zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Die Geschichte einer Liebe

Aus alt mach neu Challenge 2018

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Vorwort

Diese Story ist eine Fortsetzung von Audilove - Die Geschichte einer Liebe die im Rahmen der Challenge 2018 "Aus alt mach neu" entstanden ist.

 

Eine Liebe

... Aber zu welchem Preis?

Er konnte nicht mehr laufen, seine linke Seite war von vorne bis hinten komplett zerquetscht. Seine schönen Räder zerstört. Die Federbeine zerbrochen und einschließlich der Gelenke und Aufhängungen irreparabel verformt.

Aber das würde ja bedeuten, dass er zwar den Unfall überlebt hatte, aber ...

Ich wollte den Gedanken gar nicht zu Ende denken. Wer würde sich schon ein Auto in diesem Zustand in die Garage stellen?

Wochenlang fuhr ich wie benebelt durch die Gegend. Mein Besitzer interpretierte meine Aussetzer schon als altersbedingte Störanfälligkeit und gedachte sich von mir zu trennen. Das war mir eigentlich alles egal, bis mir auffiel, dass ich dann ja auch von Georg getrennt würde.

Nein, das durfte nicht sein.

Er war der einzige, der mir in dieser schweren Zeit zur Seite stand und mich behutsam tröstete.

Im Gegensatz zu den arroganten VW-Arschlöchern von Gegenüber, die sich in meinem Unglück zu suhlen schienen und immer hämische und abfällige Bemerkungen fallen ließen. Eigentlich wünschte ich ihnen den Rost an den Hals, aber dann hätte ich mich ja auf deren Niveau herab begeben. Das wollte ich auch wieder nicht. So ignorierte ich sie so gut es ging und ließ mich von Georg in die starken Arme nehmen - bildlich gesprochen.

Davids Besitzerin erholte sich ganz gut, weshalb die beiden beschlossen, einen längeren Urlaub auf irgend so einer fernen Insel zu machen. Dazu musste ich die beiden mit ihrem tonnenschweren Gepäck zu dem kleinen Bahnhof unserer noch viel kleineren Stadt bringen und wurde dort mit der Schnauze zum Gleis erstmal für die nächste Zeit geparkt. Boah eh, aller meistens stand ich da einsam und alleine, was besonders nachts ziemlich ätzend war. Außerdem hatte ich da Angst,  bloß dass ihr's wisst. Da gibt's überhaupt gar nichts zu Lachen. Habt ihr eine Ahnung davon, was da nachts für Rindviecher vorbeikommen? Ich meine die zweibeinigen. Dabei sind die, die mir buchstäblich ans Bein, also ans Rad pinkeln, noch die harmlosesten. Da gibt's genügend, die einem ziemlich wehtun in dem sie einem aus Jux und Dollerei und schierer Blödheit einen Kratzer über die ganze Länge verpassen.

Äh, wo war ich?

Ah: Andererseits konnte ich da in Ruhe traurig sein und vor mich hin grübeln.

Wie ich da so eines nachts mit feuchten Scheinwerfern an meinen David dachte,  hörte ich plötzlich ein tiefe Stimme sagen:

"Hey Kleiner, warum schaust du denn so traurig?"

Erschreckt schaute ich mich um, kein Auto weit und breit.

"Hier bin ich, direkt vor deinem Kühler."

Verwundert konzentrierte ich mich nach vorne.

Erstaunt nahm ich eine große Lokomotive direkt vor mir wahr. Noch niemals zuvor war mir bewusst gewesen, dass Lokomotiven sprechen können, noch dazu mit unsereins.  ‚Das ist ja ulkig‘, dachte ich.

"Was ist daran ulkig?", hörte ich die dunkle, doch sehr angenehme Stimme fragen.

"Noch nie etwas von Fremdsprachen gehört?"

"Äh....", stotterte ich.

"Was ist mit dir?", fragte die Lok jetzt mit ungeheurer Sanftheit, dass mir ganz blümerant in der Ölwanne wird.

Ich seufzte tief und erzählte dieser wildfremden Lok meine Geschichte.

Nach einer schier unerträglichen Pause kam eine fast schüchterne, leise Antwort:

"Oh das tut mir sehr leid mein Kleiner"

Ich schaute mir mein Gegenüber etwas genauer an und bemerkte die schicken blau-schwarzen Streifen, die das ganz hellgraue, fast weiße Blechkleid in unregelmäßiger Anordnung verzierten. Außer einem etwa einsfuffzig breiten schwarzen Streifen vom Dach bis zum Rahmen, erkannte ich eine riesige Zahl "772" in blau und einen kleinen, schräg angebrachten roten Schriftzug: "Viola".

Ich merkte, wie es der Lokomotive sämtliche Leitungen zusammen zog.

"Oh Mann!", rief die Lok genervt, "die Menschen sind ja so blöd, ich bin ein Vectron. Wie können die mir einen weiblichen Vornamen verpassen?"

"Oh Verzeihung!", sagte ich kleinlaut, wobei meine Benzinpumpe einen Sprung machte, was ich aber irgendwie nicht auf die Reihe kriegte. 

"Weißt du", meinte  Viola-Vectron weiter, "ich habe noch nie verstanden, warum sich unsereins weibliche Namen verpasst, aber von Menschen aus betrachtet, ist das in meinem Fall eine besondere Instinktlosigkeit. Oh, ich muss los, es geht weiter, ich sehe zu, dass ich morgen Nacht wieder hier bin, okay?"

"Okay", brachte ich gerade noch raus,  bevor Viola-Vectron mit seinem Güterzug in die dunkle Nacht davonfuhr.

"Würde mich sehr freuen", rief ich noch hinterher,  was aber in den immer lauter werdenden Rollgeräuschen unterging.

"Was war das denn jetzt bitte?", schoss es mir in den verwirrten Zylinderkopf. 

"Wie kann eine Lokomotive verstehen, was ich denke?"

‚Hm, ist schon ein fescher Busch, dieser ViVe‘, wie ich ihn künftig nennen wollte. So träumte ich vor mich hin und es fielen mir tausend Fragen ein, die ich ihm unbedingt stellen musste. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich überhaupt nicht mehr an David denken musste.

Als ich so gegen fünf Uhr allmählich aufwachte, stand plötzlich so eine Arschgeige von Mercedes neben mir und begann mich mit allerlei PS- Müll zuzuschütten, was kein Schwein interessierte. 

Ich sortierte meine Gedanken über die letzten zwölf Stunden, als mir ViVe wieder in den Sinn kam. Sofort stellte sich ein wohliges Gefühl ein und ich war schlagartig wach.

"Was grinst du denn so dämlich?", fragte der Sternträger neben mir.

"Mach mich nicht blöd von der Seite an, sonst zünd' ich dir einen über die Spule!", raunzte ich ihn an.

"Huh, da ist aber mal einer Scheiße drauf. Da müssten dann schon Maschinen kommen und keine Ersatzteile", behauptete er schroff.

"Leck mich!"

"Hättest du wohl gern", provozierte er mich.

"Was ist denn hier los?", raunte es in einem tiefen Bass von gegenüber.

"Hey ViVe, was machst du denn schon hier?", rief ich erfreut.

"Was soll das denn jetzt, du Blödel, was laberst du jetzt, da ist doch niemand. Oder führst inzwischen schon Selbstgespräche?", höhnte der Mercedes.

"Ha ha ha", lachte ViVe und amüsierte sich königlich über meine Verwirrung.

„Das eingebildete Sternchen kann mich nicht hören. Der ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Denke einfach nur, was du sagen willst, dann kriegt er das auch nicht mehr mit, aber ich verstehe dich", schlug er vor.

Wieder musste ich grinsen.

‚Die Arschgeige stand plötzlich neben mir, ohne zu fragen und hat mich mit seinem PS-Gerümpel vollgesülzt ‘ dachte ich mit beleidigten Hintergedanken.

„Hi hi hi“, kicherte ViVe wieder. „Du bist so süß, wenn du dich ärgerst“

‚Und du bist blöd‘, gab ich ihm gedanklich Kontra.

„Ist ja gut, Kleiner, lass dich doch von mir ein wenig auf und in den Arm nehmen und sei nicht gleich beleidigt“, meinte er versöhnlich lächelnd.

‚Schon okay, danke, ViVe‘

„Ha ha ha“, prustete er wieder laut heraus, „wie nennst du mich?“

‚ViVe – Viola-Vectron – und ViVe ist männlich!‘, behauptete ich denkenderweise.

„Du bist lieb“, meinte er dann fast schüchtern mit seinem sanften Bass, mit dem er mich schon tags zuvor so faszinierte.

„Hör endlich auf so blöd zu grinsen“, meldete sich der Mercedes wieder zu Wort.

„Ich glaube, ich muss dem Mal ein bisschen Spannung induzieren“, beschloss ViVe.

Plötzlich gab es einen lauten Knall und mein Nachbar rauchte ein wenig vor sich hin.

„Au, au, au“, schrie er, „ich glaube mir hat es ein paar Sicherungen durchgebrannt“

„Hab dich nicht so“, gab ich mich freundlich wissend, „dazu sind Sicherungen ja da! Die kann man ersetzen“

Und sogleich wurde ich wieder traurig, weil ich an David denken musste, da war nichts mehr zu ersetzen.

„Ach Kleiner, lass dich doch nicht gleich wieder runterziehen. Sag mir lieber, wie lange du noch da bist“, versuchte ViVe mich abzulenken.

‚Ich denke schon noch eine Weile, aber tatsächlich wissen tu ich es nicht. Mein Besitzer ist mit Davids Besitzerin in den Urlaub geflogen und mich haben sie hier halt abgestellt‘, erklärte ich ihm.

„Na gut. Hier geht es gleich weiter. Morgen kann ich nicht, da bin ich erstmal über den Tauern nach Tarvisio unterwegs. Und weiter nach Trieste“, stöhnte er.

‚Das ist doch toll, da kommst du aber ganz schön rum‘, bemerkte ich bewundernd.

„Wie man’s nimmt. Die Italiener haben einen ziemlich unangenehmen Strom.“

‚Hä? Wieso das denn?‘, fragte ich verblüfft.

„Die haben 3000 V Gleichspannung am Draht hängen. Das tut fast schon weh, weil da dann ein paar tausend Ampere fließen.“

‚Achso und hier ist das anders?‘, wollte ich erstaunt wissen.

„Hier sind es 15000 V Wechselspannung, da fließt nur etwa ein Viertel von dem Strom.“

Ich rechnete kurz nach und sagte:

‚Aha, aber es müsste doch etwa ein Fünftel sein.‘

„Gut aufgepasst, Kleiner. Aber das kannst du so nicht rechnen, weil ich in Italien aufgrund der hohen Stromstärken gar nicht auf die Leistung komme, die ich hier entwickeln kann“, erklärte er lässig.

Wieder überlegte ich und stelle fest, dass es mich – ausnahmsweise – jetzt schon interessierte, wieviel das wohl sein mochte. ‚Also ich hab etwas über hundert KW, wenn ich das richtig weiß‘, dachte ich weiter. ‚ViVe wird dann vielleicht zehn Mal so viel haben, oder?‘

‚Hm‘, druckste ich herum.

ViVe lachte.

„6400 KW habe ich hierzulande, 6000 etwa in Italien“

‚Woher weisst du….‘

„Schon vergessen? Ich kann deine Gedanken lesen.“

‚Okay, entschuldige meine Neugier.‘

„Schon gut – äh – wie heißt du eigentlich?“, wollte ViVe jetzt wissen.

‚Äh – Paul‘, klärte ich ihn auf.

„Schön, Paul, dann gute Nacht. Und bis übermorgen.“

So stand ich mir hier wochen- nein monatelang meine Räder in die Bodenwanne. Mein Besitzer und seine Begleitung wollten anscheinend nicht mehr zurückkommen.

So langsam wurde es doch tatsächlich langweilig, von ViVes regelmäßigen Besuchen einmal abgesehen.

Und andere Autos, naja, wie soll ich mich ausdrücken? Entweder handelte es sich um ziemlich eingebildete, meist jedoch schlicht äußerst langweilige Zeitgenossen.

Auch wurde es immer kälter, um es präziser zu sagen: Es ging auf Weihnachten zu.

Als ich wieder einmal so vor mich hin döste, wurde es plötzlich reichlich laut und reichlich hell.

Ich traute meinen trüben Scheinwerfern nicht: Eine Kolonne roter, bunt leuchtender Trucks kam die enge Straße entlang gefahren. Die wenigen Menschen blieben staunend stehen. Die Kinder (wo kamen die denn plötzlich her?) hüpften aufgeregt herum, wobei ihre Augen glänzten und fast noch heller strahlten als die bunten Laster. Ich erkannte die Weihnachts-Trucks eines großen amerikanischen Brauseherstellers. Georg hatte mir davon immer wieder vorgeschwärmt.

Ein Seufzer schüttelte mich:

Georg - was der wohl grade machte. Irgendwie bekam ich Sehnsucht nach ihm. So bildete sich eine melancholische Stimmung um meine Benzinpumpe, die durch das imposante Schauspiel der festlich-kitschig leuchtenden Truck-Kolonne auch noch verstärkt wurde.

Zu allem Überfluss blieben die jetzt auch noch stehen, weil sich ihre Fahrer wohl am Bahnhofskiosk ihr Frühstück holen wollten.

„Hallo Paul, da bist du ja!“

Freudig erregt vernahm ich Georg’s Stimme neben mir.

„Siehst du die Lastwagen? Sind sie nicht toll? Hab ich dir zu viel versprochen?“, rief er aufgeregt.

„Ja du hast Recht, aber viel schöner ist, dass du jetzt da bist“, ließ ich ihn wissen.

„Hm, Danke für’s Kompliment. Weißt du, dein Besitzer bleibt mit seiner Freundin noch länger weg, die haben da unten wohl ein lukratives Job-Angebot bekommen. Wir sollen dich vorerst nach Hause holen.“

„Was? Jetzt gleich?“, rief ich beunruhigt

„Ja sicher, deshalb sind wir hier. Wo ist das Problem?“

„Ach Georg, ich habe hier eine nette Lokomotive kennengelernt und kann mich dann gar nicht verabschieden“, antwortete ich traurig.

„Eine was? Wie geht das denn?“

„Das weiß ich auch nicht, aber ViVe stand plötzlich vor mir.“

„ViVe?“, fragte Georg amüsiert.

„Ja, Mann, so heißt der Vectron, also die Lok“, gab ich etwas genervt von mir.

„Ich erzähl es dir zu Hause, okay?“, versuchte ich wieder einzulenken.

„Gut, hör zu. Mein Besitzer hat seinen Sohn mitgebracht, der dich fahren soll. Allerdings ist das ein Führerschein-Neuling“, erklärte Georg etwas verächtlich.

„Wird schon schief gehen“, meinte ich und schon saß der Knabe auf meinem Fahrersitz.

Nachdem sich die Weihnachts-Trucks auch wieder in Bewegung gesetzt hatten, startete mein Fahrer meinen Motor. Durch die lange Standzeit und vielleicht auch aufgrund mangelnder Erfahrung brauchte er fünf Anläufe, so dass mir ganz schwach im Akku wurde. So rollten wir schließlich hinter Georg her.

Die nächste Ampel sprang grade auf Rot, als Georg noch über die Kreuzung rumpelte. Neiiin!….

Auch mein Fahrer gab Gas und wollte seinem Vater noch hinterher.

Es kam, wie es kommen musste: Ein ohrenbetäubender Knall. Von rechts kam ein BMW mit hoher Geschwindigkeit daher und hat mich regelrecht abgeschossen.

Dann wurde es dunkel um mich: Ich wurde ohnmächtig.

„Paul, hallo. Paul, ich bin’s“, vernahm ich, wie in Watte gehüllt.

Es war David! Man hatte mich zu ihm gebracht.

Erstaunlicherweise fühlte ich keinerlei Schmerzen, im Gegenteil: Ein wohliges Gefühl machte sich breit. Ich verstand die Welt nicht mehr. David redete weiter:

„Paul, wir sind hier auf dem Schrottplatz.“

Erschrocken fuhr ich herum.

„Sie werden uns jetzt gleich zusammen in die Presse werfen“, stellte er trocken fest.

„Wie …?“, versuchte ich einen klaren Gedanken zu fassen.

Schon surrte der Greifer des Krans herunter und packte mich am Dach. Ich wollte schon schreien, verspürte aber immer noch keinen Schmerz. Verdattert stellte ich fest, dass mir auch der unsanfte Sturz in die Presse nichts ausmachte. Als man dann David auf mich warf, entwickelte sich gar ein Gefühl von Freude und tiefer Verbundenheit zu ihm.

Als uns der Schieber kreischend und klirrend zusammenschob, spürte ich wie David mich umschlang und wir plötzlich die ganze Szenerie völlig befreit von oben betrachten konnten.

Wie in einem Turbolift entfernten wir uns immer schneller ins Licht.

Das einzige was mir in diesem Moment in den Sinn kam war:

Frohe Weihnachten!

Lesemodus deaktivieren (?)