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Eine Weihnachtsgeschichte für 4 Freunde

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"Liebe Kinder!", hob ich an und ließ meine Stimme feierlich durch den Salon erklingen, der in warmes gelbes Kerzenlicht getaucht war. Schatten tanzten geheimnisvoll auf unseren Gesichtern.

Ich erntete Kichern und sah in 4 vor Aufregung glänzende Augenpaare.

"Es ist Zeit für eine Geschichte, denn ihr wisst ja: Weihnachten ist die Zeit, um schöne Geschichten zu hören." Eifriges Nicken.

"Nun, wir reisen jetzt auf den Schwingen unserer Phantasie in ein fernes, sehr fernes Land, von dem ihr noch nie etwas gehört habt!" – Kunstpause! – "Dem Land der Frösche."

"Iiiieh, die sind hässlich" – "Und glitschig!!" – "Und sie hüpfen auf deinen Kopf und Quaken", beschweren sich die nervigen kleinen Bratzen sofort.

"Vielleicht bei uns im Menschenland! Doch im fernen Froschland", ich legte eine bedeutungsschwangere Pause ein, "Dort sind sie erhabene Wesen, die mit geschwollener Brust majestätisch die Straßen entlangschreiten, sich einander vornehm zunickend und den Zylinder lupfend. Die Regenzeit war angebrochen, und so begab es sich, dass die Froschprinzessin ablaichen wollte und ..."

"Deine Geschichte ist doooof", krähte mir plötzlich Ulf aufgebracht mit schriller Stimme entgegen. "Wir wollen wieder sowas wie letztes Jahr hören!!!" – "Ja genau", stimmte ihm Peter zu, "nicht so langweiliges Zeugs, sondern etwas mit Pimmeln und viel Sex!!!" Zustimmendes Lachen und Gemurmel.

Ich schaute die 4 entgeistert an. "Aber wir wollten diesmal doch zur Abwechslung ein Weihnachten feiern wie eine ganz normale Familie?!" Doch ich biss auf Granit und musste schließlich überstimmt aufgeben. Da saßen sie nun, die 4, und hatten ihre Stimmen wieder eine Oktave nach unten geschraubt.

Ulf, der zwar auf den ersten Blick wie ein überarbeiteter Beamter aus der "Verwaltungsstelle für die Ablehnung humoristischer Einfälle" wirkte, tatsächlich jedoch einen großartigen Humor besaß.

Peter, der schlaksige Architekt mit seinem untrüglichen Gespür für Logik, gute Restaurants und sexuelle Eskapaden.

Manu, ein fitnessversessener Sportler, der lieber die anderen reden ließ, selbst wenn er etwas zu sagen hatte.

Frank, unser jüngster und erst seit kurzem Teil unserer Freundesgruppe, von dem ich noch nicht wusste, ob sich mehr als eine Freundschaft zwischen uns entwickeln könnte.

"Miloh, das kannst du wirklich besser. Schluss mit Fröschen und Prinzessinnen!", meinte Peter mit einem kühlen Hauch von Vorwurf in der Stimme.

Ich seufzte zögernd. Sollte ich es wirklich erzählen, hier und jetzt? Dann hielt ich leicht theatralisch – in der vagen Hoffnung, nicht zu tuntig zu wirken – meine Handinnenflächen seitlich an die Stirn und meinte: "Gut, ihr habt es nicht anders gewollt. Aber ich möchte keine Beschwerden hören, verstanden?" Begeistertes Nicken!

"Nun, liebe ... 'Kinder', ihr werdet diese Geschichte sicher für erfunden halten, und dazu habt ihr allen Grund. Manchmal, kurz bevor ich einschlafe und in diesem warmen Fluss schwimme, der Traum und Wachsein trennt, kommt sie mir jedoch realer vor als alles, was ich sonst je erlebt habe.

Es war der 19.12.2004, und ich hatte auf dem letzten Flohmarkt des Jahres diese alten roten Ballettschuhe gekauft. Sie waren sehr abgenutzt, aber irgendwie dekorativ und würden gut an meine Wand passen. 'Das ist eine sehr interessante Wahl', lachte mich das junge Mädchen mit dem altmodischen blonden Dutt an, nachdem es mir 4 Euro für die Schuhe abgeknöpft hatte. Ach, und ehe jetzt jemand etwas sagt, ich bin KEIN Crossdresser, auch wenn es äh ... wohl ... Damenschuhe waren!" Ertappte Blicke meiner Zuhörer senkten sich, jemand pfiff, Schuldbewusstsein simulierend. Ich warf einen strengen Blick in die Runde und runzelte etwas die Stirn.

"Wie dem auch sei! Ich vergaß die Schuhe ein paar Tage lang in der Tasche, doch am 24., direkt nach dem Aufwachen, fielen sie mir wieder ein, und ich machte mir einen Spaß daraus, sie anzuziehen. Zuerst dachte ich, sie müssten zu eng sein, aber auf wundersame Weise dehnten sie sich wie Latex und saßen wie eine zweite Haut. Tja, und als ich dann ... ähm ... die Musik aufdrehte und ... tja mit diesen Schuhen etwas herumtanzte, ich war ja noch jung, geschah etwas wirklich, wirklich Merkwürdiges! Alles drehte sich um mich, als wäre mir schwindelig. Ich dachte zuerst, es wäre so ein MBE, also ein 'Magischer Britney-Effekt', aber – oops – die Welt um mich herum drehte sich schneller, es wurde hell und dunkel und meine Sicht trübe, ich spürte eiskalten Schnee, der mir beißend entgegenstob. Plötzlich wurde ich herumgerissen und hörte ein merkwürdiges Brüllen und sah rotweiße Lichter und dann fiel ich auf den Hintern. Zum Glück auf etwas Weiches!"

"Wundert mich nicht, dass der Aufprall weich war, denn dein Hintern ist in den letzten Monaten echt fetter geworden, du solltest mal wieder trainieren gehen!", stichelte Manu, "Wahrscheinlich warst du ein echt pummeliger Teenager". Ich überhörte das geflissentlich und führte es darauf zurück, dass er mein Ex war und einen albernen Muskelfetisch entwickelt hatte. Schließlich zeigte meine Waage nur eine klitzekleine Winzigkeit mehr Kilos an als noch vor drei Monaten. Absolut unbedeutend!

"Als ich auf diesem weichen ... MOOS! ... landete, war mir zwar kalt, aber ich konnte auch wieder plötzlich alles sehen. Und, ihr glaubt es kaum, was soll ich sagen!!! Es war ... ein stinknormaler Wald! Mit Vogelzwitschern, summenden Insekten und diesem Typen, der wild an einem Brotlaib herumriss und laut kichernd und singend kleine Fetzen in die Luft warf, die dann von herumflatternden Viechern, die wie Vögel aussahen, aufgefangen wurden."

"Ähm, Miloh, das war dann aber kein stinknormaler Wald?!", warf Peter brauenrunzelnd ein.

"Vielleicht nicht in dem Kuhkaff, wo du geboren wurdest, lieber Peter! In Berlin begegnest du jedoch so vielen Spinnern, dass mir der Anblick mehr als normal erschien. Naja, ich muss den Typen wohl doch etwas angestarrt haben, denn er sah an sich herunter und fragte mich 'Du glotzt ganz schummrig, Rotschuh! Alles pille-palle bei dir?' – 'Ähm, ja doch', antwortete ich schnell. Ich muss gestehen, dass er mir auf Anhieb gefiel!"

"Und wer war nun dieser 'unheimlich normale' brotwerfende Irre mit dem Sprachfehler?", hakte Ulf nach.

"Oh, er stellte sich als 'Hänsel' vor. Natürlich begann es mir da zu dämmern ... rote Schuhe, plötzlich im Wald mit einem brotwerfenden Hänsel? Hallo?"

"Hm", warf Peter altklug ein und kratzte seinen blonden Schopf, "das klingt nach einem ziemlich harten Trip, vermutlich Pilze!"

"Ja, wenn ich Drogen konsumieren würde, Pseudo-Sherlock! Aber ihr wisst, ich mag sowas nicht!"

"Naja nehmen wir mal an, du warst NICHT zugedröhnt ... wer zum Henker nennt sein Kind heutzutage bitte 'Hänsel'? Sind nicht eigentlich solche Eltern die wahren Irren in dieser Geschichte?"

"Ja Ulf, die Eltern hatten wortwörtlich einen Knacks, vielleicht durch die ständige Holzfällerei, wer weiß das schon. Kein Wunder, dass Hänsel immer so schnell durchdrehte, jeder Sozialarbeiter hätte seine helle Freude gehabt. Aber zumindest konnte er verdammt gut küssen!"

"STOPP!", warf Peter ein. "Wenn das DER Hänsel mit dem Brot ist, mit Gretel und der Hexe und allem, dann ist das ein Kind gewesen?!"

Ich lächelte ihn milde an, wie Eltern wohl ein sabberndes Baby anlächeln, das am Essenstisch grade einen fahren lässt und dabei gut gelaunt mit einem Löffel seinen Spinat zermantscht und danach laut rülpst.

"Peter, du Dummerchen. Ulf, wann ist Hänsel geboren?!"

"Ähm ... also, erschienen ist die Geschichte in der Urfassung um 1810", gab Ulf zum Besten, vermutlich das erste Mal seit 10 Jahren, dass er mit seinem Germanistik-Studium protzen konnte. "Vermutlich ist Hänsel also zwischen 1800 und 1805 geboren!"

Ich klatschte begeistert in die Hände, "Sehr gut, aber tatsächlich ist 1796 richtig. Immerhin, du warst nahe dran." Er schaute mich beleidigt an und meinte: "In den Bildern sind das aber immer kleine Kinder!" Ich wischte es mit der Bemerkung beiseite "Fake-News! Frage: Wie alt war er denn dann, wenn das 2004 passiert ist?!" – "Ähm 207 oder 208 Jahre, aber ...", gab Peter, unser kleines Mathegenie, zum Besten.

"Genau, 207", unterbrach ich ihn, "er hat nämlich am 29. Dezember Geburtstag! Würdest du sagen, das war ein Kind, Peter, hm?!"

"Moooooment ...", meldete sich Frank zum ersten Mal schüchtern zu Wort, "Du küsst einen Typen, der 207 ist?! Hatte der nicht total runzlige Lippen und überhaupt?"

"Ich will euch jetzt wirklich nicht mit Konzepten wie 'relative Zeit' oder 'versteckte Dimensionstore' langweilen. Vielleicht reicht ja der Hinweis, dass es, wie ich später überrascht feststellte, keine Uhren dort gab. Dort vergeht die Zeit so langsam, dass sich die Zeiger im Zeitlupentempo bewegen würden und jeder davon genervt wäre und das Gefühl hätte, dass die Zeit einfach nicht herumgeht! Meinte zumindest der Uhrmacher dort, der allerdings keine Uhren baute, weil ja niemand welche haben wollte. Deshalb hatte er dann ja auch seine Bäckerei eröffnet.

Aber ich schweife ab. Jedenfalls versichere ich euch, Hänsel sah eher aus wie 20 als wie 200, also ungefähr so alt wie ich damals. Natürlich habe ich ihn nicht sofort geküsst. Obwohl seine Lippen sehr weich wirkten. Seine Haare waren dunkelrot, und sein sommersprossiges Gesicht trug meistens ein freches Grinsen, das seine süße Zahnlücke gut zur Geltung brachte. Und er hatte leuchtend grüne Augen. Grün wie meine, aber noch viel leuchtender!

Während er wieder Brot in die Luft warf, fragte ich ihn: 'Sag mal, wo bin ich hier eigentlich?' Er brach sofort in hysterisch kreischendes Gelächter aus, hielt sich sogar den Bauch, deutete auf meine Schuhe, lachte wieder.

Ich war etwas beleidigt, weil ich der Ansicht war, dass diese Schuhe schon ziemlich schick an mir aussahen! Als Hänsel sich wieder eingekriegt hatte, grinste er über das ganze Gesicht und meinte nur 'Duller Rotschuh. Du, ich, das ist OZ! Alles OZ hier! Ihr Rotschuhe seid immer, immer dull.'"

"Ha, ich wusste es!", rief Ulf triumphierend aus.

"Naja, ich war schon etwas ... überrascht. Ich meine, wo waren dann die Hexen? Zwerge?!? Sprechende Tiere und Vogelscheuchen? Dieser Wald wirkte so normal auf mich wie der Berliner Tiergarten. Ich bin übrigens einmal alle Wege darin abgefahren und war sehr enttäuscht festzustellen, dass es da gar keine Tiere gibt, zumindest keine größeren. Aber zurück zur Geschichte."

"Ja, erzähl uns, wie du Opa Hänsel flachgelegt hast, hihi!", schallte es mir entgegen.

"Alles zu seiner Zeit. Ich bat Hänsel 'Bring mich bitte zu deinen ... Freunden ... wenn du welche hast!', und er meinte nur: 'Ich fütter fütter doch!!!', worauf ich ihm kurzerhand das Brot aus der Hand riss und es in den Mund steckte. Ich hatte wirklich Hunger, und wer wusste schon, wann hier die Essenszeiten wären, ob es hier überhaupt richtiges Essen gab?! Dieses Brot war köstlich, kein Wunder, dass die Viecher so scharf darauf waren! Ich schluckte gierig alles hinunter und zeigte ihm meinen leeren Mund, und als er sah, dass kein Brot mehr übrig war, grinste er freudig, packte mich bei der Hand und zog mich mit schnellen Schritten mit, nicht ohne vorher zu bemerken 'Fressen kannst Rotschuhvogel ja viel, viel!'

Jedenfalls kamen wir nach einer guten Viertelstunde in der Stadt an. Die Leute waren überraschend freundlich und nickten Hänsel und mir zu, sofern sie nicht mit ihrem Tagewerk allzu beschäftigt waren. Ich erhaschte viele verstohlene Blicke auf meine Schuhe und wertete das als Neid! Überraschenderweise wurde Hänsel ganz normal behandelt, diese Leute schienen wirklich tolerant zu sein. Hier konnte man es aushalten."

"Wieso sollten sie Hänsel denn schräg anschauen, hat er wieder mit Brot um sich geworfen?", klang Frank beinahe ein bisschen eifersüchtig.

"Nun ja, er lief ja immer nackt herum, er besaß kein einziges Kleidungsstück."

Ulf prustete seinen Glühwein zurück in die Tasse. "Ja, Ulf – da kannst du dir ruhig mal ein Beispiel dran nehmen, dass es auch unverklemmte Menschen gibt, nicht wahr?", bemerkte ich spitz. Er warf mir einen bösen Blick zu und verzog säuerlich das Gesicht.

"Deshalb musste ich natürlich auch mit ihm schlafen. Wie soll man da widerstehen, wenn sozusagen die saftigen Trauben die ganze Zeit vor einem herumhängen, nur darauf wartend, gepflückt zu werden?!"

Dreifaches verständnisvolles Nicken, nur Frank warf mit leicht schrill klingender Stimme ein: "Mooooment, dieser bekloppte Hänsel-Typ ist da also die ganze Zeit nackt herumgelaufen?!"

"Ja genau, aber jeder ignorierte es. Wie in diesem Märchen mit dem Kaiser und seinen Kleidern. Nur, dass Hänsel eben keine Krone aufgesetzt hatte und auch kein Kaiser war. Und in diesem Kaiser-Märchen ist auch keinesfalls von Erektionen die Rede, wie sie Hänsel regelmäßig gut gelaunt vor sich hintrug, oft natürlich Brot werfend. Ich habe Tage gebraucht um ihm beizubringen, dass er mich nicht dauernd füttern soll, weil ich nunmal kein Vogel bin!

Aber lassen wir das, zumindest konnte er wirklich gut backen, er arbeitete ja auch in einer Brotbackstube, da lernt man sowas. Die backten da übrigens regelmäßig penisförmige Brote. Irgendwie war da eine Menge phallisch in dieser kleinen Stadt. Scheint, als ob Hänsel da für einige 'Inspiration' gesorgt und einen ziemlichen Eindruck hinterlassen hätte! Naja, das war wohl auch der Hauptgrund, dass die Knusperhaushexe seinerzeit durchgedreht ist!"

"Ah, die Hexe. Endlich!" atmete Ulf vergnügt auf.

"Ja, ihr wisst ja vielleicht, dass die Hexe seine Schwester Gretel als Hausmädchen gehalten und Hänsel gemästet hat, um ihn zu fressen. Aber er hatte schon damals eine ... hm ... leicht exhibitionistische Ader. Jedenfalls, diese Grimms damals waren schon ziemliche Fake-News-Produzenten. Hänsel hatte ihnen ja persönlich von seinen Erlebnissen berichtet, aber was haben sie dann nur daraus gemacht! Zum Beispiel war das keineswegs IMMER sein Finger, den er ihr hingestreckt hat, damit sie prüfen kann, ob er schon fetter geworden ist!"

Ich sah in verdutzte Gesichter "Du meinst, er hat ...?!?"

"Das überlasse ich eurer überaus schmutzigen Phantasie! Aber Hänsel hat mir kichernd alles haarklein erzählt. Fakt ist, dass die Hexe nicht so gut damit klar kam, denn sie war ja schon fast 400 Jahre alt und ist wohl in einer ziemlich prüden Zeit aufgewachsen. Und da sie eh unter starker Gicht litt, vielleicht ja aufgrund ihres massiven Zuckerkonsums, ist sie nach einem von Hänsels 'Scherzen' kurzerhand durchgedreht und in den Ofen gesprungen. Diese Art von Suizid ist unter Hexen übrigens weit verbreitet. Gut, es ist ja auch die einzige, die 100%ig funktioniert."

Ich nahm einen Schluck Glühwein. "Was ist eigentlich aus Gretel geworden?", wunderte sich Peter.

"Die war durch den ständigen Umgang mit dem ständig mehr oder weniger nackten und mehr oder weniger erigierten Hänsel so sexualisiert, dass sie zuerst als Prostituierte arbeitete und dann ein großes Freudenhaus eröffnete. Und das mit 19, eine echte Powerfrau! Übrigens hatte sie einen unglaublich guten Einrichtungsgeschmack", schwärmte ich ihnen vor.

"Natürlich fragt ihr euch jetzt, wie die beiden nach OZ gekommen sind? Nun, nachdem die Knusperhexe dahingebrutzelt war, feierten Hänsel und Gretel natürlich ausgiebige Parties, soweit das ohne fette Musikanlage eben geht. Es waren solche 'Friss mit uns das Zuckerhaus' Parties, und die berühmtesten Gäste waren sicherlich die Brüder Grimm, die sich damals wegen ihrer Recherchen im Hinterlandswald aufhielten. Aber da waren sie ja noch gar nicht so bekannt, das kam erst später.

Jedenfalls kam nach einigen Wochen oder Monaten, wer zählt schon die Tage im Wald, die Hexe des Westens vorbei, um ihre mittlerweile dahingeschiedene Freundin zu besuchen, fand die vollgefressenen Kinder und ... schwupps ... nahm sie kurzerhand mit nach OZ. Sie hatte sich immer Kinder gewünscht, konnte allerdings selbst keine gebären."

"Hm, dieser Hänsel, ich meine, so in seinem Oberstübchen ..." versuchte Frank loszuätzen, während er sich mit dem Zeigefinger an die Stirn tippte.

"Stopp, sag es nicht!", unterbrach ich ihn unwirsch. "Unsere Beziehung war sicher eher körperlich, und er war auch auch nicht gerade ein Akademiker. Aber er hatte ein Herz aus Gold, und wir fanden einige gemeinsame Interessen. Zum Beispiel das Backen. Weshalb sollte ich wohl sonst solche Stollen backen können, wie ihr sie euch seit einer Stunde gierig reinstopft?!"

"Wie, der ist nicht vom Edelkonditor?", starrte Manu verstört auf seine Gabel, die jetzt unentschlossen vor seinem Mund schwebte. Ich schüttelte betont langsam den Kopf und schaute etwas beleidigt in die Runde.

"Aber zurück zu OZ. Es vergingen einige sehr ... erlebnisreiche ... und feuchtfröhliche Tage, die ich mit beziehungsweise in Hänsel verbrachte. Ich hatte ja auch einiges nachzuholen. Er war ein begnadeter Lehrer!", schwärmte ich verträumt.

Manu warf mir einen giftigen Blick zu. Gut, er wusste bisher nur, dass sein "Vorgänger", also mein erster Freund, Hans hieß. Trotzdem sollte jemand mit einer derart hohen Anzahl an Liebhabern nun wirklich nicht den Moralapostel herauskehren!

"Am dritten Tag wurde ich schließlich zum Stadtvorsteher gebracht, ein imposanter Mann mit einem riesigen schwarzen Bart übrigens. 'Willkommen, Rotschuh-Reisender, wir haben jemanden wie dich seit Jahren nicht gesehen und unsere Frauen dürsten nach deinem Samen, genau wie es der Hänsel tut!', kam er freundlich lächelnd direkt zur Sache. Das war nicht wirklich das, was ich hören wollte. Immerhin erfuhr ich, dass die Männer hier wohl nicht besonders fruchtbar sind und deshalb viele Ehen kinderlos blieben. Und deshalb wurden eben traditionell sehr viele Kinder von Rotschuhen gezeugt. Die dafür dann reich mit Gold belohnt wurden."

"Oh", hörte ich und sah in weit aufgerissene Augen.

"Ja, das war ein ziemlicher Schock, aber ich dachte so bei mir: 'Hier ist es cool, da musst du durch, und ich will dieses Gold!' Sie hatten vielleicht nicht Viagra, aber es gab dieses kleine Gewächs, das nannten sie 'Knüppelstrauch', und der Name war Programm. Übrigens Hänsels Lieblingspflanze, er kannte die besten Sammelstellen im Umkreis von 10 Kilometern. Ich war dort ja längere Zeit, sofern man dort überhaupt von Zeit sprechen kann, und habe insgesamt 83 Kinder gezeugt. Und weitere 22 waren noch unterwegs, als ich OZ verließ!"

Den Blick in die teils entsetzten, teils amüsierten Gesichter genoss ich sehr und nahm ungerührt einen weiteren Schluck Glühwein.

"Ja, schaut nur entsetzt. Sooo schlecht ist heterosexueller Geschlechtsverkehr beileibe nicht, Milliarden von Heteromännern können das bestätigen. Und wenn man jemanden wie Hänsel an seiner Seite hat, der einen unbeirrt anfeuert und liebend gerne selbst einspringt und außerdem gelenkig, einfallsreich und ausdauernd ist, kann das unglaublich unterhaltsam sein. Und schließlich kann man den Bewohnern von OZ auch sicher nicht vorwerfen, verklemmt zu sein, oh nein." Ich stieß ein tiefes Seufzen aus. "Ich frage mich manchmal, wie es meinen Kindern wohl geht! Irgendwie fehlen mir die kleinen Schreihälse ..."

"Du wurdest für Sex bezahlt?", meldete sich Frank etwas unsicher.

"Eigentlich mehr für das Schwängern. Und, ja, das war sogar ziemlich viel Gold, ich hätte es auch für einen Bruchteil getan. Ich meine, wie hätte ich mir all das hier auch sonst leisten können?", erwiderte ich, mit der Hand in den Salon deutend. "Äh, das hier gehört dir? Ich dachte, du hast das extra für unsere Weihnachtsfeier gemietet?", meinte Frank entgeistert. Ich lächelte ihn an und zog eine Augenbraue hoch. Die anderen drei grinsten ihn wissend von der Seite her an.

Dann klatschte ich in die Hände:

"Aber wir reden jetzt schon die ganze Zeit von meinen sexuellen Eskapaden aus meiner Jugendzeit, dabei hat die eigentliche Geschichte noch gar nicht angefangen! Denn ihr wisst ja, ich erzähle euch eine WEIHNACHTSGESCHICHTE. Und was kommt in so ziemlich jeder guten Weihnachtsgeschichte vor? Hm?!"

"Geschenke?" – "Das Christkind?" – "Nervtötende Verwandte?" – "Süße kleine Welpen und verbrannte Weihnachtsgänse?", waren die wenig inspirierenden Antworten der Kulturbanausen vor mir!

"Ihr Banausen. Natürlich der Weihnachtsmann! Es stellte sich nämlich heraus, dass zum ersten Mal am heiligen Abend ein Rotschuh nach OZ gekommen war, und niemandem war bewusst, dass der gleichzeitige Dimensionssprung von Santa und mir eine Art Dimensionsverwerfung erzeugen würde, da die Nordpol-Fabriken des Weihnachtsmannes selbstverständlich nicht in der menschlichen Dimension liegen, aber eben auch nicht in der OZ-Dimension, sondern genau dazwischen! Da es in OZ zwar fähige Brotbäcker, jedoch keine Wissenschaftler gab, konnte mir niemand Genaueres erklären. Klar war nur, dass Santa in OZ abgestürzt war, was seine Rentiere leider nicht überlebt hatten. Er saß dort fest!"

"Ach, der Arme. Und Rudolph erst, lieber Rudolph!!!", stöhnte Ulf theatralisch.

"Ja, traurig, aber wie ich feststellen musste, gilt in OZ Rentierfleisch als Delikatesse, so hatte das Ganze doch etwas Gutes. Es wird gerne als Schnittchen auf penisförmigen Brötchen gereicht. Außerdem wurde 'Rudolf' im Laufe der Zeit mehr als einmal 'verjüngt', denn selbst magische Rentiere leben nicht ewig!

Aber zurück zu Santa: es wäre naheliegend gewesen, die Hexe des Westens zu bitten: 'Hey, ich bin's, Santa, bringst du mich bitte eben in meine Heimatdimension zurück?'

Wenn, tja, wenn das nicht grad seine Ex gewesen wäre. Eine leider etwas psychopathische Furie, die Leuten zum Beispiel den Tod angedroht hat, wenn man sie nur falsch anredete. Übrigens ein Transgender und die Antwort auf die Frage, warum man eigentlich nie über eine "Frau Santa" spricht.

Die Aufgabe war also, Santa zurück zum Nordpol seiner Heimatdimension zu bringen, ohne dass die Hexe des Westens ihn in kleine rot-weiße Stücke schneidet und dann an ihre Haustiere verfüttert. Denn er hatte ja erst NACH ihrer geschlechtsangleichenden OP mit ihr Schluss gemacht, ganz offensichtlich gegen ihren Willen.

Und das, meine Lieben – nämlich, wie wir Santa vor der bösen Hexe des Westens gerettet und sicher in seine Heimatdimension zurückgebracht haben – ist die eigentliche Geschichte, die ich euch erzählen wollte!"

"Oh mein Gott! Dann ... warst DU das, der Weihnachten 2004 gerettet hat?!?", kombinierte Peter messerscharf.

Entspannt lehnte ich mich zurück und schlug die Beine übereinander. "Nun, zumindest sah es der Kerl mit dem roten Mantel so."

Während die anderen mich zufrieden angrinsten, kommentierte Frank miesepetrig: "Oh Mann, Miloh – diese Geschichte war zwar halbwegs lustig, aber auch abgefuckt und zu 100% bescheuert." Ich hatte wohl einmal zu oft von Hänsel geschwärmt ...

"Wie ich bereits sagte, lieber Frank, du wirst mir die Geschichte eh nicht glauben. Das ist der Fluch der Phantasielosigkeit! Doch dagegen gibt es etwas, eine Art ... Heilmittel. Ein kleines Geschenk von jemandem, dem ich mal aus der Patsche geholfen habe!"

Ich blickte ernst in die Runde und freute mich auf das kleine Ritual, das jetzt kommen würde.

Und dann zog ich das aus meiner rechten Hosentasche, was ich dort nur an einem einzigen Tag im Jahr vorfinde. Behutsam drehte ich die Hand so, dass meine Freunde sehen konnten, wie sich das Kerzenlicht golden auf der kleinen Glocke brach, die an einem roten Seidenband hing. Mit einer schnellen Bewegung aus dem Handgelenk schlug ich sie an und hielt sie über unsere Köpfe. Das Klingeln war hoch und tief und laut und leise zugleich und von überirdischer Lieblichkeit. Es füllte den Salon, weitete und verkleinerte ihn, machte ihn dunkel und hell zugleich und schien alle Gegensätze aufzuheben, alle trüben Gedanken zu vertreiben. Und zufrieden entdeckte ich in den glänzenden Augen meiner 4 Freunde dieses verzückte, unschuldige, geradezu ekstatische Staunen, wie nur wahre Kinder es empfinden können, wie auch ich es jetzt gerade empfand.

Und mit tiefer, sonorer Stimme, die auch eine andere hätte sein können als meine eigene, hob ich an:

"Dann hört einmal her, liebe Kinder. Denn die Geschichte, wie Santa in OZ vom Himmel fiel und aus diesem unheimlichen Land gerettet wurde, wird eure Herzen mit Trauer und mit Schrecken erfüllen – und mit Liebe und mit Freude. Und das kam so!"

...

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