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Wie ein roher Diamant

Teil 6 - Jade

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Anstatt nach Hause, war Jan in die nächste Bar gegangen. Nachdenklich betrachtete er den Inhalt seines Glases, das er auf der Theke zwischen zwei Fingern drehte.

Er war sich nicht sicher, was ihn mehr kränkte, dass Alexander so scheinbar immun gegen sein Charisma war - immerhin hatte er bisher jeden Typen bekommen, den er wollte - oder die Unterstellung, dass er es nicht ernst meinte.

Gut, Jan hatte sich noch nie für einen Typ für Beziehungskisten gehalten, aber er wollte ihn ja nicht gleich heiraten.

Jemand wie Alexander war ihm noch nie begegnet. Er hatte fast alle Register gezogen, so viele brauchte er sonst nicht, eigentlich hatte er sie noch nie gebraucht. Das war ihm etwas vollkommen Unbekanntes. Alex blockte immer ab und ließ sich einfach nicht rumkriegen.

Es war ihm ein Rätsel, nicht nur Alexanders störrisches Verhalten, sondern auch, dass es ihn zunehmend verwirrte und kränkte. Er wusste einfach nicht weiter.

Seufzend warf er einen Blick auf die Uhr. Wenn er noch mal auf die Piste wollte, musste er langsam nach Hause, um sich zu duschen und andere Klamotten anzuziehen.

Er legte das Geld auf die Bar und machte sich auf den Weg.

Die Schultern hochgezogen musterte er den Asphalt. Was sollte er nur tun?

Zugegeben, er hatte Alexander anfangs nicht gerade nett behandelt. Aber konnte denn jemand ahnen, wohin sich das ganze entwickeln würde? Er am allerwenigsten. Außerdem hatte er sich Mühe gegeben, hatte versucht, die anfängliche Antipathie auszubügeln. Doch scheinbar war das von anderer Seite weniger gewünscht gewesen. Und dass dieser komische Italiener Alex den Laufpass gegeben hatte, dafür konnte er nun wirklich nichts, auch wenn es ihm hervorragend gepasst hatte. Die Schmalzlocke hatte er eh nicht leiden können. Der war gar nicht Alexanders Typ gewesen, das erkannte doch ein Blinder mit Krückstock.

Ein verärgertes Schnaufen verließ Jans Kehle.

Nichtsdestotrotz hatte er den anderen trösten wollen, und was hatte er zum Dank bekommen? Einen Tritt gegen das Schienbein und Popcorn, das ihm in den Haaren klebte.

Er war eindeutig ein Opfer!

Aber das würde er sich entlohnen. Ein paar Drinks, vielleicht ein paar Pillen und viel, viel Sex. Das hatte er sich verdient.

Wirklich wundern über die Dunkelheit in der Wohnung, tat sich Jan nicht. Die riesigen Fenster ließen so viel Licht hinein, dass man gut alles erkennen konnte, ohne Gefahr zu laufen, irgendwo gegenzustoßen und unschöne Erinnerungen daran zu behalten, seien es blaue Flecken oder blutige Schrammen; im ärgsten Fall ein Schädel-Hirn-Trauma.

Alexander war mit größter Sicherheit bereits im Bett und das ärgerte ihn. Dass der andere so ein Feigling war, hatte sich Jan nicht gedacht. Er hatte ja die Hoffnung nicht aufgegeben, entgegen seiner Vermutung, dass Alex als Landpomeranze eher Gummistiefelcharme bevorzugte und Sex nur bei gelöschtem Licht, dass er sich halbnackt auf seinem Bett drapieren würde, um in freudig erregter Erwartung ihn um Gnade anzubetteln. Ja, das wäre eher nach seinem Geschmack gewesen...und er hätte ihn betteln lassen. Noch und nöcher.

Leider war das nicht der Fall und Jan kam nicht umher, frustriert aufzuseufzen. Er warf seine Klamotten auf einen Haufen in der Ecke, suchte sich neue heraus und betrat das Badezimmer.

Der Lichtschalter war betätigt und in der winzigen Sekunde zwischen der Dunkelheit, dem Aufblitzen der Neonröhre und dem vollständigen Erhellen des Raumes bis in alle Ecken erstarrte Jan zur Salzsäule.

Alexander blinzelte ihn an wie ein Maulwurf. Einerseits durch die plötzlich blendende Helligkeit, andererseits durch das Blut, das ihm ins Auge lief.

„Scheiße! Alex...“

Jetzt kam Bewegung in Jan. Er kniete sich neben ihm vor die Toilettenschüssel, aus der ein säuerlicher Geruch strömte. Das Wenige, was Alexander im Magen gehabt hatte, war auf verkehrtem Weg wieder herausgekommen, bereits zum dritten Mal. Mittlerweile erbrach er nur noch Galle. Weder sein Rachen, der wie Feuer brannte, noch seine Rippen waren davon sehr begeistert.

Jan nahm das blasse, malträtierte Gesicht zwischen die Hände und ließ seinen Blick einmal hastig darüber gleiten.

Bisher umfasste sein Wissensstand eine Platzwunde an der rechten Augenbraue, blutige Lippen und Nase, aufgeschürfte linke Wange.

Alexander verzog schmerzlich das Gesicht, während Jan nicht gerade zimperlich vorging, um ihn weiter zu untersuchen.

„Bitte...“, krächzte er und lehnte sich schwer gegen die Duschkabine, schloss die Augen, atmete sehr flach und hielt sich schützend die Rippen mit dem Unterarm.

„Was ist denn passiert?“, fragte Jan aufgebracht nach. „Herr Gott, kann man dich nicht mal nach sechs auf der Straße allein lassen ohne, dass du Scheiße baust? Scheiße!“

Eine weitere Welle von Übelkeit brach über Alex herein, er beugte sich nur mit dem Gesicht über die Schüssel. Sein Magen zog sich immer und immer wieder zusammen, doch das einzige, was er erbrach, waren Speichel und Galle. Die Unbarmherzigkeit seines Körpers, der sich gegen ihn stellte, trieb ihm die Tränen in die Augen.

Jan rannte ins Wohnzimmer, wählte die Nummer des Notrufs und zog sich während des Gesprächs, den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt, hektisch eine Hose an. Er hatte alle Daten durchgegeben und warf das Handy einfach auf die Couch.

Er plünderte den Erste-Hilfe-Kasten und kam mit einigem Verbandsmaterial zu Alex zurück. Jan lächelte gezwungen, wich dem stumpfen Blick der sonst so rehbraunen Augen aus.

„Ich hab das noch nie gemacht. War auch nie bei so einem Kurs. Sollte ich vielleicht mal überdenken, wenn du dich weiter zusammenschlagen lässt, damit ich dich ordentlich verarzten kann“, begann er zu scherzen, während er Alexander die blutenden Platzwunde verband. Er hatte keine Ahnung von dem, was er tat, aber er hatte genug Filme gesehen, um zu wissen, dass es galt, die Wunde abzudecken und die Blutung zu stillen. Außerdem gab es ihm etwas zu tun und er musste nicht nachdenken.

Alexander schwieg, er schloss die Augen und ließ Jan machen. Sein gesamter Körper schmerzte. Sie waren in keinster Weise zurückhaltend gewesen. Zorn und Hass waren erschreckend. Ließ man ihnen freien Lauf, wurden Emotionen gefährlicher als jede Waffe, die der Mensch erfunden hatte oder erfinden würde.

Als der Krankenwagen eingetroffen war, ging alles sehr schnell. Nach einer kurzen Untersuchung entschied man, dass Alexander in der Notaufnahme besser aufgehoben war.

Als Nicht-Blutsverwandter musste Jan selbst zusehen, wie er ins Krankenhaus kam, allerdings übernahm momentan sein Unterbewusstsein die Regierung. In vollkommener Ruhe zog er sich an, nahm Papiere, Geld und Schlüssel mit und rief sich ein Taxi.

In der Wartezone trank er einen Kaffee und starrte die Uhr an. Mit schier unendlicher Langsamkeit bewegten sich die Zeiger, genauso träge wie seine Gedanken, die sich im Moment um so unwichtige Dinge drehten, wie dass er morgen Wäsche waschen sollte und sein Mülleimer auch wieder mal geleert werden sollte.

Im Nachhinein konnte sich Jan an nichts mehr erinnern. Die Lücke in seiner Erinnerung vom Absetzen des Notrufs und der Heimfahrt blieb ein schwarzes Loch.

„Wirst du Anzeige erstatten?“, fragte Jan in die unerträgliche Stille hinein, die im Taxi herrschte. Alexander war genäht worden, hatte einen Stützverband bekommen und eine Menge Schmerzmittel, aber er musste nicht zwangsläufig im Krankenhaus bleiben.

Als Alex nicht antwortete, wandte Jan den Kopf und betrachtete ihn. Er war gegen die Tür gesunken und schlief bereits. Schmerzmittel bewirkten bekanntlich nicht nur eine Leck-mich-am-Arsch-Stimmung, sondern auch Müdigkeit, was gar nicht schlecht war, allerdings Jan vor das Problem stellte, Alex in die Wohnung tragen zu müssen. Gott sei Dank hatten sie einen Lift.

Selbst im halbwachen Zustand war Alexander immer noch recht schwer, aber das hinderte Jan schließlich daran, ihn wie eine Prinzessin über die Schwelle zu tragen, da er es vorgezogen hatte, bereits in der Eingangshalle in sich zusammenzusacken.

Pragmatisch wie Jan war, brachte er Alexander in sein eigenes Zimmer und legte ihn dort auf dem Bett ab. Er entkleidete ihn vorsichtig und presste die Kiefer aufeinander. Einige Blutergüsse hatten sich bereits tiefschwarz verfärbt und würden noch tagelang, wenn nicht gar wochenlang, zu sehen sein. Es war zwar kalt draußen, aber Jan verzichtete darauf, Alexanders Rippen noch zusätzlich mit dem Gewicht der Decke zu belasten. So drehte er die Heizung auf und bezog Stellung neben dem Bett. So konnte er jederzeit etwas holen und da sein, wenn Alexander etwas brauchte.

Jetzt, da er zur Ruhe kam, begann er zu zittern. Er betrachtete seine Hände, die gar nicht mehr aufhören wollten, ganz so als litt er an Schüttellähmung. Ein eiskalter Schauer kroch über seinen Rücken und verlieh ihm eine fiese Gänsehaut, dass ihm ganz schlecht wurde. Schützend schlang er seine Arme um sich selbst und presste seine Hände unter seine Achseln, um sie zum Aufhören zu bewegen.

Die Angst und der Schock bei Alexanders Anblick kam schlagartig zurück, brach sich gewaltsam Bahn und schüttelte ihn regelrecht durch.

Mit stolpernden Schritten schaffte er es noch zur Toilette und erbrach den spärlichen Inhalt seines Magens: Kaffee und nochmals Kaffee. Zitternd sank er vor der Schüssel zusammen und legte sich die Hände über das Gesicht.

Das zweite Mal, dass er Schuld auf seine Schultern geladen hatte, die dazu führte, dass es Alexander schlecht ging. Und diesmal hatte es ihn fast das Leben gekostet.

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