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Right to the End

Teil 3

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Widmung

Für Larry King, † 14. Februar 2008 mit 15 Jahren. Ein Mitschüler hat ihn an der E. O. Green Junior High School (Kalifornien) erschossen, weil er schwul war. Und für Maik, der sich schon lange durch meine Rechtschreibung kämpft - und dagegen ist ein Marathonlauf ein Spaziergang.

 

Tja, und dann hat's Coach Dryson in die Nachrichten geschafft, ging mindestens staatsweit über die Sender. Der Hundesohn war mit seinem Team unterwegs und da hat ein besorgter Bürger die Feuerwehr gerufen, weil es an seinem Haus nach Gas roch und die Leute haben doch tatsächlich Zündkapseln und Sprengstoff in seiner Küche gefunden. Zufälle gibt’s, die gibt’s gar nicht. Eigentlich wollten wir noch ein paar Pläne vom Kongressgebäude dazulegen, aber der Typ sollte nur verschwinden, nicht gleich den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen. Und es gab noch einen kleinen Nebeneffekt, ich war gerade bei David, als es über den Sender kam:

" ... ist ein neuer Aspekt im Fall Dryson aufgetaucht. Der langjährige High School-Trainer war offenbar Mitglied einer religiösen Organisation mit Namen "God's Army", die sich ein weißes Amerika ohne Homosexuelle, Juden und Ungläubige auf die Fahnen geschrieben hat. Ob die Organisation hinter Mr. Drysons Anschlagplänen gestanden hat, ist derzeit unklar, ein Bundesrichter ordnete eine umfangreiche Untersuchung an."

"Diese Idioten sollte man auf eine Insel schicken und in hundert Jahren mal wieder nachschauen."

David, nicht ich.

"Joo, es gibt doch nette Inseln in der Südsee."

David guckte schon ganz verwundert.

"Da, wo sie die Atombombenversuche gemacht haben."

Jetzt grinste er.

"Dacht' ich mir doch, dass da noch was kommt. Du magst die Typen doch auch nicht."

"Nö. Aber ich weiß, warum. Dir wollen sie doch eigentlich nichts, oder?"

David lachte...klang ein bisschen bitter.

"Schau dich doch hier um!"

Tat ich, war so wie immer. Naja, seine Familie ist nicht sonderlich reich. Eher arm, sogar für amerikanische Verhältnisse.

"Na und?"

"Du bist echt nicht von hier. Kennst du nicht die Graffitis 'Kill PWT'?"

Ach du liebe Güte. Ich dachte immer, die verkaufen hier Schablonen mit 'Kill XY', im Doppelpack mit 'XY sucks' 10% billiger. Also mal ehrlich, hier steht auf praktisch jeder freien Fläche irgendwas, von 'Bill's Kartoffeln - die rundesten Kartoffeln der Welt' bis zur Werbung für 'Rocky 27 - Krieg im Pflegeheim'.

"Kann sein - und?"

"PWT, das bin ich."

Schlagartig wollte ich nur noch nach Hause, meine Glock holen und dann sollten sie kommen, mir war´s recht. Muss wohl was mit Freundschaft zu tun haben. Dann setzte mein Verstand wieder ein.

"Warum, was haben die gegen dich?"

"Nichts gegen mich persönlich, PWT steht für poor white trash. Wir sind arm und weiß und gehen nicht zur Kirche und damit sind wir für diese Leute Müll."

"Na super. Mich wollen die brennen sehen, weil ich schwul bin, und dich wollen sie lynchen, weil deine Familie arm ist. Wenn die hier das Sagen haben, wird die Einwohnerzahl aber mächtig sinken und der Bestattungsunternehmer wird reich werden. Da sollte doch eigentlich mal wer was gegen tun."

David nickte.

"Ja, aber das sind gefährliche Leute. Wenn sich jemand zu weit aus dem Fenster lehnt, kann das ziemlich in die Hose gehen."

"Und wenn es niemand tut, geht es mit Sicherheit in die Hose. Was God's Army wohl sagen würde, wenn es hier eine Devil's Army geben würde?"

David grinste.

"Die würden nur noch mit Schaum vor dem Mund rumlaufen. Das wär’ ziemlich klasse!"

Seine Augen leuchteten, und meine wohl auch.

"Was meinst du, würden noch ein paar von den Jungs mitmachen?"

"Wenn alle mitmachen, die angeblich armer, weißer Müll sind, dann steht die halbe Stadt hinter uns."

So langsam hatte ich einen Plan...okay, okay, ein paar Ideen, von einem Plan konnte keine Rede sein.

"Hör dich doch mal unauffällig um, wer da mitmachen würde. Ich red mal mit meinen Leuten. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir diese Arschlöcher nicht klein kriegen würden."

Tja, und so fing es an. Mom kramte ihre Vergangenheit als Bürgerrechtsaktivistin raus und Dad mutierte zum Rechtsanwalt. Ungefähr drei Wochen später haben wir die Devil's Army offiziell aus der Taufe gehoben. Mom hatte ein paar Leute von der ACLU organisiert, die sprechen würden, und ein Kamerateam der lokalen NBC, damit sollten wir auf der sicheren Seite sein. Auf Deutsch: Selbst Wahnsinnige wie die God's Army würden nicht vor laufenden Kameras einen Krieg vom Zaun brechen. Ach so, du kennst die ACLU vielleicht nicht, das ist eigentlich nur eine Bürgerrechtsorganisation, aber diese Leute sind Krieger auf ihrem eigenen Schlachtfeld, nicht weniger dreckig als mancher Krieg und manchmal auch blutig. Mann, das war eine scheiß Arbeit. Stühle, Tische, Lautsprecher und ungefähr ein paar hundert Kleinigkeiten in die alte Scheune schaffen, das Ding ein bisschen herrichten, duschen und dann ging’s los. David meinte, dass so ungefähr Dreißig oder Vierzig kommen würden. Optimistisch wie wir sind, hatten wir fünfzig Stühle aufgestellt. Die waren eine halbe Stunde vorher besetzt. Als es losging, waren es bestimmt über Hundert, eher an die Zweihundert. Mom legte los, dann sprach wer von der ACLU und dann kam Dad, und das war echt der Höhepunkt.

"Freunde, ihr wisst, dass ich Familie habe. Viele von euch wissen, dass ich vor kurzem fast eines meiner Kinder verloren hätte..."

Ach ja, das war ja ich, wegen meiner angeblichen Entführung. Ich versuchte, angemessen betroffen auszusehen.

"...und wir sind eigentlich hierher gekommen, um in Ruhe zu leben. Aber wie kann ich im Wohnzimmer sitzen bleiben, wenn die Küche brennt? Wie kann ich meinen Kindern in die Augen sehen und sagen 'Ja, ich habe davon gewusst, aber ich habe nichts getan…'? Viele gute Männer sind gestorben, damit dieses Land ein freies Land ist und bleibt, und ich werde mich nicht schämen, einer von ihnen zu werden. Als 189 unserer Brüder bei Alamo in den Tod gingen, da taten sie das, damit wir in Freiheit leben können, und jetzt ist der Zeitpunkt, dieses Erbe zu verteidigen!"

Naja. Ob die Leute bei Alamo so begeistert von der Devil's Army gewesen wären, wage ich doch mal zu bezweifeln, aber es war genau das, was die Leute hören wollten. Wir haben hunderte T-Shirts verkauft, alle schwarz und mit einem ziemlich niedlichen Teufelchen, das die Zunge rausstreckt - den hatte Eric gemacht - und einem flammenden Schriftzug "Devil's Army", dazu Unmengen von Aufklebern. Dad musste vor die Kamera und sogar Justin kriegte ein Interview. Sagen wir es mal so: Es war einfach Klasse! Einer der ACLU-Leute meinte dann noch zu Dad: "Sie wissen schon, dass sie sich ziemlich exponieren?" Naja, als sie dann kamen, war's eher lächerlich, wir saßen gerade im Wohnzimmer.

"Bist du irre? Dich verheizen zu lassen, nur weil einer das sagt? Du bist doch nicht mehr ganz dicht!"

"Manchmal muss man eben den Kopf hinhalten, schließlich geht es ja auch um wichtige Dinge!"

"Ja, um noch einen Orden für so einen fetten General."

Eric gegen Mom. Er hatte Dad's Rede wohl in den falschen Hals gekriegt und plante eine Karriere beim Militär, vorzugsweise Marines oder irgendwelche supergeheimen Spezialeinheiten. Wahrscheinlich hatte er beim Boxen zuviel auf den Kopf bekommen. Wenn diese God's Army-Typen keine blutigen Amateure wären, hätten sie uns überrascht, aber wir haben alle gehört, dass ein Auto kam, und sind zu unseren Plätzen gelaufen, ist ja nicht so, als wären wir völlig ahnungslos. Diese Typen schon, ein paar Meter vor unserem Haus machten sie den Motor aus und rollten bis zu unserer Einfahrt. Sehr unauffällig. Als sie dann anfingen, auf der Ladefläche des Pick-Up ihren Kram zusammenzusuchen, hätte ich fast laut gelacht. Wir haben gewartet, bis sie es geschafft hatten, den Molli anzuzünden, dann haben wir das Feuer eröffnet. Nein, natürlich nicht auf die beiden Männer, knapp über die Köpfe. Der Molli fiel einfach nur runter und wir hatten eine tolle Beleuchtung. Ich hab ein bisschen mit dem Pick-Up gespielt. Naja, ich meine, ich hatte reichlich Munition und ein Zielfernrohr und viel Zeit. Mit dem Schrott würde niemand mehr fahren. Der Sheriff ließ sich viel Zeit und das war ein Fehler, denn NBC war vorher bei uns. Im Frühstücksfernsehen gab's dann gegrillten Sheriff.

"Sheriff Crawlsburg, Sie sind verantwortlich für die Sicherheit dieser Gemeinde. Wie erklären Sie es, dass Sie erst jetzt, fast eineinhalb Stunden nach dem Anschlag, zum Ort des Verbrechens kommen?"

Ein rotgesichtiger Mann blinzelte in das grelle Licht der Kamera.

"Ich...ob hier ein Verbrechen vorliegt, muss ich erst noch klären."

"Liebe Zuschauer, der Sheriff muss erst noch klären, ob hier ein Verbrechen vorliegt. Dass es hier aussieht, als hätte ein Bürgerkrieg stattgefunden, reicht Ihnen offenbar nicht?"

Die Kamera schwenkte vom Brandfleck auf den zerschossenen Pick-Up, auf der Ladefläche noch ein paar Flaschen mit Benzin.

"Nun...ich meine...nicht immer ist es so, wie es aussieht."

"Das ist sicher richtig, Sie zum Beispiel riechen sehr deutlich nach Alkohol und das wird ja wohl nicht bedeuten, dass Sie angetrunken Ihren Dienst versehen?"

"Nein, natürlich nicht!"

Und dann kam der finale Schuss.

"Wir haben erfahren, dass Sie, Sheriff, Mitglied der fundamentalistischen Organisation God's Army sind, während die Opfer des nächtlichen Anschlags die Gründer der Devil's Army sind, eine Gruppe, die sich Freiheit und Bürgerrechte auf ihre Fahnen geschrieben hat. Haben diese Tatsachen vielleicht etwas mit Ihrer...Verspätung zu tun?"

Er stammelte nur irgendwas und die Reporterin übernahm wieder.

"Liebe Zuschauer, hier im Herzen Amerikas, in dieser so idyllisch scheinenden Kleinstadt, hat sich eine neue Art des Terrors Bahn gebrochen, friedliche Bürger sollten aufgrund ihrer Überzeugungen im Schlaf verbrannt werden. Das erinnert fatal an die brennenden Kreuze des Klans, an Lynchmorde und Rassismus. Seien Sie versichert, dass wir die Vorgänge im Auge behalten werden und Sie natürlich auch weiter informieren."

So funktionieren öffentliche Hinrichtungen in Amerika. Wir hatten fast ein bisschen Mitleid mit dem Sheriff, er war nur ein Handlanger des Bürgermeisters und trank gern mehr als er sollte. Am Abend hat Dad dann eine Flasche mit zum Essen gebracht.

"So, wie ich das sehe, steht es 3:0 für uns und das ist doch ein Grund zum Feiern. Island Malt, 16 Jahre alt und nur für besondere Anlässe."

Ist echt nicht so, dass wir uns hier ständig besaufen würden, aber das war so ein Abend. Nach dem ersten Schluck wusste ich, dass 16-jähriger Island Malt definitiv nicht zu meinen Lieblingsgetränken gehört. Dad muss das wohl gemerkt haben.

"Der Erste schmeckt etwas heftig, aber danach wird´s besser."

Wer bin ich, die Worte meines Vaters anzuzweifeln? Der Zweite war tatsächlich besser und es wurde immer besser. Du meinst, wir waren vielleicht etwas angeheitert? Scheiße, wir waren breit wie die Axt und der nächste Morgen war entsprechend, aber schön war´s trotzdem.

Am Dienstag haben sie meinen Bruder erschossen. Im Vorbeifahren. Wie einen Hund. Sollte wohl so was wie 'ne Botschaft sein. Sie hatten vergessen, dass Hunde von Wölfen abstammen und manchmal erinnern wir uns daran. Seitdem trage ich ein Hundehalsband und auf der Plakette steht 'Eric', so kann ich ihn nicht vergessen. Nur ein Lehrer hat Ärger gemacht, hat gemeint, ich sollte es abnehmen, sonst würde er mich dazu zwingen. Ich hab ihn nur angeguckt und gesagt: "Jederzeit. Und an jedem Ort." Hab nie wieder was gehört. Ist komisch, normalerweise hätten sich reichlich Leute über mich lustig gemacht und ich hätte gern 'n paar Knochen gebrochen, aber natürlich hat keiner was gesagt. Nicht mal gegrinst. Sie wussten wohl, wie dünn das Eis war. Ich hab die ganze Zeit an den Jungen gedacht, der mal von einer Brücke gesprungen ist und der mich zum Lachen gebracht hat und nie verstanden hat, warum ich so sein wollte, wie er.

Als ich nach Hause kam, bin ich in Erics Zimmer gegangen. Es war so ordentlich, wie ich es niemals schaffen würde. An der Wand über dem Schreibtisch hingen drei Ansichtskarten, alle von einer Pamela. Auf den Schreibtisch einige Bücher, an der Wand ein Kalender, übernächste Woche stand da bei Dienstag 'Geburtstag Pam' und ein kleines, rotes Herz daneben. An der Tür ein Paar Boxhandschuhe...alles so, als ob er gleich reinkommen würde. Nur, dass er nicht kommen würde. Nie wieder. Da hab ich geweint...um einen Jungen, der nicht mein Bruder war und es dann doch wurde...viel mehr, als er es jemals wusste. Ich hab einen Text für die Todesanzeige gemacht, das war ich ihm schuldig:

Let it be known to everyone in heaven

that another boy comes now

from fear and despair

longing for kindness and friendship.

My brother at last and the best I've known

a heart of gold and a ready smile

that won't lighten my days anymore.

So hold him tight for me each day

'cause we're brothers

for life and beyond.

Ich hatte einem Jungen versprochen, wenn sie ihm wehtun, dann braucht er mir nur die Namen zu sagen und ich werde mich darum kümmern. Ich halte meine Versprechen. Natürlich wusste ich nicht genau, wer geschossen hatte, aber ich wusste ungefähr, welche Leute die Fäden gezogen hatten. Ich hab gewartet, bis der Wecker auf meinem Nachtisch auf 2:00 Uhr gesprungen ist. Ungefähr 20 Minuten bis zum ersten Haus, fünf Minuten später wären alle tot und ich konnte weiterziehen, mit ein bisschen Glück konnte ich fünf Häuser schaffen, bis sie mich kriegten...und ich würde ihnen einen Kampf liefern, den sie so schnell nicht vergessen würden. Und dann würde ich Eric wieder sehen. Es ist eigentlich kein Problem aus meinem Fenster zu klettern und dann übers Vordach und ein Sprung auf den Rasen, aber mit einem Gewehr ist das eine kitzlige Sache, deshalb bin ich lieber die Treppe runter geschlichen und...

"Hi Chris. Keine gute Idee."

Dad. Er lehnte an der Haustür.

"Geh aus dem Weg."

"Nein. Ein Rachefeldzug ist eine ganz blöde Idee. Eric ist bei Michael, das wissen wir beide, und da werden wir ihn wieder sehen. Aber vorher haben wir hier eine Aufgabe zu erfüllen."

"Richtig, genau das werde ich tun. Geh aus dem Weg."

"Vergiss es. Da musst du mich schon erschießen."

"Wenn du darauf bestehst."

Ich bin schnell, ich meine wirklich schnell, aber in der Nacht reichte es nicht. Ich hatte die Glock gerade in der Hand, da hat mich ein Brückenpfeiler getroffen. Dad hat später gemeint, er hätte Angst gehabt, dass ich vielleicht wirklich schieße, und deshalb hätte er vielleicht etwas fester zugeschlagen. Er hat Recht...in beiden Punkten. Als es wieder hell wurde, war´s echt widerlich. Meine Nase stand schief und die Tränen liefen mir aus den Augen und das Blut lief ungefähr überall hin. Mann, war das eine Sauerei. Und so begab es sich, dass ein Junge namens Chris tapfer den Arzt über sich ergehen ließ und brav mit seinem Vater in den Sonnenaufgang nach Hause fuhr. Glaubst du das etwa? Quatsch! Dad’s Faust hatte mich zum Nachdenken gebracht, aber das hieß noch lange nicht, dass mein Hass vorbei war. In der Notaufnahme stand natürlich der Doc, der mich schon mal in der Mangel gehabt hatte, tja, Pech muss der Mensch haben.

"Nimm deine Wichsgriffel von mir oder ich brech sie dir ab und schieb sie dir in den Hals. Ich konnte dich schon letztes Mal nicht leiden, also schieb ab und schick jemanden, der sein Handwerk versteht."

Unfair? Der Arsch kann froh sein, dass ich ihm nicht die Fresse poliert hab.

"Also...ich bin durchaus qualifiziert, so eine..."

"Du bist qualifiziert, zu tun, was mein Sohn gesagt hat. Und jetzt lauf und lauf schnell, sonst breche ich dir mehr als nur deine Finger."

Dad hat wahrscheinlich nur mitgespielt, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, aber er kann sehr überzeugend sein. Ein paar Minuten später dackelte so 'ne alte Ärztin rein, sah aus, als hätte sie schon alles gesehen. Hatte sie wahrscheinlich auch.

"Okay, lass mal sehen."

Nach dem Röntgen wussten wir mehr.

"Einfache Nasenbeinfraktur. Du kriegst eine örtliche Betäubung und dann richte ich den Knochen wieder ein. Wird die nächsten Tage etwas unangenehm, ist aber nicht gefährlich. Übrigens ist mein Kollege durchaus qualifiziert, einen solchen Eingriff vorzunehmen."

"Ihr Kollege ist nicht qualifiziert, mit Menschen umzugehen und das wissen sie genauso gut wie ich."

Ich bin ziemlich sicher, dass da ein kleines Grinsen zu sehen war, aber ich würde es nicht öffentlich behaupten. Wahrscheinlich mochte sie den Arsch auch nicht. Auf dem Rückweg fuhr Dad rechts ran.

"Wir müssen reden."

Ich nickte nur.

"Kann ich davon ausgehen, dass du in den nächsten Tagen nicht Amok läufst, die halbe Stadt ausrottest und auf Familienmitglieder schießt, insbesondere auf mich?"

"Erstens war das kein Amoklauf, sondern eine genau geplante Operation. Zweitens hätte ich kaum die halbe Stadt geschafft und drittens wollte ich dich nicht erschießen...“

Ich weiß nicht, ob ich abgedrückt hätte...ich weiß es einfach nicht.

"...wahrscheinlich jedenfalls. Und viertens brauchst du im Moment nur mal kräftig auszuatmen, um mich umzupusten. Du hast mein Wort, ich halt erstmal die Füße still."

"Na, das lässt mich doch etwas ruhiger schlafen. Was hattest du eigentlich mit den Kindern vor?"

"Welchen Kindern?"

"Du wolltest doch zu den Familien, die God’s Army anführen. Mindestens drei dieser Familien haben Kinder, die ungefähr so alt sind wie du damals, als sie die Filme gemacht haben. Hättest du die auch erschossen?"

Es gibt nicht viele Sicherheiten in meinem Leben, aber hier war eine davon.

"Niemals."

"Hast du dir mal überlegt, dass sie dann das gleiche tun könnten wie du? Dass sie Jäger werden könnten, Krieger für ihre Seite, die du gezüchtet hättest?"

Daran hatte ich nicht gedacht. Nicht so sehr, dass die Gegenseite ein paar Krieger bekommen könnte, es gibt viel mehr von uns, als die meisten wissen. Nein, ich war erschrocken, weil ich damit Kinder dazu verurteilt hätte, so zu leben wie ich. Weißt du, ich glaube an das, was ich tue, aber das heißt nicht, dass ich es gern tue. Für dich hört sich das vielleicht so an, als ob ich mit dem rauchenden Colt in der Hand für das Gute kämpfe und dann in den Sonnenuntergang reite. Hast du mal daran gedacht, dass der einsame Held statt in den Sonnenuntergang viel lieber nach Hause reiten würde, um mit seinen Kindern zu spielen? Dass ich gern ohne Waffen und Tod, ohne Albträume und Erinnerungen leben würde? Dass ich gern so wäre, wie Eric es war, freundlich und offen, lächelnd und...einfach gut. Ich war müde, unheimlich müde.

Erics Beerdigung war eine Demonstration, es waren hunderte von Leuten da...irgendwie haben die wohl gemerkt, dass man nicht ewig neutral bleiben kann, manchmal muss man seine Seite wählen. Viele haben etwas gesagt, das ist hier so üblich, kleine Geschichten, Erinnerungen, die man teilt. Ich hatte nichts zu teilen, jedenfalls nichts, was ich da aller Welt erzählen wollte, nichts...außer meinem Zorn. Ich bin dann zum Mikro gegangen.

"Wir wissen alle, wer hinter Erics Tod steht. Ich werde am Sonntag vor dieser so genannten Kirche der God's Army sein. Ich will die Leute sehen, die Eric ermordet haben, ich will ihnen in die Augen schauen. Ich glaube, das bin ich meinem Bruder schuldig."

Immerhin wusste ich, dass ich am Sonntag nicht allein sein würde.

War ich auch nicht. Ich war ein bisschen spät, weil der verdammte Pick-Up nicht angesprungen ist und der Rest der Familie schon vorgefahren war und weil so viel los war, musste ich ziemlich weit draußen parken und da hab ich Thomasville kennen gelernt. In New York machen sie eine Konfettiparade, hier geht das persönlicher. Die Leute standen ja alle an der Straße und ich musste daran vorbeigehen und das ging nicht so schnell. Irgendwie wollten alle noch was sagen oder mir auf die Schulter klopfen oder mir die Hand schütteln oder so was. Da waren sogar alte Leute, die sicher nicht mehr so gut laufen konnten, und einer von den Oldtimern stand da mit seinem Laufwägelchen, aber er stand und er hatte sogar eines von unseren Devil's Army-Shirts an. Ich weiß nicht, was er früher gemacht hat, aber er war ein Krieger, als es darauf ankam und ich hab mich meiner Tränen nicht geschämt, als ich ihm die Hand gegeben hab.

"Sir, ich bin sicher, Eric sieht das hier und er ist verdammt stolz darauf, dass Sie gekommen sind."

"Wir hätten schon viel eher was tun sollen. Ich habe früher in Übersee gekämpft. Wenn du mich brauchen kannst, dann sag Bescheid."

"Das werde ich, darauf haben Sie mein Wort."

Ich hab ihn später besucht, war nicht schwer, ihn zu finden, wir haben hier nur ein Altersheim. Er hat tolle Geschichten erzählt und wir haben viel gelacht. Ich bin immer mal wieder hingegangen und bei seiner Beerdigung hab ich das Kissen mit seinen Orden getragen, das hatte er sich so gewünscht. Auf seinem Sarg lag die Flagge und weil er niemanden mehr hatte, hab ich sie gekriegt ...sie hängt jetzt hinter mir, als Erinnerung an den einzigen Opa, den ich je hatte.

Irgendwann hatte ich David erreicht und ich hab ihn mitgeschleift bis zum Rest der Familie. Natürlich hat er protestiert.

"Hey, ich gehöre nicht zur Familie. Ich hab hier vorne nichts zu suchen."

"Du bist mein Freund und das dürfen die Leute ruhig sehen und natürlich gehörst du damit zur Familie."

"Na, so offiziell hatten wir das aber noch nicht geklärt."

David grinste mich an und manchmal hab ich ja auch lichte Momente und ich hab ihn geküsst, vor allen Leuten. Und dann hat mein Herz aufgehört zu schlagen, für 'n paar Minuten oder so. Weil, da hab ich klar gekriegt, dass ich zum ersten Mal im Leben irgendwo angekommen bin. Ein Dorf, in dem mich ganz viele mochten, eine Familie und jetzt auch noch einen Freund. Besser konnte es eigentlich kaum noch werden. Und dann kamen die Autos und es wurde ganz still. Kein Reden mehr, kein Lachen, nur noch Stille und die Arschlöcher mussten da durch, ganz langsam. Es waren nur sechs Autos, ich hab mitgezählt und alle haben die Leute in den Autos gesehen. Die Luft war pures Eis und jeder Meter war ein schreiender Vorwurf. Als sie bei uns vorbeikamen, hab ich Davids Hand genommen. Nein, ich hatte keine Angst, naja, eigentlich schon, aber nur davor, dass ich die Typen einfach abknallen würde. Und dann kam Mom...ich hab erst später mitgekriegt, dass sie das schon vor ein paar Tagen geplant hatten, Mom und Dad und Justin, und wenn ich mich nicht in meinem Zimmer verkrochen hätte, dann hätte ich auch gewusst, was jetzt kam. Sie holte so 'n Megaphon raus.

"Liebe Freunde, wir sind sehr glücklich, dass ihr alle gekommen seid. Lasst uns nicht so auseinander gehen, ihr seid alle eingeladen! Kommt mit zu uns und wir überlegen zusammen, was wir tun können, damit wir nie wieder ein ermordetes Kind begraben müssen."

Und sie kamen, vielleicht nicht alle, aber verdammt viele. Was dann passierte, war eine genau geplante Show, erst gab’s reichlich zu essen und zu trinken und dann kam Mom noch mal:

"Freunde, nachdem wir uns jetzt gestärkt haben, müssen wir überlegen, was zu tun ist."

Die Einzelheiten sind nicht so wichtig, wenn eine Bürgerrechtsaktivisten und ein Veteran der Gerichtssäle zusammen etwas auf die Beine stellen, dann ist das großes Theater, am Ende waren sich alle einig, dass wir einen neuen Bürgermeister und einen neuen Sheriff brauchen. Der Bürgermeisterkandidat war schnell gefunden, ich kannte den Typen nicht, aber er schien gut zu sein und der neue Sheriff sollte...Dad werden. Die ganze Geschichte hat noch etwas gedauert, aber schließlich kam Dad mit einem Stern und seiner Kanone an der Hüfte nach Hause und bunkerte sofort mächtig viele Sympathien, natürlich auf meine Kosten, ich war ein bisschen zu schnell und er hat nicht mit sich reden lassen. 150$ für die Stadtkasse und David hat sich den Ast abgelacht.

Als ich ein paar Nächte später in mein Zimmer ging, hatte ich Besuch.

"Oh...hallo Michael!"

Er hat mich einfach in den Arm genommen.

"Ihr habt es geschafft, God’s Army ist keine Gefahr mehr. Das habt ihr wirklich gut gemacht! Und Grüße von Eric. Er versteht dich jetzt besser und er wird da sein, wenn es an der Zeit ist, zum Berg zu gehen."

Ich hab ein paar Anläufe gebraucht, bis ich ein Wort rausgekriegt hab:

"Danke. Bist du hier, um mich mitzunehmen?"

"Nur, wenn du es willst. Die Anderen wollen bleiben und du kannst das natürlich auch."

Da gab es nicht viel zu überlegen.

"Dann bleibe ich. Sag mal..."

War nur so ein Gedanke, aber Chancen muss man auspressen, so oft gibt es sie nicht.

"...hab ich mir eine Belohnung verdient?"

Michael grinste.

"Du meinst außer einer guten Familie und einem Freund und einem Zuhause? Was möchtest du?"

"Ich hätte gern so einen Audi wie Dad ihn hat. So richtig schnell."

Er lachte.

"Hat dir das Ticket nicht gereicht? Na gut, ich schau mal, was ich tun kann..."

Und dann war er einen Moment einfach nicht da und tauchte sofort wieder auf, irgendwie gespenstisch.

"In den nächsten Tagen machst du eine Erbschaft von einem Großonkel in Deutschland, die Summe reicht für so ein Auto. Aber pass auf, damit wir uns nicht vor der Zeit wieder sehen. Mach’s gut!"

"Moment, Michael, eine Frage noch: Wer bist du eigentlich?"

Er lächelte.

"Ich glaube, das willst du eigentlich nicht wissen."

Und dann verschwand er...aber ich könnte schwören, dass er im allerletzten Moment so was wie ein Schwert in der Hand hatte...oder eine Sense.

Als der neue Audi geliefert wurde, hab ich die Familie eingeladen und Dad gefragt, ob er diesen Whisky für besondere Gelegenheiten mitbringen kann. Und als die Gläser voll waren, hab ich eine CD abgespielt auf der nur ein Song war.

My make up is dry and it cracks on my chin

I'm drowning my sorrows in whisky and gin

The lion tamers whip doesn't crack anymore

The lions they won't fight and the tigers won't roar

So let's all drink to the death of a clown

Won't someone help me to break up this crown

Lets all drink to the death of a clown

Lets all drink to the death of a clown

The old fortune teller lies dead on the floor

Nobody needs fortunes told anymore

The trainer of insects is crouched on his knees

And frantically looking for runaway fleas

(Dave Davies - Death of a Clown)

ENDE

Nachwort:

Right to the End scheint irgendwie nicht so wirklich euren Geschmack getroffen zu haben und deshalb habe ich hier einen Schlussstrich gezogen. Ich weiß, dass manche Erzählfäden nicht aufgelöst werden, aber ich schreibe nicht nur für mich, sondern auch für euch und ich möchte euch lieber eine Story liefern, die euch auch interessiert, als eine alte weiterzuspinnen, die wohl eher nicht so interessant ist. Deshalb 'Stay tuned' - die neue Geschichte ist schon in Arbeit! Nicht alle meine Leser können Englisch, deshalb hier eine - freie - Übersetzung des Textes für Erics Todesanzeige:

Lasst es jeden im Himmel wissen,

dass jetzt noch ein Junge kommt

in Angst und Verzweiflung sehnte er sich nach Freundlichkeit und Freundschaft

Mein Bruder bis zuletzt und der Beste, den es gibt

ein Herz aus Gold, ein Lächeln,

das mein Leben nicht mehr heller machen wird.

Halt ihn fest für mich jeden Tag,

weil wir Brüder sind in diesem Leben und darüber hinaus.

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