten wir beide, irgendwie war es anders, so nur zu zweit. Schließlich wurde es mir zu blöd und ich zog mich aus und sprang unter die nächste Dusche, ohne in Manus Richtung zu schauen.

Kurz darauf hörte ich die Dusche neben mir prasseln und traute mich endlich, einen Blick zu riskieren. Im selben Augenblick drehte sich auch Manu zu mir um, schaute mir kurz in die Augen, und sofort drehten wir uns beide wieder weg. Ich merkte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg... Na ja, immer noch besser, als wenn es in einen anderen Körperteil wandern würde.

Bald wurde es mir wieder einigermaßen warm und ich wurde auch wieder etwas lockerer. Neben mir hörte ich Manu die Dusche abdrehen und linste kurz rüber, als er zu seinem Handtuch ging, das er auf die gegenüber den Duschen stehende Bank gelegt hatte. Neben dem verwirrenden Gedanken, dass mir gefiel, was ich da sah, schlich sich das Gefühl in meinen Kopf, dass ich etwas vergessen hatte. Ach ja, richtig: Ich hatte kein Handtuch. Super.

"Öhmm... Manu?" traute ich mich endlich zu dem sich abtrocknenden Manu zu sagen.

Er drehte sich um, während er sich die Haare trocken rubbelte. "Was is'?"

"Wow", schoss es mir durch den Kopf, "Der sieht ja verdammt lecker aus!" Nachdem ich diesen Gedanken mit einiger Kraftanstrengung beiseite geschoben hatte sagte ich endlich zu Manu, der sich grade fertig abgetrocknet hatte: "Öhmmm... Ich hab kein Handtuch..." Und prompt wurde ich wieder knallrot und schaute zu Boden. Langsam sollte ich mich da wohl dran gewöhnen...

"Kannst ja meins haben, das ist groß genug, dass da noch ein paar trockene Fleckchen dran sind." Und damit legte er das Handtuch neben sich auf die Bank und begann, sich seine Shorts anzuziehen.

Da musste ich dann wohl durch... Innerlich seufzend drehte ich die angenehm warme Dusche ab und fing an, mich abzutrocknen. Oh Mann, das Handtuch roch nach Manus Duschgel, und ich fühlte, wie sich ein gewisser Körperteil versteifte... Verdammt, wenn er das sieht... Möglichst unauffällig linste ich zu Manu rüber, der gerade in seiner großen Reisetasche kramte. Plötzlich drehte er sich rum und sah mir kurz in die Augen, dann legte er mit dem Kommentar "hier, die Klamotten für dich" eine komplette Garnitur neben mir auf die Bank. "Ich geh schon mal meine Tasche zurückbringen, bin gleich wieder da." Und weg war er.

Ich setzte mich erst mal erleichtert auf die Bank und rubbelte mir gedankenverloren meine Haare trocken. Langsam kapierte ich gar nix mehr, meine Reaktionen waren mir völlig unbegreiflich... Was war da los mit mir, zum Henker? Aber diese Überlegungen verschob ich besser auf einen späteren Zeitpunkt, ich sollte mich wirklich anziehen, bevor Manu zurückkommt, dachte ich so bei mir.

Fertig angekleidet betrachtete ich mich im Spiegel. Manu hatte einen guten Geschmack, was Klamotten betraf, das Zeug sah gut aus. Während meiner Selbstbetrachtung war er offenbar wieder in den Duschraum gekommen, er stand plötzlich hinter mir und meinte: "Na, wie gefällt dem Herrn meine Wahl?"

"Sein Geschmack ist erlesen, ich bedanke mich bei ihm für diese milde Gabe!" Eine tiefe Verbeugung sowie eine übertrieben ausholende Geste unterstrichen meine Antwort und brachten Manu zum Lachen. Ich fühlte mich gleich noch um Längen besser.

"So, und was machen wir jetzt?" fragte Manu, nachdem wir den Duschraum verlassen hatten.

"Hmmm... Keine Ahnung, ich bin auch noch nicht so richtig müde irgendwie... Vorschläge?"

"Tja, ich weiß nicht... Wir könnten uns noch mal unten an den See setzen...", sagte Manu breit grinsend.

"Na danke, und ich lande wieder im See..."

"Ich verspreche, dass ich dich nicht ins Wasser schmeiße! Ich hab auch keine trockenen Klamotten mehr, also keine Angst..."

"Ok... Aber komm mir nicht zu nahe, sonst liegst du zuerst drin", grinste ich ihn an.

Also machten wir uns auf den Weg zum See und steuerten einen großen Felsbrocken an, auf den man sich ganz gemütlich setzen konnte. An Manus Zelt hielten wir kurz an, er verschwand im Inneren und kam mit seinem Schlafsack wieder raus. Patenter Kerl, der Kleine! Es wäre wohl wirklich ein wenig kalt geworden beim Sitzen auf dem klammen Stein.

Dort angekommen legte Manu den Schlafsack doppelt gefaltet auf den Boden, so dass wir zwar gemütlich sitzen konnten, uns aber unweigerlich ziemlich dicht auf die Pelle rückten. Das zum Thema "Aber komm mir nicht zu nahe"...

Eine ganze Weile saßen wir einfach nur schweigend da, jeder hing seinen Gedanken nach. Ich grübelte wieder über meine komischen Reaktionen auf Manu, doch ich kam zu keinem Ergebnis. Irgendwann beschloss ich, diese Fragen später zu erörtern und mir fiel ein, was vor unserem unfreiwilligen Bad mit Manu los war. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte Manu: "Manu? Was war eigentlich vorhin los?"

Meine Frage einen Stimmungskiller zu nennen wäre untertrieben. Manu sackte in sich zusammen und eine Träne rann über seine Wange, als er langsam zu sprechen begann: "Gestern Abend habe ich meinem besten Freund was von mir erzählt und er ist einfach weggerannt... Später kam er dann vorbei und hat mir gedroht, er würde es allen erzählen, wenn ich noch mal versuchen würde, mit ihm zu reden... Er sagte nur: Laber mich nie wieder blöd von der Seite an, sonst mach' ich dich fertig!"

Nach einer Pause sprach er weiter: "Ich weiß nicht, was ich ihm getan hab', so kenn' ich ihn gar nicht... Scheiße, Mann, der Arsch war seit dem Kindergarten mein bester Freund!"

Manu fing wieder an zu schluchzen und ich legte meinen Arm um ihn und drückte ihn ein wenig, dabei versuchte ich ihn zu beruhigen: "Hey, das wird schon wieder... Das Arschloch hat's nicht verdient dein Freund zu sein, wenn er dich so behandelt..."

Nach einer Weile hatte er sich wieder einigermaßen beruhigt, kuschelte sich aber immer noch an mich. Hmm... Was er seinem Freund gesagt hatte, hatte er noch nicht gesagt. Was mag das wohl gewesen sein? Meine Neugier war geweckt: "Manu? Was hast du ihm denn gesagt, dass er so ausgerastet ist?"

Er seufzte, löste sich aus meiner Umarmung, setzte sich ganz gerade hin und sah mir fest in die Augen. Er sah total verheult aus, aber sein Blick war hart. "Du willst es unbedingt wissen? Ok, du hast es so gewollt..." Und nach einer kleinen Pause: "Ich bin schwul." Er sagte diesen letzten Satz ganz emotionslos, drehte aber gleich darauf sein Gesicht weg und starrte auf den See.

Ich war wie paralysiert, es dauerte eine ganze Weile, bis seine Worte bis in mein Gehirn durchdrangen. Er war also schwul... Geschockt sah ich ihn mit großen Augen an, unfähig, auch nur einen Laut von mir zu geben.

Manu sah mit einem schüchternen Blick zu mir her. Unendliche Traurigkeit lag in seinen Augen, doch ich war viel zu geschockt, um das zu registrieren. Es war, als ob er mir einen Spiegel vorgehalten hätte, als ob er zu mir gesagt hätte "Du bist schwul".

Völlig geistesabwesend schaffte ich dann doch noch, etwas zu sagen: "Krieg das jetzt nicht in den falschen Hals, aber... Ich muss Nachdenken, ich komm gleich wieder..." Ich stand auf und schaute kurz Manu an, der wieder auf den See starrte, dann lief ich los. Ich lief schnell, es schien mir, als ob ich klarer sehen würde, je schneller ich lief. Erst als ich fast schon rannte und so bald völlig außer Atem war, wurde ich wieder langsamer.

Ich war den See entlanggelaufen und wieder an der Stelle angekommen, an der wir vorhin beide ins Wasser gefallen waren. Ich setzte mich auf den Stein, auf dem Manu gesessen war, und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Manu... Manu war schwul. Und ich, was war mit mir? War ich etwa auch schwul? War das nicht die logische Schlussfolgerung aus meinen Gefühlen für Manu, die ich vorhin erlebt hatte?

Für Mädchen hatte ich mich nie interessiert, ich hatte gedacht, ich wäre einfach noch zu jung. Andererseits war der Gedanke an Sex in gewissen einsamen Stunden durchaus vorhanden und führte auch schon öfters mal zu den Vorkommnissen, nach denen man neue Shorts brauchte. An was dachte ich dabei? An Mädchen sicher nicht, das musste ich mir eingestehen. Hmmm...

Langsam gewöhnte ich mich an den Gedanken, dass ich schwul sein könnte. Ich probierte es einfach mal aus und flüsterte leise vor mich hin: "Ich bin schwul!" Sooo schlimm klang das gar nicht. Da fiel mir ein, dass Manu wohl immer noch auf eine Antwort von mir wartete. Es tat mir im Herzen weh, wenn ich daran dachte, wie er sich gerade fühlen musste, der Schmerz war geradezu körperlich zu spüren. Tja, dann musste ich wohl etwas dagegen tun, oder? Ich lief los, genau so schnell, wie ich her gerannt war, eher noch etwas schneller.

Keuchend erreichte ich den Felsbrocken, auf dem Manu immer noch saß und auf den See starrte. Langsam näherte ich mich die letzten Meter, versuchte meine Atmung zu kontrollieren und mich wieder zu beruhigen, doch obwohl er mich gehört haben musste drehte er sich nicht um. Ich setzte mich neben ihn und begann zu sprechen: "Manu, es tut mir Leid... Es tut mir Leid, dass ich einfach weggerannt bin... Ich musste nachdenken, verstehst du? Es geht nicht um dich dabei, ich hab keine Probleme damit, dass du... Dass du schwul bist."

Das hatte Kraft gekostet - So ganz drüber weg war ich wohl doch nicht. "Es ist nur... Ich meine, ich... Ich weiß nicht was mit mir los ist... Vorhin beim Duschen, das war..." Ich nahm allen Mut zusammen, den ich zusammenkratzen konnte. "Manu, ich mag dich wirklich... Ich glaub' ich bin auch schwul..." Moment mal - hatte ich das eben gesagt? Wow...

Seiner Reaktion nach hätte er alles erwartet, nur das nicht. Sein Kopf ruckte herum und er starrte mich ungläubig an. Mehr als ein "Häh?" schien sein Sprachzentrum nicht ausgeben zu können. Wir sahen uns lange in die Augen, versanken ineinander... Plötzlich bemerkte ich, dass am Horizont ein rotes Leuchten auftauchte und ich sah auf meine Armbanduhr. Es wurde wirklich langsam wieder Tag, und wir mussten beide gleichzeitig herzhaft gähnen.

Wir sahen uns an und begannen zu grinsen. Außer einem zweistündigen Nickerchen in der Sonne vor der Lagerolympiade hatte ich seit vorgestern nicht geschlafen, und langsam merkte ich, wie müde ich war. Noch einmal musste ich ausgiebig gähnen, die ersten vorsichtigen Sonnenstrahlen kitzelten meine Nase. Wieder sahen wir uns in die Augen.

Wir wollten uns nur kurz auf dem Schlafsack ausstrecken und schauten glücklich in den noch leicht rötlichen Himmel, während wir uns aneinander kuschelten. Es dauerte nicht lange, bis wir beide eingeschlafen waren...


Träumte ich von unserem nächtlichen Bad im See oder war das wirklich eiskaltes Wasser, was mir da ins Gesicht strömte? Langsam wurde ich wach und merkte, dass mein linker Arm eingeschlafen war und dass etwas darauf lag. Endlich hatte sich der Nebel vor meinen Augen soweit gelichtet, dass ich sehen konnte, dass es Manu war, der auf meinem Arm und direkt neben mir lag.

Auch er hatte gerade seine Augen aufgemacht und schaute verwirrt unter seinen klatschnassen Haaren hervor. Moment mal, warum waren seine Haare nass? Und warum tropfte mir von meinen Haaren ebenfalls Wasser in die Augen? Ich drehte mich auf den Rücken und schaute direkt in die grinsenden Gesichter meiner zwei Jugendleiter und einiger meiner Jugendfeuerwehrkollegen.

Irgendwie war da auch noch eine Kübelspritze, womit mir auch klar wurde, woher das Wasser kam. Markus, der Jugendwart, reagierte prompt auf mein verwirrtes Gesicht und meinte immer noch breit grinsend: "Auf, Leute, ich glaub' die sind noch nicht ganz wach, noch ein bisschen Erfrischung bitte!"

Wen wundert's: Meine netten Kollegen ließen sich das nicht zweimal sagen. Und es wirkte, ich wurde wirklich wach, setzte mich auf und stellte mit einem Blick auf meine Armbanduhr fest, dass es so ungefähr 12 Uhr war.

Manu regte sich langsam, auch er sah nun die Leute, die um uns herum standen. Jetzt funktionierte mein Gehirn wieder vollständig, was eine sofortige Rotfärbung meines Gesichtes zur Folge hatte, als mir klar wurde, welches Bild wir geboten haben mussten. Das Gesicht neben mir zeigte einen ähnlichen Farbton, was darauf schließen ließ, dass Manu ebenfalls wieder richtig wach war. Nun war ich mal gespannt, was da auf uns zukommen würde...

Markus flüsterte kurz Holger, dem anderen Jugendleiter, etwas ins Ohr, nachdem er unseren ängstlichen Gesichtsausdruck gesehen hatte. Holger forderte die anderen Jugendlichen daraufhin auf, sich mit ihm endlich in Richtung Zelt zu bewegen, wenn sie noch was zu Futtern haben wollten, was sich niemand zweimal sagen ließ. Zurück blieben zwei sichtlich peinlich berührte Jungs und mein Jugendwart.

Markus setzte sich im Schneidersitz vor uns hin, lächelte uns schief an und meinte nur: "Und?"

Ich warf einen fragenden Blick rüber zu Manu, der wie ein geprügelter Hund wirkte und offensichtlich versuchte, vor sich ein Loch in den Boden zu starren. Da von ihm anscheinend keine Hilfe zu erwarten war, musste ich mich wohl mehr oder weniger alleine unserem Problem stellen. Böse war ich ihm deshalb nicht, schließlich hatte er gestern genug erlebt und kannte Markus zudem nicht.

Ich entschied mich für die klassische Gegenfrage-Taktik: "Und was?"

"Na ja, für mich sah das ziemlich eindeutig aus, was ich heute Morgen gesehen hab, als wir euch endlich gefunden hatten... Wir haben euch noch schlafen lassen bis mittags, aber ihr könnt ja nun nicht den ganzen Tag hier rum liegen, oder? Außerdem wäre früher oder später jemand über euch gestolpert..." Markus hatte einen Blick drauf, den ich nicht so richtig einordnen konnte. Ich war mir nur sicher, dass er nicht böse war, das hätte ich gemerkt. Komisch, er schien sich eher Sorgen zu machen...

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, deshalb sagte ich gar nix. Mein Gegenüber seufzte kurz und meinte dann "Na gut, wollt ihr mir nicht erst mal sagen, wer du bist?" und schaute dabei Manu an.

"Manu..." murmelte Selbiger leise und hob zum ersten Mal seit unserem Erwachen kurz den Blick. Scheinbar hatte er sein Vorhaben mit dem Loch aufgegeben.

Markus hielt ihm seine Hand hin und sagte: "Hi, ich bin Markus, Lukas Jugendwart, freut mich dich kennen zu lernen! Ich muss allerdings zugeben, dass ich schon wusste wer du bist, da ihr beide verschwunden wart war das ja eigentlich fast klar..."

Kaum zu glauben, aber Manu schüttelte die ihm angebotene Hand mit einem schüchternen Lächeln. "Hi, freut mich ebenfalls!" Eine gute Kinderstube schien er ja schon mal genossen haben - Einer Heirat stand also nichts im Weg. Hatte zumindest meine Oma gesagt.

Nach einem peinlich stillen Moment schaute uns Markus freundlich an und forderte uns auf, erst mal zum Essen zu gehen. "Manu, mit deinem Chefe hab ich schon gesprochen, du kannst bei uns essen. Aber ich denke, wir sollten uns später noch mal unterhalten, oder?" Brav beantworteten wir seine Frage mit einem zögerlichen Nicken und folgten ihm zu unserem Zelt.

Während des Essens unterhielten sich alle außer Manu und mir ganz normal, blöde Bemerkungen gab es aber nicht, was mich doch sehr wunderte.

Markus und Holger mussten klare Anweisungen gegeben und drakonische Strafen angedroht oder eine gigantische Belohnung versprochen haben, denn normalerweise waren die Jungs immer für jeden Scherz zu haben. Nur ab und zu warf uns jemand einen neugierigen Blick zu.


Nachdem die Teller gespült und die Reste des Gelages entsorgt waren schmiss Markus die restliche Meute aus dem Zelt: "Jungs, ihr wollt doch bei dem tollen Sonnenschein nicht im Zelt hocken bleiben? Auf, holt euch nen Sonnenbrand oder macht sonst was Sinnvolles!"

Unter halbherzigem Gemurre und den üblichen "Sklaventreiber" - und "Hey, wir haben Ferien" - Bemerkungen verzogen sich die Jungs nach draußen. Zurück blieb eine Anspannung, die mich ziemlich nervös machte.

"Also,..." setzte Markus seufzend zu einem Monolog an, "Ihr habt heute Morgen für einige Verwirrung gesorgt, wir haben euch ne halbe Stunde lang gesucht. Manu, du kannst froh sein, dass ich deinen Chefe gut kenne, ich konnte ihn grade noch so davon abhalten, euch zu wecken und zusammenzustauchen. Da euer kuscheliger Felsen ja nun nicht gerade mitten im Lager ist haben wir abwechselnd mehr oder weniger Wache gehalten, damit euch niemand stört. Ich würde sagen, dafür schuldet ihr uns was... Wie wär's zum Beispiel mit ner Erklärung?"

Er schaute uns fragend an, als wir aber nicht antworteten, fuhr er mit seinen Ausführungen fort: "Mir ist schon klar, dass euch das schwer fällt, aber wir haben da ein paar Sachen mitbekommen... Vielleicht fällt es euch dann leichter... Also, als wir euch gesucht haben, haben wir festgestellt, dass ihr euch ja eigentlich gar nicht kennt, zumindest meinten das eure jeweiligen Freunde. Dass ihr dann beide verschwindet könnte entweder ein ganz komischer Zufall sein, oder es steckt mehr dahinter. Nachdem wir dann ein paar ziemlich

nette Bemerkungen von deinem wohl ehemals besten Freund mitbekommen haben, haben wir uns den Rest zusammengereimt..." Dabei schaute er Manu an, der nach der letzten Bemerkung aufgesehen hatte.

"Was hat er gesagt?" fragte Manu leise.

Die Antwort auf diese Frage fiel Markus sichtlich schwer. Schließlich sagte Holger ohne uns anzusehen mit einem wütenden Unterton in der Stimme: "Vielleicht ist die Schwuchtel ja im See ersoffen... Dann kann er uns wenigstens nicht im Schlaf begrabschen... Zitat Ende..."

Manu sah mich so hilflos und verletzt an, dass ich nicht anders konnte, als ihm meinen Arm um die Schulter zu legen, ihn leicht zu drücken und mit zusammengepressten Zähnen zu zischen: "Der Arsch soll mir mal im Dunkeln begegnen..."

"Och, der hat sein Fett schon weg!" meinte Holger mit einem fiesen Grinsen im Gesicht," Nachdem er ihn zur Rede gestellt hat, hat Markus ihm sehr deutlich klar gemacht, dass er dafür sorgen würde, dass dein netter Freund den Rest des Zeltlagers sämtliches Geschirr spülen sowie für das Kloputzen zuständig sein würde, sollte er nur daran denken, auch nur ein Wort zu irgendwem über die Sache zu verlieren."

Wow, das waren ja Nachrichten! Dass sich meine beiden Jugendleiter so für uns einsetzen würden hätte ich nicht erwartet. "Brav haste das gemacht, dafür gibt's später auch ein Stückle Zucker!" strahlte ich sie erleichtert an.

"Soso, unser Lukas hat seine übliche Frechheit wieder gefunden... Dann kann er uns ja auch gleich mal erzählen, was denn jetzt wirklich mit euch los ist", grinste mich Markus herausfordernd an.

So überraschend mich die Welle der Erleichterung getroffen hatte, so schnell war sie wieder verflogen. "Öhmm... Na ja, wir... Ach, ich weiß auch nicht... Manu?" Hilfe suchend schaute ich zu ihm rüber. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war er auch froh, dass erst mal nicht das ganze Zeltlager über ihn Bescheid wissen würde und war dementsprechend sicherer.

"Ja, es stimmt, ich bin schwul... Weiß Jakob schon Bescheid?" fragte er, und erläuterte an mich gerichtet: "Mein Jugendwart..."

"Jepp, der wusste zwar vorhin noch nicht so genau, was er davon halten soll, aber ich glaub der kriegt das schon gebacken, so wie ich ihn einschätze. Er war zumindest eher verwirrt und ein bissele hilflos als böse, und das ist ja schon mal ein gutes Zeichen", erklärte Holger uns.

Markus schaffte es mal wieder, mich mit seiner Frage aus dem Konzept zu bringen: "Und was ist mit dir, Lukas? Hast du uns auch was zu sagen?"

Na egal, Manu hatten sie auch nicht den Kopf abgerissen, also was soll's... Wenn schon, dann richtig, das war schon immer mein Motto gewesen. Feierlich wandte ich mich an die Anwesenden: "Holger, Markus... Ich glaub', ich hab mich in Manu verknallt..."

Damit schaute ich rüber zu Manu, der mich anstarrte, als hätte ich drei Augen. "Wow! Lukas, so was hat noch niemand über mich gesagt..."

Schon die ganze Zeit war noch das Radio gelaufen, das wir im Zeltlager immer dabeihatten. Just in diesem Moment begann der Refrain des bekannten Titels von "Fünf Sterne Deluxe": "Willst du mit mir gehn, willst du mit mir gehn?" Besser hätte das Timing nicht sein können... Manu schaute mir verklärt in die Augen, wir vergaßen die Welt um uns herum.

Am Ende des Refrains begannen wir unsere Umgebung wieder wahrzunehmen. "Ich glaube, das war ein Ja", meinte Markus grinsend.

Ich schaute Manu fragend an. "Hmmja... JA!" grinste er mich glücklich an.

Natürlich konnte sich Holger einen Spruch nicht verkneifen: "Muss Liebe schön sein..." Weiter kam er nicht, denn nach einer kurzen Absprache per Blickkontakt hatten Manu und ich je eine auf dem Tisch neben uns stehende, offene und nicht mehr ganz volle Sprudelflasche geschnappt und auf Holger geschüttet.

Lachend wischte er sich den Sprudel aus dem Gesicht. "Wartet nur, ich erwisch' euch noch!"

Ebenfalls lachend rannten wir, von meinen Jugendleitern verfolgt, aus dem hinteren Zelteingang, der nicht ganz verschlossen war. Moment mal, warum war ich gerade über jemanden gestolpert? Manu war doch hinter mir, oder? War er, und er fiel auch mal wieder auf mich drauf. Langsam wurde das ja zur Gewohnheit...

Noch im Fallen sah ich einige meiner Freunde in alle Richtungen davonrennen. Soso, da hatte wohl ein großer Lauschangriff stattgefunden. Kaum war dieser Gedanke zu Ende gedacht, als auch schon Markus und Holger auf uns drauf lagen.

Stöhnend erhob ich mich, nachdem sich die Anderen drei wieder aufgerappelt hatten. Jetzt sah ich auch, wer unter mir gelegen hatte: Tobias. Holger sprach aus, was ich gedacht hatte: "Na so was, haben wir da einen Lauscher erwischt?"

Beschämt sah Tobias mich an und meinte dann mit einem vorsichtigen Grinsen: "Ich sollte euch wohl gratulieren, Hmm? Also, Herzlichen Glückwunsch!"

Wieder einmal testeten Manu und ich, wie rot wir werden konnten. Trotzdem schafften wir ein unisono gemurmeltes "Danke" herauszubekommen. Langsam fanden sich auch die anderen Lauscher vorsichtig wieder hinter dem Zelt ein, als sie sahen, dass es keinen Ärger gegeben hatte. Bald war unsere komplette Jugendgruppe wieder vollzählig versammelt.

"Lasst uns ins Zelt gehen", schlug Markus vor. Schweigend machten wir es uns alle im Zelt gemütlich. Es herrschte eine gespannte Stille, alle Augen waren auf Manu und mich gerichtet.

"Na gut, ihr habt es ja sowieso gehört... Also, darf ich vorstellen: Manu aus Siedenbach, mein Freund!" traute ich mich endlich die Stille zu durchbrechen.

Tobias war der Erste, der aufstand und Manu die Hand schüttelte. "Hi, ich bin Tobi! Willkommen bei unserem Sauhaufen und noch mal herzlichen Glückwunsch!"

Damit war das Eis gebrochen, die ganze Meute schüttelte meinem neuen Freund die Hand und gratulierte uns. Irgendwann hatte jeder seinen Spruch abgelassen und es wurde wieder ruhiger. Markus bat um Ruhe und fragte: "Manu, Lukas, eines müsst ihr noch entscheiden: Soll eure, ähmm, Beziehung erst mal unter uns bleiben?"

Wir sahen uns kurz an und nickten. "Es wäre uns erst mal lieber, wenn es hier unter uns bleibt, wir müssen uns überhaupt erst mal an den Gedanken gewöhnen, dass ihr alle Bescheid wisst, bevor wir weiterdenken!"

Holger klatschte in die Hände: "Ich würd' mal sagen zur Feier des Tages gibt's jetzt erst mal ne Abkühlung... Folgt mir unauffällig, wir haben noch lecker Eis im Kühlschrank!" Johlend sprangen alle auf und folgten Holger hinter unser Zelt, wo der Bus stand. Manu und ich wollten erst gar nicht aufstehen, bis Markus vor uns aus dem Zelt ging und uns im Vorbeigehen durch die Haare wuschelte. "Auf, kommt mit, ihr habt euch das Eis am meisten verdient!"

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