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Der verlorene Sohn
Teil 7 - Lucas Befreiung
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Informationen
- Story: Der verlorene Sohn
- Autor: LucaG
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out
Vorwort
So es ist geschafft Teil 7 ist fertig und das diesmal in Rekordzeit:-) Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und freue mich wie immer über Feedback jeder Art.
Ich schnappte mir meine Reisetasche und folgte Marie in ihr Zimmer. Im Haus war es ganz ruhig, außer Marie schien niemand da zu sein.
"Sind deine Eltern nicht zu Hause?“
"Nein, die sind mit meinem kleinen Bruder beim Fußball und kommen erst heute Abend wieder.“
"He, ich wusste gar nicht das du einen Bruder hast?“
"Na dann weißt du es eben jetzt. Er heißt Mark, ist 14 Jahre alt und spielt hier im örtlichen Verein Fußball und heute haben sie mal wieder ein Heimspiel. Er ist momentan voll in der Pubertät und echt anstrengend.“
"Ok, meinst du, deine Eltern haben nichts dagegen, wenn ich ein paar Tage hier bleibe?“
"Keine Ahnung, das sehen wir dann, nachdem ich sie gefragt habe“, lachte Marie.
"Ok, ich will aber niemanden zur Last fallen.“
"Ja, ist schon gut, wenn du wirklich in Schwierigkeiten steckst, wären meine Eltern glaube ich die Letzten, die dir nicht helfen würden.
Wir gingen die Treppe hinauf ins Obergeschoss und blieben vor einer Tür stehen.
"So da wären wir, das ist mein Reich. Stell deine Reisetasche ab und mach es dir bequem.“
Maries Zimmer war spartanisch, aber gemütlich eingerichtet und wir machten es uns in ihrer Sitzecke bequem.
"Magst du was trinken?“
"Ja, ne Cola wäre cool wenn du hast.“
"Ja habe ich, kommt sofort.“
Kurze Zeit später kam Marie mit einem Tablett zurück auf dem sich eine große Flasche Cola, 2 Gläser und eine Schüssel mit Chips befanden.
"So Bitteschön der Herr und jetzt erzähl endlich was los ist.“
"Kurz vor Daniels Tod lief es zwischen mir und Jonas echt super. Ich war total verliebt und mir meiner Gefühle endlich total sicher und hatte mir fest vorgenommen, mit Rahel Schluss zu machen und ihr alles zu erzählen. Dann kam aber Daniels plötzlicher Tod und alles war auf einmal anders. Jonas versuchte zwar für mich da zu sein, aber ich ließ ihn nicht an mich heran. Ich konnte einfach nicht. Ich war total verzweifelt, weil ich nicht wusste, was genau in dieser Nacht geschehen war, als Daniel starb. Hatte er sich bewusst das Leben genommen oder war es nur ein schrecklicher Unfall? Diese Fragen, auf die ich keine Antworten bekam, quälten mich. Ich suchte das ganze Zimmer meines Bruders nach irgendwelchen Hinweisen ab, aber ich fand einfach nichts. Ich begann mich dann immer mehr mit unseren Glauben zu trösten, dass wir die rechtschaffenen Toten im Paradies auf Erden wiedersehen würden und ich war überzeugt, dass Daniel auch zu ihnen gehören würde. Ich redete mir ein, dass ich also nur ein gottgefälliges Leben führen musste und dann Daniel im Paradies wiedersehen und endlich Antworten auf meine Fragen finden würde. Ich musste also den Umgang mit euch Ungläubigen einstellen und mich darauf konzentrieren zu tun, was die Bibel lehrt. Auch wenn es mir das Herz brach, machte ich daher mit Jonas Schluss, da ich als Homosexueller nicht ins Paradies kommen würde, glaubte ich. Danach begann ich mich auch nach und nach von dir und den anderen zurückzuziehen und wieder mein altes Leben als Außenseiter zu führen, immer in der Annahme, dass ich das Richtige tun würde.
Ich stoppte für einen Moment meiner Erzählung, um einen Schluck Cola zu trinken.
"Und was hat sich jetzt plötzlich geändert?"
Marie sah mich erwartungsvoll an.
"Ich habe heute zusammen mit Rahel Daniels Tagebuch gefunden.“
"Oh mein Gott und was steht drin?“
Also fasste ich Marie den Inhalt des Tagebuchs zusammen und ließ sie den Abschiedsbrief an mich sogar selber lesen, da ich es nicht fertig brachte.
Marie sah mich danach mit verheulten Augen an.
"Oh man Luca, das tut mir so leid. Es ist wirklich furchtbar, was deinem Bruder widerfahren ist und er hat absolut Recht mit dem, dass du dich von deinen Eltern und deiner Religion befreien musst. Du kannst dich auf mich verlassen. Ich werde dir helfen, ich lasse dich jetzt nicht im Stich.“
„Danke Marie, ich wüsste echt nicht, was ich ohne dich machen würde.“
"He, dafür sind Freunde doch da.“
"Du meinst, du verzeihst mir, auch nachdem ich dich das letzte halbe Jahr so mies behandelt habe?“
"Ja du Blödmann, vergeben und vergessen. Ich kann dich ja auch irgendwie verstehen. Es ist genauso wie bei uns der Glaube, dass man in den Himmel kommt, der Mensch, vor allem wenn er verzweifelt ist, will an etwas glauben, dass ihm Hoffnung gibt. Und jetzt komm in meine Arme, du Depp.“
Danach nahmen wir uns erst mal fest in die Arme und mussten beide dabei schluchzen.
"He, du hast doch gesagt, dass du das Tagebuch mit Rahel zusammen gelesen hast?
Wie hat sie eigentlich auf die Vermutung deines Bruders reagiert, dass du in Jonas verliebt bist?“
"Sie hat mich direkt darauf angesprochen, ob es stimmt. Ich konnte ihr dabei noch nicht einmal in die Augen sehen und habe einfach nur genickt. Sie meinte daraufhin, dass sie es wohl im Grunde ihres Herzens gewusst habe und es einfach nur nicht wahrhaben wollte. Sie sagte sogar, dass sie wohl ziemlich egoistisch gewesen sei, aber das ist sie nicht. Sie ist der beste Mensch, den ich jemals kennengelernt habe und sie hatte es definitiv nicht verdient, so von mir belogen zu werden. Sie hat mich sogar ermutigt, meine Sachen zu packen und von zu Hause abzuhauen. Sie meinte, ich solle auf mein Herz hören und zu Jonas gehen.“
"Wow, was für eine tolle Frau. Ich würde sie echt gerne mal kennenlernen.“
"Ja, vielleicht klappt das ja mal. Aber ich muss jetzt unbedingt wissen, was du über Jonas weißt. Wie geht es ihm? Ist er jetzt wirklich mit Marcel zusammen? Meinst du, ich habe noch eine Chance bei ihm?“
"Wow, mach mal langsam, dass sind ja jede menge Fragen, die du da hast.“
"Bitte, Marie, ich muss es wissen. Wenn du etwas weißt, dann sag es mir bitte.“
"Ist ja gut, dann musst du mich aber mal zu Wort kommen lassen“, lachte sie.
Plötzlich hörte man aus dem Untergeschoss Stimmen. Maries Familie musste nach Hause gekommen sein.
"Wir sind wieder da. Schatz bist du zu Hause?“
"Oh, das sind meine Eltern. Bleibe du erst mal hier. Ich erkläre ihnen alles.“
"Ok, aber wenn sie nicht wollen, dass ich hier bleibe, ist das auch nicht so schlimm. Ich komme schon irgendwo unter.“
"Ach, jetzt rede mal keinen Quatsch, lass mich mal machen.“
Danach verschwand sie und blieb auch für die nächsten 20 Minuten verschwunden.
"Ok, ich habe alles mit meinen Eltern geklärt, du kannst heute Nacht hier bleiben. Sie wollen aber peinlicherweise, dass du im Gästezimmer schläfst. Ich habe Ihnen zwar versucht zu erklären, dass du schwul bist und zwischen uns nichts laufen wird, aber sie bestehen darauf.“
"Oh man Marie, das ist voll peinlich. Ist doch klar, dass es deinen Eltern lieber ist, dass ich im Gästezimmer schlafen, immerhin kennen sie mich noch nicht mal. Ich bin ja froh, dass sie mich überhaupt hier schlafen lassen.“
"Mach dir mal keine Sorgen. Ich habe meinen Eltern grob alles erzählt und sie waren echt schockiert. Sie wollen dir auf jeden Fall helfen und erwarten dich in einer halben Stunde zum Essen. So und jetzt wollte ich nochmal auf deine Fragen zurückkommen: Wie geht es Jonas? Also die erste Zeit, nachdem du mit ihm Schluss gemacht hast, ging es ihm wirklich beschissen. Er hat sich mehr als einmal bei mir die Augen wegen dir ausgeheult, aber ich konnte ihm ja auch nicht helfen, an dich war ja nicht mehr ranzukommen. Mit der Zeit ist es etwas besser geworden, dank Marcel. Er hat ihm in der schweren ersten Zeit beigestanden und ja, ich denke die beiden sind sich dabei auch näher gekommen. So weit ich weiß, sind sie aber nicht zusammen, da Jonas momentan nicht bereit für eine neue Beziehung ist, aber wenn es nach Marcel gehen würde, denke ich, wären sie schon längst zusammen. Ob du noch eine Chance bei ihm hast? Schwierig, du hast ihm echt verdammt weh getan, aber ich weiß, dass du seine ganz große Liebe warst. Wenn du ihm die gleiche Geschichte erzählst, die du mir erzählt hast und richtig um ihn kämpfst, könntest du noch eine Chance bei ihm haben, denke ich.“
"Meinst du wirklich?“
"Ja verdammt, du musst jetzt aber richtig um ihn kämpfen und ihm zeigen, dass du es diesmal ernst meinst.“
"Ok, ich werde alles versuchen, um Jonas zurückzugewinnen. Ich bin zu allem bereit, ich hoffe nur, dass es noch nicht zu spät ist.“
"Ach Kopf hoch, dass renkt sich schon wieder ein zwischen euch.“
In dem Moment klopfte es an der Türe.
"Ja herein.“
Ein blonder Junge lugte mit dem Kopf in Maries Zimmer hinein.
"Ich wollte nur sagen, dass das Essen fertig ist, ihr sollt runter kommen. Ich bin übrigens Mark“, sprachs und schüttelte mir die Hand.
"Hi Mark, freut mich dich kennenzulernen. Ich bin der Luca.“
So machten wir uns zu dritt auf den Weg in das Esszimmer.
"So Mama, Papa, darf ich euch vorstellen, das ist der Luca.“
"Freut mich dich kennenzulernen, ich bin die Ruth und mein Mann ist der Dirk. Du kannst uns ruhig dutzen.“
Ich schüttelte natürlich artig Maries Eltern die Hände.
"Vielen Dank nochmal für Ihre Gastfreundschaft und es riecht übrigens großartig hier.“
"Das freut mich, ich hoffe du magst Spaghetti Bolognese. Es ist Marks Lieblingsessen und zur Feier des Tages, da sein Team gewonnen hat, gibt es das heute.“
"Ach und wenn wir verloren hätten, hätte ich ohne Essen ins Bett gemusst, oder was“, lachte Mark.
"Nein, ein Brot hättest du dir vorher schon noch schmieren können“, lachte Maries Vater.
"Ach ne, dass ist ja gnädig von euch“, meinte Mark.
Daraufhin mussten alle am Tisch lachen und es herrschte eine entspannte Atmosphäre am Tisch.
"Magst du noch etwas haben Luca, es ist noch genug da?“
"Nein, vielen Dank Frau Baumann, es war wirklich lecker, aber wenn ich noch etwas esse platze ich.“
"Luca, wie sollst du mich nennen?“
"Oh ja, Entschuldigung, Ruth meinte ich“.
Danach musste Maries Mutter lachen.
"Quatsch Luca, ich ziehe dich doch nur auf, wenn dir Frau Baumann lieber ist, dann bleib ruhig dabei.“
Plötzlich begann mein Handy zu vibrieren. Es war mein Vater, also hatte er inzwischen meine Notiz gelesen.
"Entschuldigung, ich hätte mein Handy oben lassen sollen.“
"Nein, ist schon gut. Geh ruhig ran, wenn es wichtig ist“, meinte Maries Vater.
"Nein, ist es nicht. Es ist nur mein Vater und mit dem will ich eh gerade nicht sprechen.“
"Ja du Armer, Marie hat uns erzählt was gerade bei dir zu Hause los ist. Wenn wir dir irgendwie helfen können, dann lass es uns wissen“, sagte Maries Mutter.
"Ja danke. Für den Moment ist mir aber schon geholfen, wenn ich hier übernachten darf. Vielen Dank dafür nochmal.“
"Klar, ist doch kein Problem. Du kannst so lange bleiben, wie du magst. Du solltest dir aber vielleicht überlegen, dass Jugendamt einzuschalten, wenn du nicht mehr zurück nach Hause willst.“
"Danke Ruth. Ja daran habe ich noch gar nicht gedacht, aber es wird wahrscheinlich das Beste sein. Meine Eltern und vor allem mein Vater werden meinen Entschluss niemals akzeptieren.“
"Wenn du willst, rufe ich für dich morgen Vormittag gleich mal beim Jugendamt an, erkläre Ihnen den Sachverhalt und mache schon mal einen Termin für dich aus.“
"Ja, das wäre super. Vielen Dank nochmal, für alles.“
"Ist doch gar kein Problem, für uns ist es selbstverständlich das wir einen Jungen in so einer Situation nicht im Stich lassen“, entgegnete Maries Vater.
"Siehst du Luca, ich habe dir doch gesagt, dass meine Eltern dir helfen werden. Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut werden.“
"Danke Marie. Ich kann dir gar nicht genug für deine Hilfe danken.“
"Klar Schatz. Ich bin immer für dich da.“
Nach dem Essen hing ich noch ein wenig mit Marie in ihrem Zimmer ab, bevor ich meinen Sachen ins Gästezimmer verfrachtete und mich langsam bettfertig machte. Dort rief ich dann auch gleich Rahel an, damit sie sich keine Sorgen machte.
"He Luca, schön das du dich gleich meldest. Wo bist du denn jetzt? Geht es dir gut?“
"He Rahel, ich bin bei der Marie untergekommen. Ihre Eltern sind total nett und wollen mich sogar beim Gang zum Jugendamt unterstützen.“
"Da bin ich aber froh, dass es dir gut geht. Hier ist die Hölle los. Deine Eltern haben überall angerufen und gefragt, ob jemand weiß wo du steckst. Ich habe ihnen natürlich nichts erzählt. Also wunder dich nicht, wenn du von Finn und Lea auch noch Anrufe bekommst.“
"Meine Eltern können mir gestohlen bleiben, nachdem was sie Daniel angetan haben, möchte ich nie wieder etwas mit denen zu tun haben, aber danke für die Vorwarnung. Ok, ich muss dann Schluss machen.“
"Meldest du dich wieder?“
"Klar, ich halte dich auf jeden Fall auf dem Laufenden. Schlaf gut.“
"Ja du auch. Ciao.“
"Ciao.“
In dieser Nacht fand ich kaum Schlaf. Mir gingen so viele Gedanken im Kopf herum. Ich wollte Jonas Herz zurückgewinnen und überlegte krampfhaft, wie ich das anstellen sollte. Außerdem würde mir noch ein schwerer Gang zum Jugendamt bevorstehen, aber ich werde das auf jeden Fall durchziehen. Für mich gibt es kein zurück mehr. Ich werde niemals wieder nach Hause zurückkehren. Nach endlosem Grübeln verfiel ich dann doch in einen kurzen traumlosen Schlaf.
Nach gefühlten 5 Minuten tütete dann auch schon wieder mein nerviger Wecker und riss mich aus meinen viel zu kurzem Schlaf. Ich quälte mich aus dem Bett und begab mich auf den Weg in das Badezimmer, dass ich mir mit Mark teilen sollte. Ich klopfte zaghaft an.
"Kannst reinkommen. Es ist offen.“
Mark stand nur mit einem Handtuch bekleidet, dass er sich um die Hüften gewickelt hatte, vor dem Spiegel und putzte sich gerade die Zähne. Für seine 14 Jahre war seine Muskulatur schon echt gut ausgebildet, man sah ihm an, dass er Fußball spielte und auch sonst sehr sportlich war.
"Bin gerade fertig mit duschen geworden. Kannst ruhig schon mal duschen gehen, wenn es dich nicht stört, dass ich auch da bin, aber du kannst beruhigt sein, du hast nichts, was ich nicht schon gesehen hätte.“
Daraufhin grinste er mich frech an.
"Nein. Ist schon ok. Es stört mich nicht das du da bist.“
Also begann ich mich zu entkleiden, schnappte mir ein Handtuch und ging unter die Dusche. Ich konnte dabei aber Marks Blicke auf mir spüren. Der freche Bengel, tat noch nicht einmal so, als würde er wo anders hinsehen.
"Wenn du fertig mit duschen bist, bin ich weg. Dann kannst du dich in Ruhe fertig machen.“
"Ok, danke Mark.“
"Kein Ding. Ich bin froh, dass wir dir helfen können“, sprachs und verschwand aus dem Badezimmer.
Ich duschte derweil ausgiebig, das warme Wasser tat mir gut auf der Haut und weckte allmählich meine Lebensgeister. Danach zog ich mich an, stylte meine Haare und ging runter ins Esszimmer, wo ich bereits von der gesamten Familie Baumann erwartet wurde.
"Guten Morgen Luca. Na hast du gut geschlafen?“
"Ja vielen Dank Frau Baumann, äh ich meine Ruth.“
Und schon hatte ich wieder unfreiwillig für einen Lacher am Tisch gesorgt. Beim Frühstück herrschte eine lebhafte Atmosphäre. Jedes Familienmitglied erzählte was heute so bei ihnen anstand und es wurde viel gelacht.
Eine halbe Stunde später schnappten Marie und ich unsere Fahrräder und machten uns auf den Weg in die Schule. Ich war schon richtig aufgeregt, dort auf Jonas zu treffen, ich hoffte wirklich, dass er mir verzeihen würde. Zum Glück war Marie da. Sie baute mich auf und sprach mir Mut zu. Am alten Schulgebäude angekommen, sperrten wir unsere Fahrräder an den dafür vorgesehenen Ständern ab. Ich atmete noch einmal tief durch und begab mich dann mit Marie in Richtung unseres Klassenzimmers. Nachdem wir die Tür unseres Klassenzimmers öffneten, trafen uns sofort die verwunderten Blicke unserer Mitschüler, immerhin hatte ich auch mit Marie das letzte halbe Jahr kaum gesprochen. Auch Jonas, der wieder neben Marcel saß, sah uns verwundert an, gab aber keinen Kommentar dazu ab. Ich begab mich gleich zu meinem Tisch, an dem der Stuhl neben mir die letzten 6 Monate unbesetzt gewesen war. Ich staunte nicht schlecht, als ich kurze Zeit später neben mir eine Bewegung wahrnahm und Marie den Platz neben mir einnahm.
"Ist doch noch frei, oder?“
"Klar, für dich doch immer. Aber was ist mit Lisa, ist das nicht ein bisschen unfair ihr gegenüber.“
"Nein Quatsch. Ich habe gerade mit ihr gesprochen und sie ist mir nicht böse, wenn ich mich wieder zu dir setze.“
"Ok, dann ist ja gut. Na dann willkommen zurück am Platz an der Sonne.“
"Ja ist klar, du Knalltüte, du kannst froh sein, dass sich überhaupt jemand neben dich setzt, so beliebt wie du hier noch bist.“
"Ja ich weiß. Danke das du so toll und kein bisschen nachtragend bist.“
"Tja, so bin ich halt. Ein Engel auf Erden“, lachte sie.
Und schon mussten wir wieder kichern und es war genau wie früher.
"He was meinst du, soll ich in der Pause mal versuchen mit Jonas zu reden?“
"Ja mach das und ich lenke derweil Marcel ab. Erwartete aber nicht so viel von diesem Gespräch, er wird es dir bestimmt nicht leicht machen.“
"Ja ich weiß, aber ich werde nicht aufgeben. Er ist meine große Liebe und ich werde um ihn kämpfen.“
"Ja, genau so will ich dich hören. Das ist die richtige Einstellung.“
In diesem Augenblick betrat Frau Schnell gewohnt energisch das Klassenzimmer.
"Guten Morgen Klasse.“
"Guten Morgen Frau Schnell.“
Nachdem sie den Blick über die Klasse schweifen ließ, erkannte sie schnell die veränderte Sitzordnung.
"Ach ne, haben Marie und Luca wieder zueinander gefunden.“
"Ja Frau Schnell, das alte Dreamteam ist wieder vereint. Ich hoffe es ist ok für Sie, wenn wir wieder nebeneinander sitzen“, fragte Marie.
"Ja, meinetwegen geht das in Ordnung, solange ihr euch benehmt und nicht ständig den Unterricht stört.“
"Nein werden wir nicht. Vielen Dank Frau Schnell“, kam es diesmal von mir.
Und schon zog unsere Lehrerin erbarmungslos ihren Lehrplan durch, aber die Zeit verflog heute schnell, so dass schon bald Pause war. In der Pause schnappte sich, wie abgesprochen, Marie Marcel und lenkte ihn ab, um es mir zu ermöglichen, alleine mit Jonas zu sprechen. Ich nutzte dieses Gelegenheit gleich, als ich ihn allein in der Ecke auf dem Schulhof stehen sah, dort schien er auf Marcel zu warten.
"He“, sprach ich ihn wahnsinnig originell an, aber wie immer in solchen Situationen, war mein Kopf total leer.
"He“, kam es von ihm knapp zurück.
"Hör zu Jonas, ich muss dringend mit dir reden. Scheiße, ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll.“
"He Luca, spars dir einfach. Ich will nichts hören.“
"Jonas bitte, es tut mir so unendlich leid, wie ich dich behandelt habe und ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen. Ich kann es aber leider nicht. Ich kann dich nur dafür um Verzeihung bitten.“
"Luca du hast mir mein verdammtes Herz gebrochen und redest seit einem halben Jahr nicht einmal mehr mit mir. Du glaubst echt, mit einem einfachen "Sorry, ist dumm gelaufen“ ist es getan? Ist nicht dein Ernst oder? Keine Ahnung warum Marie dir so schnell verziehen hat, aber ich werde dir ganz bestimmt nicht verzeihen. Das kannst du vergessen und lass mich ab sofort in Ruhe, das hast du schließlich das letzte halbe Jahr auch getan“, sprachs und ließ mich einfach stehen.
Scheiße, diese geplante Aussprache war ja nicht so gut gelaufen, aber ich hatte mir ja bereits gedacht, dass er mir es nicht so einfach machen würde. Es war jetzt an der Zeit schwerere Geschütze aufzufahren und ich hatte auch schon eine Idee, die ich aber noch mit Marie besprechen wollte. Marie wollte natürlich, als ich ins Klassenzimmer zurückkehrte, sofort wissen, wie unsere Aussprache gelaufen war. Nachdem ich ihr von Jonas kühler Reaktion auf meine Entschuldigung erzählt hatte, sprach sie mir Mut zu es weiter zu versuchen. Den Rest des Schultages suchte ich immer wieder Jonas Blicke, doch er schaute immer demonstrativ in die andere Richtung.
Nach Unterrichtsschluss trödelte ich absichtlich, um vielleicht noch einmal eine Möglichkeit zu bekommen, mit Jonas zu reden. Als ich ihn gerade ansprechen wollte, fuhr mir Marcel plötzlich heftig in die Parade.
"Hörst du nicht. Du sollst ihn endlich in Ruhe lassen. Er möchte nichts mehr mit dir zu tun haben. Du hast ihm sein fucking Herz gebrochen und ich musste ihn langsam wieder aufbauen. Ich werde nicht zulassen, dass du ihm wieder weh tust.“
"Halt dich da raus Marcel. Das ist eine Sache zwischen mir und Jonas, das geht dich überhaupt nichts an.“
Wutentbrannt stiess er mich heftig gegen die Wand.
"Das geht mich sehr wohl etwas an. Nimm deine verdammten Finger von ihm und lass ihn endlich in Ruhe.“
Das war der Moment, indem Jonas und Marie zwischen uns gingen, um schlimmeres zu verhindern. Nach diesem Zwischenfall verließ Jonas zügig das Klassenzimmer und Marcel hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Ich konnte sehen, dass Jonas ziemlich angefressen war und die beiden heftig diskutierten, was wieder Hoffnung in mir aufkommen ließ.
"Mit dieser Aktion hat sich Marcel im Kampf um Jonas keinen Gefallen getan. Ich glaube Jonas ist richtig angepisst“, meinte Marie.
"Ja, vielleicht empfindet er ja doch noch etwas für mich und ich habe noch eine Chance bei ihm.“
"Ganz bestimmt sogar. Er muss nur die ganze Geschichte hören, dann wird er dir schon verzeihen.“
"Ja hoffentlich.“
Daraufhin verließ ich mit Marie das Schulgebäude und wir machten uns auf den Weg zu unseren Fahrrädern. Dort angekommen traf mich fast der Schlag, als ich meine Eltern vor meinem Fahrrad stehen sah.
"Was macht ihr hier? Ich will mit euch nichts mehr zu tun haben.“
"Mensch Luca, jetzt nimm doch endlich Vernunft an. Wir können doch über alles reden.“
"Ach ja, du meinst wie du mit Daniel geredet hast und ihn in den Selbstmord getrieben hast.“
"Hör auf mit diesen Schwachsinn Luca. Der Tod deines Bruders war ein bedauerlicher Unfall und ganz bestimmt kein Suizid.“
"Ich habe sein Tagebuch gefunden verdammt und ich weiß jetzt, dass es kein Unfall war.“
"Keine Ahnung, was du da meinst gefunden zu haben, aber es ist einfach nicht wahr.“
"Komm doch bitte wieder nach Hause Schatz. Wir können doch über alles reden. Wo warst du überhaupt letzte Nacht, wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht.“
"Nein Mama, ich werde bestimmt nie wieder in dieses Haus zurückkehren und wo ich übernachtet habe, geht euch nichts an und jetzt lasst mich endlich in Ruhe.“
"So redest du nicht mit uns, junger Mann. Du kommst jetzt sofort mit uns nach Hause, sonst werde ich ungemütlich“, meinte mein Vater und packte mich am Handgelenk.
"Lassen sie ihn sofort los oder ich rufe die Polizei“, schrie Marie plötzlich.
"Misch dich nicht in unsere Familienangelegenheiten ein, du kleine Göre.“
In dem Moment gelang es mir, mich aus dem Griff meines Vaters zu befreien und gemeinsam mit Marie lief ich davon. Da wir uns natürlich bestens in dem Schulgelände auskannten, fanden wir auch schnell ein geeignetes Versteck, aus dem wir meine Eltern aus sicherer Entfernung beobachteten. Sie liefen noch eine Weile an unseren Fahrrädern auf und ab, bis sie wohl die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr unsererseits aufgaben und sich in Richtung Parkplatz entfernten. Marie und ich warteten noch, bis wir sie wegfahren sahen, bevor wir zu unseren Fahrrädern zurückkehrten.
"Oh man, deine Eltern sind ja echt Hardcore. Das war wie in einem Film gerade und deinen Vater finde ich echt gruselig.“
"Ja, dann kannst du hoffentlich verstehen, warum ich da raus muss.“
"Ja auf jeden Fall. Ich beneide dich echt nicht um deine Eltern.“
Marie und ich schlossen unsere Fahrräder auf und fuhren ohne weitere Zwischenfälle zu ihr nach Hause.
"Mama wir sind zu Hause.“
"Alles klar Schatz. Ihr seid spät dran heute. Essen ist schon fertig. Wascht euch die Hände und kommt dann gleich runter. Mark ist schon ganz ungeduldig und fast am verhungern“, lachte sie.
"So schlimm ist es auch nicht“, protestierte er. "Man Mum, kannst du mal aufhören immer so peinlich zu sein.“
Nachdem Marie und ich uns die Hände gewaschen hatten, beeilten wir uns an den Tisch zu kommen.
"Ja, das kann ich mir vorstellen, dass die gefräßige Raupe hier schon beinahe am verhungern war“, meinte Marie als wir das Esszimmer betraten.
"Ich bin schließlich Sportler, außerdem noch im Wachstum und daher muss ich viel essen.“
Daraufhin mussten wir alle am Tisch lachen.
"Was lacht ihr denn, ist doch wahr“, meinte Mark und lud sich bereits den Teller voll.
"Sag mal Schatz, ist irgendetwas passiert oder wieso seid ihr so spät dran.“
"Oh ja, das kann man wohl sagen. Lucas Eltern haben uns nach der Schule vor unseren Fahrrädern aufgelauert und wollten Luca zwingen mit ihnen nach Hause zu kommen. Sein Vater hat ihn sogar festgehalten und nicht mal meine Drohung die Polizei zu rufen, hat ihn beeindruckt. Aber zum Glück konnte sich Luca seinem Griff entziehen und wir sind dann geflüchtet und haben uns versteckt bis die Luft wieder rein war. Es war echt voll gruselig, wie in einem schlechten Film.“
"Das kann ja nicht angehen, dass sie euch sogar in der Schule nachstellen. Ich mach mir langsam echt Sorgen um euch. Zum Glück habe ich heute bereits mit dem Jugendamt telefoniert, ihnen Lucas Situation geschildert und einen Termin für morgen Nachmittag gleich bekommen. Wenn du magst Luca, begleite ich dich auch zu diesem Termin?“
"Ja, das wäre echt toll. Vielen Dank Ruth, du bist echt total gut zu mir.“
"Ist doch klar. Wir stehen das schon gemeinsam durch. Die vom Jugendamt werden schon verstehen, dass du nach allem, was passiert ist, nicht mehr nach Hause zurückkehren kannst. Keine Sorge, das werde ich denen schon klar machen.“
"Oh, die vom Jugendamt können sich echt warm anziehen. Mum kann ganz schön überzeugend sein“, lachte Mark.
"Ich danke euch allen. Ihr seid so nett zu mir. Ich wüsste gar nicht, was ich ohne euch tun würde.“
"Nicht dafür Schatz“, meinte Ruth.
Tränen stiegen mir in die Augen und Ruth nahm mich liebevoll in den Arm. Kurz darauf stieg auch Marie in die Umarmung mit ein.
"Ok, wenn alle sich umarmen bin ich auch dabei“, lachte Mark und stieg ebenfalls mit ein.
Wir müssen schon ein lustiges Bild abgegeben haben in diesem Moment, aber der Rückhalt und die Liebe, die mir von Maries Familie entgegengebracht wurde, tat mir einfach gut.
Später saß ich mit Marie in ihrem Zimmer über den Hausaufgaben, die wir zum Glück rasch erledigen konnten.
"Deine Familie ist wirklich toll.“
"Ja, sie sind schon in Ordnung.“
"Nein, sie sind mehr als das, ich wünschte mir, dass ich auch so eine Familie hätte. Weißt du, deine Eltern sind stolz auf dich und Mark, dass kann ich ihnen ansehen und sie stehen bedingungslos hinter euch. Sie lassen euch euren Weg gehen und euch einfach sein wie ihr seid. Oh man, du hast wirklich Glück.“
"Ja ich weiß, aber wenn ich meine Mum heute so beim Mittagessen angesehen habe, bin ich mir sicher, dass sie dich bereits fest ins Herz geschlossen hat und das heißt, dass du jetzt quasi von uns adoptiert bist“, grinste Marie.
"Du bist echt süß. Danke Marie, für alles. Das werde ich dir nie vergessen.“
"Ach komm her mein Schatz“, sprachs und umarmte mich stürmisch.
"Du bist auch ein total süßer, lieber Kerl und Jonas müsste verrückt sein, dich nicht wieder zurückzunehmen.“
"Ja, wenns nur so einfach wäre.“
"He, du hast doch heute in der Schule irgendetwas von einem Plan erzählt, um Jonas zurückzugewinnen. Lass mal hören.“
"Ach so ja. Also ich habe heute gesehen, dass es mehr als eine einfache Entschuldigung braucht, um Jonas zurückzubekommen. Ich brauche einen echten Hammer, dass er sieht, wie ernst ich es diesmal meine. Daher habe ich mir gedacht, Frau Schnell zu bitten, ob ich vor der Klasse sprechen darf und wenn sie dann hoffentlich einwilligt, will ich Jonas vor versammelter Klasse alles erklären, ihm meine Liebe gestehen und mich quasi vor allen gleichzeitig outen. Wie findest du das?“
"Wow, du hast ja großes vor. Ich fände es wahnsinnig mutig von dir, dich vor der ganzen Klasse zu outen und Jonas deine Liebe zu gestehen. Dieser Liebesbeweis wird auch an Jonas nicht spurlos vorüber gehen, da bin ich mir ganz sicher. Also ich finde den Plan super, könnte wirklich funktionieren.“
"Echt, meinst du wirklich?“
"Klar, das wird schon.“
Den ganzen Nachmittag hingen wir noch in Maries Zimmer ab und vertrieben uns die Zeit mit quatschen und Musik hören. Abends saß dann die gesamte Familie zum Abendessen zusammen und es wurde dabei viel gelacht. Ich fühlte mich in dieser Familie echt total wohl.
Später lag ich dann in meinem Bett im Gästezimmer und ließ den Tag gedanklich noch einmal Revue passieren. Meine Eltern hatten echt Nerven. Was haben die denn erwartet? Das ich nach allem was passiert ist, einfach so wieder mit ihnen nach Hause komme. Nein - ich würde niemals wieder in dieses Haus einen Fuß setzten, das schwor ich mir - höchstens um meine restlichen Sachen abzuholen. Ich habe keine Ahnung, was die Zukunft bringt, ich weiß auch, dass ich nicht ewig bei den Baumanns bleiben kann, aber zu meinen Eltern werde ich definitiv nicht zurückkehren. Vielleicht bringt der Termin beim Jugendamt morgen ja mehr Klarheit, aber vorher bin ich noch auf einer Mission: Die Mission Jonas zurückzugewinnen. Ich hoffe, dass ich morgen mutig genug bin, meinen Plan durchzuziehen und dass Jonas mir dann hoffentlich verzeihen wird. Oh man, das wird ein schwieriger Tag morgen, also werde ich dann mal schlafen gehen.
Nach einer unruhigen Nacht, mit vielen wirren Träumen, war ich am Morgen bereits lange vor meinem Wecker wach. Da es mich einfach nicht mehr im Bett hielt, machte ich mich schon für die Schule fertig. Als ich bereits fertig gestylt war und es im Haus immer noch totenstill war, hatte ich eine Idee, wie ich mich wenigstens ein bisschen für die Gastfreundschaft der Familie Baumann, revanchieren konnte. Ich schnappte mir den Haustürschlüssel, kratzte meine letzten Kröten zusammen und besorgte nebenan beim Bäcker Brötchen und Crossaints. Wieder zurück packte ich Brötchen und Crossaints in Brotkörben auf den Tisch und deckte diesen ein. Ich ließ die Kaffeemaschine durchlaufen, kochte Eier und machte zusätzlich noch Rührei mit Speck. Danach holte ich noch Aufstrich, Butter, Marmelade und Nutella aus dem Kühlschrank, richte diese dekorativ auf Tellern an und fertig war ein schöner Frühstückstisch. Wie auf ein Stichwort kam dann auch schon Ruth im Bademantel bekleidet die Treppe herunter.
"Was ist denn hier los? Luca, was machst du denn schon so früh hier?“
"Guten Morgen Ruth. Ich konnte nicht mehr schlafen und dann dachte ich, dass ich mich ein bisschen für eure Gastfreundschaft erkenntlich zeige und für die Familie Frühstück mache.“
Dann erst fiel ihr Blick auf den reich gedeckten Frühstückstisch.
"Luca, das sieht ja toll aus und sogar beim Bäcker bist du gewesen. Du hast ja ein richtiges Festmahl gezaubert. Das ist total süß von dir. Komm mal her und lass dich drücken.“
Schon schloss mich Ruth in eine herzliche Umarmung ein.
"So, dann werde ich mal die Schlafmützen aus dem Bett holen, bevor das gute Essen kalt wird“, lachte sie.
Keine 10 Minuten später war die gesamte Familie um den Frühstückstisch versammelt.
"He Luca, da hast du dich ja selbst übertroffen und das Rührei ist sogar genießbar, nicht wie bei manch anderem hier am Tisch“, scherzte Dirk (Maries Vater).
"Ha, ha, es ist doch immerhin die Geste die zählt, oder nicht?“
"Ja Mark, war doch auch nur Spaß, dass du für uns an unserem Hochzeitstag Frühstück machen wolltest, war auch wirklich eine süße Idee. Nur mit dem Rührei müssen wir noch üben“, lachte Dirk.
"Naja, ohne die viele Schale im Rührei wäre es gar nicht mal so schlecht gewesen“, meinte Ruth und konnte sich dabei das Lachen nicht verkneifen.
"Ha, ha, macht euch nur lustig über mich, ich kann doch nichts dafür, ich bin ein Kochlegasteniker, das ist eine ernsthafte Behinderung, man.“
Danach brach die gesamte Familie in schallendes Gelächter aus.
"Es war auf jeden Fall eine total süße Idee von dir Luca. Wieso isst du denn nichts“, wollte Marie wissen.
"Ach, ich bekomme einfach nichts herunter. Ich bin einfach zu aufgeregt.“
"Aber wieso denn Schatz, wegen dem Jugendamt? Keine Sorge, ich bin doch heute bei dir. Du musst da nicht alleine hingehen“ sagte Ruth.
"Ja auch, aber da ist auch noch eine andere Sache.“
"Du kannst mit uns über alles reden, wenn dich etwas bedrückt, dann nur raus damit“, erwiderte Ruth.
"Mum, jetzt lass doch mal gut sein. Es ist eine sehr persönliche Angelegenheit“, meinte Marie.
"Ach so, tut mir leid. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.“
"Nein, nein, ist schon gut. Es ist nur komisch für mich, da so offen darüber zu reden.“
"Ich kenne diesen Blick, wenn ich mich nicht sehr täusche, würde ich sagen das du verliebt bist.“
"Mum, siehst du denn nicht, dass du ihn in Verlegenheit bringst“, versuchte mir Marie aus der Patsche zu helfen.
"Nein, Marie ist schon gut. Ich sollte endlich lernen, offen darüber reden zu können. Also, ja es stimmt. Ich bin verliebt, sehr sogar, in einen anderen Jungen. Es war die ganz große Liebe zwischen uns, bis ich ihm total weh getan habe und alles kaputt gemacht habe. Ich will ihn aber zurückhaben und ihm heute vor der ganzen Klasse um Verzeihung bitten, meine Liebe gestehen und mich quasi gleichzeitig auch outen.“
"Wow, da hast du dir ja was vorgenommen. Ich wünsche dir viel Glück und hoffe, dass du ihn zurückgewinnen kannst“, meinte Ruth.
"Danke, Glück werde ich gebrauchen können.“
"Echt ist ja krass, hätte nie gedacht, dass du schwul bist“, meinte Mark plötzlich.
"Und, schlimm?“
"Nein gar nicht. Ist sogar irgendwie cool, weil du der einzige Schwule bist, den ich kenne“, lachte Mark.
"Luca, mach dir bitte keine Sorgen - in dieser Familie hat niemand ein Problem, mit deiner Homosexualität. Wenn irgendetwas ist, kannst du immer zu mir oder Ruth kommen, ok“, sagte Dirk.
"Wow, da bin ich aber erleichtert, dass ihr das alle so positiv auffasst. Wisst ihr, ihr seid echt Klasse, so eine Familie hätte ich mir immer gewünscht.“
"Naja, bei uns gibt es auch hin und wieder mal Auseinandersetzungen, aber jeder wird hier so akzeptiert, wie er ist. Luca, du bist so ein toller Junge und hättest auch so eine Familie verdient gehabt, aber die kann man sich nun mal nicht aussuchen“, sagte Ruth.
"Ja, das ist leider wahr“, meinte ich traurig.
"Kopf hoch Kleiner, ab jetzt wird alles besser für dich laufen, wir lassen dich nicht im Stich“, erwiderte Dirk.
Danach ließen es sich alle schmecken und sogar mir gelang es, trotz meiner Nervosität, noch ein paar Bissen zu essen.
Während sich Marie für die Schule fertig machte, half ich Ruth noch den Esstisch wieder abzuräumen.
"He Luca, du hast doch schon gekocht, lass mich das doch machen“, meinte Ruth.
"Nein, ist schon gut. Ich bin doch eh schon fertig und in der Zeit, wo ich auf Marie warte, kann ich mich auch nützlich machen.“
"Also gut, wenn du darauf bestehst. He mach dir nicht so einen Kopf, du bist ein hübscher, toller Junge, und wenn dieser Junge, in den du verliebt bist, das nicht erkennt, dann muss er völlig blind sein.“
"Vielen Dank Ruth, aber so einfach ist das nicht. Ich habe ihn wirklich sehr weh getan und ich brauche schon ein kleines Wunder, damit er mir nochmal verzeiht.“
"Ja, aber Wunder geschehen immer wieder. Ich wünsche dir auf jeden Fall ganz viel Glück.“
"Danke Ruth. Ich meine Danke für alles, das du und deine Familie für mich tun.“
"Gern geschehen.“
"So Luca, ich bin dann soweit. Wir können los“, kam es plötzlich von Marie.
"Alles klar, dann bis später Ruth.“
"Ciao Mum.“
"Tschüss ihr zwei, ich wünsche euch viel Spaß in der Schule.“
Danach schwangen Marie und ich uns auf unsere Fahrräder und machten uns auf den kurzen Weg zur Schule. Bevor wir das Schulgebäude betraten, atmete ich noch einmal tief durch und versuchte meine Nervosität in den Griff zu bekommen.
"Komm schon Luca, lass uns reingehen. Es wird schon schief gehen“, lachte Marie.
"Du bist mir ja eine tolle Hilfe.“
"OK Luca, komm mal her. Du schaffst das. Ich weiß, dass du stark bist und das ganz toll machen wirst und zur Not, falls irgendetwas schief gehen sollte, bin ich ja auch noch da. Und jetzt komm her und lass dich mal nochmal drücken“, sprachs und nahm mich fest in den Arm.
"Ok, dann mal rein in die Hölle des Löwen.“
Vor unserem Klassenzimmer angekommen, ging Marie schon mal herein, während ich noch vor der Tür auf Frau Schnell wartete. Keine 5 Minuten später kam sie um die Ecke gestürmt und sah mich mit fragenden Blick an.
"Luca, was ist los? Wieso bist du nicht im Klassenzimmer?“
"Ich wollte vorher noch einmal kurz mit Ihnen reden.“
"Ok, dann schieß mal los.“
"Ich wollte Sie bitten, dass ich, bevor Sie mit Ihrem Unterricht anfangen, noch einmal kurz ein paar Worte an die Klasse richten darf. Es wäre mir wirklich sehr wichtig.“
"Also gut. Dann bin ich mal gespannt, was du uns zu sagen hast.“
Daraufhin betrat Frau Schnell in ihrer energischen Weise das Klassenzimmer und ich folgte ihr.
"So, wenn ich dann bitte mal um Ruhe bitten dürfte. Luca hat mich gebeten, vor Unterrichtsbeginn noch ein paar Worte an euch richten zu dürfen und ich bitte euch ihm erst einmal zuzuhören, ausreden zu lassen und nicht zu unterbrechen. So Luca, deine Bühne, dann leg mal los.“
Mit zitternden Knien stellte ich mich vor die Klasse. Ich war so aufgeregt, dass ich schon fürchtete, kein Wort herauszubringen, doch ein Blick in Maries aufmunternden Gesicht half mir meine Sprache wiederzufinden.
"Ok, ihr wisst ja alle, dass ich ein Zeuge Jehovas bin und dass ich deshalb immer der Außenseiter in der Klasse war. Versteht mich nicht falsch, ich möchte euch dafür nicht die Schuld geben. Größtenteils bin ich selber Schuld, da ich euch auch immer aus dem Weg gegangen bin und euch keine Chance gegeben habe, mich kennenzulernen. So lief es dann auch viele Jahre in dieser Schule, bis sich in den letzten Sommerferien etwas veränderte. Ich habe durch einen Zufall im Predigtdienst Jonas kennengelernt, der damals gerade mit seiner Familie hergezogen war. Er hatte Interesse an der Bibel, so dass ich mit ihm ein Bibelstudium durchführte. Wir verstanden uns auf Anhieb super und wurden mit der Zeit Freunde, bis er mir gestand, homosexuell zu sein. Ich war mit diesem Geständnis erst einmal überfordert, da Homosexualität bei uns nicht toleriert wird und reagierte echt blöd darauf, so dass unsere Freundschaft wieder auseinander ging. Zu Beginn dieses Schuljahres lernte ich dann Marie näher kennen und wir wurden schnell gute Freunde. Sie half mir auch, mich euch gegenüber mehr zu öffnen und euch zur erlauben mich kennenzulernen. Plötzlich war ich kein Außenseiter mehr und die einst so verhasste Schule war gar nicht mehr so übel. In Verona gelang es dann mir auch endlich, mich mit Jonas wieder zu versöhnen und noch viel mehr. Endlich stand ich zu meinen Gefühlen und mir wurde klar, dass ich mich in diesen Jungen verliebt hatte.“
Nach meiner letzten Äußerung ging ein Raunen durch das Klassenzimmer.
"Ruhe bitte, lasst Luca bitte ausreden. So Luca, machst du weiter bitte.“
"Zu meinem großen Glück hatte Jonas sich auch in mich verliebt und wir wurden ein Paar. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so glücklich gewesen, auch wenn unsere Beziehung kompliziert war, da niemand davon wissen durfte, besonders meine Eltern nicht. Meine Liebe zu ihm war dann irgendwann so groß, dass es mir egal war, ob ich von meinen Eltern und Freunden verstoßen werden würde. Ich hatte mir endlich vorgenommen reinen Tisch zu machen. Dann geschah dann aber leider ein Unglück, mein Bruder verstarb ganz plötzlich und unerwartet. Wir fanden ihn am Morgen tot in seinem Bett vor, daneben eine halbleere Schnapsflasche und eine leere Packung Schlaftabletten. Wir fuhren natürlich sofort ins Krankenhaus, aber die Ärzte konnten leider nichts mehr für ihn tun. In den folgenden Tagen stand ich völlig neben mir, aber am meisten quälte mich die Frage, ob es ein Suizid oder doch nur ein Unfall war. Mein Vater beharrte darauf, dass es ein Unfall gewesen sei, da Daniel ja auch weder ein Abschiedsbrief noch sonst etwas hinterlassen hatte. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich glauben sollte. Jonas versuchte mich in dieser Zeit zu trösten und für mich dazu sein. Ich stieß ihn aber immer wieder von mir weg, da ich blind vor Schmerz war. Ich flüchtete mich immer mehr in unsere gelehrte Hoffnung, dass die rechtschaffenden Toten wiederauferstehen werden und wir sie, wenn wir ein gottgefälliges Leben führen, im Paradies auf Erden, dass nach dem Gericht Gottes über die Menschheit entstehen wird, wiedersehen werden. Deshalb dachte ich, dass ich mein Leben ändern muss, denn laut der Bibel werden Homosexuelle Gottes Königreich nicht ererben und somit würde ich nicht ins Paradies kommen und Daniel nicht mehr wiedersehen. Daher musste ich mich von Jonas trennen, dachte ich zumindest. Ich hatte ihm versucht, als ich mich von ihm trennen wollte, meine Beweggründe zu erklären, aber er wollte es einfach nicht verstehen. Daraufhin habe ich ihm erzählt, dass ich ihn nie geliebt hatte, sondern ihn nur ausgenutzt habe, weil ich es mal mit einem Jungen probieren wollte, deshalb hätte ich mich auch nie von meiner Freundin getrennt. Es wahr aber nicht die Wahrheit, ganz im Gegenteil. Ich habe niemals jemanden mehr geliebt als ihn, es brach mir das Herz mit ihm Schluss zu machen und ihm so weh tun zu müssen, aber ich dachte, dass ich keine andere Wahl hätte. In der Zeit danach ging es mir richtig schlecht, mehr als einmal wollte ich ihn zurückhaben, aber ich sagte mir, dass ich stark bleiben müsste für meinen Bruder. Danach beschloss ich, mich auch vom Rest der Klasse wieder zu distanzieren und mehr als einmal habe ich Marie und euch anderen vor den Kopf gestoßen. Es tat mir zwar leid, aber ich dachte, dass ich dieses Opfer bringen muss. Mittlerweile ist ein halbes Jahr seitdem vergangen und ich lebte wieder mein altes Leben, auch wenn ich damit unglücklich war. Das ging dann bis vorgestern so, dann machte ich eine Entdeckung, die alles veränderte. Ich fand das Tagebuch meines Bruders. Er schrieb dort, dass er sich in seinen besten Freund verliebt hatte, der ebenfalls ein Zeuge Jehovas war. Es war zwar sehr schwierig, aber sie wurden mit der Zeit ein Paar, aber sie lebten immer in Angst entdeckt zu werden. Mit der Zeit hatten sie auf dieses Versteckspiel keine Lust mehr und wollten endlich frei ihre Liebe leben können. Deshalb wandten sie sich an eine Beratungsstelle für Sektenaussteiger und dort wollte man ihnen helfen. Sie bekamen einen Termin, mussten dafür aber nach Berlin kommen. Sie planten alles minuziös. Am Abend vorher packten sie ihre Sachen zusammen und wollten in Berlin ein neues Leben anfangen. Am Morgen wollten sie so tun, als ob sie zu Schule gingen, aber in Wirklichkeit würden sie mit dem Zug nach Berlin fahren. Bei meinem Bruder ging der Plan auch auf, aber sein Freund wurde von seinen Eltern erwischt und beichtete daraufhin den ganzen Plan. Sein Vater kontaktierte daraufhin meinen Vater, sie kamen zum Bahnhof und zwangen meinen Bruder mit ihnen zu kommen. Er wurde daraufhin zu meinem Großvater gebracht, der sehr abgeschieden wohnt, um sicherzugehen, dass er auch nicht flüchten würde. Dort versuchten sie Daniel wieder auf Kurs zu bringen und ihm quasi eine Gehirnwäsche zu verpassen. Erst wehrte er sich. Er verlangte mit seinem Freund sprechen zu dürfen, aber als dieser am Telefon mit ihm Schluss machte, brach er zusammen und ergab sich in sein Schicksal. Ich bekam von dieser ganzen Aktion nichts mit, da ich zu diesem Zeitpunkt mit euch in Verona war. Nachdem sie meinten, Daniel wieder auf Kurs gebracht zu haben, durfte er wieder nach Hause. Daniel war auch tatsächlich entschlossen jetzt wieder ein gottgefälliges Leben zu führen. Dann aber kam das Wiedersehen mit seinem Exfreund, indem er uns allen seine neue Freundin vorstellte. Das war zu viel für meinem Bruder, seine ganze verdrängten Gefühle kamen wieder hoch und er brach innerlich völlig zusammen, wahrte vor uns aber den Schein.“
Tränen liefen mir die Wange herunter und meine Stimme begann zu zittern.
"Er beschloss noch in der Nacht seinem Leben ein Ende zu setzen, da er diese Gefühle einfach nicht mehr aushielt. Daher schluckte er ein Haufen Schlaftabletten und spülte sie mit Schnaps herunter. Am nächsten Morgen fanden wir ihn tot in seinem Bett liegen. Er hat mir vorher aber noch einen Abschiedsbrief geschrieben, indem er sich bei mir entschuldigte, dass er mich im Stich lässt. Außerdem forderte er mich dazu auf, nicht so feige wie er zu sein und zu meinen Gefühlen zu stehen. Er meinte, ich müsse mich von der Familie und unserer Religion befreien. Er hatte Recht, noch am selben Abend bin ich von zu Hause abgehauen und bin momentan bei Marie untergekommen. Da meine Eltern mich nicht in Ruhe lassen, habe ich heute Nachmittag einen Termin beim Jugendamt und hoffe, dass sie mir helfen. Ich hoffe, dass ihr mir verzeihen könnt, das ich euch in der letzten Zeit so mies behandelt habe. Zum Schluss möchte ich mich noch an Jonas wenden: Jonas, ich weiß, dass ich dir unendlich weh getan haben und ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen, dass kann ich aber leider nicht. Ich will, dass du weißt, dass ich dich trotz allem immer geliebt habe und noch liebe. Ich hoffe, dass du mir irgendwann verzeihen kannst und mir vielleicht noch eine zweite Chance gibst.“
Ich sah bei meinen Worten Jonas direkt an und sah, dass auch er Tränen in den Augen hatte.
"Luca gib mir ein bisschen Zeit, ok. Das war ein bisschen viel auf einmal. Ich brauche Zeit zum nachdenken.“
"Ja klar, kein Problem, nehme dir so viel Zeit wie du brauchst, ich werde auf dich warten.“
Erst jetzt sah ich das Frau Schnell sich auch ein paar Tränchen aus ihrem Gesicht wischte und auch beim Rest der Klasse ging es vielen nicht anders.
"Danke dir Luca. Das war total mutig von dir. So jetzt lass ich euch mal ein bisschen Zeit, Lucas Rede ein wenig sacken zu lassen. Luca kommst du mal mit mir bitte nochmal vor die Tür.“
"Ja klar.“
Ich begleitete meine Lehrerin nach draußen.
"Wow Luca, ich muss dir echt sagen, dass deine Worte mich tief berührt haben und wenn ich mir so die Klasse angesehen habe, war ich nicht die Einzige, der es so ging. Ich bin mir sicher, dass deine Mitschüler dir verzeihen werden und bei der Sache mit Jonas drücke ich dir die Daumen.“
"Danke Frau Schnell, Sie sind wirklich eine großartige Lehrerin.“
"Danke für die Blumen. Luca, du weißt, ich bin auch Vertrauenslehrerin, wenn ich dir irgendwie helfen kann oder du einfach nur reden willst, dann lass es mich wissen.“
"Ok, ich werde es mir merken.“
"Sag mal Luca, wie ich deine Eltern und speziell deinen Vater kennengelernt habe, hat er deine Entscheidung zu gehen, sicherlich nicht akzeptiert, oder?“
"Nein natürlich nicht. Er ruft mich ständig an und gestern hat er mir und Marie sogar nach der Schule an den Fahrrädern aufgelauert und wollte mich zwingen mit ihm nach Hause zu kommen. Nur mit Gewalt konnte ich mich entreißen und flüchten.“
"Was, er wagt sich unser Schulgelände zu betreten und dich und Marie zu bedrohen? Das war ein großer Fehler, dass wird ein Nachspiel haben. Ich werde das mit dem Direktor besprechen und werde ein Auge darauf haben, versprochen.
"Danke, Frau Schnell.“
"Nichts zu danken Kleiner und jetzt lass uns mal wieder hineingehen.“
Als wir das Klassenzimmer betraten, geschah etwas erstaunliches. Die gesamte Klasse stand von ihrem Platz auf und applaudierte, sogar Jonas war darunter, nur Marcel blieb stur auf seinen Platz sitzen.
"Ich würde sagen, die Klasse hat deine Entschuldigung angenommen Luca“, meinte Frau Schnell lächelnd.
"So und jetzt setz dich wieder auf deinen Platz, damit ich endlich mit meinen Unterricht anfangen kann.“
Ich setzte mich neben Marie und flüsterte ihr ins Ohr:
"Sag mal, hast du eigentlich was mit dieser tollen Reaktion meiner Mitschüler zu tun?“
"Ich, nein keine Ahnung wovon du redest? Deine Worte an die Klasse waren einfach toll und haben für sich gesprochen.“
"Mariiiiiie!“
"Also gut, ich habe ein klein wenig nachgeholfen und hier und da ein wenig Überzeugungsarbeit geleistet.“
"Danke dir Marie.“
"Nichts zu danken Schatz.“
Die Zeit bis zur Pause verging dann auch unerwartet schnell. In der Pause stand ich mit Marie zusammen und wir wurden von mehreren Mitschülern umringt, die mir alle für meinen Mut gratulierten. Jonas und Marcel waren allerdings nicht dabei, ich konnte sie aber in einer Ecke stehen sehen, in der sie lebhaft zu diskutieren schienen. Kurz vor Ende der Pause gelang es mir dann noch Marie in eine ruhige Ecke zu ziehen.
"Meinst du, dass Jonas mir verzeihen und mir nochmal eine Chance geben wird?“
"Also ich habe auf jeden Fall gesehen, dass ihn deine Rede total berührt hat, er hatte sogar Tränen in den Augen. Ja, ich denke, er wird dir verzeihen, ob er es allerdings nochmal mit dir versuchen wird, dass weiß ich nicht.“
"Ich hoffe es.“
"Ich weiß Schatz, aber mehr kannst du erst mal nicht machen. Gib ihm ein wenig Zeit, er wird bestimmt irgendwann auf dich zukommen und das Gespräch suchen.“
"Ok, ich glaube du hast Recht.“
"Natürlich habe ich Recht, ich habe immer Recht“, lachte sie.
Der Rest des Schultages ging dann auch recht schnell vorbei. In der Klasse herrschte eine gute Stimmung und der Schock über mein Outing schien sich bei meinen Mitschülern auch in Grenzen zu halten. Niemand machte irgendwelche dumme Kommentare oder dergleichen, aber die Klasse hatte ja auch bereits mit Jonas und Marcel 2 geoutete Jungen und die waren ja auch gut integriert, zumindest seitdem Leon und seine Freunde von der Schule geflogen sind.
Nach dem Unterricht verließ Jonas als Erster das Klassenzimmer. Ich hatte gehofft, dass er vielleicht nochmal versuchen würde mit mir zu reden, aber er lief einfach an mir vorbei. Ich hoffte, dass Marie recht hatte und er nur ein bisschen Zeit brauchen würde. Als Marie und ich gerade das Klassenzimmer verlassen wollte, fing uns Frau Schnell ab und bat nochmal um ein kurzes Gespräch.
"Also Luca, ich habe deinen Fall dem Direktor vorgetragen und er war genauso entsetzt wie ich, dass euch deine Eltern auf dem Schulgelände aufgelauert haben. Deshalb wird heute noch ein Schreiben rausgehen, dass deinen Eltern jegliches Betreten des Schulgeländes bis auf weiteres untersagt, außerdem wird ab sofort immer eine Lehrkraft nach Unterrichtsschluss ein Auge auf dich haben. Heute werde ich diese Aufgabe übernehmen.“
"Vielen Dank Frau Schnell. Danke für die schnelle Hilfe.“
"Kein Problem, dafür bin ich ja da und jetzt lasst uns mal langsam los.“
Frau Schnell brachte mich und Marie zu unseren Fahrrädern. Da von meinen Eltern heute aber weit und breit nichts zu sehen war und auch ihr Auto nicht auf dem Schulgelände stand, ließ sie uns losfahren. Nach einer kurzen Fahrt, ohne irgendwelche Vorkommnisse, waren wir wieder am Haus der Baumanns angelangt.
"Wir sind zu Hause Mama“, kam es von Marie.
"Schön, willkommen zu Hause ihr Süßen, wascht euch die Hände und kommt dann Essen bitte.“
Als wir das Esszimmer betraten, saßen Ruth und Mark bereits mit erwartungsvollem Gesichtern am Tisch.
"Setzt euch doch. Heute gibt es Schnitzel mit Bratkartoffeln, lasst es euch schmecken Kinder.“
"Lecker, ich liebe Schnitzel mit Bratkartoffeln“, meinte ich.
"Das hat mir ja auch ein kleiner Spatz verraten“, meinte Ruth mit Blick auf Marie.
"Wow, das ist ja echt lieb. Vielen Dank Ruth.“
"Gerne Schatz und jetzt haut ordentlich rein.“
Mit Appetit machten wir uns über das leckere Essen her, bis Mark plötzlich sagte:
"Man Luca, jetzt spann uns doch nicht so auf die Folter. Wie ist deine Liebeserklärung heute gelaufen?“
"Mark, jetzt lass den Jungen doch erst mal essen. Er wird es uns schon noch erzählen.“
"Mama, jetzt tu nicht so, als ob du nicht mindestens genauso neugierig bist wie ich, wenn nicht noch mehr“, lachte Mark.
"Also gut, erwischt. Luca magst du uns erzählen wie das heute gelaufen ist?“
"Klar, das hatte ich eh noch vor. Es war nur lustig eure erwartungsvollen Gesichter die ganze Zeit zu sehen“, lachte ich.
"Man, du bist echt fies, jetzt endlich raus mit der Sprache“, rief Mark.
"Also gut ich erzähle euch ja alles.“
Also gab ich einen detaillierten Bericht über die Geschehnisse des heutigen Schultages ab.
"Wow, Luca ich bin echt stolz auf dich. Das war irre mutig von dir und die Sache mit Jonas wird sich schon wieder einrenken. Er braucht nur noch etwas Zeit, denke ich.“
"Ja, ich hoffe du hast Recht Ruth.“
"Ach wird schon, lass den Kopf nicht hängen“, meinte Mark.
Am Nachmittag begleitete Ruth mich dann zu meinem Termin beim Jugendamt. Das Jugendamt war in einem unscheinbaren weißen Gebäude untergebracht und wirkte auf mich nicht gerade einladend. Jetzt, wo ich so vor dem Gebäude stand, wankte mein Entschluss nochmal, ob ich das auch wirklich durchziehen wollte. Zum Glück war Ruth mit dabei. Sie war mir eine große Stütze und sprach mir Mut zu, so dass ich mich dann doch entschloss, die Sache durchzuziehen. Wir betraten also das Gebäude und meldeten uns am Empfang an. Dort wurde uns dann das Zimmer der zuständigen Sachbearbeiterin genannt, welches wir auch problemlos fanden. Ich atmete noch einmal tief durch und klopfte schließlich an, worauf wir auch gleich hineingebeten worden. Die Frau, die meinen Fall bearbeitete, war noch ziemlich jung, vielleicht Mitte, Ende 20 und machte auf den ersten Blick einen sympathischen Eindruck. Sie bot uns gleich an, Platz zu nehmen und stellte sich kurz vor. Sie war durch Ruths Anruf schon grob über meinen Fall im Bilde, wollte von mir aber nochmal die ganze Geschichte hören. Als ich geendet hatte, sah sie mich verständnisvoll an.
"Das ist eine ziemlich heftige Geschichte Herr Hellmann. Ich möchte Ihnen auch nochmal mein herzlichstes Beileid für Ihren Verlust aussprechen. Unter diesen Umständen ist Ihr Wunsch nicht mehr zu Ihren Eltern zurückkehren zu wollen, durchaus nachvollziehbar.“
"Und wie geht es jetzt weiter“, fragte Ruth.
"Nun, da Luca noch minderjährig ist, wird jetzt erst einmal das Jugendamt seine Vormundschaft übernehmen. Diese Entscheidung wird dann seinen Eltern schriftlich mitgeteilt werden und naja, wenn sie dagegen Einspruch einlegen, wovon ich stark ausgehe, wird der Fall vor dem Jugendgericht landen. Aber keine Sorge Luca, der Richter wird dich nicht zwingen zu deinen Eltern zurückzukehren, da du mit deinen 16 Jahren schon alt genug bist, selber zu entscheiden, wo du leben möchtest. In deinem Fall gibt es ja auch leider keine Verwandte, die für deine Vormundschaft in Frage kämen und für eine Pflegefamilie bist du wahrscheinlich schon zu alt, also wird es auf eine betreute Wohngruppe hinauslaufen.“
"Ja, mir ist alles Recht, hauptsache ich muss nicht dahin zurück.“
"Nein, keine Sorge, dass musst du ganz sicher nicht. So Luca ich werde dich, was deinen Fall betrifft auf dem laufenden halten. Könnte ich jetzt nochmal kurz mit Frau Baumann unter 4 Augen sprechen?“
"Ja klar, kein Problem. Ich warte dann vor der Tür.“
Nach ungefähr 20 Minuten kam Ruth dann auch endlich aus dem Büro meiner Sachbearbeiterin. Was zum Teufel haben die nur so lange zu besprechen gehabt?
"Na endlich, das hat aber lange gedauert. Was wollte sie denn noch?“
"Ja Luca tut mir leid, dass du so lange warten musstest, aber wir mussten noch einige Dinge klären.
Ich sah Ruth fragend an.
"Und welche Dinge?“
"Naja, sie wollte halt wissen, ob du erst mal bis zur Klärung deines Falls weiter bei uns wohnen kannst oder ob sie sich sofort um eine Unterkunft für dich kümmern muss.“
"Ok und was hast du ihr gesagt?“
"Ich habe ihr natürlich gesagt, dass du solange bei uns bleiben kannst. Vorausgesetzt du möchtest das überhaupt?“
"Klar möchte ich das. Ich fühle mich total wohl bei euch. Ich möchte euch aber wirklich nicht zur Last fallen.“
"Ach Luca erzähl doch nicht so was. Wir freuen uns, dass du da bist und du kannst so lange bleiben, wie du möchtest.“
"Danke Ruth, das bedeutet mir echt viel. Ich werde euch das nie vergessen.“
"Nicht dafür mein Schatz. Wollen wir nach Hause gehen?“
"Klar, nichts lieber als das.“
Also fuhren wir gemeinsam mit dem Auto nach Hause und wurden dort gleich von den restlichen Familienmitgliedern, auch Dirk war inzwischen zu Hause, gelöchert, wie unser Termin gelaufen ist. Nachdem wir einen ausführlichen Bericht abgelegt hatten, freuten sich alle, dass es jetzt endlich in meiner Sache vorangeht.
Den Rest des Nachmittags verbrachte ich gemeinsam mit Marie in ihrem Zimmer, unter anderem mit Hausaufgaben machen. Das heißt Marie hatte sie bereits fertig und ich habe dann nur noch von ihr abgeschrieben:-) Als wir später dann auf ihren Bett lagen und Musik hörten, teilte mein Handy plötzlich den Eingang einer SMS mit. Ich hatte nicht wirklich Lust nachzusehen, da ich fest damit rechnete eine weitere Nachricht von meinen Eltern erhalten zu haben, wie so viele in der letzten Zeit und stets antwortete ich nicht darauf.
"Man Luca, jetzt geh doch mal nachsehen, wer dir geschrieben hat.“
"Ne keinen Bock, sind doch eh wieder meine Eltern mit den gleichen bla bla wie immer.“
"Vielleicht ist die Nachricht ja auch von Jonas?“
"Ja bestimmt, ist klar.“
"Oh man, jetzt schau halt mal nach.“
"Also gut, damit du endlich Ruhe gibst.“
Ich staunte nicht schlecht, als ich mein Handy in die Hand nahm, denn die Mitteilung war von jemand, mit dem ich wirklich nicht gerechnet hatte - von Max.
"Die Nachricht ist von Max.“
"Und was schreibt er?“
Er schreibt folgendes:
"He Luca, ich habe gehört, dass du von zu Hause abgehauen bist. Magst du mir erzählen was passiert ist?“
Ich schrieb postwendend zurück:
"Ich habe Daniels Tagebuch gefunden. Max ich weiß alles.“
"Lässt du mich es auch bitte lesen?“
"Ok, ich gebe dir aber nicht das Original, dass ist das Einzige, was mir von Daniel geblieben ist. Ich gehe in den Copy Shop um die Ecke und mach dir eine Kopie.“
"Danke Luca, meinst du, wir können uns heute noch treffen. Ich muss es unbedingt lesen, bitte.“
"Ok, in einer halben Stunde, an meiner Schule.“
"Ok, werde da sein.“
Ich hatte Marie die Mitteilungen und meine Antworten vorgelesen und sie meinte nun:
"Hältst du es für eine gute Idee, dich jetzt noch mit ihm zu treffen? Was ist, wenn es eine Falle ist und er mit deinen Eltern unter einer Decke steckt?“
"Nein, das glaube ich nicht. Er scheint es wirklich ehrlich zu meinen.“
"Ok, dan müssen wir jetzt los. Erst zum Copy Shop und danach mit dem Rad zur Schule.“
"Marie, ich glaube es ist besser wenn ich alleine gehe.“
"Das kannst du vergessen Mister. Ich lasse dich da nicht alleine hingehen.“
"Also gut, wenn es denn unbedingt sein muss, dann kommst du halt mit.“
Bevor wir das Haus verließen, erklärten wir noch Maries Eltern was los ist. Diese hatten aber auch ein ungutes Gefühl und bestanden darauf mitzukommen. Daher fuhren wir erst einmal zum Copy Shop und dann weiter mit dem Auto zur Schule. An der Schule angekommen, war von Max noch nichts zu sehen, aber ich war ja auch etwas zu früh. Wie in einem schlechten Detektivfilm saßen wir zu viert im Auto und observierten das Gelände:-) Nach Wenigen Minuten Wartezeit kam dann schließlich Max mit seinem Fahrrad um die Ecke. Ich sah mich noch aus dem Auto heraus aufmerksam um, aber er schien tatsächlich alleine gekommen zu sein. Nach einiger Überzeugungsarbeit konnte ich dann Maries Eltern dazu bewegen im Auto zu bleiben, nur Marie bestand darauf mich zu begleiten. Sobald wir das Auto verlassen hatten, bemerkte uns Max und kam schnellen Schrittes auf uns zu.
"He Luca, schön das du gekommen bist.“
"He Max, das ist übrigens Marie, sie begleitet mich heute.“
Danach stellten sich die beiden untereinander kurz vor.
"Hast du das Tagebuch mitgebracht, also die Kopie meine ich?“
"Ja, die habe ich dabei. Aber bevor ich sie dir gebe, will ich erst mal wissen, wieso du sie unbedingt haben wolltest?“
"Man Luca, auch wenn du mir jetzt vielleicht nicht glaubst, aber ich habe Daniel geliebt. Ich mache mir große Vorwürfe, dass er nicht mehr am Leben ist und gebe mir die Schuld dafür. Ich muss wissen, was genau passiert ist, bitte Luca.“
"Doch, das verstehe ich gut. Ich habe mir selbst auch große Vorwürfe gemacht und der Gedanke nicht zu wissen, was genau mit Daniel geschehen ist, hat mich schier wahnsinnig gemacht. Hier ist es, lies es und wenn du dann jemanden zum reden brauchst, dann ruf mich an, ok.“
"Danke Luca, das bedeutet mir echt viel.“
"Schon gut. Weißt du was über meine Eltern?“
"Ja, die drehen völlig am Rad seit du abgehauen bist und sind ganz krank vor Sorge um dich.“
"Hat es schon die Runde gemacht, dass ich nicht mehr da bin.“
"Nein, bisher wissen es nur meine Eltern und ich, aber spätestens am Freitag in der Versammlung werden sich alle fragen wo du bist.“
"Ok, danke für die Info.“
"Pass auf dich auf, Luca.“
"Ja, du auch.“
Daraufhin fuhr er mit seinen Fahrrad davon und auch wir machten uns wieder auf den Heimweg. Später saß die ganze Familie, wie es bei den Baumanns Brauch war, um den Tisch versammelt und ließ sich das Abendessen schmecken.
"Und mit wem hast du dich jetzt getroffen“, wollte Mark wissen, während er sich gerade eine voll beladene Gabel in den Mund schob.
"Mit dem Exfreund von meinem Bruder.“
"Und was wollte er von dir?“
"Man Mark, jetzt sei doch nicht immer so neugierig“, ermahnte ihn seine Mutter.
"Nein, ist schon gut. Er bat mich darum das Tagebuch meines Bruders lesen zu dürfen. Da das Tagebuch aber das Einzige ist, was mir von Daniel geblieben ist, habe ich ihm eine Kopie gemacht und sie ihm gegeben.“
"Ok, und wieso sind da dann jetzt alle mitgekommen, dass checke ich irgendwie nicht so ganz?“
"Naja, deine Schwester hat in dem Treffen eine Falle vermutet. Sie dachte, dass ich nur von Max dahingelockt werden sollte und dann meine Eltern dort auf mich warten würden, daher sind deine Eltern sicherheitshalber auch gleich mitgekommen.
"Ja und war es eine Falle?“
"Nein, alles gut. Er war allein. Wir haben kurz geredet, ich habe ich ihm die Kopie gegeben und dann war er auch schon wieder weg.“
"Ja, Marie hat echt eine lebhafte Fantasie, wahrscheinlich hat sie zu viele schlechte Krimis gesehen oder so“, lachte Mark.
"He, ich habe mir vielleicht Sorgen um Luca gemacht. Außerdem war meine Theorie gar nicht so weit hergeholt, wenn ich daran denke, wie uns Lucas Eltern an der Schule aufgelauert haben“, verteidigte sich Marie.
"Ja das stimmt, in der Sache muss ich Marie echt in Schutz nehmen. Dein Vater und ich hatten auch ein ungutes Gefühl bei diesem Treffen, deshalb wollten wir auch mitkommen.“
"Es ist ja alles nochmal gut gegangen. Es war auf jeden Fall echt süß von euch, dass ihr mich alle begleitet habt.“
"Ist doch klar mein Junge, wir stehen in dieser Sache voll hinter dir“, meinte Dirk und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter.
Damit war das Thema dann auch wieder erledigt.
Am Abend lernte ich mit Marie noch für die Mathematikprüfung, die morgen anstehen würde. Mir gingen so viele Dinge im Kopf herum, dass es mir sehr schwer fiel mich zu konzentrieren, aber zum Glück hatte ich mit Marie eine geduldige Lehrerin, die nicht aufgab, bis sie der Meinung war, dass ich die Materie einigermaßen begriffen hatte.
Später stand ich im Badezimmer vor dem Spiegel und putzte mir gerade die Zähne, als Mark den Raum betrat. Er musterte mich eine Weile, sagte aber kein Wort.
"Was ist los? Kann ich dir irgendwie helfen?“
"Du Luca, kann ich dich mal etwas fragen?“
"Klar, schieß los?“
"Woran merkt man eigentlich das man schwul ist?“
Ich hätte mich beinahe verschluckt in dem Moment und spuckte panisch die letzten Zahnpastareste in das Waschbecken.
"Wieso willst du das denn wissen?“
"Naja, ich bin mir halt noch nicht zu hundertprozentig sicher, ob ich lieber Mädchen oder Jungen mag.“
"Also ich war eigentlich auch immer der Meinung hetero zu sein, aber dann traf ich Jonas. Ich musste dann immer zu an ihn denken, habe es aber mir immer noch nicht eingestehen wollen. Ich kam dann sogar mit meiner besten Freundin zusammen, aber ich musste dann feststellen, dass ich für sie einfach nicht die gleichen Gefühle wie für Jonas hatte. Naja, nach langem hin und her kam ich dann doch noch mit Jonas zusammen und war der glücklichste Mensch überhaupt, auch wenn es echt schwierig war, da von unserer Beziehung ja keiner wissen durfte. Am Ende habe ich dann doch wieder alles kaputt gemacht, nachdem mein Bruder gestorben ist, die Geschichte kennst du ja.“
"Also bist du dir sicher, dass du schwul bist?“
"Naja, ich bin in einen Jungen verliebt, also denke ich schon, ja.“
"Dürfte ich mit dir ein Experiment versuchen?“
"Wovon redest du?“
"Naja, würdest du mich küssen, nur so zum Test, ob mich das anmacht?“
"Nicht dein Ernst, oder ?“
"Ach bitte komm schon. Keine Angst, ich bin nicht in dich verliebt oder so. Ich würde nur gerne ausprobieren, ob ich dabei was fühle.“
"Also gut, dann bringen wir es eben hinter uns.“
"Also ein bisschen romantischer kannst du schon sein“, meinte Mark lachend.
"Willst du jetzt geküsst werden, oder nicht?“
"Ja, sorry war doch nur Spaß.“
Langsam näherten sich unsere Gesichter einander an und dann trafen sich unsere Lippen zu einem kurzen Kuss. Es war schon irgendwie komisch einen anderen Jungen zu küssen, aber es fühlte sich auch nicht schlecht an, aber war natürlich nicht das Gleiche wie mit Jonas.
"Und wie wars, hast du was dabei gefühlt?“
"Nein nichts.“
"War ich echt so schlecht“, fragte ich lachend.
"Nein, der Kuss war schon ok, aber nicht das Gleiche wie mit einem Mädchen. Sorry, ich denke, ich bin doch nicht schwul. Aber danke, dass du es mitgemacht hast.“
"Ja schon gut und jetzt zisch ab“, meinte ich lachend.
"Gute Nacht Luca, schlaf gut.“
"Ja du auch.“
Ich glaube es nicht, dieser Junge ist echt verrückt. Wie hat er mich nur dazu gebracht, bei so was mitzumachen. Innerlich musste ich grinsen, aber ich mochte den Kleinen einfach.
Am nächsten Morgen saß die gesamte Familie wieder zusammen am Frühstückstisch und unterhielt sich lebhaft miteinander. Dirk und Ruth waren einfach tolle Eltern, man konnte mit ihnen über alles reden und kein Gesprächsthema war jemals tabu. Solche Eltern habe ich mir auch immer gewünscht, aber die kann man sich nun mal nicht aussuchen. Es war Freitag und man konnte die Vorfreude auf das anstehende Wochenende bei der Familie Baumann förmlich spüren. Mark würde heute bei einem Kumpel übernachten und Marie war auf eine Party bei Lisa eingeladen, wie ihr gerade einfiel.
"Oh Shit, die Party habe ich ja total vergessen, sonst hätte ich Lisa längst gefragt, ob ich dich mitnehmen darf Luca.“
"He, nein schon gut. Ist schon ok, ich will mich nicht aufdrängen.“
"Nein Quatsch, ich frage sie heute einfach. Fast die gesamte Klasse ist eingeladen. Jonas kommt auch übrigens.“
Der letzte Satz ließ mich aufhorchen.
"Ok, dann frag sie bitte, aber wenn sie nicht möchte, dass ich komme, ist das völlig ok.“
"Ach so ein Quatsch, die hat bestimmt nichts dagegen, vor allem nachdem du dich bei allen in der Klasse für dein Verhalten in letzter Zeit entschuldigt hast. Ach was solls, ich rufe sie mal eben schnell an.“
Schon hatte Marie ihr Handy in der Hand und wählte Lisas Nummer.
"Marie, du weißt, was ich über Handys am Esstisch denke“, ermahnte sie Ruth.
"Ja Mama ich weiß, aber das ist echt super wichtig oder willst du, dass der arme Luca heute ganz alleine zu Hause bleibt und Trübsal bläst?“
"Also gut, ausnahmsweise, aber mach schnell.“
"Ja, ja schon gut.“
"Ja, hi Lisa, ich bins. Du ich rufe wegen der Party heute Abend an und wollte fragen, ob ich Luca mitnehmen kann? Echt, ja super dann stehen wir heute Abend um 19 Uhr bei dir auf der Matte. Sollen wir noch irgendetwas mitbringen? Ja ok, kein Problem machen wir. Ok bis später dann in der Schule. Ciao.“
Marie legte ihr Handy weg und strahlte über das ganze Gesicht.
"Sie hat nichts dagegen, ganz im Gegenteil, sie freut sich wenn du kommst. Wir sollen nur noch einen Salat mitbringen. Apropos, Mama wärst du so lieb, deinen super leckeren Kartoffelsalat für die Party zu machen?“
"Das kommt jetzt aber schon ein bisschen plötzlich, wie soll ich denn die ganzen Zutaten heute noch besorgen?“
"Ja ich weiß. Ich hatte damals bei der Einladung dummerweise angeboten einen Salat zu machen, es aber total vergessen. Bitte Mama.“
"Also gut, den Salat bekomme ich schon noch hin.“
"Danke Mama, du bist die Beste.“
Nach dem Frühstück beeilten Marie und ich uns zur Schule zu kommen, da wir bereits etwas spät dran waren. Ich freute mich total das ich nun doch auf diese Party gehen konnte, vor allem weil ich dort Jonas mal außerhalb der Schule treffen würde und wer weiß, vielleicht hätten wir dort ja auch die Möglichkeit miteinander zu reden, dass hoffte ich zumindest. Also schwangen wir uns auf unsere Räder und fuhren eilig in Richtung Schule. Wir schafften es dann auch tatsächlich 5 Minuten vor Unterrichtsbeginn in unserem Klassenzimmer zu sein. Dort war auch bereits fast die gesamte Schülerschaft versammelt, von der wir freudig begrüßt wurden, nur Jonas und Marcel fehlten noch. Na hoffentlich tauchte Jonas noch auf und war nicht krank oder so was? Kurz bevor die Schulglocke ertönte die den Unterrichtsbeginn signalisierte, kamen er und Marcel dann aber doch noch hineingestürmt, dicht gefolgt von Frau Schnell. Als Jonas an meinem Tisch vorbei lief, rief ich ihm ein "Hi“ zu und er sah mich an und grüßte auch zurück. Nachdem er Platz genommen hatte, trafen sich immer wieder unsere Blicke. Ich konnte einfach nicht anders - ich musste immer wieder in seine Richtung starren, ich sehnte mich so nach ihm, ich war richtig liebeskrank. Naja, das ging so lange, bis ich von Marie einen Ellenbogen in die Seite bekam.
"Au, was soll das Marie.“
"Erde an Luca, schön dass du wieder bei uns bist.“
Die gesamte Klasse fing plötzlich an zu lachen und ich lief rot an.
"Äh Entschuldigung, was war die Frage nochmal?“
Das machte es natürlich nicht besser und wieder gab es Gelächter in der Klasse.
"Ich wollte von dir deine Lösung auf Frage Nummer 4 bei den Hausaufgaben wissen.“
"Ach so, ja ok.
Ich teilte ihr meine Lösung mit und Frau Schnell schien damit zufrieden zu sein und suchte sich ein neues Opfer. Der Schultag ging heute irgendwie nur so an mir vorbei, immer wieder wanderten meine Gedanken zu Jonas und der Party. In der Pause war dann Lisas Party auch Gesprächsthema Nummer 1, alle freuten sich tierisch darauf, da Lisas Partys aufgrund ihrer großzügigen Partyscheune legendär waren. Nach der Pause stand dann die Matheklausur an. Zum Glück gelang es mir wenigstens für diese Prüfung mich einigermaßen zu konzentrieren, so dass ich auch Dank der Nachhilfe von Marie ein ganz gutes Gefühl hatte. In Punkto Jonas gab es allerdings keine Fortschritte: Es gelang mir weder in der Pause, noch nach Unterrichtsende nochmal mit ihm ins Gespräch zu kommen, weshalb ich alle meine Hoffnungen auf diese Party setzte.
Zurück zu Hause, aßen wir dann erst mal gemeinsam Mittag, bevor Marie und ich uns an unsere Hausaufgaben machten. Diese waren dann auch zum Glück schnell erledigt, so dass wir uns endlich ausführlich Gedanken über die anstehende Party machen konnten. Für Marie war vor allem die Wahl des richtigen Outfits Priorität Nummer 1. Daher führte sie mir ein Outfit nach dem anderem vor und ich musste ihren Stilberater spielen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie sich endlich für ein Outfit entschieden, dass ihr auch super stand. Danach kam ich an die Reihe, ich sollte ihr zeigen, was ich denn heute Abend tragen wollte. Ich hatte mir ehrlich gesagt, darüber noch keine Gedanken gemacht und griff das erstbeste T-Shirt und legte noch eine Jeans dazu. Marie rünfte nur die Nase.
"Ne, dass kannst du aber nicht tragen.“
"Wieso denn? Was stimmt denn nicht damit?“
"Naja, du willst doch heute Abend super gut aussehen und Jonas zurückgewinnen. Mit diesen Klamotten wirst du aber keinen großen Eindruck auf ihn machen. Hast du kein Hemd oder so was?“
"Nein, Hemden habe ich immer nur in der Versammlung getragen und da ich nicht vorhatte, da nochmal hinzugehen, habe ich sie gleich zu Hause gelassen.“
"Hmh, also gut. Ich habe eine Idee, du und mein Vater müssten ungefähr die gleiche Größe haben, er hat bestimmt was schönes für dich.“
"Ne, Marie lass mal, dass ist mir peinlich.“
"Ach Quatsch, jetzt stell dich mal nicht so an“, sprach sie und war auch schon aus dem Zimmer verschwunden.
Kurze Zeit später stand ich mit Marie und ihrem Vater vor dessen Kleiderschrank und musste verschiedene Hemden, mit den dazu passenden Hosen anprobieren.Mir war das voll peinlich, vor allem vor Dirk, aber Marie und ihr Vater schienen sich daraus einen Spaß zu machen und ließen mich etliche Outfits anprobieren, bis ich endlich das perfekte Outfit gefunden hatte. Zumindest waren Marie und Dirk der Meinung. Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel musste ich den beiden sogar Recht geben - ich sah echt gut aus in den Klamotten. Hemd und Hose passten perfekt zusammen, waren echt von guter Qualität und saßen an mir wie angegossen. Dennoch war es mir peinlich, Klamotten von meinem Gastvater zu leihen, aber beide redeten solange auf mich ein, bis ich mich schließlich bereit erklärte, diese heute Abend zu tragen. In der Zwischenzeit war auch Ruth mit dem Kartoffelsalat soweit, so dass Marie und ich langsam Gas geben mussten und uns ans Styling machten. Circa eine Stunde später war dann auch Marie endlich soweit und wir konnten aufbrechen. Ruth fuhr uns zu Marie und wollte uns dann gegen Mitternacht wieder abholen kommen. Marie diskutierte aber hartnäckig mit ihrer Mutter und konnte am Ende noch eine halbe Stunde oben drauf schlagen. Lisa wohnte etwas ländlicher in einem kleinen Vorort, so dass wir mit dem Auto gute 20 Minuten unterwegs waren. Dort angekommen staunte ich nicht schlecht. Lisas Familie bewohnte einen riesigen ehemaligen Bauernhof, den sie, wie Marie mir erklärte, von ihrem Opa vererbt bekommen hatten und komplett restaurierten.
Wir verabschiedeten uns von Ruth, versprachen uns zu benehmen und nicht zu viel Alkohol zu trinken und machten uns schließlich auf den Weg zur Haustür. Dort war ein Schild angebracht, dass die Partygesellschaft von Lisa bat, den Eingang zum Hof zu benutzen. Also machten wir uns auf den Weg mit unseren Kartoffelsalat zur riesigen Schiebetür zum Hof. Dort war abermals ein Schild angebracht, dass uns aufforderte kräftig zu klopfen - das taten wir dann auch. Kurze Zeit später wurde das große Tor aufgeschoben und uns empfing eine elegant gekleidete Gastgeberin, die uns freudig begrüßte.
"He, schön das ihr gekommen seid. Wow, toll seht ihr aus. He Luca, du hast dich ja richtig in Schale geworfen, du siehst echt super aus. Du natürlich auch Marie.“
"He, gerade nochmal gerettet“, meinte Marie lachend.
"Naja Luca hatte schließlich auch die allerbeste Stylingberaterin“, meinte Marie stolz.
"Ja sieht wirklich super aus, richtig sexy.“
Das wurde mir jetzt dann doch ein bisschen peinlich und ich lief rot an.
"Dankeschön, hier ist übrigens der Kartoffelsalat“, meinte ich, um überhaupt irgendetwas zu sagen und ein bisschen abzulenken.
"Dankeschön, den kannst du mir gleich geben. Ich stell ihn dann zum Buffet dazu.“
Lisa führte Marie und mich über den großen Hof zu einer Scheune hin, die etwas abseits stand. Dort staunte ich nicht schlecht, als Lisa mir erklärte, dass sie die ehemalige Scheune in die familieneigene Partyscheune umgebaut hatten. Das Ergebnis konnte sich wirklich sehen lassen: Es war eine Mischung aus alten Elementen der ehemaligen Scheune und modernem, partytauglichem Mobiliar. Es gab sowohl Sitzmöglichkeiten in Form von gepressten Heuballen, als auch moderne Polstermöbel, die zum darauf verweilen einluden. Auch mit der Deko hatte sich Lisa richtig Mühe gegeben, außerdem gab es eine ordentliche Musikanlage, an der Kevin, Lisas älterer Bruder, den DJ spielte, zudem wurde ausreichend Platz für eine große Tanzfläche geschaffen. Es war auch ein großes Buffet aufgebaut, an dem Lisa gerade noch Platz für unseren Kartoffelsalat fand. Wie uns Lisa gerade erklärte, waren wir die letzten Gäste, daher wollte sie nun das Buffet eröffnen. Ich hielt angestrengt nach Jonas Ausschau, konnte ihn aber nirgends entdecken, nur Marcel sah ich in einem angeregten Gespräch mit einigen Mitschülern vertieft.
"Suchst du jemand bestimmtes“, wollte Lisa wissen.
"Nein Quatsch, das heißt also doch ...“, stammelte ich.
"Falls du Jonas suchst, er ist nur eben ins Haus, um irgendwelche Platten für meinen Bruder zu holen, die er dort vergessen hat“, meinte Marie grinsend.
"Bin ich so leicht zu durchschauen, ja.“
"Klar, nach deiner Liebeserklärung vor der versammelten Klasse wissen doch alle, dass du auf ihn stehst. Ich fand es übrigens total süß und romantisch.“
"Danke, aber bei Jonas scheint es wohl nichts gebracht zu haben.“
"Quatsch, ich weiß aus ziemlich sicherer Quelle, dass ihm deine Liebeserklärung gefallen hat, du darfst jetzt nur nicht aufgeben.“
In diesem Moment betrat Jonas plötzlich die Scheune, mit einem riesigen Karton voll Schallplatten in der Hand. Als er mich sah, kam er etwas aus dem Tritt und einige Schallplatten fielen herunter. Ich war natürlich gleich zur Stelle, um die Platten aufzuheben. Dabei trafen sich unsere Blicke und es war, als ob eine elektrische Spannung in der Luft liegen würde, die mir eine Gänsehaut am ganzen Körper bescherte.
"He, du hast die da verloren“, sagte ich und überreichte ihm die Schallplatten.
"Danke Luca. He ich muss dann mal die Schallplatten abliefern, sonst geht uns bald die Mucke aus.“
"Ja ok. Meinst du wir können später mal reden?“
"Ja, sollten wir vielleicht. Ok, dann bis später.“
Dann machte Jonas sich auf und lieferte die Schallplatten bei Lisas Bruder ab. Einen kurzen Moment später ging plötzlich die Musik aus und Lisa ergriff das Wort:
"So, schön das ihr alle gekommen seid. Mein Bruder spielt heute unseren DJ und ich soll von ihm ausrichten, dass kleine oder auch größere Spenden gern gesehen werden, deshalb steht vorne bei ihm eine Box und jeder der mag, kann dort ein wenig Geld hineinwerfen. Gut dann wünsche ich euch alle eine schöne Party und das Buffet ist ab sofort eröffnet.“
Das war das Stichwort für die hungrige Meute, das Buffet zu stürmen. Es gab eine Auswahl von Salaten, Vorspeisen und für die ganz hungrigen außerdem noch Schnitzel und Frikadellen. Das ganze war wirklich schön angerichtet und sah wirklich ansehnlich aus. Auch Marie und ich schnappten uns jeder einen großen Teller und luden ihn mit Köstlichkeiten voll. Zum Essen setzte die Musik aus, was ganz angenehm war, da man sich in Ruhe mit den anderen unterhalten konnte. Nach dem Essen gab Maries Bruder am Mischpult richtig Gas und es kam sofort Partystimmung auf. Außerdem gab es eine köstliche Bowle mit Alkohol, die auch reißenden Absatz fand. Um mir ein ungestörtes Gespräch mit Jonas zu ermöglichen, schnappte sich Marie Marcel und zerrte ihn auf die Tanzfläche. Ihrem Beispiel folgten dann auch viele unserer Mitschüler, so dass die Tanzfläche nach kurzer Zeit schon ziemlich voll war. Ich sah, dass Jonas etwas verloren in der Ecke stand, also machte ich mir 2 Becher mit Bowle voll und ging auf ihn zu.
"He, ich habe dir was zu trinken mitgebracht.“
"Danke“, sagte er und nahm den Becher entgegen, den ich ihm reichte.
"He, hier ist es ein bisschen laut, wollen wir kurz mal raus gehen und frische Luft schnappen?“
"Ok, dann los.“
Mit unseren Bowlebechern bewaffnet machten wir uns auf den Weg nach Draußen.
"He schön, dass du gekommen bist, ich hatte gehofft dich hier zu treffen.“
"Ja, ich auch. Du siehst übrigens richtig gut aus in deinen neuen Klamotten.“
"Danke, die habe ich mir von Maries Vater geliehen.“
"Wohnst du jetzt richtig bei Marie?“
"Naja, also erst mal für den Übergang, bis das Jugendamt für mich eine betreute Wohngruppe gefunden hat.“
"Ich finde es übrigens richtig cool, dass du es durchgezogen hast und bei den Eltern ausgezogen bist, aber es war bestimmt auch hart, oder?“
"Naja, es war eher hart zu erfahren, was damals mit Daniel wirklich geschehen ist und welchen Anteil meine Eltern daran hatten. Danach fiel es mir nicht mehr schwer zu gehen. Ich fühle mich bei Maries Familie auch super wohl, sie unterstützen mich in allem.“
"Cool, das freut mich wirklich für dich und was ist mit deinen alten Freunden?“
"Naja, mit denen steht die Aussprache noch aus, nur Rahel weiß bisher Bescheid, also auch von uns. Mit den anderen werde ich noch reden müssen, aber ich mache mir keine großen Hoffnungen, dass wir dann trotzdem befreundet bleiben können.“
"Und wie hat Rahel reagiert?“
"Sie hat absolut großartig reagiert und gemeint, dass sie es wohl insgeheim immer gewusst hatte, aber nur nicht wahrhaben wollte. Sie hat sich sogar noch Vorwürfe gemacht, dass sie wohl ziemlich egoistisch gewesen sei und sie war es, die mir auch geraten hat, von zu Hause wegzugehen und dich zurückzugewinnen.“
"Wow, das ist ja echt groß von ihr.“
"Ja, das ist es. Sie ist wirklich ein toller Mensch. Ich habe übrigens jedes Wort von meiner Entschuldigung auch so gemeint. Ich liebe dich immer noch, das heißt eigentlich habe ich nie damit aufgehört. Bitte verzeihe mir. Ich war so dumm.“
Für einen Moment herrschte fast eine unerträgliche Stille zwischen uns, bis Jonas endlich antwortete:
"Deine Liebeserklärung vor der gesamten Klasse hat mich echt umgehauen, nie im Leben hätte ich mit so was gerechnet. Du hast mich nach Daniels Tod echt verletzt und ich habe Monate gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Man Luca und jetzt, da es mir nach ewiger Zeit endlich wieder besser geht, kommst du mit dieser Liebeserklärung um die Ecke.“
"Man Jonas, es tut mir so leid, dass ich dir so weh getan habe und ich wünschte wirklich, ich könnte es ungeschehen machen, aber das kann ich leider nicht. Ich kann dich nur um Verzeihung bitten.“
"Ich verzeihe dir doch auch du Blödmann. Ich weiß nur nicht, ob ich mich wieder auf eine Beziehung mit dir einlassen kann. Weißt du, es ist einfach zu viel passiert.“
Ich nahm Jonas Hand und zwang ihn, mir in die Augen zu sehen.
"Jonas Stahl, ich liebe dich so, wie ich noch nie einen anderen Menschen zuvor geliebt habe und wenn du noch ein klein wenig Gefühle für mich hast, werde ich um dich kämpfen.“
Plötzlich standen Tränen in Jonas Augen.
"He nicht weinen“, sagte ich und wischte ihm liebevoll eine Träne aus seinem Gesicht.
"Luca, ich will ehrlich zu dir sein. Ja, ich habe natürlich noch Gefühle für dich, aber ich habe auch Angst, dass, wenn ich mich wieder auf dich einlasse, du dir wieder alles anders überlegst und mir wieder weh tust. Ich schaff das einfach nicht nochmal, es tut einfach zu sehr weh.“
Ich nahm Jonas in die Arme und drückte ihn ganz fest, nie zuvor hatte ich solch starke Gefühle für einen anderen Menschen.
"Jonas, ich verspreche dir, dass ich dir niemals wieder so weh tun werde, aber bitte gib nur noch diese eine Chance, ja.“
In diesem Moment klingelte plötzlich mein Handy, dass ich dummerweise vergessen hatte, auf lautlos zu stellen. Ich war aber entschlossen den Anruf zu ignorieren, da es für mich gerade nichts wichtigeres als Jonas gab.
"Geh ruhig ran, vielleicht ist es ja was wichtiges“, meinte Jonas auf einmal.
"Nein schon gut, ich kann ja dann zurückrufen wenn es etwas wichtiges war.“
Nach kurzer Zeit verstummte das Handy endlich, nur um kurz danach wieder zu klingeln. Ich wünschte diesem penetranten Anrufer die Pest an den Hals, weil er mir den perfekten Moment mit Jonas versaut hatte, aber da er nun mal nicht daran dachte aufzugeben, nahm ich dann doch genervt mein Handy aus der Tasche und sah, das es sich bei den "Liebeskiller“ um Max handelte. Man Max hatte echt ein beschissenes Timing, dass musste man ihm echt lassen.
"Sorry Jonas, ich muss da kurz mal rangehen, sonst ruft der noch die ganze Zeit an. Ich mach' s aber kurz, ok.“
"Ja schon gut, geh ran.“
"Man Max, was gibt es denn so Dringendes. Ich bin gerade auf einer Party und habe gerade keine Zeit.“
"Ich habe Daniels Tagebuch gelesen und ich weiß jetzt, dass ich an allem schuld bin. Ich bin schuld, das Daniel tot ist.“
"Jetzt rede doch nicht so einen Stuss. Es ist nicht deine Schuld, wenn überhaupt jemand Schuld hat, dann sind es unsere Eltern.“
"Nein ich bin schuld daran, dass Daniel jetzt tot ist. Er hat es einfach nicht verkraftet, mich mit Katrin zu sehen und sich in der darauffolgenden Nacht umgebracht“, schluchzte er.
"Ja natürlich war es nicht leicht für ihn zu sehen, dass du jetzt plötzlich eine Freundin hast, aber er wusste, dass du dich nur den Druck deiner Eltern gebeugt hast.“
"Weißt du, ich bin so dumm. Ich habe ihn immer geliebt, sogar bis zuletzt, ich ließ mir aber von meinen Eltern einreden, dass das nur eine Phase ist, die wieder vorbei geht und das diese Liebe einfach nicht sein darf, bis ich es am Ende selbst geglaubt habe. Wäre ich nur ein bisschen mutiger gewesen, dann würde Daniel heute noch leben, du weißt, dass ich Recht habe.“
"Man Max, jetzt mach dir bitte nicht solche Vorwürfe. Daniel war selber auch nicht mutig genug sich von unseren Eltern zu lösen, nicht einmal mir hat er sich anvertraut.“
"Ja, aber ich habe ihn verraten, als meine Eltern mich erwischt haben, sonst wäre er jetzt in Berlin und noch am Leben.“
"Das weißt du doch gar nicht, er wäre vermutlich ohne dich gar nicht erst gefahren.“
"Wie auch immer, durch meine Feigheit habe ich den Menschen verloren, den ich am meisten auf dieser Welt geliebt habe und ich weiß nicht wie ich mit dieser Schuld leben soll. Ich kann es einfach nicht. Ich wollte mich eigentlich nur noch von dir verabschieden, du bist echt ein toller Mensch und ich bewundere deinen Mut.“
"Was willst du damit sagen, du willst dich verabschieden? Max, mach jetzt bitte keinen Scheiß, ja.“
"Es macht doch alles keinen Sinn mehr. Ich habe den Menschen verloren, der mir am meisten bedeutet hat und ich werde nie den Mut haben, mich gegen meine Eltern aufzulehnen, so wie du. Ich halte dieses verlogene Leben das ich führe einfach nicht mehr aus“, sagte Max schluchzend.
"Max, wo bist du gerade? Ich komme zu dir und dann reden wir, ok?“
"Weißt du ich blicke gerade auf die ICE Züge, einer von denen hätte mich und Daniel nach Berlin gebracht und wir wären dort glücklich geworden. Fuck, wieso ist das Leben nur so scheiß ungerecht? Mach’ s gut Luca, ich wünsche dir alles Glück dieser Welt.“
"Max, Max, scheisse ... aufgelegt.“
Ich überlegt panisch was ich jetzt tun sollte, ich war mir sicher das Max sich was antun würde.
"Luca, was ist mit Max? Du siehst auf einmal so panisch aus“, wollte Jonas wissen.
"Scheiße ich habe ihm Daniels Tagebuch zu lesen gegeben und jetzt ist er komplett fertig mit der Welt. Ich glaube er hat sich so eben von mir verabschiedet und will sich etwas antun.“
"Fuck, bist du dir sicher?“
"Ja, ich habe ein ganz ungutes Gefühl.“
"Hat er gesagt, wo er gerade ist?“
"Nein, er hat nur irgendetwas davon gefaselt, dass er gerade auf ICE Züge schaut und einer von denen Daniel und ihn nach Berlin gebracht hätte. Scheiße, ich glaube ich weiß wo er ist. Kurz nach dem Bahnhof gibt es eine Brücke, ich weiß von Daniel, dass er und Max oft auf dieser Brücke gestanden haben und sich vorgestellt hatten, wohin die Züge wohl fahren würden. Er ist bestimmt dort, ich bin mir ganz sicher und wenn ich nicht schleunigst dort auftauche, wird ein großes Unglück geschehen.“
"Ich kann meine Eltern anrufen, sie würden uns bestimmt fahren.“
"Nein, das dauert alles zu lange, bis sie erst mal hier sind. Wir müssen sofort los.“
"Ok, dann lass uns zu Lisa gehen und sie fragen, ob ihre Eltern uns fahren können.“
"Ok, dann los.“
Wir gingen auf schnellstem Weg zurück in die Scheune und erklärten Lisa die Sachlage und diese erklärte sich auch sofort bereit ihre Mutter zu bitten, uns zu fahren.
Ihre Mutter begriff den Ernst der Lage und packte Jonas, Lisa, Marie und mich sofort ins Auto. Unterwegs versuchte ich es immer wieder bei Max auf den Handy, er nahm aber nicht mehr ab. So langsam machte ich mir wirklich Sorgen, ich hoffte nur das wir nicht zu spät kommen würden. Ich war froh, dass ich so tolle Freunde gefunden hatte, die mir beistanden und vor allem das Jonas an meiner Seite war. Er war es auch der, der immer wieder beruhigend auf mich einredete und mir sagte, dass alles gut werden würde. Kurz bevor wir die Brücke erreichten, auf der ich Max vermutete, herrschte eine angespannte Stille im Auto.
"Mach dir bitte keine Sorgen Luca, wir werden Max retten“, meinte Marie.
"Ich halte es nicht aus, nochmal jemanden zu verlieren, der mir wichtig ist“, schluchzte ich.
"Dass musst du auch nicht, es wird alles gut werden, ok. Hörst du“, sagte Jonas und nahm mich fest in den Arm.
Als wir endlich an der Brücke angekommen waren, ließ Lisas Mutter uns am Fuß der Brücke raus und suchte sich einen Parkplatz, weil sie dort nicht stehen bleiben konnte. Der Rest von uns sprintete die Treppe zur Brücke hinauf. Ich kam als erster völlig außer Atem dort oben an und hielt panisch nach Max Ausschau, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Wir fingen jetzt alle an laut seinen Namen zu rufen, doch keinerlei Reaktion. Konnte ich mich so geirrt haben? Ich war mir doch so sicher Max hier zu finden. Doch dann hatte ich plötzlich eine Eingebung und sprintete zur Brüstung und dort auf den Zuggleisen sah ich ihn stehen.
"Max, Max komm da sofort runter“, schrie ich mir die Seele aus den Leib, doch er schien mich gar nicht wahrzunehmen und sah noch nicht einmal hoch. Noch bevor die anderen überhaupt verstanden was Sache ist, sprintete ich zu den Gleisen hinunter. Ich hoffte nur, dass jetzt nicht in diesem Moment ein Zug kommen würde. Ich hörte noch wie die anderen mir panisch hinter her riefen, doch ich war wie im Tunnel und nahm nichts mehr außer Max war. Immer wieder hatte ich das furchtbare Bild vor Augen, wie er von einem Zug überrollt wird. Ich musste ihn unbedingt retten, ich musste einfach. In dem Augenblick als ich an den Gleisen angekommen war, hörte ich aus der Ferne einen Zug anrauschen. Verdammt, nein, das durfte einfach nicht sein.
Max hatte die Augen geschlossen und stand mit ausgestreckten Armen auf dem Gleis. Als der ICE um die Ecke rauschte stand er plötzlich wie ein Reh im Scheinwerferlicht ganz still und regte sich nicht mehr.
"Max, verflucht nochmal, komm da runter, bitte tu es nicht.“
Erst jetzt schien er mich wahrzunehmen und er sah mich an.
"Geh weg Luca, glaub mir,. es ist besser so.
"Nein, ich werde dich nicht sterben lassen.“
Ich rannte über die Gleise und versuchte Max noch rechtzeitig vor Ankunft des Zuges wegzureißen. Das letzte was ich sah, war das entsetzte Gesicht des Lokführers, als er uns entdeckte.
Währenddessen rannten Jonas, Marie und Lisa, Luca hinterher, doch er sprintete als wäre der Leibhaftige hinter ihm her und sie hatten Mühe hinterher zu kommen.
Als sie dann endlich an den Gleisen angelangt waren, bot sich ihnen dort ein schreckliches Szenario. Max stand mit ausgestreckten Armen mitten auf den Gleis, zur gleichen Zeit näherte sich ein Zug, der im Begriff war ihn zu überfahren. Luca sprintete auf die Gleise und versuchte Max davon runter zu zerren, doch der Zug kam immer näher.
"Luca, komm da runter. Der Zug kommt. Luca, bitte“, schrie Jonas aus Leibeskräften.
Doch es war zu spät.
Das letzte was sie hörten war das ohrenbetäubende Quietschen der Bremsen des Zuges, der Lokführer schien die Beiden zu spät gesehen zu haben, so dass der Zug sie überrollte. Jonas brach daraufhin weinend zusammen.
"Luca, nein. Ich liebe dich doch.“
Marie nahm den apathischen Jonas fest in die Arme, während dieser hemmungslos schluchzte und auch bei ihr brachen jetzt alle Dämme. Lisa stand unter Schock, setzte sich auf den Rasen vor den Gleisen und übergab sich erstmal.
Währenddessen stürmte Lisas Mutter zu den Gleisen hinunter.
"Oh mein Gott Lisa, was ist denn bloß hier passiert.“
Lisa saß nur völlig apathisch auf den Rasen vor den Gleisen und war nicht im Stande eine Antwort zu geben.
"Lisa, mein Schatz. Was ist denn nur los. Geht's dir gut? Ist dir was passiert?“
"Der Zug … Der Zug … Er hat beide überrollt“, stammelte sie schließlich.
Erst jetzt sah Lisas Mutter das ganze Ausmaß der Katastrophe - ein riesiger ICE dessen Bremsen immer noch quietschten - einiger Meter davor lagen Marie und Jonas sich in den Armen und schluchzten beide hemmungslos. Sie rannte geistesgegenwärtig vor zu den Beiden.
"Marie, Jonas. Geht es euch gut? Ist euch was passiert?“
"Nein, uns geht es gut. Aber Luca, versuchte seinen Freund von den Gleisen zu zerren. Doch es war zu spät, der Zug hat die Beiden einfach überrollt“, schluchzte Marie.
"Oh mein Gott, das ist ja furchtbar.“
Als der Zug endlich zum stehen kam, war er bereits ein Stück über die Unfallstelle hinaus gerollt. Gegenüber vom Gleis vernahmen sie plötzlich Stimmen. Ja jemand, schien ganz furchtbar zu weinen. Plötzlich keimte wieder Hoffnung in ihnen auf. Jonas war der Erste der reagierte und trotz der Dunkelheit über die Gleise rannte, dicht gefolgt von Marie.
"Luca, Luca bist du das“, schrie er aus Leibeskräften.
"Ja Jonas, uns geht es gut. Wir haben es gerade noch rechtzeitig geschafft, aber es war echt verdammt knapp.“
Jonas stürmte auf mich zu und schloss mich in die Arme.
"Du dummer, dummer Kerl. Tu mir so etwas ja nie wieder an. Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren und dabei brauch ich dich doch. Ich liebe dich. Ich liebe dich so wahnsinnig, du dummer aber so verdammt mutiger Junge. Ich lass dich ab sofort nie wieder gehen, hörst du.“
"Ich liebe dich auch Kleiner. Du wirst mich jetzt nicht mehr los“, lachte ich.
Was folgte, war der absolut wahnsinnigste Kuss meines Lebens, bei dem ganze Feuerwerke in meinem Kopf gezündet wurden. Danach stürmte auch Marie in meine Arme und umarmte mich so heftig, dass ich dachte sie will mich erdrücken oder zumindest ein paar Rippen brechen.
"Marie, bitte. Du erdrückst mich. Ich kann kaum noch atmen.“
Erst danach ließ sie wieder von mir ab.
"Du bist der dümmster Junge, den ich kenne, hörst du“, schrie sie mich fast an.
"Aber auch der mutigste. Du hast Max das Leben gerettet und dein eigenes dabei in Gefahr gebracht, du bist ein echter Held, aber tu so was ja nie wieder. Ich habe beinahe einen Herzinfarkt bekommen.“
"Ok, versprochen“, lachte ich.
Währenddessen kauerte Max in der Ecke, weinte hemmungslos und war gar nicht mehr zu beruhigen. Jonas und ich legten seine Arme über unsere Schultern und halfen ihm über die Gleise. Dort wurden wir gleich von Lisa und ihre Mutter in Empfang genommen, die uns ebenfalls erleichtert in die Arme schlossen.
Plötzlich kamen Menschen in orangenen Warnwesten mit Taschenlampen bewaffnet auf uns zu. Sie stellten sich uns als der Lokführer und Zugchef des ICE’s vor und erkundeten sich nach unserem Befinden. Die Beiden waren unendlich erleichtert, dass wir wohlauf waren und uns nichts passiert war. Sie unterrichteten uns, dass sie Polizei und Krankenwagen bereits verständigt hätten und diese in Kürze eintreffen müssten. So war es dann auch. Kurze Zeit später traf die Kavallerie ein. Die Polizei nahm unsere Aussagen auf und die Sanitäter bestanden darauf, Max und mich zur Vorsorge ins Krankenhaus zu bringen. Max war total fertig mit den Nerven und konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen. Marie war so nett und fuhr bei ihm im Krankenwagen mit, um sich ein bisschen um ihn zu kümmern. Bei mir fuhr Jonas mit und hielt die ganze Fahrt über meine Hand, was ich total niedlich fand. Lisa und ihre Mutter boten uns an ins Krankenhaus nachzukommen, aber wir lehnten ab, sie hätten genug getan und sollten lieber wieder nach Hause fahren, stattdessen wollten Jonas und Marie ihre Eltern anrufen, damit sie uns später abholen kommen würden. Wie erwartet, wurden weder bei mir noch bei Max im Krankenhaus irgendwelche Verletzungen diagnostiziert, daher durfte ich nach Hause. Bei Max sah die Sache allerdings anders aus, da er nach Meinung der Ärzte immer noch suizidgefährdet war, wurde er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Bevor er dort hingebracht wurde, sah ich aber nochmal in seinem Zimmer vorbei. Er lag ganz teilnahmslos im Krankenbett und sah wirklich nicht gut aus.
"He Max, man was machst du denn bloß für Sachen?“
Erst jetzt bemerkte er mich und augenblicklich füllten sich seine Augen schon wieder mit Tränen.
"Luca, es tut mir so furchtbar Leid, ich wollte dich nicht in Gefahr bringen. Ich hätte mir nie verziehen, wenn dir etwas passiert wäre“, schluchzte er.
Ich ging zu ihm vor und hielt seine Hand.
"Ist schon gut, dass weiß ich doch. Ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist.“
"Warum hast du mich nicht einfach sterben lassen? Ich kann einfach nicht mehr. Ich kann so nicht mehr leben. Ich kann nicht mehr zurück zu meinen Eltern.“
"Hör auf so zu reden. Es gibt für alles eine Lösung, ok. Du musst auch nicht mehr zu deinen Eltern zurück. Du gehst jetzt erst mal in diese psychiatrische Klinik und wenn es dir dann wieder besser geht, gehe ich mit dir zum Jugendamt und die besorgen uns dann eine betreute Wohngruppe und in der Zwischenzeit sorge ich dafür das du irgendwo unterkommst, ok. Aber du musst mir versprechen, so etwas nie wieder zu tun, ok. Ich kann nach Daniel nicht noch jemanden verlieren, der mir wichtig ist.“
Auch bei mir liefen jetzt die Tränen.
"Ok, ich verspreche es dir. Ich danke dir Luca, ich danke dir für alles. Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder gutmachen soll.“
"Am besten indem du bald wieder gesund wirst. Ich werde dich dort in der Klinik besuchen, ok.“
"Ok, ich freue mich darauf.“
Ein letztes Mal nahm ich ihn nochmal fest in den Arm.
"Machs gut Max, wir sehen uns.“
"Ja du auch.“
Ich ließ ihn dort im Zimmer zurück und hoffte, das es ihm bald besser gehen würde. Ich nahm mir fest vor, ihn in der psychiatrischen Klinik zu besuchen und sobald er raus käme, mich um ihn zu kümmern. Als ich das Zimmer verließ, wurde ich von Jonas in Empfang genommen, der mir und Max etwas Zeit zusammen geben wollte und vor der Tür gewartet hatte. Er sah gleich, dass ich emotional etwas mitgenommen war und nahm mich liebevoll in den Arm. In der Zwischenzeit waren auch Maries Eltern im Krankenhaus eingetroffen, und als mich Ruth sah, stürmte sie gleich auf mich zu und drückte mich ganz fest. Die gleiche Behandlung musste ich mir auch noch von Dirk gefallen lassen, aber es tat in diesem Moment wirklich gut.
"Luca, Marie hat uns bereits alles erzählt. Ich bin ja so froh, dass dir nichts passiert ist. Du bist ja ein richtiger Held, auch wenn diese Aktion auch durchaus ins Auge hätte gehen können“, meinte Ruth.
"Ja ich weiß, ich konnte ihn aber nicht dort stehen und sterben lassen. Ich musste etwas tun.“
"Das weiß ich doch Schatz, du bist eben ein ganz toller Mensch.“
Erst jetzt fiel Ruths Blick auf Jonas, der die ganze Zeit neben mir gestanden hatte.
Sie gab ihm freundlich die Hand und sagte:
"Ich nehme an, dass du Jonas bist?“
"Ja, Frau Baumann.“
"Luca hat seit Tagen kein anderes Gesprächsthema mehr als dich. Wie es aussieht habt ihr endlich wieder zusammen gefunden und ich freue mich total für euch. Er ist wirklich ein ganz toller Junge, tu ihm bitte nicht weh, ja.“
"Ja, dass weiß ich Frau Baumann. Ich werde ihn nie wieder gehen lassen und habe nicht vor ihm weh zu tun - ganz im Gegenteil.“
Plötzlich weiteten sich meine Augen vor Schreck, als ich Max Eltern um die Ecke kommen sah. Sein Vater kam energischen Schrittes auf mich zu, so dass seine Frau Mühe hatte mit ihm Schritt zu halten.
"Oh nein, was wollen die denn jetzt hier. Leute, das sind Max Eltern. Er möchte sie auf keinen Fall sehen und das Klinikpersonal weiß eigentlich auch Bescheid. Wir dürfen Sie auf keinen Fall zu ihm lassen.“
"Das Krankenhaus hat uns angerufen und gesagt, dass Max einen Unfall hatte. Was soll dieser Quatsch, dass er uns nicht sehen will. Ich will jetzt sofort wissen wo er liegt?“
"Er will euch nicht sehen und er hatte auch keinen Unfall, sondern hat versucht sich das Leben zu nehmen“, erwiderte ich.
"Was redest du da für einen Unsinn Luca. Wieso sollte Max versucht haben sich umzubringen“, schaltete sich plötzlich Max Mutter in das Gespräch mit ein.
"Das wisst ihr doch genau. Ihr habt ihn gezwungen seine Homosexualität zu unterdrücken und deshalb war er todunglücklich, genauso wie Daniel es gewesen ist.“
"Unser Sohn gehört nicht zu diesen kranken Homosexuellen. Er hat eine Freundin und ist sehr glücklich mit ihr. Dein verkommener Bruder hat ihm nur diesen ganzen Unsinn eingeredet.“
Das war zu viel für mich. Ich konnte nicht zulassen, dass er so abwertend über meinen toten Bruder sprach und daher stürzte ich mich wütend auf ihn. Ich erwischte ihn mit der Faust mitten auf der Nase, so dass seine Brille auf den Boden fiel. Nur da ich von Dirk und Jonas zurückgezerrt und festgehalten wurde, ließ ich von ihm ab.
"Mein Bruder war der tollste Mensch, den man sich überhaupt vorstellen kann und ich lass nicht zu, dass du so über ihn redest.“
Dirk und Jonas mussten mich mit vereinten Kräften festhalten, damit ich mich nicht nochmal auf ihn stürzte.
"Das hast du nicht umsonst gemacht Bürschchen. Wir sprechen uns noch. Und jetzt habe ich genug von diesen Kasperletheater. Du sagst uns jetzt sofort, in welchem Zimmer unser Sohn liegt.
Er ging einen Schritt auf mich zu und war im Begriff mich am Kragen zu packen, ehe Dirk sich schützend vor mich stellte.
"Wagen sie es ja nicht, ihn anzufassen. Ich rate Ihnen jetzt endlich zu verschwinden, sonst werde ich ungemütlich. Kapieren sie endlich, dass Ihr Sohn sie nicht sehen will. Er hat versucht, sich das Leben zu nehmen und sie sind mit ihren kranken Erziehungsmethoden daran nicht ganz unschuldig.“
"Was bilden Sie sich eigentlich ein, sich ein Urteil über unsere Erziehung zu erlauben und überhaupt, wer sind Sie überhaupt.“
Zum Glück kam in diesem Augenblick der Sicherheitsdienst, der von Marie alarmiert wurde, herbeigeeilt und nahm Max Eltern gleich mit. Ich war echt total erleichtert, dass sie endlich weg waren.
"Ruth, wenn Max aus der psychiatrischen Klinik entlassen wird, kann er nicht mehr zu denen zurück. Wir müssen ihm helfen. Er schafft das nicht alleine.“
"Luca, ich verspreche dir, dass wir ihm helfen werden. Ich werde nicht zulassen, dass er zu seinen Eltern zurück muss und sie ihn kaputt machen.“
"Danke Ruth, du bist einfach die Beste. Ich weiß nicht, was ich ohne dich und Dirk machen würde.“
"Du gehörst doch jetzt zur Familie und als solche müssen wir zusammenhalten.“
Ich konnte nicht anders und musste Ruth und Dirk fest in die Arme schließen. Ich war so froh, dass sie für mich da waren.
Auch Jonas Eltern hatten inzwischen den Weg in unsere Station gefunden und schlossen ihren Sohn in die Arme. Die Begrüßung mir gegenüber fiel allerdings etwas kühl aus, aber wer will es ihnen verdenken, nachdem ich Jonas so verletzt hatte.
"Mama, Papa darf Luca heute bei mir übernachten? Ich möchte ihn jetzt ungern alleine lassen“, fragte Jonas seine Eltern.
"Können wir darüber erst mal unter 4 Augen reden?“
Jonas verzog sich mit seinen Eltern außer Hörweite und ich konnte sie diskutieren sehen. Anscheinend war Jonas mit seinen Argumenten erfolgreich, denn kurze Zeit später kam er freudestrahlend zurück.
"Geht klar Luca, du schläfst heute bei uns. Wir fahren auch nochmal kurz bei Marie vorbei um ein paar Sachen von dir zu holen.“
"Ok cool, ich freu mich.“
Gesagt - getan. Wir fuhren noch bei den Baumanns vorbei, um ein paar Sachen von mir zu holen und machten uns dann auf den Weg zu Jonas. Dort angekommen flitzte Jonas erst einmal schnell in sein Zimmer, um dort noch etwas aufzuräumen, wie er sagte. Diese Gelegenheit nutzte Jonas Mutter, um mich nochmal zur Seite zu nehmen.
"Ich rate dir, ihm nicht nochmal das Herz zu brechen, sonst kriegst du es mit mir zu tun. Jonas hat sich monatelang wegen dir die Augen ausgeheult und das möchte ich nicht nochmal erleben.Ich sage dir ganz ehrlich: Ich bin nicht begeistert von eurem Liebescomeback, aber was soll ich machen - mein Sohn liebt dich nun mal. Aber das ist jetzt deine letzte Chance, vergeigst du sie wieder, werde ich dir weh tun, verstanden.“
"Ja Frau Stahl, ich habe verstanden. Mir ist klar, dass ich mir erst wieder das Vertrauen von Ihnen und Ihrem Mann verdienen muss, aber ich verspreche Ihnen, Jonas glücklich zu machen.“
"Ok, dann willkommen zurück und versau es nicht wieder.“
"Nein, werde ich nicht.“
Ich hoffte, dass Jonas inzwischen mit aufräumen fertig war und machte mich auf den Weg in sein Zimmer. Ich klopfte vorsichtig an.
"Ja herein. Oh du bist es, perfektes Timing, bin gerade fertig geworden. Magst du was trinken?“
"Nein danke, aber eine Dusche wäre nicht schlecht.“
"Ja klar, kein Problem. Ich lege dir ein frisches Handtuch hin. Ich geh dann nach dir duschen, ok.
"Ach wozu diese Wasserverschwendung. Wenn du magst, kannst du mitkommen?“
Jonas grinste plötzlich über das ganze Gesicht.
"Klar, wer kann so einem Angebot schon widerstehen.“
Also gingen wir zusammen unter die Dusche und brauchten entschieden länger, als wenn wir nacheinander geduscht hätten, da wir uns ausgiebig Zeit nahmen, auch empfindliche Körperteile gründlich zu waschen. Zufrieden und erleichtert gingen wir dann schließlich ins Bett und quatschten noch die halbe Nacht, bis uns langsam die Augen zu fielen und wir aneinander gekuschelt einschliefen.
Am nächsten Morgen wurde ich durch das Klingeln meines Telefons geweckt. Es war Finn. Er hatte in der letzten Zeit schon häufiger angerufen, aber nie hatte ich abgenommen. Doch jetzt fasste ich mir ein Herz und nahm den Anruf entgegen.
"He Finn.“
"Man Luca, endlich nimmst du mal ab. Wo steckst du denn? Du bist nicht mehr zu Hause, in die Versammlung kommst du auch nicht mehr und deine Eltern wissen auch nicht wo du steckst. Was zum Teufel ist eigentlich los? Ich dachte, wir sind beste Freunde, seit Tagen versuche ich dich schon zu erreichen, aber du meldest dich einfach nicht.“
"Ja Finn, du hast Recht. Es tut mir leid. Es ist einfach so viel passiert in den letzten Tagen. Ich habe einfach ein bisschen Zeit für mich zum nachdenken gebraucht. Ich werde dir alles erklären, aber nicht am Telefon, lass uns treffen.“
"Ok, kommst du zu mir?“
"Nein, besser nicht. Lass uns an unserer Stelle am See treffen. Am besten nimmst du auch gleich Lea und Rahel mit. Ich habe euch allen etwas mitzuteilen, aber kein Wort zu meinen Eltern, ja?“
"Ok, da bin ich aber gespannt. Nein, ich sage deinen Eltern schon nichts. Wann wollen wir uns treffen?“
"Sagen wir heute Nachmittag 15 Uhr?“
"Ok, das passt bei mir. Ich gebe Lea und Rahel dann auch Bescheid. Luca?“
"Ja.“
"Sind wir noch Freunde?“
"Klar sind wir das. Ich hoffe, dass bleiben wir auch, nachdem du gehört hast, was ich zu sagen habe.“
"Ok, jetzt machst du mir ein bisschen Angst. Dann bis später.“
"Ja bis später.“
Obwohl ich total aufgeregt davor war, meinen Freunden die Wahrheit zu sagen, wusste ich, dass es das einzig Richtige ist. Wir kannten uns schon unser ganzes Leben lang und sie hatten einfach verdient, dass ich zu ihnen ehrlich bin. Das würde ganz schön schwierig werden, Finn und Lea zu gestehen, dass ich jetzt einen Jungen liebe, aber Rahel war ja schon eingeweiht und würde vielleicht zwischen uns vermitteln können.
Durch mein Telefonat im Zimmer war Jonas inzwischen wach geworden und sah mich mit großen Augen an.
"Du willst da wirklich hingehen?“
"Ja Jonas, sie haben ein Recht auf die Wahrheit und zwar die ganze Wahrheit.“
"Soll ich mitkommen?“
"Nein danke Süßer, aber ich glaube, es ist besser, wenn ich alleine mit ihnen rede.“
"Ich habe irgendwie ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache. Was ist, wenn sie trotzdem deinen Eltern Bescheid geben und sie dort auf dich warten?“
"Keine Sorge Jonas, Finn ist mein bester Freund und würde mich niemals verraten.“
"Ok, wenn du meinst, aber sei bitte vorsichtig und wenn irgendetwas ist, rufst du mich sofort an, ok.“
"Ok, versprochen.“
Wir blieben danach noch lange im Bett liegen und genossen unsere Zweisamkeit. Ich war einfach total glücklich. Ich war endlich mit dem Jungen zusammen, den ich von ganzem Herzen liebte und wir mussten uns auch nicht mehr verstecken. Ich war endlich frei und diese Freiheit wollte ich mir nie wieder nehmen lassen. Das Gespräch mit meinen Freunden würde echt schwierig werden, dass wusste ich, da machte ich mir auch nichts vor. Wenn sie aber echte Freunde sind, werden sie mich so akzeptieren wie ich bin, ansonsten kann und muss ich auf ihre Freundschaft verzichten.
Mittags nahm ich noch mit Jonas ein spätes Frühstück ein. Seine Eltern waren bereits aus dem Haus um einkaufen zu gehen, wie sie uns per Notiz auf einem Zettel, der auf den Tisch stand, mitteilten. Sie ließen aber netterweise den Tisch für uns gedeckt und auch der Kaffee war noch frisch. Also ließen wir uns Zeit für ein ausgiebiges, entspanntes Frühstück. Nachdem wir alles aufgeräumt hatten, war es auch schon fast für mich Zeit zum See aufzubrechen. Kurz bevor ich aufbrechen musste, ermahnte mich Jonas nochmal, sofort anzurufen wenn irgendetwas nicht stimmte. Er machte sich wirklich Sorgen um mich, was ich auch irgendwie süß fand und am liebsten wäre er auch mitgekommen, aber da musste ich jetzt erst mal alleine durch.
"Pass auf dich auf Luca und melde dich bitte sofort, wenn irgendetwas ist.“
"Ja keine Sorge Jonas, ich passe schon auf mich auf.“
Jonas machte ein unglückliches Gesicht.
"Ach, komm mal her Kleiner.“
Ich nahm ihn in den Arm und küsste ihn ganz sanft und lange.
"Ich verspreche dir auf mich aufzupassen und ich werde mich sofort bei dir melden, sobald das Gespräch vorbei ist, ok.“
"Ok.“
Mit diesen Worten verließ ich das Haus, schwang mich auf mein Fahrrad und radelte los zum See.
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