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Kalanja'neiu - Legende einer vergessenen Welt
Teil 9
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Informationen
- Story: Kalanja'neiu - Legende einer vergessenen Welt
- Autor: Neskaya
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Fantasy und Mystery
Inhaltsverzeichnis
XXIV
Rote Wolkenfetzen, die sich über den Horizont ausbreiteten, kündigten den neuen Tag an, noch bevor die Sonne sich erhob und mit ihren Strahlen die Finsternis der Nacht verdrängte. Doch er hatte keinen Blick für die Schönheit dieses Augenblicks. Müde rieb er sich mit der Hand übers Gesicht. Wann hatte er das letzte Mal eine Nacht durchgeschlafen? Das musste die Nacht am Weiher gewesen sein. Dort auf dem Waldboden war er in einen traumlosen Schlaf gesunken, den er nun schmerzlich vermisste.
Felix streckte sich, fuhr mit den Fingern durch seine zerzausten Haare. Durch die geöffneten Fenster drangen die leisen Gesänge der Ishan-Priester an sein Ohr. Er seufzte. Dass sie auch jeden Tag im Morgengrauen die Sonne begrüßen mussten. Missmutig blickte er auf die erwachende Stadt. Fensterläden klappten auf, Lichter gingen an und die ersten Vögel stimmten in den Gesang der Priester ein.
Ein leises Schnarchen lenkte ihn ab, zauberte ein Lächeln in sein Gesicht. Tief schlafend, den Kopf in den Kissen vergraben lag Tapani da, die Decke zusammengeknüllt am Fussende des Bettes. Felix grinste. Sein Blick glitt bewundernd über Tapanis nackten Körper, der in all seiner Pracht vor ihm lag. Vielleicht sollte er sich doch noch ein wenig hinlegen.
Gerade wollte er wieder ins Bett klettern, als leise Schritte auf dem Flur seine Aufmerksamkeit weckten. Felix blieb stehen. „Junge, Yashi lässt ausrichten, dass er nach dem Frühstück in die Bibliothek gehen wird und sich danach mit Yagoda trifft. Bitte komm mit, es ist wichtig. Auch solltest du endlich den Mentor unseres kleinen Grünen kennen lernen. Felix? Felix! Ich höre doch, dass du wach bist.“
Schweigen.
Nach einigen Minuten hörte er Manju wütend fluchen. „Du bist sturer als ein Maulesel, Mensch!“ Erst als die Schritte des Elben verklangen, atmete Felix wieder auf. Er wollte sich nicht weiter mit Manju auseinandersetzen, nur zu gut waren ihm die Vorkommnisse auf dem Rückweg nach Akshareen noch in Erinnerung. Sachte ließ er sich zurück ins Bett gleiten, zog die Decke über sich und Tapani, der sich im Schlaf an ihn kuschelte, doch er fand keinen Schlaf. Seine Gedanken kreisten unentwegt um den Morgen nach der Nacht am Weiher.
Hand in Hand kehrten sie im Morgengrauen zu den anderen zurück. Die Nacht, sein erstes Mal und die Wiederholung bevor sie sich im Weiher frisch gemacht hatten, Felix glaubte zu schweben. Er war sich nicht sicher, ob er die Mundwinkel je wieder nach unten bekommen würde. Doch genau dies sollte bald geschehen.
Yashi saß zwischen den Elben und dem kleinen Karri am Lagerfeuer und rührte in einem kleinen kupfernen Topf, der an einer etwas wackelig wirkenden Konstruktion aus Ästen über dem Feuer hing. Tapani schnupperte. „Riecht nach Sunak-Eintopf. Verschiedene Wurzelknollen, Getreidekörner und Sunakblätter. Typische Reisekost.“ Felix verzog das Gesicht. Tapani lachte und zog ihn an sich.
„Na seht doch, wer geruht sich zu uns zu gesellen. Der Ausreisser und sein neuer Freund, der Dieb.“ Manjus bissiger Spott kratzte an Felix' guter Laune. Etwas verlegen grinste er schief in Richtung Yashi. Dieser hatte sich, wie auch alle anderen, bei Manjus Worten umgedreht und blickte nun direkt in Felix' Augen. Er zwinkerte ihm zu und widmete sich dann wieder der Zubereitung des Frühstücks.
Doch Manju ließ nicht locker. Spitze Bemerkungen gegen Tapani und Vorwürfe für Felix' Flucht aus dem Gasthof durchlöcherten Felix' Hochgefühl, bis es in Scherben vor ihm lag. Unglücklich saß er zwischen den Elben am Feuer. Warum reagierte Manju so? Tapani war doch einer von ihnen, der gegen die Dunkelelben kämpfte. Dieser stand hinter Felix und knirschte mit den Zähnen. Dieser elende und eingebildete Ja'neisa. Was maßte er sich an, über ihn zu urteilen. Wut stieg in ihm auf und am liebsten hätte er sich mit ihm geprügelt. Doch er musste ja das Misstrauen der Elben nicht noch mehr schüren.
„Manju, hör auf. Wir können die noch offenen Fragen auch in Akshareen klären. Lass uns essen und dann aufbrechen.“ Konjaru trat zwischen den Büschen hervor, in der Hand zwei erlegte Kaninchen. Geschickt nahm er die Tiere aus, häutete sie. „Wer möchte statt Sunak ein wenig Fleisch haben?“ Er lachte, als Manju das Gesicht verzog. „Bleib du nur bei deinen Blätter und Knollen Co'ru . Aber du wirst mich nicht zum Fleischverzicht bewegen können.“ Lächelnd wandte er sich wieder seiner Beute zu, schichtete etwas Holz und Zunder auf. Kurze Zeit später brutzelten die Kaninchen über dem Feuer.
Felix blickte misstrauisch in den brodelnden Topf, nur um sich wenige Augenblicke später zusammen mit Tapani zu Konjaru zu gesellen. „Dürfen wir hier mitessen? Irgendwie traue ich diesem Wurzel und Blätterzeugs nicht so.“
„Setzt euch ruhig zu mir. Ich beiße nicht.“ Er blickte Felix ernst an. „Ich weiß, dass du mich nicht besonders magst. Aber hör auf meinen Rat. Gib Manju Zeit sich zu beruhigen. Dein Verschwinden hat uns allen zugesetzt. Manju ist vor dem Rat für dich verantwortlich. Er wird Rechenschaft ablegen müssen, warum du geflohen bist und wie die Dunkelelben dich in ihre Gewalt bringen konnten. Sprich mit Yashi und Manju, sobald wir zurück in Akshareen sind. Erklär ihnen dein Verhalten… und tu es nicht wieder.
Auch wenn du es nicht wahrhaben willst. Deine Zukunft und die Akshars sind miteinander verflochten. Halte dich an Yashi und seinen Rat.“ Felix schwieg. Konjaru wandte sich dem Feuer zu, schnitt jedem eine Portion Fleisch herunter. Nach dem Essen brachen sie auf.
Felix dachte über Konjarus Worte nach. Vielleicht hatte dieser Recht und er schuldete Manju wirklich eine Erklärung. Aber nicht jetzt, er war müde, sie waren schon seit Stunden unterwegs, seine Füße schmerzten und das spürbare Misstrauen der Elben verletzte ihn. Warum konnten sie seinem Urteil nicht endlich vertrauen? Gut, Tapani mochte seinen Lebensunterhalt nicht ganz legal verdienen. Aber er war keiner von Zadoks Schergen. Er hatte sein Leben riskiert um ihn zu retten.
Gegen Abend trafen sie in Akshareen ein. Kurz vor den Toren umarmte der junge Karri auf einmal Yashi, rannte durchs Tor und verschwand dann blitzschnell in den schmalen Gassen der Stadt. Yashi seufzte. Dieser Ka'yutu war ihm ein Rätsel. Doch er war zuversichtlich, dass der junge Mann wieder bei ihm auftauchen würde.
Bis jetzt hatten geschickte Vermittlungsversuche von Yashi und Konjaru eine Eskalation vermeiden können, doch in Manjus Kopf schrillten die Alarmglocken immer lauter. Etwas stimmte mit diesem fremden Ba'nei nicht. Auch wenn Yashi auf Abwarten und Beobachten plädierte, ihm war die Devise ‚wehret den Anfängen' wesentlich lieber.
Sie passierten das Tor zum Ratsbezirk und sahen bereits den Gasthof vor sich, als lautes Waffengeklirr hinter ihnen erklang. „Verdammt, was soll das? Lasst mich gefälligst durch!“ Fluchend stand Tapani vor den Tor, die Speere der Wachen kreuzten sich vor seiner Brust. „Spitzohriges Pack, lasst mich jetzt endlich hinein.“ Doch die Wachen rührten sich nicht.
„Yashi! Sie sollen Tapani mit hineinlassen. Was soll das überhaupt. Er hat mir das Leben gerettet und ihr behandelt ihn, als ob er ein Verbrecher sei.“
„Felix, die Wachen haben nun einmal ihre Anweisungen, wer um diese Zeit noch in den Ratsbezirk hinein darf und wer nicht. Tapani wird schon eine Schlafgelegenheit finden. Er kann morgen wieder herkommen.“
„Ich möchte aber, dass er bei mir bleibt.“ Felix' Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn. „Er hat nichts getan, um euer Misstrauen zu verdienen. Oh, du zeigst es nicht so offen wie Manju, aber ich merke doch, dass du ihm nicht vertraust.“
„Wir kennen ihn nicht. Wie könnte ich einem Fremden, den wir unter, und das musst du zugestehen, wirklich seltsamen Bedingungen kennen gelernt haben, einfach blind vertrauen? Mein Junge, Vertrauen muss erworben werden. Aber dein neuer Freund wird die Gelegenheit bekommen, Licht in die Sache zu bringen und sich als vertrauenswürdig zu erweisen.“
Manju wandte sich an die Wachen. „Wenn er morgen früh wieder kommt, dann lasst ihn…“
„Nein! Lasst uns doch einfach in Ruhe. Ihr wollt mich nur benutzen in eurem Kampf. Ihr wollt nicht, dass ich auch mal glücklich bin.“ Felix schrie den Elben an. Sein Zorn schnürte ihm beinahe die Luft ab, sein ganzer Körper begann zu prickeln, als ob kleine Stromstöße durch ihn hindurch fließen würden. Wie von selbst hob sich sein Arm, zeigte seine Hand direkt in Manjus Richtung. Er bemerkte weder die entsetzten Gesichter seiner Freunde, noch den Aufschrei Tapanis.
Manju erstarrte, konnte seinen Blick nicht von Felix wenden. Was geschah hier? Er konnte eine unbekannte Kraft spüren, die auf einmal von dem Jungen ausging. Langsam drehte er den Kopf, nicht ohne Felix weiter aus den Augenwinkeln heraus zu beobachten. „Yashi? Was…“ Ein Blick auf Yashi genügte. Das angespannte Gesicht, die sich entsetzt weitenden Augen. Noch bevor der Grünling seine Arme hochriss und grünes Feuer in einem Strahl an ihm vorbeischoss, riss Manju instinktiv seine Barrieren hoch. Was immer den Jungen beherrschte, es war sehr mächtig.
Weißes Feuer loderte in Felix' Augen, kleine Blitze zuckten um seinen Körper. Doch richtig wahr nahm Manju nur die ausgestreckte Hand des Jungen. Grün-blaues Feuer umhüllte Felix, doch Konjaru und Yashi würden es alleine nicht schaffen. Schnell richtete er seine Magie auf Felix, verflocht die Kräfte miteinander, bis ein schützender Kokon aus grünen, blauen und silbernen Fäden sich immer enger um Felix schloss. Erst als sie die fremde Macht nicht mehr spürten, senkten sie die Hände.
Plötzlich fühlte Felix einen Ruck durch seinen Körper fahren. Grünes, blaues und silbernes Feuer hüllte ihn ein, hielt ihn erstarrt und nur langsam konnte er wieder richtig atmen. Yashi, Manju und Konjaru senkten ihre Hände. Felix holte noch Luft, als Konjaru auf ihn zustürmte, am Kragen packte und durchschüttelte.
„Tu das nie wieder! Wie kannst du es wagen, im Zorn auf meinen Co'ru zu zeigen. Wolltest du ihn in die Luft sprengen?!?“ Wie weggeblasen war die viel gerühmte Gelassenheit und Selbstbeherrschung der Drachenkrieger. Er ließ Felix los und riss Manju in eine heftige Umarmung. „ Co'ru , einen Augenblick lang dachte ich…“
„Sscht. Ich weiss. Es ging mir genau so.“ Manju zitterte vor Erschöpfung. Yashi räusperte sich, atmete tief durch. Schweiß stand auf seiner Stirn. „Konjaru, geh zusammen mit Manju und seinen Männern doch schon vor in den Gasthof. Wir kommen dann nach.“ Nur widerwillig ließen sie den Grünling mit Felix, Tapani und den Wachen alleine.
Yashi wartete, bis sie nicht mehr zu sehen waren, dann wandte er sich an Felix. „Wirst du nun endlich auf mich hören? Du musst lernen, sonst bist du eine Gefahr für andere und für dich selbst. Die Wachen werden Tapani einlassen. Aber lerne dich zu beherrschen. Das nächste Mal werden wir dich nicht mehr aufhalten können.“ Er winkte den Wachen zu. Sie ließen den Ba'nei durch.
Geistesabwesend strich er mit seiner Hand über den Körper des schlafenden Ba'nei. Sein Kopf schmerzte, er war müde, doch er konnte nicht wieder einschlafen.
Seit der Rückkehr waren inzwischen über zwei Wochen vergangen. Immer wieder hatten sie versucht mit ihm zu reden. Doch Felix hatte sich zurückgezogen, ging den anderen aus dem Weg. Wenn er doch nur schlafen könnte. Aber seit seiner Rückkehr suchten ihn Alpträume heim.
Die Gefangennahme und die schwarzen, eiskalten Augen der Halbelbin verfolgten ihn bis in den Schlaf. Auch seine ‚Mondträume' häuften sich, doch inzwischen erfüllten sie ihn mehr mit Angst als Frieden und Licht. Beinahe jede Nacht schreckte er hoch, zitternd, verwirrt. Doch Tapani war immer da, gab ihm Halt. Warum konnten die anderen das nicht verstehen?
Felix erhob sich, trat wieder ans Fenster. „Sscht, denk nicht weiter darüber nach.“ Tapani schlang die Arme um ihn, küßte seinen Nacken. „Du kratzt.“
„Dir würde eine Rasur auch nicht schaden, mein kleiner Vertan.“ Spielerisch knuffte Tapani Felix, bevor er ihn wieder fest in die Arme schloss. „Mach dir keine Gedanken. Sie sind zu egoistisch um zu sehen, dass du dich nur schützen willst. Oder sollst du etwa erneut in die Gewalt der Noi'razu geraten, weiter Alpträume haben? Nein, sie sollen ohne dich einen Weg aus ihren Schwierigkeiten finden.“ Seine Hände glitten über Felix Brust. „Na, kommst du mit ins Badehaus?“
„Gleich. Lass mir noch ein wenig Zeit.“
„In Ordnung, aber lass mich nicht zu lange warten.“ Nach einem letzten innigen Kuss schnappte Tapani sich ein Handtuch und verließ gut gelaunt das Zimmer.
Felix ließ sich auf den Bettrand sinken, atmete tief durch. Er war beunruhigt. Doch mit wem sollte er sprechen. Trotz der Nähe und Verbundenheit zu Tapani wollte er nicht mit ihm darüber sprechen. Der Ba'nei würde sich fürchterlich aufregen und über die ausnutzende Art der Elben herziehen, wenn er ihm sagen würde, dass er eigentlich schon ein bisschen mit Yashi, Manju und den anderen zusammenarbeiten wollte. Aber vielleicht würde ihm dies Antworten auf seine Fragen liefern, auf Fragen, die ihn quälten.
Würde ihm jemand sagen können, ob er Manju wirklich einfach so im Zorn getötet hätte? Er selbst konnte es nicht. Gequält schloss er die Augen.
„Ich brauch eine Dusche“, murmelte Felix, schob die trüben Gedanken von sich. Er erhob sich vom Bett, suchte frische Kleidung und Waschzeug heraus. Die Sachen unter den Arm geklemmt wollte er gerade sein Zimmer verlassen, als Stimmen von draußen seine Aufmerksamkeit weckten. Er trat ans Fenster. Yashi, Konjaru und Manju waren auf dem Weg zum Palast, hielten jedoch immer wieder inne. Über was sie sich wohl so aufgeregt unterhielten?
XXV
Fahrig strich sich Manju durchs Haar. Eine kleine Geste die verriet, dass die sonst so gelassen wirkende Haltung eher durch Disziplin als wirkliche innere Ruhe aufrecht erhalten wurde. „Ich versteh es nicht, Yashi. Diese Gleichgültigkeit gefährdet doch uns alle, auch den Jungen. Aber es ist ihm vollkommen egal.“
„ Co'ru , nach unserer Nacht in den Hügeln warst du am nächsten Tag auch nicht so ganz bei der Sache.“ Yashi kicherte, als der Elb errötete.
„Das ist wohl kaum zu vergleichen. Außerdem ist Felix seit über zwei Wochen nicht mehr derselbe. Dieser verfluchte Ba'nei hat ihn verhext. Ich traue diesem Kerl nicht.“
Der Drachenkrieger seufzte. „Bist du sicher, dass es nicht einfach seine absolut nicht unterwürfige Haltung dir gegenüber ist? Ich weiß, dass selbst die anderen Elben einem Ja'neisa gegenüber Achtung zollen. Aber Tapani ist in der Hinsicht völlig respektlos.“
„Ich glaube nicht Konjaru, dass unser Manju so oberflächlich ist. Ich selbst fühle auch, dass etwas nicht stimmt. Aber wir können nichts beweisen. Sogar Lasaju und der Ratsvorsitzende Basaju haben Tapani zu den Vorkommnissen befragt. Selbst sie fanden nichts Verdächtiges. Im Augenblick können wir nichts weiter tun, als abwarten und ihn beobachten.“
„Yashi, die Zeit läuft uns davon!“
„Ich weiß Manju, die Vorfälle entlang der Grenze häufen sich. Zadok wird stärker und ohne die Macht des Herzens könnten wir unterliegen. Aber wenn wir Felix drängen, erreichen wir höchstens das Gegenteil. Du weißt doch, er muss seinen Weg selbst finden.“
„Ich kenne die Prophezeiungen, aber es fällt mir schwer die auferlegten Bestimmungen zu befolgen, wenn ich die Bedrohung sehe, die über Akshar herein zu brechen droht.“
„Es geht mir nicht anders. Aber kommt, Yagoda wartet sicher schon auf uns.“
Sie setzten ihren Weg zu Yashis Mentor fort und betraten kurze Zeit später das Ratsgebäude. Doch aus dem gemütlichen Plausch bei Tee und Gebäck wurde nichts. Yashi wollte gerade anklopfen, als sich die Tür öffnete. „Yashi, mein Junge, wie gut, dass ich euch noch antreffe. Wir haben eine dringend anberaumte Ratssitzung, wegen der sich häufenden Vorkommnissen mit den Noi'razu auf aksharischem Boden. Keiner kann sich erklären, warum Ishans Bann nicht die Bannbrecher straft. Vielleicht der Verlust des Herzens… Ich muss los, ich will nicht zu spät kommen.“
„In dem Falle möchten wir dich nicht zu lange aufhalten, Yagoda. Ruf mich doch, sobald die Sitzung beendet ist. Wir müssen einige Dinge besprechen. Es geht auch um den Jungen.“
„Gut. Hast du noch eine Sprechkugel?“
„Nein, meine letzte habe ich hier abgegeben, bevor ich zu den Drachen aufgebrochen bin. Sie wollten nicht, dass ich über Sprechzauber in Kontakt zu Akshar trete.“ Yagoda zog die Augenbraue hoch, nickte.
„Ich entsinne mich. Na tretet ein, ich habe hier sicher noch einige Sprechkugeln herumliegen.“ Yagoda winkte die drei in seine Kammer und durchwühlte eine der unzähligen Schubladen. Manju blickte sich um. Die Regale quollen beinahe über. Jeder freie Fleck war mit Büchern und Schriftrollen bedeckt. „Ha! Gefunden. Ich wusste doch, dass ich noch Reservekugeln habe.“ Yagodas Aufschrei unterbrach Manjus Beobachtungen. „Hier, Yashi. Behalte diese. Nun entschuldigt mich, der Rat ruft.“ Eilig verabschiedete sich Yagoda, bevor er in Richtung Ratssaal schwebte.
„Und nun?“ Konjaru blickte seine Freunde an.
„Also ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich bin hungrig.“ Manju rieb sich über den Bauch. „Das Frühstück war ja nicht gerade üppig.“
„Palastküche, Co'ru ?“
Yashi grinste, mischte sich ins Gespräch ein. „Ich habe eine bessere Idee. Yagoda erzählte mir, dass Kion sich mit der Belohnung für seine Tapferkeit bei unserer Befreiung aus den Krallen der abtrünnigen Shinmaris eine Taverne gekauft hat. Die Küche soll wirklich ausgezeichnet sein und das Lokal gemütlich.“
Konjaru lachte, als Manju missmutig das Gesicht verzog und sich demonstrativ über seine Kehrseite strich. „Ich weiß, dass er dich gebissen hat, Co'ru . Aber seine Kochkünste sind wirklich gut. Lass uns gehen. Das Kion's liegt fast am anderen Ende der Stadt.“
Doch in der kleinen Taverne an der Bayuristrasse ging es zu der Zeit alles andere als gemütlich zu. Aus dem doppelstöckigen Gebäude, dessen Bauart ein wenig an eine grosse Halbkugel erinnerte, erklang Lärm.
„Rubiiiiiiiiion! Beeil dich, wir öffnen gleich. Sieh dir doch mal den Schankraum an. Die Stühle stehen immer noch auf den Tischen und es ist nicht gewischt. Na nun mach mal. Ich geh auf den Markt, einkaufen. Es fehlen noch einige Zutaten. Kümmer dich auch um den Eintopf, wirf noch Zwiebeln, Kartoffeln, Rüben und etwas Siedfleisch hinein… und Finger weg von den Honigkuchen.“ Aufgeregt wuselte Kion herum, schnappte sich einen grossen Korb und hoppelte aus der Tür.
Rubion seufzte. Sein Meister war aber auch wirklich ein Sklaventreiber. Gut, er hatte heute verschlafen, weswegen die Arbeit etwas eilte, aber gleich so einen Aufstand. Er tauchte den Wischmopp in den Wassereimer und schrubbte los. Schließlich wollte er die Arbeit hier behalten. Für ein Suchhörnchen war es nicht einfach, schnell wieder eine so gute Stelle zu bekommen. Freie Kost und Logis, dafür nahm man schon auch einen morgens schlecht gelaunten Meister in Kauf.
In kurzer Zeit war der Raum geschrubbt und die Stühle und Bänke standen wieder an ihrem Platz. Sein Magen knurrte. Schrubben machte Hunger. Aber erst noch der Eintopf. Rubion griff sich eine Schüssel, schnippelte das Gemüse hinein, trug sie in den Schankraum und kippte den Inhalt in den grossen Kupferkessel, der über der Feuerstelle hing. Noch ein paar Mal umrühren, fertig. Er schnupperte. Der Eintopf würde wieder einmal sehr lecker werden. Aber nun hatte er wirklich genug geschuftet.
Rubion zog sich erst mal ins obere Stockwerk zurück, um sich in seinem Zimmer erst einmal den Staub aus dem Fell zu striegeln. Dass Arbeit aber auch so anstrengend sein musste. Nun aber schnell wieder hinunter. Mit etwas Glück war Kion noch nicht zurück und die Speisekammer stand ja offen. Mit einer Hühnerkeule in der einen und einem grossen Stück frisch gebackenem Brot saß das Suchhörnchen da und mampfte vergnügt, als quietschende Türangeln ihn herumfahren ließen. Den Göttern sei Dank, es war nicht sein Meister, sondern eine Gruppe Gäste. „Wir haben noch geschlossen, werte Herrschaften“, nuschelte er mit vollem Mund. Der Grünling grinste ihn an. „Wir sind Freunde von Kion. Ist er da?“
„Der Meister ist auf dem Markt. Freunde sagt ihr?“ Rubion beäugte die drei misstrauisch. Ein Ja'neisa, ein Grünling und ein sehr grosser Krieger. Hm, beim letzten, abendlichen Umtrunk vor dem Schlafengehen hatte Kion etwas von Abenteuern mit Drachen und Dunkelelfen erzählt. Na gut, es konnten ja wirklich Freunde meines Meisters sein.
„Ich will euch mal glauben. Tretet ein, setzt euch. Allerdings ist die Küche noch nicht geöffnet. Aber Getränke könnte ich euch anbieten.“
Die drei blickten sich an. „Habt ihr Tee?“
„Ja, einen Augenblick. Setzt euch doch.“ Eilig hoppelte Rubion in die Küche, allerdings nicht ohne vorher noch einmal herzhaft in die Hühnchenkeule zu beißen.
Yashi, Konjaru und Manju blickten sich um und wählten schließlich einen kleinen Tisch mit Eckbank in der Nähe des Tresens. „Na, was sagst du nun Manju? Ist doch wirklich nett und behaglich hier.“ Yashi blinzelte ihm zu.
Manju musterte den Raum. Helle Holzdielen, weiß verputzte Wände, kleine runde Fenster, dazu die einfache Ausstattung mit hellen Holzmöbeln. „Ich bin überrascht. Normalerweise sind Tavernen, die von Nichtelben geführt werden, eine Beleidigung für unsere Augen und Nasen. Aber das hier, es gefällt mir. Aber Kions Bedienung ist etwas seltsam… und ziemlich groß für ein Suchhörnchen.“
„Eher verfressen als seltsam“, unterbrach Konjaru grinsend. „Die Hühnchenkeule hätte für einen grossen Ba'nei gereicht. Aber seht, da kommt unser Tee.“ Geschickt verteilte das Suchhörnchen die Tassen und schenkte ihnen ein. „Bitte sehr die Herren. Noch etwas Gebäck?“
„Nein danke, mein Freund.“ Der Grünling lächelte ihm freundlich zu. „Aber wir warten lieber, bis die Küche geöffnet ist und wir unser Mittagessen bestellen können.“
„Sprich nicht für alle, Yashi. Ich habe Hunger.“ Manju wandte sich an das Suchhörnchen. „Habt ihr Schulas?“
„Aber sicher. Einen Augenblick bitte.“ Nach kurzem Suchen hinter dem Tresen kehrte Rubion mit einem grossen Teller voller Schaumgebäck zurück. „Bitte sehr. Zimt-, Zitronen-, Nuss- und Vanilleschulas. Guten Appetit wünsche ich.“
„Rubion! Hilf mir mal die Sachen in die Küche tragen!“ Schwer beladen stand Kion in der Türe und suchte den Schankraum nach seinem Helfer ab. Seine Augen leuchteten auf, als er diesen bei Yashi, Manju und Konjaru entdeckte. „Rubion, räum die Sachen weg.“ Mit ausgebreiteten Armen ging er auf seine Freunde zu. „Ah, wie schön euch zu sehen! Lasst es euch nur schmecken. Wie geht es euch? Seit den Shinmaris habe ich nichts mehr von euch gehört. Aber wir haben ja alle viel zu tun.“ Nach einer herzlichen Begrüßung setzte er sich zu seinen Freunden. „Ihr seid früh dran, bis zur Mittagszeit, ist es noch eine Weile hin.“
„Wir hatten Hunger, mein Freund. Dein Tee ist wirklich ausgezeichnet. Du musst mir unbedingt deinen Lieferanten verraten. Doch erzähl, wie lebt es sich als Tavernenbesitzer?“ Yashi trank genüßlich seinen Tee, während sich Manju und Konjaru an die Schulas hielten.
„Ich habe eine eigene Küche, bekomme Geld fürs Kochen und muss nicht auf Drachen durch die Gegend fliegen. Es ist fantastisch.“ Kion grinste. „Hinter dem Tresen ist der Durchgang in die Küche und zur Speisekammer. Im oberen Stockwerk sind meine Räume, die Kammer von Rubion und eine Gästekammer.“
Aus der Küche schepperte es. Kion verdrehte die Augen. „Dieses Hörnchen wird eines Tages mein Ruin sein. Aber es ist schwierig, heute gutes Personal zu finden.“ Manju feixte. „Du scheinst deinen „Ruin“ jedoch zu mögen. Du hast doch sonst nie jemanden an den Verpflegungskarren gelassen, wenn wir unterwegs waren.“
„Doch, er ist ein ganz vorzeigbares Exemplar. Aber nun entschuldigt mich, ich werde in der Küche gebraucht, damit das Essen bald bereit ist.“ Sprach´s und verschwand.
Allmählich füllte sich die Taverne und Rubion hatte alle Hände voll zu tun. Die meisten waren Ba'nei, denen ein Teller Eintopf und ein Stück Brot genügte. Es waren aber auch vereinzelt Elben oder Shinmaris unter den Gästen. Alle bekamen sie, was ihr Herz begehrte.
„Wirklich gemischte Gästeschar.“ Mit den Worten schob sich Manju das letzte Schula in den Mund. „Aber nun dürfte das Essen langsam kommen.“
„Da kommt es doch schon.“ Yashi zeigte auf Kion, der mit Rubion im Schlepptau drei große Teller herantrug.
„Mit den besten Wünschen des Hauses, meine Freunde. Für dich Yashi, zartes junges Gemüse, zusammen mit gedämpften Zu'paki-Knollen an einer weissen Sauce. Dazu ein leichter Waldsalat.“ Die Augen des Grünlings leuchten auf.
„Es sieht herrlich aus, Kion.“
Dieser grinste zufrieden. „Ich weiß doch, was meinen Freunden schmeckt. Manju, für dich Sprossensalat, dazu gebratene Grünkernplätzchen, gedünstetes Elbenkraut und Rüben.“
Konjaru blickte skeptisch auf die Teller seiner Freunde. „Bitte für mich nichts vegetarisches, Kion.“
„Ich weiß doch, dass Drachenkrieger nicht wie Ja'neisa und Grünlinge nur Pflanzen futtern. Nein, für dich gibt es gefüllten Kapaun auf einem Gemüsebett. Dazu für euch alle eine Flasche Honigwein. Lasst es euch schmecken. Doch nun muss ich euch alleine lassen. Die Geschäfte rufen.“
Langsam leerte sich das Kion's wieder. Zufrieden lehnte sich Manju zurück. „Du hast nicht übertrieben, Yashi. Das Essen war wirklich sensationell. Aber ich bring keinen Bissen mehr runter. Ich bin pappsatt.“
Strahlend kam Kion an ihren Tisch. „War alles zu eurer Zufriedenheit? Heute war wieder ein sehr guter Tag. Wenn es so weitergeht, brauch ich noch mehr Personal, damit Rubion sich nicht so abhetzen muss. Aber wehe ihr sagt ihm das. Sonst kommt er noch auf die Idee, dass ich ihn mag.“ Yashi grinste breit.
„Keine Sorge, mein Freund. Aber nun müssen wir wieder zurück. Wir sehen uns sicher bald wieder. Deine Küche ist immer ein Grund, in diese Ecke der Stadt zu kommen.“ Nachdem Kion ihnen noch einen Korb mit Leckereien zugesteckt hatte, standen sie wieder auf der Straße und machten sich auf den Heimweg.
Zufrieden zählte Kion die Mittagseinnahmen. Wahrlich er hatte seine Belohnung gut investiert. Aber nun war erst einmal eine kleine Pause angesagt, bevor es mit dem Abendgeschäft los ging. „Rubion, bedien dich ruhig an den Resten in der Küche, es ist noch genügend da. Ich bin oben in meiner Kammer. Bring nachher etwas Honigwein und Gebäck hoch. Ich leg schon mal die Spielkarten bereit.“
Rubion grinste. Sein Meister mochte sich ihm gegenüber meist von der ruppigen Seite zeigen. Doch es bestand wohl noch Hoffnung.
XXVI
Alle schliefen, kein Geräusch war zu hören. Nur Tapanis leises Schnarchen zeigte ihm, dass dieser tief und fest schlief. Felix starrte zur Decke, ließ den Tag Revue passieren. Die meiste Zeit hatte er mit Tapani verbracht. Doch nach einem Spaziergang über die Hügel war dieser einfach verschwunden und erst nach dem Abendessen wieder aufgetaucht. Seltsam zwar, aber Felix stellte keine Fragen. Yashis Blick beim Abendessen ging ihm nicht aus dem Kopf. Der Grünling sagte nie etwas. Aber alleine die Blicke. Schlechtes Gewissen regte sich in Felix. Seine Freunde hatten ihn immer geschützt und nun wandte er sich von ihnen ab… „Nein!“, murmelte er trotzig. „Ich will das nicht noch einmal mitmachen. Diese eisige Kälte, der Geruch des Todes.“ Wütend drehte er sich um, zog die Decke über den Kopf und schlief, wenn auch erst nach langem hin- und herwälzen, ein.
„Er schwebte in der Nacht, kein Stern erhellte den Himmel. Wie ein sanfter Mantel legte sich die Finsternis um seinen Körper und hüllte ihn ein. Aus dem Nichts flog eine kleine blutrote Kugel auf ihn zu. Ihr folgten weitere in blau, grün und gold. Wie kleine Monde umkreisten sie ihn. Schneller und immer schneller, bis sie, einem Wirbel gleich, an ihm vorbei schossen, auf einen großen, silberweißen Stern zu. Er schwebte auf den Stern zu, der ihn zu rufen schien. Ruhe, Frieden. „Glaubst du wirklich, dass du vor uns sicher bist?“ Panisch blickte er sich um. Glühende schwarze Augen blickten ihn an. Sie war da, überall. Eisige Kälte durchdrang ihn, steifgefroren stand er da. Der Stern pulsierte, gleißendes Licht durchdrang alles. Geblendet schloss er die Augen.
Stille. Felix öffnete die Augen. Er war allein. Die Monde, der Stern, die Stimme der Dunkelelbin, nichts war mehr da außer einer gespenstigen Stille. Felix schlang die Arme um sich, wimmerte. „Nicht schon wieder… ich will nicht mehr… lasst mich doch einfach in Ruhe.“ Eine sanfte Berührung, er blickte auf. Eine junge Frau, mit einer dunklen Robe bekleidet kniet neben ihm. „Du musst lernen zu verstehen. Lerne, bevor es zu spät ist. Denn dann, wird das, was du hier siehst, unsere Welt sein… Du musst verstehen…“ Sie verschwand. Nur ihre samtene Stimme war noch zu hören.“
Schweißgebadet, mit weit aufgerissenen Augen und fliegendem Atem schreckte Felix hoch. Sein Herz hämmerte wie verrückt. Verzweifelt drehte er sich um, doch das Bett neben ihm war leer. Felix wunderte sich. Warum verließ ihn Tapani mitten in der Nacht? Doch er hatte keine Zeit, nach seinem Freund zu suchen.
Immer noch zitternd stand er auf, ging zum Waschtisch, goss sich kaltes Wasser über den Kopf. Langsam beruhigte er sich. „Verstehen… muss verstehen…“ murmelte er vor sich hin, während er sich anzog. Er konnte es nicht erklären, aber er hatte das Gefühl, als würde man nach ihm rufen.
Auf leisen Sohlen schlich er sich aus dem Haus. Erst draußen, mitten auf der Wiese blieb er stehen. Tief atmete er die kühle Nachtluft ein, spürte das taufeuchte Gras unter seinen Füßen. Es zog ihn weiter. Wie von einer unsichtbaren Kraft getrieben lief er weiter. Vor einem Gebäude blieb er stehen. Verwirrt musterte Felix seine Umgebung. „Ein Tempel? Finde ich hier eine Antwort?“ Niemand war zu sehen. Die Priester schliefen wohl. Langsam schritt er die Stufen zum Tempel hinauf. Das große Eisentor war mit verschlungenen Mustern verziert, dazwischen waren immer wieder Monde zu sehen. „Wenn ich nur wüsste, welchem Gott der Mond zugeordnet wird“, murmelte Felix, während er den schweren Türflügel aufzog und hineinschlüpfte. Vorsichtig ging er weiter. Brennende, an den Wänden hängende Fackeln leuchteten ihm den Weg. Vor ihm wurde eine große Halle sichtbar. Seine Schritte hallten, als er die wenigen Stufen hinunter stieg und durch den Raum schritt. Wie ein Magnet zog es ihn zum anderen Ende.
Vor der großen Statue einer gesichtslosen Frau blieb er stehen. Sie saß auf eine Art Thron. In ihrem Schoß lag ein riesiger, violett schimmernder Stein. Zu ihren Füßen lagen Opfergaben. Langsam sank er auf die Knie. „Illari“, flüsterte er. „Göttin des Schicksals.“
„Du scheinst Yashi ja doch zugehört zu haben. Dann besteht vielleicht doch noch Hoffnung.“ Eine weiche, samtene Stimme erklang hinter ihm. Felix sprang auf, drehte sich um. Doch was er sah, ließ ihn wieder zu Boden sinken. „Du? Ich habe dich schon einmal gesehen… in meinem Traum.“
Die Unbekannte lächelte, trat näher. Ihr tiefblaues Kleid raschelte bei jedem Schritt, das knielange schwarze Haar umschmeichelte ihre Gestalt. Ein schlichter Stirnreif, dessen Mitte eine liegende Mondsichel zierte, war ihr einziger Schmuck. „Es war nicht einfach. Aki läßt mich nur ungern in seinen Schöpfungen herumspazieren. Doch in deinem Fall, da sah sogar mein sturer Bruder die Notwendigkeit ein.“
„Du bist?“ Mit großen Augen musterte Felix die Frau. Es konnte doch nicht sein. Sollte dies etwa…
„Ja, du bist hier in meinem Tempel, Junge. Bist du nun endlich bereit zu verstehen?“
Felix glaubte, in ihren Augen zu ertrinken. Wie leuchtende Amethyste schimmerten sie im Licht der Fackeln, schienen bis auf den Grund seiner Seele zu schauen. „Illari, ich…“
„Du brauchst mich nicht zu fürchten. Ich will dir nur etwas zeigen.“ Sie trat neben ihn, ergriff den großen Amethysten, hielt ihn Felix hin. „Erinnerst du dich an die Geschichte, die Yashi über diesen Stein erzählt hat?“
„Er nannte ihn Schicksalsauge. Er sagt die neuen Mitglieder des Rates voraus, wenn nach einem Todesfall ein Nachfolger gebraucht wird.“
„Oh, das Auge kann noch viel mehr. Nimm es, nimm es in die Hand und blicke hinein. Lass dich fallen und sieh, was es dir zeigen wird.“
Zögernd griff Felix nach dem Stein, hielt ihn mit beiden Händen fest umklammert. Er atmete tief durch, blickte auf den Stein und konzentrierte sich. Kälte, Dunkelheit, Stille, Alles war tot, nichts und niemand war mehr da.
„Nein, das darf nicht geschehen!“ Felix hätte nicht sagen können, wie lange er in den Stein geblickt hatte. Sekunden, Stunden? Erschüttert reichte legte er den Stein zurück in den Schoß der Statue. „Illari, erfüllt sich alles, was im Schicksalsauge zu sehen ist?“
„Nicht unbedingt. Du hast die Möglichkeit, dies alles abzuwenden. Aber du wirst nichts gewinnen, in dem du nur vor dich hin lebst und dich um nichts als dich selbst kümmerst. Wenn du bereit bist zu lernen, jemand, den du bereits kennst, wartet auf dich.“
Illari trat auf ihn zu, strich ihm das Haar aus dem Gesicht und küßte ihn auf die Stirn. „Leb wohl, mein junger Freund.“
Felix war wieder alleine. „Jemand den ich kenne“, wiederholte er die Worte Illaris. „Wen meint sie wohl.“ Nachdenklich verließ er den Tempel. „Na klar, die Bibliothek!“ Er rannte los, quer über die Wiesen. Er musste unbedingt sofort in die Palastbibliothek.
„Ich kann seine Gegenwart nicht mehr fühlen. Es ist, wie wenn ein Schleier seinen Aufenthaltsort verbergen würde. Verdammt!“, fluchend schritt Zadok auf und ab. „Der Junge ist so kurz davor, mit diesem Pack zu brechen und nun das. Wir werden sabotiert!“
„Verzeih, aber wenn deine Magie ihn nicht finden kann, dann hat er mächtigeren Besuch als diesen hartnäckigen Grünling. Dieser selbst ist ja vollkommen arglos, aber…“
„Das nützt mir nichts! Er darf sich unter keinen Umständen wieder der Kraft in sich annähern. Nicht, so lange er lebt oder an meiner Seite steht. Ich gebe dir nicht mehr viel Zeit. Selbst du bist nicht vor Strafe gefeit. Nun geh und erledige deinen Auftrag!“
Zitternd vor Wut umklammerte Zadok die kleine Sprechkugel. Mit leisem Knirschen splitterte sie, Blut tropfte auf den Boden. „Meister..“ Bayuna hatte den Raum betreten. „Nicht jetzt!“ Ein Blick auf ihn genügte. So schnell sie konnte, zog sich Bayuna zurück. Mit wem hatte er gesprochen? Um welchen Auftrag handelte es sich?
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