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Kalanja'neiu - Legende einer vergessenen Welt

Teil 7

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Inhaltsverzeichnis

XVI

»Aaaah«, stöhnend fasste Felix sich an den Kopf. Langsam wurde es zu einer lästigen Gewohnheit, mit einem Brummschädel an wildfremden Orten aufzuwachen. Vorsichtig öffnete er die Augen, blinzelte ins Licht der langsam untergehenden Sonne und versuchte sich zu orientieren. Er befand sich immer noch in der Bibliothek des Rates, doch warum lag er hier, auf dem Boden? Felix erhob sich mit wackligen Knien, wobei er sich auf einen der massiven Tische aus dunkel poliertem Holz stützte.

»Meine Güte, was hab ich denn nun schon wieder angestellt?«, murmelte er vor sich hin. Beim Anblick der Bücherstapel auf dem Tisch und dem aufgeschlagenen Buch über die Geschichte des Krieges kamen die Erinnerungen an die Begegnung mit dem freundlichen Gott des Wissens zurück. Felix lachte unsicher auf. »Ich habe sicher einfach zu lange gelesen und bin über den Büchern eingeschlafen. Ein Gott, der mir hilft, mal rasch die halbe Bibliothek zu lesen… aus dem Nichts auftauchende Elben… das kann nicht real sein…«

Während er versuchte sich einzureden, dass alles nur eine Halluzination gewesen sei, schien es ihm die Luft immer mehr abzuschnüren. Alles stürmte auf ihn ein. Das neu erlangte Wissen, Vadin, Thasin… die Erlebnisse im Ratssaal und die Worte Bestimmung, Pflicht und auserkoren hämmerten in seinem Kopf, schienen ihn zu ersticken. Was wollten alle von ihm? Was konnte er schon ausrichten? Er war doch nur ein einfacher Junge und wollte doch auch gar nichts Besonderes sein. Langsam wich er zurück, bis sich die Fensterbank schmerzhaft in seinen Rücken bohrte.

Nach Luft japsend lehnte er sich aus dem Fenster der Bibliothek, atmete tief durch und ließ sich langsam zu Boden gleiten. Auf dem Teppichboden der Bibliothek zusammengekauert presste er seine Hände auf die Ohren. In seinem Kopf schienen tausend Stimmen durcheinander zu schreien, ihn in verschiedene Richtungen zu zerren, immer wieder die Worte Bestimmung… auserkoren . Felix schrie gepeinigt auf. Er wollte nicht. »Ich will doch nichts Besonderes… nur wieder mit Sophie und den anderen zusammen sein… Spaß haben… mich verlieben. Ich will ein normaler neunzehnjähriger Junge sein«, hielt er den Stimmen entgegen, doch in seinem Kopf hämmerte es immer lauter.

»Nein! Lasst mich alle in Ruhe!« Felix schrie gellend, sprang auf und stürmte aus der Bibliothek. Ziellos eilte er durch die vielen Gänge des Ratsgebäudes. Erst als er auf einer der Wiesen vor dem Gebäude zu stehen kam, hielt er inne. Felix wusste nicht, wie lange er herumgeirrt war, doch endlich schienen ihn die Stimmen in Ruhe zu lassen. Völlig erschöpft machte er sich auf den Weg zum Gasthof. Hoffentlich kam er ungesehen hinein. Er wollte mit keinem seiner neuen Freunde zusammentreffen. Erst musste er seine Gedanken ein wenig ordnen und über alles nachdenken.

Auf seinem Weg zurück begegneten ihm mehrere Patrouillen der Ratswachen, doch es schien sich einiges geändert zu haben. Zumindest versuchte keiner ihn gleich in Ketten zu legen und abzuführen. Doch die Blicke. Felix erschauerte bei soviel Abneigung und Misstrauen. Trotzig erwiderte er den Blick und lief schnell weiter. Inzwischen war die Sonne fast völlig untergegangen und Felix war froh über die Leuchtkugeln, welche den Weg zum Gasthof säumten.

Yashi, Manju und die anderen schienen noch nicht zurückgekehrt zu sein. Zumindest war es still und Felix kam ungesehen zurück in sein Zimmer. Doch wo waren seine Sachen? Das Zimmer war leer.

Er hörte leise Schritte hinter sich, eine Hand legte sich auf seine Schulter. Felix wirbelte aufgebracht herum. Es war Lucanja. Sie deutete mit der Hand auf eine Tür am Ende des Flurs, lächelte ihn an und verschwand in einem der anderen Räume. »Vielleicht haben sie mir nun ein Zimmer mit noch dickeren Gittern zugedacht«, brummte Felix, während er sein neues Zimmer betrat. Doch er hatte sich geirrt. Dieses Fenster zierten keine Eisenstäbe und auch die Einrichtung versprach etwas mehr Komfort, als die alte.

Felix warf sich der Länge nach aufs Bett und starrte an die Decke. Die verächtlichen Blicke der Elbenkrieger nagten an ihm. Wieso sollte er auch nur den kleinen Finger rühren für solch ein eingebildetes Pack, das ihn nur mit Geringschätzung und Abscheu ansah. Gerade wollte er wütend aufspringen, als er Schritte hörte. Felix blieb liegen und drehte sich mit dem Gesicht zur Wand. Leise hörte er die Türe knarren.

»Schläfst Du schon, Felix?«, Manju steckte seinen Kopf durch die geöffnete Tür.

»Lass mich in Ruhe, ich bin müde und will schlafen.«

»Nun gut. Es war wohl etwas viel für Dich heute. Yashi meinte auch, dass Du ein wenig Ruhe brauchst. Ich habe Lucanja angewiesen, dass sie für Dich etwas Essen warm hält in der Küche. Solltest Du später Hunger haben, bedien dich einfach… und nun schlaf gut, Kleiner.«

Mit den Worten schloss der Elb langsam die Tür und ging zurück in den Speisesaal zu den anderen. Manju seufzte. Ihm gefiel die düstere Stimmung, die in Felix' Zimmer herrschte nicht, doch wie hätte gerade er den Jungen aufmuntern sollen? Die morgendliche Szene im Badehaus und der bestürzte Blick des Jungen waren ihm noch gut in Erinnerung.

»Was ziehst Du denn für ein Gesicht Co'ru ?« Konjaru erhob sich, als Manju wieder zu ihnen zurückkehrte und zog ihn an seine Seite. Zusammen mit Yashi, Kion und Yagoda hörte er sich den kurzen Bericht zu Felix' Reaktion an. »Ich glaube, er braucht wirklich nur Ruhe, Lasajus Neffe.«, meinte Yagoda. »Man sollte meinen, dass ihr Elben geduldiger wäret. Bedenkt, dass heute ein sehr anstrengender Tag war. Erst musste er vor uns treten, dann entriss Akis Priester ihm seinen Traum, um ihn uns allen sichtbar zu machen. Dies ist für jeden eine grosse Anstrengung.« Yagoda blickte ernst in die Runde. Sein Blick blieb an Yashis Teetasse hängen. Dieser sprang sofort auf und brachte seinem Mentor eine Tasse. Yagoda kicherte. »Ich sehe schon, dass Du doch noch nicht alles verlernt hast, Jungchen… und nun erzähl mir von Deiner Zeit bei unseren geschuppten Freunden.«

Manju und Konjaru kicherten bei dieser Anrede und Yagoda zwinkerte ihnen zu. Stumm lauschten die beiden der Unterhaltung von Meister und Schüler, in die Konjaru nur zeitweise kleine Kommentare zum Leben der Drachen einfliessen ließ. Doch der Drachenkrieger hatte Mühe, dem Gespräch zu folgen. Eine Hand strich wie beiläufig über seinen Schenkel, wanderte weiter und blieb auf seinem Schritt liegen. Die sanften, lockenden Bewegungen blieben nicht ohne Folgen. Konjaru sprang hoch. Den unschuldig grinsenden Manju hinter sich her ziehend, verabschiedete er sich eiligst von den beiden Grünlingen und stürmte unter deren Gelächter aus dem Raum.

XVII

Nervös und unruhig tigerte Felix durch den Raum. Er hörte das Gelächter aus dem Speisesaal, die eiligen Schritte die Treppe hoch, das Getuschel, Geflüster und die Seufzer seines Manjus, als dieser und Konjaru sich in ihre Kammer zurückzogen. Felix blieb mit geballten Fäusten am Fenster stehen und starrte in den Sternenhimmel. Verflucht! Ausgerechnet neben den beiden lag sein neues Zimmer. Die kehligen Laute, das Stöhnen, Seufzen und das rhythmische Knarren des Bettes ließen keine Zweifel daran, was »sein« Manju und Konjaru gerade trieben.

KRACH! Voller Wut schlug Felix die Faust gegen die Wand. Doch seine Nachbarn waren viel zu beschäftigt, um auf den Lärm zu reagieren. Quälende Eifersucht peinigte ihn.

»Ich muss hier raus!« Leise bewegte er sich durchs Zimmer und wurde fündig. Rasch packte Felix einige zusätzliche Kissen unter die Decke, bildete einen schlafenden Körper nach. Wieso sollte dieser alte Trick, der bei seinen Eltern noch immer funktioniert hatte, hier versagen? Sie würden ihn nicht vermissen. Schliesslich hatte er den Elben mit den Worten weggeschickt, dass er schlafen wolle. Felix schnappte sich seine Stiefel. Auf Strümpfen schlich er leise zur Tür und öffnete sie. Felix lauschte. Ausser den Stimmen aus dem Erdgeschoss war nichts zu hören. Vorsichtig bewegte er sich langsam zur Treppe. Vor Manjus Tür blieb er kurz stehen. Obwohl es ihn quälte, konnte er sich kaum von dem Geschehen hinter der Tür abwenden. Als er Konjarus lustvollen Aufschrei hörte riss er sich los und eilte weiter. Nur weg von Allem. Nicht mehr an all das Geschehene denken. Langsam schlich er die Stufen hinunter. Bei jedem Knarren blieb er stehen, fürchtete entdeckt zu werden. Endlich, er war am Fuss der Treppe angelangt. Die Tür zum Speisesaal stand offen. Felix spähte hinein. Yashi und dieser Grünling aus dem Rat der Weisen saßen am Tisch und unterhielten sich angeregt. Er holte tief Luft. Wie sollte er bloß an diesen beiden vorbeikommen? Er musste es einfach versuchen.

Auf sein Glück vertrauend versuchte er, mit einem Satz auf die andere Seite des Flurs zu kommen. Ein dumpfer Aufprall war zu hören. Felix erstarrte. Doch die Grünlinge schienen nichts gehört zu haben. Durch ein offenes Fenster kletterte er hinaus. Felix spürte den feuchten Tau unter seinen Füssen. Erst einmal Stiefel anziehen. Auf den nassen Strümpfen konnte er unmöglich weiter gehen. Felix duckte sich hinter einige Hecken, die ihn vor Entdeckung durch die Wachen schützten, die, wie schon bei seiner Ankunft, vor dem Tor standen und den Durchgang in die Stadt bewachten. Er seufzte. An denen würde er wohl kaum vorbei kommen. Aus dem Gasthof zu schleichen war schon nicht allzu einfach gewesen. Aber nun auch noch an den Wachen vorbei. Selbst bei Nacht dürfte dies unmöglich sein.

»Ich glaube, ich kann Dir helfen«, erklang eine leise Stimme hinter ihm. Felix blickte sich erschrocken um.

Vor ihm stand ein junger Mann. Er war mindestens zehn Zentimeter grösser als Felix selbst und schien trotz der schlanken Gestalt ziemlich kräftig zu sein. Das Mondlicht fiel auf den Fremden und tauchte ihn und Felix in fahles Licht.

Felix' Augen glitten über die Gestalt seines Gegenübers, versuchten ihn abzuschätzen. Er war vermutlich fünf Jahre älter als er selbst. Doch wer konnte das bei diesen unglaublichen Lebensspannen der verschiedenen Rassen schon sagen. Der Unbekannte trug eine tief auf den Hüften sitzende Hose aus braunem Stoff, die locker die Beine umschmeichelte. Die Füsse steckten in weichen Wildlederstiefeln. Kein Wunder, dass er den Mann zuvor nicht gehört hatte. Felix hob den Blick, registrierte das helle Hemd mit den Rüschen an Handgelenken und Kragen sowie den dunklen Umhang über den Schultern. Die etwas helleren Haare waren knapp schulterlang und betonten die leicht kantigen Züge des Fremden. Er schluckte. »Wirst Du mich verraten?«

»Warum sollte ich den Elben die Freude machen?« Der Fremde verzog spöttisch den Mund.

»Weil ich hier ein Fremder bin?«

»Ich weiss schon, wer Du bist. Du bist der Junge, der vor den Rat treten musste. Aber ich habe keinen Grund, Dich zu verraten. Im Gegenteil. Es wird mir ein Vergnügen sein, diese Elben alt aussehen zu lassen, indem ich Dir helfe, in die Stadt zu kommen.«

»Wie?«

»Hiermit.« Der Fremde deutete auf einen Karren, der vor dem Tor des Gasthofes stand. »Ich habe einige Teppiche und Stoffe in Ramuos Tempel geliefert und bin mit der nicht gekauften Ware auf dem Rückweg. Ich habe nur kurz angehalten, weil ich Dich in den Büschen sah. Versteck dich darunter und dann machen wir die Stadt unsicher.« Er grinste breit.

Felix musterte ihn misstrauisch. »Warum?«

»Meine Güte bist Du misstrauisch Junge. Also gut«, er seufzte. »Darf ich mich vorstellen? Tapani Ba'zru. Meines Zeichens Händler mit Waren aller Art.« Er zwinkerte. »Warum ich hier bin? Ich bin ein entfernter Verwandter von Lucanja und habe auf dem Weg vom Tempel zurück bei ihr kurz Rast gemacht, um Familiengeschichten auszutauschen… und ich helfe Dir, weil ich Elben gerne mal eins auswische.«

Lucanjas Verwandter. Felix musterte ihn. Nun fielen ihm auch die blauen Zeichen auf Tapanis Stirn auf. Doch es war zu dunkel, um mehr zu erkennen. Er nagte an seiner Unterlippe. Was sollte diese Grüblerei? Felix warf alle Bedenken über Bord und nickte Tapani zu. Sie duckten sich, schlichen im Schatten des Hauses zu Tapanis Wagen. Bei dessen Anblick wurde Felix etwas mulmig. Der klapprige Holzwagen schien gleich auseinanderzufallen, ja kaum Platz genug für ihn zu bieten. Felix wartete, bis der Ba'nei auf der Ladefläche Platz geschafft hatte, zwängte sich dann in den frei gewordenen Zwischenraum. Er spürte, wie immer mehr Stoffe und Teppiche auf ihn getürmt wurden.

Tapani trat vor den Karren und hob den Zuggriff vom Boden auf. Durch das Rumpeln des Karrens wurde Felix fast schlecht, doch er blieb still.

Nach einer kleinen Ewigkeit hielt der Karren und er hörte die Stimme des Ba'nei. »So komm raus, Kleiner. Die Luft ist rein.« Lachend zog er Felix unter den Ballen hervor und musterte ihn. »Aber so können wir Dich nicht unter die Leute lassen. Komm! Ich weiss wo wir für Dich passende Kleidung bekommen.« Felix blickte sich um. Tapani hatte den Wagen in einem dunklen Hinterhof abgestellt.

»Was?«

»Wir organisieren Dir passendere Kleidung. Mit den feinen Stoffen, die Du trägst, fällst Du doch auf wie ein bunter Hund… und nun komm!« Felix folgte Tapani durch eine Tür ins Innere eines Nebengebäudes. Licht flackerte auf. Tapani hatte eine Laterne angezündet und blickte sich suchend um, schritt die langen Regale entlang. Seine Finger strichen immer wieder prüfend über die darin liegenden Kleiderstapel. »Ah! Da ist ja schon was Passendes. Los, zieh Dich aus.«

»Was?« Der Ba'nei blickte Felix mit rollenden Augen an. »Nun schau mich doch nicht an, als ob ich gleich über Dich herfallen würde. Hier ist passende Kleidung und die sollst Du nun anziehen… und zwar bevor hier jemand bemerkt, dass sich jemand im Lagerhaus rumtreibt.«

Felix wurde rot und wandte sich von Tapani ab während er sich auszog und in die Klamotten schlüpfte, die ihm der junge Mann reichte. Weiche dunkle Hosen und ein helles Hemd. Doch Felix gefielen die neuen Sachen, auch wenn er sich beim Gedanken, die Kleidung zu stehlen, nicht sehr wohl fühlte. Er wandte sich Tapani zu. Dieser lächelte. »Na sieh mal einer an. Wenn wir Dich so rauslassen, werden Dir sicher einige Blicke folgen. Nimm noch den Umhang hier. Es ist zwar bereits Frühling, aber die Nächte können immer noch kühl sein.«

Felix musterte die Zeichnung auf der Stirn des Ba'nei. Beginnend über der linken Augenbrauenmitte schwang sich eine schmale blaue Linie bis zur Nasenwurzel und wieder hinauf, um ebenfalls über der Mitte zu enden. Ein etwas breiterer Strich führte vielleicht zwei Zentimeter senkrecht über der Nasenwurzel nach oben. Felix deutete darauf und deutete dann auf seine eigene Stirn. »Falle ich nicht auf, wenn ich ohne eine Zeichnung durch die Gegend renne? Yashi sagte etwas davon, dass diese Zeichen dazu dienen, einen Ba'nei zu erkennen.«

»Hmmm. Mein Zeichen zeigt meine Zugehörigkeit zur Gilde der Händler und Schmuggler. Zumindest die gerade Linie. Die geschwungenen Bogen weisen mich als Mitglied des Zur-Clans aus. Nicht dass irgendein Elb sich je die Mühe gemacht hätte, unsere Gilden- und Clanzeichen zu studieren. Aber ich kann Dir kein Zeichen geben. Es würde gegen alles verstoßen, was uns Ba'nei heilig ist.«

»Aber dann kann ich doch gleich zurück in den Gasthof gehen.«

»Nun lass doch nicht gleich den Kopf hängen, Junge. Uns fällt schon was ein, wie wir Deine Stirn verdecken können.«

Tapani blickte sich suchend um. Sein Blick blieb an einigen schmalen Tüchern hängen. Er nahm sich eines und ließ es prüfend durch die Finger gleiten. Er winkte Felix zu sich und wickelte diesem das Tuch um die Stirn. »Nun ähnelst Du ein wenig unseren Brüdern von der Schaustellergilde. Aber sei beruhigt. Stirnbänder sind bei den Jüngeren sehr beliebt. Nun komm. Du wolltest doch die Stadt sehen.« Sie verließen das Lager. Felix blickte sich suchend nach dem Karren um, doch Tapani schüttelte den Kopf. Viel zu auffällig um die Zeit. Es wird neue Stoffe und Gelegenheiten zum Handeln geben.« Er packte Felix' Hand und zog ihn hinter sich her durch den Hinterhof zurück auf die Strasse.

Felix riss die Augen auf. Sie befanden sich auf der breiten Hauptstrasse der Stadt, die genau so von Lichtkugeln gesäumt war, wie der Pfad zum Ratsgebäude. Nur dass diese hier auf hohen Stangen steckten und die Strassen in weiches Licht tauchten.

»Wie leuchten die eigentlich?«

Tapani zuckte die Schultern. »Irgendeine Elbenmagie. Auf jeden Fall ist es ganz angenehm, wenn man noch sieht, wohin man tritt.« Er grinste Felix herausfordernd an. »Was meinst Du? Würde Dir ein Besuch auf dem Marktplatz gefallen? Die Verkaufsstände sind zwar schon geschlossen, aber Wein und Tanz gefällt Dir sicher genau so gut.«

Felix lachte. Auf ihrem Weg in Richtung Marktplatz waren ihnen einige Elbenpatrouillen begegnet, doch sie hatten ihn nicht beachtet. Er fürchtete sich nicht mehr vor Entdeckung und brannte darauf, das Leben in dieser neuen Welt auszukosten.

Er musterte die engen Gassen neben der Hauptstrasse und die dicht aneinander gebauten Häuser. Sie waren schlicht, oft zweistöckig, meist mit Dachterrassen und -gärten auf den flachen Dächern. Dies musste der Ba'nei Teil der Stadt sein. Die Elbenheime, die er von seinem Fenster im Gasthof aus gesehen hatte, waren von der Bauweise her viel filigraner und mehr auf Schönheit denn Zweckmässigkeit bedacht. Sein Blick wanderte über seinen Begleiter. Im Licht der Laternen sah er, dass dessen Haar dunkelblond war und der Ba'nei ihm aus braunen Augen, in denen der Schalk saß, zuzwinkerte.

Felix hörte in der Ferne Musik und Gelächter. Tapani legte ihm den Arm um die Schulter und holte mit der anderen Hand zu einer weiten Bewegung aus. »Darf ich vorstellen? Der Marktplatz Akshareens. Das weltliche Herz der Stadt. Hier findest Du alles, was Dein Herz begehrt. Komm, ich stell Dich einigen Freunden vor.«

XVIII

Mit großen Augen blickte Felix sich um. Sie schlenderten zwischen den nun leeren Ständen hindurch, wobei sich Felix unter einem Stand bisher eigentlich eher ein kleines Häuschen vorgestellt hatte. Diese hier waren jedoch völlig anders und sehr einfach gehalten. Ein Gerüst aus dicken Stangen steckte im Boden und war von bunten Stoffplanen bedeckt. Lediglich Tische waren noch zu sehen. Auf denen breiteten die Händler wohl tagsüber ihre Waren aus.

Felix versuchte die Schriften und Zeichen zu entziffern, welche auf die Schilder gemalt waren, die an den Stangen hingen. Das mussten Töpfe sein… und da drüben andere Schmiederarbeiten. Hier gab es wohl Stoffe und auch bereits fertig geschneiderte Gewänder. »Ich muss unbedingt auch mal bei Tag hier durch!« Mit leuchtenden Augen blickte er zu Tapani auf. Dieser lachte.

»Du guckst wie ein kleines Kind, das vom Lande in die große Stadt kommt und zum ersten Mal den großen Markt von Akshareen besucht. Das hier sind die Stände der Handwerkergilden. Dahinten kommen die Stände der Bauern. Sie verkaufen hier Früchte, Gemüse und andere Lebensmittel aus den umliegenden Dörfern. Komm, Kleiner, da hinten spielt die Musik.« Tapani deutete auf die Lagerfeuer.

Felix machte die kleine Neckerei nichts aus. Der junge Ba'nei faszinierte ihn. Im Grunde wusste er ausser dem Namen nichts von ihm. Aber er gab ihm das Gefühl, ein normaler Junge zu sein und auch die quälenden Gedanken an Manju konnte er für eine kleine Weile hinter sich lassen. Felix genoss den Augenblick, die angenehme Kühle der Nacht und die Musik und die Gerüche vom Ende des Marktes, welche durch die Luft zu ihnen getragen wurden.

»Was ist da hinten?«

»Da sind die Zelte jener Händler, die von ausserhalb sind und hier keinen festen Wohnsitz haben. Die Stände vor deren Zelten und rund um den Platz sind auch die einzigen, die jetzt noch geöffnet sein dürften. Falls Du Hunger hast, finden wir dort sicher was für Dich. Los!«

Tapani schob Felix vor sich her, mitten unter die lachenden und feiernden Ba'nei. Felix Augen leuchteten im Schein der flackernden Feuer, sein Körper wiegte sich leicht im Klang der Musik. Sein Blick glitt über die Menge und versuchte, soviel wie möglich aufzunehmen. Am Rande des Platzes reihten sich die Stände aneinander und lockten mit ihren Angeboten. Tapani rief ihn zu sich, winkte mit zwei Humpen. »Komm her. Der Met hier löscht den Durst und dürfte Dich nicht gleich umhauen.« Er drückte Felix den Humpen in die Hand, stieß mit ihm an und leerte ihn mit einem Zug. Tapani schlug damit auf den Tisch und rief laut. »Lakoma, Hübsche schenk mir nach und reich mir doch noch eine Flasche Bärenmet! Heute wird gefeiert.«

Felix nippte vorsichtig an seinem Humpen. Mhmmm..., nicht schlecht. Zwar sehr süßlich, aber dennoch sehr gut. Er prostete seinem neuen Freund zu.

Eine dralle Brünette mit bunten Röcken und weit ausgeschnittener Bluse kam lachend näher. »Du alter Schwerenöter, was gibt es denn zu feiern?« Sie musterte Felix, der sich nahe an Tapani hielt. »Stell mir Deinen jungen Begleiter doch mal vor. Ein hübscher Kerl, das muss ich Dir lassen, mein Freund.« Felix wurde rot bei dem unverblümten Lob der Schankmaid. Lakoma schäkerte mit einem weiteren Kunden herum und beugte sich nach vorne, um diesem und auch Tapani die Humpen zu füllen. Durch das Mieder quoll ihr Busen fast heraus und Felix gab sich alle Mühe, möglichst nicht aus Versehen darauf zu starren. Er war ja nicht so, wie die Gruppe junger Ba'nei neben ihnen, die Lakoma derbe Spässe zuriefen. Die Ba'nei schienen alles andere als ein prüdes Volk zu sein. Er blickte ihr starr ins Gesicht und versuchte, sich auf ihre Zeichung zu konzentrieren. Ein kleiner blauer Punkt und darüber drei kurze waagrechte Striche. Er musste unbedingt Tapani weiter über diese Familien- und Gildezeichen ausfragen.

»Ach, nicht so schüchtern, Kleiner, ich beisse nicht«, lachte Lakoma und schenkte Felix nach. »Hier. Das geht aufs Haus. Bist wohl das erste Mal hier? Na unser Freund hier«, sie nickte in Richtung Tapani, »wird Dir alles zeigen können… und Deine Geldbörse ist hier auch sicher. Keiner bestiehlt einen Freund dieses Burschen.« Tapani ließ einige Münzen in ihre Hand fallen, bevor sie sich lachend entfernte um weitere Kunden zu bedienen.

»Danke für alles.« In dem Augenblick knurrte Felix' Magen laut. Tapani lachte.

»Für ein bisschen Met dankst Du schon? Na, Du machst mir Spaß, Junge. Komm! Nicht nur Dir knurrt der Magen. Was magst Du denn gerne? Huhn? Schwein? Rind? Ach, such Dir einfach was aus. Sei heute mein Gast.«

Sie schlenderten die Stände entlang und zwängten sich zwischen den Leuten hindurch.

»Hier ist aber viel los«, rief Felix Tapani zu und packte dessen Ärmel. »Fast hätte ich Dich aus den Augen verloren.«

»Ach, so schnell verliert man sich hier nicht, Junge. Na was willst Du zu Essen?«

Felix musterte das große Angebot und deutete auf ein Spanferkel, das von einem großen, grobschlächtigen, bärtigen Mann angepriesen wurde. »Das sieht lecker aus.«

Der Mann winkte ihnen zu. »Tretet näher meine Freunde. Das Ferkel hier ist zart und ein wahrer Gaumengenuss. Kommt und versucht Rubans Angebot.«

»Begrüßt man so alte Freunde, Ruban?« Tapani wurde in eine wilde Umarmung gerissen und lachend klopfte ihm der grobschlächtige Kerl auf den Rücken.

»Ba'zru alter Gauner. Lange nicht gesehen. Für Dich natürlich Sonderangebot, mein Freund. Was wollt ihr?«

Tapani lachte und wand sich aus Rubans Griff. »Deine Umarmung bricht immer noch Rippen, alter Freund.« Er musterte das Ferkel. »Gib uns eine Haxe und Brot. Das wird reichen.«

Mit dem Humpen Met in der einen und dem Brot in der anderen schlenderte Felix hinter Tapani her zu einem der Lagerfeuer. Sein Begleiter schien hier ein bekannter Mann zu sein. Auf jeden Fall ergatterten sie sogleich einen Platz in der Nähe des Hauptfeuers und mussten sich nicht um eines der kleineren Feuer scharen, auf denen die Händler ihre Waren brieten. Der Ba'nei setzte sich und Felix ließ sich neben ihm auf dem Boden nieder. Mit dem Rücken an einen der liegenden Baumstämme gelehnt tranken sie ihren Met und genossen das knusprige Fleisch des Spanferkels, das Tapani mit seinem Messer mundgerecht von der Haxe schnitt.

Felix bemerkte, wie das Pärchen neben ihm etwas enger zu ihm rückte und blickte hoch. Alle waren etwas zusammengerückt, um einer kleinen Gruppe Musikanten Platz zu machen. Erst unwillig über die engen Platzverhältnisse nahm Felix bald nur noch die Musiker wahr. Flöte, Laute, Trommel, Fiedel und Tamburin. Alle fielen sie ein in eine lebhafte und fröhliche Musik.

Felix wischte sich die Finger an seinen Hosen ab und lehnte sich leicht gegen Tapanis Schulter. Seine Füße wippten im Takt zur Musik. Das Paar neben ihnen sprang auf und schloss sich den Tänzern an, die zum Klang der Musik ums Feuer wirbelten. Je schneller die Musik wurde, desto mehr wirbelten die Röcke der Frauen, desto wilder und leidenschaftlicher wurde der Tanz. Einer der Musiker winkte Tapani zu, der eine Flöte entgegennahm und ins Spiel der Musikanten einfiel. Felix war überrascht. Doch nach kurzer Zeit widmete er seine Aufmerksamkeit wieder den Tänzern. Sein Gesicht strahlte.

Eine junge Frau kam auf ihn zu und forderte ihn zum Tanzen auf. Verlegen und mit rotem Kopf stolperte Felix hinter ihr her und reihte sich zwischen die anderen Tänzer ein. Doch nach einer Weile vergaß er das Publikum. Der Met und die Musik taten ihr Werk. Es gab nur noch die Musik und die Freude an der Bewegung. Ein neues Stück fing an. Er wollte sich gerade von seiner Tanzpartnerin verabschieden, als ihm jemand auf die Schulter klopfte. Tapani stand lächelnd hinter ihm und deutete eine leichte Verbeugung an.

»Darf ich bitten mein Herr?« Er legte eine Hand um Felix' Taille und zog ihn wieder in den Kreis zurück. Sie wirbelten umeinander, auseinander, wieder zusammen. Immer schneller wurden ihre Schritte, bis sie in einer Umarmung stehen blieben. Verlegen löste sich Felix und setzte sich wieder. Tapani folgte ihm.

Nach kurzer Zeit scherzten sie wieder, lachten und teilten sich die zuvor erstandene Flasche herben Bärenmet. Felix' Kehle brannte leicht. Er kicherte über den Namen und kuschelte sich leicht an den Ba'nei, lauschte Tapanis Stimme, als dieser erklärte, dass es lediglich viel stärkerer Honigwein war und sicher nichts von einem Bären in sich hatte.

Felix' Blick fiel auf die schmusenden Pärchen rund ums Feuer. Ein jäher Stich durchfuhr ihn beim Gedanken an Manju. Wie um diesen Gedanken zu verscheuchen, drückte er sich enger an Tapani. Dieser blickte auf ihn hinunter und musterte ihn intensiv.

»Ich sollte Dich nicht immer Junge rufen. Aber Dein Name würde Dich verraten. Wie soll ich Dich also nennen, Grünauge?« Er blickte Felix grübelnd an und fuhr mit dem Zeigefinger leicht über dessen Gesicht. »Vielleicht Vertan… moosgrün . Der Name würde zumindest zu Deinen Augen passen…« Er brach den Satz ab.

Auf einmal zog Felix Tapanis Kopf herunter. Ihre Lippen fanden sich und Felix wollte nur noch vergessen. Sich in dem Kuss verlieren. Doch wieso hörte der Ba'nei auf? Felix blickte Tapani an. Dieser strich über seine Wange und hauchte Felix' einen letzten Kuss auf den Mund. »Nicht so, Junge. Nicht wenn Dir Tränen über die Wangen laufen und Du trunken von Met bist…«

Beschämt wandte Felix den Blick ab. Doch Tapani zog ihn einfach wieder an sich. »Schlaf! Du hattest viel Met und bist aufgewühlt. Da tut man schon mal etwas, was einem später leid tun könnte.« Felix spürte nur noch, wie er zugedeckt wurde. Seine Lider wurden schwer und er schlief ein.


»Ihr könnt zufrieden sein, mein Gebieter.« Lächelnd ließ sich Bayuna am Fuße des Thrones nieder. »Die Falle ist gestellt und er wird, nichts ahnend, hineintappen. Sobald er die Stadt verlässt, ist er unser. Doch noch bin ich machtlos. Er ist geschützt, solange er sich innerhalb dieser verfluchten Mauern befindet.« Bayuna erhob sich, ballte ihre Faust und schüttelte sie. »Vadins Zauber ist zu stark, um hineinzugelangen. Verzeiht mir, mein Gebieter.« Sie verneigte sich tief und kauerte zu seinen Füssen.

Ein kaltes triumphierendes Lachen hallte durch den Saal und selbst Bayuna erschauerte. »Verzage nicht, meine Liebe. Bring den Jungen her, sobald er die Stadttore passiert.« Er zog sie an sich und fuhr liebkosend über ihren Körper. »Nun geh und bring mir den Jungen.« Sie trat zurück, ordnete ihre Kleider und löste sich auf. Doch ihrem Herrn entging ihr siegesgewisses Lächeln nicht.

Zadok trat ans Fenster und blickte über die kahlen spitzen Felsen seiner Zwangsheimat. Er wusste, was sich Bayuna versprach. Den Status als seine dauernde Gefährtin. Doch wenn sie glaubte, alleine ihr Körper und ihre Leidenschaft würden ihn fesseln, irrte sie sich. Oh, er würde sie sicher noch eine Weile behalten. Seit vielen Jahrzehnten war sie die erste Frau, der es gelang, seine Dämonen für einen kurzen Augenblick zu vertreiben. Doch sie war nun mal nicht… Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Kehle. Er hob den Blick und sah im Licht der aufgehenden Sonne Akshar am fernen Horizont.

Akshar, das Land, in dem die Träume und Hoffungen seiner Jugend begraben lagen. Bayuna hätte gestaunt, ihren Gebieter in diesem Zustand zu sehen. Eine Aura von Einsamkeit schien fast greifbar in der Luft zu liegen.

»Neein!« Zornig schlug Zadok mit der Faust auf den Fenstersims, versuchte seine Gefühle abzuschütteln und schrie in Richtung Akshar. »Bald ist der Tag der Rache nahe! Bald werde ich wieder zuhause sein und Ihr Ja'neisa werdet um Gnade winseln! Ich werde zurückkehren, Euch in Eurem eigenen Blut ertränken. Selbst dies wird noch zuwenig sein, um meinen Durst nach Rache zu stillen. Hörst Du mich, Illari? Verfluchte Göttin, die Du bist. Die Rache wird mein sein. Ich werde Dein Werkzeug vernichten und das Herz wird doch noch mir gehören!«

Wahnsinniges Gelächter erfüllte die Gänge des Schlosses. Die Seltlingsklaven kauerten wimmernd am Boden. Selbst die Blutdämonen flackerten nervös auf. Wenn ihr Gebieter in dieser Stimmung war, konnte eine falsche Bewegung die letzte sein.

Grimmig lächelnd setzte sich Zadok wieder auf seinen Thron. Ja, er würde Illaris Plan vereiteln und das Herz in seine Gewalt bringen. Keine Macht konnte ihn davon abhalten, das Herz in ewige Dunkelheit zu hüllen und so die absolute Macht zu erhalten.


XIX

»Wach auf!« Tapani schüttelte ihn sanft.

»Nicht so laut!« Felix jammerte und blinzelte. In seinem Kopf schien sich eine Schmiedewerkstatt zu befinden. »Es ist doch noch nicht mal richtig hell.« Er spürte, wie er auf die Beine gezogen wurde.

»Guten Morgen, Schlafmütze.« Felix öffnete die Augen und blickte direkt in Tapanis Gesicht. Verlegen wandte er den Blick ab. Die Erinnerungen an die vergangene Nacht stürmten auf ihn ein. »Eehm… Tapani... also wegen… wegen der letzten Nacht…«, Felix Stimme kippte.

Der Ba'nei musterte ihn und strich ihm mit dem Zeigefinger sanft über die geröteten Wangen, ehe er ihn auf Felix' Lippen legte.

»Schhh… Es ist in Ordnung, Junge. Du brauchst mir nichts zu erklären.« Er hauchte ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. »Wer weiss Kleiner, vielleicht ein anderes Mal…« Verschmitzt zwinkerte er seinem jungen Begleiter zu. »Nun komm, der Markt öffnet in einer Stunde und wir müssen Platz machen.«

Felix grummelte. Wie konnte man so früh morgens schon so munter sein. Doch gleichzeitig machte sich Erleichterung in ihm breit. Dieses peinliche »am Morgen danach« – Gespräch war besser gelaufen, als er gehofft hatte. Mit immer noch geröteten Wangen blickte er den Ba'nei an. Dieser lachte und zog den widerstrebenden Jungen hinter sich her.

»Wo gehen wir denn hin?«

»Komm schon, ich bring uns mal ins Badehaus. Ein kaltes Bad belebt die Sinne.« Bevor Felix überhaupt begriff, was Tapani meinte, stand er schon mitten im Badehaus. Noch halb trunken vor Schlaf entledigte er sich seiner Kleidung und kletterte in einen der grossen Badezuber.

»Iiiiiiieks!« Sein Aufschrei ging in Tapanis Gelächter unter. Mit einem Schlag war Felix wach. War das Wasser eisig. Mit weit aufgerissenen Augen hielt er nach Tapani Ausschau, um sich zu rächen. Schnell tauchte er ab und zog diesen unter Wasser.

»Na warte!«

Unter Gelächter tauchten beide wieder auf und griffen nach den bereitliegenden Seifestücken. Felix blickte sich um. Das war ja ein öffentliches Bad! Nun war er über das eiskalte Wasser mehr als froh. Vielleicht achtzehn weitere Männer saßen in anderen Zubern oder standen unter einer der Duschen, und es war doch der eine oder andere dabei, der ihm wirklich gut gefiel.

»Komm schon!« Tapani stand bereits neben dem Zuber und trocknete sich ab. Bald sieht man die Sonne über Akshareen aufgehen. Das musst Du unbedingt sehen.«

»Ich sollte wohl langsam zurück zu Yashi und den anderen. Sie werden mich sicher bald suchen.«

»Ach komm, Junge. Sieh Dir mit mir noch den Sonnenaufgang an. Danach bringe ich Dich zurück.«

Felix überlegte kurz und nickte dann. »Einverstanden.« Schnell kleideten sie sich an und Felix folgte Tapani. »Wohin gehen wir?«

»Mein Pferd steht noch dort. Damit sind wir am Schnellsten oben auf den Hügeln. Eil dich. Der Anblick, wie die ersten Sonnenstrahlen über die Mauern der Stadt gleiten, ist einmalig.«

Felix wusste nicht, was los war. Er kannte den Ba'nei kaum und nun wollte dieser mit ihm die Stadt verlassen. »Aber ich soll doch innerhalb der Mauern bleiben.«

»Angst, kleiner Junge?« Tapani lächelte spöttisch, doch dann wurde sein Blick ernst. »Du brauchst keine Furcht zu haben. Wir bleiben in Sichtweite der Torwachen und ausserdem streifen Shinmari-Patrouillen durch das Land vor der Stadt. Keiner wird es wagen, sich bei so starker Bewachung der Stadt zu nähern.«

Felix nickte. »Dann los!«

Tapani lachte. Inzwischen waren sie bei den Mietställen angelangt, in denen Tapanis Pferd untergestellt war. Felix bewunderte das sandfarbene Tier und strich sanft über dessen Flanken.

»Mein Sturm ist wirklich ein schönes Tier, nicht?« In Tapanis Stimme schwang Besitzerstolz. »Komm her, Vertan.« Felix kicherte bei der ungewohnten Anrede und ließ sich von dem Ba'nei auf das Pferd ziehen. Gegen dessen Brust gelehnt saß er nun fest im Sattel und genoss die Bewegungen des trabenden Pferdes unter sich.

Es dauerte wirklich nicht lange. Nach nicht mehr als zehn Minuten waren sie oben auf den Hügeln und ließen sich im Gras nieder.

»Wunderschön«, flüsterte Felix. Die Sonne glitzerte auf der Oberfläche des Bashnu. Es schien, als ob der Fluss mit tausenden von Diamanten geschmückt war… und erst Akshareen. Die Stadt der Sterne. Die Mauern und Häuser funkelten um die Wette und er wagte es kaum zu atmen. So sehr schlug ihn dieses Naturschauspiel in seinen Bann.

Felix wandte den Kopf und sah, dass Tapani mit geschlossenen Augen neben ihm saß. Leise erhob er sich und ging einige Schritte den Hügel hinunter.

»Felix nicht!« Bei Tapanis Schrei wirbelte er herum und sah… nichts. Dichter Nebel raubte ihm die Sicht, schlang sich um seinen Körper, lähmte ihn. Hilflos hörte er Kampfgeräusche und schließlich einen Schrei. Kurz riss der Nebel auf und Felix sah, wie Tapani bewegungslos am Boden lag und sein Hemd sich blutrot färbte. Doch wer waren die Angreifer? Verzweifelt versuchte er sich loszureissen und verfluchte seine Dummheit, die schützenden Mauern der Stadt verlassen zu haben. Er riss sich los und packte sich einen der herumliegenden Steine als Waffe. Doch es war ein ungleicher Kampf. Wie sollte er sich gegen Nebel zur Wehr setzen? Verzweifelt holte er aus und schlug blindlings zu, hörte einen Schrei. Er schien einen Treffer gelandet zu haben, doch wie viele verbargen sich noch im Nebel? Erschöpft und nach Luft ringend lag er nach kurzem Gerangel auf dem Boden. Nun sah er seine Gegner. Elben, deren Augen und Haar pechschwarz waren und eine unendliche Finsternis ausstrahlten, drückten ihn auf den Boden, legten ihm Fesseln an. »Nun haben wir Dich, Menschenjunge. Zadok wird erfreut sein.« Eine eiskalte Frauenstimme hallte durch den Nebel. Glühende Augen leuchteten auf und Felix spürte nur noch, wie etwas eisig kaltes ihn berührte.


Am selben Morgen im Gasthof des Rates. Ein warmes Kribbeln spürend drehte sich Yashi noch einmal in seinem Bett um und kuschelte sich tiefer ins Kissen. Pieks. Grummelnd zog er die Decke hoch und versuchte weiter zu schlafen. Pieks. »Haaatschi!« Yashi wachte auf und blickte sich um. Was, bei Vadin, piekste ihn denn dauernd? Ein leises Kichern richtete seine Aufmerksamkeit auf das Fußende seines Bettes. Ein junger Mann saß im Schneidersitz vor ihm und winkte, spitzbübisch lächelnd, mit einem langen Grashalm und stupste ihn erneut. Yashi sprang auf und wollte gerade nach den Wachen rufen, als er ein Gefühl der Vertrautheit verspürte. Er setzte sich wieder hin und musterte den jungen Mann. Die rötlich getönte Haut, die großen runden Augen, die ihn so eindringlich musterten und im Licht der Morgensonne wie Saphire funkelten. Ein Karri. Seine bisherigen Erfahrungen mit dieser Rasse beschränkten sich auf einzelne und meist sehr kurze Begegnungen. Doch sie waren ihm in guter Erinnerung geblieben. Man konnte sich ihrem Charme und dem spitzbübische Wesen einfach nicht entziehen. Aber was machte dieser Junge hier? Während er über seinen unerwarteten Gast nachdachte, piekste ihn dieser erneut mit dem Grashalm. »Ihr Götter, womit habe ich das verdient?« Yashi verdrehte die Augen. Er mochte Karris, aber sie konnten manchmal so furchtbar albern sein.

Yashi spürte es wieder. Das beruhigende kribbelnde Gefühl, dass ihn bereits zweimal ins Grübeln gebracht hatte. Er musterte den Jungen. Konnte es sein, dass dieser der Ursprung dieser seltsamen Wahrnehmung war?

»Na, dann schieß mal los, mein Freund. Was verschafft mir die Ehre Deines Besuches? Wolltest Du Dich vorstellen, nachdem Du uns in letzter Zeit immer wieder gefolgt bist?« Er blickte den jungen Fremden lauernd an. Dieser grinste breit und nickte. Soviel zum Versuch, einen Karri in die Enge zu treiben.

»Ich bin Ka'yutu. Warum schläfst Du noch? Du und Deine Begleiter solltet längst schon vor den Stadttoren sein. Eilt euch.«

Der Grünling seufzte. Ausgerechnet ein Orakel. Sein Mentor hatte ihm schon von den prophetischen Gaben einiger Karris erzählt. Doch leider waren deren Mitteilungen meist vollkommen wirr. Warum sollte er bereits vor der Stadt sein? Eigentlich sollte er doch heute mit Felix… Felix! Yashi sprang hoch und eilte, so schnell es seine kurzen Beine erlaubten, in Felix' Zimmer. Leer!

Durch seine Rufe wach geworden, stürmten Manju und Konjaru hinter ihm in Felix' Zimmer. Sie blickten einander grimmig an.

»Der Junge sitzt definitiv in der Patsche.«

Der Karri war ihnen gefolgt und zog leicht an Yashis Kutte.

»Kannst Du uns zu ihm führen?« Der Junge nickte und blickte die drei stumm an. Yashi musterte Ka'yutu, wunderte sich über dessen zuckende Mundwinkel und folgte den Blicken des Karri. Obwohl die Situation ernst war, kicherte der Grünling.

»Ich denke, wir sollten uns doch die Zeit nehmen, uns ordentlich anzukleiden. Ich glaube über einen halbnackten Ja'neisa, der durch Aksharrens Strassen rennt, würden die Leute noch jahrzehntelang klatschen.«

Innerhalb weniger Minuten trafen sie sich vor dem Tor des Gasthofes. Ka'yutu wartete schon ungeduldig, und kaum sah er die drei auf sich zukommen, rannte er los. Yashi schwebte, damit sie schneller vorankamen. Sie eilten durch die Straßen Akshareens und weiter, bis durch das Tor der Stadt. Yashi wurde bleich. »Er wird doch wohl nicht so dumm gewesen sein und die Stadt verlassen haben…«

»Wir werden es herausfinden«, stieß Manju zwischen zusammengepressten Lippen hervor. »Meine Krieger werden uns folgen.« Er wandte sich an den jungen Karri.

»Bitte zeig uns den Weg.«

Nach über einer Stunde intensiver Suche blieb Manju auf einem der vielen Grashügel rund um Akshareen stehen und blickte den Abhang hinunter. Er riss den Arm hoch. »Halt!« Er musterte das niedergetrampelte Gras, die Blutflecken am Boden. »Sie haben den Jungen.« Konjaru stieß einen heftigen Fluch aus und untersuchte den verlassenen Ort. Yashi drehte sich nach Ka'yutu um. Doch dieser war verschwunden.

»Bei allen schlechten Scherzen Illaris. Erst verschwindet Felix und nun auch noch der Karri!«

Ein heftiges Beben erschütterte den Boden unter ihnen. Welle um Welle erzitterte die Erde, wurden feine Risse sichtbar. Yashi, Manju, Konjaru und ihre Begleiter fielen zu Boden und krallten sich im Boden fest.


Wieso wurde er durchgeschüttelt? Langsam kam Felix zu sich und erinnerte sich an den Überfall. Einer dieser verfluchten Dunkelelben trug ihn wie einen nassen Sack über die Schulter geworfen. Übelkeit stieg in ihm hoch und schon bald umfing ihn wieder eine erlösende Ohnmacht.

»Er schwebte in der Nacht, kein Stern erhellte den Himmel. Wie ein sanfter Mantel legte sich die Finsternis um seinen Körper und hüllte ihn ein. Aus dem Nichts flog eine kleine blutrote Kugel auf ihn zu. Ihr folgten weitere in blau, grün und gold. Wie kleine Monde umkreisten sie ihn. Schneller und immer schneller, bis sie, einem Wirbel gleich, an ihm vorbei schossen, auf einen großen, silberweißen Stern zu. Er schwebte auf den Stern zu, der ihn zu rufen schien. Wieder spürte er einen eiskalten Griff, der ihn festhielt. Nein! Diesmal würde er sich nicht ergeben. Sein Blick verlor sich in diesem wunderschönen Stern. Noch nie hatte er so hell geleuchtet. Das pulsierende Licht wurde stärker. Felix schüttelte sich. Wie ein lästiges Staubkorn fiel das Gefühl der Kälte von ihm ab. Nur noch ein kleiner Schritt. Seine Fingerspitzen berührten den Lichtkern. Gleissendes Licht explodierte um ihn herum, riss ihn mit sich.«

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