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Der verlorene Sohn

Teil 5 - Daniel

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Informationen

Vorwort der Redaktion

Liebe Leser,

die folgende Geschichte befasst sich unter anderem mit der Thematik Suizid. Dies ist ein sensibles Thema, das Nickstories.de nicht unkommentiert lassen kann und will. Deshalb haben wir uns entschieden diese Geschichten generell mit einem Vorwort zu versehen.

Für uns ist dieses Thema in Stories kein Tabu, aber wir wollen deutlich machen, dass Selbstmord mit Sicherheit kein Weg ist, um ein Problem zu lösen. Jeder, der sich in einer scheinbar aussichtslosen Lage befindet, sollte wissen, dass er Hilfe finden kann.

Wenn du jemanden kennst, der über diesen Schritt nachdenkt oder ihn geäußert hat, solltest du das nicht auf die leichte Schulter nehmen und versuchen mit dieser Person zu reden. Erst dann wird deutlich, wie ernst die Lage wirklich ist.

Wenn du über Selbstmord nachdenkst, bitten wir dich, Kontakt mit einer Hilfseinrichtung aufzunehmen, bevor du etwas tust, das für deine Freunde und deine Familie ein unwiederbringlicher Verlust sein wird.

Informationen und Notrufnummern findest du z.B. unter: www.telefonseelsorge.de

Vorwort

Ich möchte mich erstmal bei all meinen Lesern, für die lange Wartezeit auf Teil 5 entschuldigen. Ich hatte in letzter Zeit echt eine Menge um die Ohren, so dass ich nicht regelmäßig zum Schreiben gekommen bin. Daher bin ich echt froh, dass ich es jetzt endlich geschafft habe, den neuen Teil fertigzustellen. Ich hoffe, dass euch die Fortsetzung gefällt und dass ihr euch auch diesmal mit eurem Feedback nicht zurückhaltet.

 

Ich stieg also in das Auto meines Vaters ein, ohne nochmal zu Jonas zurückzublicken. Es war besser so, es war auch so schon schwer genug für uns.

“Da bist du ja endlich, was trödelst du denn so. Ich warte schon fast 20 Minuten auf dich.”

“Sorry Papa, ich hatte noch etwas im Bus vergessen und musste nochmal zurück.”

“Man Luca, wo hast du nur deinen Kopf. Aber egal, jetzt bist du ja da. Willkommen zu Hause mein Sohn.”

“Danke, schön wieder da zu sein.”

“Sag mal, wie war es in Verona? War diese Exkursion wirklich so wichtig für eure Klassenarbeit, wie eure penetrante Klassenlehrerin gemeint hat?“

“Ja Papa, wir haben dort echt viel gelernt. Es war auf jeden Fall sehr interessant.”

“Hast du dich auch wirklich an unsere Vereinbarung gehalten und bist nach den Ausflügen immer gleich auf dein Zimmer und hast dich dem schädlichen Einfluss deiner Mitschüler nicht ausgesetzt?”

“Ja Papa, keine Sorge, ich bin wie besprochen immer gleich in mein Zimmer und hatte mit meinen Mitschülern nichts zu tun.”

“Sehr gut mein Sohn, ich bin stolz auf dich. Und was ist mit Jonas, er geht jetzt in deine Klasse richtig?”

“Ja, er ist immer noch sehr interessiert an der Wahrheit (Lehre der Zeugen Jehovas) und wir konnten unser Heimbibelstudium sogar während der Exkursion fortsetzen.”

“Ich bin beeindruckt Junge, du hast dich wirklich gemacht. Ich bin echt stolz auf dich, weiter so.”

“Danke Vater.”

Oh man, ich ritt mich echt immer tiefer in die Scheiße, aber was sollte ich machen, ich musste schließlich einen Grund präsentieren, um weiterhin zu Jonas gehen zu können.

Zum Glück hatten wir dann endlich die Einfahrt unseres Hauses erreicht und ich konnte diesem unangenehmen Gespräch entgehen. Als wir die Haustür aufschlossen, kam mir gleich meine Mutter entgegen und umarmte mich.

“Da bist du ja endlich wieder. Willkommen zu Hause Schatz. Frühstück ist gerade fertig geworden, bring dein Gepäck nach oben, wasch dir deine Hände und komm dann frühstücken.”

“Alles klar Mama, ich beeil mich.”

Ich schleppte mein Gepäck also die Treppe hinauf in mein Zimmer und wollte auf dem Weg noch bei meinem Bruder vorbei schauen und ihm Hallo sagen. Ich klopfte an, doch es kam keine Reaktion von ihm, also ging ich einfach hinein. Seltsam das Zimmer war leer und sein Bett unberührt. Wo steckte er denn bloß? Ich nahm mir vor meine Eltern danach zu fragen. Also ging ich unverrichteter Dinge samt Gepäck in mein Zimmer. Ich stellte meine Sachen ab, ging ins Badezimmer um mir die Hände zu waschen und machte mich dann schließlich auf den Weg zum Frühstück. Am Frühstückstisch waren meine Eltern bereits versammelt.

“Komm setz dich Luca, magst du einen Kaffee?”

“Ja Danke Mama, sagt mal wo ist eigentlich Daniel?”

Meine Eltern wechselten einen kurzen, seltsamen Blick, bevor mein Vater mir antwortete:

“Weißt du, Daniel ist krank. Er hat die Woche plötzlich Fieber bekommen und da wir nicht wollten, dass du dich ansteckst, haben wir ihn zu Oma und Opa gebracht. Sie kümmern dich dort um ihn, bis es ihm besser geht.”

“Ok, wieso hast du mir bei unseren Telefonaten nichts gesagt?”

“Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst, außerdem geht es ihm bereits besser. So und wärst du jetzt bitte so freundlich uns den Tagestext vorzulesen?”

“Ja klar, mach ich.”

Und damit war das Thema für meinen Vater erledigt. Aber seltsam war es schon irgendwie, ich konnte mich nicht erinnern, dass einer von uns jemals zu den Großeltern gebracht wurde, wenn er krank war. Naja egal, ich beschloss Daniel heute Abend mal anzurufen. Nach dem Frühstück ging ich wieder auf mein Zimmer, kaum hatte ich es mir auf dem Bett bequem gemacht, klingelte mein Handy. Ich war ganz aufgeregt, da ich hoffte es würde sich bei dem Anrufer um Jonas handeln, doch mit etwas Enttäuschung stellte ich fest, dass es nur Finn war.

“He Finn, na alles klar bei dir?”

“Na Alter, auch endlich wieder im Lande?”

“Ja, bin gerade angekommen.”

“He hast du Bock, kurz zu mir rüber zu kommen, ich bräuchte mal deine Hilfe beim Zusammenbau von meinem neuen Couchtisch.”

“Man Finn, muss das sein, kann dir nicht jemand anderes helfen? Ich bin echt hundemüde von der langen Busfahrt.”

“Ne, ich habe schon alle gefragt und niemand hat Zeit für mich. Komm schon Luca, lass mich nicht hängen.”

“Also gut, ich komme gleich vorbei.”

“Danke, du bist der Beste. Hast auch was gut bei mir.”

“Ja, schon gut.”

Also machte ich mich widerwillig auf den Weg zu Finn. Ich nahm mein Fahrrad und war keine 10 Minuten später an Finns Haus angekommen. Ich klingelte und ein gut gelaunter Finn öffnete mir die Tür.

“Hi, da bist du ja schon. Vielen Dank nochmal, dass du so schnell gekommen bist.”

“Ja, ist schon gut. Gehen wir dann schon mal in dein Zimmer und bauen diesen blöden Couchtisch auf.”

“Ja geh schon mal hoch, ich hole noch schnell was zu trinken für uns.”

Also machte ich mich missmutig auf den Weg nach oben in Finns Zimmer.

Als ich das Zimmer betrat, staunte ich nicht schlecht: Meine Freunde hatten Girlanden aufgehängt, auf denen “Willkommen zu Hause Luca” stand. Dann kamen auch noch Rahel und Lea aus ihrem Versteck und riefen fröhlich “Überraschung”. Danach nahm mich zuerst Lea herzlich in den Arm und anschließend begrüßte mich Rahel, mit einem Kuss und hinter uns grinste sich Finn einen ab. Diese Überraschung war meinen Freunden wirklich gelungen. Gleich nachdem ich Rahel geküsst hatte, machte sich bereits mein schlechtes Gewissen bemerkbar, aber was sollte ich machen, Rahel vor allen abservieren - nein das konnte ich ihr nicht antun.

“Willkommen zu Hause mein Schatz, ich hoffe unsere Überraschung ist gelungen?”

“Ja, ihr seid echt klasse, ich hatte ja keine Ahnung. Finn hat mich echt übel reingelegt.”

“Tja, ich musste dich ja schließlich irgendwie hierher locken, sorry Alter.”

“Schon gut, war ja für einen guten Zweck.”

“Also ich habe mir gedacht, das wir zur Feier des Tages den Grill anschmeißen. Mach dir keine Sorgen, wir haben bereits alles besorgt und dürfen bis 22 Uhr heute feiern, dass habe ich mit meinen Eltern so ausgemacht.”

“Wow, das ist ja echt cool, vielen Dank Leute.”

Danach gingen wir in den Garten und auch dort war bereits alles vorbereitet. Es standen Biertische- und Bänke bereit, auch der Grill war bereits aufgebaut. Die Mädchen und Finns Mutter hatten Salate vorbereitet, die nun auf dem bereitgestellten Tisch platziert wurden, und nachdem der Grill heiß genug war, legten wir das Grillgut darauf. Kurze Zeit später aßen wir alle gemeinsam, auch Finns Eltern, von den reichhaltigen Speisen. Danach machten sich Finns Eltern auf den Weg zur Großmutter und überließen uns den Garten, aber sie erwarteten auch, dass um Punkt 22 Uhr die Feier beendet und alles wieder aufgeräumt ist. Es war ein schöner Spätsommertag und ich genoss den Tag mit meinen Freunden. Ich musste ihnen natürlich ausführlich von meiner Fahrt nach Verona erzählen, was ich auch tat, nur die Sache mit mir und Jonas ließ ich natürlich aus. Ich erzählte nur, dass wir uns jetzt wieder gut verstehen würden - mehr nicht. Danach berichteten mir meine Freunde von ihrer Woche und was ich alles verpasst hatte. Die ganze Zeit wich Rahel mir nicht von der Seite, ich konnte ihr ansehen, wie sehr sie sich freute, dass ich wieder da war, was mir natürlich wieder ein schlechtes Gewissen bereitete. Da mir die Sache mit Daniels Krankheit immer noch komisch vorkam, beschloss ich die anderen danach zu fragen, vielleicht hatte ja jemand etwas mitbekommen.

“Hört mal, wisst ihr irgendetwas über Daniel? Laut meinen Eltern ist er angeblich krank und sie haben ihn zu den Großeltern gebracht, damit er sich dort erholt und ich mich nicht bei ihm anstecke.”

“Nein, ich habe auch nur gehört, dass er krank ist und gestern war er auch nicht in der Versammlung”, meinte Rahel.

“Ja und Max war gestern auch nicht in der Versammlung, laut seinen Eltern ist er ebenfalls krank”, ergänzte Lea.

“Naja, kann doch sein, dass die sich gegenseitig angesteckt haben, sie hängen doch auch immer zusammen ab”, sagte Finn.

“Ja kann sein, ich finde es nur seltsam, dass sie ihn zu unseren Großeltern gebracht haben, das haben sie doch auch bisher nie gemacht wenn jemand von uns krank war.”

“Ich glaube, du machst dir einfach wieder zu viele Gedanken, wieso sollten deine Eltern dich denn anlügen”, meinte Finn.

“Ja wahrscheinlich hast du Recht. Ich rufe ihn einfach später einfach mal an.”

Den Rest des Nachmittags, kühlten wir uns etwas in Finns kleinem Planschbecken ab, das er extra im Garten aufgestellt hatte und spielten ein wenig Tischtennis auf Finns Kettlerplatte, die er zur Feier des Tages ebenfalls aufgebaut hatte. Zu Trinken gab es überwiegend alkoholfreies, da ja morgen früh wieder Versammlung war, mit Ausnahme einiger Radler. Am Abend halfen wir dann alle zusammen, den Garten wieder in den ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen, wodurch die Arbeit dann auch schnell erledigt war. Um circa 21:30 lösten wir dann die Feier auf und ich verabschiedete mich von meinen Freunden, von Rahel natürlich wieder inniger als von den anderen mit einem Kuss. Auf dem Weg nach Hause kreisten meine Gedanken wieder um Jonas, den ich, obwohl der Tag mit meinen Freunden echt schön war, schon wieder total vermisste. Ich nahm mir vor ihn anzurufen, sobald ich zu Hause war und auch bei Daniel wollte ich mich noch kurz melden. Zu Hause angekommen machte mich dann schnell auf den Weg in mein Zimmer.

Als erstes wählte ich Daniels Nummer, doch er nahm nicht ab. Hmh, vermutlich schlief er schon, ich würde mich morgen nochmal bei ihm melden. Danach wählte ich Jonas Nummer und er nahm auch sofort nach dem ersten Klingeln ab, als ob er die ganze Zeit auf meinen Anruf gewartet hätte.

“Hi, wie schön, dass du endlich anrufst. Ich starre schon den ganzen Tag mein Handy an, in der Hoffnung, dass es bald klingelt.”

“Ja sorry, ich wollte eigentlich schon früher anrufen, aber ich wurde von meinen Freunden in Beschlag genommen, sie haben eine Überraschungsparty für mich gegeben.”

“Ah ok, wie nett von ihnen. War es schön?”

“Ja, war echt ein schöner Tag, aber ich habe dich echt vermisst.”

“Ich vermisse dich auch wie verrückt. Kannst du morgen zu mir kommen, bitte. Ich halte es nicht bis Montag aus dich wiederzusehen.”

“Morgen früh muss ich in die Versammlung, aber versuche dann am Nachmittag zu kommen. Ich erzähle meinen Eltern einfach, dass wir unser Heimbibelstudium fortsetzen, dann haben sie garantiert nichts dagegen.”

“Ok, ich freue mich total. Sag mir nochmal Bescheid, wenn du genau weißt wann du kommst.”

“Ja mache ich, ich melde mich dann morgen nochmal.”

“Ok, schlaf gut Süßer. Ich liebe dich.”

“Ich liebe dich auch. Schlaf gut Jonas.”

Danach ging ich dann auch ins Bett, ich war doch ziemlich kaputt, in so einem Reisebus schläft es sich halt nicht, wie in seinem eigenen Bett. Ich machte mir noch Gedanken über mich und Jonas, musste dann aber nach langer Grübelei irgendwann eingeschlafen sein, denn am nächsten Morgen wurde ich rigoros von meinem Wecker geweckt. Ich hatte das Gefühl noch ewig weiterschlafen zu können, aber es stand nun mal wie jeden Sonntag Vormittag die Versammlung an und davor konnte ich mich nicht drücken. Also quälte ich mich notgedrungen aus meinem warmen Bett und machte mich auf den Weg in mein Badezimmer. Eine halbe Stunde später saß ich fertig gestylt am Frühstücktisch und besprach mit meinen Eltern wie jeden Morgen den Tagestext.

“Sagt mal, wann kommt eigentlich Daniel wieder nach Hause? Ich habe versucht ihn gestern Abend zu erreichen, er ist aber nicht an sein Handy gegangen.”

“Ich habe heute morgen mit meinem Vater telefoniert und es scheint Daniel schon sehr viel besser zu gehen. Ich werde ihn heute Abend abholen und wieder nach Hause bringen”, meinte mein Vater.

“Ah super, das ist ja mal eine gute Nachricht.”

Ich war echt froh, dass mein Bruder heute Abend wieder nach Hause kommen würde, er fehlte mir irgendwie. Naja, nach dem Frühstück machten wir uns dann auf den Weg in die Versammlung. Neben Finn, Rahel und Lea war auch Max wieder da, offensichtlich ging es ihm auch wieder besser. Ich nutzte die Zeit bis zum Beginn der Versammlung, um noch mal kurz mit ihm zu reden.

“He Max, na geht es dir wieder besser?”

“Hi Luca, na wieder zurück aus Italien? Ja, es geht schon wieder besser.”

“Du und Daniel habt euch ja offensichtlich gegenseitig angesteckt, aber ihm geht es auch wieder besser und er kommt heute Abend wieder nach Hause.”

“Ja scheint so. He, das ist toll. Hör zu Luca, ich muss dann mal zu meinem Platz, die Versammlung geht gleich los.”

Schon begab er sich eilig zu seinem Platz neben seinen Eltern. Wieso macht er denn so einen Stress, wir haben noch gut 10 Minuten bis die Versammlung anfängt? Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mir irgendwie aus dem Weg geht, aber vielleicht täuschte ich mich ja auch. Ich plauderte noch ein bisschen mit meinen Freunden und dann ging das Programm auch schon los. Nach 2 Stunden konzentriertem Zuhören und Notizen schreiben war es dann aber geschafft. Max und seine Eltern verließen entgegen ihrer üblichen Gewohnheit die Versammlung direkt nach Programmende. Meine Freunde und ich standen nach dem Programm wieder zusammen und es wurde überlegt, was man mit dem Tag noch anstellen konnte.

“Leute, was haltet ihr davon, wenn wir die letzten schönen Tage des Jahres nochmal ausnutzen und zum See fahren”, wollte Finn wissen.

“Finde ich eine gute Idee, ich wäre dabei”, meinte Lea.

“Ja ich bin auch dabei”, sagte Rahel.

Nun war es an mir, die 3 enttäuschen zu müssen, ich wurde von ihnen erwartungsvoll angesehen.

“Sorry Leute, ich kann nicht, bin heute Nachmittag mit Jonas verabredet.”

“Ah, dann führt ihr euer Heimbibelstudium weiter”, wollte Finn wissen.

“Ja genau und danach muss ich ihm noch ein bisschen mit der Schule helfen. Wir sind im Stoff viel weiter, als sie an seiner anderen Schule waren und da muss ich ihm noch einiges erklären. Ich weiß nicht, wie lange das dauert, aber könnte länger werden.”

“Ach schade, das ist ja blöd. Aber melde dich trotzdem mal, wenn du bei ihm fertig bist, vielleicht sind wir ja dann noch da,” meinte Finn.

“Ja mach ich.”

Später fing mich Rahel noch einmal ab und ging mit mir in eine ruhige Ecke.

“Wieso sagst du Finn und Lea nicht einfach die Wahrheit, meinst du nicht, dass sie das verstehen würden?”

“Wieso, das mit der Hilfe für die Schule stimmt doch. Ok, mit dem Heimbibelstudium habe ich ein bisschen geflunkert, aber meine Eltern lassen mich doch nur zu Jonas gehen, weil sie davon ausgehen, dass ich immer noch mit ihm studiere. Glaube mir, es ist besser, wenn so wenig wie möglich davon wissen, sonst verplappert sich am Ende noch jemand.”

“Hmh, also gut, wenn du meinst. He lass dir Zeit mit Jonas, aber wenn du es doch noch zum See schaffen würdest, würde ich mich natürlich mega freuen.”

“Ja, ich versuche es, ok.”

Da wir gerade unbeobachtet waren, drückte sie mir einen zarten Kuss auf die Lippen.

“Alles klar, bis später dann vielleicht.”

Nach dem Mittagessen konnte ich es kaum erwarten endlich zu Jonas zu kommen. Ich vermisste ihn ganz schrecklich. Bevor ich mit meinem Fahrrad losfuhr, schrieb ich ihm noch wie versprochen eine SMS, dass ich jetzt los fahren würde.

Danach schwang ich mich auf mein Rad und war kurze Zeit später vor dem Haus der Stahls angekommen. Voller Vorfreude auf Jonas machte ich mein Rad im Vorgarten fest und drückte die Klingel. Ich musste nicht lange warten, bis mir eine freundlich dreinblickende Frau Stahl die Haustüre öffnete.

“Ach Hallo Luca, schön dich mal wiederzusehen. Jonas erwartet dich schon in seinem Zimmer, du kennst ja den Weg.”

“Hallo Frau Stahl, äh ich meine Elke. Alles klar, ich geh dann mal hoch.”

Ich machte mich also auf den Weg die Treppe hoch und stand kurze Zeit später vor Jonas Zimmer und klopfte höflicherweise an, erst nachdem ich ein “herein” vernahm, betrat ich das Zimmer.

“He, du musst doch nicht anklopfen bevor du in mein Zimmer kommst”, meinte Jonas lachend.

“Komm rein, schön dass du da bist. Ich habe dich voll vermisst.”

Danach gab es erstmal einen ausgiebigen Begrüßungskuss und noch ein bisschen mehr ohne Bekleidung. Danach kuschelten wir uns gemütlich in Jonas bequemes Doppelbett und genossen die gegenseitige Nähe. Nach einiger Zeit des angenehmen Schweigens sagte Jonas plötzlich:

“Ich wünschte, es könnte immer so sein, mit dir zusammen einschlafen und mit dir gemeinsam wieder aufwachen. Ich war noch nie in meinem Leben so glücklich wie gerade in diesem Augenblick. Ich mag gar nicht daran denken, dass du bald schon wieder nach Hause musst. Ich wünschte, wir könnten immer zusammen sein.”

“Das wünschte ich mir doch auch. Ich genieße die Zeit mit dir total und ich habe das Gefühl, nur wenn ich mit dir zusammen bin, wirklich ich selbst zu sein und vor allen anderen nur eine Rolle zu spielen. Ich weiß nur echt nicht was ich machen soll, wenn ich die Bombe platzen lasse, dann verliere ich mein ganzes Leben. Ich bin noch nicht so weit, noch nicht.”

“Luca, ich weiß, wie schwer das für dich ist. Ich will dir auch überhaupt keinen Druck machen, sorry, wenn das so rüber gekommen ist.”

“Ist schon gut. Weißt du, ich habe einfach ein schlechtes Gewissen, tagtäglich alle um mich herum belügen zu müssen, auch meine besten Freunde. Ich verspreche dir aber so schnell wie möglich mit Rahel Schluss zu machen, ich kann diese Situation euch beiden einfach nicht länger zumuten.

“Ja ok, mach das bitte, das wir noch heimlich zusammen sind, ist völlig in Ordnung für mich, aber nicht das du parallel noch ihren Freund spielst.”

“Ja ich weiß, das tut mir auch leid. Ich kläre das so schnell wie möglich mit ihr, ok?”

“Ok, danke und jetzt lass uns mal mit schöneren Dingen beschäftigen. Hast du Bock zu zocken?”

Den Rest des Nachmittags verbrachten wir dann mit zocken auf der PlayStation. Rahel schrieb ich eine SMS, dass ich es nicht mehr zum See schaffe, weil das Lernen mit Jonas länger dauern würde. Sie war zwar etwas enttäuscht, hatte aber Verständnis dafür.

Um 18:30 Uhr trennten wir uns dann schweren Herzens voneinander, da ich pünktlich um 19 Uhr zum Abendessen zu Hause erwartet wurde. Also schwang ich mich auf meinen Drahtesel und trat die Fahrt nach Hause an.

Zu Hause angekommen nahm ich mit großer Freude zur Kenntnis, dass mein großer Bruder endlich wieder zu Hause war. Freudestrahlend fielen wir uns in die Arme, ich hatte Daniel echt vermisst.

“He, da bist du ja wieder. Geht's dir wieder besser?”

”Ja Kleiner, mir geht es gut, schön dich wiederzusehen, wie war Italien?”

Doch in diesem Augenblick wurden wir von unserer Mutter zum Essen gerufen und beschlossen unsere Unterhaltung später ungestört fortzusetzen.

Nach dem Essen seilten wir uns gleich in Daniels Zimmer ab.

“Nun sag schon wie war es in Italien?”

“Italien war super. Verona ist echt eine tolle Stadt, ganz in der Nähe vom Gardasee und dort ist es echt traumhaft schön.”

“Konntest du nochmal mit Jonas reden, ich nehme an, er war auch mit dabei?”

“Ja, wir haben uns endlich ausgesprochen und sind jetzt wieder Freunde. Ich war heute erst bei ihm, um ihm ein wenig mit dem Schulstoff zu helfen, da sie auf seiner alten Schule mit dem Stoff noch nicht so weit waren. Aber offiziell war ich zum Heimbibelstudium da, also verquatsche dich bitte nicht vor den Eltern.”

“Nein keine Sorge, du kannst dich auf mich verlassen. Ich nehme an, dass er nicht mehr daran interessiert ist, das Heimbibelstudium mit dir fortzusetzen?”

“Nein, aber kein Wort zu den Eltern oder zu unseren Freunden, nur Rahel weiß Bescheid.”

“Ja, ja, keine Panik, ich sage schon nichts.”

“Und was war jetzt bei dir los? Du warst angeblich so schwer krank, dass dich Papa zu den Großeltern gebracht hat, aus Sorge ich könnte mich auch anstecken?”

“Ja, mir ging es echt mies, ich hatte eine echt schwere Zeit, aber jetzt geht es mir wieder besser.”

“Ok, ich fand es nur komisch, dass dich Papa zu den Großeltern gebracht hatte, dass hatten sie doch auch sonst nie getan, wenn einer von uns krank war.”

“Naja, er war eben der Meinung, dass mir ein Tapetenwechsel ganz gut tun würde und ja, es hat funktioniert.”

“Ok, schön das du wieder da bist, es war echt komisch hier ohne dich.”

“Ja, ich bin auch froh wieder hier zu sein. Hör zu, ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber ich bin echt müde, die lange Fahrt und so, ich würde gern pennen gehen.”

“Klar kein Problem. Ruhe dich mal schön aus. Wir sehen uns dann morgen, schlaf gut.”

“Ja du auch.”

Den Rest des Abends verbrachte ich auf meinem Zimmer mit Musik hören, bis ich irgendwann einschlief.

Am nächsten Morgen wurde ich wieder viel zu früh von meinem Freund, dem Wecker, geweckt. Genervt stand ich auf und machte mich für die Schule fertig, die ich aber inzwischen gar nicht mehr so schlimm fand, immerhin konnte ich dort jeden Tag Jonas sehen und auf Marie freute ich mich auch, sie war mir inzwischen echt ans Herz gewachsen. Nach dem Frühstück schwang ich mich auf mein Fahrrad und machte mich auf den Weg zur Schule, auch Daniel war inzwischen wieder fit genug, um zur Schule zu gehen.

Am Schulgelände angekommen, wurde ich gleich von Jonas und Marie in Empfang genommen und von Marie mit einer herzlichen Umarmung begrüßt. Jonas und ich beließen es bei einer kumpelhaften Umarmung, da unsere Beziehung ja nach wie vor geheim bleiben sollte.

“Mein Gott das ist ja nicht mit anzusehen, könnt ihr euch nicht anständig begrüßen?”

“Man Marie, du weißt doch, dass unsere Beziehung nicht öffentlich ist”, zischte ich sie an.

“Ja ich weiß, aber so eine Begrüßung geht gar nicht.”

Danach zog sie uns beide in eine ruhige Ecke und als sie sich sicher war, dass niemand uns beobachtet, sagte sie:

“So, jetzt will ich mal eine anständige Begrüßung sehen.”

Jonas und ich grinsten uns an und begannen uns zu küssen.

“Oh man, ihr seht so süß zusammen aus, echt total niedlich.”

“So, bist du jetzt zufrieden”, fragte ich sie.

“Ja, das kann man als anständige Begrüßung durchgehen lassen”, lachte sie.

Danach machten wir uns auf den Weg in unser Klassenzimmer und auf Maries Vorschlag hin setzten Jonas und ich uns zusammen, Marie nahm den frei gewordenen Platz neben Marcel ein. Es gab zwar etwas Getuschel im Klassenzimmer, aber ansonsten wurde die neue Sitzordnung von den anderen kommentarlos hingenommen. Zu Beginn stand gleich eine Doppelstunde Englisch bei Frau Schnell an. Diese betrat energisch das Klassenzimmer und augenblicklich kehrte Ruhe im Klassenzimmer ein.

“So liebe Klasse, ich hoffe, ihr habt ein schönes Wochenende gehabt und euch einigermaßen von den Reisestrapazen erholt. Mein Wochenende war leider nicht so entspannt. Ich musste mit dem Direktor und den Eltern von Leon, Sven und Tim reden. Wir ihr sicherlich bereits bemerkt haben dürftet, sind diese 3 Mitschüler von Ihnen heute nicht anwesend und das auch aus gutem Grund. Der Direktor und ich waren uns einig, die 3 bis auf weiteres vom Unterricht zu suspendieren. Am Ende dieser Woche findet eine Lehrerkonferenz statt, auf der über die Zukunft der 3 an dieser Schule entschieden wird. Soviel erst mal dazu, dann lasst uns mit dem Unterricht beginnen.”

Augenblicklich herrschte Unruhe und aufgeregtes Gemurmel im Klassenraum.

“Ruhe bitte, verschiebt eure Unterhaltungen bitte in die Pause.”

Erst jetzt schien Frau Schnell die neue Sitzordnung in der Klasse aufzufallen.

“Ich sehe, dass es eine neue Sitzordnung im Klassenzimmer gibt?”

Marie meldete sich als Klassensprecherin gleich zu Wort, wofür ich ihr auch dankbar war.

“Ja Frau Schnell, das haben wir eben vor dem Unterricht so ausgemacht.”

“Ja geht in Ordnung. Ich wünsche aber in Zukunft vorher gefragt zu werden.”

“Ja Frau Schnell, natürlich. Entschuldigen Sie”, meinte Marie.

“Schon gut. Also dann schlagt mal bitte alle Seite 16 in eurem Englischbuch auf.”

Schon hatte uns der Schulalltag wieder. Ich hoffte wirklich, dass Leon und die anderen von der Schule verwiesen werden würden, denn ohne sie war unsere Klasse eigentlich ganz ok. Die Zeit verging wieder erwarten schnell und bald war auch schon Pause. Diese verbrachte ich mit Jonas, Marie, Marcel und Lisa. Der Rest des Schultages war dann auch recht schnell vorbei.

Zu Hause angekommen war ich mit Hausaufgaben eingedeckt, so dass ich den Rest des Nachmittags beschäftigt war und am Abend stand dann wieder das Buchstudium bei uns zu Hause an. Es war jetzt inzwischen schon Viertel nach 6, also hatte ich noch eine gute Dreiviertel Stunde, um mich dafür fertig zu machen. Also ging ich duschen, zog mir Hemd und Krawatte an und brachte meine Haare in Form. Viertel vor 7 war ich mit allem fertig und beschloss unten im Wohnzimmer noch bei den letzten Vorbereitungen zu helfen. Ich half Daniel und meinem Vater noch die letzten Stühle in den gewohnten Kreis zu stellen, und als wir damit fertig waren, kamen dann auch schon die ersten Gäste. Als erstes trudelten Max und seine Eltern ein, aber sie hatten heute noch eine junge Frau im Schlepptau, die ich vorher noch nie gesehen hatte, ich war gespannt, um wem es sich bei ihr handeln würde. Ich begrüßte Max und seine Eltern freundlich, meine Eltern und Daniel taten es mir nach, auch wenn die Begrüßung von Daniel und Max ein wenig reservierter ausfiel wie sonst, aber vielleicht hatte ich mir das ja auch nur eingebildet oder die beiden hatten wirklich Stress. Ich nahm mir vor meinen Bruder heute Abend nochmal auf den Zahn zu fühlen, aber erst einmal wollte ich wissen, um wenn es sich bei der geheimnisvollen Fremden handelte. Ich schätzte sie so etwa in Max Alter. Sie war relativ groß hatte lange dunkle Haare, ein schönes Gesicht und außerdem ein sympathisches Lachen, wie ich so eben feststellte, als sie schüchtern lächelnd vor uns stand.

“He Max, magst du uns deine Begleiterin nicht vorstellen”, fragte ich neugierig.

“Oh ja klar entschuldigt, wie unhöflich von mir. Darf ich euch Katrin vorstellen, ich habe sie in einer Nachbarversammlung kennengelernt, in der mein Vater einen Vortrag als Gastredner hielt und naja wir haben uns sofort gut verstanden. Heute ist sie offiziell als meine feste Freundin dabei, wir haben vor, sobald wir beide mit der Schule fertig sind, zu heiraten.”

Meine Eltern waren sofort ganz entzückt und gratulierten dem jungen Paar. Ich war ganz ehrlich ein wenig vor dem Kopf gestoßen, den Max hatte nie etwas von ihr erzählt und wenn ich in das verdutzte Gesicht meines Bruders sah, schien ihm es ganz ähnlich zu gehen.

“Ok, na dann herzlichen Glückwunsch euch beiden. Verzeiht, dass ich ein wenig überrascht bin, wie lange kennt ihr euch denn jetzt schon?”

“Luca, sei doch nicht immer so neugierig, das ist unhöflich”, intervenierte meine Mutter plötzlich.

“Nein, nein schon gut Schwester Hellmann. Ich kann Luca ja verstehen, immerhin habe ich bis dato von mir und Kathrin nichts erzählt. Also gut, wir haben uns vor ungefähr 4 Wochen kennengelernt und wie ich schon eben sagte, sofort gut verstanden. Nach dem Vortrag meines Vaters waren wir noch bei Katrins Familie zum Essen eingeladen und naja, es hat sofort gefunkt zwischen uns beiden. Wir haben dann Telefonnummern ausgetauscht, Kontakt gehalten und seit gestern sind wir fest zusammen.”

“Ok, dann alles Gute nochmal von mir.”

“Vielen Dank Luca”, sagte Max und auch Katrin bedankte sich artig.

Nun waren alle Augen auf Daniel gerichtet, da er der einzige war, der bisher keinerlei Reaktion auf die Neuigkeiten gezeigt hatte.

“Ja, dann von mir auch alles Gute”, meinte er knapp und machte sich ins Wohnzimmer davon.

Also seine Reaktion sprach Bände fand ich, seine Freude hielt sich eindeutig in Grenzen, um es noch zurückhaltend auszudrücken. Irgendetwas musste zwischen ihm und Max vorgefallen sein und zwar zu der Zeit, als ich in Verona war, denn davor war noch alles in Ordnung. Ich nahm mir vor, Daniel heute Abend nach dem Buchstudium darauf anzusprechen.

Die restlichen Teilnehmer des Buchstudiums trafen dann auch kurz danach ein und nach einer Stunde war die Veranstaltung dann auch schon wieder vorbei. Daniel verzog sich direkt nach dem Ende, unter dem Vorwand, noch etwas für die Schule tun zu müssen, auf sein Zimmer. Ich konnte meinem Vater ansehen, dass er von Daniels Benehmen nicht gerade begeistert war, denn er erwartete von uns stets so lange zu bleiben, bis sich der letzte Gast nach Hause verabschiedet hatte, aber vor den anderen Gästen sagte er natürlich nichts dazu, aber wie ich meinen Vater kannte, würde es bestimmt noch ein Nachspiel geben. Dann war es also an mir, mich als guter Sohn höflich an dem Smalltalk zu beteiligen und nach einer guten halben Stunde war es dann überstanden, als dann auch Katrin, Max und seine Familie als letzte unser Haus verließen. Kaum hatten die letzten Gäste unser Haus verlassen, machte sich mein Vater wutentbrannt auf den Weg nach oben in Daniels Zimmer. Da ich diese Auseinandersetzung auf keinen Fall verpassen wollte, machte ich schon Anstalten meinem Vater zu folgen, wurde aber von diesem sofort wieder zurückgepfiffen.

“Luca, du bleibst hier unten bei Mama und hilfst ihr beim aufräumen. Hast du mich verstanden?”

Ich unternahm einen schwachen Versuch, meinen Vater doch noch umzustimmen.

“Aber Papa, mir ist gerade eingefallen, dass ich noch dringend was für die Schule erledigen muss, dass hätte ich jetzt beinahe vergessen.”

“Das hat noch Zeit, bis ich mit Daniel geredet habe, solange bleibst du hier unten und hilfst Mama. Ist das klar?”

“Ja Papa, ist ok.”

Also half ich meiner Mutter die Stühle wegzuräumen und das Wohnzimmer wieder in den Ursprungszustand zurückzuversetzen. Aus dem Obergeschoss konnte ich laute Stimmen wahrnehmen. Daniel und mein Vater schienen sich heftig zu streiten, aber leider konnte ich nicht genau verstehen, was gesprochen wurde. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass hier irgendetwas nicht stimmte, und das hier etwas vor mir verheimlicht wurde, aber es redete ja leider keiner mit mir. Ich wurde immer noch wie ein kleines Kind behandelt und das nervte mich gewaltig. Irgendwann kam mein Vater dann wieder herunter, ich konnte ihm ansehen, dass er sich mächtig aufgeregt hatte.

“So Luca, du kannst jetzt in dein Zimmer gehen und deine restlichen Schularbeiten erledigen.”

“Ja Vater, alles klar, dann gute Nacht euch.”

“Gute Nacht Luca”, kam es von meinen Eltern.

Ich beobachtete meine Eltern noch, wie sie sich flüsternd unterhielten, sie wollten offenbar sicher gehen, dass ich ja auch nichts mitbekomme. Diese ständige Geheimnistuerei in dieser Familie ging mir inzwischen mächtig gegen den Strich. Ich wollte endlich antworten haben und die waren am ehesten von Daniel zu bekommen, also machte ich mich direkt auf den Weg in sein Zimmer. Ich klopfte zaghaft an und als ich keine Antwort erhielt, ging ich einfach hinein. Ich sah meinen Bruder auf dem Bett liegen, ich konnte sehen das er geweint hatte.

“Man Luca, was willst du denn? Ich will einfach alleine sein, ok?”

“Man Daniel, rede doch bitte mit mir. Was ist denn los? Keiner redet mit mir. Ich will jetzt endlich wissen, was hier läuft.”

“Es ist alles ok. Ich hatte nur einen kleinen Streit mit Papa.”

“Ja ich habe gehört, dass ihr gestritten habt, aber dabei ging es doch nicht nur darum, dass du dich unhöflich den Gästen gegenüber verhalten hast, oder?”

“Doch, um was soll es denn sonst gegangen sein?”

“Keine Ahnung, sag du es mir. Hier stimmt doch irgendetwas nicht, erst deine Krankheit, dann bringen sie dich zu den Großeltern, angeblich damit ich mich nicht anstecke und seit du wieder hier bist, bist du so verändert, ich erkenne dich kaum noch wieder. Mit Max hast du dich anscheinend auch gestritten. Ich will jetzt sofort wissen was hier los ist, wir haben uns doch auch sonst immer alles erzählt.”

“Man Luca, ich habe keine Ahnung, was du dir hier zusammenreimst, aber du bist echt auf dem Holzweg. Papa war nur angepisst, weil ich einfach auf mein Zimmer gegangen bin und mit Max habe ich mich gestritten, ja das ist wahr. Aber das kommt ja wohl in den besten Freundschaften mal vor. Das renkt sich schon wieder ein, keine Sorge.”

“Und das ist wirklich alles?”

“Ja, das ist alles. Ist die Fragestunde jetzt beendet, denn ich bin echt müde und würde gerne ins Bett gehen.”

“Ok, dann gute Nacht.”

“Gute Nacht Luca.”

Mit gemischten Gefühlen machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Hatte ich mir das alles wirklich nur eingebildet? Sah ich jetzt schon Gespenster? Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als Daniel zu glauben, immerhin hatte er mich noch nie angelogen. Ich machte mich also bettfertig und telefonierte nochmal mit Jonas. Ich hatte eine Entscheidung getroffen und mir für morgen fest vorgenommen, mit Rahel Schluss zu machen und das teilte ich Jonas auch mit. Jonas beteuerte mir zwar nochmal, dass er mir in der Hinsicht keinen Druck macht, aber ich konnte ihm anhören, wie sehr er sich darüber freute. Also schrieb ich Rahel eine SMS und bat sie um ein Treffen an unserem Platz, da ich dringend mit ihr reden musste und dies nicht am Telefon tun wollte. Rahel willigte ein und wir verabredeten uns für morgen Abend. Oh man, das würde wirklich ein schwieriges Gespräch werden, ich hatte keine Ahnung, wie ich mit ihr Schluss machen sollte. Mit einer blöden Ausrede brauchte ich ihr gar nicht zu kommen, sie kannte mich schließlich besser als jeder andere und würde es sofort merken, wenn ich sie anlüge. Dann blieb also nur noch die Wahrheit, aber konnte ich ihr wirklich sagen, dass ich mich in einen Jungen verliebt habe? Ich wusste nicht, ob sie das verstehen würde, aber wenn nicht sie, wer dann?

Ich wollte ihr auf keinen Fall weh tun, aber das blieb wohl nicht aus. Ich beschloss ihr morgen die Wahrheit zu sagen, denn ich hielt dieses Doppelleben einfach nicht mehr aus. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass sie mich vielleicht nicht sofort, aber irgendwann, verstehen würde. Mit diesen Gedanken in meinem Kopf fiel es mir schwer zur Ruhe zu kommen, doch irgendwann musste ich dann doch eingeschlafen sein. In der Nacht schreckte ich hoch, weil ich einen total schlimmen Traum hatte. In meinem Traum erzählte ich Rahel alles, sie wurde wütend und beschimpfte mich als Schwuchtel und drohte es allen zu erzählen. Ich flehte sie an, es für sich zu behalten, doch sie lachte mich nur aus, danach wachte ich schweißgebadet auf. Verdammt, ich hatte so einen trockenen Mund, ich musste unbedingt etwas trinken. Dummerweise hatte ich mal wieder vergessen, mir eine Wasserflasche neben das Bett zu stellen. Also musste ich notgedrungen aufstehen und mir eine aus dem Kühlschrank in der Küche holen. Auf dem Rückweg kam ich an Daniels Zimmer vorbei und merkte, dass bei ihm noch Licht brannte. Ich war schon versucht bei ihm zu klopfen, doch überlegte es mir dann doch anders, ich hatte echt keine Lust schon wieder von ihm angeschnauzt zu werden. Später dachte ich noch oft an diesen Moment zurück und wünschte mir, ich hätte mich anders entschieden, ich hätte vielleicht alles ändern können, ich hätte Daniel vielleicht noch retten können.

Am nächsten Morgen wurde ich mal wieder durch das penetrante Klingeln meines Weckers geweckt. Ich hatte die Nacht nicht sonderlich gut geschlafen und fühlte mich dementsprechend erschlagen. Ich schleppte mich aber dennoch ins Badezimmer und machte mich für die Schule fertig. Eine halbe Stunde später setzte ich mich an den bereits gedeckten Frühstückstisch zu meinen Eltern, nur von Daniel war noch nichts zu sehen.

“Luca, hast du deinen Bruder gesehen? Wir wollen endlich mit dem Frühstück anfangen.”

“Nein, ich habe ihn noch nicht gesehen. Vielleicht hat er ja verschlafen? Ich sehe mal nach ihm.”

Also machte ich mich wieder auf den Weg nach oben und klopfte bei Daniel. Keine Reaktion. Ich beschloss etwas lauter zu klopfen. Doch immer noch keine Reaktion.

“Daniel was ist los, hast du verpennt? Die Eltern warten bereits mit dem Frühstück.”

Immer noch war kein Mucks aus dem Zimmer zu hören, also drückte ich die Türklinke herunter um ins Zimmer zu gelangen, doch es war verschlossen. Ich hämmerte gegen die Türe.

“Man Daniel mach sofort auf. Das ist jetzt langsam nicht mehr lustig. Lass mich endlich rein.”

Ich hämmerte weiter auf die Tür ein, doch von Daniel immer noch keine Reaktion. Plötzlich stand mein Vater neben mir und meinte:

“Was ist denn hier los? Warum machst du so einen Krach? Wo bleibt dein Bruder?”

“Er reagiert einfach nicht auf mein Klopfen und sein Zimmer ist verschlossen.”

“Lass mich mal. Daniel mach sofort die Tür auf, sonst werde ich langsam wirklich sauer.”

Aber immer noch keine Reaktion. Jetzt hämmerte auch mein Vater gegen die Türe und inzwischen stand auch meine Mutter, aufgeschreckt von dem Lärm den wir veranstalteten, neben uns.

“Was ist denn hier los”, fragte sie.

“Dein Sohn macht einen auf beleidigte Leberwurst und öffnet seine Zimmertür nicht. Aber warte, der wird mich jetzt kennenlernen. Daniel das ist jetzt deine letzte Chance, entweder du machst sofort auf, oder ich trete diese verdammte Tür ein”, schrie mein Vater.

“Also gut, du lässt mir keine andere Wahl.”

Mein Vater nahm Anlauf und versuchte immer wieder die Zimmertür einzutreten. Doch im echten Leben war es nicht so einfach wie im Fernsehen, wo die Türen anscheinend aus Pappe bestehen. Erst nach mehreren Anläufen gab die Tür langsam nach, bis sie dann letztendlich mit einem lauten Knall aufflog. Sofort stürmten wir in das Zimmer. Daniel lag im Bett und schien immer noch seelenruhig zu schlafen, aber das war bei dem Krach, den wir veranstaltet hatten, unmöglich. Ich begann mir jetzt langsam echt Sorgen zu machen, irgendetwas stimmte hier überhaupt nicht. Ich stürmte zu Daniels Bett und begann ihn zu rütteln.

“Daniel was ist mit dir? Steh auf, komm schon, das ist langsam echt nicht mehr lustig.“

Doch er rührte sich nicht. Panik stieg in mir auf. Ich hörte meine Mutter schreien.

“Oh mein Gott, er hat meine Schlaftabletten geschluckt. Es ist keine mehr in der Packung.”

Jetzt bemerkte ich auch die leere Packung Schlaftabletten, daneben befand sich eine leere Flasche Jack Daniels Whiskey. Mein Vater begann meine Mutter an der Schulter zu packen und zu schütteln.

“Wie viele? Wie viele Tabletten waren noch in der Packung?”

“Keine Ahnung. Ich weiß es nicht, mindestens 8. Er muss sie mir aus meiner Schublade geklaut haben.”

Jetzt wurde auch mein Vater panisch.

“Mein Gott, ruf den Notruf an, schnell, wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren.”

Meine Mutter schien wie versteinert und rührte sich nicht. Immer wieder murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu uns:

“Ich habe sie doch zum schlafen gebraucht. Ich habe doch so schlecht geschlafen die letzte Zeit.”

Mein Vater schrie sie jetzt an:

“Hörst du nicht, den Notruf, schnell.”

Erst jetzt schien meine Mutter aus ihrer Erstarrung zu erwachen und sprintete zum Telefon. Ich war derweil immer noch über Daniel gebeugt und versuchte ihn mit allen Mitteln wach zu kriegen. Die Tränen liefen mir in Strömen herunter, ich versuchte seinen Puls zu fühlen, doch ich konnte keinen wahrnehmen.

“Papa, ich kann keinen Puls fühlen und ich glaube, er atmet nicht mehr. Bitte Daniel verlass mich nicht, bleib bei mir, ich brauch dich doch.”

Ich fing an noch heftiger an ihm zu rütteln, doch er rührte sich einfach nicht.

“Luca, geh da weg.”

Mein Vater zerrte mich weg von Daniel, legte ihn auf den Boden und brachte ihn in stabile Seitenlage, danach versuchte er es immer wieder mit Wiederbelebungsversuchen und Mund zu Mund Beatmung, doch nichts schien zu funktionieren. Ich kauerte derweil in der Ecke und war ganz starr vor Angst um meinen Bruder und verfiel in eine Art Trance. Wie durch einen Schleier nahm ich die folgenden Ereignisse war. Mein Vater war immer noch über Daniel gebeugt und kämpfte verzweifelt um sein Leben, auch er konnte die Tränen nicht mehr länger zurück halten. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen endlich die Rettungssanitäter und brachten meinen Bruder ins Krankenhaus. Meine Mutter fuhr im Krankenwagen mit, mein Vater und ich im Auto hinterher. Im Auto redete mein Vater immer wieder beruhigend auf mich ein.

“Luca, mach dir keine Sorgen. Er schafft es, er wird es schaffen, ok.”

Ich konnte vor lauter Angst keinen klaren Gedanken mehr fassen.

“Papa, was ist, wenn er stirbt?”

“Er stirbt nicht ok, niemand wird hier sterben, ich verspreche es dir.”

Nach einer gefühlten Ewigkeit trafen wir endlich im Krankenhaus ein. Mein Vater stürmte sofort zum Empfang, an der eine korpulente Dame mit freundlichem Blick saß.

“Richard Hellmann mein Name, mein Sohn Daniel Hellmann müsste so eben bei Ihnen eingeliefert worden sein. Wo ist er jetzt?”

“Beruhigen Sie sich erstmal. Er ist bereits im OP und wird notoperiert, sie können gerade nichts für ihn tun. Bitte nehmen Sie sich kurz Zeit, dieses Formular auszufüllen, danach bringe ich Sie in den Wartebereich, Ihre Frau ist bereits auch dort.”

Genervt ließ mein Vater das Procedere über sich ergehen, ehe wir von einer Schwester in den Wartebereich geführt wurden, dort stand bereits meine Mutter, der ich sofort weinend in die Arme fiel.

“Mama wie geht's ihm. Weißt du schon irgendetwas?”

“Nein, man hat mir bisher noch keine Auskünfte geben können. Ich halte diese Warterei einfach nicht mehr länger aus.”

Mein Vater schloss uns beide in die Arme und versuchte uns zu beruhigen.

“Macht euch keine Sorgen. Er wird es schaffen. Daniel ist ein Kämpfer. Er wird es schaffen, er muss einfach.”

Wie ein Mantra wiederholte er immer die gleichen Worte, wohl auch um sich selbst zu beruhigen. Nach endlosen Momenten des Hoffens und Bangens, wurde endlich die OP - Tür geöffnet und ein Arzt kam auf uns zu. Ich versuchte in seinem Gesicht zu erkennen, ob er gute oder schlechte Nachrichten für uns hatte, aber ich konnte es nicht ausmachen.

“Sind Sie Familie Hellmann?”

Mein Vater antwortete für uns.

“Ja sind wir. Wie geht es meinem Sohn? Können wir zu ihm?”

Plötzlich setzte der Arzt eine ernste Miene auf und sagte:

“Es tut mir sehr leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass ihr Sohn so eben verstorben ist. Wir haben wirklich alles menschenmögliche getan um sein Leben zu retten, aber es war einfach zu spät.”

“Nein, nein, das kann nicht sein. Es muss sich um eine Verwechslung handeln, ich rede von meinen Sohn Daniel Hellmann, sie müssen sich getäuscht haben”, meinte mein Vater flehend.

“Nein. Es tut mir Leid. Sie können jetzt zu ihm und sich von ihm verabschieden.”

Ich brach nach diesen Worten völlig zusammen und fing an auf den Arzt einzuschlagen.

“Sie lügen. Sie lügen doch. Ich will ihn sehen. Ich will ihn sofort sehen.”

“Junge, beruhige dich doch. Es tut mir sehr leid. Ich weiß, er war dein Bruder.”

Mein Vater zog mich von dem Arzt weg und nahm mich und meine Mutter fest in den Arm. Wir weinten alle 3 jetzt hemmungslos.

Mein Vater war der erste von uns, der seine Stimme wiederfand.

“Herr Doktor, bringen Sie uns bitte zu ihm.”

Wir wurden in ein Krankenzimmer geführt und dort lag er, bis zu diesem Moment hatte ich immer noch irgendwie gehofft, dass es sich nur um einen bösen Traum handelt, doch jetzt erwachte ich jäh aus meinem Wunschdenken. Daniel war tot. Mein Bruder war tot und würde auch nicht zurückkommen. Ich legte mich zu Daniel ins Bett und nahm meinen Bruder ein letztes Mal in den Arm. Ich war inzwischen wie betäubt, es fühlte sich an als wenn ein Teil von mir mit ihm gestorben wäre. Meine Mutter brach bei dem Anblick ihres toten Sohnes völlig zusammen und schlug immer wieder auf meinen Vater ein.

“Es ist deine Schuld. Es ist deine Schuld”, wiederholte sie immer wieder.

“Maria beruhige dich doch. Wir werden Daniel wiedersehen. Wir müssen jetzt Glauben haben. Wir werden Daniel ganz sicher bald im Paradies wiedersehen.”

Zur Erklärung:

Die Zeugen Jehovas glauben, dass sie nach dem Gericht Gottes über die gottlose Welt, in dem die meisten Menschen vernichtet werden, die Erde danach wieder aufbauen und in ein Paradies umwandeln, so wie es ursprünglich bei Adam und Eva geplant war. Naja und die Verstorbenen Zeugen und guten Menschen kehren dann von den Toten zurück. Dann sind alle vollkommen und unsterblich und leben für immer glücklich im Paradies auf Erden, ohne Krankheit und Tod.

Doch meine Mutter ließ sich einfach nicht beruhigen, also verließ mein Vater mit ihr für einen Moment den Raum. Das gab mir die Gelegenheit noch ein letztes Mal mit Daniel allein zu sein. Ich streichelte ihm liebevoll über das Gesicht und ließ meinen Tränen freien Lauf.

“Man Daniel, warum hast du das getan? Warum hast du mich nur allein gelassen? Ich schaffe es doch nicht ohne dich. Warum hast du denn nicht mit mir geredet, wir haben uns doch sonst immer alles gesagt? Wieso wolltest du nicht mehr leben, was kann denn so schlimm sein, dass man nur noch Suizid als Ausweg sieht? Oder war das ganze nur ein Unfall und du wolltest dir gar nichts antun? Verdammt Daniel, wie kannst du mich nur so zurücklassen, was hast du dir nur dabei gedacht? Ich verspreche dir, das ich nicht ruhen werde, bis ich weiß, was mit dir geschehen ist. Du warst der beste Bruder, den man sich wünschen kann. Ich werde dich nie vergessen und immer in meinem Herzen tragen und vielleicht sehen wir uns ja eines Tages wieder, wenn es so etwas wie ein Paradies tatsächlich gibt. Dann warte dort auf mich. Ich liebe dich, machs gut Daniel, ich hoffe, du hast jetzt deinen Frieden gefunden.”

Die folgenden Tage waren echt der Horror. Meine Mutter stand total neben sich und weinte den ganzen Tag, sie machte sich große Vorwürfe, dass Daniel an ihre Schlaftabletten gekommen war. Mein Vater wollte von einem Suizid nichts wissen und beteuerte stets, dass es ich bei Daniels Tod, um einen bedauerlichen Unfall handeln würde. Da ein Suizid im Raum stand, war auch die Polizei bei uns, um uns zu befragen. Da Daniel aber weder ein Abschiedsbrief noch etwas vergleichbares hinterlassen hatte und wir auch keinerlei Angaben zu einem Motiv machen konnten, konnte diese Frage nicht abschließend geklärt werden, also wurde Daniels Leichnam zur Bestattung freigegeben. Mein Vater übernahm zum Glück alles Organisatorische, was mit der Beerdigung zu tun hatte, denn weder ich noch meine Mutter wären dazu in der Lage gewesen. Als Jonas von Daniels Tod erfuhr, wollte er gleich zu mir kommen und mir beistehen, aber ich wollte das nicht. Ich wollte momentan niemanden sehen, nur Rahel kam zu mir durch. Sie stand mir bei, mit ihr konnte ich über meinen Schmerz und meine tiefe Verzweiflung reden, nicht zu wissen, was genau mit Daniel passiert ist. An ihrer Schulter konnte ich mich ausweinen und ihr von meiner tiefen Sehnsucht erzählen, Daniel vielleicht im Paradies wiederzusehen. Jonas versuchte auch die folgenden Tage mich anzurufen und schrieb mir Textnachrichten, doch ich ging weder ans Telefon, noch antwortete ich auf seine Nachrichten. Ich konnte ihn einfach momentan nicht sehen, es ging einfach nicht.

Es war inzwischen Freitagabend, am nächsten Morgen sollte Daniels Beerdigung stattfinden. Mich graute es vor diesem Tag, denn ich wollte Daniel nicht loslassen und hatte Angst, dass es ein Abschied für immer ist. Zum Glück war Rahel bei mir, sie baute mich auf und gab mir Mut. Sie verstand mich einfach, wir mussten noch nicht einmal miteinander reden, es tat mir einfach gut, dass sie da war. Sie musste dann aber schließlich doch irgendwann nach Hause. Zur Verabschiedung umarmten wir uns lange und sie versprach mir den morgigen Tag mit mir gemeinsam durchzustehen. Ich konnte einfach nicht anders und brach schon wieder in Tränen aus, wie so oft die letzten Tage. Ich war einfach nur noch ein Nervenbündel. Kurz nachdem Rahel gegangen war, klingelte es an der Tür. Ich fragte mich wer das wohl noch sein mochte.

“Papa ist schon gut, bleib im Arbeitszimmer, ich mach auf.”

Ich öffnete die Tür und vor mir stand Jonas.

“Was machst du denn hier?”

“Ich wollte dich sehen. Bitte lass uns reden, ja.”

“Das ist jetzt der komplett falsche Zeitpunkt, morgen wird mein Bruder beerdigt.”

“Ja ich weiß, deswegen bin ich ja hier, um dir beizustehen. Ich kann dich morgen auf die Beerdigung begleiten, wenn du möchtest?”

“Nein, nur Angehörige und enge Freunde.”

“Kann ich denn gar nichts für dich tun?”

“Nein, ich fürchte nicht.”

“Können wir nicht noch kurz miteinander reden, bitte?”

“Hör zu, ich habe gerade nicht den Kopf für so was. Wir reden am Montag, dann bin ich wahrscheinlich wieder in der Schule.”

Ich konnte sehen, dass Tränen in seine Augen stiegen, er tat mir ja leid, aber ich konnte einfach nicht anders.

“Ok, ich wünsche dir viel Kraft für morgen.”

“Ok, danke.”

“Und du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du irgendetwas brauchst oder du einfach nur reden willst, ok.”

“Ok, danke Jonas.”

Danach schloss ich die Türe und ließ Jonas draußen zurück. Ich konnte mich gerade einfach nicht mit ihm beschäftigen, meine Gedanken kreisten nur um Daniels morgige Beerdigung. Ich fragte mich einfach immer wieder, ob Daniel bewusst Selbstmord begangen hatte, oder ob es wirklich nur ein Unfall war. Diese Gedanken quälten mich. Aber wenn Daniel wirklich bewusst Suizid begangen hatte, wieso hinterließ er keinen Abschiedsbrief oder irgendeine Erklärung. Er hätte doch gewusst, was er uns damit antut, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es Daniel egal war. Ich durchsuchte krampfhaft sein Zimmer nach irgendwelchen Hinweisen, doch ich konnte einfach nichts finden. Diese quälende Ungewissheit machte mich einfach fertig.

Die meiste Zeit der Nacht lag ich wach und konnte keinen Schlaf finden. Ich wünschte mir so sehr, dass ich in jener Nacht in Daniels Zimmer gegangen wäre, dann hätte ich ihn wahrscheinlich noch retten können. Diese Gedanken machten mich einfach fertig.

Ich schreckte hoch, als mein Wecker plötzlich klingelte. Ich hatte kaum geschlafen und fühlte mich auch dementsprechend. Ich schleppte mich in mein Badezimmer und erschrak förmlich, als ich mich im Spiegel sah. Ich sah furchtbar aus. Ich hatte dicke rot geschwollene Augen und dunkle Ringe darunter. Man sah mir an, dass ich die letzten Nächte kaum geschlafen hatte. Wie mechanisch machte ich mich für die Beerdigung fertig, ich konnte einfach nicht glauben, dass Daniel nicht mehr hier war. Nachdem ich fertig angezogen war, machte ich mich auf den Weg nach unten. Meine Eltern saßen bereits schweigend am Frühstückstisch, jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen und so bemerkten sie mich erst nicht.

“Da bist du ja mein Schatz, setz dich doch. Magst du was essen?”

“Nein danke Mama, nur Kaffee, ich bekomme eh nichts herunter.”

“Ja, geht mir auch so, ich wünschte, dieser furchtbare Tag wäre schon vorbei.”

“Ja Mama, ich auch.”

Mein Vater beteiligte sich gar nicht an dem Gespräch und saß nur apathisch da. Nicht einmal den Tagestext wollte er betrachten, wie auch schon die ganze Woche nicht. Ich machte mir echt langsam Sorgen um ihn.

“Papa geht's dir gut. Ist alles ok bei dir?”

Erst jetzt schien mein Vater wieder anwesend zu sein.

“Nein Luca, nichts ist ok, ich habe meinen Sohn verloren und ich gebe mir die Schuld daran. Ich hätte ihm mehr zuhören und ihm helfen müssen. Ich habe versagt, verstehst du, ich habe als Vater versagt.”

Daraufhin brach mein Vater in Tränen aus. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich ihn weinen sah. Er war sonst immer so stark und unerschütterlich, aber jetzt schien selbst er am Ende seiner Kräfte zu sein. Ich hielt es nicht aus, meinen Vater so zu sehen und nahm ihn aus einem Impuls heraus in den Arm und versuchte beruhigend auf ihn einzureden.

“He Papa, hör auf. Es ist doch nicht deine Schuld, du konntest doch nicht wissen, was in Daniel vorging. Wir haben doch alle nichts gemerkt.”

“Doch, ich war sein Vater, ich hätte ihn retten müssen und jetzt ist er tot.”

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sich mein Vater wieder einigermaßen im Griff hatte und die ganze Zeit über lagen wir uns in den Armen. Ich hatte mich meinem Vater noch nie so nahe gefühlt wie in diesem Augenblick. Meine Mutter saß währenddessen völlig versteinert und unbeteiligt am Tisch, ohne einen Ton von sich zu geben.

“Verzeiht meinen Ausbruch, wir müssen langsam los”, meinte mein Vater plötzlich.

“He Papa, ist doch kein Problem, du bist auch nur ein Mensch und kannst nicht immer stark sein.”

“Danke Luca, ich hab dich lieb, weißt du das?”

Diese Äußerung meines Vaters trieb mir dann doch wieder die Tränen in die Augen, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, heute stark zu bleiben.

“Ich hab dich auch lieb, Papa.”

Ein letztes Mal umarmten wir uns noch und auch meine Mutter schloss ich in die Arme, die erst in diesem Moment aus ihrer Trance aufzuwachen schien.

Danach machten wir uns dann auf den Weg in den Königreichssaal, in dem die Gedenkfeier stattfinden sollte.

Als wir in der Versammlung ankamen, war der Saal bereits brechend voll. Alle waren gekommen, um Daniel die letzte Ehre zu erweisen. Es war wirklich schwer, die vielen mitleidigen Blicke zu ertragen und so war ich dann auch froh, als wir unsere reservierten Plätze in der ersten Reihe einnahmen und die Trauerfeier begann. Finns Vater, ein enger Freund der Familie, hielt die Trauerrede. Er sprach darüber, was Daniel doch für ein toller Junge gewesen ist und wie viel Freude er allen bereitet hatte. Er sagte, dass mein Bruder immer vollen Einsatz für seine Familie, Freunde und die Versammlung gezeigt hatte und uns allen unendlich fehlen wird, aber dass wir uns sicher sein können, ihn im Paradies wiederzusehen. Die ganze Rede über hatte ich einen dicken Kloß im Hals, versuchte aber stark zu bleiben. Am Ende der Rede wurde noch gesungen und für Daniel gebetet. Danach stellten sich meine Eltern und ich, wie bei den Zeugen üblich, nach vorne und nahmen die Beileidsbekundungen der anderen entgegen, die sich dafür in eine Reihe aufgestellt hatten. Einer nach den anderen sprach uns Mut zu und bot seine Hilfe an, falls wir irgendetwas benötigen sollten. Ich ließ das ganze Procedere über mich ergehen und versuchte stark zu bleiben, was mir aber nur so lange gelang, bis meine Freunde an der Reihe waren, die sich ganz hinten angestellt hatten. Gegenüber Finn, Lea und Rahel gelang es mir noch einigermaßen meine Gefühle zurückzuhalten, aber als Max an der Reihe war, brachen meine Gefühle nur so aus mir heraus und wir lagen uns weinend in den Armen. Es musste für ihn auch verdammt hart sein, immerhin waren er und Daniel von klein auf beste Freunde gewesen, auch wenn sie sich kurz vor Daniels Tod zerstritten hatten. Nach der Trauerfeier begaben sich meine Eltern, ich und Daniels beste Freunde an sein Grab, um ihn die letzte Ehre zu erweisen. Der Reihe nach erzählte jeder nochmal von schönen Erlebnissen, die sie mit Daniel hatten, bevor wir ihn letztendlich bestatteten. Ich bestand darauf, dass nur die Familie und Daniels beste Freund am Grab anwesend sind, denn das hätte Daniel mit Sicherheit auch so gewollt und meine Eltern waren damit zum Glück auch einverstanden. Als Zeugen Jehovas verzichteten wir natürlich auf die Ansprache des Pfarrers am Grab und so wurde Daniel hinab gelassen und ein Teil von mir mit ihm, so fühlte es sich zumindest an.

Anschließend fand bei uns zu Hause noch ein kleiner Umtrunk statt, zudem dann wieder alle Gemeindemitglieder eingeladen waren und auch zahlreich erschienen. Meine Eltern mussten sich um gar nichts kümmern, denn es wurden zahlreiche Kuchen, Salate und andere Speisen von den anderen mitgebracht. Meine Eltern hielten sich den Umständen entsprechend echt tapfer. Mein Vater unterhielt sich mit den Gästen und meine Mutter lenkte sich mit Kaffee kochen ab.

Mir wurde der Trubel bald zu viel, daher zog ich mich mit Erlaubnis meine Eltern zusammen mit meinen Freunden auf mein Zimmer zurück.

Dort nahm mich Rahel gleich liebevoll in den Arm. Ich weiß gar nicht, wie ich die letzten Tagen ohne ihre Unterstützung überstanden hätte.

“He Luca, ich bin echt stolz auf dich. Du hältst dich wirklich tapfer”, meinte sie.

“Danke, ich versuche mich auch so gut es geht zusammenzureißen. Aber es geht hier nicht nur um mich. Daniel war auch euer Freund und speziell Max muss es auch beschissen gehen.”

In diesem Augenblick betrat Max, wie auf ein Stichwort hin, mein Zimmer. Er hatte seine neue Freundin Katrin im Schlepptau.

“He, da seid ihr ja, ich habe euch bereits gesucht.”

“Hi, kommt herein, ich habe einfach mal ein bisschen Pause von diesem Trubel gebraucht.”

“Das kann ich verstehen. Ich wollte dir übrigens noch mal in aller Form mein Beileid ausdrücken. Ich kannte Daniel zwar nicht persönlich, aber ich habe von Max nur Gutes über ihn gehört, er muss ein ganz toller Junge gewesen sein.”

“Danke Katrin, ja das war er und dazu noch der beste Bruder, den man sich vorstellen kann. Max, gut das du da bist, ich wollte schon die ganze Zeit mal mit dir sprechen. Wie geht es dir denn eigentlich damit?”

Max war sichtlich bewegt und antwortete mir nur mit brüchiger Stimme, Katrin hielt dabei die ganze Zeit über seine Hand.

“Am Anfang konnte ich es gar nicht glauben, dass er tot ist und ich nicht einfach zu euch rüber gehen und mit ihm quatschen kann. Eigentlich kann ich es immer noch nicht richtig glauben.”

Danach liefen ihm die Tränen über das Gesicht und Katrin nahm ihn den Arm und versuchte ihn zu trösten.

“Vielleicht ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür, aber ich muss es einfach wissen: Über was haben du und Daniel euch kurz vor seinem Tod gestritten?”

“Ach, über nichts wichtiges, nur Lapalien.”

“Max, sag mir bitte die Wahrheit. Daniel war kurz vor seinem Tod so seltsam und ich bin mir sicher, dass es auch etwas mit dir und eurem Streit zu tun hatte.”

“Luca hör auf, findest du das jetzt nicht ein bisschen heftig. Siehst du nicht, dass es ihm auch beschissen geht”, räumte Finn plötzlich ein.

“Finn halt dich verflucht nochmal daraus”, raunzte ich ihn an.

“Max, erzähle mir jetzt endlich die Wahrheit!”

“Also gut Luca, wir haben uns wegen Katrin gestritten. Er war sauer, dass ich ihm nicht von Anfang an von ihr erzählt hatte und dass ich zuletzt so wenig Zeit für ihn hatte.”

“Und das ist wirklich alles?”

“Ja verdammt, das ist alles.”

“Luca, jetzt lass es doch bitte mal gut sein“, meinte Lea.

“Nein verdammt. Versteht ihr denn nicht, das ich verzweifelt auf der Suche nach einem Grund für seinen Tod bin? Wir wissen immer noch nicht mit Sicherheit, ob es ein Unfall war oder ob er sich absichtlich das Leben genommen hat.”

“Daniel hätte sich nie freiwillig das Leben genommen. Er hat das Leben geliebt, es war ein Unfall, verdammt”, brach es aus Max heraus.

“Woher willst du das wissen, auch die Polizei geht eher von einem Suizid aus, ich meine, er hat ein Haufen Schlaftabletten geschluckt, wer macht denn so was wenn er sich nicht umbringen will?”

“Was weiß denn ich, vielleicht wusste er nicht, dass es sich um Schlaftabletten handelt und dachte es sind Aspirin oder so? Das einzige, was ich mit Bestimmtheit weiß, ist, dass Daniel sich niemals umgebracht hätte. Er hätte uns das niemals freiwillig angetan und außerdem wurde ja auch kein Abschiedsbrief gefunden, oder nicht?”

“Ja, vielleicht hast du Recht, deswegen hat die Polizei ja auch ihre Ermittlungen eingestellt. Hör zu Max, es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht so angehen, ich bin einfach mit den Nerven am Ende, weißt du?”

“He Luca, ist schon gut. Ich verstehe dich doch, uns geht es doch nicht anders. Komm her, wir machen jetzt eine Gruppenumarmung, wie früher immer.”

Anschließend nahmen wir uns alle in die Arme. Es tat mir echt gut, solch tolle Freunde zu haben. Wir erzählten uns noch den ganzen Abend lustige Anekdoten über Daniel und ich konnte sogar ab und zu wieder lachen. Nach und nach löste sich unsere Runde auf, bis nur noch Rahel und ich übrig waren.

“He, alle Leute mit Ausnahme meiner Eltern sind bereits gegangen und sie wollen auch so langsam los. Soll ich noch ein wenig bei dir bleiben oder mit ihnen mitfahren?”

“Nein, ist schon gut. Fahr ruhig mit, ich komm schon klar.”

“Bist du sicher, ich kann auch gerne noch hier bleiben, das mache ich gerne, wirklich.”

“Ja ich weiß, aber das ist wirklich nicht nötig. Ich gehe noch ein wenig Sport machen, das wird mich schon ablenken.”

“Ok, aber wenn irgendetwas ist oder du einfach nur jemanden zum reden brauchst, rufst du mich an, ok?”

“Ok, versprochen. Jetzt hau schon ab”, meinte ich lachend.

“Ich liebe dich Luca und ich bin immer für dich da, ok? Ich wollte nur, dass du das weißt.”

“Ich liebe dich auch und ich danke dir für alles. Ich weiß nicht, was ich die letzten Tage ohne dich gemacht hätte.”

“Nicht dafür, ich bin immer für dich da, gerade jetzt, wo du mich am meisten brauchst.”

Daraufhin küssten wir uns und es fühlte sich gut an.

Nachdem Rahel gegangen war, powerte ich mich, wie ich es vorhatte, noch einmal richtig im Fitnesskeller aus. Es tat mir gut, mich voll auf das Training zu konzentrieren und mal nicht pausenlos an Daniel zu denken.

Nach einer erfrischenden Dusche machte ich mich bettfertig in der Hoffnung, noch ein wenig Schlaf zu finden. Erst als ich im Bett lag, fiel mir auf, dass ich schon den ganzen Tag kein einziges Mal auf mein Handy gesehen hatte. Also nahm ich es zur Hand und stellte fest, dass sich zahlreiche Mitteilungen und verpasste Anrufe darauf befanden. Ich überflog die ganzen Mitteilungen, die meisten waren von Jonas, er war es auch, der mich mehrmals versucht hatte anzurufen, aber es befanden sich auch Mitteilungen von Marie, Marcel und Lisa darauf, die mir allesamt ihr Beileid bekundeten.

Ich schrieb nicht zurück, ich hatte momentan einfach keinen Kopf dazu.

Jonas schrieb mir immer wieder, dass er an mich denkt und unbedingt mit mir reden möchte. Ich beschloss, dass es an der Zeit war, mit ihm zu reden. Ich hatte eine Entscheidung getroffen, was unsere Beziehung angeht und es war einfach nicht fair, ihn noch länger hinzuhalten. Also schrieb ich ihm folgende Mitteilung:

“Ok reden wir, schaffst du es in einer halben Stunde am Spielplatz bei unserem Haus zu sein?”

Er schien sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen von mir gewartet zu haben, denn seine Antwort folgte postwendend.

“Ok, werde da sein. Bis gleich.”

Ich zog mich also wieder an und ging in Gedanken nochmal durch, was ich Jonas heute sagen wollte. Lautlos schlich ich mich aus dem Haus und begab mich auf den kurzen Weg zum Spielplatz. Von Jonas war noch nichts zu sehen, ich war aber etwas früh dran. Also setzte ich mich auf die Schaukel und beschloss zu warten. Keine 5 Minuten später näherte sich ein Fahrrad und ja - bei dem Fahrer handelte es sich um Jonas. Er stellte sein Fahrrad ab und kam direkt auf mich zu. Wortlos nahm er mich in die Arme und ich ließ es geschehen.

“Wie geht's dir Luca? Ich bin so froh, das du dich endlich gemeldet hast. Ich war schon ganz krank vor Sorge.”

“Setz dich Jonas. Wir müssen reden.“

“Ok, jetzt machst du mir ein bisschen Angst. Was ist los Luca?”

“Hör zu, durch Daniels Tod hat sich alles geändert. Das mit uns muss aufhören, ich kann das einfach nicht mehr.”

“Was redest du da? Wir lieben uns. Ich kann ja verstehen, dass du wegen Daniels Tod durcheinander bist, aber an unseren Gefühlen füreinander hat sich doch nichts geändert.”

“An meinen schon. Ich möchte Daniel im Paradies wiedersehen und das werde ich nicht, wenn ich weiter mit dir zusammen bleibe.”

“Was redest du denn da? Was denn für ein Paradies?”

“Wir glauben, dass nach dem Gericht Gottes über die Menschheit, Harmagedon genannt, die Erde von den Überlebenden in ein Paradies umgewandelt wird, wie es von Anfang an auch vorgesehen war bei Adam und Eva, bevor der Sündenfall kam. Wenn es dann soweit ist, werden die rechtschaffenen Verstorbenen, zu denen auch mein Bruder gehören wird, von den Toten wieder auferweckt und kehren auf die Erde zurück. Ich werde aber Harmagedon nicht überleben, wenn ich unsere Beziehung nicht beende. Die Bibel ist da eindeutig und sagt, dass Männer, die bei männlichen Personen liegen, Gottes Königreich nicht ererben werden.”

“Was redest du denn da? Wir hatten das doch alles schon und wir waren uns einig, dass man die Bibel in diesem Punkt nicht so wörtlich nehmen kann. Komm Luca, hör auf damit, du hast dich da in etwas verrannt.”

“Nein, da haben wir es uns wohl ein bisschen zu einfach gemacht. Ich kann nicht riskieren, mein ewiges Leben zu verspielen und meinen Bruder nie wiederzusehen. Verstehst du das denn nicht? Ich habe einfach zu viele offene Fragen an ihn, auf die ich sonst niemals eine Antwort bekommen werde.”

“Nein, ich verstehe das ganz und gar nicht. Luca, das ist doch verrückt. Ich liebe dich doch, bitte tu uns das nicht an.”

“Aber ich liebe dich nicht.”

“Hör auf, das sagst du doch jetzt nur so. Ich weiß, dass du mich liebst, bitte Luca.”

Er sah mich mit flehenden Augen an und versuchte meine Hand zu ergreifen, ich schlug seine aber weg.

“Man kapierst du denn nicht. Ich habe dich nie geliebt. Ich wollte mich einfach ein wenig ausprobieren und sehen, wie das mit einem Jungen ist. Ich habe aber jetzt festgestellt - das ist nichts für mich. Also lass mich endlich in Ruhe.”

“Du lügst doch. Ich glaube dir kein Wort.”

“Man jetzt check doch endlich, dass ich nur mit dir gespielt habe oder warum glaubst du, habe ich nie mit Rahel Schluss gemacht?”

Plötzlich stiegen Tränen in Jonas Augen und er gab mir eine Backpfeife.

“Ich hasse dich, hörst du? “

Und schon rannte er davon, schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr davon.

Jetzt kamen auch bei mir die Tränen, nicht wegen der Backpfeife, die hatte ich definitiv verdient, sondern weil ich Jonas so weh tun musste. Ich wollte das nicht, im Grunde meines Herzens liebte ich ihn noch immer, aber es durfte einfach nicht sein. Ich musste dieses Opfer bringen, dass wusste ich jetzt, sonst würde ich Daniel nie wiedersehen. Es war nur so verdammt schwer. Am liebsten hätte ich ihn in den Arm genommen, aber stattdessen sagte ich diese furchtbaren Dinge zu ihm. Aber was hätte ich sonst tun sollen, er wollte mir ja einfach nicht glauben, dass ich ihn nicht mehr liebe? Ich saß noch lange da und konnte einfach nicht mehr aufhören zu weinen, aber ich wusste, dass es nunmal keinen anderen Weg gab, als diese Beziehung zu beenden. Ich musste mich jetzt darauf konzentrieren, ein guter Christ zu sein, damit ich Harmagedon auch garantiert überleben würde, das war das Einzige was zählt, sonst würde ich Daniel nie wiedersehen.

Das Wochenende verbrachte ich ausschließlich mit Rahel und meinen Freunden und versuchte auf andere Gedanken zu kommen, was mir auch wenigstens teilweise gelang. Ich musste einfach versuchen Jonas zu vergessen, was nicht so einfach war, da ich ihm ja tagtäglich in der Schule begegnete.

Ab Montag ging ich dann wieder in die Schule. Am Anfang waren noch alle ziemlich besorgt um mich, vor allem Marie. Aber ich hatte beschlossen, jeglichen Kontakt zu meinen Mitschülern abzubrechen und stieß alle immer wieder vor den Kopf. Auch Jonas bemühte sich Anfangs noch um mich, aber ich stieß ihn immer wieder zurück. Mit der Zeit wurden diese Versuche weniger und ich erreichte mein Ziel - ich war in der Klasse wieder völlig isoliert. Man feindete mich jetzt nicht an oder so, vor allem nachdem Leon und seine Freunde, wie ich mit Genugtuung zur Kenntnis nahm, tatsächlich von der Schule geflogen waren, aber man ließ mich in Ruhe und das war genau das, was ich wollte. Mit der Zeit schienen sich Jonas und Marcel anzunähern, ich weiß jetzt nicht, ob mich Jonas eifersüchtig machen wollte oder ob sie jetzt tatsächlich zusammen waren, aber ich sah zufällig, wie die beiden sich küssten. Erst machte mich das völlig fertig und kurzzeitig wankte mein Beschluss, mich von Jonas fern zu halten sogar, aber am Ende schaffte ich es stark zu bleiben. Ich wünschte Jonas einfach vom ganzen Herzen, dass er glücklich wird, aber zusammen konnten wir das nunmal nicht. Ich begann das langsam zu akzeptieren.

Etwa 6 Monate nach Daniels Beerdigung fand meine Mutter das es an der Zeit war, Daniels Zimmer auszuräumen und seine Sachen in den Keller zu bringen. Keiner von uns hatte es in der Zwischenzeit über das Herz gebracht, Daniels Zimmer zu betreten, und obwohl ich meiner Mutter meine Hilfe anbot, bestand sie darauf es alleine zu tun, sie meinte das ihr das bestimmt in der Trauerbewältigung helfen würde. Sie wollte damit anfangen, nachdem ich das Haus verließ, um zur Schule zu gehen. Doch als ich wieder nach Hause kam, sah ich sie weinend auf den Boden in Daniels Zimmer kauern, umgeben von seinen Sachen. Ich hielt dieses Bild einfach nicht aus und nahm meine Mutter ganz fest in den Arm.

“Ich schaffe es einfach nicht Luca. Ich dachte, ich wäre schon soweit, aber ich bin es nicht. Ich schaffe es einfach nicht seine Sachen in den Keller zu bringen.”

“Mama, ist schon gut. Ich mache das, ok. Ich rufe Rahel an und wir machen das zusammen, ok?”

“Tut mir leid Schatz, aber ich schaffe es einfach nicht. Traust du dir denn das schon zu?”

“Mit Rahel zusammen krieg ich das hin. Mach dir keine Sorgen.”

“Danke mein Schatz.”

Meine Eltern wussten jetzt auch offiziell, dass Rahel und ich ein Paar waren und reagierten erstaunlich locker und freuten sich sogar für mich. Vor allem mein Vater hatte sich seit Daniels Tod sehr zum Positiven verändert und war bei weitem nicht mehr so streng wie zuvor. Sogar die Nachricht, dass Jonas unser Heimbibelstudium beendet hatte, nahm er kommentarlos zur Kenntnis. Wir hatten sogar mittlerweile echt ein gutes Verhältnis zueinander. Ich rief also Rahel an und bat sie, mir beim ausräumen von Daniels Sachen zu helfen und sie willigte sofort ein.

Eine halbe Stunde später schlug sie bei uns auf und wir machten uns gemeinsam auf den Weg in Daniels Zimmer. Es fiel mir echt schwer, sein Zimmer zu betreten, aber ich hatte es meiner Mutter schließlich versprochen, also drückte ich dicht gefolgt von Rahel, die Türklinke herunter und trat ein.

Es war schlimm, alles in diesem Zimmer erinnerte mich an Daniel und ich war echt froh, dass Rahel zu meiner Unterstützung dabei war. Beim durchgehen von Daniels Sachen fielen mir immer wieder Fundstücke aus unserer gemeinsamen Kindheit in die Hände und so konnte ich Rahel noch manch lustige Anekdote erzählen. Auf einmal fiel mir ein Bild in die Hände, das ich Daniel als Kind gemalt hatte. Darauf waren er und ich abgebildet, wir hielten uns an den Händen und hielten gegen unseren Vater zusammen, der uns mit erhobenen Zeigefinger gegenüber stand. Ich konnte nicht fassen, dass Daniel diese Zeichnung aufbewahrt hatte und musste schmunzeln.

“Weißt du, Daniel und ich haben in unserer Kindheit immer wie Pech und Schwefel zusammen gehalten und wenn einer Mist gebaut hatte, wurde er vom anderen gedeckt, du kannst dir ja vorstellen, wie streng unsere Eltern waren. Daniel hatte sogar in seinem Zimmer ein kleines Geheimversteck, indem wir verbotene Sachen vor unseren Eltern versteckten, wie CDs, die Bravo und so was. Es war unser kleines Geheimnis und unsere Eltern haben dieses Versteck auch nie entdeckt. Verdammt, natürlich, warte mal.”

Ich robbte so schnell ich konnte unter Daniels Bett und machte mich an einer losen Holzdiele zu schaffen, mit bloßem Auge kaum zu bemerken, aber ich wusste, welche locker war und hob sie an. Ich langte in den schmalen Spalt hinein und ja es befand sich tatsächlich etwas darin. Es fühlte sich an wie ein Buch. Ich zog es heraus und ich erkannte sofort, worum es sich handelte - Daniels Tagebuch.

Um das Tagebuch herum war ein kleiner Gummi gewickelt, an dem ein zusammengefaltetes Blatt Papier hängte. Ich öffnete es hastig und begann zu lesen:

He kleiner Bruder,

ich wusste, dass du mein Tagebuch finden würdest. Lies es bitte und dann wirst du alles verstehen. Der letzte Eintrag ist dir gewidmet, ließ ihn bitte erst am Schluss.

In Liebe Daniel

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