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Der verlorene Sohn

Teil 3 - Der Bezirkskongress

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Piep Piep Piep, wo kam nur dieses penetrant nervige Geräusch her. Verzweifelt versuchte ich in der Dunkelheit die Quelle des Geräusches ausfindig zu machen und den Störenfried zu eliminieren. Doch so verzweifelt ich auch nach meinem Wecker zu schlagen versuchte, ich bekam ihn einfach nicht zu fassen. Verdammt, gerade fiel mir ein, das ich ihn gestern Abend absichtlich außer Reichweite auf dem Schreibtisch platzierte, um mich zum aufstehen zu zwingen. Ich drückte mir mein Kissen auf den Kopf, um die Lautstärke ein wenig zu dämpfen, doch das Geräusch war einfach zu penetrant um es weiter zu ignorieren, geschweige denn weiter schlafen zu können. Tja, man musste einsehen, wenn man einen Kampf verloren hatte, also zwang ich mich schlaftrunken aus dem Bett, um den verdammten Wecker auszustellen. 9 Uhr war es bereits, doch für mich fühlte es sich an wie mitten in der Nacht. Ich hatte letzte Nacht, wie so oft in letzter Zeit, nicht wirklich gut geschlafen. Naja, es half ja nichts, ich hatte noch eine Menge zu tun, bis wir uns heute am Bahnhof trafen, also ließ ich die Rollos hoch und öffnete das Fenster. Ich wurde von grellem Licht geblendet, auch heute, wie so oft in diesem Sommer, schien wieder bestes Wetter zu sein. Also machte ich mich auf den Weg unter die Dusche, um die letzte Müdigkeit aus mir raus zu waschen.

Das warme Wasser tat mir gut und weckte wieder meine Lebensgeister. Eine gute halbe Stunde später verließ ich nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel mein Zimmer um zu frühstücken. Im Haus war es relativ ruhig, da mein Vater bereits arbeiten und meine Mutter auch bereits ausgeflogen war, um Erledigungen zu machen. Am Frühstückstisch saß bereits gut gelaunt mein Bruder.

“Morgen Sonnenschein. Na auch schon wach? Ich habe dir bereits frischen Kaffee aufgesetzt, als ich die ersten Lebenszeichen aus deinem Zimmer gehört habe.”

“Danke”, meinte ich kurz angebunden.

Ich war in meiner Familie als Morgenmuffel bekannt, also wunderte Daniel sich auch nicht weiter und ließ mich ihn Ruhe schweigend frühstücken. Nachdem ich fertig war, räumte ich mein Zeug in die Spülmaschine und beschloss jetzt mit dem Packen von meiner Reisetasche anzufangen. Ich sah noch schnell nach Daniel, um ihn daran zu erinnern, auch schon mit dem Packen anzufangen.

“He Daniel, wir sollten jetzt langsam mal mit packen anfangen. Wir treffen uns schon um 13:45 mit den anderen am Bahnhof.”

Dann sah ich sein Grinsen und eine bereits vollständig gepackte Reisetasche in seinem Zimmer stehen.

“Ich weiß nicht was du meinst. Habe bereits heute morgen fertig gepackt, als du noch tief geschlummert hast.”

“Man, du bist echt ein Freak, weißt du das?”

“Klar weiß ich das, aber es stört mich nicht weiter.”

Wieder schaffte es mein Bruder mich zum Lachen zu bringen.

“Man, du bist echt ein Spinner”, meinte ich grinsend.

Also machte ich mich ans Packen und eine gute Stunde später war ich fertig und checkte nochmal, dass ich auch wirklich nichts vergessen hatte. Alles da, ich war zufrieden mit mir und so langsam machte sich auch die Vorfreude auf den Bezirkskongress, also weniger aufs Programm, sondern mehr aufs gemeinsame Campen mit meinen Freunden, bemerkbar.

So, inzwischen war es 13 Uhr und wir mussten langsam los zur Bushaltestelle, unser Bus ging um 13:15 Uhr. Hektisch packte ich in meinem Zimmer meine Sachen zusammen, als ich meinen Bruder schon rufen hörte:

“Komm endlich Luca, sonst fährt der Bus ohne uns.”

“Ja ja, ich komme schon. Bin sofort da.

Keine 5 Minuten später machten wir uns auf den Weg zur Bushaltestelle, die zum Glück nur wenige Meter von unserem Haus entfernt lag, so dass wir überpünktlich an der Haltestelle eintrafen. Der Bus brauchte so gute 20 Minuten zum Bahnhof, so dass wir bereits um 13:35 am vereinbarten Treffpunkt erschienen. Wir waren die Ersten, die da waren, aber wir hatten ja noch Zeit bis zur Abfahrt des Zuges. Wir warteten noch nicht einmal eine Minute, als Finns Mutter mit ihrem Sohnemann im Auto vorfuhr. Er verabschiedete sich von seiner Mutter und kam uns voll gepackt entgegen.

“Hi Leute, ihr seid ja schon da. Sind wir die Ersten?”

“Ja ,außer uns ist noch keiner da”, meinte ich.

Aber kurze Zeit später trudelten nach und nach die anderen ein, inklusive Jonathan und Jakob, die Brüder von Lea und Rahel, die zu unserem aller Bedauern auch mit von der Partie waren. Da die beiden von mir und Rahel nichts wussten und es auch so bleiben sollte, begrüßten wir uns nur mit einer Umarmung, wie sonst auch immer, also schöpften sie keinen Verdacht. So, jetzt waren wir vollzählig, bis auf Jonas. Ich hoffte, dass er bald hier aufschlug, sonst könnte es knapp werden.

“Worauf wartet ihr, wir sind doch vollzählig. Lasst uns zum Gleis gehen”, meinte Jonathan.

“Nein, wir warten noch auf Jonas, mein Heimbibelstudium, er müsste jeden Augenblick kommen.”

“Aha, seit wann hast du denn ein Heimbibelstudium, das hätte ich dir ja gar nicht zugetraut”, meinte Jonathan.

“Das geht dich ein Scheiß an, ok, kümmer dich um deinen eigenen Kram.”

Dieser Typ regte mich echt auf, schon immer, er war einfach ein arroganter abartiger Penner, der sich immer schön bei den Ältesten in der Versammlung einschleimte.

Zu meinem Glück fuhr Elke, Jonas Mutter, kurze Zeit später mit ihrem Sohn im Auto vor. Nachdem sie mir freundlich zugewunken und sich von ihrem Sohn verabschiedet hatte, brauste sie auch schon davon. Zurück blieb ein voll beladener Jonas, der jetzt auf uns zu kam.

“Sorry Leute, wir mussten nochmal umkehren, weil ich mein Zelt vergessen hatte. Ich bin übrigens Jonas.”

Der Reihe nach gab er jedem artig die Hand.

“Kein Problem, jetzt bist du ja da. Wollen wir dann los”, meinte ich.

Unser Trupp setzte sich in Bewegung und befand sich bereits kurze Zeit später am Gleis und wartete auf das Eintreffen der Regionalbahn. Da kam auch schon die Durchsage, dass unser Zug jetzt einfahren würde. Eine gute Stunde Fahrzeit stand uns jetzt bevor. Lea, Rahel, Max, Jonas, Daniel und ich machten es uns gleich auf 2 freien gegenüberliegenden Viererplätzen bequem und breiteten uns absichtlich so aus, dass Jonathan und Jakob sich einen anderen Sitzplatz suchen mussten. Aber da wir leider ein Gruppenticket zusammen hatten, blieben die zwei dennoch in Sichtweite. Kaum waren wir los gefahren, löcherten auch schon meine Freunde Jonas mit ihren neugierigen Fragen.

“Du bist erst neu in unsere Stadt gezogen?”, wollte Rahel wissen.

“Ja, meine Eltern und ich sind erst Anfang letzte Woche hierher gezogen, aber mittlerweile haben wir uns schon einigermaßen eingelebt.”

“Weißt du schon, auf welche Schule du nach den Ferien gehen wirst?”, fragte Lea.

“Ja, auf das gleiche Gymnasium wie Luca. Wenn wir Glück haben, kommen wir sogar in eine Klasse.”

“Cool, dann würdest du ja schon jemanden in der Klasse kennen”, meinte Finn.

“Ja, das wäre echt cool. Ich würde mich freuen, wenn wir zusammen in eine Klasse kommen.”

“He, versprichst du mir, dass du ein wenig auf Luca achtest. In seiner Klasse sind echt ein paar üble Typen, die in ständig versuchen fertig zu machen, nur weil er ein Zeuge Jehovas ist”, meinte Rahel.

“Man Rahel, wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich mit denen schon alleine klar komme, ich brauche keinen Babysitter.”

“Ja, ich mach mir aber trotzdem Sorgen um dich und es schadet doch nicht, wenn du ein wenig Unterstützung bekommst.”

“Ich verspreche dir, dass ich auf ihn achten werde. Wenn die ihn fertig machen wollen, müssen die sich dann mit uns beiden anlegen.”

“Danke Jonas. Bist ein Schatz”, meinte Rahel und drückte ihm ein Kuss auf die Backe.

Damit schien sie Jonas auf den falschen Fuß erwischt zu haben, den dieser errötete sichtbar.

“Mensch Rahel, musst du den armen Kerl mit deinen Liebesbekundungen so überrumpeln”, meinte Finn lachend.

“Sorry Jonas, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen”, meinte Rahel beschämt.

“Nein Quatsch, alles gut, mach dir keinen Kopf deswegen.”

Der Rest der Fahrt war sehr kurzweilig, da meine Freunde Jonas viele lustige und auch peinliche Anekdoten über mich erzählten.

Am Hauptbahnhof in Großstadt angekommen, machten wir uns auf den Weg zur S-Bahn, um zu unserem Campingplatz zu gelangen. Die S-Bahn war leider gestopft voll, so dass wir mit unserem ganzen Krempel stehen mussten. Wir waren alle froh, als wir 20 Minuten später unsere Haltestelle erreichten. Von der Haltestelle zum Campingplatz waren es nochmal gute 10 Minuten zu Fuß, wir waren alle sichtlich geschafft, als wir den Campingplatz endlich erreichten. Wir machten uns gleich auf den Weg ins Büro und reservierten uns die Plätze für unsere Zelte. Da wir jedes Jahr um diese Zeit dort waren, wurden wir von der Campingplatz-Leitung freundlich begrüßt und bekamen unsere bevorzugten Stammplätze. An unseren Plätzen angekommen, machten wir uns gleich an den Zeltaufbau, und da wir alle bis auf Jonas Profis waren, war diese Aufgabe schnell erledigt. Aber da ich ja mit Jonas in einem Zelt nächtigen würde, half ich ihm, so dass auch sein Zelt nach kurzer Zeit stand.

“So, Jonathan und Jakob, unsere Aufpasser, haben mir so eben mitgeteilt, das um spätestens 23 Uhr für uns Zapfenstreich ist, aber bis dahin können wir ja was ausfressen. Hat jemand eine Idee?”, fragte Finn.

“Naja, wir haben gerade mal 16:30 Uhr und es ist immer noch super heiß, also ich hätte Bock ins Freibad zu gehen”, meinte ich.

“Ja, finde ich gut, Badehose hab ich auch mit”, sagte Jonas.

“Ja und wir können zu Fuß hin, weil das Freibad gleich um die Ecke ist”, meinte Lea.

“Also ich finde die Idee auch super”, sagte Rahel.

“Daniel, Max, was ist mit euch, kommt ihr auch mit?”, fragte ich.

“Also ich und Max sind raus. Wir wollten nochmal in die Stadt in einen Biergarten, aber geht ruhig ins Freibad, wir treffen uns dann heute Abend wieder hier”, meinte mein Bruder.

“Ok, dann bis später.”

Wir fünf machten uns also dann auf den Weg in das Freibad. Jonathan und Jakob wurden von uns nicht gefragt, ob sie mitkommen, da wir alle froh waren, sie endlich los zu sein.

Nach einem kurzen Fußmarsch erreichten wir schließen das Freibad, zahlten unseren Eintritt und suchten uns ein schattiges Plätzchen um unsere Handtücher auszubreiten. Das Schwimmbad war ziemlich voll, aber dennoch gelang es uns noch ein halbwegs schattiges Plätzchen zu finden, an dem wir alle Platz hatten. Nachdem wir uns eingerichtet hatten, zogen wir uns am Platz aus, da wir alle bereits unsere Badesachen drunter trugen.

“So, jetzt wo wir Jakob und Jonathan los geworden sind, kann ich endlich machen, was ich schon die ganze Zeit tun wollte,” sagte Rahel und drückte mir einen innigen Kuss auf die Lippen.

“Ach wie süß. Schaut euch das junge Glück an”, meinte Lea.

“Diese Knutscherei ist ja nicht auszuhalten, nehmt euch doch ein Zimmer”, sagte Finn lachend.

Der letzte Kommentar wurde von Rahel und mir gleichzeitig mit einem ausgestreckten Mittelfinger quittiert, was zu allgemeinen Gelächter führte. Nur von Jonas war kein Kommentar zu hören, was ich aber auch sehr angenehm fand.

“Rahel und ich sind seit kurzem zusammen, aber wir wollen, dass unsere Eltern davon noch nichts mitbekommen, deshalb halten wir uns Jakob und Jonathan gegenüber zurück mit Liebesbekundungen”, erklärte ich Jonas.

“Ok. Gratuliere euch”, meinte Jonas tonlos.

“Danke dir”, sagten Rahel und ich wie aus einem Mund und mussten darüber schon wieder lachen.

“Also, wer kommt mit ins Wasser”, hörte ich Finn fragen.

Rahel, Lea und ich waren von seinem Vorschlag sofort begeistert und wollten uns ins kühle Nass stürzen. Nur Jonas meinte:

“Ich bleibe erst mal hier, will mich noch ein bisschen sonnen. Ich komme dann später nach.”

Daraufhin zogen wir zu viert los und tobten ausgelassen im Wasser. Wir tauchten uns immer wieder gegenseitig unter und hatten einen riesen Spaß. Nach einiger Zeit fiel mir auf, dass Jonas immer noch nicht nachgekommen war und ich beschloss mal nach ihm zu sehen, die anderen wollten noch ein wenig im Wasser bleiben.

An unserem Platz angekommen, sah ich ihn auf dem Rücken in der Sonne liegen und gedankenverloren in die Luft starren.

“He Jonas, hast du keine Lust mit ins Wasser zu kommen?”

Er musste ziemlich in Gedanken versunken gewesen sein, denn als ich ihn ansprach, erschrak er sichtlich.

“Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken. Was ist los? Was geht dir gerade im Kopf herum?Magst du meine Freunde nicht?”

“Doch. Sie sind alle echt voll nett zu mir. Das ist es nicht.”

“Was ist es dann? Komm rede mit mit mir.”

“Ich habe mich nur gefragt, warum du mir nie etwas von Rahel erzählt hast, also ich meine, dass du mit ihr zusammen bist.”

“Naja, wir sind gerade erst seit 2 Tagen zusammen. Außerdem wusste ich nicht, ob dich das überhaupt interessiert.”

“Klar interessiert es mich. Du bist bis jetzt mein einziger Freund hier. Du kannst mit mir über alles reden, ok.”

“Ok, tut mir Leid. Du bist mein Freund und ich werde in Zukunft mit dir über alles reden, was mich bewegt, ok.”

Jonas lächelte zaghaft.

“Ok.”

Nach unserem Gespräch konnte ich ihn endlich überzeugen mit ins Wasser zu gehen. Wir hatten anschließend im Wasser noch unseren Spaß mit den anderen, wir tauchten uns wieder gegenseitig, spritzen uns mit Wasser voll und spielten allerhand lustiger Spiele. Auch Jonas war diesmal mit von der Partie.

Nachdem wir uns alle richtig verausgabt hatten, beschlossen wir zum Platz zurück zu gehen und etwas in der Sonne zu relaxen. Zurück am Platz, konnten Rahel und ich die Finger nicht voneinander lassen und knutschten wieder ausgiebig. Wir waren so mit uns beschäftigt, das wir die Welt um uns herum völlig vergaßen. Erst nach einiger Zeit realisierten wir, dass wir alleine an unserem Platz waren, von den anderen keine Spur. Wir beschlossen uns auf die Suche zu machen und wurden ziemlich schnell fündig. Lea und Finn alberten im Wasser herum, nur Jonas konnte ich nicht ausfindig machen.

“Na da seid ihr ja endlich, wir dachten schon ihr hört nie auf aneinander rumzusaugen”, witzelte Finn.

“Ha ha, sehr witzig. Du bist doch nur neidisch”, lachte Rahel.

“Sagt mal, habt ihr Jonas gesehen?”

“Ja, der ist schon zurück zum Campingplatz. Ihm ging es nicht so gut, er hatte starke Kopfschmerzen und wollte sich etwas hinlegen. Wir hatten angeboten ihn zu begleiten, aber er meinte das wäre nicht nötig”, meinte Lea.

“Er hat sich gar nicht von uns verabschiedet”, meinte ich etwas verwundert.

“Naja. Ihr beide wart ja auch so mit euch selbst beschäftigt, dass ihr nichts mitbekommen habt, wahrscheinlich wollte er euch nicht stören”, sagte Finn.

Wir verbrachten noch eine weitere Stunde im Schwimmbad, bis wir uns entschlossen langsam aufzubrechen.

Am Campingplatz angekommen, beschloss ich erst mal zum Zelt zu gehen, um nach Jonas zu sehen. Ich öffnete unser Zelt und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass es leer war, von Jonas keine Spur. So langsam machte ich mir doch Sorgen um ihn.

Ich sah Jakob und Jonathan vor ihrem Zelt sitzen, vielleicht hatten sie Jonas ja gesehen.

“He wisst ihr wo Jonas steckt?”

“Er war vorhin an eurem Zelt, ist aber gleich wieder weg gegangen, keine Ahnung wohin”, meinte Jakob.

“Ok. Danke.”

Ich beschloss mich auf die Suche nach ihm zu machen. Plötzlich kam mir Rahel um die Ecke entgegen.

“He, da bist du ja. Lea und Finn wollen hier im Biergarten noch was essen gehen, kommst du mit? Ach und wie geht es eigentlich unserem Patienten, hat er immer noch Kopfschmerzen”, fragte sie.

“Keine Ahnung, ich kann ihn nirgends finden. Ich werde ihn mal suchen gehen.”

“Soll ich mitkommen?”

“Nein Quatsch, er läuft bestimmt nur ein bisschen über den Campingplatz. Ich hole ihn und dann kommen wir nach, ok.”

“Ok, bis gleich.”

Ich suchte den ganzen Campingplatz ab, doch von Jonas keine Spur. Ich wusste langsam wirklich nicht mehr wo ich suchen sollte, als mir mein Bruder und Max entgegen kamen.

“He habt vielleicht Jonas gesehen? Ich suche ihn schon überall.”

“Ja, wir sind vorhin am See vorbeikommen und da saß er alleine am Steg. Wir haben ihn gefragt, ob mit ihm alles ok ist, weil er so alleine da saß. Er meinte, dass er ein bisschen Zeit für sich braucht und da haben wir uns wieder vom Acker gemacht. Ist irgendwas passiert im Schwimmbad, er sah irgendwie so traurig aus.”

“Nein Daniel, es ist nichts passiert, er hatte nur Kopfschmerzen bekommen und ist schon mal vorgegangen. Ich seh jetzt mal nach ihm.”

Ich ließ die beiden einfach stehen und machte mich auf dem Weg zu See, der ein kurzen Spaziergang vom Campingplatz entfernt lag. Als ich mich dem See näherte sah ich ihn schon auf den Steg sitzen und traurig in die Ferne starren.

“He na, was machst du hier so ganz alleine?”

“Ich musste einfach mal ein bisschen raus und für mich sein, verstehst du?”

“Ja, klar kein Problem. Ich habe mir nur Sorgen gemacht, weil ich dich nirgends finden konnte. Was machen deine Kopfschmerzen?”

“Schon besser.”

“Was ist los? Hattest du wirklich Kopfschmerzen oder waren sie nur ein Vorwand, damit du schnell weg konntest?”

“Wow, du bist echt gut, Dr. Freud. Ok, ich gebe es zu, ich habe mir die Kopfschmerzen nur ausgedacht, weil ich es nicht mehr im Schwimmbad ausgehalten habe. Zufrieden?”

“Nein, ich bin nicht zufrieden. Warum hast du das gemacht? Was ist denn passiert?”

Ich konnte förmlich sehen wie es ihn ihm arbeitete und er mit sich rang, ob er mir antworten sollte.

“Komm schon spucks aus.”

“Ok, ich konnte die Rumknutscherei von dir und Rahel einfach nicht länger ertragen.”

Für einen Moment wusste ich wirklich nicht, was ich sagen sollte. Nach einem Augenblick angespannten Schweigens fragte ich schließlich:

“Ok was genau stört dich denn so daran?”

Wieder konnte ich sehen, wie es ihn ihm arbeitete. Er sah mich lange an, öffnete seinen Mund, als ob er etwas sagen wollte, um ihn dann doch wieder zu schließen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte er dann:

“Weißt du, meine letzte Beziehung ist noch nicht so lange her. Für mich war es die ganz große Liebe, doch ich wurde komplett verarscht. Das war auch ein Grund für den Umzug. Es tut immer noch weh und als ich euch da so zusammen gesehen habe, ist einfach alles wieder hochgekommen, verstehst du?”

“He, das tut mir Leid, das wusste ich nicht. Rahel und ich werden in Zukunft Rücksicht auf dich nehmen, ok?”

“Ok. Danke.”

“Ist doch klar. Willst du über deine letzte Beziehung reden, vielleicht wird es dann besser, reden hilft.”

“Ein anderes Mal, ok?”

“Das sagst du immer”, sagte ich grinsend.

“Ja, ich weiß. Gib mir noch ein bisschen Zeit, dann erzähl ich dir die ganze Geschichte, ok?”

“Ja ok, aber wenn du reden willst, bin ich für dich da. Alles klar?”

“Alles klar.”

Ich legte meinen Arm um ihn, um ihn ein bisschen zu trösten. Er legte seinen Kopf auf meine Schultern und wir schauten schweigend der Sonne beim untergehen zu.

Als es bereits anfing zu dämmern, beschlossen wir zum Campingplatz zurück zu kehren. Wir schauten in den Biergarten, der an den Campingplatz anschloss, und sahen dort die anderen an einem Tisch sitzen. Daniel und Max hatten sich auch dazu gesellt.

“He, da seid ihr ja, kommt, wir haben euch einen Platz frei gehalten”, meinte Finn.

Wir nahmen das Angebot dankend an und gesellten uns zu den anderen.

“He, was machen deine Kopfschmerzen, geht's dir schon besser?”, wollte Rahel wissen.

“Ja. Danke sie sind so gut wie weg, habe wohl ein bisschen zu lange in der Sonne gelegen.”

“Ja, das kenne ich, die Sonne kann zu dieser Jahreszeit echt heftig sein”, meinte Lea verständnisvoll.

Danach wechselten wir das Thema und ließen uns von Daniel und Max noch lustige Geschichten über Leute erzählen, die sie heute in der Stadt gesehen hatten. Die Großstadt war halt doch was anderes als unsere Kleinstadt und hier konnte man allerhand kuriosen und freakigen Menschen begegnen. Nachdem wir noch eine Kleinigkeit gegessen und ein bisschen was getrunken hatten (nichts härteres als Radler, keine Sorge:-) ) war es an der Zeit für uns zum Campingplatz zurückzukehren und uns bettfertig zu machen. Schließlich bestanden unsere Aufpasser, Jonathan und Jakob darauf, dass wir spätestens um 23 Uhr im Bett sind und sie würden sicher nicht zögern uns bei unseren Eltern zu verpetzen, falls wir uns nicht daran hielten.

So gegen 22:15 Uhr erreichten wir schließlich den Campingplatz. Der Tag war lang und vor allem heiß gewesen, deshalb stand uns allen der Sinn nach einer erfrischenden Dusche. Während die anderen ihre Duschutensilien zusammen suchten, trödelte ich absichtlich herum, da ich Rahel noch vorher abfangen wollte.

Die Jungs hatten alle schon ein Handtuch und Wechselsachen auf den Arm und sahen mich fragend an, da ich noch keine Anstalten machte, meine Sachen ebenfalls zusammen zu suchen.

“Was ist mit dir, hast du nicht mehr vor zu duschen”, fragte Finn.

“Doch, doch habe nur was vergessen. Geht schon mal vor, ich komme gleich nach.”

“Aber beeil dich, so viel Zeit ist nicht mehr bis Zellenschluss”, meinte Daniel grinsend.

“Alles klar. Ich beeile mich.”

Nachdem ich die anderen endlich los geworden war, machte ich mich auf den Weg zu Rahels und Leas Zelt.

Die beiden standen bereits vor dem Zelt, hatten ihre Duschutensilien unter dem Arm und waren im Begriff duschen zu gehen.

“He Rahel, hast du mal einen Moment. Ich muss mal kurz mit dir reden.”

“Ah, reden nennt ihr das also, das ist ja echt witzig”, meinte Lea lachend.

“Man Lea, du bist unmöglich”, meinte Rahel lachend.

“Gehe doch schon mal vor, ich komme dann gleich nach.”

“Na klar und viel Spaß beim reden”, meinte Lea und machte mit ihrem Mund laute Kussgeräusche.

“Jetzt Hau schon endlich ab”, meinte Rahel und schlug ihrer Freundin lachend mit ihrem Badetuch auf den Hintern.

“Sorry Luca, keine Ahnung was in Lea gefahren ist. Komm lass uns da hinten unter die Bäume gehen, da sind wir ungestört.”

Kaum waren wir an der Stelle angelangt, drückte sie bereits einen Kuss auf die Lippen auf.

“Man Rahel, das war nicht nur so ein Spruch, ich wollte wirklich mit dir reden”, meinte ich und drückte sie von mir weg.

“Ok, was ist denn los, wieso machst du so ein ernstes Gesicht?”

“Wir müssen uns in Zukunft in der Gegenwart von Jonas mit knutschen und so zurückhalten.”

“Wieso? Ist er eifersüchtig”, meinte Rahel lachend.

“Nein, wie kommst du denn auf so einen Quatsch.”

“Sorry, ich habe nur Spaß gemacht. Also erzähl, was ist los mit Jonas?”

“Seine letzte Beziehung ist erst kürzlich kaputt gegangen, das war noch in seiner alten Stadt. Für ihn war es wohl die ganz große Liebe, aber sie hat ihn nur verarscht. Was genau vorgefallen ist hat er mir auch nicht erzählt, nur dass, als er uns zusammen gesehen hat, alles bei ihm wieder hochgekommen ist und deswegen ist er auch abgehauen.”

“Oh ok, der Arme. Das tut mir echt leid für ihn und das obwohl er so ein netter Kerl ist und hässlich ist er ja wohl auch nicht. Ja ok, wir nehmen in Zukunft Rücksicht auf ihn, kein Problem. Aber jetzt ist er ja nicht da”, sagte sie und drückte mir erneut einen Kuss auf die Lippen.

“He verspreche mir das für dich zu behalten, auch zu Rahel kein Wort, das habe ich ihm versprochen.”

“Von mir erfährt keiner was, versprochen.”

“Ok. Danke, lass uns wieder zurück gehen, sonst können wir die Sperrstunde nicht einhalten und dann gibt es Ärger mit deinem Bruder.”

“Ach lass den mal meine Sorge sein, mit dem werde ich schon fertig.”

Sie lachte und küsste mich erneut.

“Ok, lass uns gehen.”

Wir machten uns schließlich auf den Weg zu unseren Zelten, um unsere Duschsachen zu holen. Auf den Weg zu den Gemeinschaftsduschen im Campingplatz trennten sich unsere Wege dann.

“Ok, schlaf gut, wir sehen uns dann morgen.”

“Ja du auch, bis morgen und versuche mit Jonas zu sprechen, er mag dich, das kann ich sehen, vielleicht vertraut er sich dir ja an.”

“Alles klar, ich werde es versuchen.”

In der Gemeinschaftsdusche angekommen, kamen mir gleich die Jungs entgegen, sie waren bereits fertig geduscht und für die Nacht umgezogen in T-Shirt und Boxer.

“He da bist du ja endlich, wir dachten schon du willst dich vor dem Duschen drücken und stinkend in den Schlafsack kriechen”, meinte Finn grinsend.

“Ha ha, sehr lustig, aber wenn du willst kannst du mal unter meinen Achseln schnuppern.”

Ich nahm Finns Kopf und drückte ihn unter meine Achseln.

“Boah Luca, du Schwein, hör auf damit, du stinkst da unten wie ein Gorilla.”

Das führte zu ausgelassenen Gelächter bei den Jungs und einen knallroten Kopf bei Finn, als ich ihn endlich los ließ. Tja, mich nahm man nicht ungestraft auf den Arm. Da die Jungs schon fertig waren, wünschten sie mir eine gute Nacht und gingen schon mal vor in ihre Zelte. Ein letzter prüfender Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich nur noch 15 Minuten bis zur Sperrstunde hatte, also beeilte ich mich dementsprechend mit duschen und Zähne putzen.

Kurz vor 23 Uhr schaffte ich es dann doch noch vor meinem Zelt zu sein, als mir auch schon Jonathan und Jakob auf ihrem Kontrollgang entgegen kamen.

“Na aber gerade noch so rechtzeitig geschafft”, meinte Jonathan süffisant grinsend.

“Tja blöd ne, dass du nichts zu petzen bei meinen Eltern hast.”

“Fühle dich mal nicht zu sicher. Ich behalte dich im Auge.”

“Jetzt lass doch mal gut sein Jonathan, er ist doch pünktlich im Zelt”, meinte Jakob plötzlich.

Er war mir von den beiden schon immer der sympathischere gewesen, aber dennoch kam es selten vor, dass er Jonathan in den Rücken fiel, umso mehr war ich von seiner Reaktion erstaunt.

“Ja, ist ja schon gut”, meinte Jonathan und zog alleine ab.

“Gute Nacht Luca”, meinte Jakob plötzlich.

“Gute Nacht Jakob”, sagte ich erstaunt, da ich mich wunderte, warum er auf einmal so nett zu mir war. Naja egal, vielleicht hatte der ja mal einen guten Tag.

Ich zog den Reißverschluss von unserem Zelt auf und sah Jonas bereits eingemummt in seinem Schlafsack liegen. Ich versuchte möglichst leise den Reißverschluss des Zeltes zu schließen, da ich vermutete, dass Jonas bereits eingeschlafen war.

“He du musst nicht extra so leise sein, ich bin noch wach”, meinte Jonas lachend.

“Ah ok, ich war nicht sicher, ob du schon eingeschlafen bist.”

Ich öffnete meinen Schlafsack, murmelte mich hinein und legte mich neben Jonas auf die bereits ausgerollte Isomatte hin.

“Und geht's dir schon etwas besser, ich meine weil du vorhin am See so traurig warst?”

“Ja mir geht's schon wieder besser, danke dass du mir heute zugehört hast und mich verstehst.”

“Klar kein Problem. Aber du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst und mit mir über alles reden kannst?”

“Ja danke, ich werde auf dein Angebot sicher noch zurückkommen, aber momentan ist mir nicht nach reden.”

“Ok, kein Problem, ich wollte nur, dass du Bescheid weißt.”

“Wann müssen wir morgen aufstehen?”

“Ich denke so gegen 7:30 Uhr oder spätestens um 8 Uhr, denn um 9 Uhr geht das Programm auf dem Kongress los.”

“Ok, dann würde ich sagen ich stelle meinen Wecker auf dem Handy auf 8 Uhr, denn morgens ist jede Minute kostbar”, meinte Jonas lachend.

“Ja, da gebe ich dir Recht, ok also dann um 8 Uhr, aber dann müssen wir echt Gas geben.”

“Klar, das schaffen wir schon.”

“Also dann gute Nacht.”

“Gute Nacht Luca.”

Am nächsten Morgen wurden ich unbarmherzig von Jonas Handy Wecker geweckt. Das Ding tütete wie geisteskrank und Jonas rührte sich noch nicht mal. Wie konnte man nur einen so festen Schlaf haben? Als ich mich aufrichten wollte, um das furchtbare Ding auszuschalten, bemerkte ich, dass Jonas seinen Arm um mich gelegt hatte. Hmh, das musste er wohl in der Nacht unbewusst gemacht haben. Egal, sanft legte ich seinen Arm beiseite, richtete mich auf, lehnte mich über ihn und versuchte sein Handy zu erreichen, was mir dann schließlich auch gelang. Ich beeilte mich das Mistding endlich auszuschalten. In dem Moment als ich so über ihn gebeugt lag, öffnete er zaghaft seine Augen und lächelte mich verträumt an.

“Guten Morgen Schlafmütze, na einen schönen Traum gehabt, so wie du lächelst?”

“Ja, das kann man wohl sagen, schade das ich aufgewacht bin.”

“Echt um was ging es denn in deinem Traum?”

“Ach egal, unwichtig, komm lass uns langsam aufstehen und duschen gehen, du hast gestern selbst gesagt, dass wir uns morgens beeilen müssen.”

“Ja stimmt, du hast Recht, komm schnappen wir uns unsere Duschsachen und dann los.”

Als ich den Reißverschluss vom Zelt öffnete, bekam ich erst einmal einen gehörigen Schreck, weil in dem Moment Finns Kopf ins Zelt hereinlugte.

“Verdammt, man Finn, musst du mich so erschrecken?”

“Sorry, ich wollte nur nach euch sehen, weil ich dachte, dass ihr vielleicht verschlafen habt.”

“Nein haben wir nicht, wir sind nur ein bisschen spät dran.”

“Ja dann macht mal hinne, alle anderen sind schon mit duschen fertig.”

Mit unseren Handtüchern unter dem Arm bewaffnet, machten wir uns dann auf den Weg unter die Dusche und keine 30 Minuten später schafften wir es tatsächlich, fertig angezogen und gestylt für den Kongress zu sein. Jonas sah wirklich niedlich aus in Stoffhose und Hemd, also so weit ein Junge halt niedlich sein kann, in so einem Aufzug hatte ich ihn vorher ja noch nie gesehen.

“He, gut siehst du aus, echt schick”, meinte ich.

“Danke, du aber auch”, meinte Jonas grinsend.

Zu Siebt machten wir uns dann also auf den kurzen Fußweg vom Campingplatz zum Fußballstadion, in dem der Kongress stattfand. Wir trugen alle, außer Jonas, eine Plakette an der das Kongressmotto, unser Name und unsere örtliche Versammlung eingetragen waren. Es war so üblich unter den Zeugen Jehovas, dass bei einem Bezirkskongress alle solche Plaketten trugen. Wieso weiß auch ich nicht so genau, wahrscheinlich damit man leichter ins Gespräch kommt miteinander und gleich erkennen kann, aus welcher Ortsversammlung jemand kommt. Naja, bei den Singeln unter den Zeugen war die Plakette auf jeden Fall sehr beliebt, sie machten da quasi so ein Erkennungsmerkmal daraus, je nachdem auf welcher Seite man die Plakette trug, sagte man aus, ob man Single und auf der Suche oder bereits vergeben war. Welche Seite jetzt für was stand, weiß ich heute nicht mehr genau, aber sagen wir einfach mal rechts vergeben und links Single. Ihr müsst wissen für einen Zeugen Jehovas war es nicht so einfach einen gleichgesinnten Partner zu finden, da es oft vorkam, vor allem in ländlicheren Versammlungen, dass es gar niemanden in deinem Alter gab, und so war ein großer Bezirkskongress eine einmalige Chance jemanden kennenzulernen. So jetzt weiter im Text.

Auf dem Kongressgelände angekommen, machte Jonas erst einmal große Augen, so viele Zeugen hatte er wohl noch nie auf einen Fleck gesehen. Für uns war es natürlich ein großartiges Gefühl für 3 Tage unter so vielen Gleichgesinnten zu sein, wo wir doch sonst in der Schule und so meistens Einzelkämpfer und Sonderlinge waren. Meine Eltern waren schon da und schrieben mir per SMS in welchen Block sie sitzen und erwarteten, dass auch wir uns dorthin begeben. Als wir uns zu dem gewünschten Block vorkämpften, sahen wir, dass auch die Eltern von Max, Finn, Rahel und Lea bereits in diesem Block Platz genommen hatten. Jeder von uns begab sich zu seinen Eltern, da gewünscht wurde, dass dem Programm gemeinsam als Familie beigewohnt wird.

Daniel und ich wurden von unseren Eltern begrüßt und auf die bereits von ihnen reservierten Plätze gelotst, auch für Jonas hatten sie einen Platz mitreserviert. Meine Mutter gab Jonas freundlich die Hand und sagte:

“Ah, wie schön, dass sie uns auf dem Kongress begleiten Herr Stahl. Schön zu sehen, dass auch noch junge Leute Interesse an der Bibel haben.”

“Vielen Dank Frau Hellmann. Ja, ich finde es echt interessant etwas aus der Bibel zu erfahren, zumal ich ja bis dato keine Ahnung in der Materie hatte. Sie können mich übrigens Jonas nennen, das gleiche gilt auch für Sie Herr Hellmann.”

“Also gut Jonas, dann herzlich Willkommen auf unseren Bezirkskongress”, sagte mein Vater freundlich und schüttelte ihm ebenfalls die Hand.

Um Punkt 9 Uhr startete dann das Programm, wie immer mit einem gemeinsamen Lied aus unserer Sammlung von “Königreichsliedern”. Jeder Zeuge hatte ein eigenes Liederbuch das 225 Lieder umfasste und ich kannte sie alle nahezu auswendig. Es war schon ein erhebendes Gefühl, wenn 30000 Menschen das gleiche Lied anstimmten, in diesen Augenblicken fühlte ich mich immer, als wäre ich wirklich Teil von etwas besonderem. Jonas schaute bei mir ins Liederbuch rein und versuchte tapfer mitzusingen, auch wenn er die Lieder nicht kannte, was irgendwie niedlich war. Naja, nach dem gemeinsamen Singen wurde das Programm mit dem obligatorischen Eröffnungsgebet begonnen. Danach folgten biblische Vorträge und positive Erfahrungsberichte aus dem Predigtdienst. Daniel und ich hatten natürlich wieder unsere großen Notizbücher dabei, um uns eifrig Notizen über die Vorträge zu machen, wie übrigens mein Vater und meine Mutter ebenfalls, da ja bekanntlich von meinem Vater nach dem Kongress die Inhalte der einzelnen Programmpunkte abgefragt wurden.

Jonas schaute mir fasziniert dabei zu, wie ich konzentriert Notizen schrieb und fragte mich flüsternd:

“Sag mal, schreibst du jetzt alles mit was der Redner unten auf dem Fußballfeld sagt?”

“Nein, ich mache mir nur grobe Notizen, damit ich den Inhalt des Vortrages später einigermaßen wiedergeben kann.”

“Wieso, wirst du später darüber abgefragt”, meinte Jonas lachend.

“Ja leider, von meinem Vater. Er duldet nicht, dass wir den Vorträgen nicht zuhören.”

“Ok, der ist aber ganz schön streng, was?”

“Ja, das kann man wohl sagen.”

Danach nahm er Rücksicht auf mich und ließ mich den Vorträgen konzentriert folgen. Wie immer stand ein Redner unter einem Pavillon als Sonnenschutz, mit einem Mikrofonständer samt Mikro hinter einem Rednerpult, in der Mitte des Fußballfeldes und das weite Rund lauschte andächtig den Ausführungen.

Um 12 Uhr stand dann die Mittagspause an, für die 1 Stunde vorgesehen war. Wir aßen direkt am Platz, da unsere Eltern wie immer eine Kühltasche mit reichlich Verpflegung dabei hatten, auch für Jonas hatten sie Essen eingepackt, was dieser auch dankbar entgegen nahm. Nachdem wir alle fertig gegessen hatten, traf sich unsere Clique am Ausgang des Blocks, um noch ein wenig über die Anlage zu schlendern. Daniel und Max seilten sich ab, da sie sich in der Pause noch mit irgendwelchen Freunden treffen wollten. Da ich, seit ich denken kann, jedes Jahr auf dem Bezirkskongress war, traf man natürlich viele bekannte Gesichter. So auch jetzt, es kamen uns die Segert Schwestern, Marie und Lisa, entgegen, mit denen Finn und ich letztes Jahr viel Zeit verbracht haben, unter anderem waren sie auch auf dem gleichen Campingplatz.

Finn entdeckte sie mal wieder zu erst.

“He Luca, schau mal wer da kommt, die Segert Schwestern. Wow, die haben sich aber gut entwickelt im letzten Jahr, Marie sieht richtig heiß aus, findest du nicht?” Den letzten Teil hatte er mir ins Ohr geflüstert. Ich gab ebenfalls flüsternd zurück:

“Man Finn, ich bin jetzt mit Rahel zusammen und ich dachte du magst Lea?”

“Ja mein Gott, man wird doch noch gucken können, außerdem bin ich immer noch Single.”

Dann ging Finn ihnen auch schon entgegen und begrüßte die Schwestern mit einer Umarmung:

“Hi, na schön euch wieder zu sehen, Marie und Lisa, richtig?”

“Ja genau und du bist der Finn, stimmts?”

“Ja genau, ich sehe, dass ich einen bleibenden Eindruck bei euch hinterlassen habe”, meinte Finn schelmisch.

“Naja, war schon ganz lustig letztes Jahr”, meinte Marie.

Rahel und Lea konnten die 2 Schwestern nicht besonders leiden, da sie sie für eingebildet hielten, das wusste ich von Rahel.

“Hi Luca, na wie geht's, schön dich mal wieder zu sehen”, meinte Lisa.

“Hi, ja ganz gut so weit und bei dir?”

“Immer gut wenn ich dich sehe”, meinte Lisa schelmisch. “Und wen hast du da mitgebracht?”, fragte sie mit dem Blick auf Jonas.

“Ah sorry, das ist Jonas, ein Interessierter, ich studiere mit ihm.”

Lisa reichte Jonas höflich die Hand und sagte:

“Hi Jonas, schön dich kennenzulernen. Und gefällt es dir bei uns?”

“Ja, ist echt sehr interessant, ich habe so etwas noch nie erlebt, so viele Menschen in einem Fußballstadion, alle friedlich und niemand ist besoffen.”

“Ha ha, du bist ja echt witzig”, meinte Lisa lachend. “Tja, so ist das halt bei uns, alle können sich benehmen, naja, die meisten zumindest”, lachte Lisa.

Auch Marie tat es ihrer Schwester gleich und begrüßte Jonas freundlich.

“So, wir müssen dann mal wieder los”, meinte Rahel schnippisch.

“Wollt ihr uns nicht begleiten, wir drehen noch eine Runde um das Stadion”, meinte Finn.

“Klar voll gerne”, meinten Marie und Lisa wie aus einem Mund.

Finn erntete daraufhin bitterböse Blicke von Lea und Rahel.

Lisa klammerte sich an meinem Arm unter und sagte:

“Sag mal Luca, wie kann ein süßer Typ wie du, eigentlich keine Freundin haben”, meinte Lisa mit Blick auf meine Plakette die ich links trug, damit meine Eltern von mir und Rahel nichts mitbekamen.

“Ist er nicht, ok”, meinte Rahel.

“Wie ist er nicht und überhaupt was spielst du dich hier so auf, mit dir redet doch keiner.”

“Wenn du es genau wissen willst, er ist mit mir zusammen, wir hängen es nur nicht an die große Glocke. Und jetzt nimm deine dämliche Schwester mit und zieh Leine.”

“Ich glaube es ja nicht, mit der bist du zusammen. Man kann sich ja auch echt unter Wert verkaufen.”

“Ja bin ich und ich bin glücklich mit ihr und jetzt lasst uns in Ruhe.”

Lisa und Marie zogen daraufhin beleidigt ab.

“Man Rahel, musstest du unbedingt der Tratschtante auf die Nase binden, dass wir zusammen sind. Jetzt weiß es doch bestimmt bald der ganze Kongress.”

“Ja sorry, tut mir leid, ich konnte nur einfach nicht länger ertragen, wie die dämliche Ziege dich anbaggert.

“Ja ist schon gut, meinen Eltern wird sie es ja wohl hoffentlich nicht sagen.”

“Man Finn, warum musstest du die beiden auch einladen uns zu begleiten, du weißt doch ganz genau, dass wir die beiden dämlichen Puten nicht leiden können”, meinte Lea.

“Man, ich wusste doch nicht, dass die ganze Sache hier so eskaliert, ich wollte nur nett sein.”

“Nur nett sein, ja ist klar, du stehst doch auf Marie.”

“Nein Quatsch Lea, da hast du wirklich was in den falschen Hals bekommen.”

“Ok, jetzt beruhigen wir uns alle wieder, im Grunde ist doch nichts passiert”, meinte ich.

Wir drehten dann noch unsere Runde zu Ende und dann war es auch schon wieder Zeit, zu unseren Plätzen zurückzukehren.

Das Nachmittagsprogramm ging dann wieder 3 Stunden, in denen ich wieder eifrig Notizen schrieb. Beendet wurde der Tag wie immer mit Gesang und Gebet. Nach Programmende verabschiedeten wir uns von unseren Eltern und beeilten uns zum Campingplatz zurückzukehren.

Am Campingplatz angekommen, entledigten wir uns unserer feinen Klamotten und zogen uns dem Wetter entsprechend wieder sommertauglich an. Wir überlegten krampfhaft, was wir mit dem angefangen Nachmittag anstellen sollten.

Daniel und Max wollten wieder in die Stadt gehen, aber darauf hatten wir anderen nicht so recht Lust, also gingen sie zu zweit.

“He, die haben hier auf dem Campingplatz doch eine Tischtennisplatte, habt ihr Bock auf eine kleine Session?”, fragte Finn.

“He coole Idee”, meinte Jonas.

“Ja ich bin auch dabei”, sagte ich.

Die Mädchen waren jetzt nicht so Feuer und Flamme wie wir, beschlossen aber uns zu liebe auch mitzuspielen. Nach ein paar Durchgängen Rundlauf um die Platte hatten sie aber keine Lust mehr, da sie, obwohl wir Jungs auf sie Rücksicht nahmen, indem wir nicht so schnell spielten, nicht ganz auf unserem Niveau waren.

“Spielt ihr Jungs mal alleine weiter, Lea und ich besorgen noch ein paar Radler und dann treffen wir uns später am See, ok. Wir gehen schon mal vor.”

“Alles klar, bis gleich”, meinten wir 3 wie aus einem Mund.

Wir spielten dann noch Einzel jeder gegen jeden.

Jonas war zwar ein sehr guter Tennisspieler, aber im Tischtennis waren Finn und ich stärker als er und besiegten ihn beide recht deutlich. Also hieß am Ende dann mal wieder Finale Finn gegen mich und diesmal behielt Finn wenn auch knapp die Oberhand. Er freute sich theatralisch.

“Yes, ich habe dir doch gesagt, dass du ohne Netzroller keine Chance hat”, neckte er mich.

“Gib bloß nicht so an, nächstes Mal bist du wieder fällig.”

“Ja träum weiter.”

“Ihr 2 seid echt der Knaller”, lachte Jonas. “So gehen wir dann langsam Richtung See, Lea und Rahel warten bestimmt schon auf uns und außerdem wird das Radler warm.”

Vor allem das letzte Argument zog bei Finn und mir, so dass wir uns eilig auf den Weg machten. Aus der Ferne konnten wir bereits Rahel und Lea ausfindig machen, die mit 2 Sixpack Radler am Steg saßen.

“Setzt euch, die Radler sind noch schön kalt”, meinte Rahel.

“Vielen Dank, echt mega cool von euch”, sagte Finn.

“Ja aber nicht wieder übertreiben, maximal 2 für dich”, meinte Lea.

“Ja Mama.”

Über die letzte Aussage Finns mussten wir alle herzhaft lachen und wir ließen den Abend entspannt und lustig am See ausklingen.

Als es schon langsam dämmerte, entschlossen wir uns auf den Campingplatz zurückzukehren und noch eine Kleinigkeit im angrenzenden Biergarten zu essen, dort blieb es aber bei alkoholfreien Getränken, da wir ja am nächsten Morgen wieder zeitig aufstehen mussten. Als wir uns zum duschen fertig machten, kamen auch Daniel und Max gerade aus der Stadt zurück und hatten sichtlich schon einen im Tank.

“He Bruderherz, na einen schönen Abend gehabt”, meinte Daniel lallend.

“Offenbar nicht ganz so gut wie ihr.”

“Wow, wir haben echt ein paar super leckere Cocktails getrunken”, meinte Max ebenfalls sichtlich angetrunken.

“Pssst, seid doch nicht so laut, wenn Jonathan und Jakob spitz bekommen, dass ihr betrunken seid, werden sie euch eiskalt verpfeifen.”

“Oh ja pssst, der Feind hört mit”, lachte Daniel.

“Also gut, ihr nehmt jetzt erst einmal eine kalte Dusche und ich besorge euch noch 2 Kaffee vorne im Biergarten.”

“He, das kann ich doch machen, bringt ihr die 2 unter die Dusche”, bot sich Jonas an.

“Vielen Dank Jonas, bis gleich, wir treffen uns dann vor dem Zelt”, meinte ich.

Und schon machte Jonas sich auf den Weg, die Kaffee zu besorgen und wir versuchten derweil Daniel und Max unauffällig unter die Dusche zu kriegen, was wirklich nicht so einfach war, weil die beiden unablässig am Lachen waren. Als wir gerade das kleine Häuschen mit den Gemeinschaftsduschen erreichten, nahmen wir von hinten Jonathans Stimme war:

“Luca, Finn seid ihr das?”

“Scheisse, der hat uns jetzt gerade noch gefehlt. Schnell Finn geh raus und lenke ihn irgendwie ab, er darf Daniel und Max auf keinen Fall in diesem Zustand sehen.”

“Ok, alles klar, ich versuche es.”

Finn verließ das Häuschen wieder und ging Jonathan entgegen, während ich mich mit Daniel und Max um die Ecke versteckte.

“Man, wenn ihr nicht auffliegen wollt, dann haltet ihr jetzt die Klappe, Jonathan ist da draußen.”

Die beiden kicherten leise, aber blieben zum Glück einigermaßen ruhig, ich hoffte, dass Finn Jonathan von den Duschen fernhalten konnte, ansonsten waren wir dran.

“Was willst du denn schon wieder von uns, wir wollten gerade duschen gehen”, hörte ich Finn sagen.

“Ich bin eigentlich auf der Suche nach Daniel und Max, es ist schon 22:30 Uhr und ich kann sie nirgends finden.”

“Die müssten noch vorne im Biergarten sein, die wollten eigentlich gleich nachkommen, aber vielleicht haben sie ja die Zeit vergessen, am besten du siehst mal nach ihnen.”

“Ja, das werde ich auch tun, es kann doch nicht so schwer sein, wie vereinbart um 23 Uhr im Bett zu liegen.”

“Ja, das ist skandalös, am besten machst du ihnen eine Ansage.”

“Sag mal, willst du mich jetzt auf den Arm nehmen?”

“Nein Quatsch, ich darf doch einmal mit dir einer Meinung sein, oder?”

“Also gut, ich schau mal nach ihnen.”

Finn wartete noch einen Augenblick und kehrte dann in den Duschraum zurück.

“Puh, das war knapp, zum Glück hat er das gefressen, also komm Tempo jetzt, ich schnappe mir Max und du deinen Bruder.”

“Alles klar, Klamotten aus ihr zwei.”

Wir halfen den beiden beim entkleiden und steckten sie unter die kalte Dusche, was bei den beiden auf nicht so große Begeisterung stieß, aber wir mussten sie ja irgendwie nüchtern bekommen.

In dem Moment kam Jonas mit den Kaffeebechern um die Ecke.

“Sorry, ging nicht schneller, musste mich mit den Kaffeebechern noch vor Jonathan verstecken. Ich habe gleich 2 doppelte Espressi geholt, das müssten bei den beiden die Lebensgeister wieder wecken.”

“Super, her mit dem Zeug. Ok kannst du mir noch einen letzten Gefallen tun?”

“Klar Luca, was soll ich machen?”

“Schnappe dir dein Duschzeug und gehe Jonathan entgegen und tue so, als ob du eben duschen wolltest, im Duschraum Max und Daniel getroffen hast und ihn Bescheid geben wolltest. Danach kommst du gleich zurück und kommst auch duschen, wenn wir alle am duschen sind wird er nicht hereinkommen, dafür ist er zu frigide.”

“Wow, du bist echt ein kriminelles Mastermind”, sagte Jonas lachend.

Jonas machte sich also auf den Weg und ich gab Max und Daniel die Espressi zu trinken und wie erhofft wurden sie wirklich langsam wieder nüchtern. Kurze Zeit später kam Jonas zurück und hielt mir den ausgestreckten Daumen hoch. Mein Plan war also aufgegangen. Wir ließen uns Zeit mit dem Duschen und kehrten erst kurz vor der Sperrstunde zu unseren Zelten zurück. Dummerweise schienen Jakob und Jonathan auf uns gewartet zu haben.

“Da seid ihr ja endlich, haltet euch in Zukunft an die vereinbarte Sperrstunde, ich habe keine Lust, euch auf den gesamten Campingplatz suchen zu müssen”, meinte Jonathan.

“Wieso wir sind doch pünktlich, was willst du denn”, meinte ich.

“Ja, aber ihr müsst es auch nicht ständig auf die Minute ausreizen, schließlich seid ihr ja keine Kinder mehr, die Mädchen schaffen es doch auch schließlich”, meinte Jakob.

“Ja ok, morgen machen wir uns früher fertig, in Ordnung”, sagte Finn.

“Also gut, dann jetzt alle ab in die Zelte”, meinte Jakob.

Das ließen wir uns nicht zweimal sagen und verschwanden zügig in unseren Zelten.

Als ich den Reißverschluss unseres Zeltes zuzog, fiel mir einen Stein vom Herzen.

“Oh man, das ist ja gerade nochmal gut gegangen. Danke für deine Hilfe. Du warst echt großartig.”

“Klar gerne, ich will doch auch, das die zwei keinen Ärger bekommen. Zum Glück haben sie den Mund gehalten, als Jakob und Jonathan uns zur Rede gestellt haben.”

“Ja Gott sei Dank, sobald sie den Mund aufgemacht hätten, hätten Jonathan und Jakob auf jeden Fall gemerkt, dass sie was getrunken haben.”

“Eins muss man dir lassen, du bist echt ein sehr kreativer Lügner”, meinte Jonas lachend.

“Naja, bei meinen Eltern ist das ein unbedingt notwendiger Überlebensinstinkt”, lachte ich.

“Es war echt ein toller Tag heute.”

“Ja finde ich auch. Schön, dass du hier bist.”

“Danke, dass du mich mitgenommen hast.”

“Immer wieder gerne. Schlaf gut.”

“Ja du auch.”

Kurz darauf vernahm ich seinen regelmäßigen Atem, auch ich war echt müde und schlief kurz darauf ein.

Am nächsten Tag klingelte bereits um 7:30 Uhr der Wecker, da wir uns diesmal ein wenig mehr Zeit als gestern lassen wollten. Schlaftrunken griff ich nach meinem Handy und schaltete den Störenfried aus. Naja, es half ja nichts, wir mussten aufstehen, wenn wir uns nicht schon wieder abhetzen wollten. Jonas bekam vom Höllenlärm, den der Wecker veranstaltete, scheinbar mal wieder überhaupt nichts mit, denn er schlummerte noch immer selig in seinem Schlafsack. Er sah irgendwie niedlich aus, wie er da so friedlich lag. Ich musste schmunzeln, als ich ihn ansah, schon komisch, dass ich ihn gerade erst eine Woche kannte und ich ihn schon so ins Herz geschlossen hatte. Ich beschloss, dass es an der Zeit war ihn zu wecken. Ich schüttelte ihn sanft.

“He Jonas aufstehen, wir müssen uns langsam fertig machen.”

Ganz langsam begann er sich zu rühren und vorsichtig die Augen aufzuschlagen. Wieder schaute er mich mit diesen verträumt verklärten Blick an:

“Was ist los? Habe ich verschlafen”, nuschelte er.

“Nein alles gut, wir müssen nur langsam aufstehen.”

“Ok, ich komme, gebe mir 5 Minuten ja.”

“Alles klar, aber nicht wieder einschlafen. Ich warte draußen auf dich.”

“Nein, werde ich nicht.”

Und tatsächlich öffnete sich 5 Minuten später unser Zelt und Jonas kam heraus. Der Rest von der Clique war auch bereits auf, nur Daniel und Max waren noch in leicht verkatertem Zustand, aber nichts was ein ordentlich starker Kaffee, eine Aspirin und eine ausgiebige Dusche nicht lösen konnte. Zu Siebt machten wir uns schließlich rechtzeitig auf den Weg zum Kongressgelände, Jonathan und Jakob waren natürlich bereits vorgegangen. Per SMS wurde uns von den Eltern wieder der Block mitgeteilt, indem sie für uns Plätze reserviert hatten. Wie gehabt begann dann um Punkt 9 Uhr der heutige Kongresstag, wieder mit gemeinsamen Gesang und anschließendem Gebet. Anschließend waren ich und mein Bruder wieder mit eifrig Notizen schreiben beschäftigt, auch wenn ich Daniel ansah, dass er am liebsten etwas gedöst hätte, aber es half ja nichts, da unser Vater natürlich darauf achtete, dass wir dem Programm auch aufmerksam folgten. Traditionell stand dann vor der Pause das Highlight des zweiten Kongresstages an, die Taufe. Dafür wurde auf den Fußballfeld des Stadions ein großes Schwimmbecken mit Wasser aufgestellt. Bei den Zeugen Jehovas wurde man nicht bereits als Baby schon getauft, sondern erst wenn man quasi alt genug war, aus freien Stücken zu sagen, dass man von nun an Jehova (Gott) dienen und als Zeuge Jehovas offen leben will, so zumindest die Theorie. In der Praxis wurde bei dem Wunsch der Kinder und Jugendlichen sich taufen zu lassen, durch die lieben Eltern aber oft nachgeholfen. So war zum Beispiel bereits meine gesamte Clique getauft, als letzte Finn und ich im letzten Jahr. Die Täuflinge saßen in einem für sie reservierten Block und wurden vom Redner direkt gefragt , ob sie von nun an Jehova (Gott) dienen möchten und als Zeuge Jehovas offen leben wollen. Beide Fragen wurden wie üblich von den Täuflingen laut mit Ja beantwortet, daraufhin toste ein gewaltiger Applaus auf. Anschließend wurde gemeinsam eins unserer Tauflieder gesungen. Danach machten sich die Täuflinge unter dem Applaus der Zuschauer auf den Weg in die Umkleide, um sich Badesachen anzuziehen. Kurze Zeit später stellten sie sich alle in einer Reihe vor dem Schwimmbecken auf. In das Schwimmbecken stiegen mehrere Täufer hinab, das waren immer Älteste (wie mein Vater) und tauchten die Täuflinge einer nach dem anderen in das Wasser unter und danach war man dann offiziell ein Zeuge Jehovas. Jonas folgte dem Geschehen interessiert und hatte auch einige Fragen, es war offensichtlich, dass er derartiges noch nie zuvor gesehen hatte. Nach der Taufe gab es dann die Mittagspause, in der wir wieder essenstechnisch von unseren Eltern versorgt wurden. Anschließend schlenderten wir wie immer über das Kongressgelände, trafen hier und da bekannte Gesichter, plauschten ein wenig und auch Jonas musste viele Hände schütteln. Das Nachmittagsprogramm verlief dann ohne großartige Ereignisse und ich war froh, als es endlich vorbei war.

Nach Programmende beeilten sich Max und Daniel schnell wegzukommen, da sie wieder in die Stadt wollten, diesmal in eine Beachbar oder so was, aber wir nahmen Ihnen das Versprechen ab, sich diesmal mit dem Alkohol zurück zu halten. Der Rest von unserer Clique machte sich dann auch bald auf den Weg, da wir auch noch etwas von dem schönen Nachmittag haben wollten. Auf dem Weg zum Campingplatz überlegten wir uns, was wir heute noch machen könnten.

“Was fangen wir jetzt mit den angebrochenen Nachmittag an?”, fragte Finn in die Runde.

“Wie könnten ja nochmal ins Freibad gehen”, schlug ich vor.

“Ne, da habe ich nicht besonders Lust zu, da ist es bestimmt super voll bei der Hitze heute”, meinte Lea.

“Also gut, dann kein Schwimmbad, hast du eine bessere Idee?”

“Ja, warum besorgen wir uns nicht wieder ein paar Radler und gehen zum See, da haben wir wenigstens unsere Ruhe.”

Mit dem Vorschlag von Lea waren alle einverstanden, so dass wir uns beeilten zum Campingplatz zu kommen. Auf dem Weg kamen uns 2 offensichtlich schwule Jungen entgegen, die miteinander Händchen hielten.

“He schaut euch mal die 2 Schwullis da an, ist doch echt abartig, dass die in aller Öffentlichkeit Händchen halten”, meinte Finn.

“Man Finn, lass sie gefälligst in Ruhe, du weißt, die können nichts für ihre Veranlagung”, sagte Rahel.

“Ja, aber trotzdem muss man es doch nicht in aller Öffentlichkeit zur Schau stellen, ist doch ekelig.”

Plötzlich meldete sich Jonas zu Wort:

“Bei euch Zeugen Jehovas gibt es doch bestimmt auch Homosexuelle Jungen, oder nicht?”

“Nein, nicht das ich wüsste”, entgegnete Finn.

“Erzähle doch nicht so ein Quatsch Finn, klar gibt es bei uns auch Jungen die eine homosexuelle Veranlagung haben, das ist einfach Fakt”, erwiderte Rahel.

“Und was ist mit denen, werde sie akzeptiert oder wie ist da die Einstellung bei den Zeugen”, wollte Jonas wissen.

“Naja, die Bibel ist da eindeutig, Männer die bei männlichen Personen liegen, werden Gottes Königreich nicht erobern”, sagte Lea.

“Aber diese Jungen können doch nichts dafür, dass sie schwul sind, sie wurden nun mal so geboren”, erwiderte Jonas.

“Ja, das mag sein, wir sind nun mal alle unvollkommen, aber durch das intensive Gebet kann man über diese Schwäche hinwegkommen, man darf ihr halt nur nicht nachgeben”, sagte Lea.

“Ok, aber findet ihr das nicht ganz schön hart, seine eigene Sexualität zu verleugnen?”, fragte Jonas.

“Ich sage ja nicht, dass es diese Jungen einfach haben, aber Homosexualität wird eindeutig von Gott verurteilt und deswegen rede nicht so über sie. Finn, die haben es doch schon schwer genug.”

“Ja, Lea ist ja schon gut, es tut mir leid, ok.”

“Denke halt mal zur Abwechslung erst mal nach, bevor du sprichst.”

“Ja Lea, die Message ist angekommen, ich habe es verstanden.”

Nach diesem kleinen Zwischenfall war die Stimmung den Rest des Weges etwas gedrückt, aber nachdem wir uns für den See umgezogen hatten, war die Stimmung wieder bestens, nur Jonas war etwas still heute. Deshalb beschloss ich ihn unter 4 Augen, in unserem Zelt, darauf anzusprechen:

“Was los, alles gut bei dir? Du bist so still, seit dem kleinen Zwischenfall mit Finn.”

“Alles gut, ich fand es nur nicht gut, wie er über diese Jungs gesprochen hat, das ist alles.”

“Ja, er hat echt ne große Klappe und sagt manchmal dummes Zeug, weil seine Zunge schneller ist als sein Gehirn, aber eigentlich ist er ein guter Kerl.”

“Ja, schon gut.”

“Was ist, wir wollen los, die anderen warten schon, kommst du?”

“Geht ihr schon mal vor, ich muss noch dringend mit meinen Eltern telefonieren, die haben mir gerade eine SMS geschrieben und sich beschwert, dass ich mich noch nicht bei ihnen gemeldet habe. Ich komme dann nach, ok?”

“Ok, dann bis gleich, wir besorgen schon mal die Radler und treffen uns dann dort, ok?”

“Alles klar, bis später.”

Wir machten uns dann also ohne Jonas auf den Weg zum See, unterwegs machten wir noch an einem Getränkemarkt halt und besorgten uns 2 Sixpack Radler. Das Wetter war toll und wir genossen den schönen Nachmittag am See, unterhielten uns angeregt und alberten herum. Nach einer Weile fiel mir dann auf, dass wir bereits über eine Stunde am See waren und von Jonas immer noch keine Spur. So langsam machte ich mir Sorgen.

“He Leute, ich schau mal nach wo Jonas bleibt.”

“Ok, soll ich mitkommen?”, fragte Rahel.

“Nein ist schon gut, bleib ruhig hier, ist ja nicht weit, bin gleich wieder da.”

Mit einem komischen Gefühl machte ich mich auf den Weg zum Campingplatz, irgendetwas stimmte nicht, dass sagte mir mein Bauchgefühl. Als ich endlich am Zeltplatz angekommen war, steuerte ich sofort unser Zelt an und stellte mit großem Schrecken fest, dass es verschwunden war. Scheisse, was war hier los? Ich rannte zum Büro von der Verwaltung und riss die Türe auf.

Ein korpulente Frau in den Endvierzigern saß am Schreibtisch und funkelte mich böse an:

“Schon mal was von anklopfen gehört.”

“Entschuldigung, war ein Herr Jonas Stahl bei Ihnen und ist abgereist?”

“Ja, der war eben hier, hat seine Rechnung bezahlt und ist abgedampft, er schien es ziemlich eilig zu haben.

“Hat er gesagt wo er hin will?”

“Nein, nach Hause nehme ich an, immerhin hatte er sein ganzes Gepäck samt Zelt dabei.”

“Vielen Dank.”

Ich stürmte aus dem Büro. Ok, wo ist er hin? Plötzlich hatte ich einen Geistesblitz:

Natürlich, er musste zum Bahnhof gegangen sein, wo sollte er auch sonst mit dem ganzen Gepäck im Schlepptau hin. Schon auf den Weg zur S-Bahn checke ich mit meinem Handy die nächsten Zugverbindungen nach Hause. Ok, der nächste Zug fuhr gerade ab und dann erst wieder in einer Stunde, ich hoffte inständig, dass er nicht schon in diesem Zug saß. Endlich hatte ich die S-Bahn-Haltestelle erreicht, laut Plan müsste die nächste jeden Moment kommen. Oh man, wo blieb diese scheiß S-Bahn denn nur, ich wurde immer unruhiger. Mein Blick fiel plötzlich in Richtung Anzeige, da ein Text durch das Display lief. Verdammt die S-Bahn hatte 15 Minuten Verspätung, wegen Verzögerungen im Betriebsablauf, was auch immer das heißen mag. Das durfte doch nicht wahr sein, wenn ich es einmal eilig hatte. Nervös ging ich auf dem Bahnsteig auf und ab und blickte immer wieder auf meine Uhr, aber die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Wieso war Jonas nur so plötzlich abgehauen ohne irgendjemandem Bescheid zu sagen, ich konnte mir das einfach nicht erklären, dass passte überhaupt nicht zu ihm. Auf meine Anrufe und SMS reagierte er ebenfalls nicht, irgendetwas musste passiert sein, ich musste dringend mit ihm reden, ich verstand sein Verhalten einfach nicht. Nach 15 endlosen Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, kam dann die S-Bahn endlich. Ich konnte nur darauf hoffen, das Jonas nicht schon den früheren Zug erwischt hatte, sonst wäre alles umsonst gewesen. Die Fahrt zum Hauptbahnhof verlief zum Glück ohne weitere Zwischenfälle, so dass ich circa 20 Minuten später dort ankam. So, jetzt nochmal schnell auf dem Handy checken auf welchen Gleis der Zug abfährt - alles klar Gleis 9, jetzt aber Tempo. Ich drängte mich durch eine dichte Menge von Reisenden durch und musste mich immer wieder entschuldigen, da ich versuchte mich durch die Masse durchzuschlengeln und hier und da vielleicht auch ein klitzekleiner Rempler dabei war, aber ich hatte es halt wirklich eilig. Endlich hatte ich schließlich das richtige Gleis erreicht und stürmte die Treppe rauf. Ok, es war noch eine gute halbe Stunde Zeit bis zur Abfahrt des Zuges, wenn er nicht schon den Zug davor erwischt hatte, war noch Zeit mit ihm zu reden und ihn vielleicht doch noch zum Bleiben zu überzeugen. Ich ließ meinen Blick über den Bahnsteig schweifen und hoffte Jonas irgendwo zu entdecken. Scheiße, keine Spur von ihm, ich verfluchte mich innerlich, dass ich nicht schneller gewesen war. Doch warte dahinten auf dem Sitz nahm ich schemenhaft eine Gestalt war, doch ich konnte nicht genau erkennen, ob es sich dabei um Jonas handelte, dafür stand ich einfach noch zu weit weg. Ich rannte in Richtung der sitzenden Gestalt und mein Herz machte einen Sprung, als ich erkannte, dass es sich tatsächlich um Jonas handelte. Gott sei Dank war er noch da, ich musste dringend zu ihm und mit ihm reden. Zaghaft näherte ich mich seinem Sitzplatz und nahm wortlos auf dem Sitz neben ihm platz. Er sah mich traurig an, aber schwieg weiterhin. Als ich das Schweigen zwischen uns, nicht mehr länger aushielt, sagte ich schließlich:

“Man Jonas, bitte rede doch mit mir, was ist los, warum bist du einfach ohne was zu sagen abgehauen?”

“Weil es keinen Sinn mehr macht, ich passe einfach nicht zu dir und deinen Freunden.”

“Warum sagst du so was, ich dachte es gefällt dir bei uns?”

“Ich habe dir doch erzählt, dass ich in meiner letzten Beziehung total verarscht wurde und es dann so schlimm wurde, dass wir sogar wegziehen mussten.”

“Ja, du hast von deiner Exfreundin erzählt, aber du wolltest mir nie erzählen, was genau passiert ist.”

“Willst du die Geschichte immer noch hören?”

“Na klar, ich will endlich verstehen was mit dir los ist.”

“Also gut, bis vor einem halben Jahr war noch in alles in Ordnung, ich war beliebt, hatte eine große Clique und einen besten Freund, sein Name war Dennis. Wir sind quasi zusammen aufgewachsen, waren Nachbarn und schon seit unserer Kindheit unzertrennlich. Wir wurden immer die siamesischen Zwillinge genannt, weil wir eigentlich immer im Doppelpack unterwegs waren. Wir gingen in eine Klasse, waren im gleichen Tennisverein und waren wie Brüder. Mädchen waren bei uns eigentlich nie ein Thema, wir waren uns selbst immer genug, bis Melanie auf unserer Schule auftauchte. Dennis fing immer mehr an, nur noch von ihr zu reden, bald darauf hatten sie ihr erstes Date und wurden ein Paar. Er hatte immer weniger Zeit für mich und ich geriet immer mehr auf das Abstellgleis. Dennis Eltern waren ganz aus dem Häuschen, da Melanie aus einer gut betuchten Familie stammte und für ihren Sohn eine ganz fabelhafte Partie war. Ich zog mich immer mehr zurück und nach einer Weile, als die erste Euphorie bei Dennis vorüber war, erinnerte er sich wieder, dass er einen besten Freund hatte und wollte wieder mehr Zeit mit mir verbringen. Anfangs blockte ich noch ab, weil ich echt sauer auf ihn war, aber dann freute ich mich einfach wieder meinen besten Freund zurück zu haben. Dennis wollte, dass ich mich mit Melanie anfreundete und ich habe es ihm zu liebe auch wirklich versucht, aber ich konnte dieses hochnäsige Mädchen einfach nicht ausstehen, aber das beruhte bei uns auf Gegenseitigkeit. Fortan versuchte sie mich bei ihm und den anderen in der Clique schlecht zu machen, aber auch ich ließ ihm gegenüber kein gutes Haar an seiner Freundin. Es kam schließlich irgendwann zum unvermeidlichen Eklat zwischen Melanie und mir, als sie mich zu unrecht beschuldigte, ihr Geld geklaut zu haben und Dennis vor die Wahl stellte, sie oder ich. Dennis hielt zu mir und sagte ihr, dass ich so etwas niemals tun würde, worauf sie mit ihm Schluss machte. Nach und nach schaffte sie es durch geschickte Intrigen, die gesamte Clique auf ihre Seite zu bekommen. Dennis und ich standen wieder alleine da, aber ich war der glücklichste Mensch überhaupt. In der Folgezeit versuchte ich Dennis zu trösten und eines Abends übernachtete er mal wieder bei mir, wir hatten echt eine Menge getrunken und dann passierte es, ich nahm all meinen Mut zusammen und küsste ihn. Ich hatte wahnsinnige Angst vor seiner Reaktion und er war auch anfangs echt überrumpelt, aber dann küsste er mich zurück und danach begann die schönste Zeit in meinem Leben, ich und meine große Liebe wurden ein Paar. In der Öffentlichkeit spielten wir weiterhin vor, nur gute Freunde zu sein, da Dennis große Angst vor der Reaktion seines Vaters hatte, denn der war wirklich nicht ohne, ein furchtbar unsympathischer und cholerischer Mensch. Unsere heimliche Beziehung wurde immer fester und bald waren uns küssen und Oralsex nicht mehr genug und wir wir beschlossen unser erstes Mal miteinander zu haben. Wir wählten ein Wochenende dafür aus, an dem Dennis zu Hause sturmfrei hatte. Seine Mutter war zu Besuch bei ihrer Schwester und sein Vater war noch auf Geschäftsreise. Dennis bereitete alles super romantisch in seinem Zimmer vor: Er hatte Kerzen angezündet, Rosenblätter verstreut und an Gummis und Gleitgel hatte er auch gedacht. Unser erstes Mal war wunderschön und als wir danach noch nackt im Bett miteinander kuschelten, wurde die Tür aufgerissen und sein Vater stand plötzlich im Zimmer. Obwohl wir panisch versuchten unsere Nacktheit unter der Bettdecke zu verstecken, wurde seinem Vater schnell klar, als er die Kerzen und die Rosenblätter sah, was wir dort im Zimmer getrieben hatten. Er rastete förmlich aus, zog seinen Sohn aus dem Bett und schlug ihn mit der flachen Hand mehrmals ins Gesicht. Auch als Dennis schon am Boden lag, ließ er nicht von ihm ab und trat immer weiter auf ihn ein. Ich stand in Todesangst auf und versuchte Dennis zu helfen, darauf hin schlug er auch auf mich ein, bis ich hilflos am Boden lag.

Er sammelte meine Klamotten zusammen, packte mich am Nacken und schleifte mich nackt die Treppe herunter, dabei konnte ich Dennis weinen hören, es war einfach nur furchtbar. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie soviel Angst, wie in diesem Augenblick. Ich versuchte mich verzweifelt seinen Griff zu entziehen, aber er war einfach stärker als ich. Immer wieder beschimpfte er mich als Schwuchtel und drohte mir, falls ich es je wieder wagen sollte, sein Haus zu betreten, mich umzubringen. Er riss die Haustüre auf und warf mich nackt aus dem Haus und meine Klamotten hinter her. In Panik zog ich mich an und rannte nach Hause, meine Eltern sahen mir natürlich gleich an, das etwas nicht mit mir stimmte, aber ich konnte ihnen einfach nicht die Wahrheit sagen, nicht nach der Reaktion von Dennis Vater. Also verzog ich mich in mein Zimmer und weinte mich in den Schlaf und machte mir furchtbare Sorgen um Dennis. Das komplette Wochenende versuchte ich Dennis zu erreichen, aber er reagierte weder auf meine Anrufe, noch auf meine SMS, ich war echt verzweifelt und drauf und dran die Polizei anzurufen, hatte dann aber doch zu große Angst davor. Am Montag machte ich mich schließlich mit einem unguten Gefühl im Magen auf den Weg zur Schule und hoffte inständig, dass Dennis auch da war. Als ich das Klassenzimmer betrat, traute ich meinen Augen nicht, Dennis hatte seinen Platz neben mir geräumt und saß wieder neben Melanie. Die beiden konnten die Finger nicht voneinander lassen und knutschten was das Zeug hielt. Dieser Anblick versetzte mir einen unglaublichen Stich ins Herz und ich meinte mich übergeben zu müssen, aber es kam noch schlimmer. Sobald ich das Klassenzimmer betrat, waren sofort alle Blicke auf mich gerichtet und dann hatte Melanie ihren großen Auftritt. Sie kam wie eine Furie direkt auf mich zu, scheuerte mir eine und beschimpfte mich vor der ganzen Klasse als Schwuchtel und drohte mir, es nicht zu wagen noch einmal ihrem Freund zu nahe zu kommen. Melanie und die anderen waren mir ja egal, aber das Schlimmste war, als ich mich auf meinen Platz setzen wollte, zog Dennis mir von hinten den Stuhl weg und als ich vor ihm auf den Boden lag, trat er mir mit voller Wucht ins Gesicht und meinte das ich ihm ja nicht mehr zu nahe kommen soll. Das war zu viel für mich, ich rannte fast den Lehrer um, der in diesen Moment das Klassenzimmer betrat, meldete mich krank bei ihm, schnappte mir mein Fahrrad und fuhr so schnell ich konnte nach Hause. Ich weinte so heftig, dass ich auf dem Fahrrad kaum noch etwas sah und dann passierte es: Ich übersah beim Abbiegen ein entgegenkommendes Auto und nach dem Aufprall gingen bei mir die Lichter aus. Einen Tag später wachte ich im Krankenhaus schließlich auf, ich hatte riesiges Glück und nur eine leichte Gehirnerschütterung, mehrere schmerzhafte Prellungen und Abschürfungen. Meine Eltern saßen die ganze Zeit über an meinem Bett und hielten meine Hand. Schließlich hielt ich es einfach nicht mehr aus und brach völlig in den Armen meiner Mutter zusammen und erzählte ihnen die ganze Geschichte. Zu meiner Erleichterung reagierten meine Eltern wirklich großartig und versicherten mir, mich immer zu lieben, egal ob schwul oder hetero. Dennis und seinen Vater hingegen wollten sie unbedingt zur Rede stellen und auch mit dem Direx von meiner Schule sprechen. Ich flehte sie an, nichts zu unternehmen, weil das alles nur noch schlimmer gemacht hätte, aber ich wollte auch auf keinen Fall mehr in meine alte Schule zurückkehren und da mein Vater eh ein Stellenangebot aus eurer Stadt vorliegen hatte, entschlossen wir umzuziehen.”

Er sah mich danach erwartungsvoll an, doch ich wusste im ersten Moment gar nicht, was ich dazu sagen sollte, zu viele Gedanken gingen mir im Kopf herum. Als er schon aufstehen wollte, um zu gehen, erwachte ich aus meiner Erstarrung und mir fiel nichts besseres ein als zu sagen:

“Du bist also wirklich schwul?”

“Ja, ich bin einer dieser armen Jugendlichen über die ihr heute gesprochen habt, die es wirklich nicht leicht haben”, sagte er mit sarkastischen Unterton.

“Es war nicht richtig, was deine Freunde dir angetan haben, du kannst schließlich nichts für deine Schwäche. Aber wir können dir helfen dagegen anzukämpfen, du kannst lernen damit zu leben, ohne es auszuleben.”

“Sag mal spinnst du? Ich will gar nicht dagegen ankämpfen, ich bin nun mal so wie ich bin. Ich verleugne meine Sexualität nicht und mache mich dadurch unglücklich, das ist doch krank. Weißt du was, lass mich einfach in Ruhe, unser Heimbibelstudium ist hiermit beendet.”

Damit ließ er mich einfach stehen und machte sich auf den Weg zum Zug, der soeben eingefahren war. Kurz bevor er den Zug erreichte, rannte ich ihm dann doch hinter her.

“Jonas, bitte bleibe hier, wir können doch über alles reden.”

“Und was soll das bringen? Akzeptiert ihr jetzt doch, offen homosexuell lebende Jungs bei den Zeugen Jehovas?”

Ich starrte ihn an, unfähig darauf etwas zu erwidern.

“Keine Antwort, ist auch eine Antwort, machs gut Luca”, sprach es und verschwand im Zug, der kurz darauf abfuhr.

Als ich den Zug hinter her sah, bemerkte ich plötzlich, dass ich weinte, verdammt ich hatte ihn doch gern, ich wollte einfach nicht, dass es so endet. Durch das Vibrieren meines Handys wurde ich in die Realität zurück geholt. Ich hatte eine SMS von Rahel erhalten:

“Luca, wo bleibst du denn so lange? Melde dich doch bitte, wir machen uns langsam Sorgen.”

“Sorry bin gleich da, musste Jonas zum Bahnhof bringen, erkläre euch gleich alles”, schrieb ich zurück.

Auf den Weg zum See hatte ich mir eine Geschichte für die anderen zurecht gelegt, da ich es einfach nicht fertig brachte, ihnen die Wahrheit zu sagen. Als ich mich unserem Platz am See näherte, kamen sie auch schon alle auf mich zugelaufen.

“Was ist den passiert? Wieso musstest du Jonas zum Bahnhof bringen? Erzähl doch endlich was passiert ist?”

“Ja, wenn ihr mich mal zu Wort kommen lasst. Jonas hat doch vorhin mit seinen Eltern telefoniert und da hat er erfahren das seine Mutter einen Autounfall hatte, bevor ihr fragt, es ist nicht schlimmes passiert, aber seine Mutter soll dennoch zur Beobachtung eine Nacht im Krankenhaus bleiben, aber da Jonas sich trotzdem total Sorgen um sie macht, ist er nach Hause gefahren um nach ihr zu sehen.”

“Oh Gott der Arme, das ist ja schrecklich, bestelle ihm bitte liebe Grüße von mir, wenn du ihn das nächste mal siehst oder mit ihm telefonierst”, meinte Lea.

“Ja von mir auch”, meinten Rahel und Finn gleichzeitig.

“Ja richte ich aus, nun muss ich wohl doch zu dir ins Zelt Finn, was?”

“Oh nein, ich hatte mich schon an den Platz im Zelt gewöhnt, aber da muss ich wohl jetzt durch, ich kann dich ja schlecht auf der Straße schlafen lassen”, meinte Finn lachend.

“Oh, dass ist aber gnädig von dir und jetzt lass man ein Radler rüber wachsen.”

Ich war froh, dass mir weitere Fragen erspart blieben und dass die anderen mir scheinbar meine Geschichte abgekauft hatten, nur Rahel war seltsam still und sah mich immer wieder komisch an.

Als wir dann am Abend zum Campingplatz zurückkehrten, nahm sie mich auch gleich zur Seite und stellte mich zur Rede:

“Was ist wirklich passiert, Luca?”

“Wieso das habe ich euch doch erzählt?”

“Ich kaufe dir aber deine Geschichte nicht ab, ich kenne dich Luca, ich merke wenn du lügst.”

Ich seufzte innerlich auf und zog sie wieder unter den großen Baum, am Rande des Campingplatzes, damit wir ungestört reden konnten.

“Also gut du hast Recht, seiner Mutter geht es gut, ich habe gelogen.”

Daraufhin erzählte ich ihr die ganze Geschichte, die mir Jonas erzählt hatte. Als ich meine Ausführungen beendet hatte, sah sie mich mitleidvoll an und sagte:

“Das ist wirklich eine heftige Geschichte, mir tut Jonas echt leid, er ist so ein netter Kerl und hat nicht verdient, dass man so mit ihm umgeht.”

“Hast du nicht verstanden, er ist schwul und ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.”

“Doch, das habe ich schon verstanden, aber er ist nun mal so wie er ist, es ist doch nicht seine Schuld.”

“Ja ich weiß, aber er will auch nicht gegen seine Schwäche ankämpfen, er will seine Sexualität nicht verleugnen und dadurch unglücklich werden, hat er gesagt.”

“Findest du es nicht auch irgendwie grausam, so etwas von einem Menschen zu verlangen, sich selbst zu verleugnen?”

“Aber du weißt doch, was die Bibel über Homosexualität sagt?”

“Ja weiß ich, aber dennoch muss ich nicht alles gut heißen was in der Bibel steht und blind befolgen, ohne meinen eigenen Verstand zu gebrauchen.”

Ich sah sie völlig verdattert an, wusste aber in meinem Herzen, dass sie Recht hatte.

Der Rest des Abends verlief ereignislos, Daniel und Max kamen dann auch irgendwann aus der Stadt zurück, diesmal zum Glück nüchtern. Wir aßen alle zusammen noch etwas im Biergarten und auch ihnen musste ich nochmal die Lügengeschichte über den Unfall von Jonas Mutter auftischen.

Am nächsten Morgen war ich total gerädert, als der Wecker klingelte, da ich in der Nacht vor lauter grübeln kaum zum schlafen gekommen war, einerseits wollte ich unbedingt nochmal mit Jonas reden, aber andererseits hatte ich keine Ahnung, was ich ihm sagen sollte und auch über Rahels Worte dachte ich noch lange nach und je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr musste ich ihr Recht geben.

Naja, es half ja nichts, es war an der Zeit aufzustehen, der letzte Kongresstag stand vor der Tür, heute Abend würden wir nach Hause zurückfahren, diesmal nicht mit dem Zug, sondern jeder mit seinen Eltern im eigenen Auto. Daher mussten wir heute früher aufstehen, da wir noch vor Programmbeginn unsere Zelte abgebaut und ausgecheckt haben mussten. Ich war froh, dass ich etwas zu tun hatte und mich von meinen Gedanken mal vorübergehend ablenken konnte.

Wir machten uns dann schließlich mit Sack und Pack auf den Weg zum Kongressgelände, dort musste ich dann auch gleich nochmal meinen Eltern die Lügengeschichte über Jonas Verschwinden auftischen, man, mittlerweile war ich echt gut darin zu lügen, aber ich befürchtete, dass mein ganzes Lügengebilde irgendwann wie ein Kartenhaus zusammenbrechen würde.

Der letzte Kongresstag zog sich zäh hin, immer wieder fiel es mir schwer, den Vorträgen zu folgen und ich schweifte mit meinen Gedanken zu Jonas ab. So war ich dann auch heilfroh, als der Kongress vorbei war. Die Autofahrt nach Hause verlief weitestgehend schweigend, was mir sehr Recht war, denn so konnte ich meinen Gedanken nachhängen. Zu Hause angekommen, machte ich mich dann auch gleich auf den Weg in unseren Fitnesskeller, denn ich musste dringend Dampf ablassen. Nach einer heißen Dusche fiel ich dann auch schon ins Bett, indem ich mich die halbe Nacht lang schlaflos wälzte.

Am nächsten Tag war ich hin- und hergerissen, ob ich mich bei Jonas melden sollte oder auch nicht, ließ es aber letztendlich bleiben. Die Sommerferien waren vorbei und am nächsten Morgen würde die Schule beginnen. Mir graute es jetzt schon davor, Leon und seinen Freunden wieder zu begegnen, aber es half ja nichts, da musste ich durch. Auch Jonas würde ab morgen in meine Schule gehen, ich fragte mich, ob er wohl in meine Klasse kommt, aber vielleicht auch besser nicht, immerhin redete er auch nicht mehr mit mir. Tagsüber hatten wir alle mit Schulvorbereitungen zu tun, so dass ich mich nicht mit meinen Freunden traf, nur mit Rahel telefonierte ich kurz. Das einzig gute war, dass heute das Buchstudium ausfiel, da am Wochenende Bezirkskongress war. Erst am Freitag würde die nächste Versammlung stattfinden.

Am Abend lag ich in meinem Bett und das Einschlafen fiel mir wieder mal schwer, zu viele Gedanken gingen mir durch den Kopf, aber irgendwann überkam mich dann doch die Müdigkeit und ich schlief ein.

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