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„Die Klimatologen sagen, dass 2007 das heißeste Jahr der letzten paar Jahrhunderte sein wird!“

Als wäre dies meine letzte Hoffnung auf eine Rettung, verliere ich mich in dem herrlichen Duft meines Cappuccino. Wie gut das riecht... Es riecht nach zu Hause, nach einem angenehmen Abend in meiner gewohnten Umgebung... Flüchte ich etwa wieder von der großen Welt... Ja! Ist das denn ein Wunder? Eigentlich nicht. Wenn ich mir diese grinsende, nervös lachende und absolut schrille Erscheinung betrachte, die eben eine Show abzieht, wo nicht einmal ein Neonschild nötig ist – dann ist es gar kein Wunder!

Die dunklen Wände des Raumes wirken einengend. Kitsch habe ich nie gemocht. Immer wenn etwas von Mozart im Namen des Cafes erscheint, muss man flüchten. Sehr freundlich die Dame in Epochenkleidern und sehr künstlich alles. Fast traue ich mich nicht zu bewegen, alles ist ein Museum hier, wo der Kunde nichts berühren kann. Fühle mich wie ein Exponat in einer Ausstellung, wo die Besucher die Exponate umgehen dürfen, berühren ist nicht verboten und sämtliche Geheimnisse von Struktur und Funktion sind enthüllt. Nun sitze ich auch hier auf dem eisernen Stuhl vor der Glastafel, mir gegenüber diese laute und extrem feminine Erscheinung, hinter mir ein Klavier beladen von Gott weiß wie vielen Statuen, über mir die Kandelaber mit den Überresten der Weihnachtsdeko, die angenehme, klassische Musik im Hintergrund. Es fehlt nur noch die Überschrift: „Verlorene Schwuchtel auf einem Blind-Date, extrem verzweifelt und viel zu feige um aufzustehen und raus zugehen.“ Eine Art Gala Atomica!?! Ja, zergliedert bin ich schon, aber ob nun sämtliche Atome und Moleküle noch irgendwann zusammenpassen werden, um ein Ganzes zu bilden, bezweifle ich stark.

„Schau dir den Typ da drüben an!“ höre ich aus dem Kontext raus. Ist hierfür nun mein selektives Hören verantwortlich?

Eine recht nette Erscheinung, etwa 30, strahlendes Gesicht, wunderschöne Augen und ein Killer-Lächeln... UND die Dame auf dem anderen Stuhl. Wie üblich...

Diese Erscheinung lässt mich aber doch nicht in meine metaphysische Depression zurückfallen, denn seine Stimme, auch wenn zu leise, schiebt Mozart und die aktuellen Infos über Paris Hilton, die mich vom anderen Pol meines Tisches überfluten, in den Hintergrund. Etwas bewegt sich in mir. Ein seltsames Gefühl, und ich muss mich umdrehen. Unsere Blicke treffen sich und ich bin überrascht. Die Dame schreibt sich seine Worte auf. Die zwei sind weitere Exponate in diesem Museum... Aber nur eine Wanderausstellung, die zu kurz ist und viel zu postmodern, um seine inhaltlichen Informationen anzuzeigen. Ein offenes Werk ohne Deutung, denn die wird ja dem Kunstgenießer überlassen...

Unglaublich, dass ich mich wieder umdrehe und in seine Richtung schaue. Diesmal aber länger. Seine Augen fesseln mich und fordern mich auf... Bist du nun der Stärkere oder ich? Wer wird wegschauen? Die Dame schreibt und schreibt, Seiten füllen sich und er schaut mich immer noch an. Am Gegenpol des Tisches wird es still, doch das will ich nicht bemerken. Ernst, sachlich und unheimlich attraktiv. Was ist mit mir los?

„Hörst du denn noch überhaupt auf mich???“

„Natürlich tu´ ich das!“

Soviel also. Ein paar Sekunden interessante Erfahrung. Ein paar Sekunden von dem, was ich mir schon immer gewünscht habe... Ein paar Sekunden von gegenseitigem Interesse... Ein paar Sekunden von Bewunderung... Haben wir Männer das auch? Wollen wir auch bewundert werden? Will ich bewundert werden?

Am Gegenpol des Tisches wird es immer lauter und ich muss dringend etwas unternehmen. Ein Lachanfall? Ein Kompliment? Eine Ohrfeige? Ich weiß nicht, was jetzt am wirksamsten wäre, um die Dezibelwerte wieder in den erträglichen Bereich zu kurbeln.

„Entschuldigen Sie? Kennen wir uns irgendwoher?“ höre ich plötzlich.

Hätte ich die Stimme nicht sofort erkannt, dann hätten mich die feurigen Pfeile vom Gegenpol des Tisches schon ausreichend auf die Spur geholfen.

„Ähm, ich weiß nicht so recht. Kann sein, dass wir uns mal in der Arbeit gesehen haben... Eine Sitzung vielleicht? An der Uni?“

„Kann sein, das stimmt schon vorläufig! Wo arbeiten Sie?“

Und andere Höflichkeiten, bei denen ich langsam aufstehen muss und mich vorstelle...

Gibt es nun tatsächlich so was wie zu schwache Knie und Bioelektrizität, die von einer Berührung ausgelöst wird? Und das zwischen zwei Menschen? Spüre ich nicht, aber ich spüre eine angenehm warme Hand mit einem männlichen Griff und ich strahlende Selbstsicherheit in den zwei Honigaugen...

„Sagen Sie mir, wo haben Sie Ihren Ring gekauft? So einen wollte ich nämlich auch kaufen, aber konnte nicht auf Ihre Spuren kommen.“ Eine Gelegenheit meine Hand weiter in seiner zu halten und in meine Augen zu schauen.

Ein paar Momente noch und weg ist er... Ich habe seinen Namen nicht richtig verstand und der Gegenpol am Tisch ist nun wirklich nicht der richtige Ansprechpartner um die Frage zu beantworten.

Verwirrt verlasse ich das Cafe. Tatort Museum soll nun mit dem Exponat „Zickenalarm live“ fertig werden.

Etwas ist nicht Ordnung... Die Straßen scheinen anders zu sein, die Menschen freundlicher und die Stadt angenehmer... Alles ist schön, ein richtiger Sonntagnachmittag, leere Straßen, Leute beim Entspannen. Oder sehe ich etwa das so? Hmm...

Eine kurze Nachricht, und die Mail ist schneller raus als ich denken kann. Warum habe ich das nun gemacht? Warum habe ich nach ihm gefragt?

Zwei Stunden später blinkt der Umschlag und ich habe Angst. Will ich die Antwort erfahren? Sein Name, eine Mailadresse und eine Handynummer. Soviel. Das ist alles. Diese sind nun die Koordinaten des modernen Menschen? Zwei Aneinanderreihungen, die jeweils mit einem großen Buchstaben beginnen? Weitere Buchstaben von einem @ getrennt und ein Haufen Nummern? Keine Augen und Hände? Keine Stimme und keine Ausstrahlung?

Eine kurze Nachricht, die sich von selbst schreiben lässt... Etwas spielerisch und doch noch ernst... Und nun die Leere. Die Zeitlücke, die ich aushalten muss. Eine Weile, in der man in Zweifeln lebt und sich jede Minute überlegt, was nun der andere macht? Eine Weile, in der man sich der Selbstanalyse unterwirft, eine der seltenen Gelegenheiten, wo man versucht sich mit den Augen des Anderen zu betrachten. Einfach kritisch zu sein... Wie bin ich denn? Bin ich nun so oder so? Sehe ich nun so oder so aus? Red eich nun so oder extrem sooooo... Hmmm... Und ganz wichtig: wie soll ich für ihn aussehen, reden und sein?

Seit Jahren habe ich nicht den Mond bewundert. Das war doch einer der Gründe, warum ich so ein Dachfenster einbauen lassen habe, damit ich den Mond und die Sterne sehen kann. Keine Pril-Sterne mehr! Echte... In der sturmfreien Nacht fühlt es sich gut an im warmen Bett zu liegen. Sind es nicht diese Momente, die man genießen soll? Ob nun allein oder mit jemandem?

Sonnenstrahlen vertreiben mich unter die Decke, doch da wird es schnell genug warm, so dass ich aus dem Bett muss. Eine SMS... Er erkundigt sich, wann wir uns treffen könnten? Heute! Noch heute!

Heute?!?! Wie sehe ich aus??? Wie gestern halt... Es ist kein Blind-Date. Es ist ein Wiedersehen.

Und das war es. Ein angenehmes Wiedersehen mit Kerzenlicht, Zebramuster an der beige Wand und Lounge-Musik. Genau so wenig meine Welt wie das Museum am Vortag. Doch das spielt nun wirklich absolut keine Rolle!

Ich fühle mich einfach wohl und ich strahle, er strahlt, alles ist perfekt. Er möchte mein Essen probieren und will mich nach Hause fahren... Aber lieber noch nicht...

Lieber laufe ich. Ich brauche einen Spaziergang, denn... Die Moleküle haben eine neue Anordnung gefunden. Ein neues Ich ist entstanden. Wie bin ich nun? Ob ich stark genug bin mich kennen zu lernen und diese neue Struktur zusammenzuhalten? Oder soll ich sie überhaupt? Oder werde ich zusammengehalten? Soll ich mich wieder aus den eigenen Bausteinen aufbauen oder auch mal anderes in mich einbauen? Soll ich ihn reinlassen? Bin ich gut genug für ihn? Entspreche ich seinen Erwartungen? Ist mein Selbstbewusstsein seinen Tests gewachsen?

Ein paar der letzten Sonnenstrahlen durchstechen das graue Gerüst der Baumzweige. Der Himmel ist seltsam bunt für Januar. Ein angenehmer Abendwind weht. Fast so wie im Frühling... Fast so wie es in all den Geschichten steht, man es aber nie selber spürt. Fast so wie in einer anderen Welt. In einer neun Welt für eine neue Person.

Mir ist heiß und kalt. Ich glaube, ich habe mich verliebt. Oder ist es nur der Winter? Die Klimatologen sagen, dass dies eines der heißesten Jahre der letzten Jahrhunderte sein wird... Oder wird es das heißeste Jahr meiner 25 Jahre?

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