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Marc und die Liebe

Teil 3 - Marc und Rene, das Ende

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Informationen

Vorwort:

Hallo Liebe Leser! Hier kommt nun der dritte Teil meiner Story. Ich hoffe ihr habt viel Spaß beim Lesen. Gruß Marc

 

Die Monate zogen ins Land. Ich hab meinen Führerschein, genauso wie Rene. Wir hatten die theoretische Prüfung beide mit null Fehlern bestanden. Die Fahrstunden haben wir, so gut es ging, zusammen gemacht. Unser Fahrlehrer war schon echt klasse gewesen. Die praktische Prüfung war dann auch kein Problem gewesen. Zumindest für mich – Rene war so nervös, dass er rechts vor links übersehen hatte und ist beim ersten Mal durch die Prüfung gerasselt. Bei der zweiten Prüfung lief alles wie am Schnürchen.

Vor ein paar Tagen hatte ich meine Abschlussprüfung zum Koch bestanden. Rene hatte seine Prüfung schon hinter sich.

Wir wollten in ein paar Tagen nach Australien fliegen. Das war sein Geschenk für mich. Erst wollte ich dies nicht annehmen, aber er hatte mich dann doch überzeugt.

Wir waren jetzt seit fast einem Jahr zusammen. Ich liebte Rene sehr.

Doch manchmal übertrieb er es echt. Kaum hatten wir den Führerschein in der Tasche, kam er auch schon mit zwei Autos um die Ecke. Natürlich zweimal das gleiche Modell, nur in verschiedenen Farben.

Er hatte einen schwarzen Opel Astra und ich einen blauen.

Hatte ich schon gesagt, dass ich ihn über alles liebte? Er las mir echt jeden Wunsch von den Lippen ab.

Wir trafen uns sehr oft und unternahmen viel. Meine Mutter hatte Rene schon öfter als Schwiegersohn bezeichnet und auch ich war bei den Brauns schon fest in die Familie aufgenommen worden.

Doch unser Glück stand unter keinem guten Stern. Irgendjemand wollte wohl nicht, dass ich glücklich werde…

Ich saß gerade in der Küche, als es an der Tür schellte. Das konnte nur Micha sein, denn wir waren verabredet.

Statt Micha kamen zwei Polizeibeamte die Treppen hoch.

Oh Gott, mein erster Gedanke war, dass meiner Mutter etwas passiert war, und dies brachte ich auch gleich zum Ausdruck.

„Was ist mit meiner Mutter? Geht es ihr gut? Was ist passiert?” war das Erste was ich von mir gab, als ich die Tür geöffnet hatte.

„Sind Sie Herr Marc Hochmann?” fragte der eine Polizist.

„Ja, der bin ich. Sagen sie mir schon was mit meiner Mutter ist!” forderte ich ihn erneut auf.

„Wir sind nicht wegen Ihrer Mutter hier, daher nehme ich an, dass es ihr gut geht. Wir wurden von einem Herrn Braun hergeschickt.”

Was hatte der Polizist gesagt? Meiner Mutter ging es gut. OK, der erste Schock war überwunden. Aber als der Name Braun fiel, wurde mir ganz übel.

„Herr Braun hat sie zu mir geschickt? Rene Braun?” fragte ich nach und meine Stimme zitterte.

„Nein, ein Herold Braun hat uns benachrichtigt, aber es geht um einen Rene Braun. Es tut mir leid ihnen das sagen zu müssen, Herr Hochmann, aber Rene Braun hatte einen Autounfall und liegt lebensgefährlich verletzt im Kreis-Krankenhaus Hellersen. Herr Braun bat uns, sie abzuholen und zu ihm zu bringen.”

Ich stand da und musste jetzt erstmal sortieren was der Polizist mir da gerade erzählt hatte. Ich war wie gelähmt. Doch dann löste sich meine Starre und ich fing nur noch an zu schreien, bekam einen Heulkrampf und sackte zusammen.

Der eine Polizist, der bis dato noch nichts gesagt hatte, reagierte blitzschnell und fing mich auf.

Nach ein paar Minuten hatte ich mich soweit wieder gefasst, dass mich die beiden Polizisten ins Krankenhaus mitnehmen konnten.

Dort angekommen, kam mir schon Herold entgegen und nahm mich in den Arm. Ich hatte ihn noch nie weinen sehen. Er sah echt schlimm aus. Aber ich muss wohl auch nicht besser ausgesehen haben.

Dann erzählte mir Herold was passiert war, das wusste ich ja bis dato noch nicht.

Rene war auf dem Weg in die Stadt, um noch Besorgungen für unseren Australienurlaub zu machen.

Er fuhr die Talstraße hoch, als ihm ein Auto mit sehr hoher Geschwindigkeit entgegen kam. Was dann genau passierte, musste noch geklärt werden. Fest stand, dass das Auto Rene frontal gerammt, Rene sich dann mehrmals überschlagen hatte und schließlich im Straßengraben zum liegen kam.

Der Notarzt war schnell da und man informierte Herold, dass sein Sohn einen schweren Verkehrsunfall hatte. Herold erkundigte sich, in welches Krankenhaus man seinen Sohn gebracht hätte. Danach wies er dann gleich die Polizisten an, mich abzuholen, während er sich auf den Weg ins Krankenhaus machte.

„Wie geht es Rene?” fragte ich unter Tränen.

„Ich weiß es nicht, er wird zurzeit operiert, und der Arzt konnte mir noch nichts Genaues sagen, nur dass es nicht gut aussieht.”

„Er darf nicht sterben. Wir haben doch noch so viel vor.”

Mehr konnte ich nicht sagen. Herold nahm mich wieder in den Arm und ich heulte los.

Wir saßen fünf Stunden im Krankenhaus, bis der Arzt endlich auftauchte.

„Wie geht es meinem Sohn?” fragte Herold.

„Guten Tag, ich bin Chefarzt Dr. Lauer. Ihrem Sohn geht es den Umständen entsprechend. Noch ist er nicht außer Lebensgefahr. Er hatte einen Milzriss, ebenso einen Leberriss und mehrere innere Blutungen. Dazu kommen noch einige Knochenbrüche. Diese haben wir aber erstmal außen vor gelassen. Es war schon schwer genug, die ganzen Blutungen zu stoppen.”

„Wie sind seine Chancen?” fragte Herold.

„Wenn er die nächsten Tage übersteht, gut. Sobald er dann wieder stabil ist, werden wir uns um die Knochenbrüche kümmern. Sie wollen ihn doch jetzt sicher sehen?”

„Ja” sagten Herold und ich gleichzeitig.

„Ist das sein Bruder?” fragte Dr. Lauer.

„Nein ich bin nicht sein Bruder, ich bin sein Lebensgefährte.”

„Dann tut es mir leid, aber nur Familienangehörige dürfen auf die Intensivstation.”

„Das ist doch jetzt ein Scherz, oder?” fragte Herold entgeistert.

„Nein, ganz gewiss nicht. Wenn Sie mir jetzt bitte folgen wollen, Herr Braun.”

„Jetzt passen sie mal auf. Entweder Sie lassen Herrn Hochmann sofort zu meinem Sohn oder ich werde dafür sorgen, dass dieser sofort in ein anderes Krankenhaus gebracht wird, wo man nicht so homophobe Ansichten hat. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?“

So hatte ich Herold noch nie erlebt. Dr. Lauer schaute recht sauer. So hatte man mit ihm wohl auch noch nie gesprochen.

„Ganz wie sie wünschen, Herr Braun. Ich werde sofort veranlassen, dass man Herrn Hochmann jederzeit zu Ihrem Sohn lässt.”

Dr. Lauer machte sich auf den Weg und wir folgten ihm. Bevor wir die Intensivstation betreten durften, mussten wir uns noch grüne Kittel überziehen und einen Mundschutz sowie eine Haube anlegen.

Dr. Lauer führte uns in das Zimmer, in dem Rene lag. Bei dem Anblick musste ich mich echt zusammenreißen.

Überall waren Schläuche und Verbände. Rene schlief noch tief und fest.

Ihn da so liegen zu sehen, tat unbeschreiblich weh. Mir schossen sofort wieder die Tränen in die Augen.

Ich näherte mich ihm langsam und setzte mich neben ihm ans Bett.

Langsam nahm ich seine Hand in die meine und streichelte sie langsam. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Warum Rene? Was hatten wir oder er so Schlimmes verbrochen, dass er jetzt hier liegen musste? Ich verstand das alles nicht.

Mir schossen die Tränen in die Augen. Ich lehnte mich an seine Hand und weinte. Heute weiß ich nicht mehr genau, wie lange ich damals dort am Bett saß – doch es war mittlerweile hell geworden, als mich eine Schwester ansprach.

„Guten Morgen Herr Hochmann, ich bin Schwester Marion. Leider müsste ich Sie jetzt bitten zu gehen. Ich weiß, wie schwer ihnen das sicher fällt, aber es werden gleich noch ein paar Untersuchungen gemacht. Vielleicht sollten sie in der Zeit erstmal nach Hause fahren und später wiederkommen. Ich verspreche Ihnen, sollte etwas sein, werde ich Sie sofort informieren lassen.”

Langsam erhob ich mich und schaute sie an.

„Guten Morgen Schwester Marion. Danke. Ich glaube es ist wirklich besser, wenn ich mal kurz nach Hause fahre. Ich schreibe ihnen noch eben meine Telefonnummer auf.”

Dies tat ich und verabschiedete mich von Rene, indem ich ihm noch einen Kuss auf die Stirn gab. Dann machte ich mich auf den Weg nach Hause. Draußen vor dem Krankenhaus rauchte ich erstmal eine und lies meine Gedanken kreisen. Dabei kamen mir schon wieder die Tränen.

Auch heute noch bin ich ein sehr emotionaler Mensch und sehr nah am Wasser gebaut.

Ich hatte die Augen geschlossen, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Erschrocken zuckte ich zusammen und blickte in Michas Augen.

In dem Moment als ich ihn sah, brach es wieder aus mir raus. Ich nahm ihn fest in den Arm und heulte bitterlich.

Er versuchte erst gar nicht mich groß zu beruhigen, sondern hielt mich einfach fest und strich mir über den Rücken. Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, lösten wir uns.

„Ich habe es gerade erst erfahren. Nachdem du gestern nicht da warst hab ich gedacht, du wärst bei Rene und hättest mich vergessen. Heute Morgen wollte ich vor der Arbeit dann mal schnell bei dir vorbei schauen und traf nur deine Mutter an. Sie erzählte mir was passiert war. Ich rief auf der Arbeit an und meldete mich krank und bin sofort hergefahren. Ich dachte du könntest jetzt jemanden gebrauchen.”

„Sorry, ich war gestern so fertig, dass ich dich völlig vergessen habe. Tut mir echt leid, Micha. Ich…”

„Marc, dir muss nichts leid tun, ich hätte an deiner Stelle auch nicht mehr daran gedacht. Komm, ich fahr dich nach Hause.”

„Danke” sagte ich noch und wir gingen zum Auto. Im Auto schwiegen wir und ich war Micha echt dankbar dafür. Ich wusste noch immer nicht, was ich von dem Ganzen halten sollte. Es tat einfach nur weh und ich machte mir große Sorgen um Rene. Was wenn er sterben würde? Nein, an so was durfte ich gar nicht denken.

Micha riss mich aus meinen Gedanken, als wir bei mir angekommen waren. Er brachte mich hoch in die Wohnung und machte erstmal einen Kaffee. Den konnte ich jetzt echt gebrauchen.

Wir saßen schweigend in der Küche, als das Telefon klingelte. Ich bekam sofort ein ganz schlechtes Gefühl. Micha muss mir das angesehen haben und noch bevor ich reagieren konnte, ging er ans Telefon.

Ich bekam nur Gesprächsfetzen mit.

„Marc, komm, wir müssen sofort ins Krankenhaus, es gibt Komplikationen und du sollst sofort kommen!” rief Micha, packte mich am Arm und zog mich Richtung Wohnungstür.

„Neinnnnnnnnnn!” schrie ich und war noch nie so schnell die Treppen runter gerannt.

Die Fahrt zum Krankenhaus zog sich unendlich lange hin. Die Ampeln waren gegen uns. Jede verdammte Ampel sprang auf Rot, wenn wir näher kamen. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Bitte, lieber Gott, lass das alles nur einen schrecklichen Albtraum sein! Ich hatte noch nie so viel gebetet wie auf der Fahrt ins Krankenhaus. Nach 30 Minuten kamen wir dann endlich an und ich rannte wie nicht gescheit in Richtung Intensivstation.

Kurz vor der Tür blieb ich stehen und sammelte mich, strich mir mit den Händen einmal durchs Gesicht und drückte dann auf die Klingel.

Es dauerte einen Moment, bis mir Schwester Marion die Tür öffnete. Sie sagte nichts. Ich zog mir schnell den Kittel an und folgte ihr dann.

Je näher wir Renes Zimmer kamen, desto unbehaglicher fühlte ich mich. Mir wurde schlecht und ich zitterte am ganzen Körper. Vor Renes Zimmer stand Dr. Lauer.

„Wie geht es ihm?” fragte ich Dr. Lauer und reichte ihm die Hand.

„Herr Hochmann, es tut mir leid Ihnen das sagen zu müssen, aber Herr Braun ist soeben seinen inneren Verletzungen erlegen.”

Ich verstand im ersten Moment nicht, was er damit meinte. Doch als er mir dann sein aufrichtiges Beileid aussprach, begriff ich. Rene war tot! Ich kam zu spät.

Das ist das Letzte woran ich mich erinnern konnte, bevor ich das Bewusstsein verlor.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem abgedunkelten Zimmer. Um mich herum piepste es. Wo war ich, was war passiert, fragte ich mich und dann kam die Erinnerung zurück. Rene hatte einen Autounfall. Rene ist tot. Tot. Nein, das konnte nicht wahr sein. Plötzlich fing ich an zu schreien. So hab ich in meinem ganzen Leben noch nie geschrien. Der Schmerz war wieder da. Es fühlte sich an, als wenn mir jemand mit einem Messer ganz langsam ins Herz stechen würde.

Ich schrie seinen Namen. Dann wurde es wieder schwarz.

Als ich das nächste Mal erwachte, erblickte ich Micha an meinem Bett. Seine Augen waren gerötet. Er muss geweint haben. Ich hatte Micha in all den Jahren, die wir jetzt befreundet waren, noch nie weinen gesehen, geschweige denn so fertig.

Kaum hatte er mitbekommen, dass ich wach war, nahm er mich auch schon in den Arm. Beide weinten wir. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir uns im Arm hielten, doch wir wurden von Schwester Marions Stimme aus unserer Umarmung gerissen.

„Herr Hochmann, schön dass Sie wieder wach sind. Dann hole ich jetzt mal den Arzt.” sagte sie und verschwand.

Micha schaute mich jetzt an.

„Marc, es tut mir so leid. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Aber eins sollst du wissen, ich bin immer für dich da. Wenn du mich brauchst, dann sag Bescheid und ich weiche nicht mehr von deiner Seite.”

„Danke Micha. Aber ich glaube, ich möchte jetzt erstmal alleine sein. Ich muss das alles jetzt erstmal realisieren.”

„Kann ich verstehen. Ich geh dann mal. Aber wenn du mich brauchst, sag Bescheid, ich komme dann sofort. Wenn du nach Hause kannst, ruf mich an, ich hole dich dann ab.”

„Danke, das ist lieb von dir. Wir sehen uns.” brachte ich noch leise hervor und drehte mich dann weg.

Es tat so weh. Warum muss das so wehtun! Ich zitterte jetzt wieder am ganzen Körper. Ich muss doch jetzt stark sein, schoss es mir durch den Kopf. Ich hörte schlagartig auf zu grübeln als die Zimmertür aufging. Dr. Lauer kam herein.

„Guten Tag, Herr Hochmann. Wie geht es Ihnen?” erkundigte er sich.

Wie es mir ging? Scheiße ging es mir. Es tat so weh, dass ich am liebsten nur noch schreien wollte.

„Wie soll es mir schon gehen. Es tut weh. Wo bin ich hier?”

„Sie sind auf der Intensivstation. Als Sie gestern erfahren haben, dass Herr Braun verstorben ist, sind Sie zusammengebrochen und waren bis jetzt bewusstlos. Nein, nicht ganz, heute Nacht waren Sie wohl schon einmal wach und haben geschrien. Sie haben dann aber erneut das Bewusstsein verloren.“

Kaum hatte er dies gesagt, wurde der Schmerz noch stärker. Allein bei der Erwähnung, dass Rene tot war, krampfte sich in mir alles zusammen. Mir schossen wieder die Tränen in die Augen.

„Wenn Sie wollen, können Sie heute Nachmittag nach Hause. Ich gebe Ihnen dann noch etwas zur Beruhigung mit.”

„Ja” war alles, was ich heraus brachte. Dr. Lauer sagte noch etwas, was ich aber nicht genau verstand. In meinem Kopf war momentan totale Leere. Ich fühlte nur diesen unsagbaren Schmerz.

Bis zum Nachmittag lag ich einfach nur im Bett und grübelte vor mich hin. Wie versprochen holte Micha mich ab. Er sagte nicht viel und nahm mich nur einfach wieder in den Arm.

Bevor wir die Station verließen, ging ich noch kurz ins Schwesternzimmer, wo Schwester Marion saß.

„Schwester Marion, ich möchte gerne Herrn Braun nochmal sehen.”

„Tut mir leid, Herr Hochmann, aber Herr Braun ist heute Morgen schon abgeholt worden. Da müssen sie sich mit der Familie in Verbindung setzten.“

„Ach so. Danke, das werde ich machen.” antwortete ich und verabschiedete mich dann von ihr.

Kaum zu Hause angekommen, nahm mich meine Mutter fest in den Arm und sagte mir, wie leid ihr das alles tue. Wenn sie etwas für mich tun könne, solle ich ihr dies sagen. Ich dankte ihr, meinte aber, dass mir im Moment keiner helfen könnte und ich damit alleine fertig werden müsse.

Nachdem ich dann eine ganze Weile allein in meinem Zimmer saß, nahm ich mir das Telefon und rief bei den Brauns an.

„Braun” meldete sich Herold. An seiner Stimme merkte ich, wie schwer ihm das Reden fiel.

„Hallo Herold, ich bin wieder zu Hause.” brachte ich schluchzend heraus.

„Hallo Marc, schön dass du dich meldest. Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht. Ich wollte nachher eigentlich ins Krankenhaus fahren, aber das hat sich ja jetzt erledigt.”

„Im Krankenhaus sagte man mir, dass Rene dort nicht mehr ist. Ich wollte ihn gerne noch mal sehen und Schwester Marion sagte mir, ich solle mich an euch wenden.” Meine Stimme zitterte.

„Ja, Rene wurde heute Morgen abgeholt. Ich fahre nachher in die Kapelle und hole den Schlüssel. Wenn du möchtest, komm ich danach vorbei und bring ihn dir, dann kannst du dich alleine von Rene verabschieden.”

„Ja… das wäre lieb von dir.”

„Alles klar, ich komm dann nachher bei dir vorbei.” sagte Herold und legte auf.

Ich saß da und mir schossen wieder die Tränen in die Augen. Das würde ich nie allein durchstehen. Aber ich wollte auch niemand dabei haben, wenn ich mich von Rene verabschieden würde. Vielleicht sollte ich Micha fragen, ob er mich zur Kapelle begleiten würde. Er würde das sicher verstehen, dass ich drin allein sein wollte.

Gesagt getan, ich rief Micha an und er sagte sofort zu. Er wollte sofort rüber kommen, aber ich wollte noch etwas alleine sein. Wir einigten uns darauf, dass ich mich melden würde, sobald Herold da war.

Herold kam zwei Stunden nach unserem Telefonat. Wir umarmten uns, dann erklärte er mir noch, dass die Beerdigung für den nächsten Tag um elf Uhr angesetzt war. Kaum hatte er dies ausgesprochen, schnürte sich mir die Kehle zu. Er merkte dies auch sofort und nahm mich nochmal in den Arm. Dann verabschiedete er sich mit den Worten, dass er mich doch jetzt lieber alleine lassen wolle. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar.

Ich brauchte mindestens eine weitere Stunde, bis ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte, nachdem ich, kaum dass Herold weg war, wieder einen Heulkrampf bekommen hatte.

Ich rief dann Micha an. Dieser stand keine fünf Minuten später vor der Tür und wir machten uns auf den Weg zur Kapelle.

Auf dem Weg dorthin war ich erstaunlich ruhig. Doch als wir auf dem Parkplatz vor der Kapelle parkten, schnürte sich mir sofort wieder die Kehle zu. Micha stützte mich auf dem Weg zur Kapelle. Vor der Tür ließ er mich dann los, und ich schloss die Tür auf.

„Ich warte hier draußen auf dich. Lass dir Zeit.” sagte er und setzte sich dann auf eine Bank, die vor der Kapelle stand.

„Danke” sagte ich und öffnete langsam die Tür. Drinnen war es dunkel und der Raum wurde nur vom Tageslicht ein wenig erhellt. Am Ende des Raumes sah ich den Sarg stehen. Es war ein heller Eichensarg. Ich stand immer noch in der Tür und in mir verkrampfte sich alles.

Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen und schritt auf den Sarg zu.

Je näher ich kam, desto mehr fing ich an zu zittern. Der Schmerz in meiner Brust nahm zu.

Ich schaute die ganze Zeit geradeaus und merkte erst nach einer gewissen Zeit, dass ich mich nicht mehr bewegte, sondern schon vor dem offenen Sarg stand.

Langsam senkte ich meinen Blick, und da lag er – ganz friedlich. Er hatte einen schwarzen Anzug an und die Hände vor sich gefaltet, als würde er beten.

Seine Augen waren geschlossen und er lächelte. Mir schossen augenblicklich die Tränen in die Augen.

Ich beugte mich zu ihm runter und strich ihm zärtlich über die Wange. Diese fühlte sich rau und kalt an.

Leise begann ich zu flüstern.

„Mein geliebter Rene. Warum du? Warum musstest du mich verlassen? Ich liebe dich doch über alles. Wir hatten soviel vor. Nächste Woche wollten wir beide nach Australien fliegen. Du fehlst mir jetzt schon ganz schrecklich. Wie soll ich nur ohne dich weiter leben? Ich… liebe… dich.”

Mir versagte die Stimme. Ich heulte drauf los und es tat so schrecklich weh. Nach ein paar Minuten beruhigte ich mich wieder.

„Ich liebe dich über alles, Rene! Wir werden uns sicher wiedersehen und ich hoffe, dass du mich dann immer noch liebst. Ich werde sicher nie wieder jemanden so lieben können wie dich. Mach's gut, Rene. Wir sehen uns bald. Ich liebe dich.”

Langsam schloss ich die Augen und die Tränen liefen nur so. Ich näherte mich seinem Gesicht und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf den Mund. Dann drehte ich mich um und schritt langsam Richtung Tür. Dort drehte ich mich dann noch einmal um, küsste meine Handfläche und schickte ihm einen Luftkuss zu.

„Ich liebe dich, Rene, für immer und ewig.” flüsterte ich und öffnete dann die Tür.

Micha kam sofort auf mich zu und nahm mich in den Arm. Dann zog er mich mit auf die Bank und hielt mich weiter fest im Arm. Ich weinte und weinte. Es tat so schrecklich weh.

Wie sollte ich nur den morgigen Tag überstehen? Ich schaute zu Micha.

„Halt mich bitte fest. Ich hab das Gefühl, ich würde fallen und fallen. Micha, wie soll ich das morgen durchstehen? Das schaffe ich nicht.”

„Doch, das schaffst du. Ich werd bei dir sein und dir Halt geben. Ich weiß, dass ich Rene nie ersetzen kann, aber ich bin dein Freund und immer für dich da. Das morgen stehen wir gemeinsam durch.”

„Danke Micha. Ich hab dich lieb.”

Wir saßen noch eine ganze Weile auf der Bank vor der Kapelle, bis Micha meinte, wir sollten so langsam aufbrechen. Ich bräuchte dringend etwas Schlaf, damit ich für den morgigen Tag gut ausgeruht war.

Wie in Trance zog mich Micha zum Auto und brachte mich nach Hause. Den Rest des Tages verbrachte ich im Bett. Es war eine Mischung aus Grübeln und Weinen. Die häufigste Frage, die ich mir an diesem Abend stellte, war, wie das Alles weitergehen sollte. Würde ich mit diesem Schmerz fertig werden oder würde ich daran zugrunde gehen?

Irgendwann war ich dann eingeschlafen und meine Mutter weckte mich gegen halb zehn.

Ich fühlte mich ausgelaugt und total kraftlos. Wie sollte ich nur diesen Tag überstehen? Ich ging erst einmal duschen und zog mich dann an. Schwarze Hose, weißes Hemd, schwarzes Sakko.

Es war mit Micha abgesprochen, dass er mich abholen sollte und wir dann gegen elf Uhr an der Kapelle sein wollten. Ich saß noch in der Küche und trank meinen Kaffee, als es schellte. Meine Mutter öffnete die Tür und Micha kam herein. Ich trank meinen Kaffee aus und wir machten uns auf den Weg. Meine Mutter fuhr mit ihrem Auto, da sie nach der Beerdigung noch arbeiten musste.

Wir kamen so gegen 10:45 Uhr an der Kapelle an. Es waren schon viele Leute anwesend. Viele kannte ich persönlich und einige nur vom Sehen. Es waren auch ein paar dabei, die ich noch nie gesehen hatte.

Micha stützte mich, als wir in die Kapelle eintraten. Mein Blick war auf den geschlossenen Sarg gerichtet. Dort lag mein Rene jetzt drin. Bei diesem Gedanken schossen mir Tränen in die Augen.

Micha führte mich nach ganz vorne und ich setzte mich. Er wollte gerade gehen, als ich ihn am Arm festhielt.

„Wo willst du hin?”

„Mich dahinten hinsetzen. Die Bänke hier vorne sind nur für die Familie.”

„Du bist doch meine Familie. Also bitte setz dich neben mich, ich schaff das sonst nicht.”

Micha tat mir den Gefallen, auch wenn ihm dabei nicht wohl war, wie er mir später sagte.

Die Brauns kamen, Herold nahm mich kurz in den Arm und reichte Micha die Hand. Für ihn war es auch in Ordnung, dass Micha neben mir saß.

Nachdem sich dann alle in der Kapelle eingefunden hatten, begann die Orgel zu spielen und der Pastor betrat den Raum.

Die Rede war gut. Ich weiß heute nicht mehr genau, was er damals alles gesagt hatte. Nur noch, dass ich bei der Erwähnung meines Namens heftig anfing zu schluchzen.

Dann setzte ein Lied ein, was ich sehr gut kannte. Rene und ich hatten es sehr oft gehört. Er liebte dieses Lied. „Room In Your Heart” von Living In A Box.

Mir schossen sofort wieder Tränen in die Augen.

Die Sargträger kamen herein und trugen den Sarg hinaus. Als Erstes setzte sich unsere Reihe in Bewegung, dann folgten die anderen dem Sarg.

Der Weg zum Grab war nicht weit und der Sarg wurde über die Grube auf zwei Holzplanken gestellt. Wir stellten uns direkt davor. Dann kam der Teil den ich bei Beerdigungen am meisten hasste: Der Sarg wurde in die Erde hinab gelassen.

Ich merkte, wie mir die Knie weich wurden und meine Beine nachgaben. Ohne Micha wäre ich sicher zusammengesunken. Doch er hielt mich fest.

Ich bekam den Rest nur noch in Trance mit. Es tat so weh. Jetzt ist es endgültig, ich werde Rene nie wieder sehen.

Dann ging Herold an das Grab und schmiss einen großen Blumenstrauß hinein. Ich hielt meine 18 Rosen, die Micha mir besorgt hatte, noch fest in den Händen. Dann war ich an der Reihe. Micha begleitete mich und hielt mich immer noch fest. Das war auch gut so, denn als ich an dem offenen Grab stand wurden meine Knie wieder weich. Ich flüsterte:

„Machs gut, mein geliebter Rene, ich werde dich ewig lieben. Wir sehen uns wieder.”

Dann warf ich meinen Strauß Rosen hinein und trat zurück. Ich stellte mich neben Herold und dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Die Leute kamen nicht wie üblich auf uns zu, sondern gingen einfach an uns vorbei.

Ich schaute Herold irritiert an.

„Ich hab in der Traueranzeige geschrieben, dass bitte von Beileidsbekundungen am Grabe Abstand zu nehmen sei.”

Ich schaute immer noch etwas irritiert. Aber ich war auch irgendwie erleichtert.

Nur meine Mutter hielt sich nicht daran. Sie nahm Herold in den Arm und danach mich. Aber ich denke, hier konnte man schon eine Ausnahme machen, schließlich hatte sie Rene auch verloren.

Nach einiger Zeit standen nur noch Herold, ich und Micha, der mich immer noch festhielt, am Grab. Es wurde so langsam Zeit aufzubrechen. Die Friedhofsleute fingen schon an, das Grab zuzumachen. Von weitem sah ich schon den Wagen mit den Kränzen kommen. Gerade als Herold gehen wollte, drehte ich mich zu ihm um.

„Ich bleibe noch, bis das Grab zu ist. Ich möchte meinen Kranz selber drauflegen. Außerdem kann ich diesen Leichenschmaus nicht ausstehen.”

„OK, das kann ich verstehen. Bleib nur, ich muss dann aber jetzt los. Komm doch morgen bitte so gegen 15 Uhr bei uns vorbei. Ich müsste noch etwas mit dir besprechen.”

„Ja gut, ich komme. Bis morgen.”

Wir umarmten uns nochmal, dann verließ uns Herold. Micha stand immer noch an meiner Seite und hielt mich fest. Wieder schoss es mir durch den Kopf, dass ich den Tag sicher nicht heil überstanden hätte, wenn Micha nicht gewesen wäre.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Leute mit dem Grab fertig waren. Gerade als sie meinen Kranz vom Wagen nehmen wollten, ging ich auf sie zu.

„Danke, aber den möchte ich selber hinlegen.”

Sie nickten und ich nahm den Kranz vom Wagen. Na ja, ich versuchte es. Er war doch etwas größer als ich dachte. Micha half mir dann und gemeinsam legten wir den Kranz vorne an den Erdhaufen vom Grab. Ich legte die Schleife noch zurecht, auf der stand:

„In Ewiger Liebe Marc. Ich werde dich nie vergessen.“

Die Schleife war in den Regenbogenfarben. Die im Blumenladen kannten uns und hatten mir diesen Wunsch gerne erfüllt. Ich weiß, es war sehr ungewöhnlich.

Nach einiger Zeit trat Micha an mich heran und meinte, es würde langsam Zeit zu gehen. Ich wollte ehrlich gesagt nicht weg, aber dann hatte doch die Vernunft gesiegt.

Micha brachte mich nach Hause und ließ mich dann auf meinen Wunsch hin alleine.

Wann und wie ich eingeschlafen bin weiß ich nicht mehr.

Als ich am nächsten Morgen wach wurde, dröhnte mir der Schädel. Solche Kopfschmerzen hatte ich schon ewig nicht mehr gehabt. Das lag wohl am vielen Heulen.

Ich schmiss mir eine Kopfschmerztablette ein und setzte mich in die Küche, wo ich in aller Ruhe meinen Kaffee trank.

Der Rest des Vormittags verging recht schnell und so langsam wurde es Zeit, mich auf den Weg zu machen. Um 15 Uhr sollte ich ja bei den Brauns sein. Bei dem Gedanken wurde mir wieder ganz mulmig.

Die Fahrt über versuchte ich, so gut es ging, an nichts zu denken und mich auf den Verkehr zu konzentrieren.

Als ich vor dem Haus parkte, fing ich an zu zittern. Ich war schon ein paar Tage nicht hier gewesen, und jetzt strömten sämtliche Erinnerungen auf mich ein. Ich blieb noch einige Zeit im Auto sitzen und beruhigte mich wieder. Dann stieg ich aus und ging langsam die Treppen zur Haustür hoch. Ich stand dort dann noch ein paar Minuten und zögerte mit dem klingeln.

Doch dann riss ich mich zusammen und klingelte. Es dauerte etwas bis der Türsummer ertönte und ich die Tür aufdrücken konnte.

Wie in Zeitlupe schritt ich die Treppen hoch zur Wohnung.

An der Tür begrüßte mich Herold und nahm mich in den Arm. Er bat mich rein und wir setzten uns ins Wohnzimmer. Herold hatte schon Kaffee gemacht und goss uns ein.

Dann schwiegen wir noch eine ganze Weile, bis Herold das Wort an mich richtete:

„Marc, ich weiß wie schwer das alles für dich ist, und mir geht es nicht anders. Dennoch müssen jetzt noch ein paar Sachen geregelt werden.”

Ich nickte, zu mehr war ich nicht im Stande, denn ich hatte schon wieder einen dicken Kloß im Hals.

„Rene war unser einziger Sohn, weitere Kinder haben wir nicht. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste und hatte ja immer gedacht, dass Rene eines Tages die Firma übernehmen würde.”

Er machte eine kurze Pause. Ich merkte wie schwer es ihm viel, darüber zu sprechen.

„Marc, ich hatte mit Rene vor ein paar Wochen ein Gespräch. Er hatte mich drum gebeten. Rene wollte, dass, wenn ihm mal etwas passiert, ich dir folgendes sage:”

Wieder machte er eine Pause. Meine Gefühle fuhren gerade Achterbahn. Warum hatte Rene das gemacht? Doch bevor ich weiter grübeln konnte, setzte Herold fort.

„Rene wollte, dass du seine Anteile an der Firma bekommst. Weiter sagte er mir, dass ich dafür sorgen sollte, dass die Holzhütte im Wald auf dich umgeschrieben wird. Was sagst du dazu?”

„Ich… ähm… bin gerade etwas durcheinander. Aber die Holzhütte möchte ich nicht haben. Das weiß ich ganz sicher. Da sind einfach zu viele schöne Erinnerungen, und ich glaube nicht, dass ich dies ertragen könnte. Was die Anteile der Firma betrifft, da hast du doch sicher das letzte Wort drüber. Wobei ich im Moment nicht wüsste, was ich damit überhaupt machen soll.”

„Gut, das mit der Holzhütte kann ich verstehen. Wenn du dies nicht möchtest, dann ist das OK für mich. Das mit den Anteilen an der Firma ist eine andere Sache. Ich würde mich Renes Wunsch gerne anschließen und dir seine Anteile überschreiben. Dies wären 25%. Machen müsstest du nichts. Du würdest jeden Monat ein gewisses Geld überwiesen bekommen und wenn mal eine Vorstandssitzung ist, könntest du daran teilnehmen oder aber auch jemanden beauftragen, deine Interessen in der Firma wahrzunehmen.”

„Das hört sich gut an. Wenn dir das wirklich nichts ausmacht, würde ich das Angebot gerne annehmen und gleichzeitig dich beauftragen, meine Interessen in der Firma zu vertreten. Ich könnte mir da keinen Besseren für vorstellen.”

Herolds Augen wurden glasig. Er stand auf und nahm mich in den Arm.

Wir besprachen noch ein paar anderen Sachen, und dann kam etwas, was mir sofort wieder einen Stich ins Herz versetzte.

„Marc, jetzt möchte ich dich bitten, in Renes Zimmer zu gehen. Dort suchst du dir bitte ein paar Sachen raus, die du gerne als Erinnerung haben möchtest.”

„Ich weiß nicht ob ich das kann.”

„Dass dies nicht leicht für dich ist, weiß ich. Aber ich kann mir vorstellen, dass du sehr gerne etwas als Erinnerung haben möchtest.”

Ich stand ohne ein weiteres Wort zu sagen auf und ging langsam in Renes Zimmer.

Als ich die Tür geöffnet hatte, schnürte sich mir die Kehle zu und ich fing an zu zittern. Wir hatten hier viele schöne Stunden und Nächte verbracht. Mir schossen sofort wieder Tränen in die Augen und ich schmiss mich auf sein Bett und heulte. Nach einer Ewigkeit beruhigte ich mich wieder und sah mich im Zimmer um.

Dort standen schon die Koffer, halb gepackt für den Australienurlaub. Oh Gott, den hätte ich ja fast vergessen. Da musste ich gleich unbedingt mit Herold drüber sprechen.

Ich suchte ein paar Anziehsachen von Rene zusammen, die er immer gerne getragen hatte, und seinen Lieblingsteddy. Dann noch ein paar private Sachen, und bevor ich das Zimmer verließ, schaute ich mich noch mal um.

„Leb wohl” flüsterte ich und schloss die Tür hinter mir.

Herold saß immer noch im Wohnzimmer und schaute auf, als ich den Raum betrat.

„Na, hast du was gefunden?”

„Ja, ein paar Sachen hab ich, die ich gerne als Erinnerung aufbewahren möchte. Als ich im Zimmer war, fielen mir die Koffer auf. Was passiert denn jetzt mit dem Australienurlaub?” wollte ich von Herold wissen.

„Ich geh mal davon aus, dass du diesen nicht alleine machen willst?”

„Nein, ganz sicher nicht.”

„Das dachte ich mir, deshalb hatte ich den Flug heute Morgen storniert und alles weitere auch. Ich hoffe, das war in deinem Sinne?”

„Ja, voll und ganz. Danke.”

„Gut, dann brauche ich jetzt noch deine Unterschrift auf diesem Vertrag wegen der Anteile. Ach ja, und ich brauche noch deine Bankverbindung.”

Ich las mir kurz den Vertrag durch, unterschrieb dann und gab Herold noch meine Bankverbindung. Danach verabschiedete ich mich von ihm und musste ihm versprechen, dass wir in Kontakt bleiben würden.

Auf dem Weg nach Hause ließ ich den Tag noch mal Revue passieren. Dabei schossen mir wieder die Tränen in die Augen und ich fragte mich, ob das irgendwann mal aufhören würde.


Es waren mittlerweile drei Monate vergangen und ich fühlte mich immer noch total Scheiße. Ich vermisste Rene jeden Tag mehr und mehr. Von meinen Freunden hatte ich mich immer mehr zurückgezogen. Selbst Micha sah ich in letzter Zeit recht wenig. Immer wenn er kam, saßen wir schweigend da. Rausgehen wollte ich so gut wie gar nicht mehr. Da ich von den Anteilen der Firma regelmäßig Geld bekam, was wirklich nicht wenig war und ich bei 25% wirklich nicht gedacht hätte, war ich auch nicht auf einen Job angewiesen und lebte einfach in den Tag hinein.

Ich besuchte aber täglich das Grab von Rene. Mitunter saß ich schon mal fünf bis acht Stunden an seinem Grab und weinte dabei viel.

Eines Tages, ich wollte mich gerade fertig machen um zum Friedhof zu gehen, schellte es an der Tür.

Ich hatte nicht wirklich Lust auf Besuch, also ignorierte ich das Schellen. Nach einer Viertelstunde gab ich dann auf, weil der- oder diejenige mittlerweile Sturm schellte.

Ich riss die Tür auf und brüllte, was denn der Scheiß soll, man sollte mich doch gefälligst in Ruhe lassen.

Kaum hatte ich das ausgesprochen, sah ich nur noch eine Hand auf mich zurasen, spürte dann einen Schmerz und taumelte zurück.

„So mein lieber Marc, jetzt reicht es mir aber endgültig mit dir. Ich dachte wir sind Freunde? Du verkriechst dich seit Monaten und verlässt die Wohnung nur, um zum Friedhof zu gehen, von allem anderen hast du dich zurückgezogen. Jetzt reicht es, komm mal endlich wieder zu dir!!” brüllte mich Micha an.

„Sag mal, spinnst du oder was? Was fällt dir ein mich zu schlagen? Verpiss dich, ich will niemanden sehen!” schrie ich zurück. Gerade als ich die Tür zumachen wollte, rammte sich Micha dagegen, schubste mich an die Seite und verschwand in der Küche.

Ich schloss die Tür und lief wutentbrannt hinter ihm her.

„Du hast sie echt nicht mehr alle! Was soll der Auftritt hier? Verschwinde, ich will dich vorläufig nicht mehr sehen.” schrie ich weiter.

„Oh nein mein Freund, nichts da, ich bleibe hier und jetzt reden wir erstmal vernünftig. Marc, so kann es doch nicht weitergehen! Ich weiß, dass dich der Tod von Re…”

„WAG ES NICHT, SEINEN NAMEN AUSZUSPRECHEN!” brüllte ich.

„HALT JETZT DEINEN MUND, SETZ DICH HIN UND HÖR MIR ZU!” brüllte Micha zurück.

Ich schaute ihn entsetzt an. So hatte ich Micha noch nie erlebt. OK, wenn ich mich nicht gleich mit ihm hier prügeln wollte, sollte ich jetzt lieber die Klappe halten und ihm zuhören.

„Ok, ich bin ganz Ohr.” erwiderte ich in einem ruhigen Ton.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht so anbrüllen, aber anders kommt man an dich ja nicht mehr ran. Aber bevor ich anfange, setze ich uns erstmal einen Kaffee auf.”

Dies tat er dann auch umgehend und ich blieb artig auf meinem Stuhl sitzen. Nach ein paar Minuten goss er uns dann Kaffee ein und setzte sich mir gegenüber hin.

„Marc, du bist mir nicht egal. Wenn dem so wäre, würde ich jetzt sicher nicht hier sitzen. Ich weiß, dass du es in der letzten Zeit nicht leicht hattest. Doch glaubst du wirklich, Rene hätte das gewollt, dass du dich so zurückziehst? Ich glaube nicht. Du hast die große Liebe deines Lebens verloren und diesen Verlust kann dir niemand ersetzen. Aber man kann dir helfen damit umzugehen! Weißt du eigentlich, wie sehr du deine Freunde die letzten Wochen vor den Kopf gestoßen hast? Ich hab mich gestern mit Daniel und Timo unterhalten. Was mir da zu Ohren gekommen ist, dafür hätte ich dich am liebsten erwürgt.”

Er machte eine kurze Pause und ich dachte drüber nach, was er bis jetzt gesagt hatte. Als er Rene erwähnte, schossen mir gleich wieder die Tränen in die Augen. Ich wollte jetzt aber nicht heulen, also riss ich mich so gut es ging zusammen. Dann fuhr er fort:

„Dir wäre alles egal, keiner könne dich verstehen und alleine wärst du am Besten dran. Auf deine so genannten Freunde könntest du verzichten. Das sollen deine Worte gewesen sein. Stimmt das?”

Ich nickte.

„Warum sagst du so was? Weißt du eigentlich, wie verletzend deine Worte sind? Ich hab echt gedacht, wir sind Freunde. Aber als ich das gestern gehört habe, tat das richtig weh. Ich war immer für dich da, gerade dann, wenn du mich am meisten gebraucht hast, und dies ist jetzt der Dank dafür?” flüsterte Micha traurig.

„Michael, es tut mir leid. Ich hab nicht dich dabei gemeint. Danny und Timo hatten mich abgefangen, als ich vom Friedhof kam, und mich derart gereizt, dass ich die Beherrschung verloren hatte. Du warst immer für mich da, wenn ich dich gebraucht habe, und das werde ich dir nie vergessen. Aber warum kann ich mit meiner Trauer denn nicht alleine sein?”

„Weil du so nicht damit fertig wirst! Außerdem mach ich mir Sorgen um dich. Was sollte der Spruch, am liebsten wäre ich bei Rene, dann ginge es mir wieder gut? Willst du dir das Leben nehmen oder was? Dass du damit anderen Leuten, die dich gern haben, weh tust, da denkst du in deinem Selbstmitleid nicht drüber nach, oder?”

„Er fehlt mir so…” brach es aus mir heraus, und dann fing ich fürchterlich an zu heulen.

Ich hatte jetzt eigentlich gedacht, Micha würde zu mir kommen und mich wie immer in den Arm nehmen, aber das tat er nicht. Er blieb auf seinem Stuhl sitzen und schaute mich traurig an. Ich glaub, er hätte das sehr gerne gemacht, aber das hätte mir nicht wirklich geholfen. Damals hab ich ihn dafür gehasst, heute bin ich ihm dankbar.

„Marc, ich weiß wie sehr Rene dir fehlt, aber du musst dich endlich damit abfinden, dass Rene nicht wiederkommen wird. Aber wenn du so weitermachst, wirst du ihn schneller wiedersehen als dir lieb ist! Mensch Junge, wach auf und komm zurück zu den Lebenden!” schrie er mich jetzt an.

Ich hörte schlagartig auf zu heulen, sah ihn entsetzt an und wusste, er hatte Recht. Ich hatte mich schon viel zu lange an Rene geklammert, und so langsam begriff ich, dass ich ihn wohl endlich loslassen musste. So weh es auch tat.

„Du hast Recht. Ich muss endlich lernen ohne ihn zu leben. Auch wenn es noch so weh tut.”

„Ich hoffe, du sagst das jetzt nicht nur so, sondern meinst das auch so. Es bringt dir nichts, wenn du dich weiter an ihn klammerst und damit dein Leben und deine anderen Freunde wegwirfst.”

Ich schaute ihn an. Meinte ich es wirklich ernst oder sagte ich es nur, damit ich meine Ruhe hatte? Ich überlegte einen Moment und dann war es mir klar.

„Nein, ich meine das ernst. Ich werde ein neues Leben anfangen. Ich muss Rene endlich ziehen lassen und mit meiner Vergangenheit abschließen.”

„Du sagst das so komisch. Was hast du vor?”

„Micha, ich werde die Stadt verlassen. Ich werde aus Lüdenscheid wegziehen. Wenn ich wirklich ein neues Leben anfangen will, dann muss ich das alles hinter mir lassen. Hier gibt es einfach zu viel, was mich an Rene erinnert. Mit den Erinnerungsstücken, die ich habe, damit werde ich fertig, aber nicht, wenn ich weiter hier wohnen bleibe.”

„Da ist was Wahres dran. Aber wohin willst du gehen? Ich weiß, dass ich das jetzt nicht sagen sollte, aber allein der Gedanke daran, dass ich dich nicht mehr sehen könnte, tut sehr, sehr weh.”

„Ich weiß es noch nicht. Aber allzu weit sicher nicht, ich will ja schließlich ab und an meine Mutter besuchen können.”

„Nur deine Mutter?” fragte Micha traurig.

„Nein, nicht nur, aber ich glaub ich weiß, worauf du hinaus willst. Micha, du bedeutest mir wirklich viel und ich könnte mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen. Du weißt, dass ich mich mal in dich verliebt hatte. Aber diese Gefühle gibt es nicht mehr. Im Gegenteil, sie sind noch stärker geworden. Micha, warum kommst du nicht mit mir?”

„Marc, du weißt, dass ich nicht schwul bin.”

„So meinte ich das auch nicht. Ich liebe dich zwar, aber nicht so. Komm Micha, komm mit mir. Lass uns zusammen neu anfangen in einer neuen Stadt. Was hältst du davon?”

„Ich weiß nicht. Das geht mir jetzt alles zu schnell. Ich muss darüber erstmal in Ruhe nachdenken.”

„Das kann ich verstehen. Ich will dich da auch nicht unter Druck setzen. Lass dir Zeit, und wenn du soweit bist, teil mir deine Entscheidung mit. Ich werde mir mal Gedanken machen, wo es hingehen könnte. Hagen oder Dortmund vielleicht. Mal sehen.”

„Gut, mach das und ich geb dir Bescheid. Ich werde jetzt gehen. Ich hoffe zwischen uns ist wieder alles in Ordnung?”

„Klar, ich hab dich lieb.”

„Ich hab dich auch lieb.” sagte Micha und kam auf mich zu. Wir nahmen uns in den Arm und dann ließ er mich allein.

Ich grübelte noch lange an diesem Tag. Es sind auch noch reichlich Tränen geflossen. Mir jetzt so einzugestehen, dass ich mich endlich von Rene lösen musste, tat fast noch mal so weh wie beim ersten Mal. Nur diesmal mit dem Gedanken, dass es für mich nur besser werden kann.

In den nächsten Tagen besorgte ich mir jede Menge Infos über einige Städte hier im Umkreis. Da ich es bis jetzt gewohnt war, etwas ländlicher zu leben, kamen für mich Großstädte nicht in Frage. Schließlich entschied ich mich für Schwerte. Eine neue Stadt, ein neuer Anfang und auch wieder etwas ländlicher gelegen.

Als ich meine Mutter von meinem Entschluss unterrichtete, war sie im ersten Moment sehr traurig, verstand aber recht schnell, warum ich dies tun musste. Jetzt musste ich nur noch auf Michas Entscheidung warten, von ihm hatte ich seit unserem letzten Gespräch nichts mehr gehört.

Es vergingen noch zwei Wochen, bis ich wieder was von Micha hörte.

Abends, es muss so kurz nach 20 Uhr gewesen sein, schellte es. Als ich die Tür öffnete, kam Micha die Treppe hoch. Im ersten Moment war ich froh, ihn zu sehen, aber dann wurde mir ganz flau im Magen. Was wenn er hier bleiben wollte? Würde ich mein Vorhaben dann trotzdem durchziehen und von hier wegziehen?

„Hi Marc, na wie geht es dir?“, begrüßte mich Micha und nahm mich in den Arm.

„Hi Micha, danke gut, und selbst?”

„Doch, kann nicht klagen. Hast du Zeit? Ich müsste was mit dir besprechen!”

Oh oh, genau das hatte ich befürchtet. Na gut, irgendwann musste der Tag ja mal kommen.

„Klar, komm rein und geh schon mal durch. Willst du was trinken?”

„Nein danke, im Moment nicht.”

Er ging in mein Zimmer, ich machte noch schnell einen Abstecher in die Küche und machte mir schnell einen Tee. Dann begab ich mich in mein Zimmer, wo Micha auf mich wartete.

„So dann schieß mal los.” forderte ich ihn auf, hatte aber auch echt Angst vor dem was jetzt kommen würde.

„Also es geht um das, was du mich vor ein paar Wochen gefragt hast. Ob ich mit dir zusammen hier wegziehen möchte. Ich hab mir lange Gedanken darüber gemacht. Es ist mir echt nicht leicht gefallen. Aber…”

„OK, ich verstehe, aber ich hab es mir schon fast gedacht. Ist ja auch etwas viel verlangt von mir. Schließlich bist nicht du derjenige, der mit seiner Vergangenheit abschließen muss. Ich kann das verstehen, Micha.” fiel ich ihm ins Wort.

„Wärst du bitte so freundlich und würdest mich ausreden lassen? Ja? Danke.”

„Micha, mach es uns doch nicht so schwer…”

„Hab ich nicht gerade gesagt, du sollst mich ausreden lassen?”

„Ok, ich bin ja schon still.” sagte ich traurig.

„Also, wo war ich? Ach ja. Ich hab mir gründlich Gedanken gemacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich gerne auf dein Angebot eingehen möchte. Im Klartext: Ich werde mit dir ziehen.”

Hatte ich gerade richtig gehört? Hatte er gesagt, dass er mit mir ziehen will? Ich saß ganz verdattert auf dem Sofa und wusste nicht, wie mir geschieht. Er kommt mit mir, er kommt mit mir!

„Hallo Marc, hast du gehört was ich gesagt habe?!”

„Ja das hab ich gehört, und Micha, ich freu mich wirklich!” jubelte ich und dann sprang ich ihn an und nahm ihn fest in den Arm. Ich war so froh, dass er mitkommen würde.

Ich erzählte ihm dann, für welche Stadt ich mich entschieden hatte. Nun ging es darum, eine geeignete Wohnung für uns zu finden. Mit dem Geld, was ich von der Firma bekam, sollte es kein Problem sein, etwas Passendes zu finden.

Ich war seit Wochen das erste Mal wieder so richtig glücklich.

Nachwort:

So, das waren die ersten Kapitel meiner Story, oft glücklich, manchmal traurig, aber ich hoffe, sie haben euch gefallen. Die nächsten Kapitel kommen bald, bis dahin freue ich mich über ganz viel Feedback - also ran an die Tasten!

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