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Normal like You

Teil 1

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel Eins

Da saß ich nun im Auto und meine Eltern fuhren mit ihm ins tiefste Bayern. Wenn's nur für den Urlaub gewesen wäre, hätte ich mich wahrscheinlich auch gefreut, aber alles nur wegen eines Jobs, den mein Vater annehmen musste, so ein Meteorologen-Posten in den Alpen. Jeden Tag von Hamburg dorthin zur Arbeit zu fahren war natürlich unmöglich gewesen, also zieht die ganze Familie um. Ob meine Eltern bei der Entscheidung groß an mich gedacht haben, wage ich zu bezweifeln. Sie wussten ganz genau, dass ich mich in Hamburg wohl gefühlt hatte, aber was soll's. Jetzt konnte ich eh nichts mehr ändern und es hätte mir nicht sonderlich viel gebracht, wenn ich den Rest der Fahrt schmollend im Rücksitz gesessen hätte, deshalb holte ich erst mal einen Block und Stift raus und schrieb an dieser Geschichte weiter.

Es war eine *der* Geschichten. Schade eigentlich, dass das Leben fast nie so romantisch endet. Ich wusste noch nicht so genau, ob ich die Geschichte Nick schicken würde oder nicht. Das kam ganz darauf an, wie sie sich am Ende anhören würde. Und außerdem kam es ja noch darauf an, ob dieses Internat, auf das seine Eltern mich schickten auch einen Internetanschluss hat. Ja, ihr habt richtig gehört: I-N-T-E-R-N-A-T. Was hätte ich machen sollen. Die andere Möglichkeit wäre gewesen mit meinen Eltern in so ein 100 Seelen Dorf zu ziehen und da zog ich Internat schon vor. Obwohl ich natürlich ziemlich Schiss davor hatte, so ganz alleine ... Meine Mutter riss mich aus meinen Gedanken.

»Mirc, hast du dieses Formular fürs Internat schon ausgefüllt?«

Formular, Formular ... Ach, *das* Formular. Nein, hatte ich natürlich noch nicht. Das Internat wollte von jedem Schüler persönliche Angaben, die er selbst macht, also mehr oder weniger Steckbriefmäßig. Also kramte ich das Formular raus. Mir fehlte in dem Augenblick sowieso die Inspiration zum Schreiben. Außerdem hatte ich das dann schon hinter mir.

Was wollten die denn hier wissen ... Also 1. Vorname und Name. Na das konnte ich ja gerade noch beantworten: Mirko Grabe. Mirc ist übrigens mein Spitzname, da ich Mirko nicht ausstehen kann. Der Name kam dadurch zustande, dass mein bester Freund in Hamburg Marc hieß, und ‚Mirc & Marc‘ passt doch viel besser als ‚Mirko & Mark‘.

Als nächstes ging es um das Alter. 17. Das schien hier nur so eine Art privater Steckbrief zu sein, da überhaupt keine Fragen nach Schulbildung usw. auftauchten. Mir sollte es recht sein.

Und dann kam die Frage nach den Hobbys, den Freizeitbeschäftigungen, wie es so schön ausgedrückt war. Ich hätte natürlich hinschreiben können, dass ich Geschichten über schwule Jugendliche schreibe, aber ob die im stock-katholischen Bayern damit umgehen könnten, bezweifelte ich stark. Außerdem muss man ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen à la ‚hallo hier bin ich und ich bin schwul‘. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich schwul bin? Oder ‚homosexuell‘, wie das immer so schön ausgedrückt wird.

Meine Eltern wussten schon damals davon und hatten nicht sonderlich ein Problem damit, das heißt dass mein Schwulsein nicht der Grund war, warum ich jetzt ins Internat sollte. Meine Freunde wussten nicht davon, obwohl ich kurz davor gewesen war, es ihnen zu erzählen, aber dann kam ja der Umzug. Der Einzige bei dem ich - außer bei meinen Eltern natürlich - geoutet war, war Marc. Marc war selbst schwul, was ich aber nicht von Anfang an wusste, bis er mich eines Tages gefragt hat, ob ich es wär und mir bei der Gelegenheit auch von sich erzählt hat. Er hatte mir dann die ganzen Clubs und Discos gezeigt, mich sozusagen in die Szene eingeführt. Vielleicht fragen sich einige jetzt ob wir zusammen waren, aber da muss ich euch leider enttäuschen. Aus uns Beiden ist nie was geworden, obwohl ich nicht abgeneigt gewesen war, aber was soll's.

Zu meinem Aussehen (wenn wir schon dabei sind mein Leben zu offenbaren): Ich war (und bin) etwa 1,85m groß, habe braune Augen und nicht ganz schulterlange braune Haare ... so mehr oder weniger ein bisschen wie Johnny Depp, aber hat *der* nicht blaue Augen? Ist ja auch egal. Ich war ziemlich schlank und aufgrund des Schwimmteams in Hamburg hatte ich auch eine einigermaßen gute Muskeldefinition. Das würde dann ja wieder stark nachlassen, denn ich hatte doch meine Zweifel, dass es so etwas wie ein Schwimmteam im Umkreis gab. Aber aufs Aussehen kommt es ja sowieso nicht an. Obwohl das ja eigentlich Schwachsinn ist. Wenn ich jemanden in einem Club gesehen hab, hab ich ihn ja auch nicht gefragt, was denn seine prominenten Charaktereigenschaften wären. Aber wir wollen mal wenigstens so tun als wären wir edel.

Die Gegend, so aus dem Autofenster betrachtet, sah gar nicht so schlecht aus. Es war, so musste ich ehrlicherweise zugeben, um Längen besser als das zugebaute Hamburg. Es gab hier halt so diese typischen Wiesen, wie sie aus der Milka-Werbung bekannt sind. Und Kühe und huch, da ist doch gerade ein süßer Junge am Autofenster vorbeigeflutscht. Na wenn die all hier so aussahen, würde ich mich sicherlich nicht zu unwohl fühlen. Wobei die wahrscheinlich eh alle hetero waren. Die konnten es sich möglicherweise nicht mal erlauben ein Wort über Schwule zu verlieren. Jedenfalls bekam ich den Eindruck, als ich überall in den Dörfern, durch die wir fuhren, die Kirchen und Kreuze an den Häusern sah. Nicht das ich was gegen die Kirche hätte, aber da die (oder besser gesagt der Pfarrer in Hamburg) etwas gegen Schwule hatten, stand ich mit Religion und Kirche etwas auf dem Kriegsfuß. Fehlt bloß noch, dass die uns vom Internat aus jeden Sonntag in die Kirche schleppen würden, aber meine Eltern hatten mir versichert, dass es keine katholische Schule war, also war auf der Linie ja noch Hoffnung.

Meine Eltern unterhielten sich noch ganz gut im Auto, aber bei mir war jetzt so langsam der Punkt erreicht, dass ich nicht mehr still sitzen konnte. Und so langsam konnte es mit der Fahrerei auch vorbei sein.

»Mutti, wann sind wir denn endlich da?«

»Du kannst es wohl kaum erwarten ins Internat zu kommen, hm?«

»Nee, aber wenigstens kann ich dann aussteigen.«

»Eigentlich müssten wir jede Minute an der letzten Kreuzung ankommen. Und Mirc ...«

»Hm?«

»Es tut mir wirklich leid, dass du dann alleine sehen musst, wie du zurechtkommst, aber du weißt ja: dein Vater und ich müssen uns auch noch eingewöhnen und wollen eigentlich nicht erst im Dunkeln da ankommen.« Jetzt schlug meine Mutter schon wieder ihren entschuldigenden Ton an, den ich überhaupt nicht leiden konnte.

»Mutti, ich weiß. Ist schon okay, ich versteh' das ja.«

Eltern können manchmal schon ziemlich nervig sein, oder?! Aber im Internat würde ich davon dann ja nicht mehr allzu viel mitkriegen, obwohl es da sicherlich Leute gab, die genauso waren. Und dann war da der Abzweig: »Internat Wiesengrund - 2km«. Das war es also, wo ich die nächsten zwei Jahre meines Lebens verbringen sollte. Und jetzt als dieses Schild da stand, war alles viel wirklicher als vorher. Auf dem Weg dorthin und auch schon vorher in Hamburg war alles noch so entfernt gewesen, aber jetzt war es real. Jetzt war ich kurz davor wirklich alleine zu sein. Und ich hatte Angst, aber das konnte ich meine Eltern ja nun nicht unbedingt wissen lassen. Das wäre mir etwas peinlich gewesen, so als 17-jähriger zitternd vor Angst an der Hand in die Schule geführt zu werden.

Mein Vater fuhr die Straße hoch und je näher wir meiner neuen Heimat kamen, desto nervöser wurde ich. Wieso eigentlich? Ich meine, okay, es war eine neue Schule, aber mit solchen Sachen hatte ich eigentlich noch nie irgendwelche Probleme gehabt. Klar, ich war schwul und sobald es herauskommen würde, würde es sicherlich einiges an Problemen geben, aber insgesamt war es wohl die Erwartung, oder besser gesagt das Wissen, dass hier etwas Wichtiges passieren würde. Eigentlich bin ich ja nicht so der Typ der wahnsinnig sensibel auf solche Dinge reagierte, aber irgendwie war der Tag was Besonderes. Und dann waren wir da. Scheiße.

»Mirc?«

»Ja.«

»Gut, lass es uns kurz und schmerzlos machen. Wir wollen es ja nicht gleich am ersten Tag zu peinlich für dich werden lassen.« Typisch meine Mutter, dabei standen ihr selbst Tränen in den Augen, aber es war mir schon ganz recht, dass meine Eltern hier keine Szene machen wollten. Ich hasse solche Art von Verabschiedungen und musste auch dieses Mal wieder aufpassen nicht gleich loszuheulen. Meine Mutter deckte mich noch schnell mit Ratschlägen ein, während mein Vater schon mal mein Gepäck aus dem Kofferraum beförderte

»...und du weißt, du kannst uns jeder Zeit anrufen, falls es Probleme geben sollte.«

»Mutti, ich bin 17 und keine Baby mehr.« Na ja, das ist wohl der typische Spruch aller Teenager, aber wenn ich ehrlich sein soll ... eigentlich wäre es mir schon lieber gewesen, wenn meine Eltern mitgekommen wären, aber jetzt war es eh zu spät.

»Mirc, ich wünsche dir viel Glück und alles Gute. Ruf uns an, wenn du dich einigermaßen eingelebt hast.«

Sie stiegen ins Auto und das war's dann erst mal. Jetzt war ich ganz alleine. Ich schaute noch dem Auto nach bis es um die Kurve gefahren war und wandte dann meinen Blick dem Gebäude vor mir zu. »Internat Wiesengrund« stand in großen Messingbuchstaben über der Eingangstür. Das Gebäude selbst schien eine Art altes Schloss zu sein und war in mehrere Abschnitte unterteilt. Außerdem gab es Sportanlagen und einen Park, der nach hinten raus lag. Ich atmete ein Mal tief durch, nahm meine Tasche und ging auf die Tür zu. Als ich direkt davor stand merkte ich, wie ich kurz davor war doch wieder ein Rückzieher zu machen und irgendwo hinzulaufen. Da wurde die Tür aber auch schon aufgerissen und ein Junge, ungefähr mein Alter, sprang mir entgegen und riss mich um, sodass er auf mir landete.

»Hi. Bist du neu ihr?«

»Ähm, hm-mm.« Das sollte eigentlich ‚ja‘ heißen, aber irgendwie bekam ich nicht so die richtigen Worte heraus. Es lag allerdings nicht an ihm oder das er so umwerfend gewesen wäre, sondern eher daran, dass ich kaum Luft bekam, als ich unter ihm lag.

»Ich bin Maximilian, oder Max. Wie heißt du?«

»Ähm, Mirc ...ähmm ...Mirko Grabe.«

»Cool. Wie auch immer. Ich muss los. Man sieht sich.« Damit sprang er auf und ich hatte endlich wieder die Gelegenheit zu atmen. Wenn die alle hier so stürmisch waren, dann würde es sicherlich eine aufregende Zeit werden. Und *so* schlecht hatte Max nun auch nicht ausgesehen, aber er war halt nicht so ganz sein Typ. Er war mehr so der südländische ... obwohl das vom Namen her ja eher nicht hinkam. Hmm, die Augen hatten aber schon etwas. Die haben so schön geglitzert, aber das hört sich jetzt wahrscheinlich kindisch an.

Na ja, jetzt gab es wohl kein Zurück mehr, nachdem ich den ersten Bewohner des Hauses schon getroffen hab. Und wenigstens war die Tür jetzt offen und ich wahrscheinlich völlig eingesaut, aber besser als gar nichts. Macht das Sinn?! Wie auch immer, ich kramte also noch mal meine Klamotten und Taschen und Rucksack zusammen und betrat dann total erwartungsvoll die Vorhalle. Meine Vermutung bestätigte sich schon hier. Das war definitiv mal ein Schloss gewesen, so wie das hier aussah. Gerade dieses Bild, dass direkt gegenüber der Tür hing, wahrscheinlich Öl, mit einem Mann drauf, der mehr oder weniger wie ein Graf oder so aussah. Ich muss wohl mit offenem Mund dagestanden haben, denn ich kann mir keinen anderen Grund für den Lachanfall denken, der hinter mir ausbrach.

»Beeindruckt?« Langsam drehte ich mich um und schaute in 2 fast schwarze Augen, die von einem dunklen Gesicht umgeben waren.

»M-hm.« Ich war ja wirklich unglaublich heute was den Small-talk angeht, woran das wohl liegt. Der Junge mir gegenüber hatte immer noch ein Grinsen auf dem Gesicht und sah auch sonst sehr sympathisch aus.

»Du bist neu hier oder?« Ohne mir eine Chance zum Antworten zu geben redete er gleich weiter. »Du, sag mal, hast du hier einen kleinen Italiener vorbeilaufen sehen?«

Italiener, Franzose ... ist doch eigentlich auch egal. Und eigentlich war er ja mehr so über mich drüber gelaufen als an mir vorbei.

»Maximilian? Yep, der ist gerade raus.« Es ging also doch halbwegs dezente Gespräche zu führen. Wenigstens ein Fortschritt zur vorigen Situation.

»Du hast ihn also schon kennengelernt? Er wollte doch auf mich warten. Damn. Übrigens ich bin Luis, aber ich muss jetzt los. Man sieht sich.«

»Tschau.« Und weg war er. Das war jetzt schon der zweite süße Junge den ich hier getroffen hab. Wow. Wie viele andere es wohl noch von dieser Sorte gab ... aber Luis war wirklich faszinierend gewesen. Ich merkte, dass ich noch in Richtung der Tür starrte, als er schon längst verschwunden war. Zum Glück war gerade kein anderer in der Nähe, denn ich wollte nun nicht gleich auffallen, zumal ich auch schon noch gerne selbst entscheiden würde, wem ich wann was von mir erzähle.

Nachdem ich mich dann wieder einigermaßen gefasst hatte, stand die wichtige Entscheidung bevor, in welche Richtung ich mich nun bewegen sollte, da von dieser Vorhalle je eine Tür nach rechts und eine Tür nach links führte. Ich nahm dann ganz spontan die Tür nach rechts, weil Luis von der anderen Seite gekommen war. Zur Erklärung: ich sollte mich zuerst im Büro melden und ich hatte jetzt einfach mal entschieden, dass Luis bestimmt von seinem Zimmer gekommen ist und die Büros folglich auf der anderen Seite also rechts liegen müssten. Ich weiß, komplizierte Logik, aber was soll man machen ... außerdem erwies sich meine Herleitung als richtig, wie ich feststellte, nachdem ich durch die Tür getreten war. Dort waren ja schon die ersten Schilder und den Türen, und was stand drauf: »Zimmer 43. Bewohner: Marcus Fader, Andreas Hungemaier.« Na ja, vielleicht war meine Logik doch nicht so ganz aufgegangen, aber wo waren denn jetzt die Büros? Da half wohl alles nichts und ich musste jemanden fragen. Das Problem war bloß, dass irgendwie keiner dazu sein schien ... merkwürdige Schule ... obwohl, okay, es war ja schon Nachmittag und mitten im Schuljahr, das hab ich ja noch gar nicht erwähnt. Und falls sich jemand in der Zwischenzeit schon gewundert hat, das Internat war ein reines Jungen-Internat. Etwas Gutes musste die Sache ja haben.

Trotzdem stand ich mehr oder weniger hilflos auf dem Flur vor all den verschlossenen Türen ... und an welche sollte ich jetzt anklopfen ... Meine Glückszahl war schon immer die 23 gewesen, also versuchte ich das dort. Ein Junge, etwa ein Jahr jünger als ich, öffnete nur in Sporthose bekleidet die Tür und schaute mich erwartungsvoll an. Ich musste erst einmal schlucken und hatte Mühe meinen Blick von seinem Körper in sein Gesicht gleiten zu lassen. Aber nach einer halben Ewigkeit gelang mir das.

»Hi, ich bin neu hier und muss mich erst mal anmelden. Kannst du mir zeigen, wo ich lang gehen muss?«

»Klar, in der Vorhalle, linke Tür. Von da an sind die Türen dann beschriftet.«

»Danke.«

»Kein Problem.« Ich wandte mich um und wollte gerade gehen, immer noch das Bild von dem Jungen im Kopf, als er auf einmal einen überraschten Laut ausstieß.

»Was hast *du* denn gemacht?«

»Häh?« Denken war irgendwie an dem Tag nicht so meine Stärke.

»Dein T-Shirt ist voll dreckig.«

»Ach so, ja, mir ist da vorhin ein kleiner Unfall passiert. Nichts weiter interessantes.«

»Hm, okay. Wir sehen uns bestimmt später noch.« Und dann schlug er mir die Tür vor der Nase zu. Wow, der dritte Junge hier, der überdurchschnittlich gut aussah. Da gab es wohl genug, worüber man nachdenken konnte, während man nachts allein im Bett lag. Aber wenn hier alle so aussehen, werde ich wohl nicht so ganz dazu kommen mich normal zu verhalten. Das war ja schon fast unheimlich.

Also, was hatte er gesagt? Die linke Tür ... Ich werde nie wieder auf meine Logik vertrauen, das ist sicher. Aber wie auch immer, also wieder den Flur runter, durch die Vorhalle, am Bild des Grafen vorbei, und durch die andere Tür. Und yep, da hatten wir ja die ganzen Büros. Jetzt musste ich bloß noch das richtige finden, was allerdings nicht weiter schwierig war. Ich klopfte leise an und trat ein, als ein ‚herein‘ ertönte. Mein ganzes Zeug ließ ich vor der Tür liegen. Hier würde sicherlich keiner kommen und das klauen ...hoffte ich zu mindestens. Hinterm Schreibtisch saß eine mäßig attraktive (soweit ich das beurteilen konnte), reifere Frau und lächelte mich an.

»Du bist bestimmt Mirko, oder?« Ein Nicken von mir und sie fuhr fort. »Der Direktor erwartet dich schon. Da durch die Tür.« Mit dem Finger zeigte sie auf die Tür links von mir. Als ich mich umdrehte konnte ich ihr Kichern hören, beschloss aber mich nicht darum zu kümmern und machte stattdessen die Tür auf. Ein Mann mittleren Alters lächelte mich an.

»Du bist also Mirko. Willkommen im Internat Wiesengrund.«

Das war also der Startschuss für zwei aufregende Jahre, die folgen sollten.

Kapitel Zwei

Der Direktor war mir eigentlich schon von Anfang an sehr sympathisch, das kann ich nicht anders sagen. Er hatte so eine Art, die dich gleich in volles Vertrauen zu ihm stürzte, ohne dass du wirklich etwas dagegen tun konntest. Er war sich dieser Wirkung wohl bewusst, denn er grinste leicht, als er bemerkte, dass ich mehr oder weniger bewegungslos vor ihm stand und wartete, bis ich mich wieder einigermaßen eingekriegt hatte. Natürlich war mir das erst mal wieder peinlich, das war ja zu erwarten gewesen.

»Setz dich. Ich darf doch ‚du‘ sagen, oder?«

»Klar.«

»Also, du kommst aus Hamburg, richtig? Und wie findest du es hier so?«

»Ich hab bis jetzt ja noch nicht allzu viel gesehen ...« Außer drei süßen Jungs, füge ich in Gedanken dazu » ..., aber ich find die Gegend schon ganz schön.«

»Also, gut. Ich will mit dir hier nicht unbedingt stundenlang erzählen, ich denke du wirst sowieso alles durch die Jungs erfahren, die du hier so kennenlernst. Du wirst in Zimmer 15 wohnen und ich denke Thom, dein Mitbewohner, wird dir schon erklären, wie es hier abläuft. Falls, du Probleme haben solltest, kannst du natürlich jeder Zeit zu mir oder zu einem anderen Erwachsenen kommen, obwohl alle hier eigentlich schon größtenteils auf sich gestellt sind. Das sollte man auch erwarten, wenn man bedenkt, dass die Jüngsten 16 sind. Ich würde dich gerne noch heraus begleiten, aber leider habe ich keine Zeit. Du findest doch den Weg oder?«

Na damit hatte ich ja jetzt schon genug Erfahrung. Durch die Vorhalle und die Tür rechts. Ja, ja. Eigentlich war es ja schon schade das ich nicht mit diesem halbnackten süßen Jungen in einem Zimmer war, aber man kann ja nicht alles haben, nicht wahr?

Ich verabschiedete mich also vom Direktor und sammelte, im Flur angekommen, mein Gepäck wieder zusammen. Ich überlegte mir die ganze Zeit als ich wieder durch die Vorhalle marschierte und dann nach Zimmer 15 suchte, wer dieser Thom wohl war und wie er aussah, und ob er nett war und eine Menge andere Dinge.

Als ich dann wieder im Wohntrakt angekommen war, hatte sich noch nicht allzu viel geändert, sprich es war noch immer niemand zu sehen. Was die wohl die ganze Zeit in ihren Zimmern machten? Aber so weit wollten wir jetzt ja nicht gehen. Es wäre wohl weniger angenehm eine Beule in der Hose zu haben, wenn ich Thom das erste Mal sehen würde. Es würde sogar eher unangenehm werden. Na ja, es kam wohl auch darauf an, wie Thom zu solchen Sachen stand, aber darüber wollte ich mir eigentlich zu dem Zeitpunkt noch keine Gedanken machen.

Ich ging einmal mit meinem Gepäck den gesamten Flur runter, während ich meinen Kopf andauernd von links nach rechts drehte um mir die Zimmernummern anzuschauen. Irgendwie schien da allerdings nicht wahnsinnig viel Logik hinter zu stecken, aber mit Logik hatte ich ja schien meine Erfahrung an dem Tag gemacht, da wollte ich mich nicht unbedingt drauf verlassen. Am Ende des Flurs angekommen, hatte ich immer noch keine Idee, wo denn jetzt Zimmer 15 war … also ließ ich mein Gepäck dort liegen, wo ich stand und ging noch Mal zum Zimmer 23. Vielleicht könnte er mir ja noch mal helfen, falls er da ist. Außerdem hätte ich dann ja vielleicht noch mal die Chance einen Blick zu erhaschen ...

Ich klopfte also an die Tür und wartete, aber es rührte sich nichts. Shit. Das hatte ich nun gar nicht in meine Überlegungen eingeplant. Ich ging also wieder zu meinem Gepäck zurück und setzte mich schmollend darauf. Was war das hier bloß für ein beschissenes Internat. Irgendwie war ja so ziemlich alles schiefgelaufen. Auf die Idee vielleicht auch noch an eine andere Tür zu klopfen kam ich erst gar nicht.

Nach etwa 20 Minuten hörte ich dann Stimmen, die aus Richtung Vorhalle kommen mussten. Erwartungsvoll schaute ich Richtung Tür und es kamen wirklich zwei Gestalten herein. Max und Luis. Es schien ja doch noch nicht alles verloren zu sein. Sie sahen mich und Max war der erste, der anfing zu sprechen.

»Bist du wieder okay oder hab ich dir vorhin noch irgendwie weh getan?«

»Nee, geht schon.« Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass ich die Aktion vorhin sogar ein bisschen genossen hab. Er würde sicherlich total ausfreaken. Na ja, klar, es gab eine 10%-tige Chance, dass er auch schwul war, aber seit mal ehrlich, wann trifft man schon mal bewusst einen von diesen 10%, wenn man sich nicht gerade in der Szene aufhielt. Außerdem war es ja nicht so, als ob es zwischen uns gefunkt hätte, als ließ ich meine Gedanken mal ganz schnell woanders hin wandern. Und irgendwie guckten mich Luis und Max beide so erwartungsvoll an. Da hatte ich wohl irgendeine Frage überhört, während ich Max angestarrt hatte. Dammit.

»Was?«

»Worauf du hier wartest, habe ich gefragt. Es sieht ja so aus, als ob du hier jetzt erst einmal zelten wirst.«

»Haha, sehr witzig. Ich suche eigentlich meinen Raum, aber euer Beschriftungssystem hat anscheinend irgendwelche Macken.«

Luis fing an zu grinsen.

»Wieso sagt das eigentlich jeder, der neu hier ist ... Hmm, welches Zimmer suchst du denn?«

»15.«

»Das ist ja Thom's Raum! Wird auch langsam mal Zeit, dass er wieder Gesellschaft bekommt. Wir wollten da eh gerade hin, wir könnten dich dann ja mitnehmen.«

»Wie gütig.« Grinsend kramte ich zum vierten oder fünften Mal am heutigen Tag mein Gepäck zusammen. Die andren halfen mir und so musste ich wenigstens nicht alles alleine schleppen. Sie führten mich die Treppe hoch, die am Ende des Flurs lag. Oben angekommen sah ich, dass hier ein identischer Korridor zu dem unten existierte. Die Beiden gingen zielstrebig auf eine Tür auf der rechten Seite zu: »Zimmer 15. Thom Johannes.« Bald würde da wohl mein Name stehen ... nahm ich jedenfalls an.

Max klopfte kurz und riss aber praktisch schon im nächsten Moment die Tür auf und stürmte ins Zimmer. Luis trat nach ihm ein und ich stand etwas verloren vor der Tür und traute mich nicht so wirklich reinzugehen. Wer weiß, was mich dort erwarten würde, aber es machte wohl nicht allzu viel Sinn, die ganze Zeit draußen rumzustehen, also betrat ich das Zimmer.

Luis und Max unterhielten sich mit den andren beiden Jungen, von denen einer der Typ aus Zimmer 23. Ich hatte wahrscheinlich doch mehr Glück an dem Tag, als ich gedacht hatte. Irgendwie schienen mich die vier Jungs gar nicht zu beachten, bis ich, mit ziemlichen Lärm, mein Gepäck auf den Boden fallen ließ. Max war der erste, der die richtigen Worte fand.

»Siehst du, Thom, das wollten wir dir auch noch erzählen. Das ist Mirko.«

Thom drehte sich langsam um. Bisher hatte ich von ihm nur den Rücken und seine roten strubbligen Haare gesehen. Als er mir sein Gesicht zuwandte konnte ich zum ersten Mal in seine Augen sehen. Blau. Wow. Hätte ich nicht schon eine halbe Minute vorher mein Gepäck fallen lassen, wäre es sicherlich passiert als er mich ansah. Thom war etwa 5cm größer als ich, also etwa 1.90m und was soll man sonst noch sagen. Die anderen drei Jungs im Zimmer waren schon süß, aber Thom war U-M-W-E-R-F-E-N-D.

»Mirko, ist alles okay?« Das war Luis. Wie war das noch? Wir wollen nicht gleich allen erzählen, dass wir schwul sind? Irgendwie war das jetzt wohl das dritte oder vierte Mal, dass ich mir so einen Ausrutscher geleistet und einen der Jungs angestarrt habe. Wenn sie nicht völlig neben der Spur liefen, mussten sie schon wenigstens eine Ahnung haben, was los war, aber vielleicht war das bloß wieder das paranoide-Ich, das mir alles einreden wollte.

»Ich bin okay. Und übrigens, ich werde von allen bloß Mirc genannt.«

»Hi Mirc. Bei Gelegenheit musst du uns mal erzählen wie der Name zustande gekommen ist. Ähm, ich bin Thom und wir werden wohl die nächsten zwei Jahre hier zusammen wohnen. Das sind Max, Luis und Tim, aber die hast du anscheinend schon kennengelernt.«

»Na ja, mehr oder weniger gut.«

»Wir hatten schon engen Körperkontakt.« Das kam natürlich von Max. Da fiel mir auch wieder ein, dass mein T-Shirt halbwegs versaut war und ich wollte eigentlich ein anderes anziehen, aber hier so, vor den Jungs? Wer weiß, welche Peinlichkeiten da noch so passieren würden. Thom löste dann allerdings das Problem für mich.

»So Jungs, macht das ihr rauskommt. Wir wollen Mirc ja nicht gleich zum Anfang mit allem zuschütten. Lassen wir ihm erst mal ein bisschen Zeit sich an alles zu gewöhnen. Das heißt, ich müsste eigentlich noch diese Hausaufgabe machen. Also könnte ich hier bleiben, wenn dich das nicht stört?«

»Klar kannst du hierbleiben.« Na, wenn das nicht irgendwie begierig klang, aber was soll's. »Du musst mir sowieso noch erklären, wie das hier alles abläuft.«

»‘Türlich.«

Die Jungs verschwanden also durch die Tür und ich stand mit Thom allein im Zimmer und merkte wie er mich immer noch musterte. Ich kam mir irgendwie vor wie bei der Armee, wo der Offizier vor dir rumspaziert und dich von oben bis unten anschaut. Vielleicht bestand ja doch noch irgendeine Chance. Vielleicht hatte Gott ja mal etwas Gnade mit mir. Es wurde doch mal Zeit, dass auch ich so meine Erfahrungen mache, oder nicht?! Ich war zu dem Zeitpunkt noch Jungfrau, nur zur Erklärung. Mit 17. Oder ist das normal? Ich habe mich noch nie mit jemandem darüber unterhalten, Ich muss wohl etwas blöd ausgesehen haben, wie ich da immer noch inmitten meines Gepäcks stand denn Thom hatte auf einmal so ein Grinsen im Gesicht. Gott war er süß.

»Willst du nicht auspacken?«

»Oh, äh, ja, ich glaube schon, aber wo kann ich mein Zeug denn hintun?«

»Ach so, klar. Ich erkläre dir mal die Sache mit dem Zimmer. Du siehst, dass das alles hier mehr oder weniger symmetrisch aufgebaut ist. Sprich, eine Seite gehört dir und eine gehört mir. Wir können allerdings alle Möbel so verschieben, wie wir wollen. Da ich im letzten Jahr allein gewohnt habe, hab ich alles so gelassen. Mir gehört die rechte Seite, also bleibt dir die Linke ... offensichtlich, falls du damit okay bist.«

»Yep, kein Problem.«

Zur Erklärung: die Tür, die ins Zimmer führte war genau in der Mitte der Wand eingebaut. Auf der linken sowie auf der rechten Seite waren ein 2mx1m langer bzw. breiter Schrank und ein Bett mit denselben Maßen. An der Fensterwand standen unter den zwei Fenstern pro Fenster je ein Schreibtisch. Die Fensterwand war genau wie die Türwand etwa 5.50m lang, während die anderen beiden Wände etwa 6m lang waren. Direkt in der Mitte des Raumes stand ein Tisch mit 4 Stühlen. Von der einen Seite des Schreibtischs bis zum Bett gab es nochmal ein etwa 2m langes Stück, das wohl als so eine Art ‚persönliche Ecke‘ gedacht war. Auf der rechten, also auf Thom's, Seite lagen an der Stelle ein Haufen Kissen, daneben eine Stehlampe unter der ein aufgeschlagenes Buch lag. Irgendwie sah das schon relativ gemütlich aus, das musste man neidlos anerkennen. Meine Seite hingegen sah noch etwas ... kahl aus.

»Ich musste erst mal mein ganzes Zeug aus dem Zimmer zusammenräumen. Man muss ja wenigstens versuchen einen halbwegs guten Eindruck zu machen.«

»Schon klar, aber ich bin auch ziemlich unordentlich, ehrlich gesagt, also passen wir da ja ziemlich gut zusammen!«

In dem Moment hätte ich meine Worte gern zurückgenommen, aber was soll man machen. Wie hatte ich das noch geplant gehabt? ‚Wir wollen nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen‘? Ja, ja, meine Selbstbeherrschung war bei solchen Sachen eh gleich null. Vielleicht hatte er auch gar nichts mitgekriegt. Das konnte ja sein. Jedenfalls war nicht zu erkennen, dass er irgendwas gemerkt hatte.

»In den Schrank kommen alle deine Klamotten und ein Großteil deines anderen privaten Krams. Wie gesagt, mein Zeug liegt meistens irgendwo verteilt rum. Der Gebrauch des Bettes dürfte klar sein. Die freie Ecke da hinten kannst du einrichten wie du möchtest. Du kannst dir einen Sessel kaufen und da hinstellen, oder Kissen, wie ich das gemacht habe, oder einen Schaukelstuhl, oder vielleicht willst du den Platz auch bloß benutzen um zum Beispiel Bücher zu stapeln. Das ist voll und ganz deine Entscheidung. Nur sag vorher Bescheid, wenn du vorhast dir ein Chemielabor zu bauen. Der Tisch in der Mitte ist zum allgemeinem Gebrauch gedacht und wird von mir eigentlich nicht unbedingt oft benutzt, ist aber eigentlich ganz praktisch wenn die Jungs hier sind und wir Karten spielen oder ähnliches. Wie auch immer, das ist der Raum.«

»Und was ist, wenn ich mal, du weißt schon, muss?«

»Ach ja klar, Klos, Duschen etc. befinden sich den Flur runter auf der rechten Seite.«

»Ich ähmm ... geh dann mal da hin.«

»Tu dir keine Zwang an.«

»Okay.«

Ich musste wenigstens mal die Chance nutzen einen klaren Gedanken zu fassen, denn mit Thom im Zimmer war das nicht wirklich möglich. Deswegen atmete ich tief durch sobald ich die Zimmertür hinter mir geschlossen hatte. War es eigentlich im Internat möglich so nachts unter der Bettdecke ein bisschen Spaß zu haben, musste man immer erst zum Klo latschen? Ich konnte mir schon vorstellen, wie nachts der gesamte Waschraum total überfüllt war. Wenn ihr jetzt denkt, dass ich bloß zum Klo gerannt bin um mich selbst zu befriedigen, habt ihr definitiv falsch gedacht. *So* heiß war Thom nun auch wieder nicht. Ich musste einfach nur Pinkeln, oder urinieren, wie meine Mutter das immer so schon ausdrückt, denn während der Fahrt bin ich vor Nervosität nicht dazu gekommen.

Ich fand den ... wie heißt das Ding eigentlich ... Waschraum, Duschraum, Baderaum ... hmm ... vielleicht Hygieneraum, auf Anhieb. Das war wohl das erste Mal seit ich hier war. Cool, vielleicht lerne ich ja noch. Der Raum war eigentlich ziemlich nett. Na ja, was heißt nett. Er sah halt ungefähr aus wie der Waschraum in einer Jugendherberge. Ich stellte mich vor einen der Spiegel, die über den Waschbecken hingen und musterte mich, versuchte mich so zu sehen, wie Thom mich sah. Es gelang mir nicht wirklich und ich fand mich ehrlich gesagt nicht so wahnsinnig toll. Das heißt, selbst wenn Thom schwul sein *sollte*, dann würde er wohl trotzdem nie auf mich stehen, aber na ja, ich glaube kein halbwegs normaler Teenager findet sich selbst wirklich gutaussehend, oder liege ich da falsch? Trotzdem, aber sollte so ein süßer Junge wie Thom sich gerade in mich, so einen Typen aus Hamburg, verlieben. Hier hatte er schließlich Tim und Luis und Max, und das waren nur die, die ich schon getroffen hatte. Wer weiß, wer hier noch so im Internat herumschwirrte.

Ich sollte wohl besser die Hoffnung aufgeben oder ich würde mich total verrückt machen und in so eine Scheinsituation verrennen. Ich merkte ja jetzt schon, dass ich sein Gesicht nicht mehr aus dem Kopf kriegt. Von seinem Körper hatte ich ja noch nicht wirklich was gesehen. Es war ja ganz schön, dass es da jemanden gab, den ich süß fand und irgendwie hatte ich mir das auch gewünscht, aber das ich mich gleich so in jemanden verschießen würde ... zumal ich noch mit ihm zusammen wohnen musste 24/7 für 365 Tage. Wohl nicht ganz 365 Tage ... hoffentlich, aber es würde so schon genug sein ihn jeden Tag aufstehen zu sehn, ihn jeden Tag ins Bett gehen zu sehen ... wer weiß, was er unter der Bettdecke machte? Okay, ich kann natürlich nicht verneinen, dass das Zusammenwohnen auch seine Vorteile hatte. Schließlich *würde* ich ihn sehen und würde ich ihn begutachten können.

Die einzige Gefahr bestand darin, dass ich mich nicht wieder einkriegen würde und eine klitzekleine peinliche Ewigkeit könnte ohne weiteres entstehen. Außerdem bestand ja so ganz nebenbei auch noch die Möglichkeit, dass Thom Schwule eher abstoßend findet ... aber was machte ich mir jetzt schon wieder Gedanken. Bisher war ja noch nicht wirklich etwas Entscheidendes passiert und Thom wunderte sich bestimmt schon, was ich so lange auf Klo machte. Also rappelte ich mich auf und hatte schon den Türgriff in der Hand, als der mir entrissen wurde als jemand die Tür aufmachte. Er stoppte als er mich sah und blickte von oben nach unten an mir entlang. War das hier irgendwie eine Militärakademie? Ich war kurz davor diesen Soldaten-Gruß auszuführen und das Gewehr aufzurichten. Der Typ mir gegenüber sah schon wie so ein Offizier aus, so total wie der Obermacker, schon allein der Ton seiner Stimme.

»Neu?«

»Ja.« Ein letzter abschätzender Blick und er ging in einem Halbkreis um mich herum. Es schienen ja doch nicht alle so nett zu sein, wie die vier, aber es gibt wohl überall Menschen, die man nicht gerade so wahnsinnig interessant oder angenehm findet. Warum sollte das ausgerechnet hier etwas anderes sein. Ich fand bloß, dass ich mit Thom als Zimmernachbarn einen guten Fang gemacht habe. Ich schaute dem anderen Typen noch mal hinterher und verließ dann kopfschüttelnd den Waschraum. Leute gibt's ...

Welches Zimmer war jetzt eigentlich noch mal meins gewesen? 15? Hmm, muss ich eigentlich anklopfen, wenn ich ins eigene Zimmer will? Ist wohl besser. Wer weiß, was Thom gerade macht, aber wenn man das bedenkt, sollte ich mich vielleicht doch nicht bemerkbar machen ... na ja, ich musste ihn ja nicht gleich schocken ... also, Klopfen.

»Ja?«

»Ich bins bloß.«

»Warum klopfst du denn an?«

»Na ich dachte ...«

»Jetzt hör mal zu. Das ist genauso dein Zimmer, wie es meins ist, also spar dir diesen Höflichkeitskram. Ehrlich gesagt haben wir es auf den Zimmern bisher immer so gehalten, dass die zwei Leute, die zusammen wohnen, alles soweit wie möglich teilen, bis hin zu den Klamotten, wenn das Figur-mäßig passt. Es macht erstens die Atmosphäre besser und zweitens, glaub mir, nach ein paar Wochen wirst du sowieso nicht mehr wissen welche meine und welche deine eigenen Sachen sind. Natürlich liegt die Entscheidung bei dir. Ich will dir definitiv nichts aufzwingen, also, wenn du das nicht möchtest ist das auch okay. Es erleichtert aber das Leben hier, wenn man einander vertraut, was ja der Ursprung der ganzen Aktion ist. Also, was sagst du?«

Ich konnte gar nicht glauben, was Thom da gerade vorgeschlagen hatte. Ich sollte die Chance haben seine Klamotten zu tragen? Cool. Da bahnte sich wohl eine etwas heftigere Angelegenheit an, als bloß sich ein bisschen in jemanden zu vergucken. Ich kannte ihn doch noch nicht mal eine Stunde. Aber klar würde ich die Chance wahrnehmen, dass anzuhaben, was er sonst trägt. Ist das verrückt?

»Klar, kein Problem. Ich weiß zwar nicht, ob du jetzt unbedingt in meine Klamotten reinpasst, aber klar, okay.«

»Sehr gut. Ich schlag mal vor, dass du dich jetzt erst mal häuslich einrichtest, denn um 6.30 ist hier Abendbrot. In genau ... 1 Stunde und 17 Minuten.«

»Bist du immer so genau?«

»Meistens, speziell, was Zeiten und Daten angeht. Wo wir schon mal dabei sind, wann ist dein Geburtstag?«

»13. Dezember. Deiner?«

»19. Mai. Stört es dich, wenn ich im Raum bleibe während du auspackst?«

»Nee, kein Problem.«

Also fing ich an meine Tasche auszupacken während Thom sich an seinem Schreibtisch niederließ. Obwohl, zum Anfang habe ich nicht allzu viel ausgepackt, sondern lieber Thom gründlich betrachtet ... bis ich selbst merkte, dass es vielleicht ein kleines bisschen zu auffällig wurde. Thom hatte aber, glaube ich, nichts davon mitgekriegt. Das hoffte ich zu mindestens. Oder er dachte, dass ich nur ein Freak war. Wie auch immer, ich wendete mich meinem Gepäck zu und versuchte alles im Schrank zu verstauen, aber was soll ich sagen: der Schrank war zwar ziemlich groß, aber irgendwie konnte ich nicht alle meine Sache darin unterbringen ... und ich dachte immer das wäre so ein Vorurteil, dass viele Schwule auf Klamotten und Shoppen stehen ...

»Passt nicht alles rein, huh?«

Was?! Mann, hat er mich erschreckt. In einem Moment stand ich ganz unschuldig da und versuchte krampfhaft alles im Schrank zu verstauen und im nächsten Moment stand Thom so dicht hinter mir, dass ich praktisch schon seinen Atem im Nacken spüren konnte.

»Ähm, nee, nicht ganz.«

»Okay, gib mal her. Ich hab bei mir im Schrank noch Platz. Wir packen deine Shirts einfach da rein.«

»Cool. Wo kann ich meinen sonstigen Kram - CDs, Bücher, etc. hintun?«

»Eigentlich in den Schrank, aber ich glaube nicht, dass sich da noch unbedingt Platz findet. Jetzt guck mich nicht so böse an. War doch bloß ein Scherz. Die andere Möglichkeit wäre die kleine persönliche Ecke.«

»Hmmm ... ich glaube ich lass das dann erst mal in der Tasche. Wie viel Zeit haben wir denn noch?«

»Noch 28 Minuten. Ich würde vorschlagen, dass wir uns am besten erst mal näher kennenlernen ... so ein bisschen jedenfalls. Also, fang an. Erzähl mir, was in deinem Leben bisher so passiert ist.«

Wir setzten uns beide auf Thom's Bett. Er legte noch eine CD in den Player, ,Air‘ oder etwas Ähnliches, halt Hintergrundmusik. Dann schaute er mich erwartungsvoll an. Sollte ich ihm jetzt schon erzählen, dass ich schwul bin? Aber wer weiß, wie Thom reagieren würde. Vielleicht war er ja doch so ein schwulenfeindliches Arschloch, wer wusste das schon so genau, bevor man es der Person gesagt hatte. Und wenn ich es ihm noch nicht erzählte, hatte ich immerhin noch die Chance auf einige geruhsame Wochen. Außerdem, wie war das noch? Wir wollen nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen?

»Also ich heiße eigentlich Mirko, aber Mirc gefällt mir um Längen besser. Ich komme aus Hamburg und ich musste hierher, weil mein Vater so ein Wetterfuzzi ist und einen neuen Job in den Alpen annehmen muss. Und die Wahl zwischen einem Kuhdorf und einem Internat war ja nun nicht so schwer.«

Besonders, da es ein reines Jungen-Internat war, fügte ich in Gedanken noch hinzu.

»Vermisst du Hamburg und deine Freunde?«

»Noch nicht. Es ist alles noch so wahnsinnig neu hier und ich bin ja noch nicht mal 24 Stunden von Hamburg weg, aber klar vermisse ich meine Freunde irgendwie und besonders meinen besten Freund Marc, aber ich werde mich schon an die Situation gewöhnen. Was ist mit dir?«

»Also ich bin Thom.« Ein Grinsen von ihm folgte. »Eigentlich komme ich aus München und deswegen war es für mich zum Anfang hier schon ziemlich schwer. Der erste, den ich getroffen habe, war Tim. Max und Luis kamen etwa ein Jahr später dazu und seid dem sind wir eigentlich sehr gut befreundet. In München habe ich nicht wirklich mehr Freunde, nur Kumpels mit denen ich ab und zu mal weggehe, wenn ich in der Stadt bin. Generell habe ich meine Freunde jetzt hier, was manchmal ganz schön stressig sein kann, da du die anderen ja den ganzen Tag um dich hast und nicht nur für ein paar Stunden in der Schule. Andererseits ist es natürlich ganz interessant, weil du die Leute viel besser kennenlernst. Du kennst halt alle Geheimnisse.«

Alle Geheimnisse? Na hoffentlich meinte er das nicht wörtlich. Früher oder später würde er es zwar eh erfahren, aber es musste ja nicht gleich sein. Ich wollte mal versuchen einen auf Hetero zu machen.

»Hast du denn eine Freundin?«

»Nein. Hier sowieso nicht und in München ... da habe ich überhaupt keine Zeit zu. Das heißt, eine Zeitlang hatte ich schon mal eine, aber die ist mit einem anderen abgehauen und seitdem ist Sense.«

Seht ihr: Freundin. In meinem Kopf zerplatzten die Träume wie Seifenblasen. Wenn er jetzt noch so ein katholischer Macker war, dann konnte ich die Sache wahrscheinlich sowieso abschreiben. Ich konnte mir schon vorstellen, wie ich hier mit Pauken und Trompeten von der Schule flog. Die Schlagzeile in der Zeitung: ‚schwuler verführt katholischen Messdiener‘. Ach Mann, es hätte so schön werden können, aber was soll's. Man konnte ja nicht alles haben.

»Und was ist mit dir? Freundin in Hamburg?«

»Nee.«

»Okay, lass uns essen gehen. Der Essensaal ist im Bürotrakt und wir müssen eh noch die anderen drei von ihren Zimmern abholen. Also, gehen wir.«

Irgendwie hatte sich nach der Frage mit der Freundin so eine komische und unangenehme Spannung zwischen mir und Thom aufgebaut und auf dem Weg nach unten sprach keiner von uns ein Wort, obwohl ich krampfhaft versuchte mir ein Thema einfallen zu lassen über das wir hätten reden können, aber mein Verstand war irgendwie nicht so ganz am Laufen. Die drei standen schon am Fuße der Treppe und warteten auf uns.

»Da seid ihr ja endlich. Lasst uns gehen sonst sind unsere Plätze eher weg. Außerdem habe ich Hunger.«

»Typisch Max. Der denkt immer nur ans Essen. Und Mirc, hast du dich schon mit allem vertraut gemacht?

»Na ja, ich war schon mal im Waschraum. Sonst bloß in unserem Zimmer. Halt so ein bisschen meine Taschen ausgepackt und noch gequatscht.«

»Hast du schon irgendwen getroffen, außer uns natürlich?«

»Nicht wirklich. Mir ist bloß dieser eine Typ im Waschraum über den Weg gelaufen, aber ich habe mich nicht direkt mit ihm unterhalten.«

Unsere kleine Gruppe setzte sich in Bewegung und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht das fünfte Rad am Wagen werden würde. Schließlich kannten sich die anderen schon mehrere Jahre und ich war da erst jetzt so dazugekommen. Und irgendwie hatte ich schon angenommen, dass ich jetzt auch mit ihnen befreundet sein würde, aber das war ja eigentlich nicht so selbstverständlich. Bloß weil ich mit Thom auf einem Zimmer war, hieß das noch lange nicht, dass ich auch mit ihm befreundet sein würde.

Das gab mir erst mal zu denken. Vielleicht wollten die anderen auch gar nicht, dass ich mit ihnen rumhing. Am besten ich würde Thom mal fragen, was er davon hält, aber das könnte auch ohne weiteres wieder etwas peinlich werden. Außerdem wirkt das unsicher und ich wollte nicht unsicher wirken. Nicht hier. Jetzt hatte ich schon mal die Chance neu anzufangen und man will sich ja gut darstellen, so nach dem Motto: ‚Der erste Eindruck zählt.‘ Wenn man danach geht, hatte ich wohl nicht so die Wahnsinns-Show hingelegt. Das erste Mal, das Max mich zu Gesicht bekam, war als ich unter ihm im Dreck lag. Luis hatte mich zum ersten Mal gesehen, als ich ein Bild angestarrt habe und Tim ... das war wohl eine Peinlichkeit für sich und auf Thom hatte ich wahrscheinlich auch nicht den super Eindruck gemacht, als ich da so verloren in der Tür gestanden habe. Vielleicht sollte ich mal an meinem Selbstvertrauen arbeiten, aber irgendwie war das erste Treffen mit meinen neuen Mitbewohnern nicht so gelaufen, wie ich mir das eigentlich erhofft hatte. Es würde wohl noch genügend Zeit geben um darüber nachzudenken.

Außerdem würde ich Thom abends wohl mal etwas weniger bekleidet sehen. Nicht, dass es nur darum ging, aber es ist doch wohl normal, dass man den Jungen den man ... nett findet, auch gerne mal ohne Klamotten sehen möchte, oder liege ich da völlig falsch?

Die vier vor mit unterhielten sich die gesamte Zeit, die wir auf dem Weg waren und ich lief wie ein Hund hinter ihnen her. Im Essensaal angekommen war ich schon überrascht, wie viele Jungs hier so im Internat waren. Der Essensaal bestand aus Tischen, an denen jeweils 6 Jungs saßen und falls ich mich nicht verschätzt habe, saßen ungefähr 100 Jungs an den Tischen. Es musste also ungefähr 50 Zimmer geben.

Die Meisten schauten mich etwas komisch, oder sollte ich sagen, neugierig an. Ich mag es allerdings nicht sonderlich, wenn Leute mich anstarren und fühlte mich logischerweise etwas bedrängt und unwohl, als wir durch den Raum gingen. Offensichtlich zu dem Tisch der Jungs. Wir holten uns Brot, Wurst, etc. vom Buffet und setzten uns dann an den Tisch. Thom saß mir gegenüber und gab mir somit Gelegenheit ihn nochmals eingehender zu betrachten, was ich natürlich auch tat und worüber ich das Essen vergaß. Das musste ja jemandem auffallen, genau genommen war dieser Jemand Tim.

»Geht's dir nicht gut?«

»Wieso?«

»Na, du hast noch nichts gegessen und scheinst mit deinen Gedanken ganz woanders zu sein.«

»Hm, es ist bloß noch alles ungewohnt.«

Thom warf mir wieder ein Lächeln zu. Ach ist er süß.

»Da musst du dich dran gewöhnen. Tim sieht sofort, wenn mit einem von uns etwas nicht stimmt. Er ist absolut der Psychologe, also lass ihn bloß nicht merken, wenn du irgendein Problem hast. Er wird die ganze Zeit um dich rumschwirren und nicht eher Ruhe geben, bis er weiß, was genau dich beschäftigt und bis er nicht eine Möglichkeit findet, dir zu helfen, wirst du ihn an den Hacken haben. Wo wir jetzt schon gerade bei den Vorstellungen sind. Max ist immer total stürmisch und für jeden Spaß zu haben. Er und Luis teilen sich ein Zimmer und ergänzen sich wunderbar. Max ist eher der witzige Typ, während Luis der große Denker ist, dank Max verfällt er aber nicht in irgendwelche Depressionen. Andrerseits ist Luis natürlich auch der Gegenpol zu Max und Max besinnt sich dann von Zeit zu Zeit mal bevor er wieder irgendwelchen Blödsinn macht. Na und ich ... ich bin ich.«

Das war wohl der typische Thom-Spruch ... musste man sich wohl dran gewöhnen, aber alles in allem schienen das ja ein ganz netter Haufen zu sein.

Auf einmal merkte ich, wie ein Schatten über mich auf den Tisch fiel. Da musste wohl jemand ziemlich großes hinter mir stehen. Da hörte ich auch schon eine Stimme.

»Ist der Kleine neu?«

Klein? Wie bitte?

»Ja, und? Probleme damit?« Tim schien ja echte Beschützerinstinkte zu haben, dass er gleich so für mich in die Bresche sprang. Ich war ihm allerdings schon ziemlich dankbar, denn ich traute mich kaum mich einmal umzudrehen. Außerdem hatte ich eigentlich nicht vorgehabt schon am ersten Tag Objekt von Streitigkeiten zu werden. Das gibt allen anderen wohl nicht unbedingt so einen tollen Eindruck.

»Ich wollte bloß mal nachfragen.«

»Na dann kannst du ja wieder gehen.«

Und wirklich, er drehte sich um und verschwand. Und ich ließ mich erst mal entspannt zurück in den Stuhl sinken. Die vier schauten mich besorgt an und natürlich musste Seelsorger Tim wieder das erste Wort ergreifen - wie sollte es auch anders sein.

»Bist du okay?«

»Klar, aber WER WAR DAS?«

»Nicht so laut. Thom, erklär du das. Du kennst den Typen besser als ich.«

»Na so gut kenne ich ihn nun auch wieder nicht. Nur so viel: er heißt Mike und denkt er ist sowas wie der totale King hier. Ist er allerdings nicht, obwohl es teilweise so scheinen mag. Die wenigsten kümmern sich nicht darum, was er sagt oder zu wem er es sagt. Die Einzigen, die wirklich an seinen Lippen hängen, sind die Typen, die auch mit ihm am Tisch sitzen. Der Rest hört ihm zwar zu, wenn er etwas sagt, verwirft es aber sofort wieder. Die Moral der Geschichte: Sag zu dem, was er versuchen wird dir zu erzählen ‚ja und amen‘ und mach dann trotzdem, was du willst. Eigentlich ist er ziemlich uninteressant. Und du solltest wirklich etwas essen.«

»Hmm, eigentlich hast du recht. Was macht ihr eigentlich abends so?«

»Meistens sind wir im Zimmer von einem von uns und erzählen über alles Mögliche oder spielen Karten oder na ja, machen Sachen, die Jungs halt so machen.«

»Uh ... cool.«

Da hatte ich mich doch glatt an meinem Brot verschluckt. ‚Wir machen Sachen, die Jungs halt so machen.‘? Wie sollte ich denn das verstehen? Außerdem, was machen Jungs denn so? In Hamburg hatte ich nicht wirklich viel mit meinen anderen Freunden gemacht. Größtenteils, weil ich meist mit Marc durch die Clubs gezogen bin. Um ehrlich zu sein, *er* hatte mich die meiste Zeit durch die Clubs gezogen, denn so toll fand ich das nun auch wieder nicht. Der einzige gute Aspekt war, dass ich eine Menge Schwule kennengelernt hatte und die mir mit einigen Problemen helfen konnten, die ich nicht gerade mit Marc besprechen wollte. Zum Ende hin war es eigentlich so, dass ich zwei Freundeskreise hatte: einen Hetero, einen Homo. Ich merkte dass ich schon zu dem Zeitpunkt, nachdem ich nicht mal einen Tag von Hamburg weg war, dass ich speziell meinen schwulen Freunde schon ziemlich vermisste. Die hätten mir bestimmt sagen können, wie ich die ganze Sache meinen neuen Freunden am Schonendsten beibringe. Luis riss mich dann aus meinen Gedanken.

»Lass uns gehen. Wir sind doch alle fertig, oder?«

Also gingen wir. Was mir noch gar nicht aufgefallen war, der Speisesaal war bis auf ein paar Jungs, die an einem Tisch saßen und über irgendetwas heftigst diskutierten, schon gelehrt. Auf dem Weg zurück zu den Zimmern ging unsere Unterhaltung dann weiter.

»Um noch mal auf die Abendgestaltung zurückzukommen. Heute Abend werdet ihr zwei sowieso unter euch bleiben.«

»Wieso?« Wie oft hatte ich eigentlich schon ‚Wieso?‘ gefragt an diesem einen Tag? Langsam wurde es ja etwas auffällig.

»Na, du musst dich schließlich etwas eingewöhnen. Außerdem ist es immer so, dass du an deinem ersten Abend mit deinem Zimmerbewohner alleine bist, denn der muss dir noch ausführlich erklären, wie alles abläuft.«

Die anderen verabschiedeten sich, als wir durch den unteren Flur gingen und Thom und ich gingen nebeneinander die Treppen hoch und ließen uns im Zimmer angekommen auf Thom's Bett fallen. Natürlich hatte ich *keine* Hintergedanken. Thom wohl auch nicht, denn er fing schon wieder an zu erzählen.

»Wo wir schon mal bei organisatorischen Dingen waren, du hast morgen noch keine Schule. So wie ich unseren Direx kenne, hat er das bestimmt dir gegenüber nicht erwähnt. Das morgen für dich frei ist, ist allerdings nur eine Ausnahme, weil heute Donnerstag ist und morgen eh der letzte Tag für die Woche. Du hast also Zeit dich auszuruhen, oder die Gegend zu erkunden oder was auch immer.«

»Wenn wir schon mal beim Thema Schule sind, wohnen die Lehrer auch hier?«

»Nope, die Lehrer wohnen in der Stadt, ungefähr 30 km von hier. Wir haben allerdings Betreuer für nachts, also freu dich nicht zu früh.«

»Na, das ist nicht wirklich ein Problem mit den Betreuern, oder?«

»Nö, die sind eigentlich ganz okay und lassen es auch mal durchgehen, wenn wir etwas länger in andern Zimmern bleiben. Normalerweise müssen wir um 11 im eigenen Zimmer sein. Wir dürfen allerdings mit 17 selbst entscheiden, wann wir schlafen gehen wollen. Große Partys gibt es nach 11 dann also bloß noch in Ausnahmen.«

»Schon klar. Du, Thom, bist du mir böse, wenn ich mich schon hinlege? Ich bin nämlich echt ziemlich fertig von der ganzen Fahrerei heute und all den neuen Sachen ...«

»Ist schon okay, verstehe ich ja, aber stört es dich, wenn ich noch etwas lerne?«

»Kein Problem.«

Ich kramte mein Waschzeug zusammen und verschwand Richtung Waschraum. Zum Glück war diesmal niemand da, der mich irgendwie volllappen wollte und ich konnte in Ruhe Zähne putzen und duschen. Speziell Duschen tat richtig gut nachdem ich den ganzen Tag bloß in diesem engen Auto gesessen hatte. Zudem noch bei dieser Hitze im Augenblick. Das I-Tüpfelchen wäre danach noch eine Massage gewesen, aber ich wollte ja nicht gleich zu viel von Thom verlangen. Der hätte mich wahrscheinlich eh schon etwas komisch angeschaut, wenn ich bloß gefragt hätte. Aber die Dusche tat schon einiges um mich endgültig zu entspannen. Ich war so fertig, dass nicht mal mein sonst immer so aktives Körperteil sich meldete. Eigentlich etwas seltsam, wenn man bedenkt, welche netten Jungs mir heute über den Weg gelaufen sind. Aber man soll ja nichts erzwingen.

Ich verließ also den Duschteil und band mir ein Handtuch um die Hüften, bevor ich mich noch mal vor einen der Spiegel zur Endinspektion stellte. So schlecht sah ich ja wirklich nicht aus, aber es könnte besser sein. Vielleicht sollte ich mal anfangen, irgendwie neben Schwimmen andern ernsthaften Sport zu betreiben. Allerdings, nicht mehr an dem Abend. Ich konnte kaum noch die Augen offenhalten, geschweige denn klar denken. Meine Anderen Sachen waren natürlich auch noch nass geworden. Was hätte auch sonst noch passieren können.

Ich watschelte also wieder Richtung Zimmer und Thom saß ganz eifrig über seinen Hausaufgaben. Ich glaube meine tropfenden Sachen, die ich in der Hand hielt, machten ihn dann doch darauf aufmerksam, dass jemand im Zimmer ward, denn er drehte sich langsam um.

»Was hast du denn mit deinen Sachen gemacht?«

»Ich glaube die sind etwas nass geworden.«

»Etwas ist gut. Gib mal her.« Er nahm mir meine Sachen aus der Hand, machte eines der Fenster auf und hängte die Sachen über das Fensterbrett nach draußen. Auf die Möglichkeit war ich ja noch gar nicht gekommen. Er drehte sich dann wieder um und kam langsam und verführerisch auf mich zu, blieb direkt vor mir stehen. Er würde doch nicht etwa? Das Wasser aus meinen Haaren tropfte auf sein weißes T-Shirt und durchnässte es etwas im Schulterbereich. Dann schaute er mir in die Augen.

»Du siehst müde aus. Du solltest ins Bett gehen.«

Wie bitte?! Das war's? Das hätte doch so romantisch werde können, aber mit 'nem Hetero Boy ist da wohl nichts. Ich nickte kurz und drehte mich dann zum Schrank und suchte verzweifelt eine Boxershorts. Natürlich hatte ich keine neue mit im Waschraum gehabt und musste mich jetzt wohl oder übel vor Thom entblättern. Der war allerdings schon wieder zu seinem Schreibtisch gegangen und die Röte in meinem Gesicht war etwas abgeflaut. Also, Handtuch runter, Boxershorts hoch, und ab ins Bett.

Ich legte mich so hin, dass ich Thom noch beobachten konnte, aber schon nach wenigen Minuten fielen mir endgültig die Augen zu. Schade eigentlich. Ich hätte gern noch gesehen, wie er ins Bett geht.

Kapitel Drei

Als ich aufwachte, wusste ich zuerst gar nicht, wo ich eigentlich war, bis ich mich nach einigem Hin und Her drehen wieder an den gestrigen Tag erinnern konnte. Der nächste Blick wanderte dann natürlich auch gleich wieder zum Bett gegenüber. Zu meiner Enttäuschung war es schon verlassen und die Decke lag halb auf dem Boden. Würde ich nie die Chance bekommen Thom mal etwas weniger bekleidet zu sehen? Aber wenn ich fast bis Mittag, na ja 9 Uhr schlafe, sollte ich mich nicht wundern, dass normal ‚arbeitende‘ Menschen lange vor mir aufstanden. Auch ich schwang mich nach einer weiteren Besinnungsphase von etwa 10 Minuten aus dem Bett und stand erst mal in der Mitte des Zimmers, nur mit meinen Bart-Simpson-Boxershorts bekleidet. Ob Thom da wohl drauf geachtet hat, als ich mich gestern Abend bettfein gemacht habe? Hoffentlich nicht, aber andrerseits wäre es ein weiterer Punkt auf der Liste der Peinlichkeiten. Eine mehr oder weniger ...

Dass ich vielleicht schon ein klein bisschen zu lange im Kalten stand, merkte ich erst als ich eine Gänsehaut bekam und einige Teil meines Körpers etwas kalt wurden. Die Betonung liegt auf einige. Um meinen kleinen Freund musste ich mich wohl heute Morgen mal wieder kümmern. Er kam sich bestimmt schon vernachlässigt vor, nachdem ihm gestern und vorgestern im Laufe des Umzugsstresses überhaupt keine Beachtung geschenkt wurde. Ich wollte ja sowieso noch Duschen gehen, das konnte man dann ja etwas miteinander verbinden. Zum Glück waren die anderen Jungs schon alle im Unterricht, denn ich stellte es mir etwas schwierig vor in so einer Gemeinschaftsdusche voll Jungs so auf einmal anzufangen seinen Schwanz zu streicheln. Vielleicht hatte ich auch nur etwas übersteigertes Schamgefühl. Vielleicht fanden andere Leute das ja normal und machten das andauernd. Ich sicherlich nicht. Es gab ja außerdem noch die Sache, dass eine Gemeinschaftsdusche *voll Jungs* schon ein Problem darstellen konnte. Tim, Luis und Max duschten zum Glück unten, aber da war trotzdem noch Thom und ich hatte einige süße Jungs beim Abendessen gesehen. Wenn von denen auch nur ein Bruchteil mit mir zusammen duschen würde, könnte es für mich etwas (un)angenehm werden. Unangenehm, besonders wenn man mal die Spätfolgen betrachtet. Na, und die angenehme Seite ist wohl offensichtlich.

Jetzt merkte ich erste, warum es eigentlich so kalt im Zimmer war. Das Fenster war leicht geöffnet und meine Sachen hingen immer noch über dem Fensterbrett. Ich wollte mein Shirt runternehmen, denn eigentlich hatte ich vor das nochmal anzuziehen, wenn ich sowieso bloß die Gegend erkunden oder hier im Zimmer sein würde, aber was soll ich sagen: das Shirt war noch durchweichter als gestern Abend. Kein Wunder, bei dem Regen, der im Augenblick runterkam. Da tendierte ich doch wohl schon eher zu im-Zimmer-bleiben. Als ich so vor dem Fenster bzw. damit vor meinem Schreibtisch stand wanderte mein Blick langsam aber sicher nach links. Nicht, dass ich jetzt unbedingt Thom's Schreibtisch durchwühlen wollte, aber ... ach, ist ja auch egal. Natürlich wollte ich Thom's Schreibtisch durchwühlen, aber ich konnte mich dann wohl doch noch zusammenreißen. Ein Blick schadet aber nichts, oder? Gleich in der Mitte oben auf lag ein Zettel, offensichtlich von Thom an mich. Süß!

Hey Schlafmütze
Ich hoffe du hast noch einen erholsamen Tag.
Ich bin um 14.00 Uhr wieder auf dem Zimmer.
Lass bitte einen Zettel da, falls du rausgehst.
Ich will mir ja keine Sorgen machen müssen.
Bye, Thom

Das war nett. Wollte ich raus? Ich *hatte* raus gewollt, aber jetzt? Na ja, ich konnte ja später noch mal drüber nachdenken. Mal sehen, was sich auf Thom's Tisch noch so anfindet. Ist das eigentlich komisch oder verrückt, wenn man so in den Sachen anderer Leute kramt, fragte ich mich, verwarf den Gedanken aber gleich wieder, denn 1. kramte ich nicht herum, sondern schaute mir nur das an, was offen da lag und 2. hatte Thom selbst gesagt, dass wir alle Dinge miteinander teilen. Da musste ich natürlich einige Einschränkungen machen, denn dass Thom meine Stories sieht wollte ich nun auch nicht unbedingt. Die Stories! Ein paar Schritte zum Schrank und meine Tasche herausgerissen. Ein Glück, die Geschichten waren noch da. Ich war mir nicht mehr allzu sicher gewesen, ob ich die gestern schon irgendwie irgendwo hin gepackt hatte, aber Glück gehabt, sie lagen noch auf dem Boden der Tasche. Ich hatte mir schon Thom's geschocktes Gesicht vorgestellt, wie er eine der Geschichten liest ... Die Frage war jetzt bloß noch, wo ich die Stories lassen würde. In der Tasche konnten sie nicht bleiben, das war klar. Zwischen meinen Klamotten war auch eher ungünstig, Schreibtisch schied schon mal ganz aus. Da blieb wohl nur noch das Bett übrig. Ob das wohl funktionieren würden, so von wegen unter die Matratze legen? Da, wo die Omis und Opis immer ihr Geld verstecken ... Aber fällt das nicht auf, wenn da auf einmal so ein Bündel Papier unterliegt?

Ich versuchte die losen Blätter möglichst kunstvoll zu drapieren und betrachtete die Sache noch mal von Thom's Seite aus. Es sah eigentlich relativ unauffällig aus, wenn man nicht gerade unters Bett kriecht und von da guckt, aber wer macht das schon?

Als ich so vor Thoms Bett stand hob ich erst mal die Decke vom Boden auf und legte sie fein säuberlich aufs Bett. Jetzt mutierte ich anscheinend schon zu so einem Typen mit 'nem Sauberkeitsfimmel. Auch ein Cliché, oder? Bei dem Vorgang des Decke-Aufhebens fielen mir auch gleich Thom's Boxershorts, Korrektur: Thom's Snoopy-Boxershorts vor die Füße. Ich schien also nicht der Einzige zu sein, er auf Comic Boxers stand. Ehrlich gesagt war ich kurz davor mich in sein Bett zu legen, aber irgendwo musste man ja die Grenze ziehen. Außerdem hatte ich ja vorgehabt Duschen zu gehen, also schweren Herzens den Blick von der Szene gerissen und ein Handtuch aus dem Schrank genommen. Ich war schon fast durch die Tür, als mir einfiel diesmal neue Boxershorts und ein Shirt mitzunehmen Es war zwar keiner hier, aber ich wollte trotzdem nicht schon an meinem ersten richtigen Tag nackt durch die Schule laufen. Nicht, dass ich das später vorhatte ... Also kramte ich dann noch etwas bevor ich ein halbwegs akzeptables Shirt hatte und mein Waschzeug auch sicher in meiner Hand lag. Vor der Tür fiel mir auf, dass ich barfuß war, aber ich wollte nicht unbedingt noch mal zurückgehen.

Der Flur war irgendwie ziemlich spärlich beleuchtet. Das machte die ganze Sache etwas ... unheimlich, aber eigentlich kann am Vormittag nichts so wirklich unheimlich sein. Das Bad war schon viel heller. 1. Aufgrund der vielen Fenster und 2. weil es richtig weiß war. So ein Badezimmerwerbungsweiß.

Ich ließ alle meine Klamotten und Sachen die ich mithatte fallen und zog auch meine Boxershorts aus. Dabei muss ich wohl erwähnen, dass ich gerne nackt rumlaufe. Fragt nicht warum, aber ich finde es schöner, als immerzu von irgendwas bedeckt zu sein. Ich konnte es natürlich trotzdem nicht allzu oft machen, weil einige Leute das pervers finden. Schwachsinn, aber was soll's. Na ja, außerdem ist das gesellschaftlich nicht so wahnsinnig anerkannt UND ich wollte mich nun auch nicht unbedingt andren Leuten so zeigen, wie ich gerade herumlief. Haben wird nicht gerade von übersteigertem Schamgefühl geredet? Das ist das Paradebeispiel.

Ich wandelte also erst mal durch den Raum und genoss meine »Freiheit«. Mein »leicht« erigiertes Glied wippte dabei auf und ab und wollte endlich ein klein bisschen Aufmerksamkeit und ich war erfreut mein Augenmerk endlich darauf zu lenken.

Ich hob also mein Waschzeug auf und begab mich in den Duschbereich, wo ich das Waschzeug in eine Ecke stellte und die mir näheste Dusche aufdrehte. Es war kalt, sehr kalt, um nicht zu sagen verdammt kalt. Ist das hier so üblich, dass man erst mal abgeschreckt wird? Da musste ich ja aufpassen, dass nicht gleich wieder etwas zusammenschrumpelte ... Von der Seite traute ich mich dann an die Dusche heran und drehte das warme Wasser auf. Ahhhh ... endlich konnte man sich wieder in den Wasserstrahl trauen. Sobald ich dann vollkommen darunter stand entspannte sich mein Körper komplett und ich konnte die Wärme genießen. Als ich mich einseifte bewegten sich meine Hände langsam ganz automatisch den unteren Bereichen meines Körpers entgegen. Ich stellte den Strahl etwas anders ein und lehnte mich gegen die Wand, zusammenzuckend, als meine Schultern die kalten Fliesen berührten. Meine rechte Hand spielte mit meinen Brustwarzen, während sich meine linke Hand weiter nach unten bewegte und das Wasser über mich floss. Gerade in dem Moment in dem meine Hand endlich ihr Ziel fand, veränderte sich das Wasser von einer Sekunde zur anderen von angenehm warm zu saukalt. Fuck it! Was für einen verdammten Witz machten die hier eigentlich? Ich fasse es nicht.

Natürlich war ich beim plötzlichen Temperaturwechsel des Wassers einige Schritte zur Seite gesprungen, ein Blick nach unten bestätigte meine Vermutung: mein kleiner Freund hatte sich dann doch etwas versteckt und jetzt hatte *ich* auch keinen Bock mehr. So langsam begann ich mich ernsthaft zu fragen, ob ich vielleicht nicht doch beim Militär war. Wann sollte man denn hier ein bisschen Spaß haben, wenn nicht mal beim Duschen Zeit dafür war? Vielleicht hätte ich ja doch mit meinen Eltern in dieses Dorf ziehen sollen. So viel schlimmer konnte es da auch nicht sein.

Wütend und mit knirschenden Zähnen stapfte ich aus der Dusche und zog mit fahrigen Bewegungen die neuen Boxershorts an. »South Park«, falls es jemanden interessiert. Toll! Echt astrein! Während ich mir die Zähne putzte, starrte ich mein Spiegelbild grimmig an. Das konnten hier jetzt ja echt noch astreine Tage werden. Großartig. Wenn schon der erste Tag so versaut war.

Okay, ich geb's zu, ich war den Tag irgendwie schon in extramieser Stimmung. Fragt mich nicht warum, ich weiß es selbst nicht. Aber irgendwie war die ganze Umzieherei wohl etwas viel gewesen. Zumal ... ich sowieso nicht so der Morgentyp war. Es ist nicht so, dass ich jetzt all gleich alle doof anmache, die mir über den Weg laufe, aber generell ist es wahrscheinlich schon günstiger, wenn man mich erst so später am Tag mal anspricht. Von daher hatte Thom es wohl ganz gut getroffen heute noch nicht morgens mit mir zu kollidieren, aber davon würde er wohl im Laufe der nächsten zwei Jahre noch genug mitkriegen. Andrerseits, bis zur Duschaktion hatte der Tag ja eigentlich eher gut angefangen ... besonders das Zettelchen von Thom. Hmm ... war das nicht süß?

Ohoh, ich muss wohl doch etwas aufpassen, dass Thom nicht eine zu wichtige Rolle in meinem Leben einnimmt, denn wenn wie ich mich fühlte von ihm abzuhängen begann, war das irgendwie schon einen Schritt zu weit.

Als ich dann mit dem Zähneputzen fertig war, hatte sich meine Laune auch dementsprechend aufgebessert. Manchmal ist es wohl ganz gut einige Überlegungen anzustellen ... oder auch nicht, aber auf jeden Fall ging's mir bedeutend besser. Na und um Junior musste ich mich dann ein anderes Mal kümmern. Er wird's schon überleben, hoffte ich jedenfalls. Ein letzter Blick in den Spiegel, ein letztes Mal mit der Hand durchs Haar fahren und raus dem Waschraum. Wieder glücklich im Zimmer angekommen schaute ich auf die Uhr. Kurz nach 10. Das heißt ich hatte noch 4 Stunden bis Thom wieder da sein würde. Hmm ... eigentlich hatte ich ja wirklich alles auskundschaften wollen, aber bei dem Regen wurde das wohl nichts. Ich stand also nur mein meinen Boxershorts bekleidet in der Mitte des Zimmers, mit meine Händen in die Seiten gestämmt und überlegt, was man mit dem angebrochenen Tag noch machen könnte. Von irgendwo kam mir noch der Gedanke, dass zum Beispiel Frühstück normal gewesen wäre, aber eigentlich esse ich morgens eh nichts. Und Mittag gab es um zwei. Wenn die Anderen alle Schluss haben ... hmmm ...

Colin! Yep, das hört sich doch gar nicht so schlecht an. Okay, okay, ich weiß: plötzlicher Geistesblitz, nicht gerade nachvollziehbarer Gedanke, etc. Also, Erklärung: Ich schrieb doch an dieser Story, an der ich auch im Auto schon so ein bisschen rumgeschribbselt habe, und mir hatte immer noch der Name der Hauptfigur gefehlt und jetzt ist er mir halt eingefallen: Colin. Passte außerdem ganz gut zum Setting der Story. Dann hatte ich jetzt ja was zu tun. Wer weiß, wann ich das nächste Mal dazu kommen würde, was zu schreiben.

Ich kramte also nach den Blättern unter der Matratze und sobald ich einige in der Hand hatte fiel natürlich alles auf den Boden und war total durcheinander. Shit. Ich setzte mich also im Schneidersitz auf den Boden und sortierte die etwa 50 Blätter auf kleine Stapel. Vielleicht sollte ich mir ja angewöhnen Hefte zu benutzen ... oder Büroklammern könnten ja auch schon reichen. Nachdem ich dann alles sortiert hatte, stopfte ich das, was ich nicht brauchte wieder so unter die Matratze, dass es mir beim nächsten Mal alles wieder entgegen kommen würde, aber wir leben ja für den Augenblick, nicht wahr?

Ich setzte mich an den Schreibtisch und überflog noch mal, was ich bisher geschrieben hatte. So grob umfasst: Junge in San Francisco. Cutie, also über all noch fix ‚Colin‘ eingesetzt, wo ich was frei gelassen hatte und dann schrieb ich weiter. Ich weiß, ich weiß, ist ja eigentlich doppelte Arbeit, aber sobald ich anfange am PC zu schreiben, setzt bei mir der völlige Kreativ-Stau ein. Keine Ahnung woran das lag ... außerdem, wer weiß, ob die hier PCs haben. Siehste, das wollte ich Thom ja auch noch fragen.

Ohne das meine Gedanken ein weiteres Mal abdrifteten, schrieb ich non-stop, bis auf einmal die Tür auf ging. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für einen Schock ich gekriegt hab, so auf einmal aus der Schwulen-Metropole San Francisco zurück in die Einöde eines Internats in Bayern geholt zu werden. Mein Herz setzte erst mal einen Schlag aus und ich glaube mein Gesichtsausdruck war unbezahlbar, während mein Gehirn hektisch nach einem Ausweg suchte. Ich drehte mich nicht mal um, um zu sehen, wer da an der Tür stand. Ich wusste es allerdings, als die Stimme sich meldete und ich ‚unmerklich‘ zusammenzuckte. Es war natürlich Thom.

»Hey, ich bin zurück. Was machst du da?«

»Machen? Ich? Nichts! Ähmmm ... gar nichts.«, antwortete ich während ich mich mit erschrecktem Gesichtsausdruck mit dem Schreibtischstuhl rumdrehte und krampfhaft versuchte, die Blätter hinter mir zu verstecken. Während Thom näher kam, stand ich langsam auf und versuchte mich so davor zu stellen, dass er möglichst wenig sah. Je näher er kam, desto nervöser wurde ich, was sich wohl auch in meinen Bewegungen zeigte. Ich merkte förmlich, wie mein Kopf hochrot glühte und ich so langsam etwas in Schweiß ausbrach. Erst dann wurde mir bewusste, das ich in Boxershorts vor Thom stand. Von »South Park«. Mit diesem kleinen Typen, der immer vor sich hinmurmelt, direkt über meinem besten Stück. Reden wir mal von Peinlichkeiten. Außerdem grinste Thom schon so teuflisch.

»Versteckst du irgendwas vor mir, Mirci-baby?« Wie bitte?!? Wo bin ich denn hier gelandet? Er schien ja auch gaaaar nicht neugierig zu sein. Nervös versuchte ich mit hinter meinem Rücken die Blätter zusammen zu sammeln und möglichst kunstvoll und unauffällig zu drapieren. Es gelang mir wohl nicht so ganz.

»Verstecken ... ich? Verstecken? Vor dir? Nein. Nein, nein, nein ... ich doch nicht?« erwiderte ich während ich ihm ein hilflos bis eindeutig gequältes Lächeln anbot. Er grinste und ...

»Okay.« Okay? Okay, hätte er nicht die nächsten paar Bewegungen gemacht. Während ich immer noch mit dem Rücken gegen den Schreibtisch lehnte kam er näher und streckte seine rechte Hand aus. Mit der Zeigefingerspitze berührte er meine nackte Brust und ließ den Finger verführerisch über meinen Bauch nach unten gleiten um dann auf dem Bund der Boxershorts anzuhalten. Je weiter sein Finger nach unten gewandert war, desto schneller ging mein Atem und desto größer wurden meine Augen. Wusste er überhaupt, was er da gerade tat? Mit einem Lächeln schob er seinen Finger etwa 1cm in die Boxershorts, zog sie von meinem Körper weg um sie gleich darauf wieder dagegen schnippen zu lassen.

»Okay.« Wiederholte er mit süffisantem Lächeln, drehte sich um und verließ das Zimmer wieder, aber nicht bevor er mir an der Tür noch eine Kusshand zugeworfen hatte. Sobald die Tür sich geschlossen hatte, sank ich auf meinen Stuhl zurück und ging nochmal alles in Gedanken durch was gerade passiert war. Hatte er das ernst gemeint? War er schwul? War das bloß ein Joke? Vielleicht eine Wette? Wusste er, dass ich schwul bin? Wusste er, was ich für ihn fühlte?

Mein Atem kam immer noch stoßweise und meine rechte Hand folgte genau dem Weg den seine nur Momente vorher genommen hatte. Okay, ich weiß nicht, wie andere Leute in solchen Situationen reagieren und vielleicht ist es etwas seltsam sofort daran zu denken mit sich selbst etwas Spaß zu haben, nachdem man von seinem Schwarm ... erwischt wurde, aber hey, ich bin jung, ich strotze nur so vor Energie. Also, ein Mann tut, was ein Man tun muss.

Meine Hand hielt sich im Gegensatz zu seiner etwas länger bei meinen Brustwarzen auf und spielte damit, bis ich merkte, dass sich bei mir unten einiges tat. Nicht, dass bei Thom's ‚Attacke‘ alles ruhig geblieben wäre. Hoffentlich hat er nicht mit gekriegt, wie ... nett ... ich seine Behandlung fand. Meine linke Hand übernahm nun den Job der rechten, während diese sich weiter südwärts bewegte, allerdings nicht auf dem Bund Halt machte, sondern sofort ihrem Ziel entgegen strebte. Langsam ließ ich meine Hand eine Faust darum bilden und schon nach einigen wenigen Bewegungen waren diese gerade am Morgen frisch angezogenen Boxershorts eingesaut. Ich schnappte nach Luft während mein Gesicht so langsam wieder damit begann eine normale Farbe anzunehmen ... mehr oder weniger, denn ich merkte, wie ich förmlich noch glühte und Hitze ausstrahlte.

Nach fünf Minuten hatte ich mich dann so weit zusammen, dass ich mich von dem Stuhl erhob und zum Schrank hinüber ging um mich dann doch einigermaßen präsentable anzuziehen. Natürlich nicht bevor ich die Story wieder unter die Matratze packte. Wenn ich weiter so verschwenderisch mit meinen Klamotten umgehen würde, könnte ich wohl irgendwann mal anfangen selber zu waschen. So zweimal am Tag die Sachen zu wechseln hatte ich mir nämlich eigentlich nicht vorgenommen. Obwohl, die »Tigerenten«-Boxershorts gefielen mir sowieso am besten. Die saßen schön ... eng. Also für Boxershorts, halt relativ eng. Das mag ich eigentlich lieber als so Schlabber-Zeugs.

Wo ich dann schon mal vor dem Schrank stand, zog ich mir auch gleich noch die restlichen Sachen an, denn Thom würde wohl bald wieder in der Tür stehen und so ein Vorfall wollte ich nicht unbedingt noch mal mitmachen. Nicht, dass es nicht angenehm gewesen wäre, aber ... hmm ... es war schon irgendwo ziemlich verwirrend. Besonders weil ich mich schon die ganze Zeit dabei erwischte zu viel in die Situation hineinzuinterpretieren. Das war gar nicht gut, wenn man bedenkt, dass sich Thom höchstwahrscheinlich gar nichts dabei gedacht hat, außer einfach mal 'ne kleine Nummer abzuziehen. Woher sollte er auch überhaupt wissen, dass ich schwul bin? So viele verräterische Situationen hatte es nun auch nicht wieder gegeben ... nur so um die zehn oder so. Gar kein Problem. Da kann man ja überhaupt keine Schlüsse draus ziehen. Nein. Alles in bester Ordnung.

Shit, shit, shit. Fuck. Tschuldigung, eigentlich bin ich nicht so, aber was hättet ihr in meiner Situation gemacht? Ihn in den Arm genommen und geküsst? Ha ha, sicherlich. Wäre ja auch nicht auffällig. Er würde ja überhaupt nicht mitkriegen, dass ich schwul bin. Ich war ja auch bloß die ganze Zeit hart gewesen. Ist ja gar nicht auffällig. Sind ja alle Hetero Jungs, wenn sie unter sich sind. Also, belügen kann ich mich alleine. Da habe ich genug Erfahrungen mit. Wenn ich da so an die Zeit zurück denke, als ich wirklich feststellte, dass ich schwul bin. Huhhh, das war doch schon richtig heftig gewesen, wie ich so jeden Abend im Bett lag und mir versuchte einzureden, dass Mädchen ja viel hübscher sind und wie ich mir den Playboy besorgt hab um dann abends festzustellen, dass sich bei mir überhaupt nichts regte. Aber alles in allem war mir schon ziemlich schnell klar geworden, dass ich wohl nie mit 'ner Frau zusammen sein würde. Es war also bei mir nicht so der Problemfall, dass ich erst einige Jahre brauchte um das zu verstehen oder so. Die Situation jetzt war also definitiv verwirrender als damals das herausfinden.

Stellt euch mal vor Thom meinte wirklich was mit seinen Gesten und das war gar nicht bloß Show. Aber hehe, ich glaube nicht, dass irgendein schwuler Junge so eine Anmache bei jemandem durchgezogen hätte von dem er gar nicht weiß, ob er schwul ist oder nicht. Wahrscheinlich war das halt bloß typisch Thom gewesen. So gut kannte ich ihn ja nun auch noch nicht, dass ich sagen konnte, wann irgendwas als Joke gemeint war und wann nicht. Aber ich war überzeugt davon es früher oder später rauszufinden.

»Na Babe, wieder angekleidet?« Ohhh ... war er immer so? Ich drehte mich langsam vom Schrank um, um zu sehen, ob er irgendeinen bestimmten Gesichtsausdruck hatte und um festzustellen, ob er das alles nun ernst meinte oder nicht. Er grinste. Toll. Gibt's eigentlich so Kurse in denen man lernt Gedanken von Gesichtsausdrücken abzuleiten? Sowas wäre eigentlich ganz nützlich. Ich lächelte ihn unbeholfen an und zuckte mit den Schultern ... hilflos ... irgendwie.

»Cool. Wir müssen sowieso zum Essen runter.«

»Essen?« Mir schien als ob da einige Verbindungen im Gehirn noch nicht ganz zusammen gewachsen waren.

»Ja, Essen. Messer. Gabel. Teller. Kartoffeln. Fleisch ... Mittagessen? Klingelst?«

»Oh, Mittag. Klar, Mittag.. .hm-hmmm ... schon klar. Essen. Okay.« Toll, echt toll. Jetzt verfielen wir also in den supertollen Sprachstil vom gestrigen Tag. ECHT KLASSE. Wir hatten ja auch nichts andres zu tun. Da versuchte man hier einen guten Eindruck zu machen und die Hormone machten einem erst mal voll 'nen Strich durch die Rechnung. G-R-O-S-S-A-R-T-I-G. Wow. Kein Wunder, dass er meinte, er könnte alle Arten von billigen Witzen mit mir abziehen. Warum auch nicht? Ich reagierte ja nicht mal!

»Lass uns gehen.«, sagte ich mehr leise als laut (haha, Tocotronic-Zitat. Aus »Let there be rock«). Ich wollte ja nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf mich lenken. An der Treppe erwarteten uns die anderen drei und Max legte sofort wieder los.

»Hey Buddy!«

»Hi.«

»Na, wie war dein Tag?« Super, ich hatte auf die Frage gewartet. Hmm, was sollte ich antworten? Vielleicht: mein Selbstbefriedigungsmanöver in der Dusche ist fehlgeschlagen? Oder: Thom hätte fast mitgekriegt, dass ich eine Story über Schwule schreibe? Oder: Thom hat mich verführt? Oder: Nachdem Thom das Zimmer verlassen hatte, holte ich das fehlgeschlagene Manöver von morgens nach und versaute wieder eine Boxershorts, die vierte in zwei Tagen? Hmm… schwere Entscheidung.

»Ich habe lange geschlafen.« Super gerettet. Und so einfallsreich. Immer wieder mal was Neues, nicht Herr Grabe?

»Er hat seine geheimsten Gedanken aufgeschrieben, als ich reinkam.« Irgendwie konnte Thom wohl auch voll das Arschloch sein. Ich starrte ihn wütend an, bevor sich mein Gesichtsausdruck eher in verletzt veränderte. Thom sah mich und erschrak wohl etwas.

»Sorry Mirc, so meinte ich das nicht. Ich wollte dich nicht verletzen, okay?«

»Hm-hm. Ist schon okay.« Wir beide waren stehen geblieben und er schaute mir tief in die Augen. Einen Moment länger und ich hätte ihn entweder geküsst oder wäre in Tränen ausgebrochen. Wahrscheinlich letzteres, aber die andern drei warteten auf uns. Thom gab mir ein aufmunterndes Lächeln und einen kleine Stups und wir schlossen wieder zu den Anderen auf. Allerdings war es damit nicht getan, dass ich über die ganze Sache von eben nachdachte, meine ich. Wie konnte er bloß so rücksichtslos sein? Andererseits, von seiner Sicht aus, woher sollte er wissen, dass er mich verletzt hatte. In seinen Augen war wohl sowieso alles nur ein Witz gewesen. Was soll's, ich musste aufhören so verdammt zimperlich an alles ranzugehen. Sei ein Mann, haha. Nein, im Ernst, wenn ich wirklich bei jeder Kleinigkeit an die Decke ging, würde das nicht gerade so die super Aussicht für irgendeine Art von Beziehung sein. Weder auf freundschaftlicher noch auf sexueller Basis.

Ich versuchte also ein Lächeln aufzusetzen und mich an dem Gespräch der Jungs zu beteiligen. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass es mir gelang, aber ich war immerhin nicht ganz passiv dabei. Obwohl, zählen eingeworfene zustimmende Laute als aktive Teilnahme?

So wie Thom mich auf dem Weg zum Essenssaal anschaute, würde es heute anscheinend noch einiges zwischen uns zu besprechen geben. Okay, er starrte mich jetzt nicht hasserfüllt an oder so ... eher ... tröstend. Tröstend? Super. Klasse. Yep, definitiv ein Gespräch. Und ich hatte keinen Schimmer, ob ich in der Lage sein würde ihm standzuhalten und nicht davon zu erzählen. Ich versuchte nicht auf seine Blicke zu achten, bemerkte sie aber trotzdem. Wie soll's auch anders sein. Tröstend.. hmmm ... eher bemitleidend. Ich glaube ich hatte ihm auch einiges zu sagen.

Tim schien die ... Spannung zwischen uns zu fühlen und schaute neugierig von einem zum anderen, während Max und Luis miteinander quatschten. Oops, da sah ich schon, wie sich eine zweite Unterhaltung anbahnte. Aber mit Tim konnte man wohl sprechen ... glaubte ich. Was jetzt nicht heißt, dass ich mich ihm gegenüber outen wollte. Klar, es sollte ja möglichst die ganze Schule erfahren bevor die erste Woche vorbei ist. Aber vielleicht ... nur vielleicht, wäre er einer der Personen mit denen ich darüber reden konnte. Allerdings war es zu dem Zeitpunkt wirklich noch zu früh auch nur irgendetwas darüber zu sagen.

Der Essenssaal war etwa halbvoll als wir ankamen und die Jungs stürmten sofort zum Tisch und von da zur Essensausgabe um möglichst schnell was zwischen die Zähne zu kriegen. Wie immer hinkte ich etwas hinterher und brauchte schon mal etwa zehn Sekunden um zu verstehen, dass ich mich doch nun auch langsam mal in Bewegung setzen sollte. Mein Gehirn sendete diesen Befehl dann auch aus, meine Beine waren allerdings noch weit davon entfernt ihn auch nur ansatzweise auszuführen. Und so stand ich dann da ... an der Tür, Korrektur: in der Tür, sodass niemand mehr durch kam. Genau das bekam ich dann auch schmerzhaft schnell zu spüren. Die Tür hinter mir wurde aufgerissen (sie geht zum Flur in auf) und ein Körper prallte schräg gegen mich. Im Fallen drehte ich mich dann, und wer auch immer mich umgerannt hatte, lag auf mir. Wir haben diese Position doch schon mal ausprobiert nicht wahr? Mit dem Unterschied, dass es auf Garantie nicht Max war, der auf mir lag, denn 1. musste Max zu dem Zeitpunkt schon wieder am Tisch gewesen sein, sprich im Speisesaal und 2. war der Typ auf mir schwerer.

Nachdem ich mich an das Gewicht auf mir gewöhnt hatte (die Figur auf mir rührte sich noch immer nicht) machte ich die Augen auf und blickte in ein Paar nussbrauner Augen nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Okay okay, sorry, ich weiß, dass hört sich jetzt nach Lovestory an. Aber ehrlich gesagt, mit 'nem Typen der mehr als doppelt so alt war wie ich? Thanks, but no thanks. Er schaute auch eher erschrocken als ... verführerisch und machte sich schneller als ich gucken konnte daran sich von mir herunter zubewegen. Als ich dann der Einzige war, der noch auf dem Boden lag, merkte ich, dass dieser kleine Vorfall nicht ganz unbeobachtet vonstattengegangen ist. Warum eigentlich nicht?!? *So* auffällig war die Aktion nun auch wieder nicht gewesen ...

Gelächter entstand um mich herum und zum ersten Mal seit ich hier war, war mir etwas so richtig peinlich. Nicht bloß so‚ na ja ...hätte ich vielleicht anders machen sollen, sondern mehr so in der Art ‘wo ist denn das nächste Mauseloch?‘ Ich meine, wurdet ihr schon mal von etwa 100 Leuten gleichzeitig ausgelacht? Es ist nicht sehr witzig, glaubt mir. Das Schlimmste war ja nur noch, dass auch Max und Luis und Tim UND Thom mit lachten. Und ich dachte ich hätte hier vielleicht doch Freunde gefunden. Shit. Fuck it. Wer weiß, was heute noch alles passiert. Erst die Sache mit Thom, jetzt das. Wer weiß, was mich heute Abend noch erwartet. Und nach der Aktion im Zimmer hätte ich mir ja eigentlich denken können, dass Thom das totale Arschloch ist. Wieso musste ich mich auch in ihn verknallen? Ihn Lachen zu sehen, gerade ihn, machte alles nur noch schlimmer.

Ich sprang auf, schupste den Typen, der mich umgerannt hatte zur Seite (nur wegen ihm. Er ist schuld) und verließ den Saal fluchtartig. Ich hörte noch, wie die Tür gegen die Wand knallte (da war ich wohl etwas schwungvoll gewesen) und wie irgendwer mir irgendwas hinterher rief. Scheiß drauf. Ich lief weiter. War wahrscheinlich eh bloß 'ne Beleidigung gewesen.

In der Vorhalle stand ich unter dem Bild des Grafen und wusste nicht so genau wo hin. Bevor ich noch lange überlegen konnte, hörte ich jemandem im Laufschritt den Gang entlangeilen, in meine Richtung kommend. Also, eine schnelle Kurzschlussreaktion im Gehirn und geradeaus durch die Tür ... nach draußen. Es regnete immer noch. Toll. Das hatte ich mir ja grandios überlegt. Zumal ich nicht mal wusste, wo ich hin sollte. Schließlich war ich gestern erst angekommen. Ich rannte aber trotzdem erst mal weiter geradeaus, durch das Tor und die kleine Straße runter, die ich mit meinen Eltern hochgefahren war, als sie mich hergebracht hatten. Ich wusste, dass wer immer auch hinter mir war, mir noch folgte, aber ich nahm die Schreie und Schritte kaum noch war, obwohl ich ganz genau wusste, dass sie da waren.

Kurz bevor ich die Bundesstraße erreichte, überlegte ich es mir doch noch anders und bog scharf nach links, mitten in den Wald ab. Fragt nicht warum oder wieso ... ich wusste selbst nicht. Ich wollte nur von alledem weg. Sobald ich einige Meter in den Wald gelaufen war, wurde es so ziemlich schnell ziemlich dunkel. Irgendwie war der Regen schon schlimmer geworden und ich rannte durch den Wald! Wegen so einer Kleinigkeit! Mann, das war ja irgendwo voll der Kurzschluss gewesen. Das realisierte ich allerdings erst, als ich über eine Wurzel stolperte, die gerade in diesem Moment auf der Strecke lag. Ich fiel nicht sofort hin, sonder strauchelte noch etwas, bis ich dann merkte, dass mich jemand von hinten ansprang und ich der Länge nach auf den harten Waldboden fiel. Dieser Jemand natürlich auf mir drauf.

Und dann war erst mal Ruhe. Ich hörte meinen Atem und ich hörte seinen. Der Regen durchweichte mein Hemd von oben, während der schon feuchte Waldboden das übrige von unten erledigte. In dem Moment in dem ich die Nässe zum ersten Mal bewusst auf meiner Haut fühlte, traf mich der Gedanke wie ein Schlag, was für einen Schwachsinn ich eigentlich fabriziert hatte. Bloß weil alle ein bisschen Spaß gehabt hatten (Ich hätte in der Situation sicherlich auch gelacht), renne ich einfach so weg?!? Entschuldigung, angeblich war ich 17 und dachte auch, dass ich mich bisher wenigstens einigermaßen so verhalten hatte. Na, aber das stellte ja wohl alles in den Schatten.

Trotz der Kälte fühlte ich, wie mir die Schamesröte ins Gesicht stieg und ich hätte mich am liebsten unter der nächsten Wurzel versteckt. Die ganze Aktion war doch echt oberdämlich. Shit. FUCK!!!

»Bist du okay?«

Schock! Richtig, da lag ja noch jemand auf mir drauf. Wer war das eigentlich? So von der Stimme her, würde ich mal so ganz spontan entscheiden ...

»Hey, hast du mich gehört?«

...Thom ... wer sonst. Nein!!! Das gibt's doch nicht. Gerade er ... Das ist doch nicht fair. Warum nicht Tim, oder Luis, oder meinetwegen auch Max, oder sonst wer, aber nicht Thom! Entschuldigung Mrs. Schicksal da oben, habe ich vielleicht ein kleines bisschen Recht auf angemessene Behandlung? Was habe ich getan, dass *allles* schief gehen musste? Wirklich ALLES! Es war mir bisher ja wohl noch zu gut wie gar nichts geglückt. Gar Nichts!

»Ich ... ja, ich bin okay.« O-oh ... meine Stimme klang schon wieder so komisch ... da werden doch jetzt wohl nicht etwa ... Tränen fließen? Da fühlte ich schon wie sich das erste heiße, flüssige Etwas meine Wange runter bewegte. Na toll, neben allen andren Sachen werde ich jetzt auch noch als ‚Cry-Baby‘ dastehen. Leider konnten mich noch nicht mal diese Gedanken davon abbringen (oder war es gerade deshalb?), dass ich nur noch stärker anfing zu weinen. Mit einem halbwegs kräftigen Stoß (na ja, ‚halbwegs‘ ist wörtlich zu nehmen) beförderte ich Thom von meinem Rücken und rollte mich in Embryo-Haltung zusammen. Er würde schon irgendwann gehen ... dachte ich.

Natürlich ging er nicht. Er legte sich hinter mich und hielt mich fest und flüsterte mir irgendwelche Worte ins Ohr. Etwas in der Richtung von ‚Es ist okay und alles wird gut.‘ Und hey, es war nichts Sexuelles dabei. Ich weiß ja nicht, ob einige das denken, wenn ich schreibe ‚Er legte sich hinter mich.‘, aber ich glaube nicht, dass er irgendwelche sexuellen Gedanken dabei hatte. Ich natürlich auch nicht ... okay, ich geb‘s zu ... ich hatte schon welche. Hey, ich bin ein Teenager. Ich MUSS sexuelle Gedanken haben. Na ja, auf jeden Fall hielt er mich ganz lange und ganz lieb fest, was ihn in meinem Ansehen wieder um einiges steigen ließ. Er war so süß und soooo lieb.

Ich glaube wir hätten noch ewig da so liegen können. Leider, merkte ich wie ich dann ziemlich bald sehr stark zu zittern anfing. Man soll ja auch nicht bloß im T-Shirt bekleidet im Regen rumlaufen, nicht wahr? Er merkte es wohl auch, wie sollte er auch nicht, so eng wie wir beieinander lagen und half mir langsam auf. Ich stand wohl wie so ein tropfendes Hündchen vor ihm. Ich traute mich nicht mal ihm in die Augen zu sehen, bis er seine Hand zu meinem Gesicht hob und mich regelrecht zwang ihn anzusehen. Okay, er versuchte es wenigstens, es gelang ihm trotzdem nicht so wirklich. Bei mir hilft bei solchen Sachen keine Schonbehandlung.

»Schau mich verdammt noch mal an!« Okay, ich glaube er hatte es da schon kapiert. Etwas überrascht von seiner ... Ruppigkeit (ich weiß, ein schlechtes Wort) schaute ich ihm in die Augen. Er ließ seine Hand von meinem Kinn zu meinen Wangen wandern und wischte die Tränen weg. Nicht, dass es viel Sinn gehabt hätte, denn der Regen prasselte unermüdlich auf uns nieder. Dann bewegte er sich mit seinem Gesicht näher und küsste mich ... auf die Wange.

Ich kann nicht sagen, ob ich traurig war (ein Kuss auf den Mund wäre so viel romantischer gewesen) oder erleichtert. Wahrscheinlich eher erleichtert ... oder doch traurig? Ach, ich weiß es nicht. Eher traurig, glaube ich. Ich hätte in der Situation gerne jemanden gehabt bei dem ich mich wirklich ausheulen hätte können, aber eigentlich hatte ich das doch getan, oder nicht? Aber, hmm, ihr wisst schon. Es wäre etwas anderes gewesen von jemandem gehalten zu werden, der einen wirklich liebt und nicht bloß mit dir befreundet ist. Da ist halt doch noch ein Unterschied. Das hielt mich natürlich nicht davon ab, Thom in die Arme zu fallen. Und er hielt mich noch ziemlich lange bevor wir uns auf den Weg zurück machten.

Den ganzen Rückweg über, schaute ich ihn immer wieder von der Seite an, versuchte eine Reaktion zu sehen ... fand aber keine. Ich wollte irgendetwas sehen, selbst wenn es nur Enttäuschung gewesen wäre, aber da war gar keine Reaktion.

Als wir im Internat ankamen standen so ziemlich alle Bewohner auf den Fluren rum, verschwanden aber wieder sobald wir in die Nähe kamen. Die anderen Drei hatte ich überhaupt nicht gesehen. Im Zimmer angekommen führte mich Thom in die Mitte und trat einige Schritte zurück um mich mal genauer als Gesamtbild zu betrachten. Es musste wohl ein eher trauriger Anblick gewesen sein. Ich wusste, dass ich von Kopf bis Fuß triefte. Man konnte wohl durch das T-Shirt so ziemlich meine ganze Brust sehen. In andren Momenten hätte es mir wahrscheinlich nicht allzu viel ausgemacht, aber da ... Ich traute mich nicht mal Thom voll und ganz anzuschauen, sondern streifte ihn nur ab und zu mal, wenn ich hochblickte. Ich wusste, dass ich den Teppich versaute, ich rührte aber keine Hand um mich von meinen nassen Klamotten zu befreien.

Endlich trat Thom wieder auf mich zu und begann damit mich langsam auszuziehen. Zuerst die Schuhe und Strümpfe, dann das Shirt, dann meine Hosen. Er klappte die Bettdecke zurück und holte ein Handtuch aus dem Schrank, mit dem er mich abtrocknete. Zuletzt zog er mir auch meine Boxershorts aus. Bart Simpson lag in einer Wasserpfütze. Ein Gedanke flutschte mir da noch durchs System ... ich würde wohl dann schon das dritte Paar Boxershorts an diesem Tag anziehen müssen, allerdings war das auch fast der einzige klare Gedanke in meinem Kopf. Thom trocknete auch meinen ... intimen Bereich, aber ich verschwendete komischerweise nicht allzu viel Gedanken daran. Ich war wohl in einem heftigen Schockzustand, so wie ich die Lage jetzt einschätze.

Er nahm meine Hand und führte mich zum Bett. Dort konnte ich mich hinlegen und er deckte mich zu. Ein Kuss auf die Stirn, dann machte er das Licht aus und verschwand mit einem letzten Blick aus dem Zimmer. Ich machte die Augen zu. Ich schlief.

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