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Stein für Stein

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Die Reißverschlüsse des Zeltes summten leise, als ich sie zuzog. Nun stand ich draußen, schaute hinaus in die Abenddämmerung und sog die frische Meeresluft in mich hinein. Sie schmeckte salzig. Seitdem ich am Samstag mit Tobias vom Schiff gestiegen war, hatte sich der Geschmack der Luft nicht verändert. Sie war immer noch salzig. Aber nicht nur die Meeresluft blieb unverändert, auch die hohe Mauer, die mich an der Erfüllung meiner tiefsten Wünsche hinderte, stand immer noch genauso hoch und unüberwindbar zwischen mir und Tobias wie eh und je. Und doch war er mir so nah.

Mit einer bedeutsamen Geste holte Tobias mich aus meinen Gedanken zurück und hielt mir grinsend den Rucksack entgegen. Wir wollten heute Abend in die Dünen gehen, um den wunderbaren Sonnenuntergang anzuschauen. Deshalb hatte ich den Rucksack vorsorglich mit unseren Schlafsäcken voll gepackt, während Tobias die Tasche mit dem Proviant tragen wollte. Ich nahm den Rucksack in meine Hand.

Die Art, wie Tobias mich dabei mit seinen großen braunen Augen anschaute, ließ meine Knie weich werden. Schon vor einigen Monaten, als ich ihm das erste Mal begegnete, wurden meine Knie weich wie Pudding und es kribbelte in meiner Magengrube. Damals hatte gerade mein erstes Semester begonnen und ich suchte verzweifelt nach dem Hörsaal, in dem meine Englischvorlesung stattfinden sollte. Da legte plötzlich jemand die Hand auf meine Schulter und bot mir seine Hilfe an. Als ich mich umdrehte, sah ich in dieselben funkelnden treuen Augen, die mich auch jetzt anschauten. Tobias hatte ebenfalls gerade mit seinem Studium begonnen und wusste genauso wenig wie ich, wo der Hörsaal für die Englischvorlesung zu finden war. Zusammen machten wir uns also auf die Suche und schon kurze Zeit später saßen wir nebeneinander in der Vorlesung und sogen die besondere Atmosphäre in uns auf, die eine erste Vorlesung eben mit sich bringt.

Während ich nun vor dem Zelt stand und mit Tobias losgehen wollte, konnte ich mich ganz genau an unsere erste Begegnung erinnern. Aber was hatte sich seitdem geändert? Wir waren die besten Freunde geworden, aber das war mir nicht genug. Ich wollte mehr. Trotzdem genoss ich jeden Augenblick, den ich mit Tobias teilen durfte. So freute ich mich auch auf den Sonnenuntergang, den wir uns anschauen wollten. Vielleicht würde es mir ja heute Abend gelingen, einige Steine aus der großen Mauer herauszubrechen.

Mit einer schwungvollen Bewegung spannte ich den Rucksack auf meinem Rücken fest und zog den Kragen meiner Jacke höher, um mich vor dem immer noch kühlen Märzwind zu schützen. Tobias hatte sich seinen Schal umgewickelt. Es war der gleiche Schal, in dem ich immer meine Nase vergrub, während Tobias zu Besuch war und gerade das Zimmer verließ, um uns eine Stärkung für das anstrengende Lernen zu besorgen. Jetzt merkte ich besonders, dass es gerade sein Geruch war, der mich so an ihm faszinierte. Auch die salzige Meeresluft konnte diesen wunderbaren Duft nicht überdecken.

Dann marschierten wir quer über den Zeltplatz zu der Pforte im Zaun, hinter dem sich die imposante Dünenlandschaft erstreckte. Die Pforte knarrte ein wenig, als Tobias sie öffnete. Ich hatte immer den Eindruck, dass dieses Knarren als eine geheime Einladung galt, die Dünen zu betreten. Und so setzten wir unsere Füße auf das hellgrüne Gras, das trotz des sandigen Untergrunds gut gedieh. Wir folgten dem kleinen Trampelpfad, der uns nach wenigen Metern zur größten Düne und somit zum höchsten Punkt der Insel führte. Von dort oben war die Aussicht einfach einzigartig, und da die Insel momentan keine Hochsaison hatte, war dieser Ort am Abend immer sehr ruhig und nicht von Menschen besucht. Wir hatten uns für unseren letzten Abend vorgenommen, gewissermaßen zum Abschied von der Insel, einen Sonnenuntergang in seiner vollen Länge anzuschauen. Seit Samstag waren bereits 6 Tage vergangen, und morgen sollte es schon wieder zurückgehen aufs Festland.

Dann würde unsere Reise beendet sein. Unsere Reise, von der ich mir soviel erhofft und erträumt hatte. Unsere Reise, die doch nicht so gelaufen ist, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Innerlich seufzte ich. Wieso musste es nur so schwer sein? Wieso konnte ich nicht einfach den Mund aufmachen und sagen, was Tobias mir bedeutete? Diese Frage hämmerte schon seit langem in meinem Kopf, und ich konnte sie nur mit meiner verdammten Schüchternheit und vielleicht sogar meiner Angst beantworten. Aber noch war die Reise nicht vorüber, noch hatte ich die Chance, mich zu überwinden. Und unser letzter Abend bot einen viel versprechenden Rahmen, endlich einen ersten Schritt zu machen.

Als wir die Spitze der Düne erreicht hatten, wehte Tobias weiches dunkelbraunes Haar im Wind. Wieder einmal hätte ich in seinen Augen versinken können. In seinen Augen konnte ich die Vorfreude auf den Sonnenuntergang erkennen. Wie konnten diese zwei Augen bloß soviel ausdrücken und mich jedes Mal aufs Neue fesseln? Aber bevor Tobias misstrauisch werden konnte, wendete ich meinen Blick von ihm ab und zeigte auf die einsame Bank, auf der wir Platz nahmen, um den letzten Sonnenuntergang unserer Reise zu genießen.

Die goldrote Scheibe stand schon dicht über dem Wasser, und die Abenddämmerung legte sich auf das Land, während Wolkenfetzen über den Himmel zogen und vom letzten Licht der Sonne in einen fast magisch wirkenden Farbton getaucht wurden. Am Horizont zeichneten sich die Umrisse eines Fischerbootes ab, das vom offenen Meer wieder unterwegs in den Hafen war. Ein wilder Schwarm Möwen umkreiste das Boot, um sich auf die Fischreste zu stürzen, die wieder zurück ins Meer geworfen wurden. Ihr melancholisches Schreien wehte getragen vom Meereswind zu unserer einsamen Bank in den Dünen hinüber und bohrte sich tief in mein Ohr hinein. Dieses Schreien erinnerte mich an meine eigene Traurigkeit, von der mein ganzer Körper oft und auch in diesem Moment erfasst wurde. Wieder klopften die ganzen zweifelnden Fragen an. Und in diesem Moment fasste ich den Entschluss, es endlich zu wagen. Aber noch nicht jetzt. Noch nicht hier oben. Ein wenig Zeit würde ich mir noch lassen.

Tobias kramte in seiner Tasche herum und brachte eine Tafel Schokolade zum Vorschein. Wir hatten viele gleiche Interessen, aber unsere Leidenschaft für Schokolade war die erste Gemeinsamkeit, die wir zwischen uns entdeckt hatten. Wir saßen in unserer ersten Englischvorlesung, und als die Langeweile uns zu überwältigen drohte, holten wir zeitgleich eine Tafel Schokolade aus unseren Rucksäcken. Da konnten wir nur noch grinsen, und schmunzelnd verputzten wir beide unsere mitgebrachte Schokolade. Seitdem musste schon so manche Tafel daran glauben. Als er mir dann die geöffnete Tafel hinhielt, nahm ich sofort ein Stück in den Mund und genoss, wie die Schokolade auf meiner Zunge zerging. Ich fand, dass dies doch ein leises Zeichen sein musste. Unsere erste Begegnung war gekennzeichnet von leckerer Schokolade, und auch an dem Abend, an dem ich es ihm sagen wollte, kam Schokolade mit ins Spiel. Dadurch sah ich mich auf seltsame Art und Weise in meinem Entschluss bestätigt.

Wir lehnten uns entspannt zurück und schauten auf das Meer hinaus. Die Sonne war bereits mit dem Horizont verschmolzen und ihr rötlicher Farbton wurde immer intensiver. Jetzt malte die Sonne auch den Himmel mit ihren warmen Farbtönen an, und es schien, als ob die ganze Natur um uns herum für einen Augenblick innehielt, um ehrfürchtig der Sonne ihren Respekt zu zollen. Auch wir waren ganz ruhig geworden und ließen dieses sagenhafte Schauspiel auf uns wirken. Im Moment der schönsten Stille zwischen uns hätte ich am liebsten meinen Kopf auf seine Schulter gelegt, um ihm ganz nah zu sein. Aber mein Kopf stieß noch immer gegen die unsichtbare Wand zwischen uns, auch wenn sie schon einiges von ihrer sonstigen Größe eingebüßt hatte. Sie war nicht mehr dicker als ein Kieselstein, aber trotzdem so unsagbar schwer zu überwinden. Und doch wurde mir bewusst, dass ich der einzige war, der die Steine Stück für Stück abtragen konnte, um hinter die Mauer zu blicken. Ich musste es einfach tun. Lange konnte ich nicht mehr warten, sonst würde ich innerlich zerspringen.

Mittlerweile hatte das Meer die Sonne mitsamt ihrem Licht verschluckt, und die goldenen Rottöne wurden von der nun einsetzenden dunklen Nacht zur Seite geschoben. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Nacht komplett hereingebrochen war und das letzte Licht mit sich genommen hatte.

Plötzlich dachte ich an die mitgebrachten Schlafsäcke, und meine Idee wurde wieder wach. Da fasste ich mir ein Herz. Ich fragte Tobias, ob er noch Lust hätte, ein wenig durch die Dünen zu spazieren. Dass ich uns dann einen stillen und romantischen Platz suchen wollte, an dem wir uns dann mit unseren Schlafsäcken hinsetzen konnten, verschwieg ich ihm allerdings. Da Tobias stets sehr spontan war, hoffte ich, dass er mitmachen würde. Und ich wurde nicht enttäuscht, denn mit funkelnden Augen stimmte er meiner Idee zu. Da fand ich die Bestätigung, dass er gerne mit mir durch die Dünen gehen wollte. Immer wenn seine Augen funkelten, verriet dies mir, dass er etwas mit Begeisterung tun wollte.

So nahmen wir unsere Sachen wieder in die Hand und stiegen diesmal in die andere Richtung von der Düne herab. Es war nun fast vollkommen dunkel, aber das restliche Licht der Sonne und der aufziehende Mond ließen erkennen, wohin wir unsere Schritte setzten. Einmal wäre ich fast über einen Stein gestolpert und ins Gras gefallen, aber Tobias schaltete schnell und fing mich mit seinen starken Armen wieder auf. Ich hätte es am liebsten gehabt, wenn er mich nie wieder losgelassen hätte. Ein warmer Schauer lief durch meinen Körper. Als ich mich wieder gefangen hatte, nahm er seine Arme wieder weg und machte einen kleinen Scherz wegen meiner Tollpatschigkeit. Aber etwas war doch anders gewesen. Ich grübelte nach, als wir weitergingen. Plötzlich kam ich drauf, und die Erkenntnis durchzuckte meinen Körper wie ein heller Blitz. Hatte ich tatsächlich den Eindruck gehabt, dass Tobias mich länger als nötig festgehalten hatte? Es war vielleicht nur für den Bruchteil einer Sekunde gewesen, aber als ich schon längst wieder festen Boden unter meinen Füßen hatte, umklammerte er noch meinen Oberkörper. Was bedeutete das? Redete ich mir das alles nur ein, weil ich mich so sehr danach sehnte? Oder war das ein erstes Anzeichen dafür, dass alle Steine bereits aus der Mauer gefallen waren? Vielleicht war ich nicht der einzige in dieser Nacht, der eigentlich mehr wollte, als er momentan bekam.

Aber wie so oft verdrängte ich diesen Gedanken. Tobias machte den Vorschlag, ob wir noch zum Meer hinuntergehen konnten. Ein letztes Mal Auf Wiedersehen sagen, und uns bedanken für die langen Spaziergänge, die wir an seiner Seite gemacht haben. Ich war sofort einverstanden, blieb mir doch so noch ein wenig mehr Zeit übrig.

Die Stille, die in den Dünen hing, war am Strand nicht mehr zu spüren. Hier, am Strand, herrschte das Rauschen des Meeres vor. Es musste gerade Flut sein, denn die Wellen kamen mit lautem Getose an, bevor sie am Strand brachen und mit ihrem weißen Schaum den Sand bedeckten, um so Stück für Stück vom Land zu erobern. Wieso musste mich eigentlich alles auf dieser Insel an meine eigene Situation erinnern? Die Wellen schafften es jedes Mal, den Strand mit aller Macht einzunehmen, ich dagegen versuchte nun schon seit Monaten

erfolglos, Tobias Herz zu gewinnen. Ich blickte auf das dunkle Meer hinaus, konnte aber doch nur die weißen Schaumkronen im blassen Mondlicht erkennen. Je länger ich auf das Meer hinausschaute, desto stärker wuchs der Mut in meinem Inneren. Ich musste es ihm sagen, ich musste meinen Plan in die Tat umsetzen. Jetzt. Sofort. Meine Stimme zitterte leicht und ich befürchtete, dass sie kaum gegen das Tosen des Meeres ankommen würde.

»Wollen wir uns noch eine Weile an einen windstillen Platz in den Dünen setzen? Wir haben doch unsere Schlafsäcke mitgenommen. Und müde bin ich noch nicht.« Das Eis war gebrochen, jetzt gab es kein Zurück mehr. Gespannt wartete ich auf eine Antwort, und war schon wieder kurz davor, einen Rückzieher zu machen, als ich wieder das Funkeln in seinen Augen entdeckte. Es war diesmal besonders stark, sogar stärker als die Dunkelheit um uns herum. »Klar komme ich mit!« Die Antwort fiel knapp, aber sehr deutlich aus. Mein Herz machte einen Sprung, und als wir uns umdrehten, fielen die meisten Steine aus der Mauer in den Sand und wurden kurze Zeit später vom Meer eingenommen.

Wir mussten nicht lange suchen, bis wir eine geeignete Stelle gefunden hatten. Vor uns lag eine tiefe Senke, die von sanft abfallenden Dünen eingekreist wurde. Hier war es wieder still, und auch der Wind hatte an diesem Platz keine Macht mehr. Wir stiegen also in die Senke hinab, und die hohen Dünen, die sich um uns erhoben und sich unklar gegen den Nachthimmel abzeichneten, gaben ein Gefühl von Geborgenheit. Hier war genau der richtige Ort. Mitten in den Dünen, in dieser Senke, würde ich mich endlich überwinden. Als ich den Rucksack öffnete, um die Schlafsäcke herauszuholen, schlug mein Herz schon fast bis zum Hals. Ich gab Tobias seinen Schlafsack in die Hand, und kurze Zeit später hatten wir die Schlafsäcke auf dem Gras ausgebreitet, um sie als Decke zu benutzen. Es war noch nicht so kalt, dass man sich den Schlafsack umwickeln musste. Also legte sich Tobias lang auf die Schlafsäcke hin, und nachdem ich den Rucksack an die Seite gestellt hatte, legte ich mich ebenfalls hin, so dicht es ging neben seinem Körper.

Wir schauten beide in den klaren Nachthimmel hinauf. Der Wind, von dem wir hier unten nicht mehr viel spürten, hatte die Wolken vertrieben. Somit hatten wir einen ungetrübten Blick auf den Mond und die Sterne. Obwohl wir uns immer sehr viel zu erzählen hatten, konnten wir in diesem schönen Moment nichts anderes tun als schweigen. Aber unser Schweigen war nicht stumm. Es drückte viel mehr aus als tausend Worte sagen könnten. Ich fühlte mich so sehr zu Tobias hingezogen, dass ich fast wahnsinnig wurde. Sollte das alles wirklich nur Freundschaft sein? Nein. Das konnte ich nicht ertragen. Dieser Gedanke schnürte mir fast die Kehle zu, doch dabei brauchte ich gerade jetzt die passenden Worte. Aber ich fand sie nicht. Die Mauer drohte wieder zu wachsen, als ich plötzlich einen anderen Ausweg sah. Tobias Hand.

Er hatte sie neben seinen Körper auf den Schlafsack gelegt. Sie war geöffnet, und lag nicht besonders weit entfernt von meinem Körper. Das war die Gelegenheit. Jetzt musste ich es einfach tun. Ich löste meine Arme aus ihrer Verschränkung und zog meine linke Hand langsam und zögernd vom Bauch zurück. Als sie den Schlafsack berührte, zitterte ich innerlich so stark, dass es mich fast zerriss. Aber dann dachte ich an das Meer und an die Wellen, an die Flut und an den Sand. Und an das Funkeln in seinen Augen. Millimeter für Millimeter tastete ich mich mit meiner Hand voran, immer dicht auf dem Schlafsack bleibend. Allmählich näherte sie sich seiner Hand an, und ich merkte, wie ich immer langsamer wurde, aber doch nicht anhielt. Ich konnte schon die Wärme seiner Hand spüren, als ich mit den Fingern ansetzte, um sie zu berühren. Ein letztes Mal hielt ich inne. Jetzt gab es wirklich kein Zurück mehr. Ich war so nah dran. Es waren keine störenden Steine mehr in Sicht.

Ich schloss die Augen und tat es einfach. Ich legte meine Fingerspitzen behutsam in seine Handfläche. Das Gefühl dieser innigen Nähe, die ich noch nie so gespürt hatte, war überwältigend. Doch wie würde Tobias jetzt reagieren? Jetzt, wo ich endlich den Mut gefasst hatte, den ersten Schritt zu tun? Ich wartete ab, die Zeit dehnte sich ewig in die Länge, aber Tobias zog seine Hand nicht zurück. War mein Eindruck also doch richtig, als Tobias mich beim Stolpern aufgefangen hatte?

Es kam wieder Bewegung in meine Fingerspitzen. Ich senkte sie ganz langsam hinab und legte dann meine Hand in seine Hand, die ich immer stärker mit meinen Fingern umschloss. Mein Herz schlug wie verrückt. Jetzt musste es raus. Ich drehte mich auf die Seite, ohne dabei seine warme Hand loszulassen. Als ich merkte, wie nun auch seine Hand fest nach meiner Hand griff, hatte ich die richtigen Worte bereit. Tobias, ich?Gerade als ich zum Sprechen ansetzen wollte, drehte sich Tobias auch auf die Seite und legte einen Finger der anderen Hand auf meine Lippen.

»Du musst nichts sagen. Ich habe schon verstanden.«

Ich öffnete wieder die Augen und sah, wie sich sein Gesicht meinem näherte. Da war es wieder, dieses helle, wunderschöne Funkeln in seinen Augen. Als wir uns schon ganz nahe gekommen waren, machte Tobias kurz halt und schaute mir ganz tief in die Augen. Sein faszinierender Duft zog in meine Nase, es kribbelte am ganzen Körper. Ich erwiderte den Blick aus tiefstem Herzen, bevor wir unsere Augen schlossen und sich seine Lippen ganz sanft an meine Lippen herantasteten, um mich das erste mal zu küssen. Seine Lippen fühlten sich so weich und zärtlich an. Dieses Gefühl war einfach unbeschreiblich. Ich konnte nicht anders. Die Mauer war komplett eingerissen, ich hatte ihn endlich für mich erobert, so wie die Wellen den Strand eroberten. Auch ich bewegte nun meine Lippen, während meine andere Hand seinen Körper ganz eng an mich heranzog und wir in unseren ersten innigen Kuss versanken.

Meine Freude kannte keine Grenzen. Endlich hatte ich das gefunden, was ich solange gesucht hatte. Endlich hatte ich es geschafft, Tobias meine Gefühle zu zeigen. Und er erwiderte dieses Gefühl aus tiefstem Herzen, das konnte ich ganz genau spüren. Ich genoss diesen endlosen Moment in den Dünen. Ich wünschte mir, dass Tobias niemals aufhören würde, mich zu küssen. Plötzlich überkam es mich einfach und Tränen rollten meine Wangen herab. Tobias zog sein Gesicht vorsichtig zurück. Als er in meine Augen blickte und nach einer Antwort suchte, schien er zu verstehen.

Ich umschloss seine Hand wieder ganz fest und schaute ihm in die Augen.

»Tobias?ich weiß gar nicht, was ich sagen soll?du hast mich in diesem Augenblick zum glücklichsten Menschen der Welt gemacht? Du kannst dir echt nicht vorstellen, wie sehr ich mir das hier gewünscht habe. Ein riesiger Traum ist endlich, endlich für mich in Erfüllung gegangen?Tobias?ich liebe dich!«

Die Tränen flossen immer weiter aus meinen Augen. Und auch in Tobias Augen konnte ich ein feuchtes Glitzern erkennen, bevor auch ihm Tränen das Gesicht hinunterliefen. Er breitete seine Arme aus und zog mich ganz fest an sich heran. Seine Arme streichelten über meinen Rücken, und er flüsterte liebevoll in mein Ohr.

»Wenn du wüsstest, was ich die letzten Monate durchgemacht habe?immer in deiner Nähe zu sein, aber nie das tun zu können, was ich eigentlich wollte?schon bei unserer ersten Begegnung wusste ich, dass ich nur dich haben wollte?aber die ganze verdammte Verunsicherung? jetzt ist es ja zum Glück vorbei. Jetzt habe ich dich endlich gefunden. Und ich lasse dich niemals wieder los. Das schwöre ich?Tim?ich liebe dich auch!«

Er küsste mein Ohr, und seine Worte kribbelten noch lange nach. So etwas Schönes hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Ich würde es bestimmt nicht wieder vergessen.

Ich kuschelte mich ganz dicht an seinen warmen Körper heran und genoss seinen vertrauten Duft. Tobias deckte uns behutsam mit dem Schlafsack zu, legte seine Arme um mich und kraulte meinen Kopf, während wir gemeinsam unter dem klaren Sternenhimmel in der Stille der Düne einschliefen.

Ich konnte mich schon gar nicht mehr an die Mauer erinnern, die uns so lange getrennt hatte, jedoch an nur einem Abend Stein für Stein eingerissen wurde. Aber das war jetzt zum Glück Vergangenheit...

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