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Geschichten aus der Föderation
Golden Boy
Teil 4
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Informationen
- Story: Geschichten aus der Föderation
- Autor: Mondstaub
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Science Fiction
Inhaltsverzeichnis
BLUE DRAGON
Tim Sheldon erwachte aus einem leichten Dämmerschlaf und sah erschrocken zur Uhr an der Decke. Puh, er hatte nur eine Viertelstunde gedöst. Colin hatte einen tieferen Schlaf und Tim fuhr ihm liebevoll durch die roten Haare. Es war schon merkwürdig, wie schnell es mit ihnen gegangen war und er gestand sich ein, dass er diesen Mann aufrichtig liebte.
Was war nicht alles in den letzten paar Tagen und Wochen passiert. Seine Versetzung zu Intelligence, sein erstes Kommando als Kommandant, der Überfall auf einen Piratenstützpunkt und zum Schluss die Gründung einer völlig neuen Einheit.
Die HMSFS GOLDEN BOY hatte insgesamt fast sechs Wochen benötigt für die erforderlichen Umbauten und die erneute Ausrüstung auf Torchwood.
Das Schiff selbst war nur unwesentlich verändert worden. Die Wohndecks der Mannschaft wurden neugestaltet und so belegt, dass die Paare zusammenwohnen konnten. Im Frachtdeck wurden zwei Container entfernt und durch einen Gefängnisbereich mit zwei Zellen ersetzt. Im Aufbaudeck wurden zwei Kabinen zusammengelegt und zu einem Wohn/Arbeits- und einem Schlafbereich für den Admiral umgestaltet.
Eine Woche nach der Befragung über den Wechsel kamen dann endlich die offiziellen Entlassungspapiere. Admiral Campbell verabschiedete jeden einzelnen und Admiral Drake ernannte in der anschließenden Zeremonie alle zu Soldaten der neu gegründeten Royal Navy Special Forces.
Auf die Uniformen hatten sie dann allerdings noch fast zwei weitere Wochen warten müssen. Der Arbeitsanzug bestand nun aus einem schwarzen Einteiler mit integrierten Bordstiefeln. Dazu ein breiter Mehrzweckgürtel, an dem auch offen eine Handwaffe getragen werden konnte. Die Dienstgrade waren an einem kleinen, hochkant stehenden Rechteck abzulesen, das sich auf der linken Brustseite befand.
Die Dienst- und Ausgehuniform bestand aus schwarzer Hose und Jacke mit den Dienstgradabzeichen an den unteren Ärmeln. Für die Offiziere in den traditionellen Streifen, für die Unteroffiziere und Mannschaften wurden einfach die Rechtecke des Arbeitsanzugs verwendet und auf der Vorderseite des Unterärmels angebracht. Darüber war dann jeweils eine königliche Krone.
Die Paradeuniform war ein kleiner Streitpunkt gewesen, doch Rian hatte sich durchgesetzt. Die kleine Truppe würde einen Reichsfürsten begleiten und ihn dabei auch repräsentieren müssen. Das hieß also, mit allen Orden und Ehrenzeichen und für die Offiziere eine Uniform mit Epauletten und Säbel.
Etwas komplizierter wurde es mit dem sehr umfangreichen und manchmal schwer verständlichen höfischen Protokoll, dem sie ab jetzt bei allen offiziellen Anlässen zu folgen hatten.
Rian versuchte den anderen Offizieren bei einer kleinen Versammlung klar zu machen, worum es ging. Sie hatten sich in dem neu eingerichteten Wohnraum des Admirals zusammengefunden und sich auf zwei Sofas und fünf gemütliche Sessel verteilt.
„Also, das fängt im Prinzip mit der Reihenfolge bei einem Empfang an. Sagen wir, es ist ein kleiner Empfang beim König. Die königliche Familie ist Gastgeber und es werden die Gäste in Reihe der Rangfolge vorgestellt. Diese Rangfolge ergibt sich aus dem Adelstitel, höfischen oder militärischen Auszeichnungen und politischen Ämtern. Jeder mögliche Fall ist im protokollarischen Handbuch vorhanden und die korrekte Reihenfolge wird auf das Strengste beachtet.“
Scion Rhyder hob die Hand.
„Haben wir auch so ein Ding an Bord?“
„Allerdings. Zusammen mit noch einem guten Dutzend anderer Nachschlagewerke, die alle das Protokoll, Zeremonien, Paraden und solche Dinge betreffen. Ich würde es für praktisch erachten, wenn sich jemand darin einarbeitet, damit wir für alle Fälle gerüstet sind.“
„Wir haben doch nicht einmal genug Soldaten für eine richtige Ehrenwache.“
„Ich weiß, aber darum geht es auch nicht. Es ist vielleicht ein wenig schwer zu verstehen, aber die Adligen, insbesondere die des Erbadels, achten sehr eifersüchtig darauf, dass jedes kleine ihnen zustehende Detail auch beachtet wird. Ebenso versuchen sie, sich im besten Licht dastehen zu lassen, um möglicherweise einen Vorteil zu gewinnen.“
Sublieutenant Maxwell hob völlig verwirrt die Hand.
„Können Adlige denn mit ihrem Titel befördert werden, oder so etwas?“
Rian lachte, ebenso wie Colin Campbell.
„Eigentlich nicht, aber die Adelstitel sind ja unterschiedlich in ihrem Ursprung. Am einfachsten ist es mit dem Erbadel. Der Titel wird von dem Vater auf den Sohn weitervererbt, wenn der Vater stirbt. Dann gibt es den sogenannten Titularadel. Der König verleiht einen Titel an eine bestimmte Person. Mit dem Tod dieser Person erlischt der Titel, Ende. Und dann gibt es noch den Amtsadel. Hier ist der Titel an ein bestimmtes Amt gebunden. Beispielsweise die Gouverneure der Kolonialplaneten. Meistens sind es hohe Verwaltungsbeamte, die diesen Dienstposten bekommen. Mit Amtsantritt bekommen sie automatisch einen Adelstitel, den sie wieder ablegen müssen, wenn sie den Posten verlassen. Sie dürfen sich dann noch als ruhend bezeichnen, also etwa James Smith, Baronet retired.“
Scion Rhyder stöhnte auf.
„Ich glaube, mir wird schwindlig. Das dauert ja ewig, bis das jemand kapiert hat.“
Brandon Taylor sah ihn etwas verärgert an.
„Reiß dich mal ein Bisschen zusammen. Das ist auch nicht viel schlimmer als unser normales militärisches Protokoll. Und vielleicht gibt es ja jemanden an Bord, der sich damit auskennt. Wir hatten mal einen Unteroffizier in der Kompanie, der kannte jeden Adligen des Sektors namentlich und wusste, wer mit wem verheiratet war.“
Scion schrumpfte sichtlich in seinem Sessel, sagte aber nichts. Christoph deCoeur, der neben Brandon Taylor auf der Couch gesessen hatte, sah plötzlich zu Rian.
„Sie hatten… Du hattest gesagt, auch militärische Auszeichnungen sind für die Rangfolge relevant. Das heißt, wir sind alle irgendwo da mit eingereiht.“
Rian grinste und nickte.
„Allerdings. Und da kommen wir schon zu einer kleinen Fußangel im Protokoll, die uns wahrscheinlich das Missfallen einiger großspuriger Deppen aus den Reihen der kleinen Adligen einbringen wird. Die militärischen Auszeichnungen sind tatsächlich zwischen die entsprechenden Adelstitel und Auszeichnungen eingeschoben. Die höchste dieser militärischen Auszeichnungen rangiert gleich hinter dem Königshaus und den Reichsadligen.“
Automatisch drehten sich alle Köpfe zu Tim Sheldon, der wie versteinert in seinem Sessel saß.
„Wenn es zu einem Empfang beim König kommen sollte, wäre die korrekte Reihenfolge der Gäste zunächst Prinz Helos als Kronprinz, dann Prinz Gerald als Bruder des Königs und dann Prinz Noswil als Onkel des Königs. Mehr Prinzen haben wir auch gar nicht. Dann folgen die Reichsadligen, wovon wir momentan nur einen haben, nämlich mich, und dann folgen schon die Träger des Kings Cross. LtCdr Sheldon kommt protokollarisch vor sämtlichen anderen Adligen des Reiches.“
Tim Sheldon rutschte etwas unbequem in seinem Sessel hin und her.
„Ist das denn wirklich so wichtig?“
„Ja, ist es. Unser erster offizieller Auftritt wird nämlich bei der Generalaudienz des Königs sein. Ich werde ihm die Einsatzbereitschaft der RNSF melden und dabei natürlich vom Kommandanten meines Schiffs begleitet sein. Welch günstiger Zufall, dass besagter Kommandant in der langen Schlange der Gäste gleich hinter mir stehen wird.“
Tim Sheldon hob den Kopf und sah das erwartungsfroh leuchtende Gesicht von Rian.
„Es macht dir Spaß. Du hast dir das alles schon ganz genau ausgemalt.“
„In der Tat. Außerdem ist es eine Gelegenheit, den ganzen Hofschranzen einmal über das Maul zu fahren. All die ganzen jämmerlichen Figuren von selbst ernannter Wichtigkeit, vom Haushofmeister bis hin zum Deputy Assistant Facility Manager.“
„Dem was?“
„Ich glaube, das ist der stellvertretende Assistent des Hausmeisters.“
Als das leise Gelächter verstummte, ergriff der Doktor das Wort.
„Rian, kann es sein, dass du ein kleines Problem mit dem Personal bei Hofe hast?“
„Ein kleines!? Nein. Es ist ein großes Problem, das ich schon mein ganzes Leben lang habe. Das Personal bestimmt meinen Tagesablauf, schränkt meine Bewegungsfreiheit ein, diktiert den Umgang mit anderen Personen und, am schlimmsten, regelt den Zugang zu meinen Eltern. Glaubt ihr, es ist toll, der Sohn eines Prinzen zu sein? Und als mein Vater sich nach dem Tod meiner Mutter nach Kortor II zurückgezogen hat, wurde es noch schlimmer. Die einzige Möglichkeit, dem ganzen Zirkus zu entkommen, war für mich der Eintritt in die Navy.“
Peinlich berührt sahen die Offiziere zu Rian, der sich sichtlich bemühte, nicht wieder zu weinen anzufangen. Sie sollten ihn nicht für ein notorisches Heul-Baby halten.
Colin flüsterte Tim kurz etwas zu, dann stand er auf und ging zu Rian. Sanft zog er ihn hoch, dann umarmte er ihn. Rian legte seinen Kopf auf Colins Brust und sah hoch. Da beugte sich Colin herunter und gab ihm sanft einen Kuss. Dann bettete er Rians Kopf wieder an seine Brust.
Die anderen hatten schweigend zugesehen, jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzugehen.
„Wir waren vor drei Jahren eine kurze Zeit zusammen.“
flüsterte Colin.
„Er hat mir damals geholfen, über eine schwere Zeit hinweg zu kommen. Wir haben uns dann wieder getrennt, weil unsere Arbeit uns keine Zeit ließ, zusammen zu sein und auch weil Rian damals noch nicht genau wusste, ob es das ist, was er wirklich wollte.“
„Ja“, flüsterte nun Rian.
„Ich bin mir inzwischen sicher, dass ich ein Opfer des Fluches des Königshauses bin.“
Colin gab Rian einen leichten Schlag auf den Hinterkopf.
„Erzähl keinen Unsinn. Es gibt keinen Fluch. Tatsache ist allerdings, dass es im Königshaus alle paar hundert Jahre zu gehäuften Fällen von Homosexualität bei den Königskindern kommt. Anscheinend ist dies wieder einmal der Fall.“
„Was?“ platzte Phillipp Cameron heraus.
„Hat es da nie Schwierigkeiten gegeben? Mit der Thronfolge, meine ich.“
„Doch, da kann ich was zu erzählen.“
Rian löste sich langsam von Colin, der ihn überraschenderweise zu seinem Platz neben Tim hinüberschob. Als Rian saß, legte Tim einen Arm um seine Schulter. Etwas zögernd sah Rian zu Tim, denn er wurde sich bewusst, dass er soeben dessen Freund geküsst hatte. Tim flüsterte Rian etwas zu und der sah ihn erstaunt an, doch dann beugte er sich herüber und bekam von Tim einen ebenso sanften Kuss wie von Colin. Tief durchatmend saß er einen Moment mit geschlossenen Augen da, dann öffnete er die Augen und fuhr fort, als sei nichts passiert.
„Es gab einmal vor etwa 1700 Jahren einen Fall, als der einzige Thronfolger nach dem Tod des Königs verkündete, dass er das Amt annehmen werde, aber keine Aussicht auf einen weiteren Erben bestünde. Der Thronrat entschied dann, dass wohl besser der Onkel des Prinzen König werden sollte. Allerdings war der Onkel sehr unbeliebt und es kam zu Volksaufständen. Der Thronrat gab nach, der Prinz wurde König und heiratete einen Mann.“
„Einfach so? Und was war mit der Erblinie?“
„Da musste man zwei Generationen zurückgehen, aber es gibt immer irgendwo noch Nachkommen. Übrigens ist es seit etwa 300 Jahren möglich, die königliche Linie auch durch Adoption fortzusetzen.“
„Puh, was für ein Durcheinander. Womit hatten wir eigentlich angefangen?“
„Mit den Fragen zum höfischen und militärischen Protokoll.“
knurrte Brandon Taylor etwas ungnädig.
„Können wir da bitte jetzt mit weitermachen?“
Im Hangar gab es inzwischen ganz andere Probleme. Die Navy hatte die beiden angeforderten Bodengleiter geliefert. Staff Petty Officer Alexander Bower stand etwas ratlos vor den beiden Fahrzeugen. Das eine war ein nagelneuer CROWN CLASSIC mit einer silbernen Lackierung und einem Wappen auf beiden Seiten. Das andere war ein allseits bekannter LUPUS Patrouillengleiter, das Standardmodell der Bodentruppen. Dieser hier im Violett der Royal Household Navy.
Beide Fahrzeuge würden eine neue, schwarze Lackierung erhalten, aber was war mit den Wappen? Hatte ein Reichsfürst ein eigenes Wappen? Schnell befragte er das planetenweite Netzwerk und wurde sofort fündig. Bei der Einführung des Reichsfürsten hatte es eine große Dokumentation gegeben über die Historie des Amtes und alle Insignien.
Die Insignien waren absichtlich sehr schlicht gehalten. Ein zwölf-strahliger goldener Stern mit einem weiteren, kleineren aufgelegten zwölf-strahligen Stern in der Farbe des Reichsadligen. Im Fall des Fürsten war dieser Rot. Auf den Mittelstern aufgelegt war dann noch die königliche Krone, die sie auch alle selber an ihren Uniformen trugen.
Das war ja einfach. Alex speicherte das Bild ab und ging auf die Suche. Im Schiffstechnischen Leitstand wurde er fündig.
„Guten Morgen, Chief Joyce. Ich hätte da ein kleines Problem.“
„Hallo Alex. Was gibt’s? So früh und schon Probleme?“
Alex Bowers schilderte die Lage mit den beiden Gleitern.
„Ich bin der Ansicht, wir sollten sie schwarz lackieren und dann mit dem Symbol des Reichsfürsten versehen. Damit ist sofort erkennbar, wer wir sind und einige Leute werden dann auch schon wissen, was wir wollen.“
Fleet Chief Petty Officer Joyce lachte laut. Er war mit 37 Jahren mit Abstand der älteste Soldat an Bord. Der nächste, Dr. Farnsworth, war erst 32. Er hatte es schon mehrere Male erlebt, dass jüngere Besatzungsmitglieder ihn auch in persönlichen Dingen um Rat gefragt hatten. Dabei war er fast genauso unsicher, wie die meisten.
Er war verheiratet gewesen und hatte einen Sohn. Lucas war jetzt siebzehn und hatte sich zu den Royal Marines gemeldet. Chief Joyce seufzte leise. Lucas war alt genug, um zu entscheiden, was er wollte. Die Ehe des Chiefs mit Mandy war vor zwei Jahren geschieden worden. Es war fast wie in einer Sitcom gewesen. Er kam nach Hause und erwischte sie mit einem anderen im Bett. Abgesehen davon, dass dieser andere gut fünfzehn Jahre jünger war als er, bemerkte er zu seiner eigenen Verwirrung, dass der Junge richtig gut aussah. Die Verwirrung hielt nicht lange an. Mandy würde sich wahrscheinlich in den Arsch beißen, wenn sie wüsste, dass der Junge, der ihr Scheidungsgrund war, nachher in seinem Bett gelandet war.
„Chief, hören sie mir zu?“
Chief Joyce wurde in seinen Erinnerungen unterbrochen und konzentrierte sich auf Alex Bowers, der immer noch von den beiden Gleitern schwärmte.
„Zeig mal das Symbol.“
Alex holte sein Datapad hervor und zeigte es dem Techniker.
„Das ist gar kein Problem. Hmmm, da nehmen wir am besten Mattschwarz, Goldgelb… nein das ist zu dunkel, Hellgelb und Hellrot. Sag‘ mal, Alex, wir haben doch noch die Kampfanzüge in schwarz. Sollen die auch den Stern bekommen?“
Alex‘ Augen wurden groß. Dann hüpfte er fast vor Aufregung hin und her.
„Ja, natürlich! Das wäre der absolute Hammer. Können wir gleich damit anfangen?“
Bis zum Mittagessen waren die Gleiter lackiert und die Techniker hatten die entsprechenden Folien für die Fahrzeuge und die Kampfanzüge vorbereitet.
Als 1stLt Scion Rhyder in den Hangar kam, traute er seinen Augen kaum. Dort standen zwei mattschwarze Bodengleiter, die aussahen, als kämen sie frisch aus der Fabrik, was für den CROWN ja auch stimmte. Scion runzelte die Stirn, als Alex Bowers und Seth Reins auf ihn zukamen. StCpl Reins sah in der schwarzen Uniform mit seinen schwarzvioletten Haaren irgendwie unheimlich aus.
„Entschuldigung, Sir. Ich konnte ihn einfach nicht davon abhalten.“
‚Oh mein Gott, was haben die denn jetzt schon wieder ausgeheckt‘?
„Okay, Corporal, fangen wir ganz von vorne an.“
Alex Bowers spulte seine Geschichte so schnell ab, dass der 1stLt kaum folgen konnte.
„Das habe ich verstanden, glaube ich wenigstens. Was war jetzt das Letzte? Das mit einem Muster?“
Seth Reins stieß einen kurzen Pfiff aus und hinter einem der Container kam PFC Yeats hervor. Der Felidaner trug einen schwarzen Kampfanzug ohne Helm. Auf der Brust prangte ein großer goldener Stern mit einer roten Einlage und einer Krone. Der Stern nahm fast die gesamte Fläche der Brustpanzerung ein.
Scion Rhyder starrte einige Sekunden auf den Kampfanzug, dann aktivierte er sein Com-Armband.
„Verzeihung, Sir. Könnten sie bitte sofort in den Hangar kommen? Und bringen sie bitte den Admiral mit.“
Nicht einmal zwei Minuten später hörte man mehrere Personen schnell die Treppe herunterkommen. Tim Sheldon, dicht gefolgt von Rian Drake, Colin Campbell und Brandon Taylor kamen auf die kleine Gruppe zu, bis Tim plötzlich stehen blieb. Sein Blick war auf den Kampfanzug mit dem Stern gerichtet und verharrte dort. Alle anderen sahen jetzt ebenfalls hinüber.
Der erste, der seine Sprache wiederfand war Rian.
„Oh mein Gott, das ist es!“
Langsam umkreiste er Robin Yeats.
„Mann, das sieht gut aus.“
Robin grinste.
„Ich weiß.“
Alle die es gehört hatten, brachen in Gelächter aus. Rian konnte nicht an sich halten und verwuschelte Robin die weißblonden Haare zwischen den hochstehenden Ohren.
„Ähem, Verzeihung, Sir, aber wenn sie weitermachen, bekommen sie möglicherweise heute nichts mehr zu essen.“
Verblüfft zog Rian seine Hand zurück und sah nun in die gleiche Richtung, in die der junge Felidaner blickte. Am Fuß der Treppe stand der rothaarige Leading Seaman aus der Küche und er sah Rian ebenso erstaunt an, wie dieser ihn.
Scion Rhyder lachte kurz, dann flüsterte er so laut, dass alle es hören konnten.
„Robin und David sind Boyfriends.“
Rian erstarrte einen Moment, dann ging er hinüber zu David Florent. Er unterhielt sich eine Weile mit dem jungen Koch, bis David alle überraschte, in dem er sich etwas streckte und Rian einen Kuss auf die Wange gab. Schnell verschwand er über die Treppe wieder nach oben.
„Was war das denn?“
Robin war etwas verwirrt, als Rian wieder zu ihm zurückkehrte.
„Das wird dir David nachher unter vier Augen erzählen.“
Nachdenklich sah sich Rian dann im Hangar um und sah die beiden Bodengleiter.
„Wo kommen die denn her?“
„Die wurden uns zugewiesen, Sir. Die Lackierung haben wir angebracht. Wir wollten gerade mit den Abzeichen starten, als Lieutenant Rhyder hier eintraf.“
„Dann zeigt mir mal die Abzeichen.“
FCPO Joyce hielt die Folie für eine der Seitentüren an die entsprechende Stelle.
„Gute Idee. Wir werden nicht zu übersehen sein.“
„Ja“, brummte Brandon Taylor von hinten
„Wir werden ein gutes Ziel abgeben.“
„Nicht immer so pessimistisch. Ich sehe es nicht so, dass wir von unmittelbarer Gewalt bedroht sind. Das Ganze dürfte etwas subtiler ablaufen.“
„Ah, vielen Dank, für mein Stichwort, Sir.“
Colin Campbell schob sich nach vorne und suchte 1st Lt Rhyder.
„Scion, du hast doch mit Private Kennedy jetzt einen Mann mehr in deiner Truppe.“
Scion Rhyder nickte zögernd. Warum würde ihm das nicht gefallen, was jetzt kommen musste?
„Sehr gut, dann hätte ich gerne einen deiner Männer für eine spezielle Aufgabe.“
Scion seufzte ergeben und drehte sich halb um.
„Private vanBerg zu mir!“
„Woher wusstest du, um wen es sich handelt?“
„Die Stichworte der Gleichung waren: ‚ich hätte gerne‘ plus ‚spezielle Aufgabe‘. Da bleibt nur Intel übrig hinter dem Gleichheitszeichen.“
Der blasse, hellblonde PFC von Safira II war neben seinen Zugführer getreten.
„Sie wollten mich sprechen, Sir?“
„Ja, eigentlich wollte Major Campbell mit Ihnen sprechen.“
Leo vanBerg wandte seine Aufmerksamkeit dem großen, rothaarigen Major zu.
„Private van Berg, Sie haben den Nahaufklärungslehrgang bei INTEL gemacht und wie ich ihren Unterlagen entnommen habe, auch einen Analyselehrgang. Hätten sie Interesse daran, hier an Bord etwas Ähnliches zu machen?“
Leo vanBerg zögerte keinen Moment.
„Jawohl, Sir. Ich nehme an, dass würde die Fälle betreffen, mit denen wir beauftragt werden.“
„Allerdings. Wir beide bilden nämlich ab sofort die ISU der RNSF.“
„Bitte?“
Colin Campbell lachte, als er in die ratlosen Gesichter ringsum sah.
„Das wird die Investigation Support Unit. Die Unterstützungseinheit für Ermittlungen. Wir sammeln Informationen und Hinweise bei Verdächtigen, bei denen die Reichspolizei nicht anklopfen darf oder kann.“
Tim Sheldon schüttelte etwas unwillig den Kopf.
„Oh Mann, dabei haben wir ganz normal als Einsatzfahrzeug für einen klitzekleinen Sondereinsatz angefangen. Das beginnt mir etwas über den Kopf zu wachsen.“
Schlagartig wurde es ruhig im Hangar.
Tim sah sich erstaunt um, dann registrierte er, dass er den letzten Satz laut gesagt hatte.
„Nein, Leute, ich bin noch nicht fertig mit den Nerven. Es ist mir nur wieder einmal klar geworden, dass ich die Verantwortung habe für Dinge, von denen ich nicht die geringste Ahnung habe. Ich bin auf eure Mitarbeit angewiesen, auf eure fachliche und auch menschliche Kompetenz, damit wir erfolgreich unsere Arbeit tun können und unbeschadet aus jedem Trubel herauskommen. Ich bin ehrlich gesagt, froh darüber, dass wir es geschafft haben, eine Einheit zu werden. Wir sind uns, glaube ich, auch persönlich nähergekommen, als es in einer militärischen Einheit üblich ist. Deshalb möchte ich hier und jetzt ein kleines Zeichen setzen.“
Im Hangar war es weiterhin absolut still. Tim drehte sich zu Colin Campbell um.
„Colin Montgomery Campbell, willst du mich heiraten?“
Colins Mund klappte auf und er lief rot an. Sein Schweigen dauerte nur wenige Sekunden, doch für Tim waren es Stunden. Dann endlich fand Colin die richtigen Worte.
„Ja, ich will.“
Ringsum brandete Jubel auf. Tim und Colin fanden sich zu einem kurzen Kuss, dann gingen sie langsam zur Treppe und verließen den Hangar.
Die vorgesehenen Einsätze für die Royal Navy Special Force standen sehr kurzfristig an, so dass Tim und Colin den Termin ihrer Hochzeit zunächst auf einen ruhigeren Zeitpunkt verschoben hatten.
Die erste Feuerprobe für die neue Einheit würde wohl tatsächlich der Empfang bei der Generalaudienz des Königs werden. Dazu mussten sie nach New Terra verlegen und sich intensiv auf die protokollarischen Aufgaben vorbereiten.
Tim Sheldon wurde durch einen Anruf in seiner ungeliebten Büroarbeit unterbrochen. Mit einem unguten Gefühl sah er Admiral Campbell auf dem Bildschirm.
„Tim, ich erwarte dich mit Colin in einer halben Stunde zu einer dienstlichen Besprechung.“
LtCdr Sheldon blieb nicht einmal Zeit zu antworten, als der Bildschirm auch schon dunkel wurde.
Immerhin schafften es beide – wenn auch knapp – rechtzeitig beim Admiral zu sein. Zu ihrem Erstaunen befand sich Rian Drake ebenfalls im Büro des Leiters Intel.
„Es ist mal wieder etwas dazwischengekommen. Bevor ihr New Terra anfliegt, macht ihr einen Zwischenstopp auf Fossath II. Dort ist ein Frachter namens HIGHLANDER gelandet und wartet auf Nachricht.“
Admiral Campbell informierte die beiden Offiziere über die Situation der HIGHLANDER und die Entscheidungen seiner Majestät und des Premierministers. Rian klärte sie über die weitere Rolle des Frachters auf, wenn der Eigentümer denn zustimmen sollte.
„Wir hätten dann also ein eigenes Versorgungsschiff für uns alleine?“
Colin sah seinen Vater skeptisch an, der einen schnellen Blick mit Rian wechselte.
„Nicht ganz. Die weitere Planung geht dahin, ein zweites Schiff wie die GOLDEN BOY bauen zu lassen und dann einen weiteren Reichsadligen einzusetzen. Genaues gibt es noch nichts und seine Majestät hat auch nur ein paar Andeutungen gemacht.“
„Also, zuerst nach Fossath, die gute Nachricht überbringen und dann weiter nach New Terra, richtig?“
Rian nickte.
„Die Zeit müsste reichen. Es genügt vollkommen, wenn wir zwei Tage vor der Generalaudienz eintreffen.“
Die Angelegenheit auf Fossath II war schnell geregelt. Tim dachte immer noch über die Begegnung mit Alex Cameron nach. Es war schon ein merkwürdiger Zufall, der sie beide nun plötzlich wieder zusammengeführt hatte.
Die Zeit während der letzten Hyperraumetappen nach New Terra nutzte Tim für seine Weiterbildung. Er starrte auf einen Stapel Schreibfolien und ein frustrierter Schrei brach sich Bahn.
Lieutenant-Commander Timothy Sheldon verteilte mit viel Schwung mehrere dieser bedruckten Schreibfolien quer durch die Kommandantenkammer. Eine kleine Tür öffnete sich und ein sehr unbekleideter Major der RNSF Marines sah stirnrunzelnd aus der Nasszelle.
„Was hast du denn?“
„So ein Mist! Das hab‘ ich schon im Space Cadet Corps nicht verstanden. Wer denkt sich denn sowas aus?“
Colin Campbell kam nun ganz aus der Nasszelle hervor und sammelte eine der Folien auf, die Tim so großzügig verteilt hatte. Stirnrunzelnd begann er zu lesen, dann lachte er laut.
Kapitel 2
Erwerb von Titeln
Erbadel.
Ein Adelstitel wird bei Ableben des Inhabers an seinen ältesten noch lebenden direkten Nachkommen weitervererbt. Die Erbfolge besteht ausschließlich in der männlichen Linie. (Ergänzung: Zu den erbberechtigten direkten Nachkommen zählen eheliche und anerkannte nicht-eheliche männliche Personen. Die Reihung in die Erbfolge entsteht bei den anerkannten nicht-ehelichen Personen durch das Datum ihrer Anerkennung).
Weibliche Nachkommen sind für sämtliche Adelstitel nicht erbberechtigt. Dies gilt ebenso für deren angeheirateten Ehemänner. Weibliche Nachkommen haben, davon unbeschadet, ein volles Erbrecht für alle anderen Rechte und Güter eines Erblassers nach den Bestimmungen des Erbrechtes der terranischen Föderation.
Reihung.
Die Reihung in der Erbfolge entsteht durch die direkte Linie des Erblassers. Das sind alle direkten männlichen Nachkommen. (Ergänzung: oder als Nachkommen anerkannte nicht-eheliche männliche Personen).
Existieren keine Nachkommen in direkter Linie, fällt der Titel an den ältesten noch lebenden direkten männlichen Nachkommen der Eltern des Erblassers. (Ergänzung: oder als Nachkommen anerkannte nicht-eheliche männliche Personen).
Existieren auch dort keine Nachkommen, geht der Titel sinngemäß an die davor liegende Generation des Erblassers. Sollten bis zur sechsten Generation vor dem Erblasser keine erbberechtigten Personen mehr existieren, wird der Titel aufgehoben und an das Königshaus zurückgegeben.
Erwerb.
Adelstitel werden durch Geburt erworben. Dabei erhält der Nachkomme eines Titelträgers einen Titel, der zwei Rangstufen unter dem des Titelträgers liegt. Jeder weitere Nachkomme erhält, entsprechend der vorgenannten Regelung, einen Titel zwei Stufen unter dem des vorhergehenden Nachkommen. Für die Titel innerhalb der königlichen Familie bestehen gesonderte Bestimmungen.
Das Königshaus kann unter besonderen Umständen dem Träger eines Erbtitels einen neuen Titel verleihen, der dann ebenfalls den Regularien des Erbadels unterliegt.
Das Königshaus kann unter besonderen Umständen einem nichtadligen Untertanen einen Erbtitel verleihen, der dann ebenfalls den Regularien des Erbadels unterliegt.
Titularadel.
Das Königshaus kann an verdiente Untertanen einen Adelstitel verleihen. Diese sogenannten Titularien betreffen lediglich die damit ausgezeichnete Person. Der Titel ist nicht vererbbar und erlischt mit dem Tod des Ausgezeichneten.
Amtsadel.
Auf Antrag der Regierung der Föderation kann das Königshaus einem Mitglied der Regierung oder Verwaltung der Föderation einen Adelstitel verleihen, wenn der Dienstposten, für den dieses Mitglied vorgesehen ist, einen solchen Titel vorsieht. Dies sind die Dienstposten eines königlichen Sektorenkonsuls, eines königlichen Senators und die eines kolonialen Gouverneurs. Die Titel sind nicht vererbbar und erlöschen mit der Beendigung des Dienstes auf dem benannten Dienstposten. Sie dürfen aber weiterhin als Namenszusatz mit dem Hinweis ‚ehemals‘ geführt werden.
Der Amtsadel unterliegt besonderer protokollarischer Verpflichtungen…
„Gib dich keinen Hoffnungen hin. So richtig kennt sich damit nur das Personal des King of Arms aus.“
„Wer?“
„Der King of Arms. Der oberste Registrar aller Adelstitel und der damit verbundenen Wappen. Jeder einzelne Adlige, vom König bis zum letzten Ritter hat ein eigenes individuelles Wappen.“
„Du ahnst es nicht. Ehrlich? Und kennt jemand alle auswendig?“
Colin lachte.
„Wohl kaum. Aber es gibt da bestimmte Unterscheidungsmerkmale, wie…“
„Nein, das will ich alles gar nicht wissen.“
Colin sammelte eine weitere Folie vom Boden.
< Access admitted. User: Sheldon, Timothy Maxwell, LtCdr RHSF 22043677S27568 - Download Content: Handbuch für Protokoll und höfische Formen innerhalb des Geltungsbereiches der terranischen Königswürde – Print Chapter 19>
Kapitel 19
Reihenfolge des Adels im höfischen Protokoll
19-1
Die Reihenfolge der Ehrenwürde wird grundsätzlich bestimmt durch den Titel, den die jeweilige Person innehält. An oberster Stelle steht immer und überall seine Majestät, der König. Ihm direkt nachfolgen die königlichen Hoheiten der Prinzen aus der unmittelbaren königlichen Familie. Danach folgen die Hoheiten der Prinzen aus vorherigen Linien.
19-2
Unterhalb des königlichen Hauses stehen die Hoheiten der Fürsten mit ihren Titeln als Großfürst, Kurfürst und Fürst in absteigender Reihenfolge.
19-3
Unterhalb der Fürsten stehen ihre Gnaden, die Herzöge mit ihren Titeln als Erzherzog, Großherzog und Herzog in absteigender Reihenfolge.
19-4
Unterhalb der Herzöge steht die erste Gruppe ihrer Durchlauchten, der Grafen mit ihren Titeln als Markgraf, Pfalzgraf und Landgraf in absteigender Reihenfolge.
19-5
Unterhalb der ersten Gruppe der Grafen steht die zweite Gruppe ihrer Durchlauchten, der Grafen mit ihren Titeln als Burggraf, Marquis und Graf in absteigender Reihenfolge.
19-6
Unterhalb der zweiten Gruppe der Grafen steht die dritte Gruppe ihrer Durchlauchten, der Grafen mit ihren Titeln als Earl, Comte und Viscount in absteigender Reihenfolge.
19-7
Unterhalb der dritten Gruppe der Grafen steht die erste Gruppe ihrer Exzellenzen, der Lords mit ihren Titeln als Lord, Baron und Freiherr in absteigender Reihenfolge.
19-8
Unterhalb der ersten Gruppe der Lords steht die zweite Gruppe ihrer Exzellenzen, der Lords mit ihren Titeln als Baronet, Sir und Edler in absteigender Reihenfolge.
19-9
Unterhalb der zweiten Gruppe der Lords steht die erste Gruppe ihrer Hochwohlgeborenen, der Ritter mit ihren Titeln als Seigneur, Junker und Nobilis in absteigender Reihenfolge.
19-10
Unterhalb der ersten Gruppe der Ritter steht die zweite Gruppe ihrer Hochwohlgeborenen, der Ritter mit ihren Titeln als Chevalier, Knight und Eques in absteigender Reihenfolge.
19-11
Unterhalb der zweiten Gruppe der Ritter steht die dritte Gruppe ihrer Hochwohlgeborenen, der Ritter mit ihren Titeln als Ritter, Lovag und Pane in absteigender Reihenfolge.
19-12
Unterhalb der dritten Gruppe der Ritter steht die Gruppe der ehrenwerten Herren mit ihren Titeln als Sieur, Herr und Dom in absteigender Reihenfolge.
Kapitel 20
Weitere Einreihungen in die Ehrenwürde im höfischen Protokoll
Die Reihenfolge der Ehrenwürde wird grundsätzlich bestimmt durch den Titel. Die Verleihung von Orden und Ehrenzeichen durch den königlichen Hof, die Regierung der terranischen Föderation und die militärischen Einrichtungen der Föderation an verdiente Bürger oder Militärpersonen führt für den Ausgezeichneten ebenfalls zu einer Einreihung in die Ehrenwürde.
Sollten Personen mit Adelstitel ausgezeichnet werden, bestimmt die höherwertige Ehre des Titels oder der Auszeichnung die Position in der Ehrenreihenfolge.
Es wird nicht zwischen Orden und Ehrenzeichen des königlichen Hofes oder von anderen Stellen verliehenen unterschieden, sofern sie im königlichen Amtsblatt für Orden und Ehrenzeichen gelistet und veröffentlicht wurden. (s. Kapitel 21, Anhang B)
Die Vorschläge der Verleihung von Ehrenzeichen des königlichen Hofes…
„Das sieht aber nicht so aus, als ob du das alles nicht wissen willst. Was hat dich denn zu dieser untypischen Neugier getrieben?“
Tim seufzte und lehnte sich zurück.
„Dieser bescheuerte Vortrag von Rian. Ich wollte wissen, mit wem ich es ungefähr zu tun habe und ob ich wirklich da irgendwo ganz vorne stehe.“
Colin grinste, dann wurde er ernst.
„Wirst du ganz bestimmt.“
Colin kam näher und tippte auf den obersten Orden der Bandschnallen, die Tim trug.
„Hier. Das Ding katapultiert dich automatisch zwischen 19-1 und 19-2.“
Tim runzelte die Stirn und schnappte Colin die Folie weg.
„Ja, das weiß ich jetzt auch. Aber warum? Das ist doch Schwachsinn.“
„Du bist ein Held, du hast das Königreich gerettet. In grauer Vorzeit hätte man dir die Hand der Prinzessin gereicht.“
Colin betrachtete Tim mit schräggelegtem Kopf.
„So, wie ich dich kenne, wärst du wahrscheinlich mit dem Prinzen durchgebrannt.“
Trotz seiner schlechten Laune musste Tim nun doch lachen.
Das weitere Vorgehen war kurz vor der Landung in einer allgemeinen Besprechung abgestimmt worden. Rian hatte vorgeschlagen, diese Besprechung mit der gesamten Besatzung in der Cafeteria abzuhalten.
„Bist Du sicher? Das wird wohl etwas länger dauern als eine normale Besprechung.“
„Ich weiß, aber ich möchte die Besatzung von vornherein komplett eingebunden haben. Das spart nachher Rückfragen und lange Erklärungen. Außerdem können die Männer dann auch selber Entscheidungen treffen, falls es notwendig werden sollte.“
Tim nickte erst zögernd, dann zustimmend.
Die Cafeteria war bereits komplett besetzt als Tim und Rian eintrafen. Die Männer hatten sich erhoben, doch Rian winkte ab.
„Bleiben sie bitte sitzen, meine Herren. Wie ich bereits schon bei anderen Gelegenheiten gesagt habe, hier an Bord möchte ich kein Protokoll. Wir werden auf New Terra ohnehin genug davon bekommen.“
„Der Grund, warum ich um eine Versammlung gebeten habe, ist einfach. Ich habe schlicht keine Lust, alles dreimal zu erzählen.“
Das leichte Gelächter hinterließ etliche deutlich entspannte Gesichter.
„Der erste Punkt auf meiner Liste ist die Ankunft auf New Terra. Wir werden irgendwo auf dem Landefeld neben dem Palast runtergehen. Das höfische Protokoll erwartet von mir, dass ich für meinen Aufenthalt auf Terra II in den Palast umziehen und dort eine der Suiten beziehen werde. Diese Unterkunft soll dann auch für alle Treffen, Empfänge, Essen und sonstigen Veranstaltungen meinerseits genutzt werden.“
Fragend sahen sich die Männer ringsum an. Das könnte kompliziert werden.
„Ich werde mich allerdings auf meinen Status als Soldat der Special Forces berufen und dem Palast mitteilen, dass ich für die Dauer des Aufenthaltes hier an Bord verbleiben werde. Aus diesem Grund werden auch alle Events bis auf ein absolutes Minimum gestrichen.“
Nun wurden erstaunte Blicke gewechselt.
„Das bedeutet natürlich, dass niemand – und ich wiederhole, niemand – vom Personal des Palastes hier an Bord kommt, ohne meine ausdrückliche persönliche Erlaubnis. Die GOLDEN BOY ist ein Schiff der Special Forces und gehört somit zur Raumflotte der Föderation und nicht zur Household Navy des Königs. Die Angehörigen und Bediensteten des Palastes haben keine Zutrittsberechtigung.“
Rian bemerkte die etwas verdutzten Blicke einiger Besatzungsmitglieder und seufzte.
„Diejenigen, die nachher draußen stehen, werden sehr schnell erfahren, warum ich das so betone. Das Personal des Palastes hat sich im Laufe der Jahre, nein Jahrhunderte, die Ansicht zu Eigen gemacht, alles auf Terra II unterstünde ihrem Kommando. Dabei sind sie rechtlich gesehen, lediglich Angestellte einer privaten Firma, nämlich des Königshauses. Das hat zwar einige Privilegien, aber die beziehen sich auf die Mitglieder des Hauses und nicht auf deren Personal.“
Ein leichtes Kopfnicken bei einigen zeigte Rian, dass sie ihn wohl verstanden hatten.
„Dann zum nächsten Punkt. Vor dem Schiff wird der übliche Doppelposten der Marines aufziehen. Ich möchte gerne, dass unsere Truppe dort mit ihren neuen schwarzen Kampfpanzerungen steht und klar zeigt, wer hier residiert. Ebenso möchte ich gerne, dass jede Schicht der Marines von einem Offizier begleitet wird. Der kann und soll dann eingreifen, wenn die Situation es erforderlich machen sollte.“
Scion Rhyder hob die Hand.
„Die Offiziere auch in Kampfpanzerungen?“
„Wie? Oh, nein. Ich denke, wir sollten bei ihnen etwas mehr hermachen. Ich würde vorschlagen, Paradeuniform. Nummer 1, Sword and Medals.“
Scion Rhyder hob seine Augenbrauen und Philip Cameron lehnte sich aufseufzend in seinem Stuhl zurück. Bei seiner geringen Körpergröße hatte er immer ein wenig Schwierigkeiten, mit dem Säbel klar zu kommen.
Rian hob eine Hand, um wieder etwas mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
„Der zweite Teil meiner Ausführungen wir noch etwas komplizierter. Zur Generalaudienz werden mich ein Teil der Leute begleiten. Vier Marines mit einem Offizier als Ehrenwache und LtCdr Sheldon in seiner Eigenschaft als Kommandant des Schiffes. Das wäre alles nicht so tragisch, gäbe es da nicht das höfische Protokoll.“
Scion Rhyder gab einen klagenden Laut von sich und Rian sah spöttisch zu ihm herüber.
„Tut mir leid, aber das muss jetzt sein. Also, das Protokoll. Hier dreht sich alles um den Adel und die Stellung der einzelnen Adligen innerhalb ihrer Rangfolge. Das ist für uns deshalb interessant, weil der größte Teil der Bediensteten im Palast alle Personen entsprechend ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Rangfolge behandeln.“
Wie erwartet sah Rian wieder ratlose Gesichter vor sich.
„Nehmen wir die Special Forces als Beispiel. Im Palast wird inzwischen jeder, vom Haushofmeister bis zum Teppichklopfer, informiert sein, dass es unsere Truppe gibt und wer ihr Chef ist. Sie werden also einigermaßen höflich auftreten, um sich nicht den Zorn eines Reichsfürsten zuzuziehen. Schon manche Karriere im Palast ist an der schlechten Laune eines Adligen gescheitert. Umgekehrt fällt natürlich schlechtes Benehmen zurück auf mich.“
Ganz in der Ecke erhob sich zögernd eine Hand.
„Ja, bitte? Private Kennedy, wenn ich richtig sehe.“
„Jawohl, Sir. Was ist, bitte, eine vermeintliche Rangfolge?“
„Oh, sehr gut. Das ist eine der berühmten Fußangeln im Protokoll. Es ist eine nicht offizielle Rangfolge, die von vielen Bediensteten genutzt wird, indem ein höherrangiger Adliger mehr oder weniger subtil übergangen wird. Bestes Beispiel wieder ich. Der offizielle Adelstitel ist Fürst. Darüber gibt es allerdings noch den Großfürsten. Viele Bedienstete haben schon mal, rein ‚unabsichtlich‘ natürlich, einen Großfürsten übergangen, weil sie der Ansicht sind, dass ich als Mitglied der Königlichen Familie vorrangiger behandelt werden sollte.“
„Kann uns jemand von den Leuten im Palast irgendwelche Befehle erteilen?“
StCpl Fraser war selbst im Sitzen kaum zu übersehen und Rian nickt ihm zu.
„Sehr bedingt. Die Special Forces sind ein neuer und unabhängiger Truppenteil. Sie sind extra dafür geschaffen worden, dass nichts und niemand darauf so einfach zugreifen kann. Die einzigen, die ihnen Befehle erteilen dürfen sind ihre direkten Vorgesetzten und ich als Kommandeur. Und dann natürlich noch seine Majestät persönlich.“
Der Admiral machte eine kurze Pause und sah sich um.
„So, seine Majestät war da schon das richtige Stichwort. Wir sind bei dem Thema Generalaudienz stehen geblieben. Alle Teilnehmer der Generalaudienz werden in einem Vorraum gesammelt, um dann dort vom Haushofmeister in die richtige Reihenfolge gebracht zu werden. Das passiert natürlich nicht durch ihn persönlich, sondern durch sein Personal. Und dieses Personal hat die unangenehme Eigenschaft, besondere Personen nach vorne zu bringen und andere Personen, die ihnen nicht so genehm sind, weiter hinten zu platzieren. Das müssen wir auf jeden Fall verhindern. Sollte nicht grade ein Angehöriger der königlichen Familie anwesend sein, werde ich der erste in der Reihenfolge sein. Direkt dahinter folgt Lieutenant Commander Sheldon.“
„Sollte nicht das Personal des Haushofmeisters die richtige Reihenfolge kennen?“
„Selbstverständlich. Aber wie ich grade bereits ausgeführt habe, tendiert dieses Personal manchmal dazu, seine eigenen Vorstellungen umzusetzen. Die vier Marines der Ehrenwache sind hauptsächlich dazu da, um die ganzen Hofschranzen abzuschrecken. Was in dem erwähnten Vorraum etwas schwierig ist, denn dort treffen ja auch die ganzen anderen Adligen aufeinander. Der begleitende Offizier sollte in der Lage sein, die Adligen vom Hofpersonal zu unterscheiden und entsprechend abzulenken.“
Fast alle Offiziere sahen automatisch zu Philip Cameron.
„Was ist? Wieso starrt ihr mich alle so an?“
„Du bist doch derjenige, der sich die ganzen Dokus und die Soaps über das Königshaus reinzieht. Du bist derjenige, der am meisten Ahnung hat.“
Philip sah den Doktor entsetzt an.
„Was? Ich? Das sind doch nur Soaps, das hat doch mit der Realität nichts zu tun. Ich könnte ja nicht einmal einen Herzog von einem Grafen unterscheiden.“
Rian sah Philip grinsend an, dann überlegte er einen Moment.
„Dann erklär mir mal den Farbverlauf der Ordensschärpen beim Hochadel.“
„Huh? Also Rot für die Fürsten, Grün für die Herzöge und Blau für die Grafen.“
Tim Sheldon grinste Philip nun ebenfalls an.
„Philip, you have it.“
Der Flug nach New Terra war problemlos gewesen, doch schon die Landung sorgte für Aufregung.
„HMSFS GOLDEN BOY, hier New Terra-Control. Sie haben keine Landeerlaubnis. Bitte warten sie, bis ihnen ein Landeplatz zugeteilt werden kann. New Terra Ende.“
SCPO Parker sah von der Kommunikationskonsole auf und blickte seinen Kommandanten an.
„Zu mir auf den Kanal.“
Parker nickte und gab dann ein Handzeichen.
„New Terra-Control, hier HMSFS GOLDEN BOY. Wir haben einen designierten Landeplatz. Wir sind vorgesehen für P1-Segment 14. Over.”
“Negative, GOLDEN BOY. Das ist der Landeplatz des Königspalastes. Was glauben sie denn, wer sie sind?”
“Ich glaube, sie sollten unseren ID-Code besser kontrollieren.”
Der Sprechkanal blieb erstaunlicherweise offen und man konnte im Hintergrund undefinierbare Geräusche hören. Plötzlich meldete sich eine andere Stimme.
„HMSFS GOLDEN BOY, hier New Terra-Control. Landefreigabe für P1-14 erteilt. Bitte folgen sie Peilstrahl grün-1-1-1-4, ich wiederhole grün-1-1-1-4. New Terra Ende.“
Tim Sheldon trennte die Verbindung, dann murmelte er
„Wenn das mal alles gut geht.“
Der Landplatz P1 befand sich tatsächlich in direkter Nähe zum Königlichen Palast. Mit der Bezeichnung Palast verbanden die meisten Leute immer noch romantische Vorstellungen eines weitläufigen, von einem Park umgebenen Prunkbaus von der alten Erde, doch dieser hier hatte damit keinerlei Ähnlichkeit. Der Königliche Palast bestand aus einer ganzen Anzahl von ineinander verschachtelten Wolkenkratzern, die unterirdisch fast noch einmal soweit reichten wie sie in den Himmel ragten.
Als das leise Summen der Generatoren verstummt war, sah Tim Sheldon nachdenklich hinaus auf die Landefläche. Es waren gerade mal 200 Meter bis zu einem der Eingänge des Palastes, doch sie würden wahrscheinlich die beiden Bodengleiter benutzen müssen. Ganz am Rande bekam er mit, wie Scion Rhyder der Brücke meldete, dass die Gangway ausgefahren und ein Doppelposten dort aufgezogen war.
Der erste dieser Doppelposten bestand aus Corey Price und Andrew Fraser. Sie trugen die neuen schwarzen Kampfpanzerungen mit dem Stern, jedoch ohne Helm. Bewaffnet war jeder mit einer Laserpistole.
Als sich vom Palast her ein Fahrzeug näherte, stieß Corey Price seinen Kameraden leicht an.
„Ich hab‘ fünf Credits gewonnen.“
Andrew Fraser grunzte leise. Sie hatten gewettet, wie lange es dauern würde, bis sich aus dem Palast jemand zeigen würde. Corey hatte klar gewonnen. Es waren deutlich weniger als fünf Minuten.
Das Fahrzeug fuhr dicht vor die Gangway und ein untersetzter Mann in einer bunten Uniform mit einer ganzen Anzahl von Abzeichen stieg aus. Hinter ihm kamen zwei weitere Männer in einer ähnlichen Uniform, aber mit deutlich weniger Abzeichen aus dem Gleiter geklettert.
Mit kurzen, schnellen Schritten strebte der Besucher nun zur Gangway und blieb abrupt stehen, weil die beiden Posten vor - und nicht neben dem Aufgang standen.
„Macht Platz! Ich bin der Graf von Falanthar, Dritter Assistent des Haushofmeisters und Stellvertreter des Leiters für königliche Protokollfragen. Ich beabsichtige den Reichsfürsten aufzusuchen.“
Corey Price grinste in sich hinein, ohne das Gesicht zu verziehen. Der Reichsfürst hatte ihnen für einen solchen Fall genau Instruktionen gegeben.
Andrew Fraser sah anscheinend völlig unbeteiligt auf den Hofbeamten herab und beschied kurz und bündig.
„Der Reichsfürst empfängt heute nicht.“
Die beiden Posten mussten sich sehr zusammen nehmen, um nicht laut loszulachen, denn der Herr dritte Assistent lief zunächst rot an wie eine Tomate. Sein Gesicht war eine Mischung aus tiefem Erstaunen und selbstgerechtem Zorn.
„Was soll das heißen, der Reichsfürst empfängt heute nicht?“
„Genau das, was ich bereits gesagt habe. Der Reichsfürst empfängt heute nicht.“
Die beiden Begleiter des Grafen fingen aufgeregt an zu tuscheln und verstummten schlagartig, als der Graf herumfuhr und sie mit einem tödlichen Blick bedachte. Dann wandte er sich wieder an die beiden Posten.
„Das ist unmöglich. Es muss doch dringend die Unterbringung geklärt werden. Das ganze Personal ist schon auf Abruf. Dann die noch offenen Protokollfragen. Ich muss eindringlich darauf bestehen, sofort zum Reichsfürsten vorgelassen zu werden. Rufen sie gefälligst ihren vorgesetzten Offizier.“
Das war das Stichwort für Scion Rhyder. Langsam kam er die Gangway herab, im Gegensatz zu den Posten trug er tatsächlich die komplette Paradeuniform. Die Posten traten etwas zur Seite, so dass er sich genau zwischen sie stellen konnte. Keine Chance für den Grafen, an ihnen vorbei zu kommen.
„Ich habe gehört, es gibt ein Problem?“
Der Graf musste immer noch leicht seinen Kopf heben, um nun auch mit 1stLt Rhyder sprechen zu können.
„Allerdings! Ich bin der Graf von Falanthar, Dritter Assistent des Haushofmeisters und Stellvertreter des Leiters für königliche Protokollfragen. Es ist unabdinglich notwendig, dass ich sofort seine Hoheit, den Reichsfürsten aufsuche. Die Angelegenheiten dulden keinen Aufschub.“
Auch Scion Rhyder war vorher genau instruiert worden.
„Das ist tragisch, aber der Reichsfürst empfängt heute nicht.“
Der Mund des Grafen hatte sich zu einem lautlosen Oh geöffnet und seine Augen schienen hervorzuquellen.
„Aber… aber…“
Dann straffte sich die Gestalt des Grafen etwas und mit der gesammelten Autorität seiner Masse baute er sich vor Scion Rhyder auf.
„Ich verlange, sofort vor den Reichsfürsten gebracht zu werden!“
„Wie bereits mehrfach erwähnt, der Reichsfürst empfängt heute nicht.“
Der Graf von Falanthar hatte sich inzwischen in Rage geredet und so kam es, wie es kommen musste.
„Machen Sie sofort Platz! Dies hier ist der königliche Palast und das Personal des Haushofmeisters hat unbeschränktes Hausrecht!“
Scion Rhyder versah den Grafen mit einem mitleidigen Lächeln.
„Sie verkennen offenbar die Sachlage. Hier ist keineswegs der Palast. Sie befinden sich auf dem Landeplatz der HMSFS GOLDEN BOY und somit auf dem Gebiet der Royal Navy Special Forces. Ich empfehle Ihnen dringlichst, sich zu mäßigen, ansonsten werden sie aus diesem Gebiet entfernt. Was seine Hoheit angeht, bin ich in der Lage, Ihnen sagen zu können, dass er aus dienstlichen Gründen nicht die Zeit finden wird, seine Gemächer im Palast aufzusuchen. Er wird weiterhin hier im Schiff residieren. Damit wird dem ausdrücklichen Wunsch seiner Hoheit entsprochen.“
Der Graf starrte Scion an und kämpfte mit seiner Schnappatmung.
„Aber… aber… Das ist unmöglich! So etwas ist im Protokoll nicht vorgesehen!“
„Soweit mir bekannt ist, unterliegt seine Hoheit in seiner Eigenschaft als Reichsfürst auch nur bedingt dem höfischen Protokoll.“
„Ja, aber was ist denn mit dem Empfang? Es ist für Morgen ein Dejeuner geplant, für das sich bereits mehrere hochrangige Gäste angesagt haben.“
Scion Rhyder hob leicht die Augenbrauen und sah den Grafen fast mitleidig an.
„Dann muss ihnen eben abgesagt werden. Wie nun schon mehrmals erwähnt, residiert seine Hoheit, der Reichsfürst hier an Bord. Und hier an Bord findet morgen Vormittag ein Brunch mit geladenen Gästen statt. Die Gästeliste hat seine Hoheit persönlich erstellt und die geladenen Personen haben bereits zugesagt. Ich fürchte, ihre etwas verfrüht geplantes Essen muss leider ausfallen.“
Der Graf von Falanthar erbleichte und sah Scion entsetzt an.
„Aber, das ist doch bereits alles zugesagt…“
„Zugesagt? Von wem? Ich bezweifle sehr, dass seine Hoheit seine Zustimmung dafür gegeben hat.“
„Aber das Protokoll sieht ausdrücklich…“
„Noch einmal. Der Reichsfürst unterliegt nicht in vollem Ausmaß dem Protokoll und hier an Bord eines Schiffes der Royal Navy Special Forces schon gar nicht. Ich würde sagen, ich habe die Situation eindeutig und ausreichend erklärt. Guten Tag.“
Zornesrot fuhr der Graf herum und blaffte seine beiden Begleiter an, die äußerst schnell im Gleiter verschwanden. Dann zwängte er sich ebenfalls hinein und der Gleiter brauste in Richtung des Palastes davon.
„Na, wenn das nicht mal ein Bisschen zu viel war.“
Scion sah Corey Price an und zuckte mit den Schultern.
„Werden wir ja sehen.“
Zurück im Hangar ging Scion direkt zur Überwachungsanlage, wo Rian immer noch auf den Monitor starrte. Scion sah den jungen Admiral direkt an.
„Ich fürchte, wir haben jemanden ganz schön verärgert.“
„Das macht nichts. Aber ich hätte nicht vermutet, dass sie so einen Depp schicken. Normalerweise ist das Personal des Haushofmeisters professionell genug, um solche Situationen zu meistern.
„Hoffentlich schicken sie nicht noch so einen.“
„Nein, das glaube ich nicht. Da werden sich jetzt erst mal welche beraten. Wir werden ja sehen, wie die Reaktion morgen Vormittag ausfällt, wenn meine Gäste eintreffen.“
Der nächste Morgen war mit den Vorbereitungen für den kleinen Empfang an Bord ausgefüllt. In der Kombüse und der Pantry war das Personal schon hektisch bei der Arbeit, als Rian hereinschaute und David Florent zu sich winkte.
„Wir haben ein kleines Problem.“
David sah den jungen Reichsfürsten fragend an.
„Mein Onkel hat mich gerade angerufen. Das Personal des Haushofmeisters hat sich wohl lang und breit über unsere Umgehung des Protokolls beschwert. Insbesondere, dass sie bei einem Empfang, sei er auch noch so klein, nicht berücksichtigt worden sind. Sie sind immer noch der Ansicht das nur sie alleine alle Fragen des Protokolls angemessen handhaben können.“
„Und was bedeutet das für uns?“
„Der Haushofmeister wollte uns über meinen Onkel das Personal für den Brunch aufschwatzen. Da er aber selber herkommen wird und weiß, wie die das Handhaben, hat er sie auf ein Mindestmaß abgebügelt. Er konnte den Haushofmeister bis auf einen Mann runterhandeln. Das wird sozusagen der Ehrendienst des Palastes sein und hauptsächlich seiner Majestät beim Empfang zur Verfügung stehen.“
David überlegte, wie sich der Palast denn ein Brunch vorstellte. Bei ihnen würde es ein ganz normales Buffet ohne Bedienung am Platz geben.
Rian wollte noch ein paar Erklärungen abgeben, wurde jedoch von einem Anruf unterbrochen.
„Verzeihung, Sir. Vor dem Schiff stehen zwei Personen und sagen, sie seien auf Befehl seiner Majestät erschienen. Lieutenant Cameron hält sie gerade auf.“
Rian entschuldigte sich bei David und rannte hinunter zur Überwachungsanlage. Tatsächlich, vor dem Schiff standen zwei Personen. Die eine war ein junger Mann in der Livree der persönlichen Bediensteten des Königs, der andere war der Graf von Falanthar.
Philip Cameron hatte trotz gegenteiliger Befehle auf den Säbel zur Paradeuniform verzichtet. Es hatte ihm gereicht, dass er auf dem Weg von seiner Kabine bis zur Schleuse zweimal darüber gestolpert war.
Mit energischem Gesicht trotzte er nun der Wortflut des Grafen, der sich schon wieder in Rage geredet hatte.
„…eine deutliche Anweisung seiner Majestät.“
„Das mag ja alles sein, aber…“
Philip wurde unterbrochen durch eine kurze Anweisung von Rian, der sich über das Ohrstück gemeldet hatte, dass jeder der Wachsoldaten trug.
„Aha. Ich habe soeben die Anweisung bekommen, den jungen Mann in ihrer Begleitung einzulassen, sofern es sich tatsächlich um die angekündigte Person handelt. Von einem Zugang ihrerseits ist allerdings keine Rede.“
„Was!? Das ist ungeheuerlich! Ich bin autorisiert, diesen Mann in seine Aufgaben direkt vor Ort einzuweisen und ihn während seines Dienstes zu überwachen.“
Jetzt zeigte Philips Gesicht ein freundliches, ja erwartungsvolles Lächeln.
„Autorisiert? Möglicherweise, was die Einweisung und Überwachung angehen. Nicht jedoch, was den Zugang zum Schiff betrifft. Wie sie ihre Arbeiten ausführen wollen, entzieht sich unserer Kenntnis, zumindest wird es nicht hier an Bord stattfinden.“
Mit innerer Freude bemerkte Philip, wie der junge Mann aus den Augenwinkeln heraus den Grafen beobachtete und sich sichtlich ein Lächeln verkneifen musste.
Der Graf hatte wieder einmal eine äußerst ungesunde Gesichtsfarbe angenommen und drehte sich abrupt um.
„Los! Mitkommen,“ zischte er dem jungen Mann zu, doch der verharrte noch etwas unsicher, den Blick auf Robin Yeats gerichtet, dessen Ohren belustigt hin und her spielten. Seufzend drehte der junge Mann sich ebenfalls um.
„Halt!“
Sowohl der Graf als auch der junge Mann erstarrten in ihren Bewegungen.
„Sie sind uns nicht vorgestellt worden, doch ich habe den Äußerungen des Grafen von Falanthar entnommen, dass sie hier an Bord bei dem Empfang arbeiten sollen.“
„Ashton Spencer, Sir. Jawohl, Sir.“
„Nun, Mister Spencer. Wohin wollen sie denn jetzt? Hier wartet Arbeit auf sie.“
Der Graf fuhr herum und starrte fast entsetzt auf Philip.
„Das ist vollkommen unmöglich! Ohne genaue Einweisung und Überwachung ist es einem Diener der fünften Klasse nicht gestattet, unbeaufsichtigt an Banketten und Empfängen mit Anwesenheit seiner Majestät aufzuwarten.“
„Ich nehme an, das bezieht sich auf das Protokoll des Palastes. Hier an Bord unterliegt er aber nicht diesem Protokoll. Hier gelten die Vorschriften des Navy Manual 115 für militärische protokollarische Fragen und im Zweifelsfall das Navy Manual 571 in Verwaltungsfragen für Küchendienst und Service.“
Beide Posten, Robin Yeats und Liam Kennedy, musterten neugierig den Grafen und fragten sich, ob der dauernde Stress nicht seine Gesundheit beeinträchtigte. Die Gesichtsfarbe deutete ganz klar auf einen viel zu hohen Blutdruck.
„Ich protestiere auf das Energischste! Der junge Mann ist in keiner Weise qualifiziert, um seiner Majestät aufzuwarten. Der Haushofmeister wird sofort von mir über diesen ungeheuerlichen Vorgang informiert werden.“
„An ihrer Stelle würde ich mir das überlegen.“
Philips Stimme wurde nun deutlich leiser.
„Für mich sieht es gerade so aus, als ob sie einen nicht ausgebildeten Diener als Vorwand dafür zu nutzen gedenken, um an Bord zu kommen. Sie wollen doch sicherlich nicht, dass seine Majestät den Haushofmeister auf diesen unbedeutenden Sachverhalt hinweisen muss.“
Der Graf erbleichte sichtlich, drehte sich brüsk um und bestieg seinen wartenden Gleiter. Philip sah dem abfliegenden Gleiter einen Moment hinter, dann wandte er sich an den neuen Diener.
„So, Ashton. Dann wollen wir dich mal an Bord bringen.“
Im Frachtraum, dicht bei der Bodenschleuse, stand Rian nachdenklich an der Überwachungsanlage.
„Ich denke, das war ein Bisschen viel, Philip. Die letzte Bemerkung könnte er als Drohung auffassen. Denk dran, Leute wie er sind nachtragend und rachsüchtig.“
Philip Cameron zuckte nur mit den Schultern und deutete auf den jungen Mann in seiner Begleitung.
„Das ist Ashton Spencer. Ich weiß nicht, wie und warum er ausgewählt worden ist, aber er wird nun wohl derjenige sein, der uns allen die Erleuchtung über das Protokoll bei kleinen Empfängen geben wird.“
Ashton sah erschreckt zu Philip und dann erst erkannte er Rian in seiner schlichten Uniform. Vollkommen eingeschüchtert verbeugte er sich tief.
„Du bist also Ashton.“
„Ja, Eure Hoheit.“
„Und weiter? Was hat dich ausgerechnet zu einem Auftrag wie diesem verschlagen? Nein halt, das kann ich mir auch so denken. So wie es gerade abgelaufen ist, nehme ich an, dass Lieutenant Cameron recht hatte mit seiner Vermutung.“
Rian musterte den Burschen kurz.
„Wie alt bist du eigentlich und seit wann arbeitest du im Palast? Ich dachte, dafür gibt es eine besondere Ausbildung.“
„Siebzehn, eure Hoheit. Ich komme von Quintus II. Ich war dort im Waisenhaus und habe an der Verlosung teilgenommen. Der Gewinner darf an der jährlichen Auswahl für das Personal des Palastes teilnehmen.“
David Florent war zur Bodenschleuse gekommen, denn er war neugierig, wen der Palast ihnen denn nun geschickt hatte. Er trat näher und besah sich den Jungen eingehend. Das mit dem Alter konnte stimmen. Er war ein kleines bisschen kleiner als David und ziemlich schlank. Die Livree, bestehend aus einem Frack mit Weste und Kniehosen fand David etwas abgefahren, aber das war ja hier wohl so üblich.
Der Junge hatte schwarze Haare und braune Augen. Die Haut war hell und hob sich stark von der Haarfarbe ab. Hm, Quintus II? David würde nachlesen müssen. Alles in allem sah der Junge auf jeden Fall ganz gut aus und David überlegte, ob er sich wohl in die Besatzung einfügen würde oder ob er das Schiff nach dem Empfang vollkommen verschreckt verlassen würde.
Im Hintergrund hatte sich die nächste Schicht fertig gemacht zur Wachablösung und Robin und Liam kamen herein. Vollkommen selbstverständlich gingen sie zu den Spinden und legten ihre Kampfpanzerungen ab. Nur noch mit den hautengen Jumpsuits bekleidet strebte Liam die Treppe hinauf, während Robin zu David ging.
Alle umstehenden grinsten, als Robin dicht an David herantrat und dieser ihn zu sich heranzog. Mit einer Hand griff David nach dem Nacken des Felidaners, zog seinen Kopf etwas herab und küsste ihn.
Alles lachte, während Ashton mit großen Augen auf die beiden starrte.
„Was ist? Noch nie jemanden beim Küssen gesehen?“
Ashton fuhr herum und erstarrte fast wieder, als er in die grauen Augen des Reichsfürsten sah.
„Do… doch, eure Hoheit. Ich hätte nur nicht gedacht…“
„Was hättest du nicht gedacht? Dass es zwei Männer sind? Oder zwei Soldaten? Oder ein Marine? Oder etwa ein Felidaner?“
Ashton wand sich jetzt sichtlich.
„Ich…, also das mit den Männern ist mir egal. Auf Quintus II gab es keine Felidaner. Ich habe noch nie einen gesehen. Zumindest nicht so nah. Ich habe immer gedacht, sie sind… äh, also sie sind etwas mehr…“
Robin fuhr herum und funkelte den Jungen aus seinen gelben Augen an.
„Sie sind was? Tiere?“
Ashton zuckte panikartig zurück.
„Nein, nein, nein! Das habe ich nicht gemeint. Es ist nur so, bei uns im Heim wurde immer erzählt, Felidaner sind groß, stark, wild und kämpferisch. Ich hätte nie geglaubt…“
Robin schüttelte ungläubig seinen Kopf.
„Das ein großer, starker, wilder und kämpferischer Felidaner schwul sein könnte? Du willst mich bestimmt nicht erleben, wenn ich wild und kämpferisch bin. Was das Große und Starke betrifft, solltest du mal David fragen.“
Ashton sah irritiert zu David, bis ihm die Zweideutigkeit in der Aussage auffiel und er knallrot anlief.
„Robin, du bist ein Idiot. Los, Ashton, komm mit. Wir gehen erst einmal in die Küche. Dort können wir in Ruhe reden.“
Alle sahen belustigt Ashton hinterher, der von David an einem Ärmel gezogen in Richtung der Küche verfrachtet wurde.
Der Empfang am Vormittag verlief ruhig und ungestört. Da seine Majestät persönlich daran teilnahm, wagte vermutlich niemand aus dem Palast, die Veranstaltung zu stören.
Der König hatte mit Erstaunen die Anwesenheit eines Dieners aus dem Palast wahrgenommen und fragte Tim Sheldon in einer ruhigen Minute danach. Der erklärte ihm die Vorgeschichte und der König schüttelte nur wortlos den Kopf.
„Der Haushofmeister darf in meinem Namen personelle Entscheidungen in den niedrigen Bereichen Treffen. Anscheinend hat man ihn damit etwas überfahren. Sie versuchen es immer wieder. Ich weiß, ehrlich gesagt nicht, was sie sich davon erhoffen. Außerhalb des Palastes haben die Funktionen der Würdenträger keinerlei Bedeutung. Mal abgesehen von den gesetzlich garantierten Privilegien der entsprechenden Adelsstufen.“
„Vielleicht versuchen sie ja, eine Möglichkeit zu finden in ihrem Rang aufzusteigen?“
König Simon hob amüsiert die Augenbrauen.
„Aufstieg wäre ein Rückschritt. Wenn ich jemanden in den Adelsstand erhebe, dann kann das nur ein Titularrang sein, der nicht vererbt wird. Damit würde der ererbte Titel, so einer vorhanden, an den nächsten berechtigten Verwandten fallen. Und der eigentliche Träger wäre zwar aufgestiegen, doch seine Erben hätten nichts davon.“
Tim schüttelte den Kopf. Schon wieder diese ganzen schwindligen Regelungen. Er war heilfroh, dass er keinen Titel besaß.
„Aber es gibt da eine Kleinigkeit, um die ich sie bitten muss, Commander Sheldon.“
„Eure Majestät?“
„Dieser junge Mann, mit dem sich das Haushofmeisterpersonal einzuschleichen versucht hat. Gibt es eine Möglichkeit, ihn hier an Bord zu belassen?“
„Bitte?“
„Sehen sie Commander, wenn er in den Palast zurückkehren sollte, dürfte er sich wohl dem Zorn des Haushofmeisterpersonals ausgesetzt sehen. Sie können zwar nichts Offensichtliches tun, aber ihm das tägliche Leben etwas schwerer machen. Ich kenne solche Fälle zur Genüge, auch wenn viele glauben, ich hätte keine Ahnung, was hinter den Kulissen vor sich geht.“
„Oh, ich verstehe. Den Letzten beißen die Hunde. Einer muss ja schuld sein an dem Debakel mit dem Empfang heute. Ich werde mit dem Ersten Offizier sprechen und wir sehen dann, was wir tun können.“
„Sehr schön. Ich werde sie so in etwa zehn Minuten verlassen. Die restlichen Gäste werden dann der Etikette folgend, ebenfalls innerhalb der nächsten halben Stunde verschwunden sein. Da haben sie noch ausreichend Zeit, sich auf die Generalaudienz heute Nachmittag vorzubereiten. Wir sehen uns dann dort.“
„Jawohl, eure Majestät.“
Tim gab Scion Rhyder ein verabredetes Zeichen und der ließ seine Soldaten zur Verabschiedung der Gäste vor dem Schiff antreten. Derweil suchte Tim nach seinem Ersten Offizier.
Brandon Taylor stand zusammen mit Christoph deCoeur an der Essensausgabe der Kombüse, die im Moment als Bar diente. Als Tim sich näherte unterbrachen die beiden ihr Gespräch.
„Mister Taylor, wir haben ein Problem.“
Das Lächeln auf Tims Gesicht widersprach deutlich seiner Aussage und so sahen die beiden Offiziere ihm neugierig entgegen.
In einigen kurzen Sätzen erklärte Tim das Problem, mit dem Ashton im Palast konfrontiert werden würde. Die Schwierigkeit war, den jungen Mann an Bord zu behalten, ohne einen Aufstand beim Haushofmeister anzuzetteln.
Christoph deCoeur grinste breit.
„Das ist doch ganz einfach.“
Nun hatte er die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Kommandanten und des Ersten Offiziers.
„Dieser Graf Dingsda hat doch versucht, ihn mit aller Gewalt an Bord zu bringen. Die Ausrede war ja wohl auch, dass nur das Personal des Palastes ausreichend qualifiziert wäre, dem Reichsfürsten – wie war die Formulierung? Aufzuwarten? Na, und nun hat der Reichsfürst sich eben entschlossen, den Vorschlägen des Haushofmeisters nachzukommen und einen persönlichen Diener aus dem Palast zu sich zu nehmen.“
„Sie werden versuchen, ihn auszutauschen.“
„Glaube ich nicht. Nicht, nachdem der Reichsfürst die fragliche Person höchstpersönlich begutachtet und für seine Dienste als Diener in höchstem Maße als geeignet befunden hat.“
Brandon Taylor sah seinen Partner erstaunt an.
„Guckst du jetzt auch schon diese ganzen Seifenopern aus dem Palast?“
Christoph lachte.
„Nein. Ich habe mich nur daran erinnert, was unser Taktik-Lehrer mal gesagt hat. Wenn möglich, versucht den Feind mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Das war zwar nur symbolisch gemeint, passt aber ganz gut.“
Tim nickte.
„Die Idee ist nicht schlecht. Jetzt muss ich nur noch Rian davon überzeugen, dass er plötzlich einen persönlichen Diener hat.“
Die Vorbereitungen für die Generalaudienz im Palast liefen an Bord auf Hochtouren. Der Reichsfürst und seine Begleitung würden mit den beiden neuen Fahrzeugen bis zur großen Empfangshalle gefahren und dort dann zum Thronsaal geleitet werden.
Beide Fahrzeuge waren mehrfach überprüft worden und einsatzbereit, dennoch kreiste SFCPO Joyce durch den Hangar. Vor Phillipp Sanders und Roger Phelps blieb er stehen. Sie waren die Fahrer für die beiden Bodengleiter.
„Und wehe ihr verreißt was. Die halbe Galaxis sieht zu. Außerhalb des Palastbereiches haben sich mindestens ein Dutzend planetare und interplanetare Holosender aufgebaut. Die versuchen schon die ganze Zeit über, den Admiral einzufangen. Also keine Stunts.“
Die beiden Techniker verdrehten die Augen und sahen sich dann an. Das war schon die dritte Ansprache in zehn Minuten. Chief Joyce war anscheinend ein ganz kleines Bisschen nervös.
Auf der Treppe gab es Bewegung und die Fahrer eilten zu ihren Gleitern.
Als erster erschien Philip Cameron in seiner Paradeuniform. Den Säbel musste er dieses Mal tragen und war nicht gerade glücklich darüber. Hinter ihm erschienen die vier Marines für die Ehrenwache. Sie waren nach ihrer Größe ausgewählt worden und trugen alle ihre schwarzen Kampfpanzerungen ohne Helm. Bis auf den Stern des Reichsfürsten hatten die Kampfpanzerungen keine weiteren Abzeichen oder Kennungen. Bewaffnet war jeder mit einem TLX-Marine-Laser, der schwersten Handwaffe, die es in den Streitkräften der Föderation gab. Alle fünf Soldaten trugen deutlich sichtbar in Mini-Headset. Ein klarer Hinweis darauf, dass sie nicht nur zur Zierde da waren.
Die Wache gruppierte sich rund um den CROWN und sicherte nach allen Seiten.
Nun erschienen auch der Admiral und Lieutenant-Commander Sheldon. Waren die Uniformen der Soldaten deutlich schlicht gehalten, war die des Admirals das genaue Gegenteil.
Die Paradeuniform war elegant und maßgeschneidert, doch die schwarze Farbe verschwand fast unter den ganzen Orden und den beiden Schärpen, die der Admiral trug.
Tim Sheldon trug ebenfalls die Paradeuniform der Special Forces, die jedoch längst nicht so dekoriert war wie die von Rian. Am auffälligsten war bei ihm jedoch das schlichte rostrote Ordensband mit dem kleinen Kreuz, das er um den Hals trug.
Rian ging anscheinend völlig unbeeindruckt zu seinem Gleiter und stieg ein. Tim folgte in einem angemessenen Abstand.
Der CROWN war ein Luxusmodell und für den Gebrauch bei Hofe zugeschnitten. Im vorderen Teil gab es die üblichen Plätze für Fahrer und Beifahrer, der hintere Teil bestand aus einem größeren Raum mit zwei gegenüberliegenden Sitzbänken. Rian nahm auf der hinteren Sitzbank mit Blickrichtung nach vorne Platz, Tim ihm gegenüber.
Erst als sich die Türen des CROWN geschlossen hatten, verließ die Wache ihre Positionen und begab sich zu ihrem Fahrzeug.
„GB von Eagle 1. Fertig zur Abfahrt.“
„GB von Eagle 2. Fertig zur Abfahrt.“
Brandon Taylor saß auf der Brücke im Sessel des Kommandanten und lauschte dem Funkverkehr. Sie würden hier eine Wache rund um die Uhr gehen und die GOLDEN BOY in Bereitschaft halten mit 15-minütiger Vorwarnzeit.
„Eagle 1 und Eagle 2 von GB. Start Mission.“
Das Hangartor der GOLDEN BOY wurde geöffnet und die Rampe ausgefahren. Langsam bewegten sich die beiden schweren Gleiter hinaus. Sie überquerten die Landefläche und bewegten sich in Richtung auf eine der unterirdischen Zufahrten des Palastes. Dort verschwanden sie unter die Erde und wurden von einem automatischen Leitsystem zur Rampe der Empfangshalle geführt.
Gegenüber der Rampe gab es einen abgesperrten Bereich für Zuschauer, die das Spektakel der Ankünfte vor einer Generalaudienz fast frenetisch feierten. Mehr als ein Dutzend Kameras und Tri-Vid-Aufzeichnungsgeräte waren von bekannten Sendern aufgebaut worden, um über eines der wichtigsten regelmäßigen gesellschaftlichen Ereignisse aus dem Palast zu berichten.
In der Nähe der Rampe warteten bereits eine ganze Anzahl von Fahrzeugen, um ihre Passagiere dort aussteigen zu lassen. Die beiden Fahrzeuge der GOLDEN BOY wurden bereits erwartet und nach vorne geleitet. Als erster fuhr der LUPUS bis dicht vor den Eingang und entließ Sublieutenant Cameron und seine vier Marines, um dann auch gleich den Platz wieder zu räumen. Sofort zogen die Soldaten die Aufmerksamkeit aller Anwesenden an sich.
Als dann der CROWN vorfuhr und seine beiden Passagiere entließ, brandete bei den Zuschauern gegenüber Jubel auf. Rian lächelte freundlich und winkte in die grobe Richtung seiner Fans, während Tim versuchte, eine freundliche Miene zu machen. Ihm gefiel diese ganze Veranstaltung nicht und schon gar nicht der Personenkult, der damit betrieben wurde.
In der Empfangshalle hatten sich schon etliche Adlige und wohl auch einige nicht adlige Personen versammelt. Tim sah fast überall nur reich geschmückte Kleidung in allen Formen und Farben. Auffällig war, dass viele der Anwesenden fast gleich aussehende Schärpen über der Schulter trugen, die mit irgendwelchen Ordenssternen geschmückt waren. Tim rückte etwas unauffällig an Philip Cameron heran.
„Philip, was soll das mit den Schärpen? Haben die alle den gleichen Orden?“
„Was? Oh, die. Nein, oder besser doch.“
Tim sah Philip irritiert an, bis dieser merkte, dass seine Äußerung nicht sehr hilfreich gewesen war.
„Also. Mit Geburt oder Ernennung haben diese Personen einen Adelstitel erhalten. Je nachdem, ob es Fürsten, Herzöge, Grafen und so weiter sind, wird ihnen ein Orden verliehen, der diese Gruppen sozusagen in einer Ordensgemeinschaft zusammenfasst. Jede dieser Ordensgemeinschaften hat eine bestimmte Farbe oder Farbkennung. Für Fürsten Rot, für Herzöge Grün, für Grafen Blau, für…“
„Ja, schon verstanden. Deswegen hat Rian also die rote Farbe auf seinem Stern.“
„Genau. Es gibt dann noch…“
„Danke, ich glaube, das reicht erst mal. Sag mal, dir scheint das ja richtig Spaß zu machen.“
Philip lächelte leicht.
„Es ist interessant. Und witzig. Wenn man erst mal weiß, was diese ganzen Orden und Abzeichen bedeuten, kann man erkennen, dass viele von ihnen zwar pompös aussehen, aber ziemlich weit hinten auf der Liste stehen. So ein reich geschmückter Affe mag sich zwar für eindrucksvoll halten, ist aber in Wirklichkeit nur ein kleines Licht.“
Tim grinste und betrachtete nun die gravitätisch umherschreitenden Besucher in einem etwas anderen Licht.
Ein Gong ertönte, begleitet von einer Durchsage.
„Ehrenwerte Gäste. Wir beginnen nun mit der Aufstellung für das Defilee. Wir möchten sie ergebenst bitten, ihre Position in der Aufstellung einzunehmen und die protokollarische Reihenfolge auf das genaueste zu beachten. Das Personal des Haushofmeisters steht bei Zweifelsfällen jederzeit für eine Auskunft und Hilfestellung zur Verfügung.“
Philip Cameron grunzte missbilligend.
„Als ob die nicht ganz genau wüssten, wo sie hingehören.“
Dann gab er seinen Marines ein Zeichen und nickte Tim Sheldon zu.
„Jetzt geht der Spaß gleich los.“
Noch bevor Tim wusste, was los ist, wurde er von Rian langsam aber sicher in Richtung der riesigen Flügeltüren geschoben, die in den Thronsaal führten.
Vor ihnen gingen zwei Marines, flankiert von Philip Cameron, hinter ihnen ebenso.
Vor der Tür hatte sich bereits ein Mann eingefunden und sah ihnen neugierig entgegen. Tim bemerkte, dass dieser Mann die Uniform der Royal Navy trug mit den Streifen eines Admirals. Er war wohl schon über sechzig, hielt sich aber sehr gerade und die kurzen, grauen Haare gaben ihm ein distinguiertes Aussehen. Die Ordensschärpe, die der Admiral zur Uniform trug, unterschied sich insoweit von allen anderen, als sie keine der bunten Farben trug, sondern durchgehend golden war.
„Onkel Noswil! Ich hatte nicht erwartet, dich heute hier zu treffen.“
Rian war freudig zu dem Admiral getreten und beide umarmten sich herzlich.
„Na, ich konnte doch deinen großen Auftritt nicht verpassen. Hat es Schwierigkeiten gegeben?“
Damit sah der Admiral sich in der Halle um und fixierte mit seinen Blicken einige der Bediensteten, die die Reihen entlanggingen und doch tatsächlich die Reihenfolge kontrollierten.
„Nein. Bis jetzt nicht. Aber ich möchte dir Lieutenant-Commander Sheldon vorstellen. Er ist der Kommandant der GOLDEN BOY und de facto der Befehlshaber unserer kleinen Flotte.“
Tim hob erstaunt die Augenbrauen wegen der Bemerkung über ihn als Befehlshaber, war aber dann doch überrascht, als der Admiral ihm die Hand reichte.
„Tim, das ist Admiral Prinz Noswil Drake. Ein Onkel seiner Majestät.“
Tim machte ein überraschtes Gesicht, doch der Admiral lächelte.
„Keine Angst. Ich habe mich heute extra für die Uniform entschieden, um den meisten dieser Pappnasen zu zeigen, wo ich die Aufgabe eines Adligen sehe. Haben sie schon mal drauf geachtet, wieviel Angehörige der Royal Navy oder der Royal Marines vertreten sind, im Gegensatz zu den Household-Truppen oder zu denen, die gar keine Uniform tragen?“
Tim sah nun etwas aufmerksamer über die Menge der versammelten Besucher und konnte nur vereinzelt Uniformen der Royal Navy ausmachen. Die der Household-Navy waren fast dreimal so stark vertreten.
Bevor er jedoch antworten konnte, sah er auch schon das Unglück heranrollen. Wie fast zu erwarten, in Form des Grafen von Falanthar.
Tief verbeugte sich der Graf vor Prinz Noswil und Rian, um dann ein wenig anklagend auf die Marines der Special Forces zu zeigen.
„Ich bin untröstlich, eure Hoheit, aber zum Defilee sind keine Begleiter zugelassen.“
Dann deutete er auf Tim Sheldon.
„Ebenso sollte der Commander seinen Platz, entsprechend seinem Rang, in der Reihe der Besucher, wahrnehmen.“
Tim Sheldon lief rot an, doch Rian legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er hatte schon eine Antwort parat, doch Prinz Noswil kam ihm zuvor.
„Falanthar, sie sind ein Idiot! Wie lange machen sie schon protokollarischen Dienst? Haben sie sich nicht ausreichend vorbereitet? Was die Ehrenwache betrifft, ist die Sache doch wohl eindeutig. Lieutenant, sagen sie es ihm.“
Für Philip Cameron war dies nun ein zweischneidiges Schwert. Zum einen hatte der Admiral ihn als Führer der Ehrenwache angesprochen und so seine Anwesenheit offiziell zur Kenntnis genommen, zum anderen vertraute er darauf, dass Philip wusste, auf welcher Grundlage seine Anwesenheit hier basierte. Und drittens zeigte er dem Grafen, dass ein kleiner Lieutenant etwas wusste, was für ein Mitglied des Protokolls eigentlich selbstverständlich sein sollte.
Mit einem gezwungen unbeteiligten Gesicht musterte Philip Cameron den Grafen.
„Regelungen für Empfänge, Audienzen und Bankette. Kapitel 37 Anhang R im Handbuch für Protokoll und höfische Formen innerhalb des Geltungsbereiches der terranischen Königswürde. Ergänzung über die Besonderheiten bei Reichsadligen im aktiven Einsatz. Ich zitiere: Den Reichsadligen ist, unbeschadet ihrer Rangstufe, eine persönliche Ehrenwache aus bis zu sechs Soldaten ihres Kommandobereiches zuzugestehen, die in Abweichung des sonstigen Protokolls den Reichsadligen auch zu öffentlichen Veranstaltungen direkt begleiten dürfen. Das schließt explizit das Erscheinen vor seiner Majestät ein. Den Angehörigen der Ehrenwache ist dabei das Tragen einer Waffe gestattet. Zitat Ende.“
Der Graf von Falanthar erbleichte und zückte ein Datapad, auf dem er eifrig herumtippte. Mit hervorquellenden Augen starrte er auf den Eintrag dort und knickt dann vor Rian zu einer Verbeugung ein, die fast schon bewunderungswürdig war bei seinem Umfang.
„Ich bin untröstlich, eure Hoheit. Selbstverständlich ist die Ehrenwache zugelassen.“
Prinz Noswil knurrte wie ein Hofhund.
„Das will ich auch gehofft haben. Mit der anderen Bemerkung habt ihr euch aber endgültig ins Aus geschossen, Falanthar. Habt ihr nicht gesehen, welche Auszeichnung der Commander trägt?“
Mit einem schnellen Blick taxierte der Graf die Orden auf Tims Brust. Auf den Hals sah er nicht.
„Nun, …“
„Ihr seid noch dümmer, als ich schon immer vermutet habe. Ein Stück höher. Habt ihr eigentlich jemals ein Kings Cross gesehen?“
Jetzt ruckte der Blick des Grafen nach oben und Rian fragte sich ernsthaft, ob er nicht vielleicht den medizinischen Notdienst rufen sollte. Der Gesichtsfarbe nach stand der Graf kurz vor einem Schlaganfall und nun setzte auch die bereits allseits bekannte Schnappatmung ein. Auch Prinz Noswil hatte diesen bedauernswerten Zustand bemerkt.
„Falanthar, geht es euch gut? Fein. Dann tut mir einen Gefallen und bittet den Haushofmeister persönlich zu mir. Ihr dürft euch entfernen.“
Der Graf würgte gerade noch ein
„Jawohl, königliche Hoheit,“ hervor und entschwand dann so schnell er konnte.
„Oh, Rian, bevor der Haushofmeister kommt, eine kurze Frage. Hast du mitbekommen, dass der alte Erzherzog von Vincent im letzten Monat verstorben ist?“
„Was? Ehrlich? Da muss ich schon auf Torchwood gewesen sein.“
„Ja, ein großer Verlust für den Palast. Er hatte hier alles im Griff. Hätte keinen besseren geben können. Aber ich wollte eigentlich etwas anderes sagen. Sein einziger Sohn ist ja bereits während der dranthanischen Kriege gefallen. Und so ist Tyron jetzt Erzherzog.“
Rian starrte seinen Großonkel überrascht an.
„Und da hat keiner widersprochen? Hat er etwa freiwillig zugestimmt?“
Der Prinz sah das fragende Gesicht von Tim und lachte.
„Die Stellung des Haushofmeisters ist gebunden an die Familie der Herzöge von Vincent. Man erbt nicht nur den Titel, sondern auch die Stellung. Das Problem mit dem jetzigen Erzherzog ist, dass er noch relativ wenig Erfahrung hat. Tyron ist genauso alt wie Rian. Sie sind beide zusammen zur Schule gegangen.“
Tim staunte. Doch da erschien auch schon eine fast jugendliche Gestalt in einem schlichten Anzug mit einer grünen Ordensschärpe. Mit seinen rotblonden Haaren und den Sommersprossen sah er fast aus wie Colin, auch wenn er nicht so groß war.
Zögernd blieb der junge Mann stehen, musterte Rian lächelnd, doch dann verbeugte er sich vor Prinz Noswil.
„Eure königliche Hoheit haben mich rufen lassen?“
Der Prinz sah sich kurz um, dann winkte er den jungen Mann heran.
„Mit uns kannst du die Formalitäten lassen. Hat dir der Idiot gesagt, warum ich dich hergebeten habe?“
Nun sah sich auch der junge Herzog um und grinste.
„Es hätte da eine kleine Unstimmigkeit in der Reihenfolge gegeben, die er aber sofort korrigiert hat.“
Rian schüttelte den Kopf und erklärte kurz, was vorgefallen war. Dann wandte er sich direkt an den Erzherzog.
„Wer hat ihn denn überhaupt mit dem ganzen Mist beauftragt? Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, hat er gesagt, er wäre der dritte Assistent des Haushofmeisters und Stellvertreter des Leiters für königliche Protokollfragen.“
„Was? Das mit dem dritten Assistenten ist schon richtig. Aber ich wage zu bezweifeln, dass der King of Arms ihn als Stellvertreter genommen hat. Das werde ich gleich mal nachprüfen. Eigentlich besteht seine Aufgabe in der Verwaltung und Ausstattung der Unterkünfte für Besucher des Palastes. Ich frage mich jetzt ernsthaft, wer ihn ausgerechnet heute für den Protokolldienst eingeteilt hat.“
„Dann wundert es mich, was er bei uns an Bord wollte.“
Der Haushofmeister wandte sich nun Tim zu. Sofort erkannte er das Kings Cross und verbeugte sich freundlich.
„Ich verstehe nicht ganz, Commander. Er hätte nie bei ihnen an Bord sein sollen. Unsere Aufgaben beziehen sich ausschließlich auf den Palast.“
Auch hier wurde der Haushofmeister auf den neuesten Stand der Dinge gebracht. Tim versuchte auch gleich, ihre Ideen über die Verwendung des Dieners an den Mann zu bringen.
„Ach ja. Den jungen Mann, den er an Bord gebracht hat, würden wir gerne behalten. Wir können ihn als persönlichen Diener des Reichsfürsten führen.“
Tyron von Vincent hob die Augenbrauen und sah Rian fragend an. Der seufzte leicht und schüttelte dann den Kopf.
„Nein Ty. Nicht, was du jetzt denkst. Ich werde dir nachher alles erzählen, wenn wir mal einen Moment Zeit haben. Was willst du denn jetzt mit dem Grafen machen?“
Der Haushofmeister dachte einen Moment nach, zuckte aber dann mit den Schultern. Doch da meldete sich Philip Cameron.
„Entschuldigung, wenn ich störe, aber so wie es aussieht, scheint der Graf irgendetwas zu beabsichtigen. Entweder ist er nicht der hellste, oder ihn kümmert das, was er hier eigentlich machen soll, nicht viel. Dann fragt sich doch, was er denn sonst hier so treibt.“
Alle drei Umstehenden sahen Philip erstaunt an. Tim reagierte als erster und aktivierte eine Verbindung zur GOLDEN BOY.
„Colin? Mach mal bitte einen Background-Check für den Grafen von Falanthar. Ja, ich habe das Einverständnis eines Vertreters des Palastes. Nein, ohne auf die Daten des Palastes zurückzugreifen. Das klären wir später. “
Die drei umstehenden Herren hatten schweigend zugehört und Prinz Noswil hob nun fragend die Augenbrauen.
„Lieutenant Cameron hat mich gerade auf die Idee gebracht. Und eine Äußerung des Haushofmeisters. Der Herr Graf ist mit der Verwaltung und Ausstattung der Unterkünfte für Besucher beauftragt. Das würde ihm in meinen Augen ausreichende Möglichkeiten bieten, seine – ähhh… Neugier zu befriedigen.“
Tyron und der Prinz sahen sich plötzlich erschreckt an.
„Verdammt, wir müssen mit Melissa reden. Sie muss sofort etwas veranlassen.“
Zu Tim gewandt fügt der Prinz hinzu
„Colonel Melissa Turner ist der Kommandeur des Household Marine Regiments. In dieser Eigenschaft ist sie auch mit der baulichen Absicherung und der Spionageabwehr betraut. Keine Angst. Trotz allem, was ich über die Household gesagt habe, ist sie eine von den Guten. Wir müssen…“
Der Prinz wurde von drei Gongschlägen unterbrochen und er seufzte.
„Zu spät. Das Defilee beginnt und danach kommen die einzelnen Petitionen und Meldungen. Wir sind wohl für die nächsten zwei bis drei Stunden hier gebunden.“
Major Colin Campbell wusste inzwischen, worauf der Anruf von Tim abzielte. Philip Cameron hatte dem Ersten Offizier auf seinem Einsatzkanal alle wichtigen Punkte übermittelt.
Colin stand neben dem Kommandantensessel auf der Brücke und beratschlagte mit Brandon Taylor, was zu tun war.
„Wir müssen Kontakt mit Colonel Turner aufnehmen. Ich würde vorschlagen, ich fliege mit Private vanBerg hinüber zum Palast und wir suchen sie auf.“
„Dann sind fast alle Marines weg. Ich habe nur noch die beiden vor dem Schiff.“
„Nimm die Versorger. Die haben schon mal einen Einsatz mitgemacht. Was ist mit den Gleitern?“
„Sind beide in der Fahrbereitschaft des Palastes.“
„Dann brauch ich den LUPUS für die Fahrt. Er soll uns hier abholen und kann dann wieder dorthin zurückkehren. Was hältst du von Fünf-Minuten-Bereitschaft?“
Brandon Taylor zögerte sichtlich.
„Ich weiß nicht. Dann müssen wir die Maschinen hochfahren und in Bereitschaft halten. Erstens kostet das Geld und zweitens erregt es Aufmerksamkeit.“
„Okay, vergiss es. Wir warten unten an der Schleuse.“
In weniger als einer halben Stunde hatten es Colin Campbell und Leo vanBerg bis zum Büro von Colonel Turner geschafft. Der Zugang zu den Räumlichkeiten des Regiments war ausschließlich von dessen Soldaten bewacht und diese ließen sie ungehindert passieren.
Colonel Melissa Turner war eine Frau im besten Alter, etwa Mitte vierzig und sportlich durchtrainiert. Sie trug zur violetten Uniform des Household-Marine-Regiments ihre immer noch goldblonden Haare schulterlang und sah mit strahlend blauen Augen neugierig ihren Besuchern entgegen.
„Was kann ich für sie tun, Major?“
Colonel Turner ließ sich ihre Gedanken oder Gefühle nicht anmerken. Sie hatte schon eine ganze Menge Geschichten und Gerüchte über die neuen Special Forces gehört und sich ihre eigenen Gedanken gemacht.
Im Gegensatz zu vielen anderen ihrer hochrangigen Kameraden war sie zu dem Schluss gekommen, dass die Special Forces als Begleitung eines Reichsadligen die beste Idee war, die in letzter Zeit verwirklicht worden war. Die gesamten Household-Forces, also die Privatarmee des Königs, war inzwischen dermaßen von Adligen durchsetzt, dass sie ihren ursprünglichen Ruf als Eliteeinheiten und Leibwache des Königs schon lange eingebüßt hatte.
Nur noch wenige der Adligen sahen im Dienst eine Herausforderung, viele betrachteten ihn als Gelegenheit zum Sammeln von Dienstgraden oder noch mehr von Orden. Ihr eigener Ehemann war das beste Beispiel. Er hatte es als Titular-Fürst nicht weitergebracht als bis zum Commander und Kommandant eines kleinen Schiffes der Royal Household Navy. Ihre Zwillinge waren da schlauer gewesen. Sie waren einfach in die Royal Navy eingetreten, wo ihre Adelstitel keine Rolle spielten.
Mit einer Handbewegung bot sie ihren Besuchern einen Sitzplatz an und hörte dann dem Vortrag von Colin Campbell genau zu. Zum Ende hin nickte sie mehrmals und betätigte dann einen Knopf auf ihrem Schreibtisch.
„Sergeant Major, informieren sie bitte Captain Kayser, dass ich sie sofort zu sehen wünsche. Und dann benötige ich die Grundrisspläne für die Besucherbereiche Fünf bis Acht.“
„Sofort, Madam. Sind gleich auf dem Display.“
„Captain Kayser ist unser Sicherheitsoffizier für die Spionageabwehr. Wenn etwas ungewöhnliches in den Besucherbereichen vor sich gegangen ist, sollte sie es eigentlich wissen. Gemeldet hat sie jedenfalls nichts.“
Colonel Turner wandte sich nun ihrem Terminal zu und scrollte ein wenig.
„Hm. Das sind die Pläne der Besucherbereiche. Die Bereiche Eins bis Vier sind den wirklich hochrangigen Besuchern vorbehalten, wie zum Beispiel anderen Staatsoberhäuptern. Die verwaltet der Erste Stellvertreter. In den Bereichen Fünf bis Acht werden andere, aber dennoch hochrangige Besucher untergebracht. Das wären Minister oder Diplomaten anderer Staaten oder auch die Konsuln unserer eigenen Sektoren.“
„Was ist mit dem Zweiten Stellvertreter?“
Sowohl Colin als auch Colonel Turner sahen zu Leo vanBerg, der nun vergeblich versuchte, sich unsichtbar zu machen. Doch Colonel Turner nickte ihm aufmunternd zu.
„Berechtigter Einwand. Ich vergesse immer wieder, dass nicht alle mit dem Personal am Hof vertraut sind. Der Zweite Stellvertreter besetzt den Posten des Seneschalls. Ein sehr altertümlicher Titel, der aber bis heute seine Berechtigung hat. Er ist zuständig für die Versorgung des Palastes mit Verpflegung und allem, was zu diesem Bereich gehört. Also im Prinzip der F&B-Manager.“
Colin bedauerte diese Person ein Wenig. Einen Palast dieser Größenordnung mit allem Nötigen zu versorgen war gewiss keine leichte Aufgabe.
Inzwischen hatte der Sergeant-Major auch Captain Kayser angekündigt. Captain Kayser war eine junge Dame, etwa Mitte zwanzig, mit kurzen, schwarzvioletten Haaren und dunkler Haut.
Safira II schoss es Colin sogleich durch den Kopf. Der gleiche Planet, von dem auch Corporal Reins stammte.
„Sie haben mich rufen lassen, Colonel?“
„Allerdings, Captain. Dies sind Major Campbell und Private vanBerg von den Special Forces. Sie sind wegen einer etwas heiklen Angelegenheit zu mir gekommen. Kurz gesagt, Captain, ist ihnen in den Besucherbereichen des Palastes in letzter Zeit irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?“
Man konnte deutlich die Überraschung in dem Gesicht der jungen Frau sehen.
„Nein, Madam. Wir überprüfen monatlich die Besucherbereiche, wenn sie nicht belegt sind. Wenn sie genutzt werden, überprüfen wir sie vor und nach der Nutzung.“
„Darf ich fragen, wie lange vor oder nach der Nutzung, Captain? Und wer erteilt die Freigabe für die Überprüfung?“
Captain Kayser sah nun zu Colin Campbell und zögerte einen Moment, als sie über die Frage nachdachte.
„Es ist, glaube ich, immer einen Tag vor und nach der Nutzung. Die Freigabe erteilt der jeweilige Vertreter des Haushofmeisters, der für die Besucherbereiche zuständig ist. Meine Leute nehmen dann Kontakt zu dem entsprechenden Service-Manager auf und überprüfen dann die Unterkünfte.“
Etwas unsicher schob sie dann nach
„Darf ich fragen, ob etwas vorgefallen ist, Major?“
Colonel Turner übernahm die Antwort.
„Das versuchen wir gerade zu klären. Es gibt da nur ein paar vage Vermutungen, aber wir können uns keine Fehler erlauben.“
Mit wenigen Sätzen erklärte der Colonel nun Captain Kayser, was vorgefallen war und in welche Richtung die Vermutungen gingen.
„Oh, wenn das so ist, haben wir vielleicht eine Möglichkeit etwas zu erfahren. Es ist eine Suite für den Reichsfürsten vorbereitet worden, die er aber nicht bezogen hat. Wir haben die Überprüfung durchgeführt und seitdem steht das Personal im Stand-by, falls die Suite doch noch genutzt werden sollte.“
Colin Campbell und Leo vanBerg hatten eine ganze Zeit miteinander geflüstert und nun richteten sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Captain.
„Tatsächlich? Die Suite wird in Bereitschaft gehalten? Wir möchten sie ganz gerne besichtigen. Ach so. Und bei der Gelegenheit sollten sie vielleicht auch noch einmal eine Überprüfung durchführen. Ich kann ihnen versichern, dass der Reichsfürst die Suite auf keinen Fall nutzen wird.“
Erstaunt sah Captain Kayser zu Colonel Turner, doch die nickte lediglich.
„Tun sie, was er gesagt hat. Nehmen sie Kontakt zu dem Service-Manager auf und setzen sie eine der Intel-Gruppen darauf an. Wenn auch nur der kleinste Verdacht bestätigt wird, drehen sie das Ding auf links.“
„Jawohl, Colonel.“
„Major, ich brauche noch etwas Zeit, um meine Leute zu sammeln. Können wir uns dann vor der Suite treffen? Es ist die Fünf-Eins.“
„Selbstverständlich, Captain. Wir werden dort sein.“
Captain Kayser meldete sich bei ihrer Regimentskommandeurin ab und machte sich auf den Weg. Auch Colin und Leo verabschiedeten sich.
„Wir werden sie auf dem Laufenden halten, Colonel.“
„Vielen Dank und viel Glück.“
Die Besucherbereiche waren in verschiedenen, voneinander getrennten Bauwerken des Palastes untergebracht. Bereich Fünf umfasste sechs Etagen im Zentralgebäude, die nur durch eine große Lobby betreten werden konnten. In der fast quadratischen Lobby war ein zentraler Empfangsbereich, links und rechts an den Wänden jeweils drei Aufzüge, die lediglich in eine der sechs Etagen führten. An verschiedenen Stellen waren etwa ein halbes Dutzend Marines des Household-Regiments verteilt.
Colin Campbell und Leo vanBerg traten durch den Eingang und gingen hinüber zum Empfang. Dort saß ein Mann im mittleren Alter in einer der Fantasieuniformen des Palastes an einem riesigen Schreibtisch. Völlig unbeteiligt musterte er die Besucher.
„Was kann ich für sie tun, Major?“
„Ich bin Major Campbell und dies ist Private vanBerg von den Special Forces. Wir würden gerne die Suite Nummer Eins besichtigen.“
Nun kam etwas Bewegung in den Mann und er machte eine fast empörte Abwehrbewegung.
„Das ist völlig unmöglich! Nur seine Hoheit, der Reichsfürst kann eine Erlaubnis für das Betreten seiner Suite erteilen und die liegt hier nicht vor.“
Colin seufzte und verdrehte die Augen. Nicht schon wieder so einer. Aus dem Hintergrund kam eine Gestalt in der Uniform der Household-Marines näher.
„Gibt es ein Problem? Kann ich ihnen helfen?“
„Allerdings. Dieser äh… Major will in die Suite des Reichsfürsten!“
Nun wandte sich Colin um und musste unwillkürlich lächeln. Der junge Mann vor ihm erinnerte ihn etwas an Philip Cameron. Er war wohl knapp über Eins Siebzig groß und schlank. Die Dienstuniform war garantiert eine Maßanfertigung. Um die Ärmel lief ein einsamer Streifen von Rauten.
„Ich bin 2nd Lieutenant Hutton, Sir. Würden sie mir bitte sagen, was sie in der Suite des Reichsfürsten möchten?“
Colin sah herab auf einen dunkelblonden Haarschopf in dem zu erwartenden militärischen Stil und strahlend blauen Augen. Colin seufzte.
„Ich bin der Einsatzoffizier der Special Forces und damit beauftragt, einen Sicherheitsscan in der Suite durchzuführen. Sie können dies gerne bei Colonel Turner verifizieren.“
Der Lieutenant sah zu dem Major auf, ließ sich aber keineswegs von dessen Größe oder Dienstgrad einschüchtern.
„Dann warten sie hier bitte einen Moment, Sir.“
Er zog sich dann etwas zurück und nutzte sein Headset für ein kurzes Gespräch. Bevor er jedoch zu Colin Campbell zurückkehren konnte, ging die Eingangstür auf und Captain Kayser stürmte, gefolgt von zwei Soldaten mit schwerem Gepäck, in die Empfangshalle. Sie sah sich nur kurz um, fixierte dann aber den Lieutenant.
„Hutton, was ist los? Haben sie den Major etwa aufgehalten?“
Der Lieutenant deutete schweigend auf dem Empfang. Der Mann dahinter starrte nun mit offenem Mund auf die eingetroffenen Soldaten.
„Informieren sie den Service-Manager von Fünf-Eins, dass wir eine Sicherheitsüberprüfung durchführen werden.“
Der Mann riss förmlich seine Arme nach oben.
„Auf gar keinen Fall! Die Suite ist belegt! Nichts und niemand betritt sie ohne Genehmigung!“
Captain Kayser und auch der Lieutenant sahen den Mann nun mehr als missbilligend an. Lieutenant Hutton ging zu ihm.
„Alford, was ist ihr Problem? Die Suite ist nicht bezogen worden. Da ist niemand. Und nun ist das Personal des Reichsfürsten hier und sie wollen sie nicht reinlassen?“
„Nicht ohne Genehmigung! Der Dritte Stellvertreter des Haushofmeisters hat ausführlich auf die Wichtigkeit einer solchen Genehmigung hingewiesen.“
Colin Campbell trat nun ebenfalls näher.
„Der Graf von Falanthar hat in dieser Angelegenheit aber gar nichts zu sagen. Wenn sie mir nicht glauben, nehmen sie direkt Kontakt zum Haushofmeister auf.“
Vollkommen entrüstet sah der Mann Colin an.
„Das steht mir nicht zu. Ich habe den Dienstweg einzuhalten. Dazu muss ich zunächst den Supervisor des Bereiches Fünf kontaktieren, der sich dann mit dem Dritten Stellvertreter in Verbindung setzt. Dieser entscheidet dann über das Anliegen oder setzt sich im Zweifelsfall mit dem Haushofmeister persönlich in Verbindung.“
„Aha. Ich sehe schon, wir müssen dem Dienstweg wohl auf die Sprünge helfen.“
Colin wanderte kurz entschlossen um den Schreibtisch herum und der Mann wich erschrocken zurück. Doch der Major griff lediglich nach der Tastatur und nur wenige Augenblicke später erschien das Gesicht von Rian Drake.
„Oh, Colin. Ist es wichtig? Die Audienz ist noch nicht beendet.“
„Ja. Ganz kurz. Wir brauchen deine Genehmigung, um die reservierte Suite zu betreten.“
„Weiter nichts?“
Colin drehte den Monitor und deutete nun auf den Mann vom Empfang, der auf den Monitor starrte wie das Kaninchen auf die Schlange.
„Major Campbell hat meine Ausdrückliche Genehmigung, meine Suite zu betreten und dort alle erforderlichen Arbeiten durchzuführen. Soweit alles klar? Ach so. Zu diesem Zweck darf er jede von ihm avisierte Person in die Suite mitnehmen. Reicht das?“
Der Mann nickte nur stumm und Colin trennte die Verbindung.
„Also los.“
Sie fuhren mit dem Aufzug hinauf in die oberste Etage, in der sich auch die Suite Fünf-Eins befand. Um die Suite herum gruppierten sich etliche Räume für Personal und Material.
Aufgeschreckt durch den Lärm erschien der Service-Manager der Etage. Der Mann sah etwas verschreckt zu der Gruppe von Soldaten, die gerade seine Etage stürmten. Colin Campbell sah sich zu Captain Kayser um, bemerkte aber auch Lieutenant Hutton, der nun ebenfalls aus dem Aufzug trat.
„Was… was ist los? Was wollen sie alle hier? Oh, Captain Kayser. Was ist passiert? Die Suite ist noch belegt.“
„Keine Angst, Mister Croy. Wir haben die persönliche Erlaubnis des Reichsfürsten zum betreten der Suite. Sie können gerne bei Mister Alford nachfragen. Wir müssen in die Suite und dort noch ein paar Messungen machen.“
Der verwirrte Manager sah von einem zum anderen, zuckte aber nur mit den Schultern.
„Das ist kein Problem. Die Suite ist noch im gleichen Zustand wie nach der Abnahme. Brauchen sie Personal zur Unterstützung?“
„Nein, vielen Dank. Sie brauchen nur den Eingang freizugeben.“
Der Manager nickte und zückte ein kleines Datapad. Kurze Zeit später summte es und die Eingangstür zur Suite wurde lautlos entriegelt. Nur erkennbar am Wechsel der Ruftaste neben der Tür von Rot auf Grün.
„Los, Leute. Von Raum zu Raum, wie bei einer Standardüberprüfung. Diesmal aber alle Frequenzbereiche. Dann noch einen Ultraschallscan der Wände.“
Colin Campbell und Leo van Berg folgten den Soldaten von Raum zu Raum. Ebenso Lieutenant Hutton, dessen neugieriges Gesicht zeigte, dass er noch nie hier gewesen war.
Schon im zweiten Raum, dem Schlafzimmer, wurden die Soldaten mit ihren Geräten fündig. Etwas hektisch deutete einer auf die Anzeigen und Captain Kayser beugte sich über das Display.
„Hm, sieht nach einem Sender aus, der ein Kurzsignal abgibt, alle zwei Minuten. Was ist das denn?“
Leo vanBerg sah sich suchend um.
„Klingt nach einer Mikro-Kamera. Macht zwei Minuten Aufzeichnungen und sendet diese dann als Kurzsignal. Danach beginnt die Aufzeichnung von Neuem. Ist meistens mit einem Bewegungs- oder Infrarotsensor gekoppelt.“
Sein Blick blieb an einer Wandlampe hängen, die über der Tür angebracht war. Leo van Berg betätigte den Lichtschalter und sie funktionierte. Bevor er etwas sagen konnte, trat Lieutenant Hutton neben ihn. Mit einem kurzen Satz sprang er nach oben und krallte sich mit nur einer Hand an der Türeinfassung fest. Mit der zweiten Hand griff er zur Lampe und drehte daran. Ein leises Klicken ertönte und die Lampe löste sich von der Wandfassung. Mit eleganter Leichtigkeit löste sich der Lieutenant von der Tür und ließ sich herunterfallen. Wortlos streckte er Leo vanBerg die Lampe entgegen.
Neugierig musterte dieser das Innenleben, bis auch Captain Kayser neben ihn trat.
„Tatsächlich, dort.“
Mit geschickten Fingern löste sie ein nur wenige Millimeter großes Bauteil aus der Lampe und gab es an ihre Techniker.
Inzwischen war Colin Campbell an den jungen Lieutenant herangetreten und betrachtete ihn neugierig. Der war sich der plötzlichen Aufmerksamkeit sofort bewusst.
„Entschuldigung, dass ich vorher nichts gesagt habe, aber ich stamme von Belisar VI.“
Colin nickte. Etwas Ähnliches hatte er bereits vermutet.
Belisar war ein blauer Riese mit 31 Planeten. Nummer sechs war der einzige in der Biozone. Eigentlich ein wunderschöner Planet mit einer gut entwickelten Flora und Fauna, ideal für eine Besiedlung. Doch leider musste die genetische Anpassung der Siedler bereits vor der ersten Siedlungsphase beginnen, denn der Planet hatte eine Gravitation von 1,6 g. Entsprechend den Bestimmungen durfte die Anpassung das äußere Erscheinungsbild der Menschen so wenig wie möglich beeinträchtigen. So wurde die notwendige körperliche Konstitution durch eine verbesserte Knochenstruktur und eine zellveränderte Muskulatur erreicht. Die Veränderungen gingen nur langsam vor sich und dauerten fast zehn Generationen. Leider waren im Laufe dieser Zeit sehr viele der Siedler der Natur zum Opfer gefallen. Die Fauna war zwar nicht übermäßig aggressiv, aber sie war mit der höheren Gravitation des Planeten entstanden. Die Siedler kämpften verbissen um jedes Stückchen Land und nur wenige verließen jemals ihre Heimatwelt.
„Nun, auf jeden Fall sehr beeindruckend. Darf ich fragen, was sie ausgerechnet zu den Household-Marines verschlagen hat?“
Das Gesicht des jungen Lieutenants verfinsterte sich.
„Die Siedlung auf Belisar ist nicht besonders groß und die Siedler unterliegen einer permanenten Kontrolle durch das Kolonialamt wegen ihrer starken genetischen Veränderungen. Ein Nebeneffekt ist wohl die äußerst niedrige Geburtenrate. Nun, auf jeden Fall erwartet die Community dort einen vollen Einsatz bei der Fortpflanzung und Erweiterung der Siedlung. Das hat zu leicht verändertem Sozialverhalten geführt.“
Colin Campbell hob fragend die Augenbrauen und der junge Mann seufzte.
„Es gibt so etwas wie sexuelle Freizügigkeit. Von jeder jungen Frau wird erwartet, dass sie Kinder bekommt und da darf sie den Sexualpartner frei wählen. Natürlich nur nach vorheriger Kontrolle des Gen-Pools und Genehmigung durch die Genetik-Kommission. Es gibt aber auch Personen, die nicht zur Fortpflanzung zugelassen werden, weil sie einen genetischen oder, in den Augen unseres Rates, einen sozialen Defekt haben. Diesen Personen wird dann geraten, den Planeten zu verlassen.“
Colin Campbell sah auf den kleinen dunkelblonden Lieutenant herab und zog seine Schlüsse.
„Und das trifft auf sie zu?“
Nun sahen ein Paar strahlend blauer Augen zu Colin auf.
„Ja, ich bin schwul. Ist das für sie ein Problem?“
Colin grinste leicht und musste sich zusammenreißen, um dem jungen Mann nicht über die Haare zu streichen.
„Nein, ist es nicht. Anscheinend haben sie noch nicht gehört, was für Gerüchte über die Special Forces in Umlauf sind.“
Die leichte Farbveränderung im Gesicht des Lieutenants gab zu erkennen, dass er wohl doch schon von den Gerüchten gehört hatte. Doch bevor er antworten konnte, ertönte die Stimme von Captain Kayser aus dem Wohnraum.
„Hier sind gleich zwei. Mit zwei sich kreuzenden Aufnahmewinkeln. Da war aber jemand sehr gründlich.“
Colin nickte grimmig und sah sich um. Leo vanBerg war mit dem Intel-Trupp im Wohnzimmer und verfolgte jeden ihrer Handgriffe. Der Service-Manager stand halb in der Eingangstür und starrte ungläubig auf die Vorgänge in der Suite.
„Mister Croy, wenn ich richtig verstanden habe.“
Der Service-Manager nickte.
„Sagen sie, wer war eigentlich nach der letzten Sicherheitsüberprüfung noch in der Suite?“
„Niemand, Major. Wir haben alle Sicherheitsvorschriften beachtet.“
Colin stutzte. Das konnte eigentlich gar nicht sein. Lieutenant Hutton kannte sich allerdings in den Gepflogenheiten des Palastes etwas besser aus.
„Okay, Mister Croy. Dann werde ich die Frage des Majors etwas anders stellen. Wer war außer dem hier auf der Etage tätigen Personal noch in der Suite?“
„Oh, der Dritte Assistent des Haushofmeisters selbstverständlich. Seine Durchlaucht lässt es sich nicht nehmen, alle Unterkünfte direkt vor dem Bezug höchstpersönlich in Augenschein zu nehmen.“
Colin nickte grimmig und Lieutenant Hutton lächelte leicht.
„Und ich nehme an, er besichtigt sie auch, nachdem die Besucher sie verlassen haben.“
„Oh, ja. Er muss sich doch davon überzeugen, dass der Zustand der Suiten noch so ist, wie er zu Beginn war. Es gab da mal eine sehr unschöne Situation, als in den Bädern nach einem Besuch plötzlich Handtücher fehlten.“
„Der Graf von Falanthar kommt her, um Handtücher zu zählen?“ entfuhr es Colin unwillkürlich. Der Service-Manager machte ein beleidigtes Gesicht.
„Nun es ist wohl nicht seine Hauptaufgabe, aber es zeugt doch wohl von einem großen Verantwortungsbewusstsein gegenüber seinem Aufgabenbereich und den hochrangigen Gästen, die wir hier die Ehre haben, beherbergen zu dürfen.“
Inzwischen war Leo vanBerg herangekommen. Fast ungläubig schüttelte er mit dem Kopf.
„Sieben. Bis jetzt. In der ganzen Suite verteilt, bis hin zur Toilette. Aber wir haben noch etwas anderes festgestellt. Die Sender der Geräte sind so eingestellt, dass sie auf weitere Entfernung nicht festzustellen sind. Das heißt aber, dass hier irgendwo der Empfänger sein muss.“
Major Campbell sah Lieutenant Hutton fragend an, der aber nur mit den Schultern zuckte. Dann kam ihm eine Idee.
„Sagen sie mal, Mister Croy, hat der dritte Assistent des Haushofmeisters hier im Gebäude auch ein Büro?“
„Aber selbstverständlich. Es ist unten, wo sich auch die Lobby befindet.“
„Dann werden wir uns dort einmal umsehen.“
Colin Campbell winkte Leo vanBerg zu, ihm zu folgen. Lieutenant Hutton ging rasch hinüber zu Captain Kayser, um sie darüber zu informieren, wohin sie wollten.
Unten in der Lobby hatte sich nicht viel verändert. Colin Campbell ging zügig auf den Empfang zu. Der Mann in seiner Fantasieuniform saß immer noch hinter seinem riesigen Schreibtisch und sah seinen Besuchern etwas unglücklich entgegen.
„Ich bin untröstlich, Sir. Der Haushofmeister persönlich hat mich soeben kontaktiert. Ich soll ihnen jede nur erdenkliche Unterstützung gewähren.“
„Das ist ja schon einmal ein Anfang. Sagen sie, Mister… Alford“, fragte Colin nach einem kurzen Blick auf das Namensschild auf dem Schreibtisch, „wo befindet sich das Büro des dritten Assistenten des Haushofmeisters. Wir müssten uns dort ebenfalls ein wenig umsehen.“
Es schien, als ob der Mann widersprechen wollte, doch dann seufzte er und rief auf seinem Monitor einen Grundriss auf.
„Die gegenüberliegende Seite. Dort sind die Büros. Die Türen sind in der Wand verborgen. Ich werde die entsprechende Tür für sie öffnen.“
Einen Moment später öffnete sich tatsächlich in der Wand gegenüber dem Haupteingang ein kleiner Spalt. Colin ging näher und als er die Tür erreichte, fuhr sie ganz auf. Erstaunt blickte er in ein Büro mit einem Schreibtisch, mehreren Besucherstühlen und riesigen Aktenregalen. Wozu gab es hier Aktenregale? Die gesamte Bürokommunikation lief über zentrale Server.
Neugierig trat Colin näher und erkannte, dass etliche der Regale mit Büchern gefüllt waren. Sie waren schon alleine eine wahre Rarität, doch diese hier ließen Colin aufmerken.
Langsam fuhr er mit dem Finger an den Büchern entlang, ohne sie jedoch zu berühren.
Die Geschichte der Besiedlung von Terra Nova. Das Leben seiner Majestät, König Fosdur III. Handbuch für die Einführung des Holbright-Jackson-Überlichtantriebes.
Colin erschauerte unwillkürlich. Sollten das tatsächlich Originale sein, waren einige von ihnen wohl über 4.000 Jahre alt.
Leo vanBerg hatte sich inzwischen dem Computer auf dem Schreibtisch zugewandt.
„Er ist noch betriebsbereit. Aber wir brauchen ein Passwort.“
„Das war’s dann ja wohl. Da können wir ewig raten.“
Leo vanBerg sah den jungen Lieutenant fragend an, dann sah er noch einmal auf den Bildschirm.
„Sein Benutzername ist ‚GRAF von Falanthar‘. Warum hat er den Titel groß geschrieben?“
Lieutenant Hutton grinste.
„Weil er ein kleiner Egozentriker ist. Nichts ist ihm wichtiger als Titel und Macht. Ein Idiot wie er im Buche steht.“
Colin sah den Lieutenant erstaunt an, während Leo vanBerg nachdenklich auf den Bildschirm starrte.
„Welcher Titel kommt nach Graf? Ich meine den nächsthöheren.“
„Marquis“, kam es von zwei Seiten gleichzeitig. Leo nickte und gab etwas ein.
„Bingo. Treffer beim ersten Schuss. Der Typ muss wirklich ganz schön fixiert sein.“
Schnell eilten die beiden anderen Offizier zu Leo und sahen auf den Bildschirm.
„Hm, Belegungsübersichten, Meldungen, Berichte, Personalunterlagen. Nichts wirklich Interessantes.“
„Einen Moment. Wollen doch mal sehen, wo er die Sachen gelassen haben könnte. Ich nehme nicht an, dass er so wichtige Unterlagen auf dem zentralen Server abgelegt hat.“
Leo tippte einen Moment.
„Da. Ein Pfad, der nicht aktiv ist. Möglicherweise ein Wechseldatenträger.“
Fast automatisch drehten sich alle drei Männer zu dem kleinen Tresor um, der hinter dem Schreibtisch in die Wand eingelassen war. Direkt unter dem Porträt seiner Majestät.
Leo van Berg grinste und betätigte wieder die Tastatur. Mit einem leisen Summen öffnete sich der Tresor.
„Was war das denn?“
„Die Fernbedienung. Er kann manuell über einen Zahlencode geöffnet werden oder über den Rechner mit einem Passwort.“
„Lass mich raten, das Passwort ist das gleiche.“
Leo nickte und ging zum Tresor. Nach einem kurzen Blick hinein kam er mit einem Datenkristall zurück und legte den Kristall auf die Lesefläche.
„Schau an, schau an. Da haben wir ja schon das, was wir suchen.“
Leo rief ein paar zufällige Dateien auf und es wurden die hinterlegten Videosequenzen abgespielt. Colin erkannte auf Anhieb den Botschafter der Sadrath-Föderation im Gespräch mit seiner Majestät. Auf einem anderen Video rollte gerade ein beleibter älterer Herr mit zwei jungen Damen durch das Bett im Schlafzimmer.
„Das war’s tatsächlich. Leo, Datensicherung. Ich brauche auch ein Protokoll über unser Vorgehen und die Aussagen sämtlicher Zeugen. Lieutenant Hutton, ich möchte gerne, dass sie mit ihren Männern diesen Raum hier bewachen, bis ich mit dem Herzog von Haldron hier eintreffe.“
„Jawohl, Sir.“
Mit grimmigem Gesicht machte sich Colin Campbell auf die Suche nach dem Generalstaatsanwalt des Adelsgerichtshofes.
Es dauerte eine gute Stunde, bis Colin zusammen mit dem Staatsanwalt eintraf. Inzwischen hatte Leo vanBerg die ersten Protokolle gefertigt und auch die Aussagen von Lieutenant Hutton und Captain Kayser hinzugefügt.
Kopfschüttelnd hatte der Herzog das Büro besichtigt und dann die Schriftstücke gelesen.
„Das dürfte ausreichen. Das Büro wird versiegelt. Alle darin befindlichen Gegenstände sind beschlagnahmt. Ich werde beim Lordoberrichter einen Haftbefehl erwirken. Der müsste dann durch den Reichsfürsten vollstreckt werden.“
„Was passiert, wenn er bereits auf der Flucht ist?“
„Das ist kein Problem. Er kann nach Ausschreibung durch jede Vollstreckungsbehörde vorläufig festgenommen werden. Verhaftet werden muss er allerdings durch einen höheren Adligen mit einem Haftbefehl. Und das innerhalb von 24 Stunden. Seine Majestät hat mit der Einführung der Reichsstatthalter verfügt, dass lediglich sie berechtigt sind, einen solchen Haftbefehl zu vollstrecken.“
„Das heißt also, der Reichsfürst muss so lange auf Terra II bleiben, bis er dem Grafen von Falanthar seinen Haftbefehl präsentiert hat.“
„Richtig. Es sei denn, seine Majestät übernimmt persönlich diese Aufgabe.“
Zum Glück musste der Reichsfürst nicht lange warten. Bereits am Vormittag des nächsten Tages traf eine Nachricht von den Zollbehörden des Raumhafens ein, dass der ausgeschriebene Graf von Falanthar vorläufig festgenommen worden war. Rian machte sich mit dem frisch ausgestellten Haftbefehl und zwei Marines auf den Weg zum Raumhafen.
Am Nachmittag gab es noch eine kleine Überraschung. Rian, Tim und Colin waren von seiner Majestät zu einer privaten Unterredung gebeten worden.
Tim Sheldon fühlte sich auf dem Weg dorthin merklich unwohl. Er führte sie durch die langen Gänge des königlichen Palastes und schien kein Ende zu nehmen. Mehr als einmal sah er zu Colin Campbell herüber, der ihm aufmunternd zulächelte.
„Es ist nicht mehr weit.“
Tim brummte zustimmend, während Rian seinen Schritt verminderte und sich fragend zu Tim umdrehte. Colin zuckte mit den Schultern.
„Er hat sich immer noch nicht an den Palast gewöhnt.“
„Ich auch nicht und ich habe hier einen großen Teil meines Lebens gewohnt.“
Nach der nächsten Gangbiegung war eine große Flügeltür zu sehen, vor der zwei Wachen in der Uniform der Royal Household Marines postiert waren. Neben ihnen stand ein älterer Mann in einer schreiend bunten Fantasieuniform.
„Noch so ein Idiot.“ murmelte Rian, während er weiter auf die Tür zuging.
Der Mann in der bunten Uniform sah ihnen entgegen und straffte sich ein wenig. Dann ging er auf Rian zu.
„Bedaure, aber seine Majestät ist nicht zu sprechen.“
Rian hob seine Augenbrauen.
„Das glauben aber auch nur sie. Mein Onkel ist für mich jederzeit zu sprechen.“
„Oh, äh, ja, eure Hoheit. Aber im Moment ist er in einer Besprechung und möchte keinesfalls gestört werden.“
„Ist es ihnen vielleicht in den Sinn gekommen, dass wir genau wegen dieser Besprechung hier sind?“
Das Gesicht des Mannes zeigte nun erste Unsicherheit.
„Das mag schon sein, aber ich habe allerstrengste Anweisungen, seine Majestät nicht zu stören. Der Haushofmeister höchstselbst hat diese Anweisung erteilt.“
Rian unterdrückte ein Lachen. Eine größere Autorität als der Haushofmeister kam dieser Hofschranze wohl gar nicht in den Sinn.
„Nun gut, wenn das so ist… Aber sagen sie einmal, wer gibt dem Haushofmeister denn seine Befehle?“
Das Gesicht des Mannes zeigte nun Überraschung, dann Bestürzung.
„Über dem Haushofmeister steht nur noch die Autorität seiner Majestät des Königs!“
„Sehr gut. Dann sagen sie mir, kennen sie diesen Orden?“
Rian klopfte etwas beiläufig auf einen kleinen Steckorden auf der rechten Brustseite seiner schwarzen Uniform. Der 10-strahlige goldene Stern hatte einen kleineren 10-strahligen roten Stern aufgelegt. Darauf befand sich eine kleine königliche Krone.
Der Mann sah auf den Stern und schien kurz zu überlegen.
„Ich werde es einfach machen. Dieser Orden ist erst kürzlich wieder neu eingeführt worden. Er kennzeichnet einen Reichsfürsten. Sie wissen ganz sicher, was ein Reichsfürst ist. Ich bin überzeugt davon, dass der Haushofmeister jeden seiner Untergebenen genauestens instruiert hat.“
Entsetzt starrte der Mann immer noch auf den Orden und nickte heftig.
„Sehr gut. Als Inhaber der mir übertragenen königlichen Autorität fordere ich sie nun auf, den Weg freizugeben.“
Der Mann hob etwas hilflos die Arme und sah sich unsicher um. Noch bevor er etwas sagen konnte, waren die beiden Wachen beiseitegetreten und gaben die Tür frei. Während die drei Besucher durch die Tür traten, glaubte Timothy bei den Wachen ein unterdrücktes Grinsen bemerkt zu haben.
Drinnen führte Rian die kleine Gruppe durch ein Empfangszimmer zu einer weiteren Tür, wo er leise klopfte. Schwungvoll wurde die Tür geöffnet und die drei jungen Männer sahen sich plötzlich seiner Majestät, König Simon dem XLVII. gegenüber.
„Ah, ich habe schon auf euch gewartet. Kommt herein.“
Der König begrüßte seinen Neffen mit einer kurzen Umarmung und schüttelte dann Tim und Colin die Hand. Im Hintergrund waren zwei weitere junge Männer von einem Sofa aufgesprungen und sahen erwartungsvoll zur Tür.
Tim staunte. Sie waren völlig identisch. Beide etwa 1,80m groß, schlank, mit kurzen hellblonden Haaren und blauen Augen. Sie trugen auch beide die Uniform der Royal Navy mit dem einzelnen Streifen eines Sublieutenants. Nach kurzer Musterung entdeckte Tim dann doch einen Unterschied. Sie trugen, ähnlich wie Rian, einen Steckorden auf der rechten Brustseite. Bei einem war es ein dreifach gelegter goldener Stern mit mehreren grünen Steinen, bei dem anderen ein etwas einfacherer Stern mit einem einzelnen hellblauen Stein.
„Gentlemen, ich möchte sie mit den Lieutenants Edward und Kenneth Turner bekanntmachen. Die beiden sind der Grund, warum ich noch vor ihrem Abflug diese Besprechung einberufen habe.“
Rian ging grinsend auf die beiden zu und umarmte den ersten.
„Na, Edward, der Aufsicht mal wieder entkommen?“
Edward Turner lächelte schwach, dennoch war die Begrüßung herzlich. Dann wandte sich Rian zu Kenneth und hier überraschte er Tim und Colin etwas. Zusätzlich zur Umarmung bekam Kenneth einen kurzen Kuss.
„Na, Kleiner. Ich freue mich echt, dich zu sehen.“
„Kleiner? Wir sind genauso alt wie du. Und nicht einen Zentimeter kleiner.“
Die Begrüßung von Tim und Colin war etwas zurückhaltender, aber doch sehr freundlich.
„Setzt euch hin und hört zu.“
Pflichtschuldigst verteilten sich die neuen Besucher auf die vorhandenen Sitzmöbel.
Der König wandte sich zunächst an Rian.
„Ich weiß, es ist noch zu früh, aber ich brauche schon jetzt eine halbwegs sichere Aussage. Kannst du deiner Aufgabe als Reichsfürst in vollem Umfang nachgehen? Der Vorfall hier im Palast hat einigen Wirbel erzeugt und die Nachrichten bis auf den entlegensten Planeten getragen. Der Reichsfürst ist nicht nur zur Zierde da. Überall wo du auftauchst, werden sich wohl einige Leute fragen, ob du nicht wieder einen Haftbefehl mit dir führst. Wir wissen immer noch nicht genau, wie weite Kreise es durch den gesamten Adel zieht, aber möglicherweise wurden ja einige aufgeschreckt.“
Rian nickte und sah Colin Campbell kurz an.
„Wir haben schon darüber gesprochen. Wir hätten auch gerne etwas unauffälliger angefangen, aber es gab noch eine kleine Unterbrechung, als wir die HIGHLANDER in die Special Forces aufgenommen haben. Mit den Vorfällen hier hat niemand rechnen können. Wir werden mit den formellen Besuchen bei den hochrangigen Adligen fortfahren. Spätestens wenn wir den dritten oder vierten abgeklappert haben, ohne ihn zu verhaften, wird sich die Aufregung wieder legen.“
„Dann seid ihr aber gebunden. Und Haftbefehle müssen innerhalb von 24 Stunden vollstreckt werden, sonst muss der Verdächtige wieder freigelassen werden. Was haltet ihr von einem zweiten Schiff?“
Tim hob die Augenbrauen.
„Admiral Campbell hat so eine Andeutung gemacht. Ich dachte, die GOLDEN BOY ist ein Prototyp.“
Der König lehnte sich lächelnd zurück.
„Ist sie auch. Aber das heißt ja nur, dass es bis jetzt keine Serie davon gibt. Wir könnten die Werft, die sie gebaut hat, damit beauftragen, eines oder mehrere weitere Schiffe zu bauen.“
Tim sah überrascht zu Rian und Colin.
„Was würde das für unseren Einsatz bedeuten?“
„Es würde weitere Reichsadlige geben. Die Schiffe dieser Baureihe sollten auf sie beschränkt bleiben. Ich spiele mit dem Gedanken, zumindest einen weiteren Adligen in den Reichsstand zu erheben.“
Fast automatisch sahen Tim, Colin und Rian zu den Zwillingen. Seine Majestät nickte.
„Wir waren uns nur noch nicht ganz sicher, auf welcher Ebene wir die neue Ernennung ansiedeln sollen. Wenn wir einen Herzog nehmen, können wir zwar alle geringeren Titel abdecken, doch eine solche Demonstration der Machtbefugnisse würde zu Irritationen und Widerstand, gerade bei den Grafen führen. Nehmen wir jedoch einen Grafen, haben wir lediglich alles unterhalb dieser Ebene abgedeckt und die Arbeit mit ihnen würde an dem Reichsfürsten hängen bleiben.“
Rian nickte nachdenklich. Tim sah etwas verwirrt zu Colin. Die Auflösung brachte Kenneth.
„Abgesehen von den Adligen hier am Hof, haben wir nur sehr wenige hohe Titel. Der größte Teil von ihnen hat sich auf ihr Erbe zurückgezogen und tut nichts. Zumindest nicht in politischer Hinsicht. Bei den politisch tätigen Adligen sieht die Sache ganz anders aus. Alle Sternensysteme haben einen von seiner Majestät ernannten königlichen Senator. Diese tragen ausnahmslos irgendeinen der Titel aus der Gruppe der Grafen. Sie sind der größte Anteil im House of Lords, im Moment 396 Personen. Die einzelnen Raumsektoren haben einen von seiner Majestät ernannten Konsul. Das sind bei 14 Sektoren im Moment sieben Fürsten und sieben Herzöge. Sollte ein Herzog zu einem Reichsadligen ernannt werden, könnten 400 Grafen das Gefühl haben, ihnen würde vom König vermehrt auf die Finger gesehen.“
Tim, immer noch nicht so ganz überzeugt, zuckte nur mit den Schultern. Rian lächelte schwach. Colin seufzte, drehte sich zu den Zwillingen und deutete auf Tim.
„Entschuldigt, aber ich versuche es ihm schon eine ganze Zeit lang zu erklären.“
Tim sah ihn säuerlich an.
„Ja, schon gut. Das mit dem Adel und den Titeln habe ich ja einigermaßen begriffen. Aber warum sitzen wir nun hier und diskutieren über das House of Lords?“
Edward grinste und machte im Sitzen eine kleine Verbeugung.
„Das kann ich dann wohl am besten beantworten. Offiziell bin ich seine Gnaden Großherzog Edward Turner und dieser, mein um zehn Minuten jüngerer Bruder ist seine Durchlaucht Markgraf Kenneth Turner. Die unterschiedlichen Adelstitel resultieren aus den Titularregularien des Königlichen Hauses von vor über 800 Jahren.“
Erstaunt hob Tim seine Augenbrauen. Dann wurde ihm klar, was das bedeutete.
„Das heißt, wir reden hier ganz konkret über euch beide. Einer würde Reichsherzog, der andere Reichsgraf werden. Je nachdem, wie die Entscheidung fällt.“
„Völlig richtig, Tim. Aber das wäre nur eine Frage der Zeit. Ich bin mir fast sicher, dass wir weitere Reichsadlige brauchen werden, wenn ihr alle eure Ermittlungen aufgenommen habt. Halt, nein. Es sind ja keine Ermittlungen, sondern nur freundliche, informelle Besuche. Deshalb möchte ich, dass ihr nach Arcadia reist und der dortigen Werft ein Angebot für drei weitere Schiffe macht. Wie gesagt, ich möchte gerne, dass diese Baureihe ausschließlich den Reichsadligen vorbehalten bleibt.“
Alle Anwesenden, bis auf Rian, sahen etwas verblüfft zu Tim Sheldon, als ihn der König mit Vornamen anredete. Der schien das gar nicht registriert zu haben.
„Das wird nicht einfach. Wenn das Schiff ein Erfolg ist – und das ist es bis jetzt – wird die Werft versuchen, so viele wie möglich davon zu verkaufen.“
Kenneth Turner räusperte sich kurz.
„Wir haben uns erkundigt, Commander Sheldon. Die Werft auf Arcadia ist ein Privatunternehmen und dieser Prototyp ist das Hobby des Eigentümers. Das Schiff ist sozusagen in Handarbeit über mehrere Jahre erstellt worden. Die Werft dürfte im Moment kaum in der Lage sein, mehr als ein Schiff gleichzeitig zu bauen. Auch wenn es nun wohl etwas schneller gehen wird.“
„Das könnte interessant werden. Dann können wir einen Teil der nächsten Besatzung dort auf Arcadia lassen für eine komplette Begleitung während des Baus und der Erprobung.“
Seine Majestät lächelte Colin an.
„Ich sehe, du machst schon Pläne für das Schiff. Bleibt uns nur noch die Frage der Besatzung.“
Tim und Colin sahen sich fragend an, während Kenneth plötzlich rot wurde. Edward legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter.
„Na, Kleiner. Angst vor deinem eigenen Wunsch?“
Nun sah auch Rian fragend zu Kenneth. Die Antwort kam aus einer anderen Richtung.
„Seine Durchlaucht hat den Wunsch geäußert, sollte die Wahl auf ihn fallen, dass die Besatzung den gleichen soziokulturellen Hintergrund bekommt wie auf der GOLDEN BOY.“
Tim drehte sich zum König und wollte schon fragen, als Colin ihn anstieß. Rian kicherte leise und sah Kenneth kopfschüttelnd an.
„Du weißt aber schon, dass die Zusammenstellung unserer Besatzung vorher nicht so beabsichtigt war? Außerdem ist es immer noch ein Kriegsschiff mit einer militärischen Besatzung. Das ist kein Spielplatz, Kenny.“
Kenneth Turner wurde blass und sein Gesicht versteinerte sich.
„Ich bin mir darüber im Klaren, dass es ein Kriegsschiff mit einer militärischen Besatzung ist. Ich würde auch nicht zum Spielen an Bord kommen. Mir ist die Wichtigkeit des Auftrags bekannt, Admiral.“
Rian seufzte.
„So war das nicht gemeint, Kleiner. Aber wir können nicht die gesamten Special Forces nur mit… mit… ach Verdammt, du weißt, was ich meine.“
„Nun, die Auswahl der Besatzung hat ja auch noch ein wenig Zeit. Wir müssen aber trotzdem zu einer Entscheidung kommen, wie weit sich das Königshaus mit den Angelegenheiten der einzelnen Adligen beschäftigen sollte, ohne dass zu viel Widerstand entgegengesetzt werden wird. Colin?“
„So wie ich es sehe, eure Majestät, besteht momentan eher der Bedarf, die Kolonien und die Planeten am Außenrand zu beobachten. Bei den Kolonien sind das königliche Gouverneure, die wohl überwiegend mit einem Adelstitel unterhalb der Grafenebene als Amtsträger versehen worden sind. Dafür dürfte ein Reichsgraf ausreichend sein.“
„Nun gut. Kenneth, was meinst du?“
„Ich schließe mich Major Campbell an. Die meisten Grafen gehören zu den königlichen Senatoren und wachen eifersüchtig über ihre Titel und Rechte. Sie stehen auch am meisten im Licht der Öffentlichkeit. Sie werden sich kaum einen Fehler erlauben. Ein einzelner Reichsfürst sollte für die erst einmal ausreichen.“
„Weiter mit Edward.“
„So sehr ich es bedauere, aber ich fürchte, ihr habt recht. Vielleicht gibt es ja eine andere Möglichkeit, wie ich helfen kann.“
„Vielen Dank für das Angebot, Edward. So, dann Tim.“
Jetzt hatte auch Tim Sheldon die Anrede bemerkt und sah hektisch zum König, während er an seiner Antwort feilte.
„Ich habe von den Strukturen des Adels nicht viel Ahnung, deshalb halte ich mich da raus. Aber wie wir am Beispiel der HIGHLANDER gesehen haben, sind wir ja nicht nur in Angelegenheiten des Adels gefragt. Wir machen auch andere Spezialeinsätze und da sollten wir unser Profil schon so niedrig wie möglich halten, auch wenn wir einen zweiten Admiral bekommen würden.“
Kenneth sah etwas überrascht zu Tim, dann zu Rian. Die restlichen Anwesenden lachten leise, weil Kenneth wohl erst jetzt realisierte, dass er befördert werden würde.
„Zum Schluss Rian.“
„Es ist wohl alles gesagt worden. Aber ich habe einen Vorschlag für Edward. Ich denke, er sollte einen Laufbahnwechsel in Erwägung ziehen. Ich kann mir vorstellen, dass es im Intelligence-Corps der Royal Navy bestimmt noch Offiziere gebraucht werden. Besonders solche, die dann nach erfolgreicher Zusatzausbildung die ganzen Vorgänge am Hof hier auf Terra II etwas im Auge behalten könnten.“
Edward sah verblüfft zu Rian, der ihm spielerisch zuzwinkerte. Der König lachte leise. Dann wurde er dienstlich.
„Eine interessante Idee. Ich glaube, ich werde einmal mit Admiral Campbell darüber sprechen. Es wird also wohl in nächster Zeit die Ernennung eines neuen Reichsgrafen geben.“
Kenneth Turner sah seinen Bruder grinsend an.
„Also eine BLUE DRAGON.“
Als alle anderen Anwesenden sie fragend ansahen, lachte Edward.
„Wir haben über den Namen des neuen Schiffes nachgedacht. Je nachdem, wer zum Reichadligen ernannt wird, würde es GREEN oder BLUE DRAGON heißen.“
Tim schüttelte den Kopf. Das war ja wohl das geringste der Probleme, das sie jetzt hatten. Der König schien der gleichen Ansicht zu sein.
„Sehr hübsch, aber ehe es soweit ist, müssen erst einmal eine Reihe anderer Sachen erledigt sein. Commander Sheldon, die GOLDEN BOY wird sich nach Arcadia begeben und sie werden dort drei neue Schiffe bestellen. Colin, ich möchte, dass du zusammen mit Kenneth schon mal das Gerüst einer neuen Besatzung zusammenstellst. Dazu wird Kenneth euch nach Arcadia begleiten.“
Der König erhob sich und mit ihm alle seine Besucher, doch Tim fiel noch etwas ein.
„Oh, eine Frage noch, eure Majestät. Wer ist der kommandierende Offizier der auf Terra II stationierten Household Marines?“
„Unserer Marines? Hat es Probleme gegeben?“
„Nein, nein. Ganz im Gegenteil.“
Edward übernahm die Antwort für den König nach einem kurzen Blickwechsel.
„Das ist der Regimentskommandeur der Household-Marines, Colonel Melissa Turner.“
Tim stutzte und Edward und Kenneth grinsten ihn beide gleichzeitig breit an.
„Unsere Mutter.“
„Nein, Colonel, es hat keine Probleme gegeben. Aber eventuell würde ich ihnen gerne einen ihrer Soldaten abschwatzen.“
Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen hatte Colonel Turner nun Besuch von Mitgliedern der Special Forces und sie war einigermaßen überrascht. Warum wurden Lieutenant-Commander Sheldon und Major Campbell von ihrem Sohn Kenneth begleitet? Was hatte der denn überhaupt im Palast verloren? Sollte er nicht an Bord seines Schiffes sein?
Mit leichtem Erstaunen vernahm sie das Anliegen von Commander Sheldon, dann betätigte sie nach einem kurzen Blick auf die Uhr einen Knopf auf ihrem Schreibtisch.
„Sergeant Major, ich hätte gerne gewusst, ob 2nd Lieutenant Hutton, der gestern Dienst im Besucherturm hatte, noch verfügbar ist.“
„Sofort, Madam. Ich werde mich erkundigen.“
Colonel Turner wandte sich ihrem Terminal zu und scrollte ein wenig.
„Ah, hier. Second Lieutenant Timothy Hutton. So, so. Noch ein Timothy. 21 Jahre alt und ah, ja stammt von Belisar VI…“
Sie wandte sich wieder ihrem Besucher zu.
„Kein Wunder, dass sie ihn gerne haben möchten. Ausgezeichnete Noten in der Ausbildung und exzellente Führung. Dazu noch jemand von Belisar. Sagen sie, Commander, sind sie noch auf der Suche nach Besatzungsmitgliedern für die GOLDEN BOY?“
„Nein, Colonel. Für ein weiteres Schiff.“
Melissa Turner sah den Commander überrascht an, musterte nachdenklich ihren Sohn und nickte dann.
„Es geht mich wahrscheinlich nichts an und ich frage deshalb auch erst gar nicht. Aber wenn Kenneth sie begleitet und sie ein weiteres Schiff mit einer Besatzung versehen wollen, lässt das sehr interessante Schlüsse zu. Hier im Palast entstehen Gerüchte schneller als ein arcadischer Raubsaurier laufen kann. Ich werde sehen, dass auf der Geschichte der Deckel draufbleibt. Nun aber zu Lieutenant Hutton.“
„Sergeant Major, schon irgendwelche Erfolge?“
„Jawohl, Madam. Er hat heute Abend Dienstfrei und ist in der Trainingshalle. Ich könnte ihn von dort holen lassen, wenn es dringend ist.“
„Tun sie das bitte. Und wenn es geht, unauffällig.“
Es dauerte eine Weile und die Besucher hatten es sich in einer Sitzecke bequem gemacht, als Lieutenant Hutton eintraf. Er trug noch das kurze Sportzeug, das an alle Soldaten einheitlich ausgegeben wurde. Als er eintrat schritt er auf den Schreibtisch zu, blieb davor stehen und überlegte, ob er grüßen sollte. Er entschied sich dagegen.
„Lieutenant Hutton wie befohlen, Madam.“
Colonel Turner stand hinter ihrem Schreibtisch auf und deutete in die Sitzecke.
„Dies sind Lieutenant-Commander Sheldon und Sublieutenant Turner. Major Campbell haben sie bereits kennengelernt.“
Der junge Lieutenant sah kurz hinüber und wunderte sich ein wenig. Hatte er etwas verkehrt gemacht?
Die drei Besucher sahen ebenfalls hinüber, besonders Tim, der ihn lediglich aus der Erzählung von Colin kannte. Auch Kenneth musterte den jungen Lieutenant sehr eindringlich. Nichts deutete auf die genetischen Veränderungen hin. Er war durchschnittlich groß und hatte eine sehr sportliche Figur. Nichts deutete auf seine genetische Veränderung. Die dunkelblonden Haare waren in einem Crew-cut ziemlich kurzgehalten und die blauen Augen versuchten einen Punkt an der Wand hinter seinem Regimentskommandeur zu fixieren, so wie die Vorschrift es vorsah.
Kenneth spürte, dass er immer nervöser wurde, je länger er den Lieutenant betrachtete und jetzt wurde es ihm auch noch warm, obwohl die Temperatur im Raum nicht gestiegen war.
„Sie dürfen ruhig bequem stehen, Lieutenant. Commander Sheldon hat eine Frage an sie.“
Zögernd drehte sich der Lieutenant zu den Besuchern um, wobei sein Blick eher an Kenneth mit seinen goldblonden Haaren und den hellblauen Augen hängen blieb. Tatsächlich konzentrierte sich sein Blick nun ausschließlich auf den jungen Sublieutenant und beide sahen sich aus der Entfernung in die Augen.
Sowohl Tim Sheldon als auch Melissa Turner hatten die Blicke bemerkt. Beide sahen sich nur kurz an und lächelten unterdrückt.
Etwas unsanft wurde Lieutenant Hutton durch Tim Sheldon wieder in die Realität zurückgerufen.
„Lieutenant, um es kurz und schmerzlos zu machen, brauche ich nur eine eindeutige Antwort von ihnen. Wie sie Major Campbell bereits beiläufig versichert haben, sind sie homosexuell. Wären sie daran interessiert, die Household Marines zu verlassen und eine Stelle im Marines-Kontingent der Royal Navy Special Forces anzutreten.“
Lieutenant Hutton starrte nun verblüfft zu dem Lieutenant-Commander in der schwarzen Uniform der Special Forces und dann wieder zurück zu Colonel Turner.
„Verzeihung, Colonel, aber ich fürchte, das habe ich gerade nicht richtig verstanden.“
„Noch einmal, Lieutenant. Sie haben hier und jetzt die einzige Chance, Mitglied der Special Forces zu werden. Sie wissen hoffentlich, was über die GOLDEN BOY gemunkelt wird?“
Wie er bereits am Nachmittag bewiesen hatte, wusste es der Lieutenant nur zu genau.
„Jawohl, Madam. Ich meine, ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen.“
Hatte das jetzt etwas hastig geklungen? Colonel Turner sah auf ihren Schreibtisch, um ihr Grinsen etwas zu verbergen.
„Dann wird sie Sublieutenant Turner nach draußen bringen. Dort erklären sie dem Sergeant Major, dass ich einem Gesuch ihrerseits um Entlassung aus den Royal Household Forces stattgegeben habe. Er möchte schon mal alle Papiere vorbereiten. Commander Sheldon, Major Campbell und ich haben noch etwas zu besprechen.“
„Jawohl, Madam.“
Lieutenant Hutton machte trotz des Sportanzugs eine zackige Kehrtwendung und marschierte in Richtung Tür, wo Kenneth bereits auf ihn wartete. Die drei älteren Offiziere sahen ihnen nach, bis sich die Tür wieder geschlossen hatte.
„Verdammt, irgendwie habe ich das Gefühl, ich hätte einen Sohn aus meiner Obhut verloren, doch einen weiteren dazubekommen. Aber egal. Nun, Commander, Major, ich hätte da noch einen sehr guten alten Cognac in meinem Vorrat.“
Tim Sheldon grinste.
„Es wäre mir eine Ehre, Colonel.“
Eine leise Veränderung in den üblichen Schiffsgeräuschen ließ Tim aufmerksam werden. Es klang, als würde der Rumpf leicht vibrieren. Das konnte nur das große Schleusentor sein. Er ging hinüber zu seinem Monitor und rief die Überwachungskamera des Hangars auf. Richtig, Rian war zurückgekommen. Wenn er einverstanden war, würden sie sofort starten können.
Tim ging zurück zum Bett. So leid es ihm tat, aber er würde Colin wohl wecken müssen. Grinsend fuhr er dem auf dem Bauch liegenden Colin mit den Fingernägeln einer Hand an der Wirbelsäule herab, bis er am Steißbein angelangt war. Colin bewegte sich etwas hin und her und spreizte leicht die Beine.
„Was denn? Noch mal?“ nuschelte er etwas verschlafen.
„Nein, leider nicht. Auf! Wir müssen los.“
Mit diesen Worten klatschte er Colin mit der flachen Hand auf die Hinterbacken und brachte sich schnell in Sicherheit. Colin fuhr hoch und funkelte Tim aus seinen grünen Augen an.
„Hey, das war gemein. Außerdem scheinst du doch nicht so abgeneigt zu sein.“
Damit deutete er auf Tims Körpermitte, die genauso einsatzbereit aussah, wie der Rest von Tim.
„Tut mir leid, aber das muss warten. Rian ist wieder da. Wir müssen wissen, ob sich etwas geändert hat, oder ob wir starten können.“
Colin brummte etwas Unverständliches und sammelte seine Kleidung zusammen. Nackt wie er war, trat er mit seinem Kleiderbündel unter dem Arm, durch Tims Wohnraum hinaus auf den Gang. Seine Kammer war gleich nebenan und er rechnete nicht damit, hier oben jemandem zu begegnen.
Leading Seaman David Florent aus der Küche war mit einem Tablett unterwegs zur Suite des Admirals, als Major Colin Campbell in einem bemerkenswerten Zustand der Nichtbekleidung auf den Gang trat.
Colin stutzte einen Moment, straffte seine Gestalt und betrat anscheinend völlig ungerührt seine Kammer. David sah ihm nach, dann noch einmal zu der Tür, aus der er gekommen war. Mit einem breiten Grinsen setzte er seinen Weg fort.
Zwei Stunden später hatte die GOLDEN BOY die Atmosphäre von Terra II verlassen und befand sich auf dem Weg nach Arcadia.
Während des ersten Orientierungsaustritts scrollte Tim Sheldon durch das Planetare Handbuch.
„Ein Kolonialplanet am Außenrand. Und noch gar nicht so lange besiedelt. Wie gerade da jemand auf die Idee gekommen ist, irgendwelche Prototypen zu bauen, ist mir schleierhaft. Aber wenn sie so gut…“
„Notruf!
HMPC PANTHER
Der kleine Patrouillenkreuzer wendete in einem atemberaubenden Manöver und entkam gerade eben einer vollen Breitseite des etwas schwerfälligeren Piratenschiffes. Lieutenant Lance Vernon fluchte ausgiebig. Er war weit und breit allein. Niemand weiter hatte auf den Notruf des Handelsschiffes reagiert. Als der Patrouillenkreuzer aus dem Hyperraum gekommen war, hatte das Piratenschiff, ein umgebauter Frachter, sofort sein Ziel gewechselt und nun wurde das erheblich kleinere Schiff förmlich durch den Raum gescheucht.
„Danny, kriegst du ihn?“
2nd Lieutenant Daniel Yordis zischte durch die Zähne. Sein schwarzes Fell sträubte sich, als er zum wiederholten Mal den Feuerleitcomputer neu auf ihr Ziel aufschalten musste.
„Dieses alte Ding ist zu langsam. Bei unseren Ausweichmanövern verliere ich den Track.“
„Leistungsabfall im Normaltriebwerk. Nennleistung nun bei 103 Prozent.“
Die Stimme kam von der hinteren Konsole, an der Senior Warrant Officer May Brittney saß. Sie beobachtete unablässig die diversen technischen Anzeigen und beäugte nun misstrauisch die Leistungsanzeige des Triebwerks.
Patrouillenkreuzer waren ein fauler Kompromiss zwischen einem Raumjäger und einem leichten Kreuzer. Längst nicht so groß und so kampfkräftig wie ein richtiger Kreuzer waren sie weder so schnell noch so wendig wie ein Raumjäger. Aber sie waren billig. Für den einfachen Patrouillendienst hatten sie nur ein Triebwerk, im Gegensatz zu den Raumjägern. Die hatten zwei davon, waren dadurch aber erheblich teurer. Auch hatte man offensichtlich ‚vergessen‘, die Patrouillenkreuzer auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Was sich gerade eben wohl grausam rächte.
„Was ist mit dem Frachter, der den Notruf abgegeben hat?“
Der zweite Mann vorne, neben dem Piloten, kontrollierte die Anzeigen.
„Der macht sich gerade aus dem Staub. Noch etwa drei Minuten, dann dürfte er wohl in den Hyperraum wechseln.“
„Wird auch verdammt Zeit.“
Lance Vernon zog das kleine Schiff in eine weitere enge Kurve, während dicht neben ihnen die deutlich erkennbare Spur eines Plasmastrahls vorbeifuhr. Verdammt! Plasmageschütze unterlagen strengen Kontrollen. Dieser Pirat hätte überhaupt gar keine haben dürfen.
Der Co-Pilot, Ensign Michael Fryer, sah etwas nervös nach hinten, doch May Brittney machte nur eine abwiegelnde Handbewegung.
„Weit daneben. Unsere Schirmfelder sind noch alle auf hundert Prozent.“
„Ja. Aber ein Treffer reicht und wir sind am Arsch.“
„Quatsch nicht so viel, Mike. Wie weit ist der blöde Frachter?“
„Immer noch in der Beschleunigungsphase. Der ist noch langsamer als wir.“
Funkensprühend leuchtete nun das Schirmfeld des Patrouillenkreuzers auf. Es musste ein Treffer aus einer Laserkanone gewesen sein, deren Strahl im luftleeren Raum unsichtbar blieb.
„Treffer im Heckschirm. Schirmfeld noch bei 35 Prozent. Keine Aufladung wegen erhöhten Verbrauchs des Triebwerks.“
Lance Vernon knirschte mit den Zähnen. Jetzt hätte er ganz gut Hilfe gebrauchen können, doch der zweite Patrouillenkreuzer seiner Gruppe lag schon längere Zeit im Reparaturhangar der FIRELANCE.
Ein Ruck ging durch den Patrouillenkreuzer, als ein weiterer Treffer die Reste des Heckschirms hinwegfetzte. Dem nachfolgenden Plasmastrahl konnten sie nur durch eine schnelle Reaktion des Piloten entkommen.
„Der Frachter ist weg!“
„Dann los, hinterher.“
Mit einem schnellen Looping zog Lance Vernon seine Maschine hoch und zischte so dicht wie er es gerade noch verantworten konnte, an dem feindlichen Schiff vorbei. Hinter ihm leuchteten weitere Abschüsse von Plasmageschützen auf, als er kurz entschlossen den roten Knopf für einen Notsprung drückte.
Mit abgeschaltetem Triebwerk schwebte der Patrouillenkreuzer im Weltraum, während die beiden Piloten versuchten, mittels des Astrogationscomputers ihre Position zu ermitteln. Als alle erreichbaren Daten eingegeben waren, lehnten sie sich zurück. Sie konnten jetzt nur noch warten, bis der Computer ein brauchbares Ergebnis ermittelt hatte. Das konnte etwas dauern.
Lance Vernon sah nach hinten zum Platz des Feuerleitoffiziers. 2nd Lieutenant Daniel Yordis hatte es sich in seinem Sitz bequem gemacht und die Augen geschlossen. Lance bewunderte wie so oft das tiefschwarze Fell und die strohblonden Haare des jungen Felidaners.
Sie flogen jetzt schon über ein Jahr zusammen und Lance konnte sich noch gut an den Tag erinnern, an dem Danny an Bord gekommen war:
Etwas widerwillig machte sich Lieutenant Lance Vernon auf den Weg zu seinem Vorgesetzten. Warum hatte der ihn zu sich zitiert, wenn sich die ganze Angelegenheit auch mit einem kurzen Kom-Gespräch hätte erledigen lassen. Geschickt kletterte er die kurze schmale Leiter hinab und verfluchte zum wiederholten Mal die Konstrukteure, denen anscheinend eine einfahrbare Rampe zu teuer gewesen war.
Sein Weg führte ihn fast die ganze Länge unter dem Rumpf des Patrouillenkreuzers hindurch bis zu dem mächtigen Triebwerk am Heck. Dort bemerkte er leicht amüsiert, wie sein Chefingenieur einen Wartungstechniker langsam aber sicher zur Verzweiflung brachte. Senior Warrant Officer May Brittney war schon von sich aus eine beeindruckende Erscheinung, aber wenn die 52jährige, etwas korpulente Frau sich in Rage geredet hatte, blieb allen Umstehenden nur noch das Zuhören.
„…und es ist mir vollkommen egal, was die Vorschrift sagt. Die Abschirmung der Backbord-Steuerdüsen arbeitet offensichtlich nicht korrekt, sonst wären die Düsen schließlich nicht beschädigt. Und erzählen sie mir nicht, das käme von Mikropartikeln während des Normalfluges. Ich weiß, wie die aussehen, ich bin schon durch den Weltraum geflogen, da haben sie noch…“
Etwas irritiert unterbrach sie sich, als der Petty Officer an ihr vorbeisah und die Hand zum Gruß erhob. Der Gruß konnte nur bedeuten, dass ein Offizier hinter ihr stand und so drehte sie sich ebenfalls um.
„Hi, Lance. Wo willst du denn noch hin um diese Zeit? Ich dachte, ihr wolltet nach dem Einsatz eine Runde schlafen.“
„Mike liegt schon. Der Staffelchef hat angerufen. Unser neuer Feuerleitoffizier ist eingetroffen. Ich soll ihn beim Chef abholen.“
„Huh? Kann der nicht alleine laufen? Oder gibt’s da ein Problem?“
Lieutenant Vernon zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Aber ich werd’s ja gleich rausfinden.“
Mit einem kurzen Blick auf den Wartungstechniker grinste er seinen Chief an.
„Und May, lass den armen Kerl am Leben. Wir brauchen die Techniker hier noch.“
SWO Brittney nickt nur kurz etwas ungnädig, stemmte ihre Hände in die Hüften und wandte sich wieder dem armen Petty Officer zu.
Kurze Zeit später erreichte Lieutenant Vernon das Büro seines Staffelchefs. Die Büros des Patrouillengeschwaders waren direkt hinter den großen Hangar geklemmt worden, als seien sie beim Entwurf des Trägers vergessen worden. Direkt hinter einem Sicherheitsschott waren sieben kleine Räume auf der linken Seite eines kurzen Ganges angeordnet. Der mittlere gehörte dem Staffelchef.
Lance Vernon straffte sich kurz, dann klopfte er.
„Herein!“
Das erste, was Lance sah als er eintrat, war sein Staffelchef, der hastig einen ganzen Stapel Schreibfolien durchblätterte und dabei immer wieder auf die Anzeige seines Multifunktions-Bildschirms sah.
„Lieutenant Vernon wie befohlen, Sir.“
„Ja, ja. Schon klar. Setzen sie sich Vernon.“
Mit der linken Hand wedelte der Staffelchef unbestimmt in die grobe Richtung des Besucherstuhls.
Lance nahm Platz, während Commander Lopez aufseufzend die Suche aufgab und in seinen Sessel sank.
„Vernon, ich sage es ungerne, aber wir haben ein Problem.“
Erstaunt hob Lance Vernon die Augenbrauen, während der Staffelchef immer noch einen suchenden Blick über seinen Schreibtisch schweifen ließ. Endlich wandte er sich an den jungen Lieutenant.
„Ihnen fehlt ein Feuerleitoffizier und das Personalamt des Marine-Corps hat uns gnädiger weise einen Ersatz geschickt. Ich weiß nicht, ob die das besonders witzig gefunden haben, aber jetzt haben wir die Sache am Hals.“
„Verzeihung, Sir. Aber ich kann ihnen im Moment nicht so ganz folgen.“
Commander Lopez brummte etwas Unverständliches, dann legte er seine Hände vor sich auf den Tisch.
„Also, Lieutenant. Ihr alter Feuerleitoffizier wurde befördert und musste deshalb die Stelle für einen Offizier des Marine-Corps mit passendem Dienstgrad freimachen. Wie mir auf Nachfrage mitgeteilt wurde, ist bei den Marines momentan Personalknappheit, besonders bei den Feuerleitern. Deshalb hat man nachgefragt, ob wir auch jemanden direkt von der Akademie nehmen würden. Nach kurzem Zögern habe ich zugestimmt.“
Lieutenant Vernon lehnte sich etwas zurück. Ein Feuerleitoffizier direkt von der Akademie. Das war mehr als ungewöhnlich bei einer kleinen Einheit. Die wurden normalerweise auf den großen Schiffen verwendet, wo noch mindestens ein zweiter, dienstälterer Feuerleitoffizier war. Es war zwar nicht die optimale Besetzung, aber das konnte ja nicht der ganze Grund für die Aufregung sein.
„Wo genau liegt denn das Problem, Sir?“
Commander Lopez lehnte sich jetzt so weit zurück wie sein Stuhl es zuließ.
„Wo das Problem liegt? Erstens, es ist ein Felidaner. Das ist an sich kein Problem, wäre der junge Mann nicht ausgerechnet aus einem Königswurf.“
„Huh?“
„Ja, das hab‘ ich auch gesagt. Ich musste erst eine ganze Weile suchen, bis ich die entsprechenden Informationen gefunden hatte. Die Felidaner haben sich nach ihrer Besiedlung auf Charon III in Clans aufgeteilt. Je nach ihrer Fellzeichnung gibt es die unterschiedlichen Clans in sehr unterschiedlichen Größen. An Fellzeichnungen gibt es alles, was dieser unsägliche Idiot damals für seine Experimente verwendet hat, also fast alle Katzenartigen. Lediglich eine Fellfärbung ist äußerst selten und wird bei den Leoparden rezessiv vererbt. Bei allen anderen Felidanern ist diese Farbstörung anscheinend ausgestorben.“
„Schwarz.“
Etwas irritiert sah Commander Lopez auf.
„Ich habe davon gehört, Sir. Die Felidaner betrachten die schwarzen Leoparden als etwas Besonderes. Sie glauben, ihnen hätten die genetischen Experimente am Wenigsten geschadet.“
„Genau, deshalb nennt man sie Königswurf. Ihr neuer Feuerleitoffizier ist allerdings nicht nur schwarz wie die Nacht, sondern ausgerechnet aus dem jüngsten Wurf von Alicia Yordis, der Präsidentin von Charon III.“
„Ein Sohn der felidanischen Präsidentin? Was will denn der bei uns? Um den hätte sich jedes Bataillon doch gerissen.“
Commander Lopez schwang sich in seinem Sessel wieder nach vorne.
„Genau. Und genau dort liegt auch unser eigentliches Problem. Dem jungen Mann wurde eine Ausbildung bei den Marines durch das Flottenkommando untersagt. Ihm könnte dort ja etwas zustoßen. Daraufhin hat er geklagt und die obersten Föderationsrichter haben dem Flottenkommando einen Satz heiße Ohren verpasst. Also kam er zum Marine-Corps und siehe da, bei der Eignungsprüfung hatte er die besten Testergebnisse als Feuerleiter. Nach dem allgemeinen Lehrgang hat er auch tatsächlich die Ausbildung zum Feuerleitoffizier gemacht und hat die Akademie mit Auszeichnung abgeschlossen.“
Lieutenant Vernon rutschte etwas unruhig hin und her.
„Das hört sich ja gar nicht so schlecht an, aber ich habe den Eindruck, Sir, da ist noch etwas.“
Der Staffelchef seufzte leise.
„Man kann ihnen nicht viel verheimlichen, Vernon. Nun, gut. Sie wissen, dass die Föderationsgesetze es Personen erlauben, sich freiwillig mit siebzehn zu den Streitkräften zu melden. Für Felidaner besteht eine Ausnahme auf Grund ihrer erheblich weiter fortgeschrittenen körperlichen Entwicklung. Sie dürfen sich bereits mit sechzehn freiwillig melden. Die Ausbildung der Offiziere für das Marine-Corps dauert ein Jahr für den allgemeinen Teil und dann werden spezielle Ausbildungsmodule angehängt. Der für Feuerleitoffiziere dauert ein halbes Jahr.“
Lieutenant Lance Vernon sah seinen Staffelchef erstaunt an.
„Sie wollen mir also sagen, Sir, mein neuer Feuerleitoffizier ist ein achtzehnjähriger Felidaner aus einem Königswurf, dessen Mutter die felidanische Präsidentin ist.“
„Hm, so könnte man es kurz zusammenfassen, ja. Wobei – achtzehn wird er erst nächsten Monat.“
„Und noch etwas, Vernon. Das Flottenkommando legt gesteigerten Wert darauf, dass der junge Mann am Ende seiner Dienstzeit auch wieder heil und an einem Stück zurück auf seinen Heimatplaneten kommt. Das bedeutet, keine - und ich wiederhole - keine, wie auch immer gearteten Eskapaden mehr während der Patrouillenflüge.“
„Wieso hab‘ ich ihn dann gekriegt. Wir hätten auch tauschen können. Oder ist das eine Art von Bestrafung für meine letzten Grenzkontakte?“
„Ihre sogenannten ‚Grenzkontakte‘ waren zwei ausgedehnte Gefechte mit Einheiten des BfP, die sogar zum Austausch diplomatischer Noten geführt haben. Mir wäre es auch lieber gewesen, er wäre auf ein anderes Schiff gekommen, aber es gibt eine ganz klare Anweisung von oben: keine Extrawurst. Nichts, was einen von uns vor irgendeinen Gerichtshof bringen könnte. Alles nach Vorschrift und immer nachvollziehbar. Haben sie mich verstanden, Vernon?“
„Mehr als deutlich, Sir.“
„Sehr gut.“
Commander Lopez betätigte einen Schalter auf seinem Schreibtisch.
„Sie können ihn jetzt reinschicken, Chief.“
Wenige Sekunden später klopfte es an der Tür und auf die Aufforderung des Staffelchefs trat ein junger Mann ein.
Unwillkürlich hatte sich Lieutenant Vernon erhoben als er ihn sah. Die dunkelgrüne Uniform mit dem schmalen roten Streifen aus Rauten rund um die Unterärmel hob sich stark von dem schwarzen Fell ab, das an Wangen und Hals sichtbar war. Die Gesichtshaut war entgegen Lieutenant Vernons Vermutung hell, nur leicht gebräunt. Die Haare waren eine Überraschung. Sie waren im Gegensatz zum Fell strohblond und Lance Vernon wunderte sich, wie der Junge mit der Haarlänge auf der Akademie durchgekommen war. Da der junge 2nd Lieutenant seine Schirmmütze unter dem linken Arm trug, konnte man deutlich die hoch am Kopf angesetzten schwarzen Katzenohren erkennen, die etwas vorwitzig aus den blonden Haaren hervorkamen.
„Second Lieutenant Yordis, Sir.“
Obwohl 2nd Lt Yordis ruhig vor ihnen stand, bemerkte Lance Vernon, wie seine Ohren leicht nervös zuckten. Dadurch, dass Lt Vernon aufgestanden war, konnte er erkennen, dass der Felidaner vor ihm fast genauso groß war wie er selber, in den Schultern möglicherweise sogar etwas breiter. Er erinnerte sich an die Aussage des Staffelchefs, dass Felidaner eine schnellere körperliche Entwicklung durchmachten als andere Menschen. Was ihm bei der kurzen Musterung ebenfalls auffiel, waren die Augen mit den geschlitzten Pupillen. Im Gegensatz zu anderen Felidanern waren diese hier jedoch braun und nicht, wie sehr oft üblich, grün.
„Ja, danke. Lieutenant Yordis, dies ist Lieutenant Vernon, der Captain ihres neuen Schiffes. Ich hoffe, sie werden sich schnell einleben. Viel Erfolg.“
Beide Offiziere wussten, wenn sie entlassen waren und noch bevor Lance Vernon an der Tür war, hatte der junge 2ndLieutenant sie bereits aufgerissen. Mit erhobenen Augenbrauen ging Lt Vernon voran und der Neue folgte ihm mit einem halben Schritt Abstand schräg hinter ihm.
Lance Vernon blieb stehen und drehte seinen Kopf.
„Kommen sie her. Ich kann mich nicht mit ihnen unterhalten, wenn sie hinter mir laufen.“
Sofort trat 2nd Lt Yordis neben ihn.
„Jawohl, Sir.“
„Wie lautet ihr Vorname, Lieutenant?“
Lance bemerkte den schnellen, überraschten Blick, während die Antwort etwas länger dauerte.
„Ehm, Daniel, Sir. Second Lieutenant Daniel Yordis, Sir.“
„Und das ist ihr erstes Bordkommando?“
„Jawohl, Sir.“
„Ich habe erfahren, sie haben die Akademie mit Auszeichnung abgeschlossen.“
„Jawohl, Sir.“
Abrupt blieb Lt Vernon stehen und sah den Felidaner an, der ebenfalls stehen geblieben war.
„Können sie auch etwas Anderes sagen als - Jawohl, Sir?“
„Jawohl, Sir.“
Nun sah man deutlich im Gesicht, wie der junge Felidaner rot anlief.
„Äh, ich meine, nein, Sir. Also, ich meine, ich kann…“
Verwirrt schloss Daniel Yordis seinen Mund, während er verzweifelt versuchte, seine Gedanken zu sortieren.
Lieutenant Vernon seufzte genervt auf. Das konnte ja lustig werden mit dem Neuen.
Beim Schiff angekommen sah Lance schon von Weitem Senior Warrant Officer Brittney in einem Streitgespräch mit dem Leiter der Wartungsgruppe. Das konnte nicht gut gehen. Der Master Chief Petty Officer der Wartungsgruppe ließ keinen ihrer Sätze unkommentiert und so schaukelte sich langsam die Lautstärke hoch. Erst als Lieutenant Vernon mit dem neuen Feuerleitoffizier eintraf, trat Ruhe ein.
„So, das ist Senior Warrant Officer Brittney von unserer Besatzung. Unsere Bordtechnikerin. Und der Herr daneben ist Master Chief Petty Officer Brittney von der Bordwartungsgruppe. Der freundliche 2nd Lieutenant neben mir ist Daniel Yordis, unser neuer Feuerleitoffizier.“
Die Augenbrauen von SWO May wanderten erstaunt nach oben, aber sie nickte freundlich.
„Freut mich. Herzlich willkommen.“
„Äh, danke sehr.“
Der Master Chief nickte ebenfalls freundlich.
„Viel Spaß mit der Crew. Und besorg dir schon mal ein paar Ohrstöpsel.“
SWO May fuhr herum und funkelte den Chief an.
„Was soll das denn heißen? Das ist ja wohl eine ausgemachte Frechheit. Als ob ich…“
Schnell führte Lance den Neuen fort von den beiden Streithähnen. Daniel schien etwas verwirrt.
„Sie heißen beide Brittney?“
„Was? Oh, ja. Sie sind seit über dreißig Jahren miteinander verheiratet.“
Daniel war so verblüfft, dass er unwillkürlich stehen blieb.
„Sie sind miteinander verheiratet? Das geht?“
Lance schüttelte nur den Kopf.
„Natürlich geht das. Das solltest du aber wissen. Das ist sozusagen die erweiterte Stufe von den Bienchen und den Blümchen.“
Daniels Gesichtszüge entglitten und seine sichtbare Haut wurde einen Ton dunkler.
„So äh, habe ich das nicht gemeint. Ich dachte, es wäre nicht möglich, als Ehepaar in der gleichen Einheit zu dienen.“
„Tun sie ja auch nicht. Der Chief gehört zur Fremdwartungsgruppe der HMSS FIRELANCE. Der Träger ist das Führungsschiff unseres Flottenverbands. Die HMPC PANTHER gehört zum 12. Patrouillengeschwader und damit offiziell zur Patrouillenflottille. Wir sind nur hier an Bord stationiert. Als Gast sozusagen.“
„HMPC PANTHER? Der Patrouillenkreuzer heißt tatsächlich PANTHER?“
Lieutenant Vernon begriff erst nicht, worauf der Felidaner hinauswollte, doch dann grinste er.
„Jep. So heißt unser Baby schon seit seiner Indienststellung. Und die ist deutlich länger her, als du alt bist. Aber jetzt gehen wir erst mal rein. Da kann ich dir auch gleich unseren zweiten Piloten vorstellen.
Sie stiegen beide hintereinander die schmale Leiter hoch und 2nd Lt Yordis sah sich neugierig um.
„Ist nicht gerade viel Platz in der Kiste. Wenigstens die Kammern haben sie vernünftig ausgestattet, aber das war auch schon alles. Hier, links die beiden gehören mir und Warrant Officer Brittney. Rechts die erste gehört Ensign Fryer. Michael ist unser zweiter Pilot und Astrogator. Das hier ist deine Bude.“
Daniel spähte neugierig durch die geöffnete Tür. Ein Bett, zwei Spinde, eine weitere Tür, vermutlich zur Nasszelle. Seine Unterkunft auf der Akademie war auch nicht besser gewesen, wenn auch vielleicht etwas größer.
Der Kommandant zog ihn weiter nach vorne.
„Das hier ist unsere Küche und gleichzeitig Cafeteria. Wir benutzen ausschließlich den Küchenautomaten. Ich weiß nicht, ob der auch auf Felidaner eingestellt ist. Wenn nicht, müssen wir eine Umprogrammierung beantragen. Der Platz hier…
Lance Vernon wurde durch eine Gestalt unterbrochen, die etwas verschlafen in Richtung Getränkeautomat tappte. Daniel Yordis sah erstaunt hinüber zu einer, bis auf ein paar Boxershorts nackten Gestalt, die sich müde die Augen rieb.
„Oh. Und hier haben wir Ensign Fryer. Mike, das ist unser neuer Feuerleiter, 2nd Lt Yordis.“
Die schlanke Gestalt von Ensign Fryer rieb sich erstaunt noch einmal die Augen unter dem Mopp von verstrubbelten schwarzen Haaren.
„Ui, eine Miezekatze.“
Lance Vernon wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie sich bei dem neuen Feuerleiter die Ohren nach hinten legten und er einen entschlossenen Gesichtsausdruck bekam.
„Halt! Sie bleiben da, wo sie sind. Verstanden?“
Daniel Yordis zischte ein kurzes
„Jawohl, Sir.“
Dann fuhr Lance Vernon herum zu dem völlig erstaunten Ensign.
„Und du kommst mit, aber zackig!“
Mit leichtem Schwung schubste er den Ensign in Richtung von dessen Kabine, in der beide dann auch verschwanden. Daniel stieß zischend seinen Atem aus. Damit hatte er nicht gerechnet. Das konnte ja lustig werden in nächster Zeit.
Ja, so war das damals gewesen. Ein etwas holpriger Anfang, aber sie hatten sich dann zusammengerauft. Ein leises Piepen riss Lance Vernon nun endgültig aus seinen Tagträumen. Das konnte der Astrogationsrechner noch nicht sein. So schnell war das alte Ding nicht.
„Bunny, da ist Post für uns.“
Ensign Fryer ruckte hoch und sah grinsend nach hinten.
„Danke, Mieze, aber ich bin nicht taub.“
Michael Fryer und Daniel Yordis hatten sich nach ihrer ersten missglückten Begegnung doch noch zusammengerauft. Michael hatte zunächst den Anschiss seines Lebens kassiert und sich dann bei Daniel entschuldigt. Danach arbeiteten beide ganz gut zusammen. Bis zu dem Tag, an dem Daniel Yordis freudestrahlend mit der neuesten Ausgabe der Bordzeitung der FIRELANCE ankam.
Auf dem Titelblatt prangte das Bild eines vollkommen nackten Mannes mit aufgesetzten Hasenohren. Die weiblichen Besatzungsmitglieder hatten den ‚Rammler des Jahres‘ gewählt und das war niemand geringerer als Ensign Michael Fryer von HMPC PANTHER. Der Titel der Ausgabe lautete dann auch: Unser Bunny.
Daniel Yordis pappte das Titelbild in der Küche auf die Front des Küchenautomaten. Er grinste immer noch, als SWO Brittney hereinkam, stutzte und in lautes Lachen ausbrach. Das rief auch Lance Vernon und Michael Fryer auf den Plan. Lance sah das Bild und lachte ebenfalls. Michael nicht.
„Oh, verdammt. Wer hat… Das warst du!“
Daniel hob die Arme und grinste immer noch.
„Hey, du bist jetzt berühmt – Bunny.“
„Wage es ja nicht…okay, ich glaube, das habe ich verdient. Tut mir ehrlich leid, dass ich letztens so blöd war.“
„Ich hoffe, du begreifst jetzt, wie es ist, wenn man alle möglichen Namen verpasst bekommt. Aber ich mache dir ein Angebot.“
Auf Michaels fragendes Gesicht hin beugte sich Daniel etwas vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
„Ernsthaft? Alles beide? Und dann darf ich… ok, aber nur einmal.“
Daniel nickte und Michael zögerte einen Moment. Doch dann drehte er sich zu Daniel und gab ihm einen schnellen Kuss auf den Mund.
Lance Vernon und May Brittney hoben beide erstaunt die Augenbrauen, doch Daniel nickte ernsthaft.
„Damit sind alle Unklarheiten beseitigt. Hallo, Bunny.“
„Hallo, Mieze.“
May Brittney sah von einem zum anderen.
„Bunny? Mieze? Hab‘ ich was verpasst?“
Nach einem letzten Blick auf das Titelblatt wandte sie sich um und murmelte etwas. Alles, was noch zu verstehen war, handelte irgendwie von ‚Bunnies und Stummelschwänzchen‘.
„Kurzsignal. Notsignal der Flotte Kategorie Alpha-03.“
Lance Vernon wandte sich zu seinem Co-Piloten und auch Daniel Yordis beugte sich nun neugierig nach vorne.
„Woher?“
„Muss hier in der Nähe sein. Das Signal kommt von einem Schiff, ist aber noch ziemlich stark. Moment. Ist von AGS MOHAWK. Ein Wachschiff? Haben die sich verflogen? Hier sind die Koordinaten.“
„Wie weit ist unser System?“
„Der Kasten rechnet immer noch.“
„Nimm mal die Daten von der MOHAWK als Näherungswert. Vielleicht geht das damit ja schneller.“
Tatsächlich konnte der alte Astrogationsrechner mit Hilfe der Daten der MOHAWK das in Frage kommende Gebiet deutlich eingrenzen und kam schon nach etwa zehn Minuten zu einem Ergebnis.
„Wir haben eine Position.“
„Was? So schnell? Wie weit sind wir von dem Notruf weg?“
„Moment, das sind sieben Komma drei Lichtjahre. Schaffen wir in 22 Minuten.“
„Dann los. Bin gespannt, was uns da erwartet.“
Die Raumschlacht
„Das ist ein verdammter Raumschiffsfriedhof. Was ist hier denn los? Mister Summers. Alle Schiffe mit Energiesignaturen als PE kennzeichnen. Wo ist denn unser eigentliches Ziel? Die vier ohne Energie können es ja wohl nicht sein.“
„Nein, Sir. Die Parameter stimmen nicht überein. In Reichweite unserer Sensoren wird sonst nichts weiter erfasst. Wir können… Energieausbruch! Im Bergungsschiff werden die Reaktoren hochgefahren.“
Der Blick des Kommandanten wanderte zum Tactical Display. Sollte das Bergungsschiff tatsächlich betriebsbereit sein, hätten sie ein Problem. Die mehr als vierhundert Meter langen Plattformen zur Bergung von beschädigten Schiffen waren zwar nur bedingt manövrierfähig, aber dafür schwer bewaffnet.
„Mister van Seelst. Setzen sie das Notsignal Alpha-03 ab. Volle Sendeleistung.“
„Jawohl, Sir. Alpha-03 mit voller Sendeleistung.“
Brian Summers schien diesmal besonders gefordert zu sein.
„Hyperraumaustritt! Ein Frachter YORDIS-Klasse. Mit Kurs auf das Bergungsschiff.“
„Was soll…“
„Hyperraumaustritt! Ein Frachter ROVER-Klasse. Ebenfalls mit Kurs auf das Bergungsschiff. Nein, sieht so aus, als ob er versucht, das erste Schiff abzufangen.“
„Funkverkehr zwischen dem YORDIS-Frachter und dem Bergungsschiff.“
„Ensign Mansfield. Wir nehmen eine stationäre Position über dem Bergungsschiff ein. Ich will beobachten können, was dort passiert. Abstand bleibt bei drei AE.“
„Jawohl, stationär bei drei Astronomischen Einheiten.“
„Sieht so aus, als ob der YORDIS-Frachter auf dem Bergungsschiff landen will.“
Lucas McAllen schüttelte den Kopf.
„Bei der Größe könnte er auch in einen der Hangars einfliegen. Die Dinger haben vier Hangars für Schiffe bis fünfzig Meter.“
„Energieausbruch! Der anfliegende ROVER wird von dem Bergungsschiff beschossen.“
„Was soll das denn nun wieder. Das macht doch alles…“
„Anruf! Wir werden von dem ROVER kontaktiert.“
Auf dem Tactical Display erschien ein kleines Fenster mit dem Gesicht eines jüngeren Mannes.
„AGS MOHAWK, ich habe ihre Kennung aufgefasst. Ich bin Captain Henderson von der THALASSOS. Ich möchte sie nur darüber informieren, dass sie womöglich gleich ein Problem mit einigen Piraten bekommen werden.“
„Captain Henderson, hier ist Lieutenant Granger von der MOHAWK. Was veranlasst sie zu dieser…“
„Energieausbruch! Das Bergungsschiff entlässt Raumjäger. Zwölf Jäger erfasst. Vier nähern sich der THALASSOS, die anderen kommen auf uns zu.“
„Austritt in fünf Sekunden, vier, drei zwei eins, Austritt.“
Die Sensoren der THALASSOS gaben ein nervtötendes Piepen von sich, als das Violett des Hyperraumes verschwand. Marc fluchte und schaltete den Alarm ab.
„Tactical Display!“
Auf der großen Anzeige erschien eine ganze Horde von Kontakten, alle zunächst in neutralem Blau, wobei einige nun auf gelb wechselten.
Bryce versuchte ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen.
„Dreiundzwanzig Kontakte. Davon achtzehn ohne Energiesignatur. Aktiv ist eine Korvette, zwei RANGER und zwei Patrouillenboote. Dann noch - hm, sieht aus wie ein Bergungsschiff der MECHANIC-Klasse. Die gibt es doch schon längst nicht mehr.“
„Die sind schon während der Dranthanischen Kriege ausgemustert worden.“
„Da! Ein Frachter der YORDIS-Klasse mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs. Wo will er denn hin?“
„Das muss er sein. Gib mir die Vektoren.“
Bryce übermittelte die Daten und Marc verfolgte den kleinen Frachter.
„Er will zu dem Bergungsschiff. Hier ist ein weiterer Kontakt. Ein Leichter Kreuzer. Hu? Der Kennung nach ein Wachschiff der Miliz von Arcadia.“
„Was wollen die denn hier?“
„Keine Ahnung, aber es sieht so aus, als ob der gute Jaden auf dem Bergungsschiff landen will.“
„Wir müssen ihn vorher kriegen. Wenn er erst mal gelandet ist…“
„Energieausbruch! Wir werden beschossen. Kein Treffer. Schilde voll funktionsfähig.“
„Verdammt. Es reicht, wenn die uns mit den Dingern nur ein oder zweimal treffen. Wir müssen uns was anderes einfallen lassen.“
Marc sah nachdenklich auf das Tactical Display.
„Gib mir mal die Daten von dem Leichten Kreuzer. Ich möchte mit dem Kommandanten reden.“
Bryce nickte und stellte die Verbindung her.
„AGS MOHAWK, ich habe ihre Kennung aufgefasst. Ich bin Captain Henderson von der THALASSOS. Ich möchte sie nur darüber informieren, dass sie womöglich gleich ein Problem mit einigen Piraten bekommen werden.“
„Captain Henderson, hier ist Lieutenant Granger von der MOHAWK. Was veranlasst sie zu dieser…“
Marc konnte deutlich eine Stimme von der MOHAWK hören, die die neuesten Informationen weitergab.
„Energieausbruch! Das Bergungsschiff entlässt Raumjäger. Zwölf Jäger erfasst. Vier nähern sich der THALASSOS, die anderen kommen auf uns zu.“
Marc schloss den Kom-Kanal und sah kurz zu Bryce.
„Dann zeig mal, was du so alles kannst.“
Die zwölf Raumjäger, die von dem Bergungsschiff aufgestiegen waren, hatten sich aufgeteilt. Vier von ihnen versuchten die THALASSOS abzufangen während die anderen acht sich der Position der MOHAWK näherten. Dort hatte man sich auf das Gefecht vorbereitet.
„Wir dürfen auf keinen Fall in die Reichweite der Geschütze des Bergungsschiffes kommen. Am besten, wir ziehen uns noch ein Stück zurück. Mister Sanders, was ist mit den anderen Einheiten mit einer aktiven Energiesignatur?“
„Keine Veränderungen, Sir. Keiner hat seine bisherige Position verlassen.“
„Sehr merkwürdig. Markieren sie die Kontakte als PE. Sobald sich einer von ihnen bewegt, geben sie Alarm.“
„Jawohl, Sir.“
„Mister O’Brian, wie weit sind die Jäger entfernt?“
„Geschützreichweite in drei Minuten, Sir. Sie haben sich noch einmal aufgeteilt in zwei Rotten zu je vier Einheiten. Sieht nach der Standardformation der Raumflotte aus.“
Lieutenant Granger seufzte.
„Wäre ja auch zu schön gewesen. Wir müssen damit rechnen, dass ehemalige Piloten der Flotte in den Jägern sitzen. Das wird nicht einfach. Feuererlaubnis erst auf Befehl. Wir werden versuchen, sie erst noch etwas wegzulocken.“
„Das Wachschiff setzt sich ab.“
Marc sah auf seine Anzeige und schüttelte den Kopf.
„Nein, sie versuchen wahrscheinlich sich so weit wie möglich aus der Reichweite des Bergungsschiffes zu bringen. Den Jägern können sie nicht entkommen. Wie weit sind unsere vier?“
„Haben Formation geändert. Sieht nach Formation Tango-1 aus.“
Marc hob erstaunt die Augenbrauen. Die Formation T1 war eine taktische Formation der Flotte für kleinere Einheiten, die sich einem Kampfgebiet näherten. Die Bezeichnung T hatte die Formation aus der geometrischen Struktur der Anordnung der Schiffe. Die vier Einheiten bildeten ein Tetraeder, also eine dreiseitige Pyramide mit einer Einheit an den jeweiligen Eckpunkten. Damit hatten sie gleiche Abstände untereinander, freie Schussbahnen und sie konnten jederzeit das Gefecht aufnehmen, egal aus welcher Richtung der Gegner kam.
„Das heißt ja wohl, dass da drüben einige meiner alten Kameraden sind. Ich weiß, dass es nach dem Krieg nicht so wirklich gut gelaufen ist, aber die da drüben haben deutlich die falsche Entscheidung getroffen.“
„Geschützreichweite in zwei Minuten.“
„Okay, was sagen unsere Schirme, Derek?“
„Sind auf hundert Prozent. Einen Treffer können wir wohl einstecken, aber keine vier. So viel Energie haben wir nicht, wenn die Triebwerke auf Volllast laufen.“
„Dann müssen wir uns was einfallen lassen. Die Jäger sind auf jeden Fall schneller als wir. Bleibt nur noch, die Dinger auf Abstand zu halten. Zumindest unser Zwillingslaser hat eine etwas größere Reichweite als die Bordgeschütze der Jäger.“
Bryce nickte nachdenklich und sah auf seine Konsole.
„Wir können vielleicht versuchen, sie zwischen den ganzen Wracks abzuhängen.“
„Vergiss es. Die Jäger sind viel wendiger als die alte Lady hier. Und meine beste Zeit als Jägerpilot ist auch schon vorbei. Aber nun ja, ist wohl unsere einzige Chance, überhaupt hier heil herauszukommen.“
Marc sah zu Derek und dann zu Bryce. Beide spürten, dass er gerne noch mehr gesagt hätte, aber sich einfach nicht traute, es auszusprechen. Wie es auch immer ausgehen würde, keiner der drei bereute die Entscheidung, ihrem Herzen gefolgt zu sein.
„Die THALASSOS nimmt Kurs auf die Wracks.“
„Die einzige Möglichkeit, die ihnen bleibt. Hoffentlich halten sie durch. Wie weit sind die Jäger, Mister Summers?“
Die Antwort kam vom Feuerleitpult.
„Zwei Gruppen in Formation Tango-1. Feuerreichweite auf erste Gruppe in zwo Minuten, zweite Gruppe in drei Minuten.“
„Wie aus dem Bilderbuch. Mister Mansfield, versuchen sie irgendetwas, was nicht im Handbuch steht.“
Peter Mansfield drehte erstaunt zu seinem Kommandanten um, dann begriff er. Die Formation der Jäger war genau wie im taktischen Handbuch der Flotte vorgeschrieben. Wenn sich die MOHAWK auch im Gefecht an die Vorschriften der Flotte halten würde, wären ihre Bewegungen vorhersehbar. Umgekehrt natürlich genauso. Wenn Peter also ein Manöver flog, das nicht dem Lehrbuch entsprach, musste er sich mit Jason abstimmen, sonst gab es Probleme beim Waffeneinsatz.
„Jason, ich nehme die erste Gruppe. Center und Schraube.“
Jason O’Brian grinste. Er wusste, was Peter wollte. Statt ein Ausweichmanöver zu machen, wollte er stumpf auf die erste Gruppe zufliegen, mitten hindurch und dabei das eigene Schiff um die Längsachse drehen. Dabei konnten beide Breitseiten sehr schnell hintereinander auf alle sie umgebenden Ziele wirksam werden.
„Jawohl, Center und Schraube.“
Die MOHAWK war bereits unterwegs. Die anfliegende erste Gruppe Jäger konnte ihr Manöver anscheinend nicht genau interpretieren, denn anstatt ihre Formation aufzulösen, flogen sie einfach weiter. Mit Einleitung der Rotation begann die MOHAWK zu feuern und hatte mehr Erfolg, als Jason und der Rest der Besatzung zu hoffen gewagt hatten. Alle vier Jäger explodierten lautlos im Weltall. Die zweite Gruppe Angreifer stob wild auseinander und versuchte erst einmal Abstand zu gewinnen.
„Mister Summers, wie weit ist der Frachter?“
„Jetzt zwischen den Wracks. Den Sensoren nach wurde ein Jäger abgeschossen, Sir.“
Lieutenant Granger schüttelte den Kopf. Das würde eng werden.
Der Sprung führte sie mitten in eine Raumschlacht.
Lieutenant Vernon zog die PANTHER hoch, um einer Gruppe Raumjäger zu entgehen, die fast rechtwinklig seinen Kurs kreuzten.
„Was zum Henker…“
Mike Fryer begann hektisch zu arbeiten.
„Dreiundzwanzig Kontakte. Davon achtzehn ohne Energiesignatur. Möglicherweise Wracks. Aktiv ist eine Korvette, zwei RANGER und zwei Patrouillenboote. Dann noch… was? Ein Bergungsschiff der MECHANIC-Klasse. Ein weiterer Kontakt mit Kennung, das ist die MOHAWK. Befindet sich im Gefecht mit mehreren Raumjägern ohne ID. Dann noch ein Frachter ROVER-Klasse. Kennung ist THALASSOS. Wird ebenfalls von Jägern ohne ID verfolgt.“
„So eine… Was wird das hier? Es gibt nur zwei aktive Kennungen? Der Kreuzer und dieser Frachter, richtig? Wenn die von jemandem ohne Kennung beschossen werden gibt es nur eine Erklärung. Danny, wir befreien erst mal den Frachter von seinen Fans. Mike, ich brauche mal die MOHAWK.“
Die PANTHER war bereits auf ihrem Kurs zum Wrackfeld, als Lance Vernon auf die MOHAWK durchgestellt wurde.
„Arcadia Guard Ship MOHAWK, Lieutenant Granger.“
„Und hier ist der Patrouillenkreuzer PANTHER. Lieutenant Vernon. Sie sind ganz schön weit weg von zu Hause, Lieutenant.“
„Wir verfolgen einen Piraten der vor Kurzem Arcadia überfallen hat. Leider sitzt der jetzt auf dem Bergungsschiff und wir müssen uns mit den restlichen Piraten herumschlagen“
„Aha, verstanden. Was ist mit dem Frachter?“
„Die THALASSOS? Keine Ahnung. Die hat ein weiteres Schiff verfolgt, das ebenfalls auf dem Bergungsschiff gelandet ist. Keine Ahnung warum. Ihr Captain, ein gewisser Henderson hat uns rechtzeitig vor den Jägern der Piraten gewarnt.“
„Okay, danke. Wir werden erst mal den Frachter erlösen. Ich denke, sie werden mit den Jägern hier selber fertig.“
„Kein Problem. Bis nachher.“
Lance Vernon trennte die Verbindung und überlegte einen Moment.
‚Henderson? Henderson? Nein, das konnte nicht sein. Das wäre ein zu großer Zufall‘.
Die Stimme von Daniel Yordis riss ihn aus seinen Überlegungen.
„Feuerreichweite in einer Minute. Wir können sie von hinten aufrollen.“
„Dann mach mal, Kleiner.“
Mike Fryer und May Brittney grinsten leicht. Lance Vernon passte normalerweise auf, während des Dienstes nicht allzu persönlich zu werden, aber mit Daniel war das so eine Sache.
Lance Vernon und May Brittney standen in der Küche und unterhielten sich leise.
„Du bist selber schuld. Warum willst du keine dauerhafte Beziehung mehr? Ich weiß, es war schwer, aber wir haben nun mal kein anderes Leben. Meinst du vielleicht, Theo fällt es leicht, wenn ich mit der PANTHER rausgehe? Und wir machen das schon seit 30 Jahren. Du hast deinen Partner verloren, richtig. Und es war schwer für dich. Das war es für uns alle, als die TIGER nicht mehr zurückkehrte. Dennoch, Lance, es gibt noch andere Männer. Es ist nicht gut, wenn du allein bleibst.“
Hinter den beiden ertönte ein leises Geräusch und sie fuhren herum. Daniel stand dort, lediglich in knallgelben Boxer-Shorts und mit verstrubbeltem Fell. Er war wohl gerade aufgestanden und hatte das Gespräch mitgehört. Lance Vernon fuhr herum, musterte ihn mit einem eisigen Blick und verschwand schnell in seiner Kabine.
Daniel sah ihm mit offenem Mund nach.
„Unser Captain ist schwul?“
May Brittney funkelte den Felidaner nun ebenfalls an.
„Nichts, was dich angehen würde. Wenn du was wissen willst, frag ihn selber.“
Sie verschwand ebenso wie Lance schnell in ihrer Kabine. Daniel stand mit hängenden Ohren und hängendem Schweif in der Küche und überlegte, wie er aus der Nummer wieder herauskommen sollte.
Eine Woche lang sprach Lance mit Daniel nur noch dienstlich. Selbst Michael bekam mit, dass etwas nicht stimmte. Am neunten Tag bekam Lance eine merkwürdige Nachricht auf seinem MFA.
‚Lieutenant Vernon. Mein Name ist Captain (RM) Stella Frings. Ich hätte sie gerne in einer persönlichen Angelegenheit gesprochen. Teilen sie mir bitte mit, ob sie heute Zeit haben‘.
Lance war verwirrt. Er kannte keine Stella und schon gar keine, die Captain bei den Marines war. Dennoch war er neugierig und vereinbarte einen Termin um 19:00 Uhr in der Offiziersmesse der FIRELANCE.
Etwas unruhig stand er im Eingangsbereich, als hinter ihm eine Stimme ertönte.
„Lieutenant Vernon?“
Lance fuhr herum und erstarrte. Captain (RM) Frings war eine Felidanerin. Die ausgesprochen hübsche junge Frau hatte das braungelbe Fell eines Pumas mit langen schwarzen Haaren.
„Ich bin Captain Frings. Aber wollen wir uns nicht setzen?“
Zu Lances Verblüffung hängte sich der Captain bei ihm ein und führte ihn hinüber zu einer entlegenen Sitzecke.
„Möchten sie etwas trinken, Lieutenant?“
„Äh, bitte? Oh, ja. Also… einen Tomatensaft bitte.“
Stella Frings zuckte nicht einmal mit den Augenbrauen, geschweige denn mit ihren Ohren, sondern betätigte geschickt die Bestelltastatur. Nachdem die Getränke eingetroffen und verteilt worden waren, lehnte sie sich zurück und betrachtete Lance Vernon genauer.
„Ich werde sie nicht länger auf die Folter spannen. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einem netten jungen Mann. Einem netten felidanischen jungen Mann. Er hat nur leider das Gefühl, dass er etwas verkehrt gemacht hat, es ihnen aber nicht sagen kann.“
„Was? Daniel… Und da ist er zu ihnen gegangen? Das verstehe ich nicht. Was soll das Ganze. Wenn er mir etwas sagen will, dann kann er das auch selber machen.“
„Das ist nicht so einfach, Lieutenant. Für einen Felidaner schon gar nicht. Fangen wir einmal so an: Daniel steht etwas im Rampenlicht. Er kann sich auf Charon III keinen Fehltritt erlauben und in der Raumflotte erst recht nicht. Deshalb muss er sich immer etwas zurücknehmen, obwohl ich ihn als sehr aufgeweckten und lustigen jungen Mann kennengelernt habe.“
„Sie kennen ihn von früher?“
„Ja, da komme ich gleich drauf zurück. Ich nehme an, sie haben sich nicht näher mit felidanischer Kultur beschäftigt?“
„Äh, nein.“
„Schade. Aber was ich sagen wollte ist, wenn Felidaner eine Partnerschaft eingehen, dann ist das eine sehr ernsthafte Entscheidung, die viel tiefer reicht als bei vielen menschlichen Partnerschaften. Ein Felidaner ist treu bis in den Tod und das ist wörtlich zu nehmen.“
Lance Vernon wurde auf einmal blass, als ihn noch einmal die Erinnerungen überrollten.
„Es tut mir leid, aber ich wollte ihnen nicht zu nahetreten. Ich habe sie damals gesehen bei der Trauerfeier. Ich nehme an, sie haben mich nicht bemerkt. Mein Mann war der Feuerleitoffizier der TIGER.“
Jetzt schreckte Lance aus seinen Erinnerungen auf. Die TIGER und ihre Besatzung. Andy natürlich. Aber er konnte sich auch noch gut an den Felidaner erinnern und dann traf ihn fast der Schlag. Kelvin Yordis!
„Kelvin? Er war ihr Mann? Dann ist…“
„Ich sehe, sie erinnern sich. Ja, auch eine Tradition der Felidaner. Ist der Partner tot, kehrt man in seine eigene Familie zurück. Aber richtig, Kelvin war Daniels ältester Bruder. Es gibt noch einen und auch der war bei den Royal Marines, aber nun fährt er auf einem Escort-Frachter. Alle drei Söhne der Präsidentin sind, oder waren, Marines.“
„Das ist… Jetzt weiß ich, warum das Flottenkommando Daniel in Watte packen wollte.“
Captain Frings lachte.
„Tja, und am meisten angepisst war die Präsidentin. Ob ihre Söhne nicht gut genug wären für den Dienst in der Flotte.“
Lance Vernon schwieg einen Moment.
„Was hat Daniel denn von ihnen genau gewollt? Sie haben bisher immer nur ganz allgemein über ihn gesprochen.“
„Habe ich das? Oh, richtig. Da ist noch das kleine Problem. Daniel ist schwul. Das ist nicht weiter tragisch, aber es brauchen nun nicht gerade alle zu wissen. Außerdem hat er sich maßlos verknallt. Auch das ist sein eigenes Problem, da muss er selbst mit fertig werden, besonders, weil die Chancen, dass der andere ebenfalls schwul ist, äußerst gering waren. Bis jetzt.“
Lance Vernon saß mit offenem Mund da. Er ahnte, in welche Richtung es gehen sollte und es gefiel ihm kein Bisschen.
„Nun aber hat er erfahren, dass sein heimlicher Schwarm ebenfalls schwul ist. Wäre ja ideal, aber nein, es ist nicht so einfach. Da kommt wieder die kulturelle Hemmschwelle. Sein Schwarm hat sein Herz noch nicht von seiner letzten Liebe gelöst. Deshalb wird Daniel es nie wagen, über seine Gefühle zu reden. Kommt ihnen die Geschichte bekannt vor, Lieutenant?“
Lance Vernon war nun vollkommen in seinen Gedanken gefangen. Bruchstücke aus seiner Erinnerung mit Andy vermischten sich mit dem niedlichen Gesicht und dem hellen Lachen von Danny.
Als Lance wieder aus seinen Erinnerungen auftauchte war er allein. Langsam machte er sich auf den Weg zurück zur PANTHER. Der Name des Schiffes schien sich plötzlich wie ein riesiger Schatten über ihn zu legen. Die ganze Nacht wälzte sich Lance auf seiner Koje und versuchte einen Sinn zu finden in der Vergangenheit, der Gegenwart und vielleicht in der Zukunft. Dann fiel ihm ein, was Captain Frings gesagt hatte: Ein Felidaner ist treu bis in den Tod und das ist wörtlich zu nehmen. Jetzt wusste er, was er zu tun hatte.
Am nächsten Morgen saß Lance Vernon beim Kaffee, als Daniel Yordis in die Küche kam. Daniel machte sofort kehrt, doch er wurde aufgehalten.
„Halt! Wo wollen sie hin, Lieutenant?“
„Auf meine Kammer, Sir.“
„Nichts da. Sie werden mich gleich begleiten. Anzug Paradeuniform mit Säbel und Orden. Abmarsch in zehn Minuten. Haben sie mich verstanden?“
„Jawohl, Sir!“
Genau zehn Minuten später trat 2nd Lieutenant Daniel Yordis im befohlenen Anzug vor die PANTHER. Lieutenant Lance Vernon, ebenfalls in Paradeuniform, sprach kurz mit SWO Brittney, die beide mit großen Augen ansah, aber dann Daniel freundlich zunickte.
Lieutenant Vernon führte seinen Feuerleitoffizier quer durch die riesige FIRELANCE, bis sie in der Nähe der Offiziersunterkünfte zu einem großen Durchgang kamen. Daniel Yordis war hier noch nie gewesen und fragte sich ernsthaft, was sie hier wollten.
Vor dem Durchgang stand ein Command Sergeant Major der Marines und musterte sie beide unauffällig. Command Sergeant Major war der höchste Dienstgrad, den ein Unteroffizier der Marines erreichen konnte. Und es war nicht gerade einfach, ihn zu erreichen. Der CSM schien zufrieden zu sein mit ihren Erscheinungen und ihrem Auftreten, denn er grüßte sie und der Gruß wurde erwidert.
Hinter dem Durchgang öffnete sich eine kleine Halle, fast so groß wie ein Hangar. Mitten in der Halle stand das Hologramm einer riesigen Schale, in der ein Feuer brannte. Die beiden Seitenwände und die Frontseite der Halle waren über und über mit Bildern bedeckt.
Nun wusste Daniel, wo er war und ein kalter Schauer ließ sein Rückenfell erzittern. Langsam führte Lance den jungen Felidaner zu einer Seitenwand, an der oben der Schriftzug 12. Patrouillengeschwader angebracht war. Wortlos deutete Lance auf vier Bilder mit vier kleinen Plaketten unter dem Schriftzug HMPC TIGER. Lieutenant Andrew Carlisle. Sublieutenant Anne Holmes. 1st Lieutenant Kelvin Yordis. Warrant Officer Miguel Sanchez.
Daniel starrte wortlos auf das Bild seines Bruders. Würde auch ihn dieses Schicksal ereilen? Ohne darüber nachzudenken, hob Daniel seine rechte Hand zum Salut und verharrte so eine ganze Weile. Erst als er die Hand wieder herunternahm, bemerkte er, dass Lance, der rechts neben ihm stand, das gleiche getan hatte. Dessen Blick war auf das Bild von Andy Carlisle gerichtet. Lance begann leise zu sprechen.
„Nun, Andy…“
Daniel versuchte sich zurückzuziehen, doch Lance ergriff ihn mit seiner linken Hand am rechten Handgelenk und zog ihn dicht neben sich.
„… ich habe diesmal jemanden mitgebracht und du kannst dir sicher denken, warum. Ich kann mich erinnern, dass du damals gesagt hast, ich soll nicht um dich trauern, wenn es so weit kommt. Doch wie könnte ich dich je vergessen. Ich werde dich auch nie vergessen, auch wenn jetzt mein Leben vielleicht eine Wendung nimmt, an die ich nie gedacht habe. Vielen Dank für deine Zeit mit mir.“
Lance machte einen halben Schritt nach rechts und Daniel wusste, was er wollte. Ein letzter militärischer Gruß, dann eine perfekte Kehrtwendung. Langsam verließen die beiden die Ehrenhalle.
Der Command Sergeant Major am Ausgang sah ihnen nachdenklich hinterher. Selten hatte er gesehen, dass ein Offizier der Navy die Kehrtwendung mit Säbel so perfekt hinbekam. Und er hatte schon so einiges hier gesehen. Die beiden allerdings gaben ein sehr schönes Paar ab. Er hoffte nur, dass er ihre Bilder hier nicht mehr in seinen restlichen Jahren zu sehen bekam.
„Feuererlaubnis bei Erreichen der maximalen Entfernung.“
„Aye, aye, Sir.“
„Einen hab‘ ich erwischt. Die anderen sind zu schnell oder nutzen die Wracks als Deckung.“
„Das sind dann immer noch drei zu viel. Wir müssen in Bewegung bleiben.“
„Hyperraumaustritt! Da kommt noch einer.“
„Was? Noch mehr von den Armleuchtern?“
„Nein, das ist ein – oh, ein Patrouillenkreuzer der Flotte. Laut Kennung HMPC PANTHER. Der Kommandant spricht gerade mit dem von der MOHAWK.“
„Wenigstens etwas. Was machen die jetzt?“
„PANTHER nähert sich dem Wrackfeld. Die sind da irgendwo hinter uns.“
Marc und Bryce wurden von einem Rütteln unterbrochen, das Derek kommentierte.
„Treffer im Heckschirm. Zustand bei 30 Prozent. Beim nächsten Treffer sind sie durch.“
„Scheiße. Wir müssen…“
„Gegnerausfall! Die PANTHER hat uns einen vom Heck gepflückt.“
„Klarmachen für Looping. Wir gehen oben durch die kleine Lücke zwischen den Train-Modulen.“
„Sicher?“
„Die beiden Jäger werden sich auf die PANTHER konzentrieren. Da rechnen sie hoffentlich nicht mit unserer Rückkehr.“
Marc zog die THALASSOS hoch wie einen Raumjäger, obwohl das mit dem alten Frachter längst nicht so elegant und wendig aussah. Tatsächlich waren beide Raumjäger nun im Anflug auf den Patrouillenkreuzer.
„Bryce, den linken.“
Marc und Bryce mussten sich absprechen, denn die beiden starr eingebauten Plasmakanonen zeigten genau in Flugrichtung und wurden durch den Piloten abgefeuert. Bryce konnte lediglich den Turm frei bewegen.
„Feuer!“
Die Plasmakanonen und der Zwillingsturm fanden ihr Ziel und ein weiterer Raumjäger ereilte sein Schicksal. Der letzte der vier wurde kurz danach von der PANTHER erledigt.
Plötzlich war es irgendwie ruhig. Sowohl im Cockpit als auch im Weltraum.
„THALASSOS, hier ist die PANTHER, Lieutenant Vernon.“
Marc Henderson sah völlig verblüfft auf seinen Monitor.
„Vernon? Lance Vernon?“
„Ha, hab ich’s mir doch gedacht. Marc, du alter Blödmann. Was, zum Henker, machst du in so einer Konservendose?“
„Frag‘ lieber nicht. Aber deine Kiste ist doch auch zweimal so alt wie du.“
„Wie wahr. Aber kann mir jemand mal verraten, was hier los ist? Der Kommandant der MOHAWK hat was von Piraten erzählt. Wenn das hier ein Piratenunterschlupf ist, sind wir bestimmt noch lange nicht fertig.“
Wie auf ein Stichwort kamen auf beiden Schiffen neue Meldungen herein.
„Energieausbruch! Die fünf aktiven Einheiten haben ihre Triebwerke gestartet. Noch keine weiteren Bewegungen.“
„Mist, wir müssen was machen. Wir dürfen uns nicht trennen lassen.“
„Hier ist die MOHAWK. Wenn sie einverstanden sind, übernehmen wir das Kommando.“
„THALASSOS ist einverstanden. Ihre Anweisungen?“
„PANTHER einverstanden. Ich brauche nur eine Bestätigung für mein Log.“
„Wird übermittelt. Verband geht in Formation fünf. THALASSOS Nord, PANTHER Süd.“
Marc musste einen Moment überlegen, dann fiel es ihm wieder ein, was Formation fünf war.
„Verstanden Formation fünf, Nord.“
„Verstanden Formation fünf, Süd.“
Die beiden kleineren Einheiten strebten auf die MOHAWK zu und setzten sich auf die angegeben Positionen. Die THALASSOS nördlich, also oberhalb der MOHAWK, die PANTHER darunter. So hatte die MOHAWK ein freies Schussfeld nach beiden Seiten und bekam Deckung oben und unten. Die beiden Begleitschiffe konnten jederzeit durch eine Rollbewegung unterstützt werden.
Bryce hatte die gegnerischen Schiffe im Auge behalten.
„Gegner formiert sich. Sieht tatsächlich so aus, als ob sie angreifen wollen.“
„Das kann ja interessant werden.“
Doch noch während der Gegner sich endgültig formierte, gab es eine weitere Unterbrechung.
„Da startet jemand von dem Bergungsschiff. Sieht aus wie ein umgebauter Frachter der PROFIT-Klasse.“
„MOHAWK hier. Das ist das Piratenschiff, das Arcadia überfallen hat. Wir wissen, dass Personen entführt wurden, sind aber nicht sicher, ob sie bei der Landung abgegeben wurden. Gibt es eine Möglichkeit, das Schiff außer Gefecht zu setzen, ohne es vorher halb zu zerstören?“
Marc sah erst Bryce, dann Derek an. Beide zuckten mit den Schultern. Derek scrollte in irgendeinem Handbuch, dann sah er zu Marc.
„Schnell, wir brauchen einen Piloten in einem Raumanzug.“
„Was? Wozu?“
„Frag nicht, mach einfach.“
„MOHAWK von THALASSOS. Haben sie einen qualifizierten Piloten mit einem Anzug für Außenarbeiten?“
„Bitte? Wir haben… Moment. Ja, haben wir.“
Marc versuchte gerade Dereks wilde Handzeichen zu interpretieren.
„Den holen wir gleich an der Steuerbord-Schleuse ab.“
Derek nickte, also hatte er ihn richtig verstanden.
Drei Minuten später war die THALASSOS neben der MOHAWK und aus deren Schleuse schwebte jetzt eine einsame Gestalt herüber.
Bryce bediente die Schleusenanlage der THALASSOS und als er das innere Schott öffnete, kam ihm eine Gestalt in einer nagelneuen Energierüstung entgegen. Der Träger nahm den Helm ab und ein noch sehr jugendliches Gesicht mit goldblonden Haaren erschien.
„Ensign Peter Mansfield. Arcadia Miliz.“
„Ensign? Wie alt bist du denn, Herzchen?“
entfuhr es Bryce unwillkürlich.
„Achtzehn, Sir.“
Peter war leicht angepisst. Was sollte das mit dem Alter? Und was hieß hier überhaupt Herzchen? Er merkte zu seinem Entsetzten, wie er wieder rot anlief.
„Pass auf. Wir fliegen jetzt zu dem Wrack des Space-Trains. Dort musst du einen der Container-Schlepper erwischen. Wir geben dir Deckung. Damit fliegst du auf den Frachter zu und betätigst das Beladeprotokoll. Damit sollte automatisch das Schirmfeld im Bereich der Containeraufnahme abgeschaltet werden. Den Rest überlässt du der PANTHER.“
Peter Mansfield sah verblüfft auf den fremden Mann mit der blauen Haarsträhne herab. Das sollte funktionieren? Dann schloss er ergeben die Augen. Schade. Er hätte so gerne noch Sex gehabt, bevor er starb.
Boarding
Hendrik van Seelst saß nun völlig nervös auf dem Platz des Piloten. Lucas McAllen sah ihn beruhigend an.
„Bleib ruhig. Wir brauchen erst mal nur die Position zu halten.“
Hendrik nickte. Er wusste, dass Peter zu Dummheiten neigte, aber die Nummer war deutlich zu viel. Auch Jason machte ein sehr verbissenes Gesicht. Kein Wunder, vor nicht allzu langer Zeit hatte Peter eingewilligt, sein fester Freund zu werden und nun meldete er sich freiwillig zu einem Himmelfahrtskommando. Die beiden würden noch etwas Gesprächsbedarf haben.
„Die THALASSOS kommt zurück. Doppelkontakt. Sie wird von irgendwas begleitet.“
„Dann hat Ensign Mansfield einen Schlepper gefunden. Lieutenant O’Brian, Boardingteam klarmachen zum Absetzen.“
„Aye. Aye, Sir.“
Jason sammelte seine verbliebenen zehn Marines in der Steuerbordschleuse. Wenn alles klappte, würde die PANTHER den Antrieb des Frachters zerstören und sie konnten über eine Lücke in der Außenhaut in das Schiff eindringen.
Jason drehte sich erstaunt um, als eine weitere Gestalt in einer Energierüstung in die Schleuse trat. Ein kleiner Aufkleber auf dem Helm war mit ‚Fraser‘ beschriftet.
„Colton, was machst du hier?“
„Ich darf mit den großen Jungs spielen. Ohne mich kommt ihr doch nicht mal durch eine einfache Tür.“
Jason schüttelte lediglich wortlos den Kopf.
„Boardingteam, es wird noch etwas dauern. Unser Ziel hat Fahrt aufgenommen und versucht sich mit den anderen Gegnereinheiten zu treffen. Wir müssen sie erst mal aufhalten.“
Aufhalten? Mit einem einzelnen leichten Kreuzer? Und er stand hier dumm herum, statt an seiner Konsole zu sitzen. Die Feuerleitkonsole hatte zu seiner Überraschung Lieutenant Granger selbst übernommen. Und an den Pilotenkontrollen saß nun Hendrik.
Pilotenkontrollen? Peter, dieser Idiot, hatte nichts Besseres zu tun, als sich freiwillig zu melden. Sie würden dringen miteinander reden müssen, wenn er zurückkehrte. Falls er zurückkehrte. Jason wurde übel bei dem Gedanken und er musste ihn unbedingt verscheuchen. Er sollte sich wohl besser auf die vor ihm liegende Aufgabe konzentrieren.
Die Geräusche innerhalb der MOHAWK veränderten sich. Inzwischen hatte Jason gelernt, die unterschiedlichen Töne voneinander zu unterscheiden. Das leise Brummen der Generatoren war einem erheblich tieferen Ton gewichen. Die Energieerzeuger liefen auf Volllast. Das kurze helle Pfeifen der Speicherbänke für die Waffen war deutlich zu vernehmen und die schnelle Abfolge ließ darauf schließen, dass die Geschütze sich im Dauerfeuer befanden.
Jason wurde nervös. Langsam wurde es Zeit. Hatte Peter keinen Erfolg gehabt? Das konnte nur eins bedeuten. Peter war…
„Boardingteam klarmachen zum Absetzen. Der Antriebsbereich des Gegners ist zerstört. Energieemissionen nur noch an zwei Stellen. Absetzpunkt ist die Containeraufnahme. Gehen sie dort bis ganz hinunter. Auf der Bodenebene sind Schleusen.“
„Boardingteam verstanden. Bodenebene Containeraufnahme.“
Sofort nach der Meldung begann die Alarmleuchte der Schleuse zu blinken. Die Schleuse wurde in Betrieb genommen. Wenige Augenblicke später öffnete sich das Außenschott und Jason sah dicht vor sich die Oberseite des gegnerischen Piratenschiffes. Die PANTHER hatte anscheinend gut zugeschlagen. Fast das gesamte Heck war verschwunden und an der Kante ragten die Überreste der Inneneinrichtung heraus. Einige Trümmerteile schwebten langsam vom Wrack davon. Die Containeraufnahme war komplett leer. Jason konnte bis auf den Boden sehen. Das würde zunächst einmal einfach werden.
Auf sein Zeichen hin schwebten alle zwölf jungen Männer hinüber und ließen sich durch die offenen Containerschächte bis auf den Boden sinken. Nach kurzem Suchen fanden sie auch die Schleuse, die sie weiter nach vorne führen sollte.
Eine Vibration, als ob jemand auf einen Stahlträger schlägt, ließ sie herumfahren. Jason konnte zunächst nichts entdecken, bis ein kleiner Schatten den Containerschacht heruntergeschwebt kam. Die Marines gingen in Abwehrposition, bis eine Stimme in Jasons Helmlautsprecher ertönte.
„Nicht schießen. Ich bin doch nur der Treckerfahrer.“
„Peter!“
„Ensign Mansfield, melde mich zurück.“
„Danke.“
Jason war froh, dass er einen Helm trug. So konnten die anderen nicht sehen, wie seine Augen feucht geworden waren.
Die PANTHER schoss mit voller Beschleunigung hinter dem kleinen Containerschlepper her und Lance hoffte, dass der Plan funktionieren würde. Entweder hatten die Piraten den kleinen Schlepper gar nicht wahrgenommen oder nicht als Bedrohung eingestuft, denn die ersten Schüsse wurden ausschließlich auf die PANTHER abgegeben.
„Schön ausweichen. Unsere Schirmfelder taugen nicht viel bei einem direkten Treffer.“
Lance brummte lediglich, während er weiter auf das Piratenschiff zuhielt. Wenn nicht gleich etwas passierte, würden sie mit dessen Schirmfeld kollidieren und das war mehr als ungesund.
„Frei!“
Lance reagierte sofort und er nutzte die Lücke über dem Containerschacht, um innerhalb des Schirmfeldes zu gelangen.
„Danny.“
Daniel Yordis brauchte keine Aufforderung. Jetzt zeigte sich, warum diese doch relativ kleinen Fahrzeuge als ‚Kreuzer‘ klassifiziert worden waren. Ihre Bewaffnung war für die Masse des Schiffes deutlich überdimensionieret.
2nd Lieutenant Yordis brachte alle sechs Geschütze im Vorausbereich in den Einsatz und sein Ziel war das Heck des Schiffes, dicht vor den riesigen Triebwerksdüsen. Hier verliefen die Leitungen der Reaktionsmasse für den Antrieb. Sollte die Reaktionsmasse unkontrolliert freigesetzt werden, würde das eine Explosion verursachen, die den gesamten Antrieb und hoffentlich auch die in der Nähe befindlichen Energieerzeuger zerstören würde.
Michael Fryer konnte von seiner Position aus erkennen, wie sich die Plasmastrahlen in den Rumpf des Schiffes bohrten und kurz darauf eine lautlose Explosion Teile der Außenverkleidung nach oben riss.
„Treffer.“
Das Piratenschiff hörte auf zu beschleunigen, dann erloschen die Schirmfelder.
„Weg hier.“
Lance Vernon zog die PANTHER hoch und entfernte sich von ihrem Gegner. Weitere Zerstörungen wurden dort am Heck sichtbar. Ein großes Stück brach ab und driftete langsam davon.
„Wir haben es geschafft.“
„Ja. Aber jetzt kommt der zweite Teil. Die MOHAWK muss noch ihr Boardingteam absetzen. Wir müssen aufpassen, dass die restlichen Idioten ihr nicht in die Quere kommen. Ach übrigens, wo ist denn unser kleiner Held abgeblieben?“
„Du meinst den Typ mit dem Schlepper? Moment, da war doch gerade… Aha. Der hat das Ding oben an einem Containerschacht festgemacht. Ich glaube, da gibt es sogar eine dafür vorgesehene Stelle.“
„Natürlich gibt es die, ihr Ignoranten. Hättet ihr die Weiterbildungskurse in Schiffstechnik besucht, wüsstet ihr das.“
Die Antwort kam gleich dreifach.
„Jawohl, Madam.“
Die Energierüstungen waren tatsächlich ihr Geld wert. Ohne sie hätte das Boardingteam die erheblich unhandlicheren Raumanzüge über ihren Kampfpanzerungen tragen müssen. Außerdem retteten sie gerade zwei Mann das Leben. Sie waren die beiden ersten, die die kleine Schleuse verließen, um den inneren Zugang zu sichern. Dabei aktivierten sie eine vorbereitete Sprengladung. Die Explosion schleuderte beide Soldaten in den Gang, doch bis auf ein paar Prellungen blieben beide unverletzt.
„Wir müssen aufpassen. Die hier sind deutlich besser vorbereitet und wohl auch besser bewaffnet als die Gegner beim letzten Mal.“
Peter und Colton hielten sich diesmal freiwillig am Ende des Teams auf. Sie hatten zwar beide einen Lehrgang für den Nahkampf auf Schiffen gemacht, doch die Marines waren da deutlich besser ausgebildet.
Auch die Verteidigungsanlagen waren auf diesem Piratenschiff erheblich besser als auf dem vorherigen. Einige der Gangkreuzungen waren mit automatischen Geschütztürmen gesichert und sämtliche Sicherheitsschotts, die sich bei jeder großen Beschädigung schlossen, waren komplett verriegelt.
„Das wird eine interessante Aufgabe. Entweder wir gehen da lang, wo der Weg frei ist, aber da werden sie schon auf uns warten. Oder wir müssen uns den Weg durch das ganze Schiff freisprengen oder freischießen. Colton, wieviel Sprengstoff hast du mit?“
„Das reicht höchstens für drei Durchgänge. Und durch schwere Panzerschotts kommen wir damit auch nicht.“
Jason nickte nachdenklich.
„Jemand eine Idee?“
Peter war noch dabei, den Schiffsplan auf seinem Head-Up-Display (HUD) durchzusehen, hob aber eine Hand.
„Ja?“
„Wir können hier nach Backbord zur Frachtschleuse 4. Dann nach draußen und in die Frachtschleuse 2 wieder rein. Die großen Schleusen haben eine Notsteuerung für den Fall des Energieverlustes. Solange die Schleuse keine Energie hat, kann sie ausschließlich über die Notsteuerung bedient werden.“
Jason sah nun ebenfalls auf seinen Plan.
„Das würde bedeuten, wir müssen raus in den Weltraum. Wenn was schief geht, hängen wir alle draußen und das war’s.“
„Ich geh allein raus und probiere die Notsteuerung.“
Jason drehte sich überrascht zu Colton.
„Was ist? Wenn ich es nicht hinkriege, schafft ihr das auch nicht.“
Colton schaffte es im ersten Anlauf. Er stand auf dem schmalen Absatz vor der Schleuse und betätigte den mechanischen Hebel für die Notsteuerung. Damit wurde ein kleiner unabhängiger Generator aktiviert, der das Schleusentor mit Energie versorgte. Das Tor fuhr langsam auf und Colton leuchtete in den dunklen Schleusenraum.
„Tor geöffnet. Alles frei.“
Wie an einer Schnur gezogen schwebten jetzt die Mitglieder des Boardingteams von einer Schleuse zur anderen. Als der letzte eingetroffen war, ließ Colton das Tor wieder zufahren. Als es verschlossen war, flammte an der Decke der Schleuse die schwache rote Notbeleuchtung auf.
„Wohin jetzt?“
„Wir müssen erst zur Brücke. Dort wird wahrscheinlich noch der Kapitän sein, oder was die hier so haben. Vielleicht kriegen wir da auch die Informationen über die Ladung. Sonst müssen wir wieder zurück. Die Frachträume sind genau zwischen den Schleusen.“
Der Weg von der vorderen Schleuse bis zur Brücke war nicht mehr so stark abgesichert wie der erste Teil. Anscheinend waren die Piraten davon ausgegangen, dass die Absicherungsmaßnahmen im hinteren und mittleren Bereich ausreichen würden.
Dennoch war die vorläufig letzte zu überwindende Hürde das Zentralschott der Brücke. Colton beäugte abschätzend die schwere Konstruktion.
„Da kommen wir so ohne weiteres nicht rein. Wir müssen uns was anderes suchen.“
Jason nickte und sah zu Peter. Der beschäftigte sich mit dem Schiffsplan.
„Also, die Brücke befindet sich ja ganz vorne im Ziegelstein. Es gibt da sogar ein echtes Fenster, das mit Panzerblenden abgedeckt werden kann. Die ganze Front ist stark gepanzert, ebenso wie die Wände der Brücke.“
Colton sah sich nach allen Seiten um. Dann rief er ebenfalls den Schiffsplan auf und verglich ihn mit seinen Beobachtungen.
„Stimmt, hier kommen wir nicht rein. Was ist denn über der Brücke?“
„Unterkünfte. Aber das Deck ist auch gepanzert.“
„Richtig. Bei mir sind einige Räume über der Brücke mit ‚Unterkunft des Kapitäns‘ beschriftet. Denkst du nicht, der Alte wird einen direkten Durchgang nach unten haben?“
„Eingezeichnet ist hier nichts.“
Jason beendete die theoretische Diskussion.
„Dann ab nach oben. Wollen doch mal sehen, wie der Herr Kapitän hier wohnt.“
Sie mussten zunächst bis zum nächsten Quergang zurück, um auf einer der breiten Treppen ein Deck höher zu gelangen. Der Zugang zu den hier oben gelegenen Wohnräumen war nicht besonders gesichert.
„Sehr merkwürdig. Man sollte meinen, ein Piratenkapitän sichert auch seine Unterkunft. Könnte ja eine Meuterei geben, oder sowas.“
„Colton, du solltest nicht so viele schlechte Tri-Vids ansehen. Wir sind hier nicht bei Ranger Randolph. So lange es etwas zu verdienen gibt, sind Meutereien wohl eher selten. Und gerade die Sklavenjäger verdienen ziemlich gut.“
Colton brummte etwas Unverständliches und besah sich dann das Schott, vor dem Jason stehengeblieben war.
„Durch ein einfaches Zahlenpad mit Fingerabdruck gesichert. Das können wir vergessen. Aber die Tür ist nicht… Nein, Moment. Könnte sein, die Tür hat einen Einbruchsalarm. Wir nehmen am besten wieder unseren privaten Nebeneingang.“
Jason sah Colton fragend an, was dieser unter den Helmen natürlich nicht sehen konnte.
„Kann es sein, dass dir das richtig Spaß macht, durch die Wände zu brechen?“
„Oh, ich war schon immer ein kleiner Draufgänger. Vorsicht, bitte. Jetzt kommt der Zünder.“
Hinter der nächsten Gangbiegung warteten sie, bis die Sprengladung einen Durchgang geschaffen hatte.
Jason schickte zwei Mann zur ersten Erkundung in den Raum, dann nach einer kurzen Rückmeldung zwei weitere.
„Sieht aus, als ob alles frei ist. Wir können jetzt nach einem Zugang nach unten…“
„Können sie mal herkommen, Sir? Ins Schlafzimmer.“
Jason drehte sich erstaunt um und sah einen seiner Marines in einer Tür stehen und ihm zuwinken. Jason ging hinüber, Peter und Colton folgten ihm neugierig.
Der Schlafraum war recht großzügig ausgestattet mit Schränken, einem Tisch, Stühlen und etlichen Kunstwerken an den Wänden. Den größten Platz jedoch nahm das Bett in der Mitte ein. Die Fläche hätte ohne weiteres für drei oder mehr Personen gereicht, doch im Moment lag nur ein einzelner Körper an einer Seite. Peter atmete heftig ein, als er die vollkommen nackte Gestalt erkannte.
Devon Capers war auch nicht zu verkennen. Das gelb-schwarz gestreifte Fell war sehr auffällig und Peter kannte ihn natürlich von der Schule.
„Devon! Was macht der denn hier?“
„Colton, du bist ein Idiot. Wenn sie tatsächlich die Schule überfallen haben, werden sie sicherlich auch einen der für sie wertvollsten Schüler mitgenommen haben.“
Jason sah sich unsicher um.
„Quatscht nicht so blöd. Hat jemand eine Sanitätsausbildung? Ich will wissen, wie es ihm geht.“
Peter seufzte.
„Das wird wohl an mir hängen bleiben. Darf ich den Helm und die Handschuhe abnehmen?“
„Wenn es sein muss. Aber immer griffbereit halten.“
Peter nahm seinen Helm und die Handschuhe ab und beugte sich über Devon. Der atmete ganz ruhig und Peter kontrollierte Devon auf äußere Verletzungen. Seine Sanitätsausbildung hatte zwar nicht die Anatomie von Felidaner beinhaltet, aber so groß waren die Unterschiede nicht. Äußerlich schien Devon unverletzt, bis auf eine Schürfwunde auf der Brust.
Peter tastete auch die Arme und Beine und den Brustkorb auf etwaige Brüche ab. Bauch und Genitalien unterzog er lediglich einer Sichtkontrolle. Als letztes blieb der Schweif, der ihm einige Rätsel aufgab. Er wusste, dass der aus Muskeln bestand und sehr flexibel war. Vorsichtig nahm er ihn in eine Hand und fuhr langsam prüfend bis an die Spitze.
Eine leise Stimme ließ ihn hektisch herumfahren.
„Wenn du so weiter machst, krieg ich einen Ständer.“
Erschrocken ließ Peter den Schweif los, der nun scheinbar ein Eigenleben entwickelte und fast spielerisch über seine Handrücken fuhr. Peter sah nach oben zu Devons Kopf, wo sich die Augen geöffnet hatten. Es waren gelbe Augen mit schwarzen, senkrecht geschlitzten Pupillen und Peter schluckte etwas bei ihrem Anblick. So nahe war er einem Felidaner noch nie gewesen.
„Du bist Peter, nicht wahr? Peter Mansfield. Habt ihr es tatsächlich geschafft, uns zu retten?“
„Ja, ich bin Peter Mansfield. Ich gehöre zum Boarding-Team der MOHAWK. Du hast gesagt, uns. Sind hier noch mehr?“
Devon sah sich etwas desorientiert um und sank dann auf das Bett zurück.
„Richtig. Ich bin ja hier oben… Dieses Arschloch. Anscheinend bin ich ihm wirklich wertvoll genug gewesen, um mich von den anderen zu trennen. Die Schule ist beim ersten Alarm evakuiert worden. Wir waren beim Training in der kleinen Halle und haben den Alarm zunächst nicht mitbekommen. Als wir raus wollten, war es bereits zu spät. Sie haben das ganze Basketball-Team und die Cheerleader mitgenommen.“
„Wo sind sie und warum bist du hier oben?“
„Die anderen sind im Frachtbereich. Und ich? Was glaubst du, was er von mir wollte?“
Peter realisierte plötzlich, wovon Devon sprach und lief knallrot an. Devon selbst drehte nur seinen Kopf zur Seite.
„Du siehst aus, als ob du betäubt worden wärst. Kannst du aufstehen und dich bewegen? Vielleicht solltest du erst mal was anziehen. Dann soll Jason entscheiden, wie es weiter geht.“
„Sie haben in der Schule mit Gas gearbeitet. Hier hat mich der Idiot mit einer Pistole mit einem Betäubungspfeil außer Gefecht gesetzt. Ich denke, mir geht es wieder einigermaßen. Welcher Jason? Jason O’Brian?“
Peter grinste und deutete auf eine der gepanzerten Gestalten im Hintergrund.
„Genau der. Unser Teamleader.“
Devon schüttelte nur seinen Kopf und suchte seine Sachen. Die lagen am Boden und als Devon sie aufnahm, fluchte er ausgiebig.
„Alles zerrissen. Das kann ich nicht mehr anziehen.“
Entschlossen trat er zu einem der Schränke und riss ihn auf.
„Oh, verkehrt.“
Der Inhalt dieses Schranks bestand aus einer Anzahl unterschiedlicher Handwaffen in verschiedenen Größen. Der nächste Schrank brachte ein besseres Ergebnis.
Einige Handgriffe später war Devon in ein paar hässliche blaue Uniformhosen mit roten Seitenstreifen und ein ebenso blaues T-Shirt gekleidet. Peter hatte ihm geholfen, hinten in die Hose ein Loch zu schneiden, durch das er seinen Schweif stecken konnte.
Jason stand derweil kopfschüttelnd vor dem Spind mit den Handwaffen.
„Fertig?“
Als die beiden nickten, griff Jason in eine Außentasche seiner Energierüstung und überreichte Devon ein Headset. Nachdenklich betrachtete Devon das Gerät in seiner Hand und zuckte mit den Schultern. Dann löste er die Lautsprecher aus den Klammern und steckte sie sich einzeln in die hochstehenden Ohren. Den Bügel mit dem Mikro setzte er normal auf.
„Oh, sorry, daran hatte ich nicht gedacht.“
„Macht nichts. Die meisten Dinge muss ich etwas modifizieren. Was wollt ihr eigentlich hier oben?“
Jason gab Peter ein Zeichen, wieder seinen Helm aufzusetzen.
„Wir vermuten einen Durchgang zur Brücke. Unten kommen wir nicht rein.“
Devon nickte und führte sie in einen kleinen Essbereich neben der Küche. Völlig unscheinbar befand sich auf dem Fußboden eine Luke, die Colton nun neugierig untersuchte.
„Da ist wahrscheinlich nur eine kleine Nottreppe drunter. Da kann maximal nur einer gleichzeitig durch.“
„Mist. Das wird schwierig. Aber wir müssen es irgendwie versuchen. Wir gehen so schnell wie möglich runter, suchen Deckung und müssen dann entscheiden, wie wir weiter vorgehen.“
Es gab keine Antworten und so trat Jason zu der Luke und öffnete sie. Unter sich konnte er tatsächlich eine senkrechte Leiter erkennen. Glück gehabt, es war Gott sei Dank keine Wendeltreppe. Jason ließ sich einfach neben der Leiter herunterfallen und sprang in die nächste Deckung, die er sah.
Genauso folgte ihm der Rest seines Trupps. Die Brückenbesatzung bemerkte erst was vor sich ging, als fast die Hälfte der Marines bereits unten war.
Der Teil der Brücke, an dem sie heruntergekommen waren, lag im hinteren Bereich. Vor sich konnten sie einige Besatzungsmitglieder an ihren Konsolen erkennen, die noch hektisch arbeiteten. Ein weiterer Trupp hatte sich bewaffnet und sah erwartungsvoll in Richtung des Brückenschotts, etliche Meter weiter links von ihnen.
‚Überraschung‘ dachte Jason. Sie hatten anscheinend nicht mit einem Angriff von oben gerechnet. Nun änderte sich die Lage. Der Trupp vor dem Brückenschott hatte sie bemerkt. Er verteilte sich etwas und eröffnete sofort das Feuer. Jason musste mit seinen Marines in Deckung bleiben, während Peter hektisch nach dem Astrogationsrechner suchte. Dort, wo er eigentlich sein sollte, war er nicht.
Jason war mit seiner Situation mehr als unzufrieden. Sie lagen hier alle hinter irgendwelchen Möbeln und Konsolen in Deckung, aber alle ziemlich dicht gedrängt. Das war mehr als ungünstig. Das schien auch einer der Gegner erkannt zu haben. Aus der Gruppe der Verteidiger richtete sich eine Gestalt auf, den Arm zum Wurf erhoben. Jason erkannte selbst auf die Entfernung eine HE-Granate. Die Dinger wurden normalerweise nicht geworfen, sondern in Granatwerfern verschossen. Sollte sie zwischen ihnen explodieren, würden selbst die Energierüstungen schweren Schaden nehmen.
Noch bevor die Granate den Wurfarm verließ, vernahm Jason ein leises Geräusch, das ihn nach oben sehen ließ. Devon Capers hatte die ganze Zeit oben an der Luke zugesehen, doch nun ließ er sich kopfüber herunterhängen. In seinen Händen hielt er ein schweres Lasergewehr und mit einem einzigen Schuss traf er den Arm, der die Granate hielt. Blitzschnell verschwand Devon und man konnte hören, wie die Luke verriegelt wurde.
„Granate!“
Die Marines warfen sich flach auf den Boden und versuchten so viel Deckung wie möglich zu nehmen. Die Piraten hatten da weniger Glück. Der Laserschuss hatte den Piraten zwar in die Schulter getroffen, doch bedingt durch den Schmerz und seine Reflexe, hatte er seinen Arm heruntergerissen und damit auch die HE-Granate. Ihm blieben gerade noch zwei Sekunden für die Erkenntnis seines Fehlers, als die Granate zwischen den Verteidigern des Brückenschotts explodierte.
„Alles auf!“
Jason sprang auf und sein Marines folgten ihm, ebenso Colton und Peter. Von der Einrichtung der Brücke war rund um den Explosionsort nicht mehr viel übrig. Die Zerstörung hatte sogar bis zu den Konsolen und dem großen Panoramabildschirm gereicht. Peter versuchte so gut wie möglich die herumliegenden Leichen und Leichenteile zu ignorieren. Lediglich in der am weitesten entfernten Ecke hatten einige Piraten an ihren Konsolen überlebt und griffen zu den Waffen. Aber auch dieses Problem erledigten die Marines sofort.
„Sind die bescheuert? Was wird das? Die müssen doch gemerkt haben, dass sie keine Chance hatten.“
Peter fuhr erschreckt herum, als hinter ihm eine Stimme ertönte. Doch es war Devon, der sich erschüttert auf der zerstörten Brücke umsah.
„War… war ich das?“
„Ich fürchte, ja. Du hast uns allen das Leben gerettet.“
Devon schüttelte ungläubig seinen Kopf und sein Gesicht zeigte Trauer und Verzweiflung.
„Aber es sollte nicht so sein. Es waren Menschen, die gelebt haben, die…“
Peter wartete nicht auf eine Genehmigung, sondern nahm wieder Helm und Handschuhe ab. Dann trat er auf Devon zu und zog ihn etwas an sich. Sanft berührte er ihn an den nach vorne hängenden Ohren.
„Du hast es für uns getan. Es gab in diesem Moment keine Alternative. Es gibt Situationen, denen kannst du nicht ausweichen, nicht darüber nachdenken und auch nicht deren Sinn abwägen. Du hast getan, was deine Überzeugung dir gesagt hat. Du hast dich für uns entschieden.“
Devon seufzte tief.
„Ja. Es ist manchmal nicht leicht, Entscheidungen zu treffen. Die hier war sehr einfach, obwohl sie im Nachhinein eine ganz andere Dimension angenommen hat. Brian hat mal gesagt, man kann nicht alles vorausplanen. Das Schicksal fragt uns meistens nicht nach unseren Wünschen.“
„Brian? Du meinst Brian Summers?“
„Wie? Oh ja. Wir kennen uns schon etwas länger.“
Peter sah den Felidaner etwas merkwürdig an. Er hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet Brian sich mit ihm anfreunden würde.
„Die Brücke ist sicher. Was machen wir jetzt? Viele Infos werden wir hier ja nicht mehr bekommen.“
„Das würde ich nicht so sagen.“
Colton hatte ebenfalls Helm und Handschuhe abgelegt, war von einer Konsole zur anderen gewandert und studierte die heil gebliebenen Anzeigen.
„Hier, das ist die Steuerkonsole für die Befrachtung. Damit kann man die Containerklammern steuern, die Frachtschleusen und auch die Durchgänge zu den Frachträumen. Und das Schönste daran ist, die Konsole ist noch betriebsbereit.“
„Also können wir in den Frachtbereich?“
„Theoretisch schon. Aber wie wir gesehen haben, lassen sich auch alle Schotts manuell bedienen. Dazu brauchen sie nur von der Zentralsteuerung getrennt zu werden. Das ist wohl hier, beim Frachtraum III passiert. Aber ich kann etwas anderes machen.“
Der große Zentralschirm war ebenfalls von der Explosion in Mitleidenschaft gezogen worden, doch einige Ausschnitte funktionierten noch. Auf einer Seite erschienen jetzt drei kleine Ansichten, die wohl von Überwachungskameras stammten.
Jason nahm nun ebenfalls seinen Helm ab und sie sahen neugierig nach oben.
Zwei der Kameras zeigten leere Gänge, doch die dritte zeigte einen Ausschnitt aus dem Frachtraum III. Mehrere schwer bewaffnete Männer liefen nervös auf und ab. Sie trugen unterschiedliche Bekleidung und einige wahllos zusammengestellte Teile von Körperpanzern. Im Hintergrund konnte man die leuchtenden Trennfelder von Gefängniszellen erkennen.
„Da halten sie wohl die anderen gefangen. Ich möchte wissen, worauf sie warten. Sie sollten doch eigentlich mitbekommen haben, was passiert ist. Warten sie etwa auf Verstärkung?“
Jason musste Peter insgeheim recht geben. Hatten sie zu viel Zeit vertrödelt?
Während Colton sich mit der Kamerasteuerung beschäftigte, scrollte Peter durch die Anzeigen der Frachtkonsole.
„Was ist das denn hier? Sicherheitshinweise im Umgang mit lebenden Tieren? Werden denn auch Tiere so einfach mitgenommen?“
Jason drehte sich zu Peter um.
„Im Normalfall nicht. Die Kolonieschiffe zum Beispiel, haben lediglich das Genmaterial an Bord. Aber es gibt auch Ausnahmen. Was glaubst du, wie die Neoraptoren nach Diversica gelangt sind?“
Diversica war eine für die Kolonisierung schlecht geeignete Wasserwelt. Tausende kleiner Inseln verteilt sich über die gesamte Kugel. Der Föderationsrat hatte nach heftigen Diskussionen beschlossen, die Welt als Rückzugsfläche für sämtliche anderen Welten der Föderation zu gestalten. Jeder Planet der Föderation erhielt eine Insel zur Ausgestaltung der dort heimischen Flora und Fauna.
Was bei etlichen Welten etwas schwierig war, denn ihre harsche Umgebung ließ sich in dem milden Klima Diversicas nur schlecht darstellen.
„Was steht denn in den Sicherheitshinweisen?“
„Hm, mal sehen. Umgang mit Tieren im Allgemeinen. Gefährdungseinstufung. Artgerechte Haltung beim Transport. Aha, hier. Aggressives Verhalten und Ausbruch. Hey, es gibt ein Betäubungsgas für die Frachträume.“
Colton und Jason rückten gleichzeitig zu Peter und sahen ihm über die Schulter.
„Tatsächlich. Können wir das einsetzen, Colton?“
„Vielleicht. Aber wenn wir es einsetzen heißt das ja noch lange nicht, dass wir auch drin sind. Durch das Schott müssen wir immer noch.“
„Was ist, wenn wir wieder von außen kommen?“
Colton drehte sich zu Peter um.
„Schlechte Idee. Wenn sich jemand in der Schleuse aufhält, während wir den Frachtraum mit Betäubungsgas füllen, haben wir ein Problem.“
Jason schüttelte den Kopf.
„Nicht unbedingt. Wir sind zwölf Mann, das sollte reichen. Wir arbeiten uns bis zum Schleusentor vor, erst dann wird der Frachtraum geflutet. Dann gehen wir rein und sehen, ob noch jemand bei Bewusstsein ist.“
„Zwölf?“
„Ja, einer muss hierbleiben. Erstens muss das Gas von hier aus eingesetzt werden und zweitens möchte ich Devon hier nicht alleine lassen.“
„Na gut. Ich sehe schon, worauf das hinausläuft. Colton muss sicherlich wieder den technischen Teil unterwegs erledigen. Ich bleibe hier.“
„Hey, das klingt so, als ob du nicht mit mir zusammen hierbleiben möchtest.“
Peter sah zu Devon hinüber und schüttelte den Kopf.
„Wie kommst du denn auf diese Idee? Das vergiss mal ganz schnell. Jason, ich bleibe hier. Sobald ihr die Schleuse erreicht habt, gebt ihr ein Signal. Ich werde dann das Gas einsetzen.“
Jason warf Peter einen langen Blick zu, nickte dann und setzte seinen Helm wieder auf. Colton grinste Peter an und griff ebenfalls nach seinem Helm. Dann machte er sich zu Peters Überraschung auf den Weg zum Brückenschott, das sich problemlos öffnete. Anscheinend war die Verriegelung von innen erheblich einfacher aufzuheben.
Die Marines stampften in ihren schweren Energierüstungen nach draußen und Peter sah ihnen mit gemischten Gefühlen hinterher. Plötzlich spürte er, wie etwas seine Hand berührte. Er sah hinunter und bemerkte Devon, der seine Hand auf die von Peter gelegt hatte.
„Sag mal – du und Jason – ist da was?“
Peter ruckte erschreckt herum und sah Devon in die Augen.
„Was? Was soll denn da sein?“
Devon seufzte und sah nun ebenfalls durch das geöffnete Brückenschott auf den Gang hinaus.
„Bevor er den Helm aufgesetzt hat. Ihr habt euch beide angesehen, als ob… Also um es direkt zu sagen, der Blick war mehr als vertraut. Da war alles drin, von ‚sei Vorsichtig‘ bis hin zu – äh…. ‚ich liebe dich‘.“
Peter starrte Devon im ersten Moment sprachlos an, dann seufzte er schwer.
„Sieht man es so deutlich?“
Devon antwortete zunächst nicht, dann seufzte auch er.
„Also stimmt es. Und nein, man sieht es nicht so deutlich. Ich habe es nur erkannt, weil…“
„Weil du ebenfalls jemanden hast, der dich mit solchen Blicken bedenkt.“
Devon lächelte.
„Ja. Man weiß es, wenn man es sieht. Ich habe ihm schon so oft gesagt, oh…“
„Keine Angst, Devon. Es war mir schon klar, dass du von einem Jungen redest. Du hast von mir und Jason gesprochen, als wäre es so selbstverständlich. Das machen nicht viele.“
Völlig unbewusst hob Peter eine Hand und begann Devon an den Ohren zu kraulen. Der sah Peter etwas verblüfft an, doch dann grinste er.
„Ich sag jetzt aber nicht Miau.“
Peter riss seine Hand zurück, als hätte er sich verbrannt.
„Sorry, Devon. Das wollte ich nicht. Ich meine, ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich wollte nichts damit andeuten, ich meine…“
Devon beugte sich vor und gab Peter einen Kuss auf seine Nasenspitze.
„Schon klar. Die meisten Menschen reduzieren einen Felidaner auf ein Tier. Uns wird schon sehr früh beigebracht, dass es schwierig für Menschen ist, die Unterscheidung zwischen einem denkenden Wesen mit Fell und einem fast gleich aussehenden Tier mit Fell zu machen. Uns wurde ebenso beigebracht, auf die feinen Unterschiede zu achten. Ich bin mir sicher, dass du mich nicht mit einem Tier auf eine Stufe stellst.“
„Ist das der Grund, warum sich Felidaner so ungerne anfassen lassen?“
Devon kicherte.
„Ich lasse mich gerne anfassen. Zumindest von der richtigen Person. Aber ich weiß, was du fragen willst. Ja, das ist der Grund. Ich gehe ja auch nicht zu einem beliebigen Menschen und streiche ihm über die Haare, nur weil sie so flauschig sind.“
Peter strich unwillkürlich über seine kurzen blonden Haarborsten.
„Ansonsten ist das mit dem Anfassen genauso wie bei den Menschen. Du tatschst ja auch nicht jeden ungefragt an. Aber sonst sind Felidaner genauso gesellig und sozial wie andere Menschen auch. Es gibt ein sehr lustiges Beispiel. Du kennst doch das uralte Kinderspiel Nachlaufen?“
Peter nickte verwirrt.
„Bei den Menschen wird ja derjenige gefangen, der sich berühren lässt. Bei den kleinen Felidanern heißt das Spiel sinnreicher weise Fang den Schweif. Und jetzt rate mal, warum.“
Peter versuchte es sich gerade vorzustellen und Devon lachte, als er ein überraschtes Gesicht machte.
Devon sah sich in dem Chaos um und ging hinüber zu dem fast unversehrt gebliebenen Sitz des Kapitäns. Mit einem breiten Grinsen ließ er sich dort nieder und diesmal lachte Peter über die majestätische Pose, die er einnahm. Bis sein Blick auf die Kontrollinstrumente in den breiten Armlehnen fiel. Das war keine Standardausrüstung. Es gab sogar ein Eingabefeld für Navigationsdaten. Aber wo war dann der dazugehörige Rechner?
Langsam umkreiste Peter den breiten Sitz und staunte. Hinter der Rückenlehne befand sich eine Aufnahme für mehrere Datenträger. Und genau hier befand sich auch der Navigationsrechner. Etwas hektisch scheuchte Peter den erstaunten Devon aus dem Sitz und nahm selber Platz.
Glück gehabt. Das System funktionierte noch und war einsatzbereit. Peter brauchte das Navigationssystem lediglich aus dem Netzwerk abzumelden und herunterzufahren. Dann ging er wieder nach hinten und löste den Rechner aus seiner Halterung. Devon hatte ihm die ganze Zeit schweigend zugesehen, doch jetzt wurde er neugierig.
„Was ist das denn für ein Ding?“
„Der Navigationsrechner. Wenn wir Glück haben, kriegen wir raus, wohin sie wollten.“
„Oh, du meinst, wo sie uns hinbringen…“
Devon wurde von einer Stimme in seinem Headset unterbrochen.
„Wir sind dann so weit.“
Peter hatte Jason ebenso gehört und wandte sich nun der Steuerkonsole für die Frachträume zu. Noch einmal las er kurz das Ablaufprotokoll durch, dann betätigte er die entsprechenden Schalter.
„Ausgelöst. Jetzt müssen wir laut Beschreibung noch drei Minuten warten.“
Devon zeigte wortlos nach oben auf die Bilder der Überwachungskameras. Die dort erkennbaren Personen waren dort zusammengesackt, wo sie gerade gestanden hatten.
„Wie weit seid ihr?“
„Wir müssen die drei Minuten abwarten. Dann kommen nochmal drei Minuten für die Absauganlage.“
„Die können wir uns sparen. Wir gehen rein, solange die Absaugung läuft. Die Rüstungen sind gasdicht.“
Peter beobachtete weiter die Monitore, ob sich nicht doch noch etwas regte, bis er von Devon angestoßen wurde.
„Die drei Minuten sind um.“
„Oh. Okay. Jason, ich schalte jetzt die Absaugung ein. Ihr könnt dann anfangen.“
Im Nachhinein fragte sich Jason immer wieder, warum es so einfach gewesen war. Das Gas hatte seine Wirkung gezeigt und die Wachen innerhalb des Frachtraumes waren in Sekundenschnelle betäubt gewesen. Sie kannten doch die Einrichtungen des Schiffes und auch die Sicherheitsvorkehrungen. War das Ignoranz, Sorglosigkeit oder einfach nur Dummheit?
Die große Frachtschleuse ließ sich tatsächlich im Handbetrieb bedienen und kurze Zeit später standen die Marines in einem großen Frachtraum, in dem zwei Seitenwände von einer langen Reihe von Gefängniszellen gesäumt waren. Über eine Rampe konnte man auf eine darüber liegende Ebene gelangen, die ebenfalls mit Zellen ausgestattet war.
Jason sah die Reihen entlang und schüttelte den Kopf. Bei jeder Zelle war das Trennfeld aktiviert. Das hieß, sie war besetzt. Auf jeder Seite zwölf Zellen, zwei Etagen hoch, machte 48 Gefangene.
Während noch die letzten Piraten gefesselt wurden ging Jason zu den Zellen hinüber. Ein Blick hinter eines der Trennfelder ließ ihn einen jungen Mann erkennen. Eigentlich noch einen Jungen, vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Er stand vollkommen nackt in seiner Zelle und starrte erstaunt auf die Vorgänge außerhalb.
Jason war verwirrt. Warum hatte man ihn ausgezogen? Ein Blick in die nächste Zelle offenbarte ihm das gleiche Ergebnis. Hier war es ein Mädchen, das Jason sogar flüchtig kannte. Sie gehörte zu den Cheerleadern und hatte sich ganz in eine Ecke zurückgezogen.
Verdammt, was jetzt?
„Roger, seid ihr fertig mit den Idioten?“
„Jawohl, Sir. Verschnürt und verpackt.“
„Dann seht euch mal um, ob ihr die Klamotten von den Gefangenen findet. Ich will sie so nicht rauslassen.“
Roger schwieg einen Moment.
„Okay, wir sind auf dem Weg. Obwohl, ich hätte auch nichts…“
„Vergiss es. Aber ganz schnell. Wir müssen uns jetzt nur überlegen, wie wir die Leute hier runterbringen wollen.“
Colton hatte sich merkwürdig schweigsam verhalten, doch jetzt platzte er hervor.
„Ist doch ganz einfach. Wir lassen die MOHAWK andocken.“
Jason drehte sich um und sah Colton langsam die Reihen der Zellen abgehen, als würde er jemanden suchen.
„Colton, du bist ein Genie. Da wäre ich niemals drauf gekommen. Hast du mal überlegt, was passiert, wenn die MOHAWK bewegungslos neben einem Wrack liegt und sich eine ganze Zeit nicht davon lösen kann?“
„Sitting Duck.“ kam es von Devon über das Headset. Jason nickte unbewusst.
„Genau. Wir sind das ideale Ziel. Was bleibt uns noch?“
Bevor irgendeine Antwort eintraf, hörte Jason auf seinem zweiten Sprechkanal die Stimme von Lieutenant Granger.
„MOHAWK an Boarding-Team. Soeben sind zwei weitere Kontakte aus dem Hyperraum gekommen. Noch keine Identifizierung. Werden uns wieder melden.“
„Alarm! Hyperraumaustritt. Zwei Kontakte. Identifizierung läuft.“
Brian Summers hatte jetzt alle Hände voll zu tun. Er war mehr als motiviert, als sie von Jason erfahren hatten, dass Devon Capers auf dem Piratenschiff gefunden worden war.
„Anruf. Eine der Einheiten identifiziert als HMSFS GOLDEN BOY.“
Auf dem großen Zentralschirm erschien das Bild eines jungen Mannes in einer schwarzen Uniform.
„Hier ist die GOLDEN BOY, Lieutenant-Commander Sheldon. Sie hatten einen Notruf abgesetzt?“
Lieutenant Granger seufzte laut und nickte.
„Jawohl, Sir. Lieutenant Granger, Kommandant der MOHAWK. Ich werde sie kurz ins Bild setzen.“
Mit wenigen Sätzen erläuterte Lieutenant Granger die Vorgeschichte und die momentane Lage.
„Das heißt, sie haben zwei Piratenschiffe erfolgreich geentert, mit einem Boarding-Team aus Kadetten? Konnten wichtige Fracht und Unterlagen sicherstellen und haben jetzt, wieviel? - 48 Personen befreien können. Erstaunlich. Ich muss kurz mit dem Kapitän meines Versorgungsschiffes Rücksprache halten, aber ich denke, das Problem mit den befreiten Gefangenen ist bald gelöst.“
„Wir haben mitgehört, Commander Sheldon. Das in Frage kommende Wrack ist vom gleichen Typ wie die HIGHLANDER. Wir haben einen passenden Andockring für die Frachtschleuse. Die Übernahme kann in zehn Minuten abgeschlossen sein, wenn alle bereit sind.“
„Danke, Mister Cameron. Sie haben es gehört, Lieutenant. Irgendwelche Einwände?“
„Nein, Sir. Ich werde dem Boarding-Team die Neuigkeiten übermitteln.“
Auf der GOLDEN BOY meldete sich Chief Parker.
„Zwei weitere Anrufe. HMPC PANTHER und der zivile Frachter THALASSOS.“
„Erst die PANTHER.“
„Hier ist die GOLDEN BOY, Lieutenant-Commander Sheldon.“
„HMPC PANTHER, Lieutenant Vernon. Tim Sheldon? Ich glaub es nicht.“
„Lance? Was machst du denn hier? Und dann in so einer Blechbüchse. Haben sie dich strafversetzt?“
Über die Kom-Verbindung hörte Tim Sheldon nun leises Gelächter. Lance Vernon grinste ihn ebenfalls an.
„Du kannst dich auf noch eine Überraschung gefasst machen. In der THALASSOS sitzt Marc Henderson. Du erinnerst dich an die 214.?“
„Ist nicht wahr, oder? Ist das hier ein Familientreffen? Marc, was machst du denn mit einem Frachter hier?“
„Hi, Tim. Bin ausgestiegen und hab mich selbständig gemacht. Und nun hat jemand geglaubt, er kann mich verarschen. Du erinnerst dich an Jaden Todd, den Mechaniker?“
Mit wenigen Sätzen schilderte Marc sein Problem und nun sah er auf seinem Display, wie sich ein kleines Fenster öffnete und ein weiterer junger Mann erschien.
„Hallo, ich bin Major Campbell, der Einsatzoffizier. Wie es aussieht haben wir eine ziemlich komplexe Lage. Die HIGHLANDER wird an das Piratenwrack andocken und die Gefangenen und das Boardingteam der MOHAWK übernehmen. Ich möchte, dass ihre beiden Schiffe die Nahsicherung übernehmen. Die MOHAWK und die GOLDEN BOY werden währenddessen die weitere Absicherung übernehmen. Die aktiven Piratenschiffe haben sich bis jetzt noch nicht bewegt. Wir wissen aber nicht, ob das so bleibt. Wenn die Bergung abgeschlossen ist, müssen wir über das weitere Vorgehen noch einmal sprechen.“
„Oh, äh… Major, dieser Jaden Todd ist noch auf dem Bergungsschiff. Ich möchte ungerne, dass er uns entkommt.“
„Ich weiß, Mister Henderson, aber wir können nicht alles abdecken. Tut mir leid, aber das sind nun mal die Prioritäten.“
Man sah Tim Sheldon nicken und Marc seufzte.
„Na gut. Also Nahsicherung zusammen mit der PANTHER. Aber dann müssen wir unbedingt reden.“
Die Verbindung erlosch und Lance Vernon drehte sich um.
„Ist ja richtig was los hier. Tim Sheldon war auch beim 214. Aufklärungsgeschwader. War einer der besten Piloten. Hat dann später zu den Raumjägern gewechselt. Weiß der Kuckuck, was es jetzt mit dieser Special Force auf sich hat.“
May Britney lachte kurz.
„Der Kuckuck weiß es nicht, aber ich. Die Truppe ist neu begründet worden, um die vor kurzem eingesetzten Reichsadligen zu transportieren und zu eskortieren. Außerdem gab es da Gerüchte über die Zusammensetzung der Crew. Ihr erinnert euch an die Abfrage des Personalamtes, die Freiwillige für einen Sondereinsatz brauchten?“
„Das waren die? Okay, aber dann…“
Michael Fryer sah von seinem Display auf.
„Die GOLDEN BOY hat ein Kurzsignal Kategorie ALPHA-2 abgesetzt. Das ist ein Notruf für einen Flottenverband. So etwas ist normalerweise nur Admiralen vorbehalten.“
„Ha, dann ist er also doch an Bord!“
Alle drehten sich nun zu May Brittney.
„Wer?“
„Wer? Der neue Reichsfürst natürlich. Der ist auch gleichzeitig Vizeadmiral der Special Forces. Ich bin da auf dem neuesten Stand. Ich verfolge sämtliche Berichterstattungen vom Hofe.“
Die drei jungen Männer stöhnten etwas gequält auf.
„Da bin ich mal gespannt, was passiert. Mike, wir nehmen die Position unter den Frachtern. Danny, achte auf diese bescheuerten Piraten.“
Auf der HIGHLANDER liefen die Vorbereitungen für das Andockmanöver. Bernard Cameron saß auf dem Platz des Kapitäns und überwachte die Vorbereitungen. Neben dem Sitz stand in seiner schwarzen Kampfpanzerung ein 2nd Lieutenant der Special Forces Marines.
Man hatte der HIGHLANDER zusätzlich zur zivilen Besatzung sieben Marines, zwei Gefechtsfeldsanitäter und zwei Versorgungsunteroffiziere als militärisches Personal beigeordnet.
„Die Marines sind einsatzbereit, Sir.“
„Ja, danke. Du brauchst nicht gleich so förmlich zu werden. Ihr macht es so wie besprochen. Da keine Feindeinwirkung zu erwarten ist, bleibt eine Gruppe an Bord und sichert den Übergang, die andere geht mit den Sanitätern nach drüben. Ich möchte alle ehemaligen Gefangenen im Frachtraum 3 versammelt haben, wo sich unser Sanitätspersonal um sie kümmern kann. Die Unterkünfte werden gerade in Frachtraum 1 und 2 aufgebaut. Seht zu, dass alles so schnell wie möglich abläuft. Ich will nicht länger an dem Wrack kleben als unbedingt notwendig.“
2nd Lieutenant Joel Cooper grinste den Kapitän leicht an.
„Jawohl, Sir.“
„Ich hab‘ dir grade was gesagt. Ach so, die Marines von der MOHAWK gehen in Frachtraum 4. Da haben wir dann 48 ehemalige Gefangene und zwölf Marines.“
Joel schüttelte seinen Kopf.
„Nein. Es sind 49 Gefangene, elf Marines und zwei weitere Besatzungsmitglieder der MOHAWK. Also 62 Personen insgesamt.“
Bernard Cameron nickte nachdenklich.
„Das wird schwierig. Hoffentlich haben wir ausreichende Kapazitäten.“
„Oh, David hat gemeint, sie würden einen Schichtplan für das Essen organisieren. Küche und Cafeteria sind dann rund um die Uhr einsatzbereit. Wenn wir wieder da sind, kann ich auch meine Leute dafür abstellen.“
„Andocken in zwei Minuten!“
Joel drehte sich hektisch zu Alexander Cameron herum, salutierte kurz und verschwand von der Brücke. Bernard Cameron lachte leise.
„Ich möchte zu gerne wissen, wie David es mit diesem kleinen Energiebündel aushält.“
Alexander sah erst zu Kieran Yordis, dann zu seinem Großvater.
„Da halte ich mich eher bedeckt. Andocken in 60 Sekunden!“
Das Andockmanöver verlief problemlos, ebenso die Übernahme der Personen aus dem Wrack. Wie angeordnet wurden die einzelnen Personengruppen verteilt und nach der medizinischen Untersuchung auf die Notunterkünfte verteilt.
Währenddessen meldete Alexander Cameron die Ausführung der Befehle. Es gab eine Konferenzschaltung zu allen teilnehmenden Einheiten.
„Jetzt, da die Entführten geborgen sind, können wir uns den nächsten Punkten zuwenden. Der flüchtige Schmuggler und Waffenhändler Jaden Todd befindet sich immer noch auf dem Bergungsschiff der Piraten. Abgesehen von den Straftatbeständen wäre es für uns sehr von Vorteil, wenn wir mehr über den oder die Hintermänner dieser Unternehmungen herausfinden könnten. Es handelt sich hier schließlich um Eigentum der Flotte.“
„Wie kommen wir auf das Bergungsschiff? Das Schirmfeld ist immer noch aktiviert.“
„Daran arbeiten wir noch. Was haben sie an Personal für ein Boardingteam?“
„MOHAWK Fehlanzeige.“
„HIGHLANDER zwei Offiziere und sechs Marines, zwei Gefechtsfeldsanitäter. Von der MOHAWK ein Offizier, zehn Marines.“
„PANTHER ein Offizier.“
„THALASSOS ein Offizier.“
„GOLDEN BOY zwei Offiziere, sieben Marines. Ein Gefechtsfeldsanitäter.“
„Hier ist noch einmal Major Campbell. Wir bilden eine Einsatzgruppe, bestehend aus den drei Einheiten der MOHAWK, der HIGHLANDER und der GOLDEN BOY. Einsatzleitung verbleibt auf der GOLDEN BOY. Es kann auch… Moment, bitte.“
Colin Campbell verschwand kurz vom Bildschirm um kurz darauf etwas verwirrt wiederaufzutauchen.
„Ich möchte den Feuerleitoffizier der PANTHER bitten, sich mit dem Feuerleitoffizier der HIGHLANDER in Verbindung zu setzen. Ansonsten bleibt es bei der Ansage. Die HIGHLANDER übernimmt die Marines der GOLDEN BOY. Danach hält sie sich bereit für eine Landung auf dem Bergungsschiff. Die technischen Daten des Bergungsschiffes werden in Kürze übertragen. Ende.“
Daniel Yordis sah verblüfft auf den dunklen Bildschirm, wählte dann aber den externen Feuerleitkanal. Der wurde normalerweise für die Koordination der Waffen bei größeren Verbänden genutzt.
Diesmal erschien ein weiterer Felidaner auf dem Display.
„Kieran!“
„Hallo Danny. Na, Kleiner. Überrascht?“
Etwas irritiert sah nun auch Lance Vernon auf das Display, dann zu Daniel. Der grinste ihn breit an.
„Das ist Kieran. Mein großer Bruder.“
Das Bergungsschiff
„GOLDEN BOY, hier HIGHLANDER.“
„GOLDEN BOY hört.“
„Hier ist Alexander Cameron. Könnte ich bitte Major Campbell sprechen?“
„Ich höre.“
„Hallo, Major. Wir haben hier einen Ensign der Arcadia-Miliz, Peter Mansfield. Er war gerade bei mir und hat mir das Navigationsmodul des Piratenschiffes übergeben. Wir haben keine Ahnung, wie wir das Ding auslesen können. Das ist wohl eine Art Spezialanfertigung für ein abgesetztes Netzwerk. Haben sie jemanden, der uns da helfen könnte?“
„Oh, das ist ja mal eine erfreuliche Nachricht. Ja, wir haben jemanden. Die GOLDEN BOY wird demnächst seine Marines an die HIGHLANDER abgeben. Da ist ein Staff-Corporal Fraser dabei, unser Spezialist für IT-Systeme. Den können sie befragen.“
„Danke. Damit ist uns schon sehr geholfen.“
Mehr als eine Stunde hatte der kleine Verband nun schon in der Nähe des Bergungsschiffes gewartet, doch nichts rührte sich. Es gab keinerlei Kommunikation, aber auch keinerlei sonstige Aktivität auf dem Schiff.
Die sechs kleineren Einheiten der Piraten verharrten ebenfalls auf ihren Positionen. Bei keinem der Manöver der anderen Schiffe hatten sie sich bewegt.
Rian Drake hatte die Brücke betreten, dicht gefolgt von Kenneth Turner. Niemand nahm sonderlich Notiz davon. Das hatte der junge Admiral extra so angeordnet, damit er jederzeit ohne viel Aufhebens die Brücke betreten oder verlassen konnte. Rian wandte sich an Tim Sheldon.
„Noch keine Antwort?“
„Nein, weder von diesem Bergungsschiff noch auf das Notrufsignal. Eigentlich sollte man meinen, dass da irgendeine Reaktion erfolgt.“
Vorne bei den Piloten drehte sich Christoph deCoeur um.
„Wenn es ein Verband mit großen Einheiten ist, sind die nicht so schnell. Wir dürfen uns nicht von unserer Geschwindigkeit täuschen lassen. Die Schlachtkreuzer schaffen gerade mal 27 Lichtjahre pro Stunde gegenüber unseren 137.“
Tim Sheldon nickte leicht.
„Ja, ich weiß, aber man kann ja wohl noch hoffen dürfen. Wäre zu schön gewesen, wenn ein Flottenverband gerade in der Nähe wäre.“
„Vielleicht sollten wir…“
Rian wurde von der Sensorkonsole unterbrochen.
„Hyperraumaustritt. Ein kleiner Flottenverband. Identifizierung läuft.“
„Oha, meine Gebete wurden also erhört.“
Auf dem großen Panoramaschirm erschien nun das Bild eines Mannes im mittleren Alter in der Uniform eines Admirals der Raumflotte.
„Commodore Kanigawa, 45. Aufklärungsgeschwader. Sie hatten einen Notruf abgesetzt?“
Tim überließ Rian wortlos seinen Sitzplatz.
„Vizeadmiral Drake, Special Forces. Ganz richtig, Commodore, wir haben hier ein Problem, für das wir ihre Unterstützung benötigen.“
Man konnte erkennen, dass der Commodore eine Anzeige auf einem Seitendisplay studierte.
„Vizeadmiral? Oh, ja. Ich habe die Befehle des Flottenkommandos gelesen. Hm. Der Anzeige zu Folge, haben wir zwei Schiffe der Special Forces, ein Wachschiff von Arcadia, einen Patrouillenkreuzer und einen Frachter mit Kennung. Dann ein Bergungsschiff ohne Kennung und sechs weitere Fahrzeuge ohne Kennung, die sich gerade mit Höchstgeschwindigkeit entfernen. Eine nicht alltägliche Situation. Würden sie mich ins Bild setzen?“
„Sehr gerne.“
Mit wenigen Sätzen erklärte Rian nun die Lage und der Commodore nickte schweigend. Dann sah er wieder auf eine Anzeige.
„Das ist nicht einfach. Mein Geschwader besteht lediglich aus fünfzehn kleinen Aufklärungseinheiten. Wir hätten vielleicht die nötige Feuerkraft, um das Bergungsschiff in einer Raumschlacht zu zerstören, doch meine leichten Einheiten wären dabei ziemlich exponiert und leicht verwundbar.“
„Das wollen wir auf jeden Fall vermeiden. Zunächst möchte ich sie bitten, die Absicherung zu übernehmen, so dass unsere Einheiten ungestört ein Andockmanöver durchführen können. Wir müssen noch Personal an die HIGHLANDER abgeben.“
„Das dürfte kein Problem sein, so lange das Bergungsschiff sich nicht bewegt oder sogar angreift.“
„Admiral, hier ist Major Campbell. Die HIGHLANDER hat gerade gemeldet, dass auf dem eroberten Piratenschiff das Navigationsmodul geborgen wurde. Wir müssten unseren IT-Spezialisten abgeben. Er ist ohnehin Mitglied des Boarding-Teams.“
„Sie haben mitgehört, Commodore? Wir führen dann jetzt sofort das Andockmanöver durch und sehen einmal, ob das Navigationsmodul neue Erkenntnisse bringt. Bringen sie bitte ihre Einheiten in Stellung.“
Schon wenige Minuten später strebten die Korvetten und der Leichte Kreuzer des Aufklärungsgeschwaders kugelförmig auseinander. Die GOLDEN BOY näherte sich der HIGHLANDER zum Andocken.
In der Schleuse 4 der HIGLANDER versammelten sich die Boarding-Teams der HIGHLANDER, der MOHAWK und der GOLDEN BOY.
Scion Rhyder sortierte seine Truppen für das Boardingunternehmen. Er war der ranghöchste anwesende Offizier und hatte das Kommando. Für weitere Unterstützung war er mit Major Campbell verbunden. Mit einem Handzeichen rief er die beiden anderen Einheitsführer zu sich.
Joel Cooper kannte er ja nun schon, nicht jedoch den großen rothaarigen 2ndLt von der MOHAWK. Nachdenklich sah er hinüber zu dessen Team.
„Hallo Joel. Und sie sind Lieutenant O’Brian, wenn man mir das richtig übermittelt hat.“
„Jawohl, Sir.“
Joel grinste leicht, während Scion einen Moment zögerte. Dann war er zu einem Entschluss gekommen.
„Okay. Wir werden gleich zusammen kämpfen und möglicherweise zusammen sterben. Da sparen wir uns zwischendrin die Förmlichkeiten. Mein Name ist First Lieutenant Scion Rhyder. Für die Zukunft einfach Scion.“
Jason sah verblüfft zu dem blonden Lieutenant herab, nickte aber dann. Auch Joel Cooper nickte freundlich.
„Richtig. Ich bin 2nd Lieutenant Joel Cooper. Einfach Joel. Keine Angst, ich beiße nicht. Aber wie ich sehe, hast du ebenfalls einen Felidaner in deiner Gruppe.“
Jasons Blick wanderte automatisch hinüber zu Devon Capers. Scion sah ebenfalls hinüber und dann auf einen kleinen Zettel. Stimmt, elf Marines. Dort drüben standen aber noch zwei weitere Soldaten in Energierüstungen, einer mit einem breiten blauen Streifen auf Brust und Rücken, der andere mit schwarzen Streifen. Und dann noch ein Felidaner in einer offensichtlich von der HIGHLANDER ausgeliehenen blauen Kampfpanzerung.
„Hm, hier steht, euer Kontingent besteht aus elf Marines. Das sind aber vierzehn Mann.“
„Oh, ja. Unsere Einheit besteht im Moment aus elf Marines, zwei Angehörigen der Navy und einem äh… Kadetten.“
Joel Cooper wurde nachdenklich. Bei dem Kadetten handelte es sich höchst wahrscheinlich um den Felidaner.
„Hat es mit dem Jungen etwas Besonderes auf sich?“
„Wie? Oh, ja. Er hat darauf bestanden, mitzukommen. Es wäre etwas Persönliches.“
Joel nickte wissend. Der Junge war auf einem Ehrenhändel. Irgendwer oder irgendetwas hatte ihn wohl schwer beleidigt.
Scion überlegte inzwischen, wie er die Leute am besten einsetzen konnte. Dann fiel ihm die Anweisung von Colin Campbell wieder ein.
„Andy! Komm mal bitte her. So, Jason. Bei deinen Leuten ist ein gewisser Ensign Peter Mansfield, richtig?“
„Äh, ja. Da drüben. Der Blonde in der Rüstung mit den blauen Markierungen.“
„Man hat uns gesagt, er hätte ein Geschenk mitgebracht.“
„Bitte? Oh, der Navigationsrechner. Der ist in der Werkstatt unten. Die haben hier wohl nicht die Möglichkeit, das Ding auszulesen.“
„Aber wir haben die Möglichkeit. Dies ist Staff-Corporal Andrew Fraser, unser IT-Spezialist. Ich würde vorschlagen, Ensign Mansfield und Corporal Fraser machen sich ans Werk und begutachten mal diesen Rechner, solange wir hier warten.“
Jason O’Brian nickte.
„Peter! Komm mal rüber.“
Sofort löste sich Peter Mansfield aus der Gruppe und ging hinüber zu den Offizieren. Dort wartete auch bereits ein riesiger rothaariger Corporal. Peter staunte nicht schlecht. Der war fast noch größer als Jason, aber deutlich schlanker.
„Ensign Mansfield? Ich bin Lieutenant Rhyder von der GOLDEN BOY. Dies ist Corporal Fraser, unser IT-Spezialist. Ich möchte gerne, dass sie zusammen mit ihm den Navigationsrechner besichtigen, den sie geborgen haben.“
„Jawohl, Sir. Aber muss ich dabei sein?“
Bevor Scion antworten konnte, ergriff Andrew Fraser das Wort.
„Das wäre von Vorteil. Ich müsste wissen, wie das Ding eingebaut und angeschlossen war. Und auch, welche Manipulationen am Programm vorgenommen worden sind.“
Peter nickte, dann bedeutete er dem Corporal, ihm zu folgen. Scion sah ihnen schweigend hinterher und bemerkte auch den Blick, den Jason Peter hinterherwarf. So, so. Dann wandte er sich wieder an die beiden Offiziere.
„Für einen Einsatz belassen wir die Strukturen so, wie sie sind. Wenn wir nachher an Bord dieses Bergungsschiffes gehen, übernehmen Joel und ich die Aufklärung. Das Team der MOHAWK mit seinen Energierüstungen bildet den Angriffstrupp. Wir müssen darauf achten, nicht in einen Hinterhalt zu geraten und nicht getrennt zu werden. Dieses Ding ist ziemlich weitläufig.“
„Dazu müssen wir erst mal dort sein.“
In der Werkstatt der HIGHLANDER waren Andrew Fraser, Peter Mansfield und Sylvain Fournier vom technischen Personal der HIGHLANDER mit den Mysterien des Navigationsrechners beschäftigt.
Sylvain war einer der Kadetten von Alastair gewesen, die sich bereit erklärt hatten, in den Special Forces Dienst zu tun. Als Techniker war er nun Dritter Ingenieur und unter anderem verantwortlich für die Instandhaltung der elektronischen Geräte.
„Das Gerät besteht lediglich aus einer Speichereinheit. Bedienfeld und Interface fehlen. Ich wollte da jetzt nichts anschließen, weil ich nicht weiß, ob ein spezielles Bedienfeld notwendig ist.“
Andrew nickte zustimmend, doch Peter schüttelte den Kopf.
„Ist es nicht. Das Bedienfeld war lediglich abgesetzt. Es war ein Standard-Bedienfeld für die Navigationsgeräte der ASTRO-G-Reihe. Habt ihr eines übrig?“
Sylvain sah etwas unglücklich aus.
„Nein. Das einzige Bedienfeld ist auf der Brücke. Das gibt normalerweise nicht so schnell den Geist auf. Da haben wir keinen Ersatz.“
Andrew Fraser winkte ab.
„Das ist kein Problem. Wir können auf einem Service-Rechner eine Simulation starten. Funktioniert genauso wie die Hardware-Version.“
„Ach so?“
Sylvain war schon unterwegs um den Koffer mit dem Diagnose-Computer zu holen.
Mit wenigen Handgriffen war der Navigationsrechner angeschlossen und Sylvain startete das Simulationsprogramm für Navigationseinrichtungen.
„Hu? Dreiundzwanzig verschiedene Versionen?“
Peter sah ebenfalls auf die Anzeige.
„Nimm den G-45. Das ist die neueste Standard-Version. Mit der müssten sich auch alle älteren Versionen bedienen lassen.“
Nach wenigen Sekunden erschien die Eingabemaske für einen Navigationsrechner. Peter studierte die Anzeigen.
„Hier. Das ist die letzte Position. Das ist da, wo wir das Piratenschiff abgefangen haben. Moment, hier ist die aktuelle Kursplanung. Tatsächlich, die Zieldaten sind noch vorhanden. Können wir die abspeichern?“
Sylvain nickte.
„Sicher. Geh über die Diagnose-Funktion. Da kann man die aktuellen Daten abspeichern und archivieren.“
Peter überließ Sylvain die Arbeit, dann machte er sich wieder über die Navigationsdaten her.
„Hier. Das sind die letzten Flugdaten. Das hier ist der Abflugpunkt von Arcadia. Und das hier sind die Daten des Bergungsschiffes. Moment.“
Plötzlich drehte sich Peter grinsend um.
„Das ist es. Bei den Basisdaten des Bergungsschiffes befinden sich auch die Anflugvektoren und die Freigabecodes.“
„Was? Ehrlich?“
Andrew Fraser studierte aufmerksam die Anzeigen. Dann betätigte er sein MFA.
„Lieutenant Rhyder, Sir? Wir haben es. Auf dem Navigationsrechner sind die Freigabecodes des Bergungsschiffes.“
„Achtung! Boarding-Teams klar machen zum Ausschleusen! Schiff befindet sich im Anflug auf Zielgebiet.“
Die HIGHLANDER näherte sich dem Bergungsschiff, dicht gefolgt von der GOLDEN BOY. Das Versorgungsschiff sollte versuchen, die Schirmfelder des Bergungsschiffes mit den Freigabecodes zu deaktivieren und dann zu landen. Die GOLDEN BOY würde im Notfall Feuerunterstützung geben, falls die Verteidigungseinrichtungen trotz der Freigabecodes anfangen würden zu feuern.
In diesem Fall würde die Landung abgebrochen und beide Schiffe würden sich wieder zurückziehen.
„Kontakt! Eine Schleuse wird geöffnet!“
Die Stimme von Kevin Cameron klang etwas laut und angespannt.
„Ein Schiff verlässt die Schleuse. Abflug mit hoher Geschwindigkeit, Identifizierung läuft.“
„Ich seh’s.“ brummte Bernard Cameron, während er gleichzeitig die Sensordaten des Bergungsschiffes im Auge behielt. Das konnte auch leicht ein Ablenkungsmanöver sein.
„Ist das der YORDIS-Frachter, den die THALASSOS verfolgt hat?“
„Negativ. Identifizierung zeigt Sonderbau. Eine Raumyacht auf der Basis eines ROVER-Rumpfes.“
„HIGHLANDER von GOLDEN BOY! Anflug fortsetzen. Ich wiederhole, Anflug fortsetzen. Um die Raumyacht kümmert sich das Aufklärungsgeschwader.“
Bernard Cameron schlug mit der Faust auf seine Armlehne.
„HIGHLANDER verstanden. Sind weiter im Zielanflug. Kevin, sende den Freigabecode.“
„Code wird gesendet.“
„Was ist mit den Schirmfeldern?“
Michael Cameron sah skeptisch auf seine Anzeigen.
„Stehen noch. Normalerweise dauert es… da, jetzt! Landefläche ist frei!“
„Emergency Insert!“
„Verstanden Emergency Insert.“
Beim Emergency Insert, also einer Notfall-Landung, ging das Schiff nicht senkrecht herunter, wie auf einem Planeten. Man sparte sich das Drehen und flog so dicht wie möglich horizontal zur Landefläche, um dann am Landepunkt abrupt abzubremsen und dann mittels des Antigravantriebes zu Boden zu sinken.
Auf besiedelten Planeten war eine solche Landung strikt untersagt, weil sie zum einen mehrere hundert Kilometer Landeanflug erforderte. Das Schiff kam dabei dicht über der Oberfläche mit sehr hoher Geschwindigkeit herein, was bei größeren Einheiten ohne weiteres zu schweren Turbulenzen oder Stürmen führen konnte. Die Lärmbelästigung durch ein mit zunächst fünffacher Schallgeschwindigkeit hereinkommendes Objekt war ebenfalls enorm.
Hier draußen im Weltall waren diese Dinge kein Problem. Der Pilot musste lediglich das Schiff genau über dem Landeplatz zum Stehen bringen.
„Denk dran. Wir müssen genau auf der blau markierten Landefläche zum Stehen kommen. Da hat auch das Piratenschiff gestanden. Wollen hoffen, dass die Andockeinrichtungen automatisch funktionieren.“
Michael nickte lediglich, während Alexander das Schiff in die flache Anflugkurve zwang.
„Achtung! Landung in 30 Sekunden. Zwanzig. Zehn. Fünf, vier drei zwei eins. Kontakt!“
Trotz der Absorber ging ein leichtes Rucken durch das Schiff, als es aufsetzte. Das Boardingteam hatte sich bei der ersten Ankündigung in die Schleusenkammer begeben und die Kammer war bereits luftleer. Sollten die Andockeinrichtungen nicht funktionieren, würden die Marines von Arcadia in ihren Energierüstungen das Schiff zuerst verlassen und versuchen, die manuelle Steuerung für den Andockring zu finden.
Mit dem Aufsetzen wurden zu beiden Seiten des Schiffes Säulen aus dem Boden ausgefahren. Sensoren identifizierten den genauen Schiffstyp und kurz darauf wurde aus jeder Säule ein Andockring ausgefahren.
„Andockringe sind befestigt und einsatzbereit. Schleuse 3 bleibt geschlossen. Boarding über Schleuse 4. Einsatz beginnt jetzt.“
Scion Rhyder sah sich nach seinen Marines um und gab ein Handzeichen. Als erste stürmten die Leute in den Energierüstungen nach vorne und sicherten den Durchgang. Die ausgefahrene Säule mit dem Andockring war nichts weiter als ein bewegliches Treppenhaus, das entsprechend des Schiffstyps einen Zugang zum Bergungsschiff ermöglichte.
„Zugang frei!“
Nun kamen auch die Marines der HIGHLANDER und der GOLDEN BOY hinterher. Geleitet durch die auf ihr HUD projizierten Pläne arbeiteten sie sich systematisch in Richtung Brücke vor. Es gab niemanden, der sie dabei aufhielt. Keine automatischen Sicherheitseinrichtungen und auch keine versteckten Fallen.
„Das ist sehr merkwürdig. Ist das Schiff denn komplett verlassen?“
Joel Cooper schüttelte den Kopf. Doch selbst mit der leichteren Kampfpanzerung war das kaum zu erkennen.
„Glaub ich nicht. Da fehlt noch dieser Mechaniker mit dem YORDIS-Frachter. Wenn ich ein Schiff besitze, würde ich es nicht einfach zurücklassen.“
Jason O’Brian schwieg. So ganz war er nicht überzeugt.
Der Weg führte sie nun hoch zur Brücke und immer noch stellte sich ihnen niemand in den Weg. Das Brückenschott stand offen und Jason konnte erkennen, dass mehrere bewegungslose Personen an den Konsolen saßen. Bei einigen war klar erkennbar, dass sie erschossen worden waren.
„Was zum…“
Plötzlich ertönte eine Stimme auf der Brücke, leise, aber deutlich zu verstehen.
„Dann beeil dich. Sie müssen jeden Moment hier sein. Es kann doch nicht so schwer sein, diese verdammte Türsteuerung zu überbrücken.“
„Bin ich Techniker, oder du?“
„Ich bin Triebwerkstechniker. Mit dieser elektronischen Scheiße hab ich immer Probleme. Was meinst du wohl, warum ich dich angeheuert habe.“
Jason sah vorsichtig durch die Türöffnung und erblickte zwei Männer, von denen einer hektisch an einer Konsole arbeitete, während der andere, mit einem Blaster bewaffnet, hinter ihm stand.
„Hände hoch! Royal Marines! Ergeben sie sich.“
Der Mann mit dem Blaster reagierte sofort. Mit seiner freien Hand riss er den anderen aus dem Sessel und hielt ihn vor sich. Dabei zielte er mit dem Blaster auf dessen Kopf.
„Wenn jemand schießt, leg ich ihn um!“
„Jaden, was soll der Scheiß? Was machst du da?“
„Sorry, Kleiner. Aber du bist gerade meine Lebensversicherung. Hätte nicht gedacht, dass die so schnell sind.“
Jason O’Brian musterte die beiden Gestalten abwägend. Jaden Todd war etwas größer und deutlich schwerer als der hellblonde junge Mann, hinter dem er sich jetzt versteckte. Die schlanke, fast zierliche Gestalt gab diesem ein fast jugendliches Aussehen.
„Jaden, was machst du denn? Du hast gesagt, du liebst mich und willst mit mir ein neues Leben anfangen.“
„Ja, ja. Das war, bevor dieser Idiot von Henderson wieder aufgetaucht ist und alles hat auffliegen lassen. Ich hätte mich nicht bequatschen lassen sollen.“
„Aber was hast du jetzt vor? Du kannst mich doch nicht…“
„Jetzt halt die Klappe. War ja ganz schön mit dir, aber hier geht es um mich.“
Jaden Todd wedelte mit dem Blaster.
„Ihr da drüben! Verschwindet vom Schott. Ich will freien Zugang zu meinem Schiff!“
Jason O’Brian zog sich langsam zurück, während Scion Rhyder nach vorne kam.
„Nur die beiden?“
„Ja. Keine Ahnung was passiert ist, aber die anderen hier sind alle tot, soweit erkennbar.“
Scion sah nach vorne, wo Jaden Todd sein lebendes Schutzschild gerade langsam vor sich herschob. Seufzend schüttelte er den Kopf.
„Corey?“
„Einsatzbereit.“
„Feuererlaubnis.“
„Verstanden. Feuererlaubnis auf erkanntes Einzelziel.“
Corey Price hatte sich vom Brückenschott zurückgezogen und lag an einer Biegung an einem der Zugänge. Neben ihm lag Devon Capers und sah ihm neugierig zu. Corey hatte das schwere Scharfschützengewehr auf ein Zweibein gestützt und sah nun angespannt durch die elektrooptische Zieleinrichtung.
Corey feuerte nur ein Mal und bei Jaden Todd erschien ein kleines rundes Loch mitten auf der Stirn. Fast lautlos sank er zu Boden. Der junge Mann, den er vor sich hergeschoben hatte, sah vollkommen erstaunt auf den Toten, um dann sofort seine Hände zu heben.
„Nicht schießen! Ich ergebe mich!“
Die Marines stürmten nach vorne und sicherten die Brücke, wobei sie auf keinerlei Widerstand stießen.
Scion Rhyder hatte seinen Helm abgenommen und konfrontierte den blonden jungen Mann, der immer noch neben der Leiche stand.
„Ich bin Lieutenant Rhyder von den Special Forces. Wer sind sie und was machen sie hier?“
„Ich… mein Name ist Lorian Gates. Jaden hat mich hierhergeschleppt. Also, Jaden Todd hier.“
Damit sah er kurz nach unten und schluckte schwer.
„Ich bin… ich war bei ihm in der Werkstatt angestellt. Als Elektroniker. Irgendwas ist vorgefallen und er hat mich gezwungen, mit ihm zusammen hierher zu fliegen.“
Scion sah den jungen Mann abschätzend an. Er konnte kaum älter als zwanzig sein. Und dann Elektroniker in einer Werkstatt?
„Hat sich aber gerade so angehört, als ob sie beide mehr als die Arbeit verbunden hat. Ich muss im Moment davon ausgehen, dass sie mit Mister Todd eng zusammengearbeitet haben und ihm hierher freiwillig gefolgt sind.“
Lorian Gates senkte seinen Kopf und nickte.
„Er hat mir versprochen, ein neues Leben mit mir anzufangen. Weit weg, wo uns niemand kennt. Aber dann kam Captain Henderson und Jaden behauptete auf einmal, dass etwas schief gelaufen war.“
„Na gut. Das lassen wir erst einmal so stehen. Was ist hier an Bord passiert?“
„Der Boss hier war nicht sehr erfreut über sein Auftauchen, besonders als Captain Henderson dann plötzlich auftauchte. Und als dann die ganzen Kriegsschiffe ebenfalls aufgetaucht sind, war der Boss so richtig stinkig und hat Jaden die Schuld dafür gegeben.“
Mit einer Hand machte er eine Bewegung, die die gesamte Brücke einbezog.
„Der Boss ist fast durchgedreht. Erst hat er das große Piratenschiff wieder weggeschickt. Er wollte keine Beweise um mit ihnen in Verbindung gebracht zu werden. Dann wurden die Piraten geentert und zum Schluss tauchte auch noch diese Flotte auf. Er hat dann die Evakuierung befohlen. Ein Teil der Besatzung hier an Bord und auch Jaden und ich sollten hierbleiben. Der Kapitän des Bergungsschiffes hat sich geweigert und die Leibwächter vom Boss haben alle umgelegt. Dann ist er mit seiner Privatyacht abgehauen.“
„Klingt irgendwie unglaublich. Bestand denn die Besatzung des Bergungsschiffes nicht aus Piraten? Was haben die Piraten eigentlich hier gemacht? Und wer ist dieser Boss?“
Lionel sah sich unsicher um, seufzte dann aber.
„Also, so wie ich das mitbekommen habe, hat sich der Boss hier auf dem alten Bergungsschiff häuslich eingerichtet. Die Besatzung war nur für den Schiffsbetrieb angeheuert. Die Piraten wollten hier ihre Ladung loswerden. Ich weiß nicht, worum es da ging, aber es war wohl eine heiße Diskussion. Wer der Boss war? Keine Ahnung. Lief aber immer in einem schicken Anzug rum.“
Scion konnte sich denken, um was für eine Fracht es sich gehandelt hatte, die der Piratenkapitän loswerden wollte. Was ihn wieder zu einer anderen Frage führte.
„Was haben die denn eigentlich hier an Bord gemacht? Sieht ja nun nicht so aus, als wäre das hier ein Piratenstützpunkt.“
„Oh, das kann ich ihnen zeigen.“
Unter den wachsamen Augen mehrerer Marines ging Lorian hinüber zu einer Konsole und betätigte ein paar Tasten. Auf dem großen Panoramaschirm wurde eine Halle gezeigt.
„Das ist Lager 25. Eines der größten Ersatzteillager auf diesem Schiff. War es zumindest.“
Scion und die anderen sahen etwas ratlos auf den Schirm, wo sich in dem ehemaligen Lager scheinbar endlose Reihen von sargähnlichen Gegenständen befanden. Auf jedem leuchteten kleine Lampen. Ansonsten war die Halle halbdunkel und gespenstisch still.
„Was sind das denn für Dinger?“
„Hibernationsstationen.“
„Bitte?“
Bevor Lionel antworten konnte ertönte hinter Scion eine weitere Stimme und er drehte sich um. Er erkannte den Navy-Soldaten von der MOHAWK mit den schwarzen Markierungen.
„Ich bin Colton Fraser von der Technik. Sir. Hibernationsstationen sind Einrichtungen für einen künstlichen Tiefschlaf. Damit wurde vor Einführung des Hyperraumantriebs experimentiert, um Siedler auf ihrem jahrelangen Weg zu neuen Kolonien in einem Tiefschlaf zu halten. Ist man aber von abgekommen, da der Hyperraumantrieb schneller in der Entwicklung war, als man besiedelbare Planeten entdeckt hatte.“
Scion starrte auf den Panoramaschirm.
„Künstlicher Tiefschlaf? Wie viele sind denn das?“
Lorian seufzte.
„Zweitausend.“
Vizeadmiral Rian Drake wanderte wortlos durch die langen Reihen der Hibernationsstationen und schüttelte lediglich seinen Kopf. Zweitausend Personen lagen hier im Tiefschlaf. Und niemand wusste den Grund dafür.
An der Bedienstation für die gesamte Einrichtung gab es sogar ein Verzeichnis, welche Person sich in welcher Station befand. Zusammen mit allen Daten der ursprünglichen und der jetzigen körperlichen Verfassung und den bekannten Persönlichen Daten.
Nach einem ersten Abgleich auf der GOLDEN BOY handelte es sich bei drei Viertel dieser Personen um die Opfer von Piratenüberfällen auf Schiffe oder den von Sklavenjägern auf Planeten. Und ausnahmslos alle waren zwischen sechzehn und zweiundzwanzig Jahren alt. Männliche und weibliche Personen genau zur Hälfte.
Tim Sheldon und Colin Campbell begleiteten den Reichsfürsten bei seiner einsamen Wanderung durch Lager 25.
„Ich verstehe das nicht, Tim. Was soll das?“
„Ich weiß es nicht. Wir werden es wohl herausbekommen, wenn wir den Eigner der Yacht verhören können.“
„Die uns ja leider entkommen ist. Weiß man inzwischen, um wen es sich handelt?“
Colin Campbell verzog etwas sein Gesicht.
„Die Identifizierung war einfach. Aufgrund der hier an Bord vorliegenden Aufzeichnungen handelt es sich um die Raumyacht ASTROMAID. Ob der Eigner auch an Bord war, lässt sich nicht genau verifizieren.“
„Mach es nicht so spannend. Wer ist der Eigner?“
„Ein gewisser Professor Doktor Pardis Grindel. Zwölfter Herzog von Stowas-Lat.“
„Wer? Von dem hab‘ ich ja noch nie was gehört.“
Colin lächelte leicht.
„Ich auch nicht. Aber den Titel gibt es wirklich. Er ist damit nur nie öffentlich aufgetreten. Hat ihn vor sieben Jahren von seinem Vater geerbt. Ist nicht einmal zur offiziellen Erhebung auf Terra 2 erschienen. Er ist Professor für Molekularbiologie an der Universität von Stowas-Lat.“
„Und was sagt uns, dass er derjenige ist, den wir für das alles hier verantwortlich machen können?“
Diesmal nahm Tim Sheldon den Faden wieder auf.
„Die Navigationsdaten des Piratenschiffes. Wir konnten nicht nur die Zugangsdaten für das Bergungsschiff sichern, sondern auch die Zieldaten dieses Piraten. Und jetzt kommt der lustige Teil. Ziel war der einzige Mond des Planeten Ashkalon IV. Und dieser Mond ist der registrierte Privatbesitz von Professor Doktor Pardis Grindel.“
„Dann werden wir dem Herrn Professor mal einen Besuch abstatten müssen.“
Colin seufzte und schüttelte den Kopf.
„Ja, natürlich. Aber erst einmal müssen wir das ganze Chaos hier entwirren. Tim wird sich nachher mit Lieutenant Vernon und Mister Henderson unterhalten. Die drei kennen sich ja wohl von Früher. Dann müssen wir einen Bericht der MOHAWK auswerten und sie wieder nach Hause entlassen. Das Aufklärungsgeschwader muss sich verantworten, warum die Yacht entkommen konnte. Dann muss dieses Bergungsschiff offiziell untersucht werden. Dazu müssen wir auf eine Nachricht vom Flottenkommando warten, was denn nun veranlasst wurde. Und nicht zu vergessen, wir müssen nach Arcadia, Schiffe bestellen. Sonst wird seine Majestät böse und Kenny bekommt nie seine BLUE DRAGON.“
Der junge Admiral legte seinen Kopf etwas schräg und sah Colin Campbell fragend an.
„Das meinst du doch nicht ernst, oder? Wenn wir den ganzen Bürokram abwarten, sind alle Beweise längst vernichtet. Ich sage dir, was wir jetzt machen. Wir nehmen das ganze Boarding-Team von allen drei Schiffen an Bord der GOLDEN BOY und machen uns auf zu diesem ominösen Mond. Kenny geht auf die MOHAWK und fliegt mit denen zusammen nach Arcadia. Dieser Commodore kann sich was einfallen lassen und seine Meldung direkt an das Flottenkommando geben. Die PANTHER und dieser Frachter sind entlassen.“
Dann drehte er sich zu Tim.
„Wenn du der Meinung bist, dass wir die Leute von dort gebrauchen können, kannst du ihnen ruhig ein Angebot machen. Wir brauchen schließlich noch Besatzungen für die BLUE DRAGON und die CLAYMORE.“
„Welche CLAYMORE?“
„Die GOLDEN BOY hat ein Versorgungsschiff, dass alles vorhält, was für längere Touren gebraucht wird. Logistisch, medizinisch und auch zusätzliche Marines. Mir wurde nach einem längeren Gespräch mit Kapitän Cameron klar, dass wir die HIGHLANDER nicht mit einem zweiten Reichskreuzer teilen können. Die BLUE DRAGON wird deshalb ebenfalls ein Versorgungsschiff bekommen. Und da wir alle so traditionell verhaftet sind, bekommt es den Namen CLAYMORE.“
„Reichskreuzer? Wer hat sich das denn ausgedacht?“
„Ich, mit Verlaub. Wir werden mehrere Schiffe einer Baureihe haben und die werden entsprechend ihrer Bestimmung einfach als Reichskreuzer klassifiziert. Der Name für den Versorger ist allerdings von Kenneth.“
Colin Campbell dachte über die Idee von Rian nach, die Verfolgung sofort aufzunehmen. Ein schneller Blick zu Tim erbrachte nur ein kurzes Nicken.
„Also gut. Wir übernehmen die Marines und dann geht es los. Wir müssen aber trotzdem vorher noch ein paar Meldungen verschicken. Außerdem brauchen wir bestimmt Verstärkung bei diesem Mond. Hoffentlich lohnt sich der Einsatz.“
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.