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EC - Electronic Crush

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Nach einer wahren Begebenheit.


Ich stehe in Jogginghose, Pullover und Badelatschen 30km von meiner Wohnung entfernt bei meinen Eltern vor der Haustür und heule. So was kann auch nur mir passieren! Dieser Tag ist eindeutig der schwärzeste in meinem ganzen Leben. Scheiße, scheiße, scheiße! Ich kann es nicht oft genug vor mich hinfluchen. Kalt ist mir dazu. Hoffentlich fängt es nicht wieder an zu schütten, das könnte ich jetzt so gar nicht gebrauchen... Wenigstens habe ich noch Zigaretten in der Tasche. Und genau mit denen hat auch eigentlich alles angefangen...

Es war Samstagabend, irgendwas nach 23 Uhr. Mein bester Freund Veit, seine Freundin Helena und ich kamen gerade aus dem Kino. Wie immer fühlte ich mich wie ein drittes Rad am Karren. Das frisch verliebte Pärchen hatte einfach nur Augen für sich, und ich, der Dauersingle, durfte ihnen beim Knutschen zusehen.

‚Irgendwann’, so schwor ich mir, ‚wenn ich einen Freund habe, werde ich die beiden auch links liegen lassen!’

Nur, dazu musste erstmal so was wie ein Freund her. Ich war ziemlich schüchtern und durfte mich deswegen mit meinen 23 Jahren noch Jungfrau und ungeküsst nennen. Was nicht mal Veit wusste. War mir einfach zu peinlich. Vor drei Jahren, nach meinem Coming Out, hatte er ein paar Mal versucht, mich an den Mann zu bringen, aber ich hatte ihm jedes Mal einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem ich kniff. Nach einer Weile hatte er es dann aufgegeben, mich verkuppeln zu wollen und überließ mich meinem Schicksal. Und damit ich nicht wie der letzte Loser vor ihm stand und endlich mal etwas wie ein Sexualleben vorweisen konnte, hatte ich ihm vor anderthalb Jahren von meinem großartigen Urlaubssex auf Korsika erzählt. Immerhin hatte ich da 2 Wochen Zeit gehabt, mir die ganze Geschichte bis ins Detail auszudenken.

„Sollen wir dich noch nach Hause fahren?“ Wow, sie haben mich tatsächlich doch noch bemerkt! Veit wedelte mit seinem Autoschlüssel vor meiner Nase herum, aber ich winkte ab.

„Lass mal, ich nehm den Bus“, sagte ich und zeigte in Richtung Haltestelle. „Wollte mir eh noch Kippen holen. Macht’s mal gut, ihr zwei, und schönen Abend noch.“ Ich reichte Helena die Hand, umarmte Veit flüchtig zum Abschied. Ganz unbegeistert von meinem Abgang war er nicht, hatte er doch seine Helena endlich ganz alleine für sich in seinem Auto und konnte noch ein bisschen an ihr rumfummeln, ohne dass die Schwuchtel auf dem Rücksitz zuschaute.

Der Bus hatte Verspätung. 10 Minuten schon. Es war verdammt windig, der Herbst hatte den Sommer längst erfolgreich vertrieben und trieb mit kalten Böen Regenwolken über die Stadt. Genervt stellte ich fest, dass es zu nieseln anfing. Wieder schaute ich auf die Uhr, dann die Straße hinunter. Kein Bus in Sicht. Im windgeschützten Haltestellenhäuschen steckte ich mir meine letzte Zigarette an, nahm einen tiefen Zug. Die leere Schachtel kickte ich quer über die Straße. Wenn der scheiß Bus nicht endlich kam, würde ich einfach laufen, Regen hin oder her. Ich wollte in diesem Leben noch zu Hause ankommen, auch, wenn es dort noch nicht ganz nach Wohnung aussah. Ich war erst vor einer Woche eingezogen, und außer meinem Bett, meinem Schreibtisch, jeder Menge Kartons und der uralten Einbauküche der Vormieterin hatte ich noch nichts in der Bude stehen. Die Wohnzimmermöbel würden aber am Montag geliefert werden.

Murphy und sein Gesetz hatten wohl beide einen Clown gefrühstückt oder zumindest ein paar Stunden in der Witzekiste verbracht, denn kaum hatte ich den Glimmstängel im Mund, schon rollte der Bus auf die Haltestelle zu. In hohem Bogen flog die Zigarette auf den Bürgersteig; ich machte mir nicht mal die Mühe, sie auszutreten. Aus dem feinen Nieseln war ein stetig zunehmender Regen geworden, und der würde die Glut schon löschen. Ich hielt dem Fahrer meine Monatskarte unter die Nase und pflanzte mich auf einen ungemütlichen, mit Stoff bezogenen Sitz direkt am Fenster.

‚Ich hätte einen Schirm mitnehmen sollen’, dachte ich beim Anblick der Sintflut, die sich draußen langsam anbahnte. ‚Oder wenigstens eine Jacke mit Kapuze anziehen sollen.’ Innerlich stellte ich mich schon mal darauf ein, klatschnass nach Hause zu kommen. Wer hatte das Mistwetter da draußen bestellt?

Noch im Bus zog ich meine EC-Karte aus dem Portmonee, hielt sie einführbereit in der Hand und wartete darauf, dass der Bus hielt und die Tür sich öffnete. Wie ein Sprinter beim Startschuss spurtete ich los durch den prasselnden Regen, der schon nach wenigen Metern nass über mein Gesicht strömte und tief in meiner Kleidung versickerte. Meine Socken waren bald gut nass und es matschte unangenehm in den Schuhen bei jedem meiner Schritte. Am Ende der Straße konnte ich schon mein Objekt der Begierde erkennen: Den Zigarettenautomaten. Schnell die Karte reingesteckt, ein paar Tasten gedrückt, die Schachtel Marlboros herausgefummelt und dann nichts wie ab nach Hause.

Zuerst flogen meine pitschnassen Schuhe und Socken ins Bad, dann die tropfende Jacke. Ich stieg aus der Jeans, die an meinen Beinen klebte, schälte mich aus dem halbwegs trocken gebliebenen Pullover und fischte ein Handtuch aus dem Umzugskarton, der im Bad stand und Badezimmerutensilien enthielt, um mir die Haare abzutrocknen. Dann setzte ich Wasser für einen Instantcappuccino auf, wickelte mich in meine Bettdecke, schlürfte Cappuccino, um mich von innen aufzuwärmen, rauchte eine Zigaretten, um meine Nerven zu beruhigen. Anschließend kuschelte ich mich in mein Bett und ließ mich in die Träume fallen.

Den Sonntag verbrachte ich fast ausschließlich im Bett. Nur kurz stand ich auf, um mir noch mehr Instantcappuccino zu kochen und um Zeitungspapier in meine nassen Schuhe zu stopfen. Ob die je wieder trocknen würden? Ein anderes Paar hatte ich nicht zum Ersatz, bei meinem Umzug hatte ich ordentlich ausgemistet und entschieden, dass die Schuhe, die ich besaß, längst ausrangiert gehörten. Die meisten hatten bereits Löcher gehabt und waren so verdreckt gewesen, dass nicht mal der beste Schuhputzer der Welt sie wieder sauber bekommen hätte. Also waren drei Paar Schuhe im Container gelandet, eins hatte ich behalten. Irgendwas musste ich ja an den Füßen tragen.

Überhaupt bedeutete meine erste eigene Wohnung für mich eine ganze Menge Veränderung. Ich hatte beschlossen, mich endlich völlig auszuleben, so, wie ich war, und mein Leben ganz neu zu beginnen. Auch meine Garderobe war erheblich geschrumpft und gehörte neu aufgestockt. Ich wollte ein völlig neuer Robin werden.

Schrilles Türklingeln weckte mich Montag in der Früh. Energisch parkte jemand seinen Finger auf meiner Klingel und riss mich aus dem Schlaf.

„Welcher Wixer, zur Hölle...“, fluchte ich und wälzte mich auf den Bauch, zog mir das Kissen über den Kopf. Doch dann durchzuckte es mich wie ein Blitz: „Die Möbel!“ Mit einem Schlag war ich wach, warf Decke und Kissen zur Seite, griff mir im Vorbeilaufen die Jogginghose, die über meinem Schreibtischstuhl hing und stieg hinein, während ich den Türsummer drückte und meine Wohnungstür öffnete. Notdürftig schob ich meine Out-of-Bed-Frisur zurecht, befühlte meine stoppeligen Wangen. Sicher sah ich aus wie der letzte Penner.

„Guten Morgen!“, grüßte mich der erste Mann in roter Latzhose und grünem Poloshirt, der die Treppe hinaufschnaufte und einen großen, schwer aussehenden Karton unter dem Arm trug. Ihm folgte ein weiterer, ebenfalls bepackter Mann in gleichem Outfit. Ich zeigte den Männern, wo ich meine Möbel aufgebaut haben wollte und zog mich wieder ins Schlafzimmer zurück. Ich holte einen warmen Schlabberpulli aus einem der vielen Kartons, verpackte meine Füße in Tennissocken und steckte mir erstmal eine an. Wie hatte ich meine Möbellieferung vergessen können? Wahrscheinlich wurde ich krank. Hatte mich bei dem Regen vor zwei Tagen verkühlt und würde eine schreckliche Grippe kriegen. Und kein Freund weit und breit, der herkommen könnte, um mich zu pflegen...

„Wir wären dann soweit.“ Ich hob den Kopf, sah den Mann an, der seinen Kopf zu meiner Schlafzimmertür hereinsteckte. Großartig, das ging ja doch schneller, als ich gedacht hatte. Knapp eine Stunde hatten sie gebraucht. Zufrieden begutachtete ich die große Wohnwand, den gläsernen Wohnzimmertisch und das Sofa.

„Sehr schön“, nickte ich. „Und Sie kriegen jetzt noch von mir...“

„Genau 1500“, fiel der kleinere der beiden Möbelmänner mir ins Wort und drücke mir den Lieferschein in die Hand. Seit meinem 18. Geburtstag hatte ich immer wieder Geld zurückgelegt, um mir bei meinem Auszug eine schicke Erstausstattung leisten zu können. Natürlich hatte ich mich nicht mit dem erstbesten Holzungetüm vom Schwedendiscounter zufrieden gegeben, sondern hatte bei der Wahl meiner Möbel eher auf Stil und Individualität gesetzt. Und so was hatte leider nun mal seinen Preis.

„Einen Moment bitte.“ Ich ging ins Bad, um mein Portmonee zu holen. Meine Jeans war immer noch feucht, das Leder meines Geldbeutels war ganz durchgeweicht. Doch das Fach, in dem sonst meine EC-Karte steckte, war leer. Ach, klar! Samstag hatte ich die Karte ja rausgenommen, um Zigaretten am Automaten zu ziehen. Schnell durchsuchte ich die Taschen meiner Jeans, dann die meiner Jacke, doch die Karte war nicht aufzufinden. Scheiße, scheiße, scheiße! Ich musste sie bei meinem Sprint durch den Regen nach Hause irgendwo verloren haben.

„Ich glaube, ich habe meine EC-Karte verloren...“, gestand ich kleinlaut und wühlte in den Taschen der Jogginghose. „Können Sie... mir eine Rechnung schreiben, dass ich das Geld überweise?“

Der größere der Männer verdrehte die Augen, seufzte, nickte. Ein wenig widerwillig füllte er mir einen Schein aus, den ich unterschrieb. Die Durchschrift legte er mir auf den neuen Tisch.

„Viel Spaß noch mit den neuen Möbeln“, war die halbherzige Verabschiedung, dann war ich alleine. Blöder Scheißdreck! Ausdauernd Flüche vor mich hinmurmelnd kritzelte ich mir eine Notiz, das Geld für die Möbel online zu überweisen, sobald mein Internetanschluss freigeschaltet war, schob mir eine Zigarette zwischen die Lippen. Ich rauchte eindeutig zu viel, aber bei dem ganzen Scheiß um mich herum hatte ich doch auch gar keine andere Wahl!

‚Vielleicht liegt die Karte noch irgendwo rum’, überlegte ich. Klar, warum auch nicht? Meine Schuhe waren noch klamm, aber für die paar Meter würden es auch meine Badeschlappen tun.

Den ganzen Weg über schaute ich auf den Boden, suchte sogar auf der Straße und auf den Grünflächen vor den Mehrfamilienhäusern, bis ich den Zigarettenautomaten erreichte. Nichts. Ob sie in einen Gulli gefallen war? Oder jemand hatte sie gefunden. Ich musste unbedingt die Bank anrufen und meine Karte sperren, nicht auszudenken, was jemand damit alles anstellen konnte! Mein Handy lag jedoch in der Wohnung.

Vor der Tür griff ich in meine rechte Tasche. Nichts. In der linken Tasche? Die Zigarettenschachtel. Wo war denn nur... Panisch befühlte ich meine Schenkel, meinen Hintern, meine Brust. Verfluchte Scheiße, ich hab meinen Schlüssel vergessen!!!

Frierend schlappte ich zur U-Bahn, fuhr bis zum Bahnhof. Ich hatte keine andere Wahl, ich hatte nichts bei mir außer den Dingen, die ich am Körper trug, und einer Schachtel Kippen, und den einzigen Zweitschlüssel hatten meine Eltern in Düren. Die Leute starrten mich an als wär ich ein Penner. Klar, was sollten sie bei meinem Aufzug auch sonst denken?

Als der RE endlich in den Bahnhof einfuhr, lief ein kleiner Glücksschauer über meinen Rücken: wenigstens hatte ich nicht den Studienplatz im 600km entfernten München angenommen.

Eine Viertelstunde saß ich am Fenster, betete, dass der Tag schnell ein Ende nehmen würde, dann tippte mir der Schaffner auf die Schulter. Himmel...

„Ihre Fahrkarte bitte“, bat er mich, ich ließ die Schultern hängen. Mein Herz raste und mein Gesicht lief rot an.

„Ich hab nichts dabei... Ich hab mich aus der Wohnung ausgesperrt und bin auf dem Weg zu meiner Mutter, die einen Ersatzschlüssel hat“, erzählte ich wahrheitsgemäß, der Schaffner legte den Kopf schief.

„Wollen Sie einen Fahrschein kaufen?“, hakte er nach.

„Ich habe nichts dabei!“, wiederholte ich verzweifelt und krempelte zum Beweis die Taschen meiner Jogginghose nach außen, legte die Schachtel Marlboros in meinen Schoß. „Kein Geld, kein Handy, keine Schlüssel, kein Portmonee. Ich hab nichts außer den Zigaretten!“

„Also können Sie sich auch nicht ausweisen?“

Mittlerweile waren die anderen Fahrgäste auf uns aufmerksam geworden, einige schüttelten mitleidig den Kopf. Das war der peinlichste Moment in meinem Leben!

„Hören Sie, ich habe eine Monatskarte. Bitte, lassen Sie mich nur noch bis Düren mitfahren, ich muss doch nur zu meinen Eltern und meinen Schlüssel holen...“ Ich spürte schon den Kloß in meinem Hals wachsen. Jetzt noch losheulen würde der Peinlichkeit natürlich die Krone aufsetzen; ich tat alles um einen Tränenausbruch zu verhindern und schluckte kräftig.

Der Schaffner sah mir in die Augen, ich hielt die Luft an um die Tränen zurückzuhalten.

„Und bei den Nachbarn klingeln und einen Schlüsseldienst rufen ist Ihnen nicht eingefallen?“ Das klang wie eine Anklage, und ich fühlte mich ertappt. Hatte der eine Ahnung, was so ein Schlüsseldienst kostete?

„Ich bin doch gerade erst eingezogen, ich kenne da keinen, und außerdem kostet das ein Vermögen. Ich bin Student!“ Vor Aufregung war meine Stimme ganz piepsig geworden.

„Stimmt, Schwarzfahren ist wirklich günstiger...“, murmelte der Schaffner und lächelte mich an. Ob er etwa Mitleid mit mir bekommen hatte? „Gut...“, nickte er schließlich. „Ich kann Sie ja in dem Aufzug nicht in Langerwehe auf den Bahnsteig schmeißen.“ Er zwinkerte mir zu, mir fiel ein tonnenschwerer Brocken vom Herz. Stotternd diktierte ich ihm meine Personalien, die er sich notierte, dann reichte er mir einen Zettel.

„Zeigen Sie innerhalb der nächsten 5 Tagen Ihre Monatskarte vor. Hoffentlich holen Sie sich bei dem Wetter keine Erkältung.“

„Danke“, kam es über meine Lippen, zitternd nahm ich den Zettel entgegen. „Vielen Dank!“ Ich wischte mir mit der Hand über die Augen. Dieser Mann in der blauen Uniform war gerade eben zu meinem persönlichen Helden geworden, am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen. Er winkte mir zwinkernd zu, als ich in Düren ausstieg, ich lächelte erleichtert zurück.

Mein Körper schrie förmlich nach einer Zigarette, aber dafür hatte ich jetzt keine Zeit. Ich musste die Bahn kriegen, die mich zu meinen Eltern bringen würde. Von der Haltestelle waren es zwar ein paar Meter zu laufen, aber in den Bus, der fast direkt vor der Haustür meiner Eltern hielt, kam ich ohne Fahrkarte nicht rein. Wenigstens hatte ich so auf meinem Weg Zeit genug für die Beruhigungszigarette, die ich so dringend brauchte. Ich fummelte eine Kippe und mein Feuerzeug aus der Schachtel und genoss den ersten, tiefen Zug. ‚Alles wird gut’, dachte ich und begann, mich wenigstens ein bisschen zu entspannen.

Mit Eisfüßen kam ich bei meinen Eltern an, drückte die Klingel durch und wartete. 10 Sekunden... 20 Sekunden... Ich klingelte ein zweites Mal. Wieder nichts. Das durfte doch nicht wahr sein! Was machte ich denn jetzt? Ich konnte doch nicht den ganzen Tag hier draußen sitzen und warten, dass meine Eltern nach Hause kamen! Ob ich bei den Nachbarn klingeln sollte...? Nein, dann würde ich vielleicht noch meine Eltern verpassen. Was war das für ein beschissener Tag? Warum kam immer alles auf einmal?! Jetzt konnte ich die Tränen auch nicht mehr zurückhalten...

Tja, und so kam es, dass ich jetzt hier stehe, an die Tür gelehnt, und mir die Tränen mit dem Ärmel aus dem Gesicht wische. Drei Glimmstängel hab ich noch, und die rauche ich auch gleich hintereinander weg. Mein Leben ist scheiße, die ganze Welt ist scheiße, und ich will einfach nur noch sterben. Mittlerweile habe ich mich vor die Tür gesetzt, und mein Hintern ist sicher schon am Boden festgefroren. Genau sagen kann ich das nicht, er fühlt sich schon ganz taub an. Aber wozu brauch ich auch Gefühl im Arsch, da will ja eh keiner ran. Wahrscheinlich, weil ich so ein verdammter Loser bin!

„Robin! Was machst du denn hier?“ Einkaufstüten rascheln, zwei Füße erscheinen in meinem verheulten Blickfeld.

„Mama?“, schluchze ich, als ich hoch sehe und die Frau erkenne.

„Mein Gott, was ist denn passiert? Wie siehst du denn aus?“ Besorgt lässt sie ihre Tüten fallen, zieht mich auf die Beine und nimmt mich in den Arm. „Komm doch erstmal rein, du musst ja ganz durchgefroren sein! Warum hast du denn nicht bei Sabine oder Doris geklingelt? Wie lange bist du denn schon hier? Bist du mit dem Auto gekommen? Warum hast du denn bei dem Wetter nichts Vernünftiges an?“, plappert sie drauflos, während sie mich mit in die Wohnung nimmt. Sie holt mir eine Decke und kocht mir eine große Tasse heißen Kakao mit extra viel Sahne oben drauf. Ich fühle mich sehr wohl und sehr geborgen.

Meine Mutter tröstet mich, hört sich an, was mir widerfahren ist, schüttelt immer wieder fassungslos den Kopf und murmelt Neins, Ahs und Ohs vor sich hin.

„Wir fahren jetzt zu dir, dann kannst du bei der Bank anrufen“, sagt sie dann und steht auf. „Nicht, dass da noch jemand Schindluder mit betreibt.“

Auf meinem Handy sind ganze drei Anrufe in Abwesenheit und eine Kurzmitteilung von der gleichen Nummer. Die Nummer kenne ich nicht... Gespannt öffne ich die SMS.

„Hallo Herr Kerner, ich glaube, ich habe Ihre EC-Karte gefunden. Bitte rufen Sie mich unter dieser Nummer zurück. Marcel Wiemann“

Was? Wahnsinn!

„Mama, da hat jemand meine EC-Karte gefunden“, stammele ich erschrocken, meine Hände werden feucht und mein Herz bollert vor Aufregung.

„Oh!“, ruft meine Mutter erstaunt aus. „Wer denn?“

„Ein Marcel Wiemann“, antworte ich und rufe die Nummer des Absenders an. Plötzlich bin ich total nervös und aufgekratzt. Meine EC-Karte ist also doch nicht weg! Und dieser Herr Wiemann wird kein geisteskranker EC-Karten-Betrüger sein, sonst hätte er mir nicht so eine Nachricht geschickt.

„Ja hallo?“, quäkt eine männliche Stimme in mein Ohr.

„Guten Tag, Robin Kerner hier... Sie haben versucht, mich anzurufen, wegen meiner EC-Karte...“

„Hey, klar! Soll ich Sie Ihnen nach Hause bringen? So ein Plastik ist ja schon wahnsinnig wichtig.“

Schnell gebe ich ihm meine Adresse und er verspricht, in einer halben Stunde bei mir zu sein. Jung klang er. Und dann so ehrlich, das finde ich super. Eigentlich hat er eine Belohnung verdient.

Kaum ist meine erleichterte Mutter 5 Minuten verschwunden, klingelt es auch schon an der Tür. Da hat sich aber einer beeilt! Mit schnellen Schritten hüpft ein junger Mann die Treppen hinauf. Er ist etwa in meinem Alter, hat hellbraune, strubbelige Haare, ist schlank... und einfach umwerfend! Als er mir in die Augen schaut, stutzt er einen Moment.

„Ich darf... du sagen, oder? Mit so jemand junges hab ich nicht gerechnet!“ Er lächelt ein strahlendes Lächeln und streckt mir die Hand entgegen.

„Ja, klar... Marcel?“ Ich schüttele seine Hand, beglotze fasziniert seine Augen. Mann, ist der hübsch! Er nickt. „Ich bin Robin. Komm doch rein.“

Ordentlich streift er seine Füße ab, sieht sich im Flur um, wirft einen Blick ins Bad, bestaunt mein Wohnzimmer.

„Wow, du hast es aber schick!“, staunt er anerkennend. Ich werde stolz. „Aber lange wohnst du hier noch nicht, oder?“

„Ich? Nein... Nein, seit einer Woche erst. Heute früh kamen meine Möbel, und als ich bezahlen wollte, hab ich gesehen, dass die EC-Karte fehlt... Hat mir einen ganz schönen Schreck eingejagt, du glaubst nicht, wo ich überall gesucht habe.“

„Du glaubst nicht, wo ich sie gefunden habe!“, lacht er, fragend sehe ich ihn an. „Pass auf: Gestern früh wollte ich schön zum Sonntagsfrühstück eine Zigarette haben. Das Laster wirst du ja kennen... Ich sollte dringend aufhören... Jedenfalls hatte ich keine Zigaretten mehr, und da der Automat nicht weit von meiner Wohnung weg ist, bin ich schnell losgegangen. Und da steckte deine EC-Karte im Schlitz.“

„Was?!“ Oh Gott... Sofort laufe ich knallrot an und beginne zu schwitzen. Ich hatte sie im Automaten vergessen. Wie peinlich!!!

„Das muss dir nicht peinlich sein“, grinst er, zieht meine EC-Karte aus seinem Portmonee und reicht sie mir. „Eigentlich wollte ich sie zur Bank bringen, deswegen hab ich sie erstmal weggelegt und wollte mich heute drum kümmern. Aber sie persönlich vorbeizubringen erschien mir dann doch netter. Also hab ich ins Online-Telefonbuch geschaut. Du bist einer von zwei Robin Kerners im Telefonbuch in ganz Deutschland, der andere war aus Sachsen, und das fand ich sehr unwahrscheinlich. Bei dir stand nur Düren und eine Handynummer, sonst wäre ich direkt zu dir gekommen.“

Das alles ist mir mehr als unangenehm. Klar freue ich mich, meine Karte wieder zu haben, aber vor diesem süßen Kerl bin ich bis an mein Lebensende blamiert.

„Jetzt schau doch nicht so! Das muss dir wirklich nicht peinlich sein.“ Sein Blick wandert zu meiner Schlafzimmertür. „Darf ich mal?“, fragt er, ich nicke nur noch. „Die Wohnung ist echt schön. Bist du das da?“ Grinsend zeigt er auf das gerahmte Bild, das auf meinem Schreibtisch liegt.

„N- nein“, stottere ich und merke, wie ich noch röter werde. „D-d-das ist... Josh... Hartnett.“ Ich lege meine Hand auf das Bild des halbnackten Schauspielers, das ich mal aus einer Zeitschrift ausgeschnitten und in den Rahmen geklebt habe, doch Marcel nimmt es mir weg.

„Hey, lass doch mal gucken“, kichert er. „Der ist doch heiß!“ Was hat er da gerade gesagt? Ist er etwa auch―? Gleich falle ich in Ohnmacht. Ich bin mit Marcels offensiver, frecher, lockerer Art total überfordert.

„Oh je...“ Er legt das Bild weg und schaut mich ernst aus großen, hellen Augen an. „Ich benehme mich gerade echt unmöglich... Tut mir leid, ich bin manchmal ein wenig überschwänglich...“

„Schon okay, ich... du...“ Mir fällt nichts ein. Mein Kopf ist leer, verzweifelt suche ich nach Worten, starre meine Füße an und kratze mich am Hinterkopf. „Willst du, ich meine... du hast meine Karte gefunden, was möchtest du dafür, also...“

Er lacht los, erschrocken zucke ich zusammen. „Du willst mir Finderlohn zahlen? Das ist doch nicht dein Ernst. Ich hab da eine bessere Idee. Du ziehst dir jetzt was anderes an, und dann lädst du mich auf einen Kaffee ein.“

Er will einen Kaffee mit mir trinken. Mit mir! Das hat noch nie jemand getan. Ob sich daraus etwas entwickeln könnte? Nein... es hatte sich noch nie etwas irgendwo raus entwickelt. Nicht für mich. Am besten sage ich den Kaffee ab...

„Jetzt gib dir einen Ruck!“ Frech fängt er meinen Blick ein und zwinkert mir zu. „Ich beiß doch nicht.“

Ja, eigentlich hat er Recht, warum auch nicht. Geld hab ich jetzt ja wieder. Und vielleicht ist Marcel ja etwas, das noch viel wertvoller ist als das Stück Plastik.

Danksagungen

Natürlich möchte ich meiner Muse danken, dass sie mich stetig mit neuen Ideen beliefert, auch der Instanz, die dafür zuständig ist, dass ich ein gewisses Potenzial an Schreibtalent besitze. Meinem wundervollen Freund Steffan, der es so gelassen hinnimmt, wenn ich in Schreibwahn verfalle und keine Zeit mehr für ihn habe, und Microsoft für Office 2004 Mac.

Besonderer Dank gilt an dieser Stelle jedoch Sebastian K., dafür, dass er mir sein Erlebnis für diese Kurzgeschichte zur Verfügung gestellt hat. Das Leben schreibt oft die schönsten Geschichten.

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