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Die Söhne des Pharao

Teil 5

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Informationen

 

Als Userhet mit seinen beiden Begleitern zurück zum südlichen Palast kam, war die Große Halle schon fast verlassen. Lediglich Prinz Netermest und Gemni warteten auf Userhet und seinen Bericht. Simut und Meketre standen mit ihrem Streitwagen vor dem Gebäude, der Wagen von Userhet war vorbereitet zur Abfahrt.

Netermest nickte zu Userhets kurzem Bericht.

„Ich hatte schon fast damit gerechnet. Es passt irgendwie alles zusammen. Wir machen uns jetzt auf den Weg zum Hafen. Du kannst Hanai bei dir mitnehmen. Die anderen sind schon alle unterwegs.“

Userhet nickte und winkte Simi und Hanai, ihm zu folgen. Draußen bestieg er mit seinen Begleitern den Streitwagen und wartete dann, bis Gemni und der Prinz bei Simut aufgestiegen waren und der Wagen langsam losrollte.

Wie beim letzten Mal wurden die Wagen und die Pferde auf die MACHYT verladen und Kapitän Sendji konnte ablegen. Prinz Netermest rief noch einmal zu einer kurzen Besprechung zusammen.

„Alle drei Kompanien sind unterwegs nach Abedju. Hauptmann Nefermose nimmt mit seinen Streitwagen den Landweg. Die Infanteristen und die Bogenschützen werden mit Truppentransportern dorthin gebracht. Wir werden die beiden Schiffe wohl in Kürze überholen.“

Userhet dachte einen Moment über den Weg nach. Die Streitwagen würden zwar nicht ganz so schnell sein wie die Schiffe, sparten sich aber das zeitraubende Be- und Entladen.

„Ich habe mich entschlossen, offiziell nach Abedju zu reisen. Ich gedenke, dem Gott Osiris ein Opfer darzubringen. Eine Kurierbarke hat sich schon vor dem Erscheinen des Herrn Re heute Morgen auf den Weg gemacht, um den Hohenpriester und den Bürgermeister zu informieren.“

Netermest schwieg, doch niemand machte eine Bemerkung.

„Wir werden standesgemäß im Osiris-Tempel unterkommen. Das heißt, nur ich und mein persönliches Gefolge, für mehr hat der Tempel dort keinen Platz. Ich habe uns deshalb vom Obersten Verwalter zwei kleine Stadthäuser in Abedju zuweisen lassen, in die Simut und Userhet für die Dauer unseres Aufenthalts einziehen werden.“

„Mit Simut gehen Meketre, Huni und Haran mit Sethnacht.“

Huni warf einen erstaunten Blick auf den Prinzen, sagte aber nichts.

„In das andere Haus gehen Userhet, Simi und Hanai. Alle die ich nicht erwähnt habe, gehen mit mir zusammen in den Tempel. Der Grund, warum Huni mit Simut in ein Haus einzieht ist einfach, es ist das ehemalige Stadthaus der Nebet. Er soll dort bei Gelegenheit die Nachbarn befragen und vorsichtig im Umfeld Erkundigungen einzuziehen. Pachred wird für diese Zeit mein persönlicher Diener.“

Huni machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Sie werden fragen, warum ich wieder da bin.“

„Na, du bist dem Wagenlenker Simut vom Großen Haus zugewiesen worden, genau wie das ganze Haus. Ihr sollt in dem Haus nur für den Zeitraum meiner Anwesenheit in Abedju wohnen. Versuch herauszubekommen, ob jemand nach Nebet gefragt hat oder ob jemand eine Nachricht hinterlassen hat.“

Huni nickte langsam und man sah ihm an, dass er schon im Geiste seine alten Kontakte durchging.

„Simut und Userhet werden in der Nacht versuchen, in den Tavernen herauszufinden, ob es wirklich ein Bordell mit Jungen gibt. Wie ihr das anstellt will ich gar nicht wissen, aber seid vorsichtig. Nebamun wird sich nach unserer Ankunft mit dem Bürgermeister von Abedju in Verbindung setzen. Ich möchte wissen… nein, das machen wir anders. Ich werde ein großes Fest geben. Nebamun, frag den Bürgermeister, ob er mir dafür seine Residenz zur Verfügung stellt. Wir werden alle reichen und vornehmen Bürger der Stadt einladen.“

Einige sahen sich fragend an, doch Userib grinste.

„Nur wenige würden es wagen, der Einladung eines Sohnes des göttlichen Herrschers nicht zu folgen und Wein macht viele redselig. “

„Eben. Vielleicht erfahren wir ja so etwas über die Vorgänge in der Stadt.“

Hanai hob schüchtern seinen Kopf.

„Wenn ich ein Verbrecher wäre, würde ich nicht hingehen.“

Userhet lächelte den jungen Diener an.

„Das ist etwas komplizierter. Wenn du zu den Oberen der Stadt gehörst und eingeladen wurdest, wird jeder fragen, warum du nicht hingegangen bist.“

Hanai nickte bei der Erklärung und Simut nahm den Gedanken seines Bruders auf.

„Ich würde hingehen. Alleine schon um herauszufinden, was einen königlichen Prinzen nach Abedju treibt. Das ist unauffällig, denn alle sind begierig nach dem neuesten Klatsch aus der Hauptstadt und aus dem Großen Haus.“

Prinz Netermest nickte lächelnd.

„Richtig. Wir werden ein paar kleine Geschichten aus Theben erzählen und uns dem neuesten Klatsch und Tratsch aus der Provinz aussetzen. Huni, Pachred, Simi, Meketre und Hanai mischen sich unter die Dienerschaft und versuchen, dort etwas zu erfahren.“

„Was ist mit mir?“

„Oh, sicherlich wird der eine oder andere hohe Herr einen Leibwächter oder etwas Ähnliches mitbringen. Ein Wachhund ist doch immer ein interessanter Gesprächspunkt.“

Haran grinste und tätschelte Sethnacht, während Simut über die Feiern nachdachte, an denen er bisher teilgenommen hatte.

„Es soll also ein Fest für die Reichen und Vornehmen werden. Welches Thema soll das Fest haben und wie großzügig soll es sein?“

Der Prinz sah Simut erstaunt an.

„Thema?“

„Nun ja, es kann natürlich ein Empfang zu Ehren des königlichen Prinzen sein, aber das ist eine sehr steife Veranstaltung. Besser für unsere Zwecke wäre da schon etwas Heiteres, wo die Leute trinken, lachen und vor allem reden. Meistens sind solche Feste bestimmten Anlässen oder bestimmten Göttern gewidmet.“

„Ach so? Das war mir nie so aufgefallen. Aber gut, was haben wir denn da? Die fünf Geburtstage waren schon, also können wir Osiris, Horus, Seth, Isis und Nephtys streichen. Wie wäre es mit Bastet?“

Von Nebamun kam ein fast klagender Laut, doch als sich Netermest nach ihm umdrehte, grinste Nebamun lediglich.

„Was ist? Du gehst am besten sofort nach dem Besuch beim Bürgermeister zum Tempel der Bastet und sprichst mit der dortigen Hohepriesterin. Wenn sie einverstanden ist, widmen wir das Fest der Katzenköpfigen, natürlich nach einem entsprechenden Opfer im Tempel.“

Nebamun staunte. Der Aufenthalt in Abedju würde nicht billig werden.

„Außerdem möchte ich wissen, ob der Tempel dort neben den Tänzerinnen auch Tänzer hat. Wenn ja, haben wir schon mal einen zusätzlichen Programmpunkt.“

Nebamun sah etwas hektisch zu Simut, aber der zuckte nur mit den Schultern.

„Männliche Tempeltänzer bei einem solchen Fest?“

Netermest grinste Nebamun an.

„Allerdings. Erstens gehören sie zum Tempel der Bastet, genau wie die weiblichen und zweitens möchte ich ein paar Kommentare provozieren.“

Während Nebamun nun ebenfalls grinste, war Userhet in ein eindringliches Gespräch mit seinem Bruder verwickelt, dann wandte er sich an den Prinzen.

„Es werden wohl eine große Anzahl von Leuten erscheinen, Herr. Ihr seid der Gastgeber, also völlig eingebunden in das Protokoll. Ohne jetzt jemanden zurückzusetzen…“

Etwas bedauernd sah er Simi an

„… bleiben für den Empfang von unserer Seite nur zwei Personen, die dem gehobenen Stand angehören, nämlich mein Bruder und ich.“

Userhets Blick wanderte über die Versammlung und traf Gemni und Userib.

„Einfache Schreiber und ein Arzt würden von den hochgestellten Gästen weitgehend ignoriert werden, ebenso wie ein kleiner Leutnant.“

Netermest wollte schon hochfahren, doch dann realisierte er, dass Userhet Recht hatte. Er dachte an die Feste im Palast des Flusspferds und wie sich die Gäste dort verhalten hatten.

„Was können wir tun?“

„Wir brauchen einen charmanten Redner, der sich hauptsächlich um die weiblichen Gäste kümmert.“

Prinz Netermest hob amüsiert die Augenbrauen.

„Und an wen hattest du da gedacht?“

„Äh, an Hauptmann Nefermose, Herr.“

„Nefermose?“

„Ja, Herr. Er ist jung, sieht gut aus und ist nicht verheiratet. Wichtiger noch, er ist der Sohn des Fürsten Kamenhet.“

Netermest schmunzelte etwas bei der Beschreibung, aber er nickte.

„Ich werde mich mit ihm unterhalten, sobald wir in Abedju sind. Sonst noch jemand einen Vorschlag?“

Es meldete sich niemand weiter, doch links von Netermest wurden Stimmen lauter.

„… nimmt uns keiner ab.“

„Wieso? Das kann doch keiner nachprüfen. Außerdem ist es nicht einmal gelogen.“

Netermest bemerkte, dass Hanai und Userib auf Nataki einredeten.

„Was ist denn mit euch los?“

Userib sah auf.

„Wir versuchen gerade Nataki davon zu überzeugen, dass er ein nubischer Prinz und Medizinmann ist.“

„Was?!“

„Ja. Sein Stamm hat ihn hergeschickt, damit unsere Ärzte seine geheime Medizin studieren können und er die unsere. Als Sohn einer mächtigen Herrscherin ist er fast ein richtiger Prinz.“

Nataki sah anklagend auf Userib und dann bettelnd zu Netermest.

„Sagt es ihnen, Herr. Das geht nicht. Ich bin kein Medizinmann und meine Mutter ist schon gar keine Herrscherin. Ich bin für so etwas nicht geeignet.“

Netermest überlegte einen Moment.

„Das ist schon richtig, aber wir brauchen dringend mehr Leute für diese Veranstaltung. Ein nubischer Prinz ist schon etwas Exotisches. Besonders wenn er dann auch noch Medizinmann ist.“

Nataki verzog etwas enttäuscht das Gesicht, aber dann schien er angestrengt nachzudenken.

„Ich denke, ich habe eine Idee, aber da müsste ich… hm, also…“

„Etwas mit Zauberei?“

Nataki schüttelte entsetzt den Kopf.

„Nein, nein. Es geht um die Bekleidung.“

„Nackt?“

„Bei den Göttern, nein! Aber es ist… also so ein Lendenschurz. Kein Lendentuch, sondern ein zweiteiliger Schurz.“

Netermest nickte und musste sich das Grinsen verbeißen.

„Ich kenne die Dinger. Nur vorne und hinten so eine Klappe.“

Userib und Hanai sahen sich erstaunt an, dann grinste Hanai breit.

„Dann muss die vorne aber ein ganzes Stück länger sein.“


Als die Barke mit dem Prinzen zwei Tage später Abedju erreichte, war es vorbei mit der Ruhe, die auf dem Fluss geherrscht hatte. Staunend betrachtete Prinz Netermest das Ufer vor der Stadt, wo sich hunderte von Leuten versammelt hatten, nur um einen Blick auf ihn zu werfen.

Als sich die Barke der Anlegestelle näherte, jubelten die Leute dem Sohn des göttlichen Herrschers zu. Auf der Pier selber standen etliche Würdenträger, die erwartungsvoll herübersahen. Langsam näherte sich die Barke der Pier um dann durch geschickte Rudermanöver anzulegen. Während die Seeleute die kurze Gangway ausbrachten, machte sich Feldwebel Umani bereit.

Als erste ging die Leibwache an Land, angetan mit ihren Löwenfellen. Als nächster folgte der Prinz in Brustpanzer und Lederschurz. Er hatte einige Armreifen als Schmuck angelegt und trug den silbernen Stirnreif des Mahes.

Etwa drei Schritte hinter ihm gingen Simut und Userhet in ihrer Ausrüstung als Wagenlenker, nur mit ihren Offiziersstäben bewaffnet. Auch sie trugen ihren Schmuck, um den Hals die Kette mit der goldenen Fliege.

Die Stimme eines Ausrufers ertönte über den Platz.

„Seht, Prinz Netermest, Sohn unseres göttlichen Herrschers Men-cheper-re, lang möge er leben!“

Die Zuschauer am Ufer und auf der Pier warfen sich nieder um den göttlichen Herrscher zu ehren und sein langes Leben zu preisen.

Aus der Ansammlung der Würdenträger, die sich lediglich verbeugt hatten, traten nun zwei Männer vor und verbeugten sich nochmals vor Prinz Netermest. Der eine war alt und wohl etwas gebrechlich, denn er stützte sich schwer auf einen langen Stab. Zusätzlich zu einem knöchellangen weißen Leinenschurz trug er ein ebenso makelloses leinenes Obergewand. Sein umgelegtes Leopardenfell und sein Pektoral mit dem Abbild des Osiris ließen auf den Hohenpriester des Gottes schließen.

Der zweite Mann war etwas jünger und Netermest hatte unwillkürlich den Eindruck, dass der Mann wohl noch niemals in seinem Leben hatte Hungern müssen. Etliche Schmuckstücke wie Ringe, Armreifen und ein Perlenkragen zierten seinen fülligen Körper. Seine Verbeugung vor dem Prinzen sah etwas unbeholfen aus.

„Willkommen in Abedju, Hoheit. Wir fühlen uns geehrt, dass ihr unsere Stadt auserkoren habt, sie mit eurer Anwesenheit zu beehren. Ich bin Sechen, der Bürgermeister von Abedju und dies…“

„Ich kann mich selber vorstellen, Sechen.“ zischte der Hohepriester.

„Willkommen Herr, im Tempel des Osiris zu Abedju. Der Gott blickt wohlgefällig auf eure Anwesenheit herab. Ich bin Radjef, Hoherpriester des Osiris.“

Die Verbeugung des alten Mannes war etwas mühselig, doch bei weitem eleganter als die des Bürgermeisters, der sich sofort zu Wort meldete.

„Wenn ich euch nun die Würdenträger der Stadt vorstellen…“

Netermest hob eine Hand und der Bürgermeister verstummte sofort.

„Wir waren zwei Tage auf dem Fluss und ich wünsche zu baden und zu ruhen. Der Gott Osiris hat mir Unterkunft gewährt und ich werde heute Abend mein Wort an die wichtigen Würdenträger der Stadt im Vorhof des Tempels richten.“

Der Bürgermeister machte ein verkniffenes Gesicht, während der Hohepriester versuchte, so ausdruckslos wie möglich zu bleiben.

„Wie ihr wünscht, Hoheit.“

Der Hohepriester drehte sich um und gab einer Gruppe weiterer Priester ein Zeichen. Langsam formierten sie sich zu einer Prozession und die Gruppe der Besucher schloss sich ihnen an auf dem Weg zum Tempel.

Die Unterkunft bestand aus einem großzügigen Haus innerhalb der Tempelanlage. Es hatte neben der großen Halle etliche kleinere Räumlichkeiten, in denen sogar die Leibwache angemessen untergebracht werden konnte.

Pachred und Nataki erkundeten die Umgebung, während sich Nebamun mit seinem Auftrag auf den Weg zum Bürgermeister machte.

Währenddessen entspannte sich Prinz Netermest in einem kleinen Badeteich, direkt neben dem Haus. Etwas belustigt beobachtete er die zwei Mann seiner Leibwache, die so unauffällig wie möglich versuchten, ihn im Auge zu behalten. Netermest glaubte nicht, dass hier im Tempel eine Gefahr drohte, doch Feldwebel Umani hatte auf die Wächter bestanden.


Huni sah mit skeptischen Blicken auf das Haus, das er erst vor wenigen Tagen verlassen hatte. Entschlossen öffnete er das Tor und trat in den kleinen Garten. Bedauernd stellte er fest, dass sich niemand um die Pflanzen gekümmert hatte.

„Dies ist der Vorgarten. Links geht’s es am Haus vorbei zum hinteren Garten und dem Teich, rechts vorbei geht es zu den Unterkünften der Diener und dem Lager.“

Simut nickte bei der Beschreibung und sah sich um. Nichts Besonderes, etwas heruntergekommen, aber bewohnbar.

„Wir werden uns das Ganze erst mal von innen…“

Simut wurde von Sethnacht unterbrochen, der plötzlich links am Haus vorbei in den hinteren Garten rannte. Kurz darauf ertönte lautes Bellen und dann Geschrei. Haran rannte dem Hund hinterher und die anderen folgten.

„Hilfe!“

Huni sah sich irritiert um, denn er konnte zunächst niemanden entdecken, doch dann bemerkte er, dass Sethnacht beim Bellen nach oben sah. Huni folgte seinem Blick und erkannte in der einzigen Dattelpalme des Gartens eine kleine Gestalt, die sich an den Stamm klammerte.

„Nebi, was machst du denn da oben?“

„Huni? Ich, äh, wollte nur ein paar Datteln, wo doch niemand mehr hier wohnt.“

„Los, komm runter.“

„Da ist so ein großer Hund.“

Huni lachte und tätschelte Sethnacht, der inzwischen verstummt war.

„Du kannst runterkommen, er tut dir nichts.“

Langsam kletterte die Gestalt nach unten, während Simut leise mit Huni sprach.

„Wer ist das?“

„Einer der Jungen aus der Nachbarschaft.“

„Wenn er sich öfter hier herumgetrieben hat, könnte er wissen, was sich inzwischen hier getan hat. Wenn er was Brauchbares weiß, kannst du ihm ja die ganzen Datteln überlassen.“

Huni nickte, als Nebi auf dem Boden angekommen war und Sethnacht misstrauisch musterte.

„Was machst du denn hier? Ich hab gesehen, wie die Medjai euch alle weggeführt haben.“

Huni legte dem etwas jüngeren Nachbarsjungen einen Arm über die Schulter und begann eine abenteuerliche Geschichte über Frau Nebet und einen Schmuggler aus dem Sinai.

Simut grinste und scheuchte die beiden nach vorne, während er mit Meketre endlich in Ruhe das Haus besichtigen konnte.

Noch bevor der Herr Re in der Unterwelt verschwunden war, hatten Sklaven des Osiris-Tempels Nahrungsmittel angeliefert und es gab ein ausgedehntes Abendessen.

Simut wollte seine Erkundungstour so schnell wie möglich durchführen. Auf Hunis Ratschlag hin würde er mit den Tavernen am nördlichen Stadtrand beginnen. Die lagen noch in einem recht wohlhabenden Gebiet, während erst weiter nördlich das Wohngebiet der Steinbrucharbeiter begann.

Simut hatte nur wenig Schmuck angelegt, als er auf seine erste nächtliche Tour ging. Zwei kupferne Armreifen mussten genügen, er wollte ja nicht gleich am Anfang überfallen und ausgeraubt werden.

In den ersten beiden Tavernen hatte Simut kein Glück. Es gab zwar Bier und in einer Taverne sogar Wein, doch sie hatten nicht einmal Mädchen. Die nächste Taverne lag an einer breiten Straße und es war wegen der fortgeschrittenen Stunde nicht mehr viel los.

Die Leute, die in dieser Gegend wohnten, mussten am nächsten Tag wieder früh zur Arbeit, es war schließlich mitten in der Woche. Als Simut das Innere der Taverne betrat, sahen ein paar späte Besucher von ihren Hockern auf, doch sie hatten fast alle schon den glasigen Blick von jenseits des letzten Kruges.

Simut holte ein kleines Bruchstück Kupfer hervor und knallte es laut auf den einzigen Tisch.

„Bier!“

Die Frau, die neben dem Tisch hockte, musterte misstrauisch das Kupferstück, doch dann raffte sie sich auf und holt einen Krug Bier aus einem dunklen Loch in der Wand, das Simut als Tür identifizierte.

Simut kontrollierte das Siegel und öffnete den Krug mit einem Schlag gegen die Kante des Tisches. Gierig sog er das Bier ein. Dann musterte er den Laden, als ob er erst jetzt bemerken würde, wo er war. Mit starrem Blick musterte er die Wirtin.

„Gibt’s hier auch noch andere Freuden?“

„Kannst du zahlen?“

Mit einem verächtlichen Grunzen langte Simut in seinen Ledergürtel, der teilweise als Tasche gearbeitet war und warf einen kleinen silberglänzenden Ring auf den Tisch.

Die Augen der Wirtin wurden jäh größer und sie griff nach dem Ring, doch Simut war schneller.

„Erst will ich sehen, was du hast.“

Wortlos winkte ihn die Wirtin durch das dunkle Loch nach hinten. Im Schein einer Öllampe sah Simut zwei Gestalten am Boden, von denen eine jetzt durch die Wirtin mit ein paar Tritten hochgescheucht wurde.

Als die Gestalt stand, starrte Simut grimmig auf ein junges Mädchen herab, das vielleicht gerade vierzehn oder fünfzehn Jahre alt war. Doch er hatte einen Auftrag und durfte sich nicht ablenken lassen.

„Hm, hast du nichts – anders.“

Er betonte das ‚andere‘ ziemlich deutlich, doch die Wirtin schien ihn nicht zu verstehen, oder verstehen zu wollen.

„Na ja, die da hat hier zuviel und da zu wenig.“

Beim ersten Mal deutete er auf die Brust und dann auf die Mitte des Mädchens. Die Wirtin starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an.

„Bei mir gibt es so was nicht.“

Simut bereitete sich schon auf einen schnellen Rückzug vor, doch die Frau sprach weiter.

„Aber vielleicht kenne ich ja eine Stelle, wo es so was gibt.“

„Ach, und vielleicht wirst du es mir verraten? Doch nein, ich weiß, dein Gedächtnis hat dich verlassen.“

Stumm sah sie ihn an.

„Wieviel?“

Immer noch stumm reckte sie ihr Kinn in Richtung von Simuts rechter Hand, wo sich der Silberdeben befand. Simut hob die Hand und öffnete sie klein wenig. Das Seufzen der Frau klang gequält. Mit ein paar kurzen Worten erklärte sie ihm den Weg zu einer Taverne, die zu seiner Überraschung, auf der anderen Seite der Innenstadt, in Richtung Süden, lag. Diesmal öffnete er das Versteck des Silberdebens etwas schneller und sofort schoss ihre Hand hervor um ihren Schatz rechtzeitig zu bergen.


Pachred eilte durch die Gärten des Osiris-Tempels und war auf der Suche nach dem Ersten Vorlesepriester. Netermest hatte ihn losgeschickt, den Priester zu suchen, um mit ihm die Einzelheiten für die Opferzeremonie zu besprechen. Bei den Teichen war niemand, doch plötzlich hörte er ein leises Geräusch hinter sich. Noch bevor er sich umdrehen konnte, spürte er einen schweren Schlag an seinen Kopf und schon wurde es schwarz um ihn.

Im seinem Haus wartete Prinz Netermest schon eine ganze Weile auf den Ersten Vorlesepriester und fragte sich, was Pachred wohl aufgehalten haben konnte. Ein Bediensteter des Tempels meldete den Hohenpriester und der alte Mann trat in Begleitung von zwei weiteren Priestern näher. Seine Begleiter trugen wie er zum Leinenschurz ein Obergewand zur Kennzeichnung ihres hohen Ranges.

„Was führt euch her, ehrwürdiger Hoherpriester?“

„Diese beiden sind Hedju und Wadji. Hedju ist unser Erster Vorlesepriester und Wadji ist der Verwalter des Tempelschatzes. Wir waren in Sorge wegen der für morgen geplanten Zeremonien zu Ehren des Gottes. Deshalb habe ich diese Beiden gleich mitgebracht.“

„Das ist merkwürdig. Ich habe einen meiner Diener ausgeschickt, den Ersten Vorlesepriester zu holen, aber er ist bis jetzt nicht zurückgekehrt.“

Die Priester sahen sich fragend an, bis der Verwalter die Schultern zuckte.

„So etwas kommt vor, Herr. Hier in Abedju ist schon des Öfteren ein Sklave verschwunden. Wenn ihr wollt, können wir euch einen Ersatz stellen. Ihr sollt durch einen entlaufenen Sklaven keinen Verlust haben während eures Aufenthaltes in den Heiligen Hallen des Osiris.“

Netermest wollte etwas Scharfes erwidern, doch dann schloss er den Mund. Was war denn das jetzt? Etwas stimmte hier nicht. Wieso bezeichnete er Pachred als Sklaven? Und dann diese schnelle Bemerkung über ein Entlaufen. Wo war Pachred? Und warum sollte er einen Ersatz bekommen?

Mit einem unbeteiligten Gesicht nickte er Wadji huldvoll zu.

„Ja, das wäre angebracht.“

Dann wandte er sich brüsk ab und sprach mit dem Ersten Vorlesepriester.

„Also, wegen der Zeremonie heute Nachmittag…“

Sofort nach dem Gespräch eilte Netermest in die hinteren Räume, die ihm als Privatgemächer zugeteilt worden waren.

„Los, alles auf! Es ist etwas passiert. Pachred ist verschwunden. Feldwebel Umani! Vier Mann durch die Gärten. Userib, unauffällig die öffentlichen Höfe kontrollieren, halt, warte bis Nebamun wieder da ist. Ihr geht nicht mehr alleine. Gemni, nein, du bleibst hier.“

„Aber es ist Pachred! Was ist, wenn ihm etwas passiert ist?“

„Wir warten, bis Nebamun wieder da ist und was die Suche ergeben hat. Ich habe das unbestimmte Gefühl, hier geht etwas vor. Entweder ist das alles ein großer Zufall oder wir waren zu unvorsichtig oder jemand hat sich überschätzt.“

Sie mussten nicht lange auf Nebamun warten, der von einem sehr erfreuten Bürgermeister wiederkam. Sofort wurde er über Pachreds Verschwinden informiert. Ebenso über den Kommentar des Verwaltungspriesters.

„Ich verstehe das nicht. Pachred ist doch gar kein Sklave.“

Gemni brummte zustimmend, doch der Prinz schüttelte den Kopf.

„Für die Priester hier sind wohl alle Diener automatisch Sklaven, sie beschäftigen keine angestellten Diener. Entweder sind es Novizen, die die niederen Dienste tun, oder zugewiesene Sklaven.“

Nebamun rieb mit dem Zeigefinger an seiner Nase.

„Dann heißt das also, dass der Tempel sich für das Verschwinden verantwortlich zeigt, sonst hätten sie keinen neuen Sklaven zugeteilt. Und das, obwohl dieser Verwaltungspriester es erst wenige Momente vorher erfahren hatte.“

Netermest nickte.

„Es sei denn, er hat es schon vorher gewusst.“

Nebamun sah erstaunt auf und Gemni schnappte nach Luft.

„Eine Entführung? Aber wozu? Ich sehe keinen Grund…“

Netermest wollte Gemni nicht beunruhigen, doch Nebamun sprach aus, was er dachte.

„Gemni, findest du Pachred hübsch?“

„Was? Oh ja. Dieses Lächeln, seine Augen…“

Gemnis Stimme wurde leiser und Nebamun musste sich zwingen, seinen Verdacht auszusprechen.

„Was ist, wenn andere Leute das genauso sehen? Und ihn nicht erst fragen, ob er mitgehen will.“

„Was?! Aber doch nicht hier im Tempel!“

Das Gespräch wurde durch eine der Leibwachen des Prinzen unterbrochen.

„Ein Diener, Herr. Er sagt, der Verwaltungspriester hätte ihn zu euch gesandt.“

Die Augenbrauen des Prinzen ruckten nach oben und er sah erst Nebamun, dann Gemni an.

„Er soll eintreten.“

Der junge Mann, der nun an der Tür mit gesenktem Kopf stand, war in den weißen, knöchellangen Leinenschurz eines Priesters gekleidet. Das Fehlen jeglicher Schmuckstücke und sein erkennbar jugendliches Alter deuteten auf einen Novizen hin. Lediglich seine kurzen Haare passten nicht zu dem Erscheinungsbild. Nahm er nicht mehr an den zeremoniellen Reinigungen teil?

Netermest winkte dem Jungen, doch der stand immer noch mit gesenktem Kopf da. Der Prinz machte Gemni ein Zeichen, worauf dieser hinüber ging und den neuen Diener am Handgelenk packte. Vollkommen überrascht hob der Novize den Kopf und sah Gemni mit traurigen Augen an.

Gemni konnte sein Erschrecken nicht ganz verbergen und der Junge senkte wieder den Kopf. Netermest hatte dieser eine Augenblick genügt, um eine Entscheidung zu treffen.

„Komm näher und sieh mich an!“

Der Novize schrak zusammen und ging langsam auf den Prinzen zu, den Kopf immer noch gesenkt.

„Du sollst mich ansehen.“

Netermests Stimme klang nun sanft und freundlich. Zögernd hob der Junge den Kopf und der Prinz sah seinen ersten Eindruck bestätigt. Von der linken Schläfe bis fast zum Mund zog sich eine hässliche schmale Narbe. Der rötlichen Farbe nach zu urteilen, war sie noch gar nicht so alt.

Während Netermest den Novizen schweigend musterte, bemerkte er, wie der Junge anfing zu weinen. Seine tiefbraunen Augen begannen zu glänzen und eine erste Träne bildete sich in einem Augenwinkel.

„Gemni, nimm ihn mit und zeig ihm, wo er schlafen kann. Halt, ich weiß noch gar nicht wie du heißt.“

„Imichet, Herr. Novize im Tempel des Osiris.“

Die Stimme war zwar leise, aber sie klang hell und bestimmt.

„Nun, Imichet, wie alt bist du?“

Der Junge schien etwas verwirrt wegen der Frage, aber er antwortete ohne zu zögern.

„Ich wurde geboren im 43. Jahr der Herrschaft unsres Herrschers Men-cheper-re.“

„Fünfzehn also. Nun gut. Geh mit Gemni. Er wird dir alles zeigen, was du wissen musst.“

Als die beiden verschwunden waren, sahen Netermest und Nebamun sich stumm an, bis der Prinz seufzte.

„Ich weiß nicht, was hier los ist, aber ich habe einen dunklen Verdacht und der will mir überhaupt nicht gefallen.“

Nebamun schüttelte den Kopf.

„Die Narbe ist höchstens ein halbes Jahr alt. Was ist da passiert?“

„Erinnert dich die Narbe nicht an etwas?“

Nebamun schüttelte überrascht den Kopf.

„Ich habe sofort an die Beschreibung denken müssen, die Chai von seinem Zwillingsbruder gemacht hat.“

„Oh, du meinst Paneb. Aber das war doch… Tatsächlich, die Narbe sah so ähnlich aus. Glaubst du ernsthaft, das hier war auch Fürst Wawerhet? Das wäre mehr als ein Zufall.“

„Nein, kein Zufall. Er war oft genug hier in der Stadt, hat ebenfalls ein Bordell eingerichtet, oder eher, einrichten lassen. Und ich bin überzeugt davon, dass er es war, der Imichet bestraft hat. Ich frage mich gerade, ob er diese Dinge wie ein Fischernetz über ganz Khemet geworfen hat.“

Nebamun schnappte hörbar nach Luft. Dann wurde er nachdenklich.

„Und wie hilft uns das mit Pachred weiter?“

„Sie haben sie ausgetauscht.“

Die Stimme von Gemni ließ beide herumfahren, der sich förmlich verbeugte.

„Verzeiht, Herr, aber ich habe gelauscht.“

Netermest verdreht die Augen und als Gemni nahe genug heran war, gab er ihm einen Schlag auf den Hinterkopf.

„Also, wer hat wen getauscht?“

„Pachred und Imichet. Ich denke, dass Imichet in einem dieser Häuser arbeiten musste und nun nicht mehr in Frage kommt. Deshalb haben sie einen genommen, der gut genug aussieht und bei dem ein Verschwinden nicht groß hinterfragt wird.“

Netermest und Nebamun sahen Gemni erstaunt an, dann nickte Netermest langsam.

„Etwas Ähnliches habe ich auch schon überlegt. Aber das sind bisher nur Vermutungen. Gibt es irgendwelche Hinweise, dass wir richtig liegen?“

Gemni schüttelte den Kopf, dann sah Netermest, dass auch bei dem jungen Schreiber die Augen anfingen zu glänzen.

„Ich will doch nur Pachred wiederhaben.“

„Du bekommst ihn wieder.“

Eine leise Stimme hatte es fast geflüstert, doch die drei fuhren erschreckt herum. Imichet stand am Durchgang zu den Privatgemächern und zitterte am ganzen Körper. Mit schnellen Schritten eilte er auf den Prinzen zu und warf sich vor ihm zu Boden.

„Er hat Recht und ich bin ein Verbrecher. Ich habe die Götter beleidigt. Herr. Bestraft mich, doch zuerst hört mich bitte an.“

Netermest sah erstaunt und auch etwas peinlich berührt auf die Figur am Boden vor sich. Nebamun kniete sich neben Imichet ab und zog den Jungen etwas vom Boden hoch.

„Du bist kein Verbrecher und die Götter entscheiden selbst, ob sie beleidigt wurden.“

Jetzt schniefte Imichet schon wieder, sah aber Nebamun nicht an.

„Seht mich an, Herr. Ich wurde gekennzeichnet wie ein Verbrecher, dem man die Nase abschneidet. Ich war Männern zu willen und habe die Lehren der Götter missachtet. Ich war ungehorsam gegenüber den Dienern des Osiris und so hat man mich zum einfachen Diener degradiert. Ich bin ein nichts.“

Nebamun sah kurz nach oben und als Netermest nickte, zog er Imichet fest an sich.

„Auch die Diener der Götter sind nur Menschen, die Fehler begehen. Du warst Männern zu Willen, aber hast du dies aus eigenem Willen getan?“

Stumm schüttelte Imichet den Kopf, während Nebamun schnell überlegte.

„Wirst du uns etwas über die Männer erzählen, die dich gezwungen haben? Und auch über denjenigen, der dir dies angetan hat?“

Imichet erschauerte, als Nebamun leicht mit einer Hand über seine Narbe fuhr.

„Ich.. ich weiß nicht, ob ich das kann. Aber ich werde es versuchen. Es war alles so schrecklich.“

„Es ist nicht deine Schuld. Und derjenige, der dich gekennzeichnet hat, ist der Verbrecher. Niemand hat das Recht, etwas, was die Götter so schön erschaffen haben, aus eigner Macht zu verändern. Trage diese Narbe wie ein Krieger als Auszeichnung deiner Tapferkeit.“

Das Schluchzen verstummte und Imichet sah Nebamun fragend an. Dadurch, dass Nebamun seine rechte Seite betrachtete, erkannte er, wie schön der Junge einst gewesen war und es machte ihn nur zorniger auf den Täter. Er drehte den Kopf leicht zu sich und betrachtete nun das ganze Gesicht. Langsam näherte er sich und gab Imichet einen sanften Kuss.

Zunächst schreckte der Junge zurück, dann öffneten sich seine Augen weit vor Erstaunen. Nebamun beendet den Kuss und sah ihn fast zärtlich an. Imichet erwiderte den Blick.

„Es… es war schön. Manchmal habe ich mir gewünscht, jemand würde mich mögen und mich nicht nur mit Gewalt auf den Bauch drehen. Doch alle, bis auf einen, haben sich nur schweigend genommen, wofür sie bezahlt haben. Einer hat mit mir geredet, mir gesagt, wie schön er mich findet, doch dann sprach er von seiner Frau und seinen Kindern.“

Imichet erschauerte bei der Erinnerung in Nebamuns Armen. Der zog ihn nun gänzlich vom Boden hoch und wie schon zuvor senkte Imichet seinen Kopf. Netermest griff mit einer Hand untere das Kinn des Jungen und hob es an. Als er ihm in die Augen blickte, sah er nur Trauer und Leid.

„Imichet, so leid es mir tut, aber wir müssen erfahren, was sich hier ereignet hat. Wir sind nicht nur hier, um den Tempel zu besuchen, sondern wir haben einen bestimmten Auftrag.“

Imichet war verwirrt. Was für ein Auftrag? Doch dann kam eine jähe Erkenntnis. Sie hatten niemals seine Tätigkeit zu der er gezwungen worden war, in Frage gestellt. Der kleine Schreiber wollte seinen Freund wiederhaben und der junge Offizier hatte ihn sogar geküsst. Sie wussten, was vor sich ging und sie schienen entschlossen, es zu beenden.

„Ihr sucht das Haus, in dem ich war? Um es zu schließen und die Leute zu bestrafen, die es betreiben?“

Netermest musterte den Novizen etwas überrascht, aber er nickte.

„Dann werde ich euch berichten, was ich weiß.“


Im Vorraum vor dem Allerheiligsten des Tempels des Osiris hatte sich eine ausgesuchte Schar an Besuchern versammelt. Ein königlicher Prinz würde dem Gott ein Opfer darbringen. Die Priester waren vor dem Schrein des Gottes versammelt und ihre kahl geschorenen Köpfe glänzten im Schein der zahlreichen Lampen.

Der Schrein des Osiris war in einer aufwändigen Zeremonie durch den Hohenpriester geöffnet worden und gab nun den Blick auf den Gott selbst frei. Das Abbild des Gottes nur knapp drei Hände groß, aber aus massivem Gold gefertigt. Er war in seiner Erscheinung als Herrscher der Unterwelt dargestellt: Sitzend, mit Geißel und Krummstab und der befiederten Atef-Krone auf dem Haupt.

Als der Erste Vorlesepriester einen Lobgesang intonierte warfen sich die Besucher zu Boden um den Gott zu ehren. Am Ende des Gesanges erhoben sich alle wieder und der Hohepriester wandte sich direkt an den Gott.

„Göttlicher Osiris. Der Sohn unseres göttlichen Herrschers ist erschienen, dich zu ehren und dir Geschenke zu überreichen, dass deine Herrschaft in deinem Reich ewig dauern werde. Ich erbitte deinen Segen für den Prinzen und seinen göttlichen Vater.“

Netermest bewunderte die geschickt eingeflochtene Verbindung zwischen ihm und seinem Vater. Fast hatte es den Eindruck, als ob dieser das Opfer darbringen würde.

Der Prinz trat nun weiter vor, direkt in den Durchgang zum Allerheiligsten. So weit, wie es jemandem erlaubt war, der nicht zur Priesterschaft des Osiris zählte. Auf seinen Wink hin kamen nun weitere Priester nach vorne und legten vor dem Schrein verschiedene Opfergaben ab. Es gab einen Ballen mit Leinen, einen Korb mit Broten, einen Krug mit Bier und einen goldbestickten Umhang für das Abbild des Gottes.

Die ausgelegten Gaben waren zum Teil symbolisch, denn das Geschenk an den Tempel umfasste insgesamt 500 Ballen feinstes Leinen, 500 Körbe Weizen, 800 Körbe Emmer und 600 Krüge mit Bier. Der goldbestickte Umhang war alleine mehr wert als die 500 Körbe Weizen.

Netermest war froh, dass er das Allerheiligste nicht betreten durfte, denn die Mischung aus Weihrauch und anderen Dufthölzern, die darin verbrannt wurden, war fast betäubend. Er wurde aus seinen Betrachtungen gerissen, als der Erste Vorlesepriester einen weiteren Lobgesang intonierte und sich alles wieder zu Boden warf. Nach dem Lobgesang ergriff wieder der Hohepriester das Wort.

„Osiris ist zufrieden. Mit Wohlwollen hat er die Opfergaben angenommen. Sein Segen liegt über Prinz Netermest und allen seinen Taten.“

Nun begann das Ritual der Schließung des Schreines, das noch einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Netermest hoffte, dass Gemni und Userib fertig waren, bevor er wieder in seine Gemächer zurückgekehrt war.


Die beiden Schreiber waren fleißig damit beschäftigt, Einladungen zu kopieren und sie mit den entsprechenden Namen zu versehen. Gemni war nervös und Userib musste mehrere Male Flüchtigkeitsfehler korrigieren.

„Kannst du dich bitte etwas mehr konzentrieren? Ich weiß, dass du Pachred vermisst, aber die Arbeit macht sich nicht von alleine. Wieviel hast du fertig?“

Gemni seufzte und zählte die Blätter.

„Zweiundzwanzig.“

„In Ordnung ich hab einundzwanzig, das reicht. Hier ist die Liste, die Nebamun mitgebracht hat. Der Prinz möchte, dass die Einladungen zugestellt werden, sobald sie fertig sind.“

„Trotzdem ein bisschen spät für eine Feier, die schon morgen stattfindet.“

Userib nickte und verglich noch einmal den Namen, den er gerade geschrieben hatte, mit Nebamuns Liste.

„Der Prinz hat ja auch eine Entschuldigung mit angefügt. Allerdings glaube ich eher, er freut sich ein wenig über die Hektik, die ausbrechen wird, wenn die Einladungen zugestellt werden.“

Gemni sah lächelnd zu Userib.

„Du nennst den Prinzen nicht gerne beim Namen?“

Userib schnappte etwas nach Luft.

„Das steht mir nicht zu. Das ist etwas sehr Persönliches.“

„Userib. Der Prinz ist fast genauso alt wie wir. Außerdem sieht er sehr gut aus. Hast du nicht einmal daran gedacht, mit ihm…“

„Was!? Nein. Na ja, nicht direkt.“

Useribs Stimme wurde leiser und er wurde nachdenklicher. Dann bemerkte Gemni die roten Ohren. Während er Userib weiter beobachtete beschloss er, Netermest heute Abend um etwas zu bitten.


Pachred erwachte mit schmerzendem Schädel. Er bemerkte, dass er auf einem einfachen Lager aus Binsen ruhte. Vorsichtig öffnete er die Augen, aber es schien niemand in der Nähe zu sein. Er befand sich in einem kleinen Raum, nicht größer als sein Zimmer in dem Haus mit Großvater. Er konnte sich sofort an das erinnern, was vorgefallen war, doch ihm war nicht klar, was es zu bedeuten hatte. Warum hatte man ihn entführt? Denn etwas anderes konnte es nicht sein.

Schon wollte er sich erheben, als er leise Stimmen hörte, die aus dem hochgelegenen Fenster drangen. Der zu- und abnehmenden Lautstärke nach zu urteilen, gingen zwei Männer unter dem Fenster vorbei.

„…alles andere als Unauffällig. Sie werden nach ihm suchen.“

„Wohl kaum. Ein Sklave ist wie der andere. Wir haben ihm einen Neuen besorgt, also warum sich sorgen.“

„Dieser Prinz ist nicht so oberflächlich wie andere Adlige. Ich habe Bedenken.“

„Ach was. Wenn der Sklave uns die ersten Deben Gold eingebracht hat…“

Pachred sank auf das Lager zurück. Das Gespräch war zwar nicht eindeutig gewesen, doch mit dem, was bisher passiert war und was sie hier aufdecken wollten, gab es nur eine Erklärung.

Pachred überdachte seine Möglichkeiten. Er hoffte, nein, er wusste, dass Prinz Netermest ihn suchen würde und genauso wusste er, dass Gemni nichts unversucht lassen würde, ihn zu finden.

Doch wie sollte er sich in der Zwischenzeit verhalten? Sicherlich, er war nicht mehr unschuldig. Er hatte Gemni davon überzeugt, dass er soweit war um wirklich alles mit ihm zu machen und nach anfänglichen Schwierigkeiten fanden sie wirklich Spaß daran und tauschten oft das Oben und Unten. Doch würde er sich einem fremden Mann hingeben können, der ihn einfach so nahm?

Pachred hoffte inständig, dass es nicht so weit kommen würde. Und wenn, wie sollte er sich verhalten? Mehr geübt, oder sollte er vorgeben, es noch nie getan zu haben? Er war ängstlich gespannt, wann das erste Mal jemand kommen würde, um nach ihm zu sehen.


Simut war wütend über sich selber. Wäre er noch in der letzten Nacht hinüber zu dem Haus gegangen, das die Wirtin ihm genannt hatte, hätten sie sofort handeln können. Nun sah er Nebamun und seinen Bruder etwas hilflos an.

Nebamun war mit der Nachricht von Pachreds Entführung zunächst zu Userhet gegangen und dann hatten sie Simut aufgesucht.

Simut hatte die beiden davon überzeugt, dass er das in Frage kommende Haus zunächst alleine aufsuchen würde. Er wollte als Kunde auftreten und zunächst nur die Lage auskundschaften.

Das Gebäude war ein elegant aussehendes Stadthaus in einer gehobenen Gegend. Etwas abseits gelegen, ließ nichts auf seine Verwendung schließen. Wie bei einigen der umliegenden Häuser stand auch hier eine mit einem Knüppel bewaffnete Wache vor dem Tor. Simut ging selbstsicher auf das Tor zu, bis der Mann ihn ansprach.

„Dies ist das Haus des Hanedi. Wünscht ihr jemanden zu sprechen?“

„Allerdings. Ich komme von einer längeren Reise zurück und Frau Nebet hat mich gebeten, Hanedi meine Grüße auszurichten.“

Simut befürchtete schon, zu dick aufgetragen zu haben, aber die Erwähnung von Frau Nebet schien auszureichen. Die Wache trat wortlos beiseite.

Simut schritt durch einen kleinen, etwas vernachlässigten Garten. In der Vorhalle war niemand und aus dem Haus kamen auch keinerlei Geräusche. Als Simut die Große Halle betrat, sah er an einem Tisch mit einer Öllampe einen Mann sitzen, der ihm entgegenblickte. An die Wand hinter ihm lehnten sich zwei weitere Männer, jeder mit einem Knüppel bewaffnet.

„Was führt euch her?“

„Ich bin ein Kunde und möchte über die Ware verhandeln, die ihr verkauft.“

„Oh, seid ihr auch in der Lage, den Preis für die Ware zu entrichten.“

Simut griff in seine Gürteltasche und zog diesmal einen erheblich kleineren Ring heraus. Als er ihn auf den Tisch warf, glänzte er golden.

„Ich sehe, wir kommen ins Geschäft. Folgt mir.“

Ächzend erhob sich der Mann und humpelte vor Simut her in einen kleinen Gang mit vier Türen.

„Wir haben im Moment nur drei. Einer ist ganz neu, wohl noch nie gebraucht. Die anderen beiden sind schon etwas länger hier.“

„Ich suche was Widerspenstiges zum Zähmen.“ entfuhr es Simut unwillkürlich.

Wie kam er denn jetzt auf so etwas? Der Mann lachte gehässig.

„Da haben wir genau das Richtige. Er muss jedes Mal gezeigt bekommen, was er zu tun hat. Tut euch keinen Zwang an. Ihr seht aus, als ob ihr mit ihm fertig werden könntet.“

Simut nickte zustimmend, auch wenn ihm jetzt ein wenig mulmig wurde. So weit hatte er eigentlich gar nicht gehen wollen. Der Hinweis auf den Neuzugang betraf hoffentlich Pachred. Dem wollte er jetzt allerdings nicht begegnen, wer weiß, ob er sich nicht verriet.

Die Tür wurde entriegelt und der Mann schob Simut in eine von einer kleinen Öllampe spärlich beleuchtete Kammer.

„Ihr braucht nur zu klopfen.“

Die Tür schloss sich und Simut sah sich um. Die Kammer beinhaltete lediglich einen Berg von Kissen, zwischen denen sich jetzt eine Gestalt langsam aufrichtete und ihn misstrauisch beobachtete.

Simut trat näher und er sah, dass es sich um einen jungen Mann handelte, etwas älter als Pachred.

„Wenn ihr mich haben wollt, müsst ihr mich mit Gewalt nehmen.“ zischte der junge Mann zwischen den Kissen hervor.

Simut grinste ihn an und setzte sich dicht neben ihn.

„Warum sollte ich das tun?“

„Na, deshalb kommt ihr doch alle her. Mir das letzte Bisschen Würde nehmen, das mir noch geblieben ist.“

„Wie oft bist du jemanden mit deiner Weigerung losgeworden.“

Der junge Mann biss sich auf die Unterlippe und senkte den Kopf.

„Noch nie. Sie kommen und schlagen mich mit dem Knüppel und dann werde ich trotzdem genommen.“

„Wäre es nicht einfacher, sich in sein Schicksal zu ergeben?“

„Niemals!“

„Wie heißt du?“

„Was geht es euch an?“

„Es geht mich nichts an, aber ich wüsste gerne, für wen ich gerade ein halbes Vermögen ausgegeben habe.“

Simut sah seinem Gegenüber in die Augen

„Ich heiße Semsu, Herr.“

„Nun gut, Semsu. Weißt du, ob seit gestern jemand neues hier eingeliefert wurde?“

Erstaunt hob Semsu nun seinen Kopf und sah Simut das erste Mal bewusst an.

„Warum wollt ihr das wissen?“

„Sagen wir einmal so. Mich interessiert, was hier vorgeht, wer kommt und geht und wer hier das Sagen hat.“

Semsu schwieg einen Moment.

„Ich mag nur der Sohn eines einfachen Fischers sein, aber ich glaube, ich weiß, was eure Fragen bedeuten. Wenn ihr nicht wirklich hochgestellte Freunde habt, seid ihr verloren. Der Herr Hanedi, der das Haus führt, ist nur ein klein…“

In diesem Moment klopfte es an der Tür.

„Alles in Ordnung, Herr? Es ist so ruhig bei euch.“

Simut sah zur Tür, die aber geschlossen blieb.

„Keine Schwierigkeiten. Ich lasse ihm nur nicht viel Luft zum Schreien.“

„Oh.“

Schlurfende Schritte entfernten sich.

Semsu sah Simut mit großen Augen an.

„Was habt ihr vor, Herr?“

„Du wolltest etwas sagen, über das Haus.“

„Ich weiß nicht, Herr. Wenn ich etwas sage, bin ich tot.“

„Ich garantiere, dass du nicht sterben wirst.“

Semsu erkannte die Ernsthaftigkeit in Simuts Worten und erschauerte etwas. So einen selbstsicheren Mann hatte er noch nie kennengelernt. Er war groß und sah stark aus. Seine roten Haare waren eine Andeutung auf den Gott Seth, den Gott der Krieger und des Chaos.

„Gut, dann werde ich sagen, was ich weiß. Es geht dabei hauptsächlich um den Tempel des Osiris.“

Simut nickte unbewusst und lauschte aufmerksam Semsus Geschichte.

Nach kurzer Zeit saßen sie nebeneinander auf den Kissen und Semsu hielt mit einem davon seinen Unterkörper bedeckt, als ob er sich für seine Nacktheit schämen würde. Simut betrachtete ihn nun auch näher. Im Gegensatz zu den meisten jüngeren Herrn, die Simut kennengelernt hatte, hatte Semsu wohl schon in seiner Kindheit und Jugend schwere körperliche Arbeit vollbringen müssen. Seine Gestalt war kräftig und muskulös. Er hatte eine breite Brust und am Bauch waren die Muskeln deutlich in Streifen ausgeprägt. Seine langen Arme und Beine jedoch milderten den kompakten Eindruck und gaben ihm eine schlanke Erscheinung.

„Eine Sache noch Semsu. Ich habe Hanedi vorhin gesagt, ich würde dir die Luft nehmen. Das kann man nach einiger Zeit am Hals erkennen. Würdest du stillhalten, wenn ich dir ein paar Würgemale verpasse?“

Semsu sah Simut erschreckt an, doch nach kurzem Nachdenken nickte er.

„Ich vertraue euch, Herr.“

Simut griff Semsu mit beiden Händen um den Hals und drückte vorne, neben dem Kehlkopf in die Weichteile des Halses. Semsu verzog schmerzvoll das Gesicht, blieb aber ruhig.

„Das dürfte reichen. Das gibt nach einer Weile dunkle Flecken.“

Semsu wirkte nun etwas nachdenklich.

„Was ist?“

„Ich habe auch noch etwas, aber ich weiß nicht, ob ich mich dazu überwinden kann.“

Simut schwieg und Semsu seufzte.

„Wir werden nach jedem Kunden kontrolliert, ob wir verletzt worden sind.“

Zunächst verstand Simut die Aussage nicht ganz, aber dann dämmerte es ihm.

„Wenn man dich nachher kontrolliert, werden sie feststellen, dass wir nicht… hm, dass wir nichts getan haben.“

Semsu nickte, dann sah er Simut fragend an.

„Und wenn wir etwas machen? Ich meine, nur ein wenig. Ich möchte nicht wieder geprügelt werden.“

„Willst du das denn wirklich?“

„Immer noch besser als Schläge, weil ich mich wieder verweigert habe. Außerdem würde es merkwürdig aussehen, wenn ihr mich erst würgt, dann aber nichts weiter mit mir macht.“

Simut überlegte eine Weile.

„Ich mache dir einen Vorschlag. Ich überlasse es dir, was du machen willst. Ich lege mich jetzt hier auf die Kissen und du hast die Möglichkeit, das zu tun, was und wie du es möchtest.“

Semsu nickte überrascht und Simut legte Leinenschurz und Lendentuch ab. Fasziniert strich Semsu über die helle Haut und die roten Haare. Nach einem tiefen Seufzer schwang er ein Bein über Simuts Körper und setzte sich auf dessen Brustkorb. Entschlossen griff er dann nach dem kleinen Krug mit Fett, der unter den Kissen verborgen war. Langsam ließ er sich zurückgleiten.

Warum tue ich das?

Semsu erschauerte als Simut in ihn eindrang. Es war das erste Mal hier in diesem Haus, dass er es freiwillig geschehen ließ.

Ist es wirklich, weil ich Angst vor den Schlägen habe? Nein, weil dieser Mann anders ist. Er ist so selbstsicher, so ernsthaft und er ist wunderschön.

Semsu hätte schon längst aufhören können, doch er bewegte sich weiter, den Rhythmus genießend. Es war das erste Mal nach sehr langer Zeit, dass er sich verströmte, ohne seine Hände zu benutzen. Erschöpft fiel er nach vorne und ohne nachzudenken küsste er Simut. Betroffen bemerkte Simut, dass Semsu weinte.

Simut hatte wenig später das Haus sehr nachdenklich verlassen. Grußlos war er an Hanedi vorbeigegangen und eilte nun zum Tempel, um dem Prinzen zu berichten.

Hanedi humpelte zu Semsus Kammer. Der junge Mann lag noch auf den Kissen, die Beine leicht gespreizt und Brust und Bauch feucht verklebt.

„Auf, raus. Geh zum Brunnen und wasch dich. Beeil dich, bevor wieder jemand kommt, sonst lass ich wieder den Knüppel tanzen.“

Als er nackt am Brunnen stand, scheuchte Hanedi einen weiteren Jungen vor sich her, den Semsu noch nie vorher gesehen hatte. Etwas jünger vielleicht als er selber und schlank. Sein niedliches Gesicht war auf der linken Seite rot angelaufen, also hatte Hanedi ihm schon mal gezeigt, wie das hier so abging.

Als der Junge sich über den Eimer mit dem Wasser beugte, flüsterte Semsu.

„Bist du Pachred?“

Semsu bewunderte Pachred, denn der zuckte nicht einmal zusammen. Lediglich ein leichtes Nicken war wahrnehmbar, während er sich mit beiden Händen das Gesicht wusch.

Semsu flüsterte nur kurz, was Simut zu ihm gesagt hatte.

„Morgen Abend, nach Einbruch der Dunkelheit.“

Fast schien es, als ob Pachred es nicht gehört hätte, doch dann bemerkte Semsu bei ihm ein kurzes, leichtes Lächeln.


Der Prinz lauschte gebannt dem Bericht, den Simut abgab. Er hatte sich schon vorher mit Nebamun beraten und sie waren übereingekommen, dass der Überfall auf das Haus mit den Jungen so unauffällig wie möglich stattfinden sollte. Auch sollte niemand den Prinzen irgendwie mit dem Überfall in Verbindung bringen können.

Aus diesem Grund würde jemand die Operation durchführen, der nicht zum direkten Gefolge des Prinzen zählte. Das würde morgen Abend vollzählig beim Fest anwesend sein.

Als Netermest sich zurückziehen wollte, kam Gemni auf ihn zu und flüsterte eine Weile mit ihm. Der Prinz schüttelte etwas erstaunt den Kopf, doch Gemni lächelte. Er hatte vorher schon mit Nebamun gesprochen und der fuhr mit Simut zurück zu dessen Haus um die Nacht dort zu verbringen.

Als Netermest in seinem Zimmer lag, hörte er die tapsenden Schritte zweier Personen sich nähern. Links und rechts legten sich die Personen neben sich. Während auf der linken Seite alles ruhig blieb, spürte Netermest, wie rechts neben ihm jemand zitterte. Er war nahe dran, Gemni zu erwürgen, doch dann drehte er sich nach rechts.

„Userib.“ flüsterte er.

„Ja, Herr?“

Netermest lachte leise.

„Bei dieser Gelegenheit bin ich kein Herr. Ich bin nur Netermest. Hast du Angst?“

„Nein, Herr. Äh, ich meine, Netermest. Es ist nur… ich bin mir nicht ganz sicher, was ich machen soll. Ich.. müsste euch… dich berühren.“

„Dann fang doch einfach damit an.“

Netermest tastete mit seiner Hand und fuhr Userib dann sanft über die Brust weiter nach unten. Ein tiefes Einatmen war die Reaktion darauf. Netermest lächelte und fuhr weiter hinunter.

Als Userib am nächsten Morgen erwachte, sah er als erstes das Gesicht des schlafenden Prinzen. Erschreckt fuhr er hoch. Er zuckt etwas zusammen bei dem Schmerz in seinem Hinterteil, doch dann kamen alle Erinnerungen wieder. Er war nicht der Einzige gewesen, der unten gelegen hatte und das verstörte ihn etwas. Er hatte einen königlichen Prinzen…

Er wollte sich schnell erheben, als eine Hand sich um sein Handgelenk schloss.

„Du willst schon weg?“

„Die Nacht ist vorbei, Herr. Ihr seid wieder mein Prinz.“

„Hm, scheinbar ist ein Körperteil von dir anderer Meinung.“

Userib sah panikartig an sich herab. Wie konnte das sein? Was war mit ihm geschehen? Der Anblick von Netermest ließ ihn erschauern und ihm wurde heiß.

„Na, noch mal?“

Userib schüttelte vehement den Kopf, um sich kurz darauf vorzubeugen und Netermest zu küssen. Langsam legte er sich auf den Rücken. Wenn er richtig mitgezählt hatte, war er jetzt wieder dran.


Die Feier in der Residenz des Bürgermeisters war, gesellschaftlich gesehen, ein voller Erfolg. Alle Eingeladenen waren erschienen und Netermest wagte sich nicht vorzustellen, was mit denjenigen war, die der Bürgermeister nicht auf die Liste gesetzt hatte.

Sein Blick glitt durch den hohen Saal, der zu dem Gebäude gehörte, das zugleich Wohnhaus und Arbeitsplatz war.

Über vierzig Einladungen waren ergangen und mit allen Begleitern schätzte Netermest die Besucherzahl wohl auf über 150. Fast wie in alten Zeiten, im Palast des Flusspferds. Geschickt änderte der Prinz seine Richtung, als er bemerkte wie eine vollschlanke Matrone auf ihn zusteuerte. Sie hatte sein Ausweichmanöver wohl bemerkt, wurde nun jedoch von etwas anderem abgelenkt.

Nataki kam, gefolgt von seinem Leibwächter wieder in den Saal. Feldwebel Umani hatte einen seiner Soldaten davon überzeugt, bei dem Spaß mitzumachen und nun folgte Nehesy dem jungen Arzt auf Schritt und Tritt. Nehesy trug lediglich einen kurzen Leinenschurz und man hatte ihn eingeölt, dass seine schwarze Haut glänzte. Nataki trug tatsächlich, so wie angekündigt, den Lendenschurz mit den zwei Klappen und wenn man ihn von der Seite betrachtete, war nicht mehr sehr viel verborgen.

Das wirklich Auffällige an Nataki war allerdings die Körperbemalung. Überall hatte er weiße Streifen und merkwürdige Symbole über den gesamten Körper verteilt. Selbst das Gesicht war davon bedeckt. Nehesy hatte die undankbare Aufgabe, die überwiegend weiblichen Interessenten von Nataki fernzuhalten, die sich ihm andauernd näherten um mit ihm zu reden und dabei ‚zufällig‘ auch seine minimale Bekleidung zu berühren. Zu Hanais heimlicher Freude war nämlich die vordere Klappe wirklich deutlich länger als die hintere.

Netermest grinste, als sich Nehesy der Matrone in den Weg schob, die es nun auf Nataki abgesehen hatte. Suchend sah er sich weiter um. Aha, die erste Tanzvorstellung hatte begonnen. Netermest trat näher und beobachtete die Gruppe junger Mädchen, die sich mit Sistren während ihres Tanzes begleiteten. Die Hohepriesterin der Bastet betrachtete die Gruppe nachdenklich. Sie war Netermest nur kurz zu Beginn vorgestellt worden und nun trat er näher.

„Ihr seid mit der Darbietung nicht zufrieden, ehrwürdige Bunefer?“

„Oh, Prinz Netermest. Ich habe euch gar nicht kommen sehen. Aber doch, diese Darbietung ist sehr ansprechend. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob die beiden anderen Darbietungen den Geschmack eurer Gäste treffen.“

Netermest lächelte etwas hintergründig.

„Seid unbesorgt, es wird niemand etwas sagen. Ich wollte mit meiner Auswahl nur alle Aspekte der Göttin ehren.“

Bunefer hob ihre nachgezogenen Augenbrauen.

„Ein sehr selten geäußerter Wunsch, aber es erfreut die Göttin, dermaßen geehrt zu werden. Außerdem bin ich mir sicher, dass ihr ebenfalls an den Darbietungen eure Freude habt. Der junge Mann, den ihr zu mir geschickt habt, Nebamun. Er hat mir erzählt, er sei im Waisenhaus der Göttin in Men-nefer aufgewachsen. Wusstet ihr, dass wir hier ebenfalls ein Waisenhaus betreiben?“

Prinz Netermest wurde aufmerksam.

„Nein, das ist mir neu. Was bringt euch gerade nun auf das Thema?“

„Nebamun hat mir erzählt, er wäre auch gerne Tempeltänzer geworden, doch nur sein Freund Sekani sei angenommen worden. Wir hatten auch einen Jungen, dem wir eine Ausbildung zum Tänzer versprochen hatten, doch kurz nach seiner Beschneidung ist er spurlos verschwunden.“

Netermest sah sich kurz um und lächelte die Hohepriesterin nichtssagend an.

„Ehrwürdige Bunefer, ich weiß nicht ob ihr schon den Garten bewundert habt. Würdet ihr mich ein wenig nach draußen begleiten?“

Die Hohepriesterin stutzte nur einen Lidschlag lang.

„Ich wäre erfreut, Prinz, wenn ihr mir den Garten zeigen würdet.“

Der Prinz geleitete die Hohepriesterin hinaus und gewahrte aus den Augenwinkeln heraus, dass Nataki der dicken Dame anscheinend entkommen war. Er war nun ebenfalls im Garten und wurde von einem unbekannten jungen Mann begleitet. Beide steuerten zielstrebig auf die Tamarisken zu Netermests linken zu. Amüsiert registrierte Netermest noch, dass Natakis Lendenschurz auf der Vorderseite deutlich vom Körper abstand.

Das Gespräch mit Hohepriesterin Bunefer dauerte nicht sehr lange und die Leibwache stellte sicher, dass sie nicht gestört wurden. Netermest dankte der Hohepriesterin und als sie den Saal wieder betraten, begann gerade die zweite Tanzvorführung.

Einige Musiker traten zur Tanzfläche und dann erschienen ein junges Mädchen und ein junger Mann, beide nur mit einer Perlenschnur um die Hüfte bekleidet. Als die Musik einsetzte, begannen beide zu tanzen.

Netermest bewunderte die eleganten Bewegungen und beneidete fast die junge Dame um ihren Partner. Die Musik wurde schneller und auch die Bewegungen der Tänzer wurden leidenschaftlicher. Netermest staunte, wie sie so dicht zusammen tanzen konnten, ohne sich ein einziges Mal dabei zu berühren.

Als die Musik mit einer lauten Disharmonie abbrach, knieten sich die Tänzer auf den Boden und verbeugten sich in Richtung der Hohepriesterin, die wieder am Rand der Tanzfläche stand. Man sah ihr an, dass sie mit der Vorführung sehr zufrieden gewesen war.

Netermest beobachte nun seine Gäste, von denen sich einige am Rand der Tanzfläche versammelt hatten.


Dunkelheit hatte sich über die Stadt gelegt und vor dem Haus mit den Jungen brannte eine einsame Fackel. Der Wachposten dort wurde durch den Schrei einer Wildgans erschreckt. Er hob seinen Kopf, doch es war nicht mehr viel zu erkennen. Er wunderte sich ein wenig, dass um diese Tageszeit überhaupt noch Gänse flogen.

Ein weiterer Schrei übertönte den dumpfen Einschlag eines Pfeils in den Hals des Wächters und er sank ohne einen Laut zu Boden. In dunkle Umhänge gekleidete Gestalten huschten aus verschiedenen Richtungen auf das Tor des Hauses zu und zerrten den Wächter mit ins Innere des Hofes. Zwei der Gestalten sicherten nun von innen das Tor und fünf weitere schlichen lautlos in Richtung der Vorhalle.

Ein kurzer Blick in die Vorhalle bestätigte, dass sie leer war. Dicht an eine Wand gedrückt ging es zum Durchgang in die Große Halle. Es war alles so, wie Simut es beschrieben hatte. Hanedi saß gelangweilt an seinem Tisch und spielte mit einer kleinen Waage. Hinter ihm stand einer der Männer mit dem Knüppel und sah ihm genauso gelangweilt dabei zu. Der zweite Mann hatte sich hingehockt, lehnte mit dem Rücken an der Wand und döste vor sich hin.

Zwei der dunkel gewandeten Männer traten leise in den Eingang, ohne dass sie bemerkt wurden. Erst als die Pfeile ihr Ziel fanden, wurde Hanedi aufmerksam. Er schreckte hoch und stieß dabei die Waage um, so dass sich die Gewichte über den ganzen Tisch verteilten. Sein Schrei wurde erstickt, als ein dritter Angreifer zwischen den Bogenschützen hervorbrach und ihn mit einem gezielten Faustschlag zu Fall brachte. Ein weiterer Schlag ließ Hanedi bewusstlos zusammensinken. Die Bogenschützen kontrollierten ihre Opfer und sammelten die Pfeile wieder ein. Der dritte Mann begann Hanedi zu knebeln und ihm einen alten Sack über den Kopf zu ziehen.

Schnell huschte jetzt ein weiterer Angreifer an seinen Gefährten vorbei in den kleinen Gang auf der linken Seite der Halle. Ohne Zögern riss er die erste Tür auf. Ein fremdes, jugendliches Gesicht starrte ihn erstaunt an.

„Los! Anziehen, mitkommen!“

Auch hinter der zweiten Tür gab es ein fragendes Gesicht.

„Anziehen, mitkommen.“

Hinter der dritten Tür fand der Mann endlich, was er suchte.

„Pachred?“

Der verblüffte Junge starrte aufmerksam zur Tür, dann erinnerte er sich.

„Hauptmann Sennefer?“

Pachred hatte den Hauptmann der Bogenschützen nur einmal kurz im südlichen Palast gesehen.

„Psst, nicht so laut. Hast du was zum Anziehen?“

Pachred erhob sich aus den Kissen und schüttelte den Kopf.

„Egal, wir müssen schnell machen, bevor jemand etwas bemerkt.“

Inzwischen waren auch die beiden anderen Jungen aus ihren Kammern gekommen, ebenso nackt wie Pachred.

„Wir müssen schnell verschwinden, nachher bekommt ihr Lendentücher, aber jetzt…“

Eine der beiden Torwachen kam ins Haus gehuscht und er flüsterte Sennefer zu: „Ein Mann ist am Tor und verlangt nach Einlass.“

„Versucht ihn loszuwerden. Sagt ihm, heute ist geschlossen, wegen einer Feier. Aber seht zu, dass ihr nicht erkannt werdet. Dann kommt zurück und nehmt den Kerl hier mit.“

Der Mann nickte zustimmend und verschwand wieder in Richtung Tor.

Sennefer sah sich um, dann fiel sein Blick auf die Jungen.

„Gibt es einen anderen Ausgang?“

„Hier entlang. Der Gang führt auf den Wirtschaftshof und dann durch ein Nebentor nach draußen.“

Die drei Jungen eilten voran und ihre dunkel gewandeten Retter folgten ihnen leise. Zwei von ihnen schleppten den bewusstlosen Hanedi zwischen sich. Im Wirtschaftshof wandten sich die Jungen dem kleinen Tor zu und blieben davor stehen.

„Was ist?“

„Das Tor führt in eine Sackgasse. Die ist von der Hauptstraße aus einsehbar. Wenn jemand zufällig vorbeikommt, könnte er uns sehen.“

Sennefer richtete seine Aufmerksamkeit nun auf den hochgewachsenen Jungen, der etwas älter aussah als Pachred.

„Du musst Semsu sein.“

Semsu sah den Fremden erstaunt an, nickte aber dann.

„Ja, Herr. Ich bin Semsu, dies hier ist Nefertaui. Pachred kennt ihr ja, wenn ich richtig vermute.“

Sennefer besah sich nun auch den zweiten Jungen, der ihm noch jünger als Pachred vorkam. Aufgebracht schüttelte er den Kopf, doch dann nickte er Semsu bestätigend zu.

„Also, wie kommen wir ungesehen raus?“

Semsu fing plötzlich an zu schnüffeln und wandte seinen Kopf. Zielstrebig ging er zu einem Stapel alter Körbe, die an der Mauer aufgestapelt waren. Angewidert sah er in einen hinein und kippte ihn aus. Jetzt bemerkten auch die anderen den Gestank von verfaultem Fisch.

Semsu behielt den Korb und kam zurück zu Hauptmann Sennefer.

„Ich nehme den Korb und gehe bis hoch zur Straße. Da kann ich sehen ob jemand kommt.“

„Gut, dann werden wir uns schon mal vorbereiten.“

Hauptmann Sennefer gab einem seiner Leute ein Zeichen und der holte unter seinem Umhang einen kleinen Leinenbeutel hervor. Dann verteilte er daraus Lendentücher an die drei Jungen.

Während diese sich eilends bedeckten, legten die Bogenschützen ihre schwarzen Umhänge ab. Eilends wurden die Umhänge in dem Leinenbeutel verstaut. Sennefer nickte nun Semsu zu, der den Korb schulterte und durch das Tor schritt. Oben an der Straße sah er sich prüfend um, dann gab er Pachred am Tor ein Zeichen.

„Alles in Ordnung.“

„Dann los, schnell bis hoch zur Straße und dann antreten. Ihr geht in der Mitte.“

Oben hatte Semsu seinen Korb abgesetzt und trat nun zu Pachred und Nefertaui, der hektisch mit ihm flüsterte. Auf einmal lief Semsu rot an und zischte Nefertaui zu

„Du bist ein Idiot. Mach einfach, was dir gesagt wird.“

Der Junge zuckte zusammen und schwieg.

Sennefer sortierte seine Soldaten. Links und rechts neben den Jungen jeweils zwei Mann, die beiden anderen schleppten immer noch Hanedi zwischen sich. So zogen sie dann unbehelligt bis ins Lager der Bogenschützen.


Prinz Netermest lief etwas nervös durch den Saal und sah sich um. Immer noch keine Nachricht von Hauptmann Sennefer. Ein Geraune ließ ihn Aufsehen und er eilte zur Tanzfläche um die dritte Tanzvorführung nicht zu verpassen.

Wiederum waren die Musiker neben die Tanzfläche getreten, doch diesmal erschienen zwei junge Männer als Tänzer, beide ebenso wie ihre Vorgänger lediglich mit einer Perlenschnur um die Hüfte bekleidet. Als die Musik einsetzte, begannen beide zu tanzen.

Im Gegensatz zu dem letzten Paar waren diese beiden deutlich ausdrucksvoller. Sie tanzten nebeneinander und miteinander, umkreisten sich und strahlten sich an. Die Musik wurde schneller und die Bewegungen der Tänzer wurden leidenschaftlicher. Sie begannen sich flüchtig zu berühren, entfernten sich voneinander und fanden wieder zusammen. Die nun länger dauernden Berührungen bekamen eine erotische Komponente, ohne jedoch obszön zu wirken.

Als auch bei ihnen die Musik mit einer lauten Disharmonie abbrach, knieten sich die Tänzer auf den Boden und verbeugten sich in Richtung der Hohepriesterin. Mit stolz gereckten Köpfen erhoben sich die beiden Tänzer und schritten dicht nebeneinander von der Tanzfläche. Erst kurz vor der Tür fanden sich ihre Hände und sie verließen vereint den Saal.

Netermest blickte ins Publikum und bemerkte die unterschiedlichsten Reaktionen. Einige der jungen Damen schienen irgendwie enttäuscht zu sein, andere tuschelten aufgeregt miteinander. Einige Herren hatten deutlich Abscheu im Gesicht, während Netermest ein junger Mann auffiel, der etwas verträumt hinter den beiden Tänzern hersah.

Nach einer Weile strebte der Prinz wieder in Richtung des Gartens. Die Lampen und Fackeln verbreiteten eine unangenehme Hitze und die betäubenden Gerüche der Parfümkegel in den Perücken der Damen trugen zu der unerträglichen Luft innerhalb des Hauses bei.

Netermest benutzte, wie schon mehrere Male zuvor, die Ausrede nach frischer Luft, um in den Garten zu gehen. Sein wahrer Grund war allerdings, dass er auf Nachricht von Hauptmann Sennefer wartete.

„Hoheit, hier seid ihr. Ist es euch nicht zu kalt hier draußen?“

Netermest rollte mit den Augen. Die ältere Frau, deren Namen er bereits verdrängt hatte, verfolgte ihn schon den halben Abend und pries die Vorzüge ihrer Töchter. Der einzige Vorteil bei diesen Gesprächen war die schier endlose Litanei an Klatsch und übler Nachrede, die sie über die Konkurrentinnen ihrer Töchter erzählte.

Als sie ihn erreichte, musterte sie ihn kokett und zwinkerte mit dem Auge.

„Vielleicht habt ihr dann eher ein Interesse an einer erfahrenen Frau?“

Netermest glaubte, sich verhört zu haben. Hatte sie schon zuviel getrunken? Noch bevor er zu einer scharfen Antwort ansetzen konnte, ertönte eine weitere Stimme.

„Hier bist du also, Mutter. Schämst du dich nicht?“

Ach ja, einen Sohn hatte sie ja auch. Aha, das war ja der junge Mann, der vorhin so verträumt den Tänzern hinterhergesehen hatte. Der stand nun wutentbrannt neben seiner Mutter und funkelte sie an.

„Vielleicht solltest du lieber wieder hineingehen.“

Der Tonfall ließ den Vorschlag eher wie einen Befehl klingen. Als die Frau sich brüsk umdrehte und zum Haus ging, atmete ihr Sohn erleichtert auf.

„Verzeiht, Hoheit, aber sie versucht immer wieder meine Schwestern zu verkuppeln. Und wenn sie dann genug getrunken hat, ist sie etwas verwirrt.“

Netermest grinste den jungen Mann an. Der sah gar nicht mal so schlecht aus. Mal sehen.

„Vielleicht hätte sie ja nicht deine Schwestern anbieten sollen.“

Der junge Mann stutzte, dann konnte Netermest im Lichterschein des Hauses erkennen, wie er rot anlief.

„Woher…“

Schnell trat Netermest auf ihn zu und gab ihm einen flüchtigen Kuss. Dann verschwand er zwischen den Tamarisken. Nach nur kurzem Zögern folgte ihm der junge Mann.

Als beide eine ganze Zeit später mit einem leichten Grinsen im Gesicht wieder auftauchten, stand plötzlich Nebamun vor ihnen. Dem jungen Mann entwich das Grinsen schlagartig und sein Gesicht bekam einen panikartigen Ausdruck.

„Bleib ruhig, Reseneb. Das ist Leutnant Nebamun.“

„Aber, aber er hat uns gesehen…“

Netermest schloss kurz die Augen, während Nebamun amüsiert die Augenbrauen hob. Der Prinz lachte leise.

„Das macht nichts. Neb, komm her.“

Nebamun trat näher und Netermest gab ihm blitzschnell einen Kuss. Reseneb schienen fast die Augen aus dem Kopf zu fallen.

„Nebamun, du solltest dich nachher einmal mit Reseneb unterhalten. Er ist nämlich Schreiber im Büro des Bürgermeisters. Aber was ist, hat Sennefer sich gemeldet?“

Nebamun nickte.

„Ja, alles nach Plan.“

„Sehr gut, bin mal gespannt, ob sich heute Abend jemand ganz schnell verabschiedet. Ich geh wieder rein. Kümmre dich bitte um Reseneb.“

Nebamun lächelte und wandte sich dem jungen Mann zu. Als er merkte, dass dieser ihn interessiert musterte, steuerte Nebamun wie zufällig auf die Tamarisken zu. Reseneb stutzte erst, dann beeilte er sich, Nebamun zu folgen.


Kurz nach Mitternacht hatte sich Prinz Netermest offiziell von der Feier zurückgezogen. Anstatt in seine Unterkunft im Tempel zurückzukehren, wurden er und sein Gefolge mit Streitwagen in ein Lager südwestlich von Abedju gefahren. Dort erwartete ihn bereits Hauptmann Sennefer.

„Es ist alles so abgelaufen wie geplant. Wir haben keine Spuren zurückgelassen.“

„Sehr gut. Das sollte den Betreiber erst einmal aufschrecken. Solange er nicht weiß, wer dafür verantwortlich ist, kann er keine Schritte unternehmen.“

„Wir haben das Lagerfeuer vorbereitet, ganz wie ihr es gewünscht habt, Herr.“

„Dann können wir ja anfangen. Du hast mit deinen Männern gute Arbeit geleistet, Hauptmann.“

Sennefer verbeugte sich erfreut und geleitete den Prinzen zum Lagerplatz. Im Schein des Feuers sah Netermest auch einige ihm unbekannte Gesichter, doch er würde sicherlich die ganze Geschichte noch erfahren.

„Ich habe euch alle hier zusammenrufen lassen, damit wir wieder einmal unser Wissen austauschen können und beraten, was weiter passieren soll. Leider haben wir keinen Teich, aber es wird auch so gehen.“

Leises Gelächter ertönte durch die Nacht und Netermest überlegte, wo er beginnen sollte.

„Wir beginnen mit unserer Ankunft. Ist jemandem etwas Besonderes aufgefallen?“

Es gab ein ausgedehntes Schweigen, bis Nebamun sich räusperte.

„Der Hohepriester und der Bürgermeister sind sich nicht gerade freundschaftlich gesonnen. Das liegt, soweit ich erfahren habe, an den letzten Schenkungen an den Tempel, der ihm erheblichen Reichtum eingebracht hat, ohne dass die Stadt davon Vorteile hätte.“

„Hm, nichts, was uns interessieren sollte. Simut, Userhet, wie waren die ersten Erkundungen?“

Simut richtete sich etwas auf und sah zu Huni.

„Huni sollte zuerst berichten, denn er hat wohl ein paar Sachen aus der Nachbarschaft erfahren.“

Netermest sah nun auffordernd zu Huni herüber.

„Ich habe einen Jungen aus der Nachbarschaft getroffen. Er hat mir erzählt, dass sich ein paar Mal Leute für das Haus der Nebet interessiert haben. Einmal war es ein Mann mit einer Narbe, der überhaupt nicht erstaunt schien. Dann gab es nachts noch einmal Geräusche aus dem Haus, als ob Einbrecher dort gewesen wären. Zu sehen war davon allerdings nichts, als wir eingezogen sind.“

„Einbrecher gibt es immer mal wieder, aber der Mann mit der Narbe ist interessant. Also dann jetzt zu den Erkundungen.“

Userhet hatte in der ersten Nacht vier Tavernen besucht, doch nur eine hatte überhaupt Mädchen gehabt und der Wirt hatte auf die Andeutungen auf Jungen etwas ungehalten reagiert. Simut erzählte von der Wirtin, die ihm die Informationen gegeben hatte.

„Gut, dann kommen wir jetzt zu dem Haus, das Simut erkundet und Sennefer geräumt hat.“

Simut berichtete von dem ersten Abend und Semsu, der dicht neben ihm saß, sah peinlich berührt zu Boden. Auf einmal erhob sich Imichet von seinem Platz, setzte sich neben Semsu und umarmte ihn schweigend.

Der Nächste war Pachred, der eng an Gemni gedrängt, von der Entführung und dem Aufenthalt im Haus erzählte. Zum Schluss berichtete Nefertaui von seiner Entführung und der Arbeit im Haus.

„Damit haben sich für mich einige Fragen geklärt. Semsu, wie lange glaubst du, warst du in dem Haus?“

„Das weiß ich nicht genau. Es muss aber am Anfang des Schemu gewesen sein. Ich sollte mit Fischen zum Markt, bin aber nie dort angekommen.“

„Was? Das sind über drei Monate.“

Imichet löste sich etwas von Semsu und sah ebenfalls zu Boden.

„Dann ist es meine Schuld. Ich war als Novize gerade in den Tempel aufgenommen worden, als ich mich in diesem Haus wiederfand. Ich habe mich gewehrt, doch ich wurde geprügelt. Immer wieder habe ich mich geweigert, doch dann habe ich einen Fehler begangen. Ich habe einen Kunden gebissen.“

Etliche Köpfe ringsum ruckten hoch.

„Gebissen?“

„Ja. Er wollte, dass ich ihn steif mache, bevor er mich besteigt und dabei habe ich dann zugebissen. Ich weiß noch, dass Blut floss, aber an den Rest kann ich mich nicht mehr erinnern. Sie haben mich grün und blau geprügelt und am dritten Tag danach kam ein großer, herrschaftlich aussehender Mann. Er hat mich nur einmal kurz gemustert, einen Dolch gezückt und mir das Gesicht aufgeschlitzt. Ich wurde bewusstlos und als ich aufwachte, war ich wieder im Tempel. Das war etwa Anfang Schemu.“

Huni gab eine kurze Beschreibung von Fürst Wawerhet und Imichet nickte.

„Ja, das könnte er gewesen sein.“

Semsu seufzte und lehnte sich jetzt etwas an Imichet.

„Als mir dieser Hanedi sagte, was mein Schicksal sein sollte, war ich überrascht. Ich hätte so etwas nie freiwillig gemacht. Ich meine, ich habe schon mal mit einem Jungen etwas angefangen, aber nie hätte ich meinen Körper verkauft. Vom ersten Tag an habe ich mich gewehrt und vom ersten Tag an wurde ich geprügelt. Sie haben mir sogar die Kunden geschickt, die darauf aus waren, mich zu prügeln und mich mit Gewalt zu nehmen.“

Netermest erschauerte und auch ringsum war Schweigen.

„Möchtest du uns auch etwas erzählen, Nefertaui?“

„Ja, Herr. Ich bin noch nicht so lange in dem Haus gewesen wie Semsu. Ich habe Angst vor Prügel und den Schmerzen und so habe ich mich nie verweigert.“

Die helle, schwankende Stimme verriet Netermest, dass Nefertaui immer noch im Stimmbruch war.

„Wie alt bist du?“

Nefertaui seufzte bei der Frage, antwortete aber ohne zu zögern.

„Ich wurde geboren im 44. Jahr der Herrschaft unsres Herrschers Men-cheper-re.“

„Vierzehn? Du bist erst vierzehn? Du hast deine Beschneidung aber schon hinter dir?“

Wortlos erhob sich Nefertaui und legte sein Lendentuch ab. Im Schein des Lagerfeuers konnte Netermest deutlich erkennen, dass der Junge tatsächlich beschnitten worden war. Nach einem kurzen Moment legte Nefertaui sein Lendentuch wieder an und setzte sich immer noch wortlos.

Netermest ging ein Gespräch von der Feier durch den Kopf.

„Du bist aus dem Waisenhaus, richtig?“

Nefertaui sah den Prinzen verblüfft an, dann nickte er.

„Ich sollte Tempeltänzer werden nach meiner Entlassung, doch stattdessen bin ich eines Morgens in diesem elenden Haus erwacht, wo mich ein anderes Schicksal erwartete.“

Netermest nickte. So langsam konnte er gewisse Informationen zusammenfügen.

„Hauptmann Sennefer, was hat der Gefangene gesagt?“

Sennefer grunzte geringschätzig.

„Wir brauchten nur mit einem Knüppel zu drohen, da hat er schon alles erzählt was er wusste. Das Haus wird seit drei Jahren betrieben. Zunächst hat er alle Anweisungen von Frau Nebet erhalten, der er auch die Gewinne abgeliefert hat. Als diese plötzlich von Medjai abgeholt wurde, gedachte er, ein eigenes Geschäft zu machen. Doch dann erschien auf einmal ein Mann mit einer Narbe und erklärte, dass er von nun ab die Leitung habe.“

„Schon wieder der Mann mit der Narbe, höchst wahrscheinlich der Schreiber Kermat. Aber wie hat er ihn davon überzeugen können, das Geschäft zu übernehmen?“

„Ganz einfach. Er wurde begleitet von einem halben Dutzend Schlägern mit Knüppeln und Messern.“

Leise ertönte jetzt die Stimme von Userib.

„Wie hätte er das Geschäft alleine betreiben können, ohne seine Kontakte?“

Sennefer sah verblüfft zu Userib, doch Netermest bedeutete ihm zu antworten.

„Er hatte noch Kontakte. Zumindest einen. Es wurden immer nur Nachrichten ausgetauscht, aber er ist sich sicher, dass die Person zum Tempel des Osiris gehört.“

Sennefer wurde durch laute Ausrufe von Imichet und Pachred unterbrochen.

Nach dem dann fast alle laut durcheinander gerufen hatte, machte Netermest eine Pause und dachte über das bisher Berichtete nach. Unauffällig winkte er Nebamun und Userib zu sich.

„Wir müssen versuchen, das Ganze in einen Zusammenhang zu bringen. Gibt es noch mehr, was interessant wäre?“

Dabei sah er Nebamun an, der leicht errötete.

„Ich habe noch etwas länger mit Reseneb geredet. Der Bürgermeister ist immer noch nicht gut auf den Hohenpriester zu sprechen. Er hatte gedacht, einige große Ackerflächen für die Stadt zu erwerben. Leider hat der Besitzer das Land dem Tempel gestiftet.“

„Das ist nicht ungewöhnlich.“

„Eigentlich nicht, aber der Besitzer war Fürst Wawerhet.“

Userib wagte kaum etwas zu sagen, doch dann brach es aus ihm hervor.

„Er schuldete ihnen etwas. Er hat Imichet entstellt. Damit hat er die Einnahmen geschmälert und sie mussten ihn wieder zurücknehmen.“

Nebamun runzelte die Stirn.

„Zurücknehmen? Das hieße ja, dass sie von vornherein gewusst haben, was vor sich ging.“

Userib nickte heftig.

„Nur so macht es Sinn. Im Tempel gibt es genug junge Männer. Und viele andere kommen her und wollen den Gott anbeten. Da braucht man sich nur umzusehen und die Auswahl treffen.“

„Und nach dem der Fürst nicht mehr war?“

„Da kam der Mann mit der Narbe und hat ihnen bedeutet, dass es weitergeht. Ich bin immer noch der Ansicht, es gibt jemanden, der hinter der ganzen Sache steckt und nach dem Tod des Fürsten Wawerhet seine dunklen Geschäfte weiter betreibt. Es muss jemand sein, der genau Bescheid wusste über alles, was der Fürst unternommen hatte. Jemand, der seine ganzen Geschäfte kannte und sie fast übergangslos übernehmen konnte.“

Netermest und Nebamun sahen sich betroffen an. Sie hatten beide an die gleiche Person gedacht. Der Prinz schüttelte den Kopf.

„Das ist unmöglich… Egal, weiß jemand, an wen dieser Hanedi seine Gewinne ausbezahlt hat? Sennefer!“

Der Hauptmann der Bogenschützen erschien sofort bei Netermest.

„An wen hat dieser Hanedi seine Gewinne ausbezahlt?“

„An einen Abholer. Es handelte sich hauptsächlich um Schmuck oder Edelmetalle. Zur jeder Morgendämmerung erscheint ein vermummter Abholer. Er nennt ein Passwort und bekommt den Beutel.“

Netermest blickte nachdenklich in den Nachthimmel.

„Wir müssen zurück zum Haus!“


Es war noch dunkel, als Hauptmann Sennefer, gefolgt von Prinz Netermest und einem Dutzend Bogenschützen wieder zu dem Haus zurückkehrte. Das Tor am Haupteingang war verschlossen und von innen verriegelt, so wie die beiden Wachen es verlassen hatten. Das Tor zum Wirtschaftshof war zwar ebenfalls geschlossen, aber nicht verriegelt.

„Sieht so aus, als ob in der Zwischenzeit niemand hier gewesen ist.“

Sennefer führte den Prinzen in Große Halle und verteilte dann seine Soldaten. Gründlich begannen sie, die Halle zu durchsuchen.

„Er hat nichts Wertvolles bei sich gehabt, also muss hier noch etwas sein.“

Leise Geräusche von draußen kündigten die Ankunft einer zweiten Gruppe an. Diesmal waren es Simut, Meketre, Semsu und Imichet.

„Semsu, weißt du, ob gestern Kunden da gewesen sind?“

Semsu verzog etwas das Gesicht.

„Ich hatte keinen, aber ich glaube, bei Nefertaui war einer.“

„Das heißt, es muss eine Bezahlung erfolgt sein. Wo ist sie?“

Die Soldaten suchten weiter alles ab und Semsu wies auf eventuelle Verstecke hin. Meketre war gelangweilt und stand am Tisch mit der Waage und den überall verteilten Gewichten. Etwas gleichgültig schob er die Gewichte hin und her und sortierte sie nach Größe.

„Hey, Simut. Ist das richtig so, dass es hier zwei Gewichte zu einem Sechzehntel Deben gibt?“

Simut sah erstaunt auf den Tisch, während Netermest herumfuhr.

„Wo?“

„Na, hier. Alle Gewichte sind vorhanden. Von einem ganzen bis hin zu einem vierundsechzigstel Deben, nur das sechzehntel gibt es zwei Mal.“

Netermest trat näher und Meketre deutete auf die beiden Gewichte. Netermest nahm sie auf und wusste sofort, warum es zwei gab. Eines der beiden wog deutlich mehr als das andere. Er zückte seinen Dolch und kratzte darauf herum. Unter der kupferfarbenen Oberfläche glänzte es golden.

„Ich würde sagen, wir haben die Einnahme gefunden. Gut gemacht, Meketre. Wer kommt auf die Idee, mit einem gefälschten Gewicht zu bezahlen?“

„Die Morgendämmerung beginnt bald, Herr!“

„Lasst ihn nicht entkommen. Ihr wisst, was ihr zu tun habt.“

Der Posten vom Haupttor nickte und verschwand wieder nach draußen.

Nicht mal eine Stunde später brachten zwei Soldaten einen sich heftig wehrenden Mann in die Große Halle. Er hatte ein dunkles Obergewand an und seinen Kopf mit einem Sandschutz der Wüstenbewohner eingehüllt.

Auf ein Zeichen von Prinz Netermest hin, rissen die Soldaten dem Mann seinen Kopfschutz und das Obergewand herunter. Darunter kam ein noch junger Mann mit kahl geschorenem Kopf zutage. Um seinen linken Oberarm trug er einen Armreif mit der Darstellung des Gottes Osiris.

„Monmose!“

Der Kopf des Mannes ruckte herum und er funkelte Imichet wütend an.

„Du kennst ihn?“

„Ja, Herr. Dies ist Monmose. Vierter Vorlesepriester und Sekretär des Verwaltungspriesters Wadji.“

„So, das ist ja interessant.“

Netermest trat vor den Priester hin und sah ihn an. Der starrte trotzig zurück. Als der Prinz seinen Dolch zog, erbleichte der Priester sichtlich.

„Wie du siehst, werden wir uns hier nicht lange mit der Vorrede aufhalten. Wer soll die Bezahlung bekommen?“

Monmose sah weiterhin stur nach vorne.

„Ich könnte ja auch Wadji direkt fragen.“

Monmoses Blick flackerte ein wenig und seine Augen zuckten hin und her.

„Aber es ist wohl am besten, ich erzähle ihm, dass du mir verraten hast, dass er die Wertsachen bekommen hat.“

„Nein!“


Im ersten Licht des Tages marschierte eine ganze Kompanie Infanterie auf das Haupttor des Osiris-Tempels in Abedju zu. Vor der Kompanie fuhren zwei Streitwagen. Auf dem einen Prinz Netermest neben Simut als Fahrer und Meketre, dessen Kurier. Den zweiten Wagen lenkte Userhet, neben ihm Simi, sein Kurier. Ihr Passagier war Haran, der Hundeführer. Sethnacht lief hechelnd neben dem Wagen her.

Die Wachen, die links und rechts neben dem Tor zum Vorhof des Tempels standen, ließen die Soldaten einfach mit staunenden Blicken passieren.

Von den stampfenden Schritten der Infanteristen alarmiert, stürzten einige Priester aus den umliegenden Häusern hervor und sahen erschrocken zu, wie die Soldaten den Zugang zum Tempel sperrten. Nun erschien auch der Hohepriester, ohne seinen Stock, auf einen Novizen gestützt.

„Was hat das zu bedeuten? Prinz Netermest! Was passiert hier?“

Netermest stieg von dem Streitwagen und trat vor den Hohenpriester hin.

„Der Tempel des Osiris ist bis auf weiteres geschlossen. Alle Priester sind hiermit verhaftet. Der Tempelschatz ist beschlagnahmt.“

Mit einem lauten Stöhnen sank der alte Mann zu Boden, wo ihm der Novize aufgeregt versuchte zu helfen. Netermest sah sich um und gab Meketre ein Zeichen.

„Nataki soll sich um den Hohenpriester kümmern.“

Meketre nickte und zischte los zur Nachhut.

Beim Durchgang zum inneren Hof gab es einige Unruhe und Netermest erkannte die dürre Gestalt des Verwaltungspriesters.

„Wadji! Der Tempel ist auch von außen umstellt!“

Unsicher um sich blickend kam Wadji nun näher.

„Was wollt ihr von mir?“

„Der Tempelschatz ist beschlagnahmt. Wir werden die Bücher prüfen und jeden einzelnen Posten nachverfolgen. Ebenso werden wir die Besitztümer jedes einzelnen Priesters kontrollieren.“

„Dazu habt ihr kein Recht.“

Netermest zog einen kleinen Gegenstand aus einem Beutel.

„Ich vielleicht nicht, er aber schon.“

Mit großen Augen starrte Wadji auf den winzigen Skarabäus, dann grinste er höhnisch.

„Ihr werdet keine Unregelmäßigkeiten finden.“

Netermest war sich sicher, dass hier etwas versteckt war. Er würde nur die Tarnung erkennen müssen.

Die Vernehmungen der Priester dauerten fast den ganzen Tag und jeder aus Netermests Haushalt, der des Schreibens mächtig war, wurde dafür eingeteilt.

Am Nachmittag erschien Hauptmann Sennefer mit einem Stapel Papyri.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer der Priester etwas damit zu tun hat. Alle leben im Tempel und dienen dem Gott. Sogar der Verwaltungspriester hat ein paar der Totengebete übernommen.“

Netermest stutzte.

„Das ist doch gar nicht seine Aufgabe. Er ist doch gar kein sem-Priester. Wer hat das behauptet?“

„Hm, ich habe drei Aussagen darüber, dass der Verwaltungspriester Wadji Totengebete für einen Verstorbenen drüben in der westlichen Nekropole spricht.“

„Haben sie gesagt, an welchem Grab?“

„Nein, aber einer der Novizen hat ausgesagt, er hätte ihn dorthin begleitet.“

„Ich möchte den jungen Mann sehen und zwar gleich.“

Der Novize war etwas eingeschüchtert, doch er konnte aussagen, dass er den Priester Wadji in die westliche Nekropole begleitet hatte. Es war ein sehr heißer Tag gewesen und der Junge musste die Wasserschläuche schleppen. Am Grab hatte Wadji ihn wieder zurück zum Tempel geschickt. Und ja, er wusste noch, wo dieses Grab war.

Eine halbe Stunde später war der junge Mann in zahlreicher Begleitung auf einem Streitwagen unterwegs zur Nekropole. An den Hängen eines ausgetrockneten Flussbettes hatte man zahlreiche Gräber in die fast senkrechten Wände getrieben. Nach kurzem Suchen blieb der Junge vor einem dieser Gräber jetzt stehen. Er lächelte etwas schüchtern.

„Ich kann mich daran erinnern, weil der Verstorbene den gleichen Namen trägt wie ich.“

Netermest schielte auf die kleine, am Eingang stehende Holztafel.

„Ich danke dir, Paser. Ein Wagen wird dich wieder zurückbringen zum Tempel.“

Der Junge verbeugte sich und ging zurück zu den Streitwagen, während Nebamun und Gemni nach vorne kamen. Gemni kontrollierte das Siegel am Grabeingang.

„Merkwürdig. Nur ein Siegelabdruck. Das eines Priesters. Es fehlt das eines Angehörigen.“

Netermest bestätigte die Inspektion.

„Öffnet das Grab. Aber lasst das Siegel heil. Wir werden es mitnehmen“

Gemni und Nebamun hatten mit einer solchen Anweisung gerechnet und Nebamun hatte vorsichtshalber eine Hacke mitgebracht. Er brauchte nur wenige Schläge, bis die Mauer einstürzte.

„Die ist nicht sehr haltbar. Das sind nur einfache schmale Lehmziegel.“

Gemni leuchtete mit einer Fackel in den kurzen Gang hinein. Gleich hinter der eingestürzten Ziegelmauer lagen zwei leinene Beutel. Gemni zog den ersten heran und schüttete ihn aus. Der Inhalt war ein Sammelsurium an silbernen und goldenen Ringen, zahlreichen Schmuckgegenständen, einzelnen Edelsteinen und kunstvoll gearbeiteten Figuren.

Netermest betrachtete nachdenklich den auseinandergefallenen Haufen.

„Ich würde sagen, wir haben den Schatz des Wadji gefunden.“

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