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Chaotische Familienbande

Chapter 1 Part 2

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1.2

'Verdammt, verdammt, verdammt. Wieso musste er ausgerechnet hier her kommen?', fluchte Christian innerlich. 'Und dann ging es natürlich nur um die anderen. Wie es ihm ging, interessierte ja keinen. Wie immer! Chris war unwichtig, schließlich war er nur Brendas Lakai.'

Diese alte Wunde hatte ihn wieder auf die Palme gebracht. Nicht nur weil Marcel so einfach vor seiner Nase stand. Er hatte auch noch die Dreistigkeit besessen, auf seine Arbeit zu kommen und dabei eine geradezu lächerliche Lüge zu benutzen. Brenda hatte ihm garantiert nichts gesagt und damit hatte Marcel ihn nur noch mehr gereizt. Das hatte selbstverständlich noch nicht ausgereicht. Nein! Er sollte plötzlich auch noch helfen, damit es den anderen besser ging, wobei es allen anderen gleich war, wie es ihm ging.

Bevor er sich daher versah, hatte er plötzlich die Kontrolle über sich verloren... Munition gab es in dem Moment schon zur Genüge, doch Marcel war dann einfach aufgestanden und hatte ihn wieder wie Luft behandelt, so wie eben alle. Christian kam sich seit Ewigkeiten wieder wie ein Niemand vor und das war unerträglich für ihn. Diese Demütigung auf seiner Arbeit, vor all den Leuten. Wobei es Christian durchaus interessiert hätte, woher der Typ plötzlich wusste, wo er beschäftigt war.

Nicht einmal seine Mutter wusste von der neuen Stelle, da er seine Jobs viel zu oft wechseln musste. Zumeist weil er sich in irgendeinen Kollegen verguckt hatte und nicht enttarnt werden wollte. Oft genug aber auch wegen seiner Mutter, die ein abschreckendes Beispiel für die meisten Chefs war. Ein Kind von einer asozialen Säuferin wollte einfach keiner einstellen. Das würde sich auch nicht ändern, wenn er diejenigen darüber aufgeklärt hatte, dass seine Mom einst eine hochangesehene Professorin war mit mehr als einem Doktortitel. Man würde ihm nicht glauben, geschweige denn, dass er seinen Job behalten könne. Immerhin zählte die Vergangenheit selten.

So hatte er auch seinen letzten Job verloren, denn wenn mitten am Tag plötzlich ein Anruf von einer stockbesoffenen Frau im Laden eingeht, dass ihr Sohn gefälligst mehr Alkohol bringen solle, kann das einen schlechten Eindruck hinterlassen.

Diesmal jedoch waren es weder seine Mutter noch seine Gefühle. Dieser jetzige Vorfall war mal was absolut neues und doch war das Ergebnis dasselbe. Seinen Job war er garantiert los. Wie sollte er auch erklären, warum er das getan hatte und wer der Mann eigentlich wirklich war.

Wie erklärte man unwissenden Menschen, dass in einem urplötzlich soviel Wut emporsteigt, dass man nur noch schwarz sieht und zuschlagen muss. Und dann würde man wissen wollen, wieso er solch einen Hass diesem Mann gegenüber empfand. Aber hasste er ihn eigentlich wirklich? Er war sauer auf ihn, klar, immerhin hatte er seine Familie zerstört. Doch hassen aus tiefsten Herzen, das wusste er nicht. Es war vielmehr eine Sehnsucht, die er sich nicht beschreiben konnte.

Den Hass den er fühlte, der war oberflächlich und kam vielmehr von dem jahrelangen Gerede, der Gehirnwäsche seiner Mutter. Seitdem Gabriele zu Marcel übergelaufen war und er sie dann letzten Endes verließ, sprühte alles in ihr vor Zorn auf Marcel. Sie hasste Marcel dafür und ernannte ihn zum Alleinschuldigen für alles. Doch war er Schuld an dem ganzen Desaster? So wie es ausgeartet war? Hatte Marcel denn wirklich viel damit zu tun? Die Entscheidung lag doch vielmehr bei seinem Vater, dass er nicht mehr mit ihr, geschweige denn überhaupt mit einer Frau leben wollte. Sondern endlich mit dem Mann, den er liebte.

Die Frage kam Christian immer öfters in den Sinn. Erst recht, nachdem er festgestellt hatte, dass sein Körper sich auch zu Männern hingezogen fühlt und er dieses Verlangen zu verheimlichen hatte. Doch er konnte sich nicht erlauben, diese Bedürfnisse auszuleben, da er damit seine Mutter verraten würde. Ihre Toleranz hatte sie nämlich komplett eingebüßt. War sie einst einmal sehr offen gewesen, was die sexuellen Vorlieben ihres Kumpels anging, so hatte sich das schlagartig geändert mit dem Verlust ihres Mannes an einen anderen.

Und nicht nur das hatte sich geändert, mit einem Mal war ihre Freundschaft zu jedem ebenso gestorben, der in irgendeiner Weise mit Marcel in Kontakt stand. Dabei waren besonders er und Brenda einst die allerbesten Freunde gewesen. Sie gingen jahrelang auf die gleichen Schulen in Amerika, fingen sogar gemeinsam an zu studieren und reisten auch gemeinsam über einen Studentenaustausch nach Deutschland. Sie waren beinahe wie Will und Grace, unzertrennlich, und doch schien seine Mutter immer nur eine Show abgezogen zu haben.

Anders konnte sich Chris diesen Wandel nicht erklären. Selbst der Fakt, dass sie Beide den gleichen Mann liebten, hätte solch eine katastrophale Wende nicht herbeiführen dürfen, wenn man festen Willens ist. Zwar gab es zwischen ihnen von Anfang an einen Kampf um Gabriele, da sie mit aller Kraft um seine Gunst warben. Doch auch wenn Brenda zunächst gewann, konnte sie nicht leugnen nicht ebenso von Beginn an gewusst zu haben, dass zwischen den Männern was war. Und zwar mehr als eine einfache Männerfreundschaft. Sie schien ganz genau zu wissen, dass Marcel und Gabriele sich sehr gut mochten und auch manchmal das Bett miteinander teilten.

Und Christian glaubte ihr auch heute einfach nicht, dass sie nicht wenigstens einen Verdacht für die wahren Beweggründe der Ehe seitens Gabriele hatte. Immerhin hatte er gerade zum Schluss sehr oft betont, dass er sich nur auf sie einließ, weil er eigene Kinder wollte und nicht daran glaubte, dass man dieses Ziel auch in einer Männerbeziehung erreichen konnte. Wenn man nicht nur Adoptivkinder wollte.

Doch solange ihr Mann stets zu ihr zurückkam, schien sie das nicht zu kümmern. So jedenfalls sah es für ihn mittlerweile so aus. Denn dieser Zwiespalt und der daraus resultierende Rosenkrieg begann erst, nachdem ihr Mann im gleichen Jahr der Heirat zunächst die ehelichen Bettpflichten vernachlässigte und sehr viel später dann auch noch die gesamte Rolle als Ehemann. Er war nur noch ein Vater und das war ihr nicht genug und sie machte sich diese Schwachstelle zu nutze.

Christian hatte sich schon lange eingestanden, einfach zu naiv gewesen zu sein, auch zu jung um die eigentlichen Beweggründe seiner Mutter zu erkennen. Allerdings wusste er nicht, ob er heute wirklich anders handeln würde, immerhin wollte er seine ganze Familie zusammenhalten. Woher sollte er auch wissen, welchen Weg er dadurch bestritten hatte und wie ein nutzloses Spielzeug beiseite geworfen wurde, als er keinen Nutzen mehr für sie hatte. Hätte er dieses Wissen damals gehabt, wäre er wahrscheinlich doch mit seinem Bruder mitgegangen, als er die Gelegenheit dazu gehabt hätte.

Doch sein Wunsch war auch heute noch geblieben, er wünschte sich seine Familie wieder zusammen und auch wenn die Vergangenheit nicht zurückkam, würde er auch heute noch wollen dass sein Vater sich für das Wohl der Familie opferte. Seine Mutter wäre so definitiv nicht abgerutscht und wäre auch jetzt noch eine sagenhafte und bildhübsche Frau.

Chris hatte lange daran zu knabbern gehabt, dass sie ihm sein Versagen, den Vater nicht halten gekonnt zu haben, jedes Mal aufs Butterbrot geschmiert hatte und aus Schuldgefühlen hatte er auch lange Zeit versucht, es seiner Mutter stets recht zu machen. Doch gebracht hatte es ihm nichts, außer unzählige Stiche ins Herz, doch die Kraft seine Mutter zu verlassen, konnte er immer noch nicht aufbringen. Sie im Stich zu lassen und zu verraten, wie der Rest seiner Brüder, sein Vater, sein Großvater und die anderen Menschen, das konnte er nicht. Obwohl damit einiges leichter für ihn wäre.

Nicht zuletzt die Chance zurück zum Rest seiner Familie zu können. Doch sein Gewissen würde es ihm nie verzeihen können, wenn seine Mutter dann starb, während er sich von ihr distanzierte. Wie lange nur würde er das Ganze noch durchhalten und dabei nicht wahnsinnig werden?

'Verdammt! Wieso immer ich?' Chris presste seine Augen zusammen, holte tief Luft, zählte bis zehn und versuchte sich zu beruhigen. Es nutzte ihm nichts, weiterhin zu jammern. Er hatte jetzt Schadensbegrenzung zu leisten, in der Hoffnung nur eine Verwarnung zu erhalten und nicht gleich den Job zu verlieren.

Wie ein geprügelter Hund schlich er sich daher zurück ins Café und war nicht überrascht, als er auch gleich weiter in die kleine Besenkammer, die als Büro seiner Chefin umfunktioniert wurde, durch gerufen wurde. Wie erwartet hatte er die Kündigung in der Hand. Jeder Erklärung war überflüssig, da er auch nicht weiter in Details gehen wollte.

Immerhin ging es niemanden an, dass der Kerl die Liebe oder Affäre seines Vaters war und deswegen die Ehe seiner Eltern zerbrach. Sie knallte ihm jedoch „Imageschädigung“ vor den Latz und schmiss ihn hochkant aus der Tür. Damit war er also wieder arbeitslos. Zum ersten Mal war nicht direkt seine Mutter der Grund oder seine eigenen Gefühle für Mitkollegen, die er sich verbat. Nein, diesmal war es mal was ganz neues, wenngleich genau betrachtet, der Grund sich um seine chaotische Familienbande drehte und so schon wieder weniger ungewöhnlich war.

'Klasse. Wirklich', brummte es in ihm, als er auf der Straße stand. Seine Laune war auf dem tiefsten Punkt. Nicht nur, dass er sich jetzt wieder einen neuen Job suchen konnte, nein er würde jetzt daheim auch wieder die Launen seiner Mutter ertragen müssen. Und das schaffte er jetzt absolut nicht. Dafür kochte zu viel in ihm, doch wieso machte er sich eigentlich noch immer Sorgen um sie.

Sie verlor keinen einzigen Gedanken an ihn und an sein Wohl. Das ganze Geld was sie bekam und sogar sein Kindergeld floss in ihren Alkohol. Er musste arbeiten um sich selbst zu verpflegen und er vermisste seine Brüder, schrecklich sogar. Den Halt der großen Geschwister lernte man erst zu schätzen, wenn er einem nicht mehr geboten war. Er wusste nur leider zu genau, dass es an ihm war, den ersten Schritt zu machen. Seine Brüder würden ihm nicht entgegen kommen, solange er an Brenda festhielt.

In dem Aspekt hatten sie alle die gleiche Sturheit wie ihre Mutter geerbt. Nur Mickey und Nash hatten die sanfte Natur ihres Vaters mit erhalten, immer den harmonischen Weg gehen zu wollen und taten sich sehr schwer mit dem Kopf durch die Wand zu brechen...

Völlig zweigeteilt zog es Chris ziellos durch die Stadt. Marcel hatte unbewusst total viel in ihm aufgewirbelt und er brauchte nun Zeit sich zu beruhigen. Er stieg in Straßenbahnen, S-Bahnen, gar U-Bahnen ein, ohne zu wissen, wo er sich befand und so verwirrte es ihn doch, als ihn sein Herz zu der alten Wohnung von Marcel gezogen hatte.

Diese jedoch bewohnte er längst nicht mehr, denn sein Sohn Nicholas hatte diese übernommen, nachdem Marcel wieder in die USA ging. Allerdings lebte Nick dort nicht allein, sondern sein Zwillingsbruder Bastian lebte mit ihm zusammen. Er war nach dem Verschwinden ihres Vaters ohne Umschweife sofort zu den McKenneth' gezogen und hatte Marcel beigestanden. Aber vielleicht hauste Marcel während seines Aufenthaltes hier. Die Wohnung war groß genug, wenn seine Erinnerungen ihn nicht täuschten, wobei als Kind einem alles größer vorkam.

Ein Blick auf das Klingelschild verriet ihm auch, dass sie sogar immer noch hier wohnten. Unentschlossen stand Chris vor dem Haus und sah sich mehrmals um, als hätte er Furcht jeden Moment bei einer Straftat erwischt zu werden. Die Gegend hatte sich verändert und doch fühlte er vertraute Atmosphäre um sich herum, so dass sein Zeigefinger sich ganz von allein zu dem Knopf bewegte.

Er drückte erst einmal zaghaft und nach 30 Sekunden nochmal intensiver drauf. Doch es passierte nichts. Absolut nichts...

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