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Alright my boys

Teil 2

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Informationen

 

We stand together
we'll finish what we have begun
Dreams of better future without no bug or dime
Narrow streets of destiny
where everyone is on the run
We'll hit this road together
until the end of time
(Paddy Schmidt, Paddy Goes To Holyhead)

»Paul?«

»Lass mich!«, kam es zurück, aber irgendwie nicht mehr ganz so energisch.

»Können wir reden?«

»Geh weg, du Schwuchtel. Ich will nicht mit dir reden«, kam die Antwort von Paul, und er wollte aufstehen. Doch so leicht wollte ich nicht aufgeben. Ich wollte endlich wissen, warum er mit meinem Schwulsein nicht klar kam. Ich dachte immer, beste Freunde haben keine Geheimnisse und können über alles reden.

»Wir müssen miteinander reden«, startete ich einen neuen Versuch und drückte ihn sanft, aber bestimmt auf die Bank zurück. Erschrocken schaute er mich an, als ich ihm so nahe kam.

»Lass mich in Ruhe. Ich bin nicht schwul.« Oje, er dachte wohl, ich will etwas von ihm. Da gibt es doch immer diese blöden Gerüchte, dass Schwule mit allem ins Bett steigen, was hübsch aussieht und bei drei nicht auf den Bäumen sitzt. Daher wehte also der Wind. Paul hatte Angst, ich würde mich an ihm vergreifen. Doch warum eigentlich? Bisher hatte ich doch auch keine Anstalten in diese Richtung gemacht. Ich wollte jetzt genau wissen, was los war.

»Also noch einmal im Klartext: Ich will nichts von dir. Das solltest du doch eigentlich wissen. Oder habe ich irgendwann einmal versucht, dich in die Kiste zu bringen?«

»Nein«, kam es fast schon schüchtern von Paul zurück. Da tat sich also doch etwas in seinem Kopf. »Aber in unserer Klasse sagen doch alle, dass Schwule nur Sex wollen. Und das will ich nicht.«

»Da bin ich doch schon ein wenig enttäuscht, dass du so wenig Vertrauen in deinen besten Freund hast und lieber das glaubst, was irgendwelche Idioten herumerzählen. Sollte ich mich so in dir getäuscht haben? Wäre eigentlich schade«, sagte ich in einem etwas enttäuschten Tonfall.

»Nein ... nein ... so ... so ... äh ... ich meine, also, ach, ich weiß auch nicht«, stammelte Paul. »Irgendwie komme ich damit nicht richtig klar. Schwule wollen sich doch nur an mich ranmachen, so wie...« Weiter kam er nicht, wir wurden von der Pausenklingel unterbrochen.

»Paul, können wir nach dem Unterricht weiterreden? Ich glaube, wir müssen da einiges klären.« Er brummte irgendetwas vor sich hin, was wohl Zustimmung signalisieren sollte. Gut, da hatte ich ja noch einmal Glück gehabt. Vielleicht lässt sich das mit meinem besten Freund noch einmal gerade biegen. Gemeinsam gingen wir in unser Klassenzimmer. Dort wurden wir von den Oberidioten begrüßt. »Sieh an, unser Schwanzlutscher ist wieder da. Passt auf eure Ärsche auf.« Und an Paul gerichtet. »Hat er dich auch rumgekriegt? Oder warum redest du mit so jemandem?«

»Halt die Klappe, Mario.« Dieser Satz kam erstaunlicherweise nicht von Paul, sondern von Melanie. Die »schweigende Mehrheit« meldete sich zu Wort und vertrat eine eigene Meinung. Das war doch ein schöner Nebeneffekt meines unfreiwilligen Coming-Outs.

»Ach, seid doch ruhig. Eure Sprüche sind wir leid. Martin ist ein normaler Mensch, und wenn er sich eben in einen Jungen verliebt hat, was solls. Er ist doch deswegen kein schlechterer Mensch oder etwas Abartiges«, meldete sich Dominik zu Wort.

»Und so wie ich ihn heute erlebt habe, ist er mir als Freund lieber als jeder von euch Idioten«, fügte Sandra hinzu.

So viel Widerspruch waren die »Leithammel« gar nicht gewohnt und waren erstmal sprachlos. »Seid ihr denn alle verrückt geworden? Haltet eher zu so einer abartigen Schwuchtel als zu uns anständigen Bürgern. Die ganze Zeit habt ihr ihn nicht beachtet. Und jetzt? Ich verstehe das nicht.« Und zu mir gerichtet sagte Christoph: »Und du kleiner Perverser, wir sind noch nicht fertig. Irgendwann kriegen wir dich. Und dann zeigen wir dir, was mit so jemand zu tun ist.«

Eine weitere Diskussion wurde abgewürgt, da Herr Grond das Klassenzimmer betrat. Jetzt war Mathematik angesagt, eines meiner Lieblingsfächer. Denn hatte ich einmal verstanden, worum es ging, brauchte ich nichts mehr zu lernen. Mathe ist also ein Fach für Faule, genau das Richtige für mich. Denn auswendig lernen ist nicht so mein Ding, man kann zwar damit kurzfristig ohne etwas verstanden haben gute Noten bekommen, aber ich bin jetzt nicht so der ehrgeizige Streber. Ich mache lieber nur das unbedingt Notwendige. Ausnahmen sind Fächer, die ich gerne mag. Aber da steht ja auch nicht so sehr der Zwang, etwas machen zu müssen, weil es jemand so sagt, im Vordergrund. Ich interessiere mich dafür und beschäftige mich somit freiwillig mit der Materie.

»Hallo, Jungs und Mädels, heute machen wir mit der Kurvendiskussion weiter«, begrüßte Herr Grond uns in seiner gewohnt lässigen Art. Ich mochte ihn nicht nur, weil er Mathe gab, auch sein Unterrichtsstil war nicht so trocken. Herr Grond war von seinem Fach 100% überzeugt und versuchte uns recht anschaulich die Welt der Zahlen, sprich Mathematik, näher zu bringen. Ja, bei ihm machte der Unterricht Spaß. Er war wohl auch früher ein richtiger Lausbub gewesen und hatte nichts ausgelassen, wie z.B. Schuleschwänzen und Abschreiben. Er stand eben im Leben und war nicht so abgehoben wie andere »Oberlehrer«, die ihr Abi mit Eins gemacht hatten und dann problemlos ihr Studium durchzogen und ebenfalls mit einer Eins abschlossen. Ihnen fehlt meist der Bezug zur Realität, sie können gar nicht nachvollziehen, dass Schüler auch Probleme mit dem Lernstoff haben können.

Doch zurück zum Unterricht, Herr Grond überprüfte die Hausaufgaben. Wir sollten von einigen Funktionen Extrema und Wendepunkte berechnen. Für mich eine leichte Übung, doch nicht für Christoph. Und genau jenen rief unser Wissensvermittler auf. »Christoph, führst du bitte deine Aufgaben an der Tafel vor?«

»Warum ich? Nehmen Sie doch mal jemand anderes dran. Unser Schwanzlutscher hier macht das sicher gerne. Der kriegt doch bestimmt einen Orgasmus, wenn er rechnen darf«, wollte er sich herausreden. Mir war schon klar warum. Er hatte mal wieder irgendwo abgeschrieben und nicht verstanden, wie die Rechnung zustande kam.

»Das Wort 'Schwanzlutscher' will ich in meinem Unterricht nicht mehr hören. Das ist eine Beleidigung, die ich nicht dulde. Dafür gibt es einen Eintrag ins Klassenbuch. Wenn Martin eben schwul ist, dann ist das alleine seine Sache. Und jetzt, Marsch an die Tafel, sonst gibt es auch noch eine Sechs.« Dass Herr Grond so deutlich zu dem Thema Stellung nahm, ließ ihn auf meiner Sympathieskala noch weiter nach oben steigen. Meine Umgebung war wohl doch nicht so homophob und konservativ, wie ich befürchtet hatte. Zumindest bis jetzt ging es einigermaßen gut, die »Pflicht« hatte ich wohl bestanden. Aber die »Kür« bei meinen Eltern stand noch aus. Sie würden das Gerücht früher oder später über das »Buchtrommelsystem« unseres Kaffs zu Ohren bekommen. Wenn man sich auf etwas verlassen kann, dann auf die Verbreitung von Klatsch und Tratsch.

»Also, die Gleichung 5x³-17x²-12x+24 hat drei Extrema«, fing Christoph seine Ausführungen an. Der Anfang ging ja noch gut, aber was dann kann, das war eher eine Stammelei. Rückfragen zu einzelnen Schritten konnte er nicht beantworten. Manche Schritte waren sogar falsch. Für mich und wohl auch für den Rest der Klasse war es eine Genugtuung, den großen Obermacker so zu sehen.

»Also, dafür bekommst du eine Vier, aber nur, weil du dich wenigstens bemüht hast abzuschreiben. Doch beim nächsten Mal liest du dir die Rechnung besser durch, bevor du sie blind abschreibst. Sonst muss ich doch eine Fünf geben. Und du weist, dass deine Versetzung auf der Kippe steht. Du kannst dir eine schlechte Note gar nicht leisten.«

Verärgert setzte sich Christoph auf seinen Platz. Er ließ sich ungern vorführen, besonders jetzt, wo die Klasse eine eigene Meinung vertrat und er nicht mehr der ungekrönte »Chef« der Klasse war. Das Schlimmste für ihn war, dass ausgerechnet eine in seinen Augen perverse Schwuchtel ihn und seine Kumpanen vom Thron gestürzt hatte. Der Rest des Unterrichts verlief ohne besondere Vorkommnisse.

Zur anschließenden Physikstunde gingen wir in den Physiksaal. Auf dem Weg dorthin, sprach ich kurz mit Paul. Ich wollte ja noch einiges mit ihm besprechen. Und da war auch noch die Sache mit Heiko, die er angerissen hatte. Er war ein guter Freund von ihm. Doch weiter als dass ich ihn dazu bewegen konnte, nach der Schule mit mir zu reden, kam ich nicht. Das reichte mir aber schon. Unsere Freundschaft hielt diese Bewährungsprobe anscheinend aus.

In der heutigen Physikstunde führte unser Lehrer Herr Niedermeyer einige Experimente aus der Optik vor. Da auch Physik eines meiner Lieblingsfächer ist, freute ich mich schon auf diese Stunde. Wegen der Versuche verschob der Lehrer das Überprüfen der Hausaufgaben auf die nächste Stunde. Einige atmeten erleichtert auf. Die Stunde ging ohne größere Ereignisse vorüber, zumindest hörte ich keine Anfeindungen wegen meiner Homosexualität. Ansonsten sind Stunden mit Experimenten eher entspannend. Ist mehr was zum Zuschauen, manchmal dürfen auch einige mithelfen.

Nach dem Unterricht ging ich in den Schulhof zu meinem Fahrrad. Paul folgte mir. Draußen hielt ich Ausschau nach Dirk. Auch wenn ich jetzt mit meinem besten Freund reden wollte, so musste ich doch zunächst meinen Schatz auf den aktuellsten Stand bringen. Als ich ihn sah, kam er freudestrahlend auf mich zu und gab mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund. Ein bisschen Zärtlichkeit muss dann schon sein, außerdem hatte uns außer Paul keiner gesehen.

»Wie ich sehe, hat sich das mit Paul wieder eingerenkt. Sonst wäre er nicht mit dir gekommen. Also hatte ich doch Recht, du alter Schwarzmaler«, war Dirks Kommentar zu Paul in meinem Schlepptau. Dabei lächelte er mich an.

»Naja, ganz ausgestanden ist die Sache nicht. Aber das wird wieder, hoffe ich zumindest. Wir müssen zwar einiges klären, doch ich glaube auch, dass das wieder wird, oder Paul?«

Der so angesprochene antwortete mit einem »Ja, ich denke schon. Trotzdem brauche ich noch etwas Zeit. Ach, eigentlich weiß ich ja gar nicht so viel über Schwule. Das ist alles neu für mich. Und dann ist da noch diese Sache neulich.« Den letzten Satz sagte er mehr zu sich selbst. Doch er war noch so laut, dass ich ihn hören konnte.

»Gut, ich muss noch etwas besorgen, wir sehen uns später, mein Schatz.« Und schon war Dirk verschwunden. Jetzt konnten wir ungestört unser Gespräch weiterführen.

»Was meintest du mit neulich? Was ist passiert?«, knüpfte ich an seinen letzten Satz an.

Nach einer kleinen Pause, in der er scheinbar über etwas nachdachte, fing Paul an, leise zu erzählen: »Ach ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Und ich weiß auch nicht, ob ich es wirklich erzählen soll. Aber ich denke, du hast Recht, als meinem besten Freund sollte ich dir schon vertrauen können, dass das, was ich sage, unter uns bleibt.«

»Das ist doch klar. Alles, was du erzählst, bleibt unter uns. Du musst aber nichts erzählen, was du nicht willst«, gab ich ihm zu verstehen.

»Danke Martin«, kam es leise von Paul zurück. Sein Blick war jetzt nach unten gerichtet. Irgendwie glaubte ich eine Träne gesehen zu haben. »Also neulich war ich in der City Passage einkaufen. Irgendwann verspürte ich ein natürliches Bedürfnis und ging aufs Klo. Dann passierte es. Ein Mann stellte ich neben mich und schaute mich an. Plötzlich fasste er an meinen Schwanz und fing an ihn zu wichsen. ‚Komm schon, du geiler Bock, du willst es doch auch. Ich sehe es dir an', sagte dabei in einem lüsternen Tonfall. Erst war ich total überrascht, doch dann schob ich seine Hand von meinem Schwanz. Ich machte meinen Hosenladen wieder zu und lief so schnell ich konnte aus der Toilettenanlage heraus.

Im angrenzenden Stadtpark setzte ich erst einmal auf eine Bank und dachte über das eben Geschehene nach. Ich war froh, dass ich allein war. Da konnte ich in aller Ruhe nachdenken. Was war da eben passiert? Ein Mann wollte sich wohl gerade an mir vergehen. Zum Glück konnte ich diesen Angriff abwehren. Bald hatte ich das Erlebnis wieder vergessen. Ich wollte keinen Gedanken daran verschwenden.

Und heute erwischte ich dich und Dirk beim Küssen. Vor meinen Augen sah ich wieder den Typen in der Toilettenanlage, der sich an mir vergreifen wollte. Auf einmal machte es klick, du bist schwul. Du bist auch so einer, der sich an andere ran macht. Daher reagierte ich ablehnend und aggressiv auf dich. Ich brachte dich in Zusammenhang mit dem Kerl aus dem Klo und hatte Angst, du würdest das gleiche mit mir machen, sobald sich die Gelegenheit dazu ergäbe.

Außerdem bin ich ja nicht schwul, dachte ich mir bis jetzt jedenfalls so. Aber eigentlich bin ich mir nicht mehr so ganz sicher. Manchmal denke ich schon, ich könnte mir etwas mit einem Jungen vorstellen. Hin und wieder schaue ich auch mal einem süßen Jungen hinterher. Auch das Verhältnis zu dir ist sehr intensiv, und manchmal glaube ich, es geht über eine »normale beste« Freundschaft hinaus. Ach, ich weiß auch nicht. Doch eines weiß ich sicher: Ich bin nicht so einer, der sich einfach an andere ran macht. Ich bin doch kein schwanzgesteuerter Triebtäter. Sollte Schwulsein das bedeuten, dann bin ich sicher nicht schwul. Nein, so will ich nicht sein. Ich finde so etwas ziemlich widerlich, abartig.»

Nach einer kurzen Pause fügte Paul noch leise hinzu: »Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt haben sollte. Ich hoffe, du kannst mir noch einmal verzeihen?« Dabei schaute er mich ängstlich an und blickte dann schüchtern zur Seite.

»Ach Paul, was mache ich nur mit dir? Komm her und lass dich drücken, mein alter Freund. Das mit dem Typ im Klo, also echt, das war ja echt der Hammer. Der Kerl soll mir bloß nicht über den Weg laufen. Dann kann er was erleben«, sagte ich aufmunternd zu ihm und rückte näher an ihn heran. »Danke, dass du mir wenigstens die Gelegenheit zu einer Aussprache gegeben hast.«

»Mann bin ich froh, dass wir uns wieder verstehen.« Er lehnte sich jetzt an mich und ließ sich richtig fallen. Kleine Tränen liefen herab.

»Ja, es ist alles gut Paul. Lass es raus. Wir können über alles reden. Wenn du willst, machen wir heute Nachmittag blau und gehen zu mir. Meiner Mutter bringe ich das schon irgendwie bei.« Inzwischen hatte sich Paul wieder etwas gefangen. Die Tränen waren versiegt. Noch immer lehnte er an mir. Gerne gab ich ihm jetzt den Halt, den er brauchte.

Mit leiser Stimme sprach er: »Danke Martin. Danke, dass du mein bester Freund bist. Du Martin, woran merkt man eigentlich, dass man schwul ist?«

»Eine gute Frage. Am besten erzähle ich mal, wie es bei mir war. Also...« Weiter kam ich nicht. Denn wir wurden jäh unterbrochen. Christoph, Mario und der Rest der Idioten tauchte vor uns auf. Auch einige, die nicht in meine Klasse gingen, waren dabei.

»Jetzt schaut euch doch bloß die Schwuchtel an«, und an Paul gerichtet: »Hat er dich also doch rumgekriegt? Oder bist du etwa auch so ein perverser Schwanzlutscher? Warum lässt du dich von dem in den Arm nehmen?«

Die Idioten kamen näher und Paul löste sich von mir. Er sank ängstlich in sich zusammen. Ich dagegen hatte zwar auch ein wenig Angst, war aber auch ein wenig sauer, dass uns diese Idioten nicht einfach in Ruhe lassen konnten. »Was wollt ihr von uns? Lasst uns doch einfach in Ruhe!«, brüllte ich die Idiotenmeute vor uns an.

»Sieh an, die Schwuchtel will wohl den starken Macker raushängen. Das wird dir noch vergehen. Was wir von euch wollen? Ihr sollt hier verschwinden. Dies ist eine anständige Schule, da ist kein Platz für solche Perversen wie ihr. Denn so wie ich das sehe, ist Paul auch so ein kleiner Arschficker«, war Marios Antwort. Hinter ihm bauten sich die Übrigen auf. Sie schauten alle grimmig aus und ich glaube nicht, dass sie uns jetzt zum gemütlichen Kaffeeplausch einladen wollten. Nein, es roch schon nach Gewalt, einer Prügelei oder auch mehr.

Doch trotz der erkennbaren Bedrohung blieb ich sitzen und wartete, was jetzt abging. Irgendwie wollte ich dem Konflikt nicht ausweichen. Denn er schien mir unvermeidlich. Also lieber gleich alles klar stellen und ihnen zeigen, dass ich nicht alles mit mir machen lasse. Nur war ich mir noch nicht so sicher, ob dieser Konflikt für Paul und mich gut ausgehen würde. Außer den Idioten und uns war niemand im Schulhof. Einerseits könnte uns keiner von denen helfen, die sich noch eben im Unterricht hinter mich gestellt hatten. Andererseits könnte auch niemand Christoph und Co. anstacheln, uns fertig zu machen. Also abwarten und auf einen guten Ausgang hoffen.

»Was habt ihr mit uns vor? Wollt ihr uns jetzt verprügeln? Macht ihr das immer so, wenn ihr nicht mehr weiter wisst?«, redete ich mich jetzt in Rage. Ich war richtig sauer. Was bildeten sich diese Deppen eigentlich ein? Dass sie der Nabel der Welt sind und sie bestimmen, was andere zu tun haben oder wie sie leben sollen? Die gleichgeschaltete Gesellschaft mit Einheitsmeinung hatten wir doch 1945 auf dem Müllberg der Geschichte entsorgt. Oder etwa doch nicht?

»Das reicht. Los, zeig es der Drecksschwuchtel!«, befahl Christoph einem seiner Handlanger. Dieser kam artig auf mich zu zerrte mich hoch und schlug mir ins Gesicht. Von der Wucht des Schlages fiel ich wieder auf die Bank zurück. Ich hielt mir die Wange, sie schmerzte stark. Gut, es war vielleicht auch ein wenig gewagt, die Idioten zu provozieren. Da hätte ich eigentlich mit so einer »Antwort« rechnen müssen. Aber ich war halt so sauer, dass mein Verstand kurzfristig auf Urlaub war.

Rums. Der nächste Schlag traf mich in der Magengrube. Vor Schmerzen krümmte ich mich zusammen. Nach weiteren Schlägen fiel ich von der Bank. Auch Paul wurde diese »Behandlung« zuteil. Dazwischen mischten sich immer wieder übelste Beschimpfungen, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Gegen so viel Übermacht hatten Paul und ich keine Chance. Die Idioten prügelten sich regelrecht in Rage. Irgendwann stelllten sie sich im Kreis um Paul und mich herum auf. Danach schubsten sie uns hin und her und schlugen weiterhin auf uns ein. Irgendwann verlor ich das Gleichgewicht und fiel unsanft hin. Ich spürte noch einen starken Schmerz. Plötzlich sah ich Schuhe, die begannen, auf uns einzutreten. Dann wurde mir schwarz vor Augen. Ich bekam nur noch schwach Stimmen mit wie »Hört damit auf!« oder »Lasst die beiden in Ruhe!«

Als ich wieder zu mir kam, saß ich auf der Liege im Krankenzimmer unserer Schule. Vor mir stand ein Mann in Weiß, wohl ein Arzt oder Sanitäter. Mir brummte mein Schädel, und auch sonst taten mir einige Stellen ziemlich weh. Neben mir saß Paul, der gerade untersucht wurde. Er war im Gesicht voller blauer Flecken und sein linkes Auge zierte ein dickes Veilchen. Die Haare standen wirr ab. Wahrlich kein schöner Anblick. Doch ich dürfte wohl kaum besser aussehen.

»Warum nur? Warum können die uns nicht einfach in Ruhe lassen?«, sprach ich meine Gedanken laut aus und griff mir an den Kopf. Als ich die Hand weg nahm war sie mit Blut verschmiert.

»Keine Sorge, das ist nur eine kleine Platzwunde an der Stirn«, sagte der Arzt, als er meinen skeptischen Blick sah. »Ach, und übrigens, ich bin Dr. Werner. Ihr beide habt noch einmal Glück gehabt. Wären nicht andere aus eurer Klasse gekommen, wäre es nicht so gut ausgegangen. Auf deine Frage nach dem Warum weiß ich auch keine Antwort. Ich kann dir nur sagen, dass die Typen, die euch vermöbelt haben, mit ernsten Konsequenzen rechnen müssen. Zumindest wegen Körperverletzung werden sie sich zu verantworten haben. Zeugen sind ja genug da, die gesehen hatten, was passiert ist.«

»Na, das hört sich gut an. Hoffentlich bekommen die ordentlich was aufgebrummt. Auch wenn ich bezweifle, dass solche Idioten ihre Ansichten ändern. Was ist überhaupt passiert? Ich erinnere mich nur daran, dass jemand aufhören brüllte. Danach fehlen mir einige Erinnerungen.«

»Wie ich gerade gesagt hatte, kamen wohl einige aus eurer Klasse in den Schulhof, als ihr am Boden lagt. Sie reagierten sofort und vertrieben die Idioten und brachten euch hierher in das Krankenzimmer. Ja, da habt ihr echt Glück gehabt. Wären sie nicht gekommen ...«

»Scheiße«, unterbrach ich den Arzt, »Sie haben doch sicher meine Eltern informiert wegen des Zwischenfalls?«

»Ja. Warum? Gibt es ein Problem?«, wollte der Dr. Werner wissen.

»Naja, wie man es nimmt. Mein Freund und ich sind noch nicht geoutet. Denn wir leben hier nicht unbedingt in einem weltoffenen, fortschrittlichen Ort. Die Menschen sind eher konservativ, so wie meine Eltern auch. Schwule passen nicht in deren Weltbild. Ich habe einfach Angst vor einer ablehnenden Reaktion meiner Eltern. Sie wollen doch bestimmt wissen, warum Paul und ich zusammengeschlagen wurden. Und anlügen kann und will ich meine Eltern eigentlich nicht.«

»Das wird schon irgendwie werden, Martin«, versuchte mich Dr. Werner zu beruhigen, als die Tür aufging. Ich ging schon in Deckung, weil ich dachte, meine Eltern kämen herein. Doch Entwarnung, »nur« mein Schatz Dirk betrat das Krankenzimmer.

»Was machst du nur für Sachen? Kaum lässt man dich allein, gibt es Ärger. Was ist überhaupt passiert? Ihr beide seht nicht gerade vorzeigbar aus.« Als Dirk fertig war, ging er zu mir und drückte sich an mich. Anschließend begrüßte er Paul. Dieser ergriff zuerst das Wort.

»Also, Martin und ich wollten noch einiges zwischen uns klären. Du hast sicher mitbekommen, dass es da kleine «Differenzen» zwischen ihm und mir gab.«

»Ja das habe ich, Martin war ganz aufgelöst deswegen. Aber ich sagte ihm, dass sich das mit euch beiden wieder einrenken würde. Und wie ich sehe, hatte ich Recht.«

»Ja Dirk, das hattest du«, übernahm ich das Wort. »Paul war gerade dabei, mir sein Verhalten zu erklären, als Christoph, Mario und Co. im Schulhof aufkreuzten. Nun, das Ergebnis dieses «Gesprächs» siehst du ja jetzt.« Mein Ärger auf diese Idioten kam wieder hoch. Ich wollte gerade weiter erzählen, als die Tür aufging.

»Mein Gott Paul, was ist denn passiert? Der Rektor hat da ganz schlimme Sachen am Telefon erzählt. Lass dich anschauen.« Pauls Mutter kam hereingestürmt und ging gleich auf ihren Sohn zu. Nach ihr betrat meine Mutter das Krankenzimmer und ging zu mir herüber.

»Martin, du siehst ja ziemlich übel aus. Was ist geschehen? Wer war das?«

»Mutter, wir wurden zusammengeschlagen«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Denn wie gesagt, Lügen war nicht so meine Sache. Das konnte ich nur in Ausnahmefällen.

»Warum? Was habt ihr getan?«

Jetzt wurde es langsam eng. Aber ich wusste, irgendwie musste die Wahrheit heraus, auch wenn ich Angst vor der Reaktion meiner Mutter hatte. Ich blickte kurz zu Paul und Dirk. Sie schienen mir zu sagen, dass sie hinter mir stehen würden, egal, was jetzt passierte. »Du kennst doch Mario, Christoph und ihre Clique? Diese intelligenzresistenten Typen haben wohl offenbar etwas gegen mich«, fing ich vorsichtig an.

»Was sollen sie denn gegen dich haben? Nun, sie sind zwar nicht unbedingt der Umgang, den man sich so wünscht. Aber du bist doch niemand, der anderen etwas tut. Also warum haben sie etwas gegen dich?«

Jetzt kam die Stunde der Wahrheit. Sollte ich, oder sollte ich nicht? Gut, ich könnte irgendetwas erfinden. Aber würde das nützen? Würde ich damit das unbequeme Gespräch nur hinauszögern? Nein ich wollte jetzt und hier Klarheit haben. Der Kämpfer gegen Ungerechtigkeit und Vorurteile in mir gewann die Überhand. Ich hoffte nur, dass ich Paul und Dirk da nicht in etwas hineinritt. Aber zumindest Pauls Eltern hielt ich für tolerant. Sie sind nicht so konservativ wie viele andere. Von ihrer Seite dürfte keine Gefahr drohen.

»Also gut Mutter, was jetzt kommt, mag für dich und Vater ein Schock sein und nicht so recht in euer Weltbild passen, aber ich kann mich nun einmal nicht ändern. Mutter, ich bin schwul.« So jetzt war es heraus.

»Was bist du?«, schrie meine Mutter. »Du bist so eine Schwuchtel. Nein ich fasse es nicht. Was haben dein Vater und ich nur falsch gemacht?« Dann verließ sie den Raum.

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