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New Life Diaries
Neue Stadt, neue Familie, neues Leben: Coming-Out Story
Teil 9 - Ein schwuler Freund
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Informationen
- Story: New Life Diaries
- Autor: Marvin
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out
Inhaltsverzeichnis
01.31 Trennungszeit?
Als ich noch im Bett lag, wurde ich von einer SMS geweckt. Mein iPhone stand in der Ladestation, direkt neben meinem Bett. Ich drehte mich zur Seite und erkannte, dass sie von Angelo kam. „Hi Marvin, erinnerst du dich an mich? Wann wollen wir uns heute an der Sportarena treffen? LG Angelo“
Ich lächelte etwas, nahm mein Handy aus der Station und antwortete. „Wie könnte ich das denn vergessen? Wie wär‘s mit 17 Uhr?“
„OK!“ Seine Antwort kam nur Sekunden, nachdem ich meine SMS abgeschickt hatte. Zufrieden drehte ich mich noch mal auf die Seite und blieb noch eine Runde lang im Bett liegen.
Soja hatte heute wieder eine Reitstunde. Selbst Gerrit begleitete sie, nur ich konnte nicht, weil ich zum Sport verabredet war. Als ich an der Sportarena eintraf, wartete Angelo schon auf mich. „Hi“, begrüßte ich ihn. „Und schon überlegt, was wir spielen wollen?“
„Also auf keinen Fall Fitnesskram“, schloss Angelo den Studiobereich schon mal komplett aus. „Und kein Billard, Dart, Bowling, Fußball, Basket- und Volleyball.“
Ich lachte. „Also bleiben noch Badminton, Squash, Tischtennis, Schwimmbad und Sauna?“
„Genau“, grinste er mich an. „Wie viel Zeit hast du?“, scherzte er.
„Gar nicht mal so viel“, antwortete ich allerdings ernst gemeint. Ich muss spätestens um 20 Uhr bei meiner Freundin sein.“
„Ach ja“, wollte ich eine Enttäuschung bei ihm feststellen. „Die Freundin hatte ich ganz vergessen. Hat die gar nichts dagegen, dass du den Samstagnachmittag mit mir verbringst?“
„Ich hab’s ihr gar nicht erzählt“, überlegte ich kurz. „Also ich bin für Badminton.“
„Da bist du gut?“
„Ja, geht so“, nickte ich.
„Okay, dann Badminton.“
Am Tresen ließen wir uns Schläger und Bälle geben und reservierten einen der Plätze für eine Stunde.
In der Umkleidekabine zogen wir uns schnell um. Angelo behielt sein T-Shirt, welches er unter hatte, direkt an und zog sich nur eine kurze Hose und Sportschuhe an.
Angelo spielte auch ganz gut und war richtig schnell auf den Beinen. Nachdem die Hälfte der Zeit abgelaufen war, schlug Angelo eine Pause vor und trank erst mal seine halbe Wasserflasche leer. „Wie anstrengend das ist.“
„Aber macht doch Spaß, oder?“
„Total“, lächelte er und man merkte es ihm auch an. „Aber morgen habe ich bestimmt Muskelkater.“
„Mit Sicherheit. Was meinst du wie es mir ging, als ich mit dem Handball anfing. Oder wenn Gerrit mich im tiefsten Winter zum Joggen zwingt.“
„Auf jeden Fall müssen wir das mal wiederholen. Davor trainiere ich noch heimlich und dann mach ich dich beim nächsten Mal fertig.“
„Niemals“, schüttelte ich meinen Kopf. „Ich bin viel zu gut.“ Ich sprang von der Bank auf und wollte ihn zum weiter spielen motivieren. Er nahm noch einen großen Schluck aus seiner Flasche und lief dann zurück an die Grundlinie. Wir spielten noch bis 18 Uhr und hörten dann auch pünktlich auf. Eine Stunde reichte auch völlig aus. In der Kabine kramte Angelo noch eine zweite Wasserflasche aus seiner Tasche. „Ich bin echt fertig“, meinte er.
Er zog sich sein T-Shirt aus und ich konnte zum ersten Mal seine nackte Brust sehen. Er war wirklich eher schmächtig, aber trotzdem fand ich seine Figur gut und erfreute mich kurz über den schönen Anblick. Als er sofort ein neues T-Shirt überzog, war mir klar, dass er nicht vorhatte hier zu Duschen, was für Mannschaftssportler wie Timo und Gerrit ganz normal war. Also ließ ich es auch sein und zog mich einfach um.
„Musst du jetzt schon los?“, fragte er, als wir die Umkleide verließen.
Ich schaute auf die Uhr und gab mir noch etwas Zeit. „Ich hab noch etwas Zeit.“
„Wollen wir uns noch an die Bar setzen?“
Natürlich war ich einverstanden. Wir bestellten uns je eine Cola und setzten uns dann aber etwas abseits vom Tresen und konnten durch die große Fensterfront nach unten auf die Basketballfläche schauen, wo aber nur drei Männer spielten.
Wir hatten überhaupt kein Problem Themen zu finden. Es war so einfach mit Angelo ins Gespräch zu kommen. Ich erzählte ihm etwas von meinen Familienverhältnissen und das wir auch schon den ersten Urlaub zusammen gemacht hatten.
„Ich wohne ja auch erst ein Jahr hier“, erzählte er mir dann.
„Ja?“, fand ich das durchaus interessant. „Dann hast du das mit dem neu Einleben ja auch alles durchgemacht.“
„Und ist mir zum Glück auch ganz gelungen. Aber wir haben auch Verwandtschaft hier und meine Familie blieb auch unverändert, nicht so wie bei dir“, lachte er.
Irgendwann kam er dann wieder auf Kerstin zu sprechen. „Und was habt ihr noch vor?“
„Ich werde zum DSDS gucken gezwungen“, erzählte ich ihm, woraufhin er lachte.
„Du armer. Ich schau mir das sogar freiwillig an.“
„Ich mag die in dieser Staffel alle nicht.“
Schnell wurden wir uns einig, dass wir beide Menowin nicht leiden konnten.
„Ich glaub ich bin für Manuel, der ist am normalsten“, meinte ich.
„Bin ich auch. Ich glaub der ist schwul“, überlegte Angelo. Wir schauten uns kurz an und schwiegen kurz.
„Aber so gut ist er auch nicht. So ein Max Buskohl sollte mal wieder her“, ging ich auf seine Schwulen-Vermutung nicht ein. Mir war es eh ein Rätsel, warum Schwule immer dachten, dass mehr oder weniger gutaussehende Prominente schwul sein müssten?
Wir bestellten uns noch eine zweite Cola und unterhielten uns über alles Mögliche. Selbst über Fluffy erzählte ich eine ganze Weile. Angelo hätte auch gerne einen Kater oder noch lieber einen Hund gehabt, aber seine Mutter hatte eine Tierhaarallergie.
„Oh, verdammt“, schaute ich irgendwann wieder auf die Uhr. Es war schon kurz nach 7. „Ich muss los.“
„Boah“, staunte auch Angelo. „Wie schnell die Zeit verging.“
Wir verabschiedeten uns und einigten uns, dass wir bald telefonieren würden.
Zu Hause sprang ich schnell unter die Dusche, zog mich um und machte mich auf den Weg zu Kerstin.
Als ich bei ihr klingelte, war es schon halb 9. Ihr Vater öffnete mir und ließ mich zu ihr nach oben.
„Auch schon da?“, schaute Kerstin dieses Mal wirklich genervt aus. Also so richtig. Sonst war sie ja immer recht locker geblieben.
„Tut mir leid. Ich war noch zum Sport und hab’s nicht eher geschafft.“
„Dann solltest du mal ein Seminar für Zeitmanagement belegen“, riet sie mir.
Ich legte mich zu ihr aufs Bett. „Was habe ich verpasst?“
„Noch nicht viel“, sagte sie immer noch sehr gleichgültig.
„Du bist schon wie Gerrit. Aber bei ihm weiß man wenigstens, dass er nur Sport im Kopf hat.“
„Wer hat dir das denn erzählt? Marina?“
„Vielleicht?“, zuckte sie gleichgültig mit ihren Schultern.
„Marina ist eine blöde Kuh gewesen, das weißt du doch. Und das hat doch auch nichts mit uns zu tun.“
„Gibt es denn noch ein uns? Du meldest dich doch auch nur noch, wenn du Langeweile hast oder ein schlechtes Gewissen.“
„Das stimmt nicht. Okay, ich hätte mich gestern mal melden sollen. Aber wenn du unterwegs bist, dann denkst du ja nicht immer dran.“
„Ich war kurz davor dir zu schreiben, aber ich wollte mich nicht wieder ärgern.“
„Ach komm“, legte ich meinen Arm um sie. Gleichzeitig ging mir durch den Kopf, dass jetzt vielleicht eine gute Chance wäre mit ihr Schluss zu machen. Aber ich konnte nicht. Ich weiß nicht warum? Aber ich hatte echt Angst sie zu verlieren. Und gleichzeitig war mir klar, dass ich sie eigentlich nur als gute Freundin wollte und nicht als feste.
„Morgen habe ich den ganzen Tag Zeit. Du kannst zu uns kommen.“
„Um mich mit deinem Vater zu unterhalten oder bist du auch da?“ An ihrer Stimme merkte ich, dass sich wieder etwas böser Humor eingeschlichen hatte.
„Ach, du bist blöd“, lachte ich. „Natürlich bin ich da. Und nur für dich.“
„Abgemacht“, war Kerstin einverstanden.
Als wir weiter DSDS schauten, dachte ich mir, wie blöd ich eigentlich war. Ich war so egoistisch. Um Kerstin als gute Freundin zu behalten, machte ich nicht mit ihr Schluss, obwohl es der perfekte Moment dafür gewesen wäre.
Vor der DSDS-Entscheidungsshow fuhr ich wieder nach Hause. Das Ende der Show sah ich auf meinem Zimmer, obwohl mir diese Staffel jetzt schon ziemlich egal war. Gerrit blieb heute auch zu Hause, obwohl seine nächsten Spiele erst im März waren und er sich nicht schonen musste. Ich nehm an, es lag an der Trennung von Marina.
„Na, wer ist raus?“, fragte Gerrit, als er in mein Zimmer kam.
„Warte…“ Der Moderator verkündete gerade die Entscheidung. „Das Mädchen“, antwortete ich, als der Name von Steffi fiel.
„Ich war vorhin bei Flo und hab eine 24-Staffel ausgeliehen. Willst du die auch gucken?“
„Kommt drauf an, Staffel 1 und 2 habe ich kein Bock mehr drauf“, antwortete ich.
„Es ist die fünfte. Ich glaub, die war ziemlich cool“, meinte sich Gerrit erinnern zu können.
„Zeig mal“, wollte ich die DVD-Box haben und schaute mir die Beschreibung der Staffel an. „Bin dabei.“
„Ich wusste, auf dich kann man sich verlassen.“
„Du willst nur nicht auf deinem Rechner gucken müssen“, grinste ich.
„Was du immer von mir denkst. Hast du jetzt noch Lust?“, fragte er und blickte dabei so, dass ich ihm nicht absagen konnte.
„Ich schlaf da bestimmt bei ein. Ich war vorhin noch Badminton spielen.“
„Mit Raphael?“, erinnerte sich Gerrit.
„Ja, nur das er Angelo heißt.“
Gerrit grinste. „Sag ich doch. Aber bei 24 kannst du gar nicht einpennen. Das ist unmöglich.“
„Dann lass uns das mal testen“, schlug ich vor. „Also, hol schon deine Sachen.“
Auf Gerrits Gesicht zeichnete sich ein dickes Lächeln ab. „Bin gleich wieder da.“
Wenig später kam er mit Kissen und Bettdecke bewaffnet zurück in mein Zimmer, die er auf mein Bett fallen ließ. Seinen Pulli uns seine Jeans zog er direkt vor meinen Augen aus. Er trug heute wieder seine engen Boxershorts, die seinen Hintern so extrem geil betonte und in der sich seine Beule so stark abzeichnete. Er war fast schon unter seiner Bettdecke verschwunden, als er noch eine Idee hatte. „Warte, ich hol uns noch was zu Knabbern von unten.“ Mit diesen Worten warf er seine Sachen auf mein Bett und verschwand auch schon wieder.
Ich startete schon die DVD und wartete auf das Menü. Fluffy suchte sich auch schon wieder einen Platz bei mir im Bett, legte sich heute aber sofort ans Fußende.
Gerrit kam mit einer Tüte Crunchips und einer Schüssel zurück.
„Weißt du was praktische an dir ist?“, fragte er mich dann und schaute mich an, als ob er eine neue große Erkenntnis gemacht hatte.
„Nee?“, musste ich schon schmunzeln.
„Durch dich ist quasi immer ein Kumpel im Haus und man muss sich gar nicht mehr verabreden.“
Gerrits Gedankengänge waren manchmal schon echt lustig, wenn er gut drauf war. Die Trennung von Marina schien ihn überhaupt nicht zu belasten. Silvester war das ja noch völlig anders gewesen.
Gerrit riss die Tüte so stark auf, dass sich erstmal die Hälfte der Chips auf meinem Bett verteilten und Fluffy einen leichten Schreck bekam, sich dann aber dafür entschied, dass ihn das nicht interessiert und er weiterschlafen möchte. Wir sammelten die Chips wieder ein und dann hüpften wir unter unsere Bettdecken.
„Also, dann alle Folgen am Stück, oder?“, schlug ich scherzhaft vor.
„Standard“, antwortete Gerrit nur und hatte inzwischen die Fernbedienung an sich gerissen und startete die erste Folge.
24 war nicht nur die genialste Serie, die ich kannte, sondern gleichzeitig auch die schrecklichste, weil man nicht davon loskam und sie süchtig machte. Wir schauten direkt die erste DVD der Box mit vier Folgen durch – und wir schliefen nicht mal dabei ein. Aber Gerrit war dann doch zu müde, um noch in sein Zimmer zu wechseln. So schliefen wir mal wieder zusammen bei mir und ich war wahnsinnig froh, jemanden wie Gerrit als Stiefbruder bekommen zu haben. Den Besten, den ich mir wünschen konnte…
01.32 Sonntagsbesuch
Sonntage vor einer Klausur waren blöd. Auch wenn es nur ein Vokabeltest in Französisch war. Gelernt werden musste trotzdem und ich fand Französisch immer schwerer zu lernen als Englisch. Warum nur?
Vor dem Frühstück kam Soja in mein Zimmer. Weil die Tür einen Spalt offen stand, kam sie einfach so rein. „Ach hier ist Fluffy“, war sie offenbar auf der Suche nach ihm gewesen.
„Schrei doch nicht so“, beschwerte sich Gerrit, der seinen Kopf unter einem Kissen begraben hatte. Selbst Fluffy gähnte nur und hatte keine Lust aufzustehen.
„Kann ich mit bei euch liegen“, fragte Soja und kam direkt ans Bett.
„Wenn du ruhig bist“, machte Gerrit ihr Platz und rutschte noch dichter an mich, was mir nicht entging.
Weiter Schlafen war jetzt aber unmöglich, denn Soja blieb nicht ruhig, sondern erzählte die ganze Zeit irgendwelche Geschichten und ärgerte Fluffy.
Nach 15 Minuten stand ich auf. „Ich geh Duschen“, meinte ich.
Da richtete sich Gerrit auf. „Wollen wir nicht gleich Joggen, dann dusche doch danach.“
„Nach dem Frühstück schon?“, hatte ich so überhaupt keine Lust dazu.
„Sicher“, war Gerrit motiviert. Man merkte, dass die Punktspiele wieder vor der Tür standen und er sein Training intensivierte.
„Na gut‘, gab ich mich geschlagen. „Ich steh trotzdem auf.“
„Ich auch!“, schloss sich Soja mir an, dabei war sie längst fertig angezogen. Gerrit blieb noch liegen. Es war komisch zu wissen, dass er noch oben in meinem Bett lag, als wir schon unten in der Küche waren. Etwas später kam Gerrit die Treppe herunter spaziert. Ich glaub er hatte sich nur Wasser ins Gesicht gehauen und seine Sportklamotten übergezogen. Trotzdem wirkte er topfit. Beim Frühstück erzählte er auch den anderen, dass er sich wieder von Marina getrennt hatte. Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen, als ich merkte, dass keiner groß unglücklich darüber war.
Weniger zu Lachen hatte ich danach, als es raus an die Luft ging. Es war immer noch arschkalt, aber immerhin wurde der Schnee langsam weniger, was das Joggen weitaus ungefährlicher machte. Was freute ich mich auf den Sommer. Gerrit ließ es heute zum Glück langsamer angehen und wir drehten nur eine kurze Runde.
Zurück im Haus mussten wir uns nur kurz im Haus angucken und wussten gleich Bescheid, was der andere vorhatte. Wir rannten beide zur Treppe und wollten beide als erster ins Badezimmer. Dabei fiel fast noch eine Vase um, die auf der Treppe stand. „Jungs!“, hörten wir meinen Vater uns ermahnend nachrufen. Oben angekommen stolperten wir beide auch noch fast, aber Gerrit fand schneller sein Gleichgewicht, drängte mich noch unfair zurück und war als erster im Bad. „Das war mies“, beschwerte ich mich lachend.
Gerrit öffnete kurz die Badezimmertür und hielt seinen Kopf raus und grinste sich dabei einen ab. „Ich weiß.“ Und schon war die Tür wieder zu.
Ich fiel rückwärts auf mein Bett und wartete, bis Gerrit fertig war mit Duschen. Als wir beide wieder frisch für den Tag waren, gab‘s auch schon Mittag.
„Jetzt weiß ich, warum ich immer ein Mädchen wollte.“ Mein Vater blödelte am Tisch mit uns rum. „Ich dachte, ihr würdet gar nicht mehr den Fernseher ausschalten gestern Abend.“
„Mädchen können anstrengend sein“, bemerkte Helena und schaute auf ihre Tochter, die aber ganz artig am Essen war.
„Und die schlimmen Jahre kommen noch erst“, grinste Gerrit.
„Schlimmer als ihr beide kann es schon nicht werden“, konterte mein Vater.
„Naja, doch“, überlegte Gerrit. „Irgendwann werde ich dich beim Billard besiegen. Dann hast du gar keine Freude mehr an uns.“ Er grinste meinen Vater an.
„Helena, dein Sohn macht mir Angst“, beschwerte sich mein Vater bei seiner Freundin.
„Bis mein Sohn dich besiegt, sind sie längst aus dem Haus“, schlug sich Helena auf die Seite meines Vaters und grinste Gerrit herausfordernd an.
„Eigentlich wollte ich es ja nicht sagen, aber ich lass dich immer mit Absicht gewinnen“, erzählte Gerrit.
„Ach ja?“, wollte mein Vater mehr wissen.
„Marvin hat mir erzählt, dass du immer total durchdrehst, wenn du verlierst und seine Mutter deswegen gleich ausgewandert ist.“
Während er sprach lachten wir noch alle, bis ihm auffiel, dass sein letzter Nebensatz nicht ganz angebracht war.
„Oh, das war wohl jetzt nicht so gut“, ergänzte er leise.
„Deshalb wollte ich ein Mädchen“, schaute mein Vater wieder zu Helena. Zum Glück machte sich ein Lächeln auf seinem Gesicht breit.
Mein Vater kam dann plötzlich noch auf seine Jugend zu sprechen und erzählte, dass er als Jugendlicher auch Fußball spielte und in seinem Verein Jahrelang die Torjägerliste anführte.
„Ich hoffe du kommst in 14 Tagen zum Spiel. Dann zeig ich dir mal, wie man heutzutage richtig spielt.“
„Da kannst du aber drauf wetten, dass ich mir das nicht entgehen lasse. Besonders wenn du die Nacht davor wieder durchmachst“, spielte mein Vater wieder darauf an, dass wir den Fernseher wohl etwas laut hatten.
„Wollen wir gleich die zweite DVD gucken?“, hatte mein Vater Gerrit damit wohl auf eine Idee gebracht. Er schaute fragend zu mir.
„Ich muss eigentlich noch Vokabeln lernen“, überlegte ich. „Aber wir können ja schon mal zwei Folgen gucken.“
„Irgendwas haben wir bei unserer Erziehung falsch gemacht“, bemerkte Helena amüsiert.
„Du aber mehr als ich“, grinste mein Vater und ging vor seiner Freundin in Deckung.
Gerrit und ich hatten es uns wieder auf meinem Bett gemütlich gemacht. Dieses Mal aber auf der Decke. Das coole war, dass ich die Staffel natürlich kannte, aber mich nicht mehr so genau daran erinnern konnte und immer wieder überrascht wurde. Jack Bauer war echt der größte. An der Haustür klingelte es.
„Hoffentlich nicht Norbert und Ilse“, reagierte Gerrit auf das Klingeln und machte den Fernseher etwas leiser, damit wir lauschen konnte, wer kam. Norbert war sein Onkel und Ilse seine Tante, die auch gerade von einer Reise zurück waren. Sie waren es aber nicht, sondern Kerstin. Das durfte nicht wahr sein! Ich hatte Kerstin vergessen! Schon wieder. Aber dieses Mal so richtig. Komplett vergessen!
„Was will Kerstin denn hier?“, flüsterte Gerrit und schaute mich dabei fragend an. „Ausgerechnet jetzt.“ Wir waren mitten in der zweiten Folge.
„Wir waren verabredet. Und ich hab’s vergessen“, erklärte ich.
„Dann können wir nicht weitergucken?“, verstand Gerrit.
Ich schüttelte den Kopf und man sah ihm an, dass er deswegen ziemlich genervt war.
„Hi“, stand Kerstin dann strahlend in meiner Zimmertür und schaute auf uns. „Hallo Gerrit.“
„Hi Kerstin“, richtete sich Gerrit auf und machte den Fernseher aus.
„Was habt ihr denn gemacht?“, wollte sie wissen.
„Ach, nur auf dich gewartet und nebenbei noch Fernsehen geguckt“, antwortete ich.
„Eigentlich hatte er dich gar nicht mehr auf der Rechnung gehabt“, grinste Gerrit und ließ uns allein. Er dachte sich sicher nicht viel bei seiner Bemerkung, aber Kerstin fand sie nicht lustig. Sie schloss hinter Gerrit die Tür und setzte sich zu mir aufs Bett.
„War das ein Witz?“
„Nee, also.. doch ja“, stammelte ich. „Wir hatten nur nicht mitbekommen, dass es schon so spät war.“
„Aber wir hatten doch gar keine Zeit abgemacht.“
Irgendwie lief es nicht gut für mich. „Aber ich konnte mir ja denken, dass du ungefähr um diese Zeit kommen würdest. Ist doch jetzt egal“, wollte ich nicht länger mit ihr diskutieren.
„Zuzutrauen wäre es dir ja gewesen, dass du unsere Verabredung vergessen hast. Gerrits Mutter war auch ganz überrascht.“
„Ich erzähl ihr ja auch nicht alles. Sie ist schließlich nicht meine Mutter“, wollte ich mich verteidigen. „Eigentlich soll ich auch noch Französisch lernen.“
„Also störe ich doch?“
„Nein, Quatsch. Du willst immer alles falsch verstehen“, rückte ich näher an sie. „Ich freu mich doch, dass du da bist.“ Ich glaubte mir fast selbst.
„Und was hast du vor?“
„Ähm… nichts weiter. Ich dachte wir könnten ein wenig Musik hören, reden…“
Kerstin lächelte endlich wieder. „Und uns küssen.“ Zack, passierte es auch schon. Und als ob wir es abgesprochen hätten, klopfte es in diesem Moment an meine Tür.
„Ja?“, hatte ich mit meinem Vater gerechnet, aber es war wieder Gerrit.
„Ist mein Handy noch hier?“
„Ich weiß nicht? Soll ich dich mal anrufen?“
Also wählte ich seine Nummer und schon hörten wir es in meinem Zimmer klingeln. Sein Handy musste irgendwo in meinem Bett liegen. „Ah, gefunden“, freute sich Gerrit. Es lag noch unter seiner Bettdecke, die er bei mir gelassen hatte, so wie auch sein Pulli und seine Jeans bei mir im Zimmer lagen. Die nahm er dann auch noch direkt mit. Kerstin schaute ihn irritiert hinterher.
„Wir haben gestern zusammen geschlafen“, erklärte ich. „Also ich mein, wir haben noch DVD geguckt und er ist dann hier eingeschlafen.“
Kerstin lachte. „Dass ihr nicht zusammen geschlafen habt, war mir schon klar. Dann wäre ich auch ziemlich eifersüchtig.“ Sie kam mir wieder näher und küsste mich. Aber was sie da sagte, wollte mir gar nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Wir lagen dann tatsächlich nur da, hörten Musik und unterhielten uns. Manchmal fing sie an rumzuknutschen, aber dann stand ich immer auf und machte andere Musik an.
„Wir stehen die Chancen, dass wir bei dir mal Sturmfrei haben? Dein Bett ist so schön groß und bequem.“
„Nicht gut“, sagte ich prompt. „Soja ist doch da.“
„Bei mir sieht‘s auch die nächsten Wochenenden nicht so gut aus. Aber meine Eltern gehen nächsten Donnerstag ins Theater.“
„Da habe ich Training“, suchte ich schon nach Ausreden. Sie wollte wieder mit mir schlafen. Überhaupt muss sie es komisch gefunden haben, dass ich selbst noch keinen Versuch unternommen hatte.
„Kannst du das an dem Tag dann nicht ausfallen lassen oder früher gehen?“, schlug sie vor.
„Du bist schon wie Marina“, beschwerte ich mich. „Ich bin neu im Team und habe im Vergleich zu den anderen viel aufzuholen.
„Mein Ex hätte seinen Eltern schon ein romantisches Wochenende irgendwo weit weg geschenkt, um Sex zu bekommen. Aber du…“
„Hätte ich das Geld, würde ich das auch machen“, sagte ich schnell. „Nächsten Donnerstag, okay.“
Als Kerstin vor dem Abendessen ging, war ich irgendwie erleichtert und gleichzeitig machte ich mir Gedanken. Ich wollte nicht noch mal so richtig mit ihr Schlafen. Ich fand Frauen auch wunderschön und sexy. Aber ich konnte nicht verstehen, was andere Jungs an Muschis fanden. Ich fand sie eher eklig. Bevor ich zu viel grübelte, ging ich zu Gerrit rüber.
„Hey“, begann ich.
„Ist sie weg?“, hatte er es wohl nicht mitbekommen.
„Ja, sie ist eben gegangen.“
„Und habt ihr unartig gefummelt und so“, grinste er.
„Nee, nicht wirklich“, lächelte ich. „Wollen wir noch 24 weitergucken?“
„Nach dem Essen?“, schlug Gerrit vor.
„Klingt gut“, nickte ich.
Und so schauten wir nach dem Essen noch den Rest der zweiten Folge und auch noch die anderen beiden Folgen der zweiten DVD. Da es aber jetzt schon nach 22 Uhr war, hörten wir für heute auf, obwohl man bei dieser Serie am liebsten immer weiter gucken würde. Ich war mir sicher, dass es verrückte Leute gab, die wirklich alle 24 Folgen am Stück verschlingen würden.
„Musst du nicht noch lernen?“, streckte sich Gerrit und stand danach von meinem Bett auf.
„Eigentlich schon. Ich schau morgen in der Pause noch mal rein, das muss reichen.“
Gerrit grinste. „So gehört sich das.“
Vor dem Schlafen schaute ich noch kurz bei Facebook rein und entdeckte eine Freundschaftsanfrage von Angelo. Süß, dachte ich nur und akzeptierte sie auch. Er hatte nicht viele Bilder hochgeladen und war auch nicht oft verlinkt, aber auf den wenigen Bildern sah er echt richtig schnuckelig aus. Selten hatte ich so ein liebes Kerlchen kennengelernt, überlegte ich. Jan hatte mir leider immer noch nicht geantwortet. Wahrscheinlich kam da jetzt auch nichts mehr. Wir hatten ja auch kein echtes Thema. Vieles ging mir wieder durch den Kopf, als ich versuchte zu schlafen. Auf jeden Fall stand eine neue, spannende Woche unmittelbar bevor…
01.33 Freundschaftsanfragen
Warum waren eigentlich die Wochenenden immer so kurz. Es gab nichts Schlimmeres als sich an einem Montagmorgen aus dem Bett quälen zu müssen. Ich hatte das Gefühl, dass beim Frühstück eine große Gruppe von Morgenmuffeln aufeinandertraf. Nur Soja konnte noch schlafen. Wie gern ich heute auch erst in der 2. Klasse gewesen wäre. Aber es nützte nichts. Gerrit und ich fuhren zur Schule und immerhin der Schnee wurde von Tag zu Tag etwas weniger. Ich konnte mich schon gar nicht mehr daran erinnern, wie die Straßen ohne Schnee aussahen. An der Schule angekommen trennten sich unsere Wege. Als ich müde zur Klasse trottete, traf ich Niklas auf dem Flur.
„Hey Marvin“, lächelte er mich an. „Wo hast du Gerrit gelassen?“
„Der ist zur Klasse“, dachte ich.
„Wir sollen uns doch heute im Videoraum treffen.“
„Dann hat er das bestimmt vergessen“, vermutete ich mal.
„Man, man, man… ich geh ihn mal suchen. Was habt ihr jetzt?“
„Geschichte“, antworte ich. „Und danach Vokabeltest in Französisch.“
„Oha, dann viel Spaß“, machte sich Niklas auf und ich marschierte zu meinem Platz. Timo saß schon da. Die Beine hatte er unter den Tisch geklemmt und auf seinem Schoß lag unser Französischbuch.
„Hast du auch nicht richtig gelernt?“
„Überhaupt nicht“, antwortete Timo gestresst. „Keine Zeit gehabt am Wochenende.“
Das kannte ich gut. „Ich hab’s auch immer nach hinten verschoben und irgendwann war keine Zeit mehr. Ich schau gleich in der Pause noch mal rein.“
Der Geschichtsblock verging noch langsamer als sonst und in der Pause blieb die halbe Klasse zum Lernen im Raum – bis wir alle von der Aufsichtslehrerin vor die Tür gesetzt wurden. Na toll.
Trotzdem war der Test nicht so schwer. Auch Timo kam wohl ganz gut klar.
Physik war heute sogar mal ganz interessant. Aber trotzdem waren wir alle froh, als die beiden besten Stunden des Tages folgten. Sport und später Religion mit den anderen Klassen.
Auf dem Weg zur Sporthalle lief mir Marina über den Weg. Sie schaute mich richtig giftig an, als ob es meine Schuld gewesen wäre, dass Gerrit mit ihr Schluss gemacht hatte. Gegrüßt hatte sie natürlich auch nicht.
„Hallo Marvin“, schlossen ein paar Jungs aus der D zu uns auf. Lukas war derjenige, der mich direkt ansprach. Wir liefen etwas langsamer und ließen die anderen Jungs vorgehen, die sich schon Gedanken über die Teams beim HallenCup machten.
„Wie war dein Wochenende?“, wollte er von mir wissen.
„Ach“, überlegte ich kurz. „Ganz normal, nichts Besonderes.“ Auf keinen Fall wollte ich ihm erzählen, dass ich zwei Mal Angelo getroffen hatte, wobei ich für das erste Mal ja gar nichts konnte.
„Meins auch nicht“, klang er fast traurig. „Ich hab gehört, dass Gerrit und Marina wieder auseinander sind?“
„Ja“, nickte ich. „Er hat mit ihr Schluss gemacht.“
„Und du? Bist du noch mit Kerstin zusammen oder auch nicht?“
„Hat sich noch nicht ergeben“, flunkerte ich leicht.
„Na dann“, hatte er sich wohl eine andere Antwort gewünscht. „Hast du gesehen, dass ich dir auf Facebook eine Freundschaftsanfrage gesendet hatte?“
„Nee.“ Meine Antwort kam ganz schnell, ohne zu überlegen. „Hab ich noch gar nicht gesehen. Ich bin auch gar nicht so oft online dort.“
Langsam kam ich mir schon wie ein Profi-Lügner vor. Es fiel mir gar nicht mehr schwer. Meine Antworten kamen immer wie aus der Pistole geschossen.
Wir konnten sofort in die Umkleide gehen, da die Tür der Halle ausnahmsweise schon offen war. Ich war erleichtert, dass niemand mitbekam, dass ich mich mit Lukas unterhalten hatte. Bestimmt hätten die anderen Jungs wieder was Blödes gesagt.
Herr Friedrich erklärte uns noch mal den Ablauf des HallenCups und ein Typ aus der Oberstufe, der Hauptorganisator war, erzählte wie toll er es fand, dass dieses Jahr dieser Cup an zwei Tagen stattfinden würde und nicht nur der Oberstufe vorbehalten war. Jede Klasse sollte sich bis morgen noch einen Teamnamen überlegen und bei ihm einreichen. Wir waren uns schnell einig, dass wir als Teenage Mutant Hero Kickers antreten wollten. Die Jungs aus der D nannten sich Lattenschuss SC. Ja, wir waren kreative Köpfe…
Im Religionsblock erfuhren wir dann noch die Namen der anderen beiden Teams aus der 10. Die A trat als Balltänzer FC an und die B kam auf den Namen FC Hollywood. Wir waren definitiv kreativer. Irgendwie hatte ich heute auch den Eindruck, dass noch weniger dem Unterricht zugehört wurde, als sonst eh schon.
Das Handballtraining war zwar eigentlich ganz gut, nur verging mir meine gute Laune, als Mike nach dem Training mich noch sprechen wollte. Er teilte mir mit, dass er am Team diese Saison nichts mehr ändern kann und will. Aber solange ich mich anstrenge und mich weiter steigere, werde ich in der nächsten Saison zum Team gehören. Toll, ein halbes Jahr lang musste ich also noch auf mein erstes Spiel warten. Wie Kacke war das denn bitte? Ich glaube Kevin sah mir später an, dass ich mich schon etwas darüber ärgerte. Selbst wenn ich über Nacht zum besten Spieler der Stadt werden würde, hätte ich keine Chance auf einen Einsatz gehabt.
„Ich musste auch vier Monate warten“, erklärte mir Kevin. „Aber ich kam auch erst im April in die Mannschaft.“
„Ist ja nun mal so, aber ich dachte, ich würde vielleicht schon bald wenigstens mit auf der Bank sitzen.“
„Geduld, Geduld“, strich mir Robin im Gehen über meine Haare und brachte sie mit Absicht durcheinander. „Bis Donnerstag“, grinste er.
Wir verabschiedeten Robin und Jacob stellte sich dafür zu uns. Er wechselte auch direkt mal das Thema und fragte, wann wir noch mal für Mathe üben wollten.
„Wollen?“, schrie Timo von der anderen Seite der Kabine.
„Morgen oder Mittwoch?“, schlug ich vor.
„Mittwoch“, brüllte Timo erneut. „Morgen kann ich nicht.“
„Direkt nach der Schule?“, schlug Jacob vor.
„Bei Marvin zu Hause!“ Irgendwie war’s lustig, wie Timo immer nur mit halbem Ohr zuhörte und von der anderen Seite sich einmischte und viel lauter brüllte, als er es hätte müssen.
„Okay?“, vergewisserte sich Jacob bei mir.
„Klar“, war ich natürlich einverstanden.
Mit seiner gepackten Tasche kam dann auch Timo zu uns. „Warst du schon mal bei ihm? Cooles Haus.“
„Wartet mal ab, bis der Party-Dachboden fertig ist, den mein Vater plant.“
„Da kann er sich mit beeilen“, grinste Kevin. „Ich bin dann auch weg. Bis dann, Jungs.“
Mit Timo und Jacob war ich noch kurz zu Burger King, bevor es wieder nach Hause ging. Inzwischen war auch meine schlechte Laune wieder verflogen und ich hatte mich schon fast damit abgefunden, erst im September zum Einsatz zu kommen.
Auch Gerrit meinte dann, was ich denn erwartet hätte? Das ich nach ein paar Mal Training mitmachen gleich spielen würde? Davon abgesehen, dass es nicht ging.
„Und warum kommst du jetzt erst?“, wollte er wissen. Er klang schon wie mein Vater.
„Wir waren noch bei Burger King“, erzählte ich. „Wieso?“
„Ich will 24 weitergucken. Und ohne dich geht das schlecht.“
Ich grinste. „Eine Folge noch? Jetzt sofort?“
„Auf jeden!“
Am nächsten Tag bekamen wir schon unsere Französisch Vokabeltests zurück, der dann auch gut für uns alle ausfiel.
Nach der siebten Stunde war wie immer Schluss, wie jeden Dienstag. Und weil Gerrit noch eine Stunde nach hatte, musste ich wieder alleine nach Hause fahren. Als ich das Schulgelände verlassen hatte und die anderen Jungs auch schon los waren, stoppte mich Lukas. „Hi!“
Ich schaute ihn überrascht an. „Hey, was gibt’s?“, wollte ich wissen.
„Woher kennst du Angelo?“
Ganz verdattert starrte ich Lukas an. Woher wusste er denn davon?
„Du hattest mir doch von ihm erzählt“, erinnerte ich Lukas an unsere Gespräche.
„Ich hab gesehen, dass ihr jetzt Facebook-Freunde seid.“
Na toll, dachte ich nur. Wie hat er das denn herausbekommen? Er war doch gar nicht mit Angelo auf Facebook befreundet. „Ach so, ja“, gab ich zu.
„Und angeblich warst du ja nicht online bei Facebook.“
„Wir haben uns durch Zufall im Club kennengelernt“, erklärte ich. „Woher weißt du denn, dass wir Facebook-Freunde sind? Hat er dir das erzählt?“
„Nein“, schüttelte Lukas mit seinem Kopf. „Unter Neuigkeiten wird mir angezeigt, wenn neue Freundschaften geschlossen werden. Auch von Leuten, denen ich eine Anfrage geschickt habe und sie diese noch nicht bestätigt haben.“
„Er weiß nur, dass wir beide auf die gleiche Schule gehen und zusammen Sport haben.“
„Ihr habt auch über mich geredet?“
Ich schaute Lukas überrascht an. „Nur kurz. Wir liefen uns schon vorher einmal über den Weg, als ich von dir kam und er zu dir wollte.“
„Um mir zu sagen, dass er nichts von mir will“, war Lukas verärgert. „Und seid ihr jetzt zusammen?“
„Nein“, dementierte ich sofort. „Wie kommst du darauf?“
„Ach ja, du stehst ja auf Frauen und bist mit Kerstin glücklich.“ Ich fand es unfair von Lukas, dass er nun wieder damit anfing.
„Er weiß nicht das, das ich auch auf Jungs stehe und weiß, dass er auch schwul ist.“
Lukas wirkte etwas erleichtert. „Also will er nichts von dir?“
„Nein, natürlich nicht“, antwortete ich. „Wir kennen uns doch kaum.“
„Und du willst auch nichts von Angelo?“
„Nee“, erwiderte ich.
„Gut“, war Lukas wohl einigermaßen zufriedengestellt. „Und warum seid ihr dann gleich Facebook-Freunde?“
„Weiß ich auch nicht“, überlegte ich. „Wir hatten uns halt im Club ganz gut unterhalten und dann hat er mir einfach eine geschickt.“
„Und die nimmst du natürlich sofort an“, motzte Lukas mich an.
„Jetzt steiger dich da doch nicht so hinein“, verstand ich ihn echt nicht. „Ist doch nicht schlimm.“
„Und du findest ihn nett?“
„Ja“, nickte ich. „Er war ganz nett. Wie du schon meintest.“
„Angelo ist ein Arsch“, war Lukas inzwischen wohl anderer Meinung.
„Auf einmal?“
„Erst mach er mir Hoffnungen und tut so, als ob er in mich verliebt wäre und dann hat er kein Bock mehr.“
„Oder du wolltest mehr sehen, als wirklich war. Ist doch oft so, wenn man verknallt ist.“
„Klar, dass du ihn verteidigst. Du bist ja genauso gewesen.“
„Ich hab dir doch nie Hoffnungen gemacht oder so“, verteidigte ich mich.
„Ach nein? Und auf Romeo, bevor ihr hierher gezogen seid? Da meintest du noch, wie geil das wäre, wenn ich dir deinen Schwanz lutschen würde.“
„Spinnst du? Nicht so laut“, war ich erschrocken. Zum Glück standen nur zwei Schüler ganz am anderen Ende der Straße, also außer Hörweite.
„Das war doch nur ein Chat…“
„Es ist eigentlich so lustig“, lachte Lukas auf einmal.
„Zwei Schwule treffen sich in einem Club, freunden sich an und tun gegenseitig so, als ob sie Hetero seien.“
„Wie ich schon sagte“, sprach ich leise, aber deutlich. „Wir haben uns nur im Club unterhalten. Er war mit seiner Schwester und ihrem Typen dort.“
„Und mehr nicht?“
Ich verschwieg Lukas, dass wir uns noch zum Sport am nächsten Tag trafen. Aber ich musste wohl dringend mit Angelo sprechen. Ich hatte keine Lust, dass Lukas wieder durchdrehte. Er würde denken, dass ich versuchen würde ihn seinen Freund oder Flamme auszuspannen.
„Ich finde es trotzdem komisch, dass ihr gleich Facebook-Freunde werden müsst.“ Er lachte. „Was für ein Arsch er ist. Dich added er und meine Anfrage beantwortet er auch nicht. Der fand dich bestimmt süß und wollte deine Bilder sehen oder so.“
„Jetzt spinnst du aber echt langsam“, fand ich. „Ich muss jetzt auch los.“
Als ich weiterfahren wollte, machte plötzlich ein anderes Fahrrad eine Vollbremsung vor mir. Es war Timo, der mit quietschenden Reifen zum Stehen kam. Ich hatte mich total erschrocken.
„Na, Luki-Schnucki“, begann er grinsend. „Versuchst du wieder mit vergebenen Jungs zu flirten und sie ans andere Ufer zu holen?“
Timo schaute uns abwechselnd grinsend an. Ich erwiderte dann sein Lachen, während Lukas uns richtig böse Blicke zuwarf. „An mein Ufer würde ich ganz bestimmt nicht solch oberflächliche und falsche Schlangen wie euch holen.“
Lukas würdigte uns keinen Blick mehr und fuhr davon. Timo schaute mich fragend an. „Was hat er denn?“
„Keine Ahnung“, antworte ich. „Was weiß ich, wie Schwule ticken…“
01.34 Dein wahres Ich
Ich war nervös und wusste nicht, was ich tun sollte? Warum war Lukas nur so kompliziert. Da denkt man, alles ist wieder gut und dann dreht er wieder durch. Und warum konnte er Kerstin nicht einfach mal aus dem Spiel lassen? Ich hatte Angst, dass er ihr mal was stecken könnte. Aber viel mehr hatte ich Angst, dass er mich vor Angelo outen könnte und herauskam, dass ich ihn angelogen hatte. Aber hätte ich Lukas noch davon erzählt, dass wir zusammen beim Sport waren… der wäre komplett ausgetickt vor Eifersucht. Und ich weiß nicht mal, ob er dann mehr eifersüchtig auf mich oder auf Angelo gewesen wäre?
Ich entriegelte mein iPhone und schrieb Angelo eine Kurzmitteilung. „Hi, können wir uns heute oder morgen sehen? Ich würde gerne etwas mit dir besprechen. Marvin.“
Nun hieß es Warten. Und ich musste wirklich lange warten, bis dann endlich am Abend, als Gerrit und ich wieder am 24 gucken waren, seine Antwort kam.
„Hallo Marvin! Was hältst du von morgen? Wir könnten etwas zusammen unternehmen? Worum geht es denn? LG“
Ich antwortete sofort. „Erzählst du bitte niemanden, dass wir in der Sportarena waren. Ich hätte eigentlich keinen Sport machen dürfen und mein Trainer darf davon nichts erfahren. Morgen um 18 Uhr im Krater-Café?“
„Ich halte dicht, keine Sorge. Freu mich auf morgen. Gute Nacht.“ Ein lächelnder Smiley schloss seine SMS ab.
„Super, dann bis morgen und schlaf gut“, schrieb ich noch zurück.
„Kerstin?“, fragte Gerrit nur und konzentrierte sich dabei weiter auf die Echtzeitserie.
„Ja“, nickte ich. Und schon wieder musste ich lügen.
Der Mittwoch ging fast komplett an mir vorbei. Ich machte mir immer noch Gedanken wegen Lukas. Als wir in der letzten Stunde auch noch Latein zusammen hatten, ignorierte er mich zum Glück wieder komplett. Dafür war Moritz bestens aufgelegt. Er lud mich zu seiner Bandprobe am Samstag ein. „Eigentlich ist es keine richtige Probe. Wir spielen einen kleinen Gig für Freunde. Würde mich echt freuen, wenn du auch kommen würdest.“
„Jetzt am Samstag?“, fragte ich noch mal nach.
„Oder hast du schon was anderes vor? Wir spielen schon um 19 Uhr.“
„Nein, nein“, wollte ich unbedingt hingehen. Ich war neugierig wie seine Band war. „Ich komme gerne.“
„Und bring doch Gerrit mit. Wir sind echt gespannt, wie wir so ankommen bei euch.“
Ich nickte. „Klar, ich werde ihn fragen.“
Die Stunde selbst war nur langweiliges Gerede, wie immer. Aber Moritz hatte mich heute wieder total in seinen Bann gezogen. Ich konnte mir echt nicht vorstellen, dass er so ein Arsch sein sollte, wie Lukas immer behauptete. Dafür war er viel zu lieb. Als es klingelte, packten wir unsere Sachen. Normal verschwand Moritz immer sehr schnell, heute ließ er sich aber Zeit. „Und viel Glück für deine Matheklausur“, wünschte er mir noch für Freitag.
„Danke, werde ich brauchen“, lächelte ich und war schon überrascht, dass Moritz daran gedacht hatte.
„Dann sehen wir uns spätestens Samstag“, verabschiedete sich Moritz, klopfte mir auf meine Schulter und spazierte zum Ausgang. Ich erwischte mich dabei, dass ich ihm richtig hinterher gestarrt haben musste. Meine Augen trafen die von Lukas, der gerade seinen Block einpackte. Sein Blick zeigte Unverständnis. Auch ich ging schnellen Schrittes zum Ausgang, damit er mich ja nicht mehr einholen konnte.
Auf dem Rückweg erzählte ich Gerrit von dem Proberaum-Gig von Moritz am Samstag. Er war sofort dabei und wollte mit mir zusammen hingehen. Cool!
Am Nachmittag kamen Timo und Jacob wie verabredet zum Mathelernen. Leider ließ meine Konzentration zu wünschen übrig. Mit meinen Gedanken war ich längst bei meinem Treffen mit Angelo.
An einer Aufgabe verzweifelten wir wieder. Sogar so sehr, dass Timo kurz in Gerrits Zimmer verschwand, der aber selbst eigentlich für eine Klausur lernen wollte.
Um 17 Uhr schlugen wir die Bücher zu. „Alter, wenn ich Freitag eine vier schaffe, dann renne ich nackt um den Schulhof“, war Timo nicht sehr zuversichtlich.
Jacob lachte. „Dann sollten wir noch weiterlernen. Das will ich sehen.“
„Und dann am besten in einer großen Pause“, grinste ich.
„Kein Ding“, lachte Timo mit.
Nach dem Lernen musste ich mich beeilen, um pünktlich im Krater-Café einzutreffen. Aus der Anlage dröhnte Waterloo. Angelo saß schon da und hob seine Hand, als er mich sah. Er war ja schon irgendwie süß.
„Hey“, kam ich an seinen Tisch. „Freu mich, dass du Zeit hast.“
„Klar doch“, lächelte er mich so unschuldig an. „Und ich habe deinem Trainer auch nicht erzählt, dass wir in der Sportarena waren. Davon abgesehen, dass ich ihn eh nicht kenne.“ Angelo lachte.
„Naja“, begann ich zögerlich. „Es ging eigentlich auch nicht um meinen Trainer. Ich bin auch nicht verletzt gewesen.“
Ich konnte Fragezeichen im Gesicht von Angelo ablesen. „Verstehe ich nicht.“
„Eigentlich geht es um Lukas.“
„Lukas?“, fragte Angelo entgeistert nach.
„Er soll nicht wissen, dass wir uns getroffen haben.“
Angelo schwieg und wirkte überfordert.
„Es ist so“, setzte ich wieder an. „Ich weiß, dass…“ Ich wusste nicht, wie ich mich ausdrücken sollte.
„Du weißt was?“, meinte ich leichte Panik in Angelos Augen ablesen zu können.
„Ich weiß, dass ihr was zusammen... also das Lukas in dich verliebt ist.“
„Oh“, schaute Angelo zur Seite. „Du weißt, dass ich…? Aber da kann ich doch nichts für. Ich will nichts von Lukas.“
Eigentlich wusste ich gar nicht mehr so genau, warum ich überhaupt mit Angelo über dieses Thema sprechen wollte und wovor ich Angst hatte?
„Nur weil wir ein bisschen rumgemacht haben, bin ich doch nicht automatisch sein fester Freund. Du kannst dir nicht vorstellen, wie Besitzergreifend und anstrengend der Typ wird.“
„Doch“, nickte ich.
„Du darfst das niemanden erzählen, okay?“, bat mich Angelo dann mit zittriger Stimme. „Keiner weiß, dass ich…“
„Von mir erfährt niemand etwas“, versicherte ich ihm.
„Und jetzt willst du nichts mehr mit mir zu tun haben, oder?“
Ich schaute Angelo überrascht an. „Wie kommst du denn darauf? Ich bin gerne mit dir zusammen und es ist cool einen Freund außerhalb der Schule und vom Sport zu haben.“
„Und wie geht es jetzt weiter?“
„Ich habe ziemlichen Stress mit Lukas“, erklärte ich. „Er war auch in mich verliebt oder ist es immer noch.“
„Aber du bist doch nicht schwul, oder doch?“
„Nein“, antwortete ich. „Bin ich nicht. Ich liebe meine Freundin.“ Als ich es sagte, glaubte ich mir fast selbst irgendwie. „Und alles nur, weil wir jetzt auf Facebook befreundet sind.“
„Was?“, zeichnete sich ein leichtes Lächeln bei Angelo ab.
„Er war deswegen total eifersüchtig.“
„Der Typ nervt mich so. Ich will nichts von ihm, ich mag ihn nicht mal mehr.“
„Wir achten einfach darauf, dass er nicht mitbekommt, wenn wir uns mal zum Sport treffen.“
„Ich bin echt froh, dass du trotzdem noch mit mir befreundet sein möchtest.“
Ich lächelte. „Du bist halt ein guter Typ.“
„Danke“, freute er sich sichtlich. „Schade, dass immer die falschen Jungs schwul sind. So einen wie dich, würde ich auch nehmen. Deine Freundin hat echt Glück.“
Ich verlor mich in seine Augen. Obwohl ich ihn ja süß fand, konnte ich mir nicht vorstellen, dass mal was mit ihm laufen könnte.
„Aber cool, dass du damit kein Problem hast“, meinte er schließlich und unterbrach die Stille, die in der Luft lag.
„Nein“, nickte ich eifrig. „Warum auch? Ich mag dich, so wie du bist.“
„Danke“, lächelte er wieder. „Du bist jetzt der einzige, neben Lukas, der davon weiß.“
„Wollen wir vielleicht noch eine Runde Billard spielen?“, schlug ich dann vor.
Prompt stand Angelo vom Tisch auf. „Logo!“
Abends lag ich in meinem Bett und starrte an die Decke. Warum war ich nur so feige? Warum konnte ich Angelo nicht ganz einfach sagen, dass ich mir auch so einen Freund wie ihn wünschen würde? Jemanden mit dem man über alles Sprechen könnte? Eigentlich hätte ich Lukas Dankbar sein müssen. Ohne ihn hätte ich Angelo vielleicht nie kennengelernt. Ohne ihn hätte ich nicht gewusst, dass er auch schwul war.
Stattdessen ging ich noch mal online. Ich loggte mich in ein Forum ein, indem ich seit ein paar Tagen über all das schrieb, was mir gerade so durch den Kopf ging. Ich checkte meine privaten Nachrichten. Ein paar waren dabei, die meine Texte lobten, andere fragten ob ich grad geil wäre und eine war dabei, der mein Profilfoto gut fand, weil er den Musiker wohl kannte. Naja und das ihm mein Text auch gefiel, das übliche halt. Ich antwortete ihm schnell, bevor mein iPhone mich aus meinen Gedanken holte. Es war eine SMS von Angelo, ein einfaches „Gute Nacht“.
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