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Kalanja'neiu - Legende einer vergessenen Welt

Teil 14

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Inhaltsverzeichnis

XL

»Aus dem Dunkel der Nacht flog eine kleine blutrote Kugel auf ihn zu. Ihr folgten weitere in blau, grün und gold. Wie kleine Monde umkreisten sie ihn aufgeregt, schienen ihn willkommen zu heissen bevor sie wieder in ihre ursprünglichen Bahn um den silberweissen Stern herum zurückkehrten. Doch etwas stimmte nicht. Er sah, wie der blaue Mond immer heftiger flackerte, sein Licht langsam verblasste bis er schließlich in seinem Flug innehielt und in die Finsternis stürzte. »Nein!« sein lang gezogener Schrei hallte durch die Dunkelheit. Noch im Fall fing er ihn in seinen Händen auf und barg ihn an seiner Brust. Eine einzelne Träne rann über seine Wangen und fiel auf das kostbare Kleinod an seinem Herzen. Das durfte nicht geschehen. Der blaue Mond durfte nicht erlöschen. Was immer auch erforderlich war, er würde es tun um das Licht wieder zu entfachen.«

»Ein leiser Windhauch strich über sein Gesicht und trug einen schweren, süsslichen Duft mit sich. Felix hob den Kopf. Vor ihm, eingehüllt in die Dunkelheit, sah er eine schemenhafte Gestalt. »Denk nicht einmal daran, die Kraft des Sterns zu benutzen. So machtvoll er auch sein mag, auch ihm sind Grenzen gesetzt, wenn es um mein Reich geht. Ohne meine Erlaubnis wird er sich nicht den Gesetzen des Universums entgegenstellen.« Ihr spöttisches Lachen ließ ihn erschauern, doch sie war seine einzige Hoffnung.«

»Felix? Felix!« Tapani schüttelte angsterfüllt seinen Freund, doch Felix rührte sich nicht. Wie festgefroren und mit starrem Blick ins Leere stand er auf dem Kiesweg in Richtung Stadt. Yashi und Manju drehten sich alarmiert um. Mit wenigen Schritten stand Manju vor dem Jungen. Er legte seine Hand auf Felix' Schulter, um diese zu schütteln und zuckte erschrocken zurück. Der Junge glühte regelrecht, schien innerlich zu verbrennen. »Bei Ishan!«, mit zusammengezogenen Brauen starrte er Tapani misstrauisch an. Egal ob andere dem Ba'nei inzwischen vertrauten, er tat es keineswegs. »Was ist geschehen, Tapani?«, fragte er mit scharfer Stimme. »Eben war er doch noch wohlauf. Was hast Du getan?« Sein anklagender Blick ruhte auf dem Ba'nei, der dies nicht auf sich sitzen lassen wollte.

»Ich weiß wirklich nicht wie Du auf die Idee kommst, dass ich meinem Geliebten auch nur ein Haar krümmen könnte«, entgegnete er entrüstet und fuhr dann etwas verunsichert fort. »Ich weiß weder, was mit ihm los ist noch kann ich es mir erklären. Im einen Augenblick gingen wir hinter euch beiden her und auf einmal blieb er stehen. Ein Zittern durchlief seinen Körper, dann wurde er starr und rührte sich nicht mehr.« Verzweifelt raufte sich der Ba'nei die Haare und blickte flehentlich zu Yashi, der mit sorgenvollem Gesicht vor Felix schwebte. Ohne den Blick von seinem Schützling abzuwenden hob er die rechte Hand, legte den Zeigefinger auf seine Lippen. Tapani wollte etwas erwidern, doch Manju bedeutete ihm mit einer herrischen Bewegung zu schweigen. Widerwillig und mit einem zornigen Blick in Manjus Richtung presste Tapani die Lippen zusammen. Sein Groll auf die herrische Haltung des Elben wuchs, doch die Sorge um den Geliebten überwog. Gebannt hing sein Blick auf dem kleinen Grünling. Dieser hob seine Hände. Kleine grüne Funken sprühten von seinen Handflächen und wirbelten um Felix' Körper. Erst als Yashi seine Hände wieder schloss verschwanden sie.

»Ich erreiche ihn nicht.«, erwiderte er leicht ratlos die stumme Frage in Tapanis Augen.

»Was soll das heißen?« Tapanis Blick schweifte sichtlich nervös zwischen Yashi und Manju hin und her. Der Elb war bei den Worten des Grünlings blass geworden. »Ihr verschweigt mir etwas!«, beschuldigte Tapani die beiden aufgebracht.

»Wie schlimm ist es?« Manjus Stimme klang teilnahmslos, doch nur mit großer Mühe hielt er diese Fassade aufrecht, welche die wachsende Verzweiflung in ihm verbarg. Keiner konnte ihm sagen, wie es um seinen geliebten Gefährten stand und nun schienen sie auch noch Felix zu verlieren. Die Götter konnten doch nicht so grausam sein und ihnen mit der einen Hand den Schlüssel zum Herzen reichen und mit der anderen gleich wieder rauben.

Yashi setzte zu einer Erklärung an, doch dann hielt er inne. »Entschuldige, Tapani. Ich bin es so sehr gewohnt, mich auf telepathischer Ebene zu verständigen, dass ich zwischendurch leider vergesse, dass nicht immer alle in meiner Gesellschaft diese Fähigkeit beherrschen.«

Tapani nickte nur. Im Augenblick interessierten ihn Entschuldigungen nicht wirklich, einzig Felix' Schicksal zählte noch. »Sag mir doch bitte endlich, was mit ihm ist«, flehte er.

»Ich erreiche ihn nicht, kann ihn auch kaum mehr spüren. Es ist beinahe so, als ob er nicht mehr in seinem Körper weilt.«

»Das kann doch gar nicht sein! Er steht doch hier vor unseren Augen, glüht vor Fieber. Bestimmt ist es irgendeine seltsame Krankheit, die ihn hat erstarren lassen.«

Yashi seufzte schwer. Wie konnte er einem Ba'nei, der über keinerlei Magie verfügte erklären, dass jedes Lebewesen eine ihm eigene Aura besaß, die es von jedem anderen auf der Welt unterschied und eben genau diese nicht mehr in Felix' Körper spürbar war? Wie sollte er ihm erklären, dass es oftmals tödlich endete, wenn Körper und Geist zu lange getrennt waren?

»Was Yashi sagen will ist, dass obwohl wir Felix hier sehen er seinen Geist nicht mehr spüren kann. Ich fürchte, dass dies auch die Ursache für diese unnatürliche Hitze ist, die ihn beinahe innerlich verbrennt.«

Manjus ruhige und sachliche Stimme durchdrang die sorgenvollen Gedanken Tapanis. Dieser schluckte. »Wird er sterben?«, brach es leise aus ihm hervor.

Yashis Schultern zuckten leicht. »Ich weiß es nicht, Tapani. Es ist gefährlich, wenn diese Trennung zu lange anhält. Auch diese Hitze schadet seinem Körper, wenn er sich nicht bald wieder abkühlt.«

Aufkeuchend taumelte Tapani, sein verzweifelter Blick bohrte sich in Yashis Augen. »Es muss doch eine Möglichkeit geben ihn zurückzuholen. Es muss...«, seine Stimme brach.

»Wir können es versuchen, doch ich kann Dir nichts versprechen. Manju«, wandte sich der Grünling nun an den Elben, »Ich werde deine Hilfe brauchen.«

Der Elb nickte verstehend und wandte sich an den Ba'nei. »Du trittst nun besser ein kleines Stückchen zurück.«

Tapani nickte und trat schweigend zurück. Selbst er spürte, wie sich die Luft um sie herum auflud, flimmerte, als Yashi erneut vor Felix schwebte und die Hände hob und sie auf dessen Brustkorb presste. Grünes Feuer schoss aus seinen Händen in den glühenden Körper des Jungen. Felix krampfte kurz, doch Yashi blieb unerbittlich. Stoß um Stoß pumpte er seine Magie in Felix, versuchte ihn zurückzuholen und seinen Körper vor dem Verglühen zu bewahren. In das grüne Feuer mischten sich nun silberne Funken. Manju hatte seine Hände auf die Schultern des Grünlings gelegt und stärkte diesen mit seiner Magie.

Yashi fühlte es eher, als dass er es sah. »Manju, lass los!«, schrie er auf, während er den Kontakt zu Felix unterbrach. Doch es war zu spät. Felix' Körper durchlief ein heftiges Zittern, dann schleuderte eine heftige Druckwelle, gleich einer unsichtbaren Explosion, sie zu Boden.

Mühsam rappelten sie sich wieder auf und wandten sich sorgenvoll dem Jungen zu. »Bei allen Göttern!«, keuchte Manju entsetzt auf. Felix' leuchtete strahlend weiß auf, bevor sich das Licht unter die Haut zurückzog und den Körper nur noch als sanftes Glühen umgab. Doch noch etwas hatte sich verändert. Felix blickte sie aus weit geöffneten Augen an. Der Elb glaubte, in deren Schwärze zu ertrinken. »Yashi, was bei allen Göttern geht hier vor?« doch nicht der Grünling antwortete auf seine Frage.

»Der Handel ist noch nicht besiegelt. Mischt euch noch einmal ein und euer Schicksal wird ein für allemal in den Händen des schwarzen Fürsten liegen.« Felix schwieg und schloss erneut die Augen. Yashi lief ein kalter Schauer über den Rücken. Wem immer auch diese tiefe, samtige Stimme, in der ein Hauch von Unendlichkeit schwang, gehörte, es war nicht Felix gewesen, der eben zu ihnen gesprochen hatte. Ja, er hätte nicht einmal sagen können, ob es nun die Stimme eines Mannes oder einer Frau gewesen war.

»Gibt es keinen anderen Weg?«, fragte er in die Nacht hinein.

»Es liegt alleine in Deinen Händen. Was Du verlangst ist weit mehr wert, als Du zu geben in der Lage bist. Doch ich werde mich in diesem besonderen Fall mit weniger zufrieden geben. Nun sag, gilt unser Handel? Entscheide Dich schnell, denn Deine Zeit hier ist nicht unbegrenzt.« Sein Gegenüber klang leicht ungeduldig.

Die tiefe Stimme mit dem Hauch von Unendlichkeit machte ihm keine Angst mehr. »Du weißt genau, dass dies nicht wahr ist. Du würdest Dich doch auf keinen Handel einlassen, der zu Deinem Nachteil ist.« Felix schwieg. Er war sich nicht sicher, ob er wirklich dazu bereit war, doch es blieb ihm keine andere Wahl. »Ja, unser Handel gilt. Ich gebe Dir mein Wort darauf. Nun erfülle Deinen Teil der Abmachung.« Er fühlte das zustimmende Nicken mehr, als er es sah.

»Dann möge es so sein. Doch denke daran, Du bist zum Schweigen verpflichtet. Nun geh und nutze das Licht in Dir.«

Felix nickte. Er spürte, wie das beinahe erloschene Licht in seinen Händen wieder aufflackerte. Zufrieden schloss er die Augen und ließ sich fallen. Er fühlte, wie er mit dem Stern verschmolz, sich in seinem Licht verlor. Kraftvoll pulsierte die Energie durch seinen Körper, schoss durch seine Arme in die kleine Kugel. Mit einem Lächeln öffnete Felix seine Hände und gab sie frei. Noch etwas zögerlich schwebte der blaue Mond zurück in seine Bahn.

Langsam ließ das Glühen nach. Noch wagte Yashi nicht zu hoffen, doch es sah zur Erleichterung der drei so aus, als ob Felix in der Welt der Sterblichen bleiben würde. Felix blinzelte, blickte zu Yashi und nur drei Worte kamen über seine Lippen, ehe er bewusstlos in sich zusammensackte und zu Boden stürzte. »Es ist vollbracht!«

»Yashi!«, Tapani schrie auf, als Felix vor seinen Augen zusammenbrach. Er kauerte sich neben den Geliebten und strich ihm sachte über das Gesicht. »Manju, Yashi, sein Körper ist wieder kühl.« Erleichtert wischte er sich die Tränen aus den Augen und schloss Felix in die Arme. Als sich Felix' Freunde neben ihn knieten lächelte er ihnen zu. »Er kommt langsam wieder zu sich. Doch was meinte er mit «Es ist vollbracht!«

Yashi runzelte nachdenklich die Stirn. »Es war nicht Felix, der da gesprochen hat. Doch wer auch immer an seiner statt gesprochen hat ist nun wieder verschwunden und gab uns den Jungen zurück. Dies reicht mir im Augenblick als Antwort auf das Geschehene.«

Felix' Ächzen unterbrach die Unterhaltung. Mit noch etwas wackeligen Beinen erhob sich der Junge, schüttelte sich den Staub von den Kleidern und lächelte seinen Freunden etwas unsicher zu. »Ich glaub, wir sollten weitergehen. Wir haben heute doch noch eine Menge zu erledigen.« Er hängte sich bei Tapani ein. »Du musst mich nur ein wenig stützen, dann geht es bald wieder. Nun kommt, Zadok wird nicht warten, bis wir uns endlich mal rühren.«

»Denk nicht einmal daran!«, zischte Yashi in Manjus Kopf. »Versuch nicht seine Gedanken zu lesen. Es ist nur zu offensichtlich, dass er nicht über das Erlebte sprechen möchte. Wir haben das zu respektieren, auch wenn es mir genau so wenig gefällt wie Dir. Vergiss nicht den Eid, niemals unerlaubt in die Gedanken eines anderen einzudringen. Nur in allergrößter Gefahr dürfen Ausnahmen gemacht werden. Diese Umstände sind hier jedoch nicht gegeben.« Manju fügte sich der Rüge seines Mentors und folgte seinen Gefährten in Richtung Stadt.


»Bist Du Dir sicher, dass wir das auch alles benötigen?« Tapani ächzte unter dem Gewicht der vielen Pakete, Beutel und Taschen die sich auf seinem Rücken und Armen anhäuften. Bei der Planung der Reise und was sie alles benötigen würden legte sein Liebster eine unwahrscheinliche Energie zu Tage und so türmten sich bereits jetzt Pakete mit geeigneter Reisekleidung, Proviantbeuteln und allerlei nützlichem Krimskrams auf seinen Armen und sie waren noch nicht einmal in Sichtweite des Marktplatzes angelangt. Zwischen einem dicken Wollumhang und einem Wasserschlauch hindurch sah er Felix' Nicken und seufzte. Dass aber der Elb bisher auch nicht ein Paket in seinen aristokratischen Fingern trug, ging ihm gegen den Strich. Das wäre immerhin ein klein wenig ausgleichende Gerechtigkeit gewesen.

Sein Blick schweifte umher, während Felix gerade vor der Auslage einer kleinen Bäckerei stehen blieb. Überall sah man die Bevölkerung die Schäden an ihren Häusern beseitigen, die Straßen leer räumen und die meisten Geschäftsleute hatten bereits wieder geöffnet. So gut es ging versuchten die Einwohner Akshareens wieder ihr normales Leben zu führen. Doch die zerstörten Gebäude, verstärkt patrouillierenden Wachen und graue Fahnen, die vor viel zu vielen geschlossenen Fensterläden hingen, erinnerten den aufmerksamen Betrachter daran, dass gerade erst vor zwei Tagen Zadoks Angriff auf die magische Barriere zwischen den Reichen eines der größten Beben in der Geschichte Akshars verursacht hatte.

Manju unterbrach Tapanis Gedankengänge. »Felix, wir könnten doch im Kions essen. Nur einige Brötchen werden uns nicht genügend stärken und ehrlich gesagt vermisse ich seine Kochkünste.« Er zog indigniert die Augenbraue hoch, als er in Yashis grienendes Gesicht blickte. »Dies hat überhaupt nichts mit Kion selbst zu tun. Die Götter mögen uns vor dem Tag bewahren, an dem ein Ja'Neisa tatsächlich ein Suchhörnchen vermissen würde.« Abrupt wandte er sich ab und bahnte sich durch die Aufräumarbeiten hindurch seinen Weg in Richtung Kions und ignorierte das laute Gekicher seiner Gefährten. Doch sie hatten kein Glück. Endlich vor der Taverne angekommen starrte Manju erbost auf das große »Geschlossen«-Schild, das an die Tür genagelt worden war. Sein Magen grummelte hörbar.

»Wie kann er es wagen einfach geschlossen zu haben? Ich habe Hunger und keine Lust, nun stundenlang eine neue Taverne zu suchen, in der sowohl das Essen genießbar ist als auch nicht alles hoffnungslos überfüllt ist.« Missmutig trat der der Ja'Neisa gegen die verschlossene Tür und grummelte weiter vor sich hin. Yashi seufzte. So umgänglich sein ehemaliger Schüler auch sein konnte, die Götter mochten sie davor bewahren, wenn Manju Ja'Neisa nichts zu essen bekam. Er kannte sonst niemanden, der derart unleidlich wurde, sobald er hungrig war. Aber in einer Sache hatte Manju durchaus Recht. Es war wirklich sehr ungewöhnlich, dass Kion seine Taverne einfach so geschlossen hatte. Hoffentlich war dem kleinen Nager bei dem Beben nichts geschehen.

»Wer seid ihr denn?« ertönte eine helle Stimme hinter ihnen. Sie drehten sich um und sahen sich einer kleinen Gruppe schmuddeliger Ba'nei-Kinder gegenüber, die sie aus großen Augen anstarrten.

Manju verzog angewidert das Gesicht. Der Geruch länger nicht gewaschenen Kleidung der an den Kindern haftete, stach ihn in der Nase. Dies war einer der Momente, in denen er lieber auf die geschärfte Sinneswahrnehmung seiner Rasse verzichtet hätte. Woher diese Bande wohl kam? Er hätte nicht gedacht, dass Kion kleine Kinder in seiner Nähe dulden würde.

Yashi ging auf die Kinder zu. »Wir sind Freunde von Kion aus dem Ratsbezirk und wollten ihn besuchen. Wisst ihr vielleicht, wo wir ihn finden können?«

Ein drahtiger, etwa siebenjähriger Junge mit zerzaustem braunem Haar, wachsamen Augen und einem kleinen Schmutzstreifen auf der Wange trat einen Schritt vor und reckte sein störrisches Kinn. »Könnt ihr das beweisen? Vielleicht wollt ihr auch einfach hier einbrechen und seine Vorräte klauen.«

Manju verdrehte die Augen. Das hatte ihnen gerade noch gefehlt. Naseweise kleine Bälger die nicht erkannten wen sie vor sich hatten. In dem Augenblick rumpelte es. Tapani hatte seine Pakete vor Kions Türschwelle niedergelegt und kniete sich nun zu den Kindern, so dass er auf derselben Augenhöhe mit ihnen war.

»Guten Tag, kleiner Marek Kan'turi«, begrüßte er den kleinen Anführer und tippte diesem auf den kleinen blauen Punkt zwischen den Augenbrauen. »Ist das hier Dein Revier, mein kleiner Freund?«

»Wer sagt denn, dass ich Dein Freund bin?« Felix grinste bei den vorlauten Worten des Jungen. Der kleine Racker war wirklich mit allen Wassern gewaschen.

Tapanis Finger bewegten sich kurz flink hin und her bevor er sich vorbeugte, dem Jungen etwas ins Ohr flüsterte und dann auf seine eigene Stirnzeichnung deutete. »Na, kennst Du mich doch?" Der Junge grinste über beide Ohren und stürzte sich dann mit ohrenbetäubendem Geheul auf Tapani. Auf dieses Signal schienen die anderen Kinder nur gewartet zu haben und innerhalb kürzester Zeit wurde der Ba'nei unter einem Haufen lachender Kinder begraben.

Manju hob die Augenbraue. »Ich schätze einmal, dass diese kleine Räuberbande ihn kennt«, meinte er trocken zu Yashi. Dieser grinste.

»Es sieht ganz so aus. Doch warten wir mal, bis er sich wieder aufgerappelt und zumindest einen Teil der Kinder abgeschüttelt hat.«

Belustigt sahen er, Manju und Felix nun zu, wie Tapani allmählich wieder auf die Beine kam. Auf dem Rücken trug er eine kleine blonde Fünfjährige, an seiner Hüfte hingen zwei kleinere schwarzhaarige Jungen und auf seinem Arm grinste ihnen der Junge entgegen, den Tapani Marek genannt hatte. Mit der freien Hand wuschelte er dem Kleinen durchs Haar. »Meine Herren«; wandte er sich an seine Gefährten, »Darf ich euch Marek Kan'turi vorstellen. Er und seine Leute arbeiten für Kion.«

»Arbeiten für Kion?« »Welche Leute?« »Woher kennst Du den Jungen?« Die Fragen der drei prasselten nur so auf ihn ein. Tapani setzte die Kinder ab, um sich besser darauf konzentrieren zu können. »Halt, Stopp! Ich kann doch nicht alles gleichzeitig beantworten. Kannst Du Dich noch an Lakoma erinnern, Felix? Die junge Barmaid auf dem großen Marktfest damals.« Felix nickte. »Gut«, fuhr Tapani fort. »Marek ist ihr kleiner Bruder. Ihre Eltern sind vor einigen Jahren gestorben. Die anderen Kinder sind ebenfalls Waisen des Clans. Marek hat sie um sich geschart und nun arbeiten sie zusammen.«

»Was arbeiten sie denn? Taschendiebstahl und andere Betrügereien, mit denen sie brave Bürger um ihr Hab und Gut erleichtern? Ja, das würde ich auch 'zusammen arbeiten' nennen.« Manju verzog spöttisch das Gesicht.

Zornig stürmte Marek auf ihn zu und baute sich vor dem Elben auf. »Onkel Tapani hat nicht gelogen als er gesagt hat, dass wir zusammen arbeiten. Wir passen auf Häuser auf. Im Augenblick auf die Taverne. Kion bezahlt uns dafür mit leckerem Essen und einigen Kupferstücken. Aber es ist ja mal wieder typisch. Elben denken immer, dass Ba'nei entweder ihre Diener oder diebisches Gesindel sind.«

Manju blieb skeptisch, doch er schwieg. Er wollte nicht noch mehr Aufmerksamkeit der umstehenden Leute auf sich ziehen, als sie jetzt schon taten. Yashi entschärfte die angespannte Situation. »Ihr passt auf Häuser auf? Wie macht ihr das denn?« Der junge Ba'nei wandte sich dem viel netteren Grünling zu und ließ den Elben links liegen. Tapani lachte und kam dem Kleinen mit seiner Erklärung zuvor.

»Du hattest es noch nie mit einer Horde schreiender und kreischender Kinder zu tun, wenn Du so fragen kannst. Sie sind klein genug um sich an allen möglichen Orten gut auf die Lauer zu legen, können ohne aufzufallen vor der Taverne spielen und für den Fall, dass sie jemanden erwischen, veranstalten sie einen solchen Radau, dass noch bevor der Dieb sich davonstehlen kann bereits eine Menge Erwachsener vor der Taverne auf ihn warten würde.«

Yashi grinste. »Ich kann es mir vorstellen. Doch sag, warum nennt er Dich Onkel? Ihr stammt nicht aus dem gleichen Clan.«

Tapani nickte. »Das stimmt schon. Doch ich hab oft auf den Kleinen aufgepasst, während Lakoma arbeitete. Ich bin sein Pate und wenn er es möchte werde ich ihn in meine Gilde aufnehmen lassen. Es liegt in den Händen des Jungen doch ich denke fast, dass er seine Marktnische behalten möchte.«

Marek zupfte an Tapanis Kleidung. »Was ist denn, mein Junge?«

»Ihr wolltet doch wissen wo Kion ist. Ich sage es euch. Aber nur, weil Du dabei bist. Der Silberlocke hätte ich nichts verraten.« Manju zuckte bei diesem Seitenhieb zusammen. Es war nicht zu leugnen. Der Junge besaß genau die gleiche Unverschämtheit den Elben gegenüber wie sein so genannter Onkel. Er verstand nicht, wie man die Grenzen zwischen den Magiegeborenen und den einfachen Ba'nei derart missachten konnte. Es gab eine natürliche Hierarchie der Rassen, deren Grenzen gewahrt werden mussten.

Marek fuhr fort. »Er hat nach dem Beben nur noch solange gewartet, bis sicher war, dass das Haus nicht einstürzen würde. Gestern haben die Baumagier die Taverne wieder freigegeben und gleich danach hat er begonnen seine Sachen zu packen. Heute Morgen sind sie dann abgereist. Kion hat uns sogar zwei Silberlinge gegeben wenn wir nicht nur auf die Taverne aufpassen sondern ihm auch noch dabei helfen, im Innern wieder alles aufzuräumen.« Seine Augen blitzten stolz. »Zwei Silberlinge, Onkel Tapani! Dafür haben wir nicht nur alles wieder aufgeräumt sondern Leyla hat auch überall Wildkräutersträuße aufgehängt damit es besser riecht und wir werden jede Woche Staub wischen bis er wieder hier ist.«

Die Gefährten lächelten. Die Freude und der Stolz des Jungen über den verdienten Lohn lockerten sogar die angespannten Gesichtszüge des Elben. »Wohin wollte Kion denn so eilig?«, hakte Yashi nach.

»Ich glaube sie besuchen Rubions Familie. Auf jeden Fall war er sehr aufgeregt und nervös. Er ist überall herumgerannt und hat geflucht, weil er sich nicht noch das Fell hatte zurechttrimmen können, alles nicht schnell genug ging und er sowieso nicht wusste, was er alles einpacken sollte.«

Yashi grinste breit. »Hieß nicht seine Bedienung Rubion, Manju? Dieses überaus verfressene Suchhörnchen, das uns damals noch mit einem Hühnerbein im Mund begrüßt hatte? Da ist wohl mehr daraus geworden als nur Dienstherr und Bediensteter.« Manju nickte und seufzte dann tief.

»Dann wird es wohl wirklich nichts mit unserem Mittagessen. Zumindest nicht hier. Kommt, lasst uns zum Markt gehen, bevor die Stände kaum noch etwas zu Essen hergeben.« Er scheuchte seine Gefährten regelrecht davon, so dass auch Tapani sich nur kurz von den Kindern verabschieden konnte, ehe er seine abgelegte Last erneut hinter den anderen hertragen musste. Hoffentlich würden sie nicht noch mehr einkaufen wollen. Außer Proviant brauchten sie seiner Meinung nach nichts mehr. Tapani hoffte, dass sie jedoch noch bei den Ställen des Rates Halt machen würden, um sich zumindest ein kleines Packpferd zu beschaffen.

XLI

»Bist Du endlich fertig, Liebster? Ich konnte dem alten Banjuri noch ein weiteres Packpferdchen aus den Ratsställen abschwatzen.« Tapani blieb abrupt unter dem Türrahmen stehen und beobachtete amüsiert, wie Felix vergeblich versuchte, möglichst viele seiner Habseligkeiten in seinen kleinen ledernen Rucksack zu packen. Dieser blickte nur kurz hoch, grummelte und wandte sich dann wieder seinen Sachen zu. »Ich hoffe, Du meinst das mit dem Pferdchen nicht im wörtlichen Sinne. Oder etwa doch?«

»Na ja«, Tapani kratzte sich verlegen hinter dem Ohr. »Es gibt in Akshareen nicht sehr viele Pferde, besonders jetzt wo sie gegen Zadok rüsten und möglichst viele Tiere einziehen um Proviant, Verbandszeug und anderes zu transportieren. Wir können von Glück sagen, dass wir überhaupt welche erhalten haben. Auch wenn sie uns Lari und Patu nur deswegen überlassen haben, weil kein Elb auf ihnen reiten könnte, ohne dass seine Beine auf dem Boden schleifen. An Patu solltest Du Dich sogar noch erinnern können. Das ist dieser vorwitzige kleine Schecke, der versucht hatte, Yashis Umhang anzuknabbern, als wir heute Mittag das erste Mal die Ställe besucht haben.«

Felix seufzte, richtete sich auf und trat zu seinem Liebsten. Sachte strich er ihm eine Strähne aus der Stirn und küsste ihn sanft. »Verzeih, ich bin heute etwas überreizt. Mir geht so viel durch den Kopf.« Er schlang die Arme um Tapanis Hüften, legte den Kopf an dessen Brust und schloss die Augen. Gleichmäßig und kraftvoll pochte das Herz in der Brust des Ba'nei. Beruhigend, Trost spendend. Felix kuschelte sich enger an seinen Freund und lauschte dem tröstenden Klang.

Tapani schwieg, die Arme sachte um den Geliebten gelegt. Behutsam streichelte er über Felix Rücken und spürte, wie sich sein Freund allmählich entspannte. Was bei allen Göttern war nur mit ihm geschehen? Seit dieser tranceartigen Starre hatte er sich verändert. Wenn es nicht absolut unmöglich wäre hätte er sogar beschworen, dass Felix seither älter wirkte. Er schüttelte den Kopf über seine abwegigen Gedanken. Es war kein Wunder, dass der Ausdruck in Felix' Gesicht sich verändert hatte. Die Erlebnisse der letzten Tage und die gewaltige Aufgabe, die noch vor ihnen lag, hätten jeden beeinflusst.

»Allerliebst!« die amüsiert klingende Stimme des Grünlings ließ die beiden wie ertappte Kinder errötend auseinander fahren. Yashi kicherte. »Ach, hab ich euch etwa erschreckt? Dabei wollte ich nur wissen, ob ihr beide fertig gepackt habt. Manju gürtet gerade unsere Schlafrollen und Taschen auf die Pferde. Das Einzige, was uns noch fehlt seid ihr beide«, sein Blick fiel auf den ungepackten Rucksack Felix', »Und so wie es aussieht auch noch Dein Gepäck, mein Junge. Beeilt euch und packt zu Ende. Wir sollten bald los, wenn wir heute noch die Stadt verlassen wollen. Es ist bereits später Nachmittag und die Zeit bleibt für uns nicht einfach stehen.« Mit diesen Worten ließ er die beiden in Felix' Kammer zurück.

Felix löste sich schweren Herzens aus Tapanis Armen. »Na los, wir müssen noch meine Sachen in den Rucksack bekommen.« Irritiert zog er die Augenbrauen zusammen, als Tapani den Kopf schüttelte. »Ist etwas nicht in Ordnung?«

»Du willst viel zu viel einpacken«, stellte Tapani sachlich fest. »Klar wir brauchen einen gewissen Proviant, für den Fall, dass wir einmal nicht jagen können oder keine frischen Beeren oder Wurzeln finden. Aber Du brauchst nicht Deine gesamten Habseligkeiten mitzunehmen. Denk daran, sollten wir die Pferde irgendwo zurücklassen müssen, wirst Du Dein Gepäck sowie einen Teil des Proviants auf Deinem Rücken tragen müssen. Nimm nur das Nötigste mit.« Mit einem flüchtigen Kuss verabschiedete er sich und ließ Felix alleine.

Schweren Herzens kippte er den Rucksack aus und schüttete den gesamten Inhalt wieder zurück aufs Bett. »Der hat gut reden«, murmelte Felix. Frustriert betrachtete er seine chaotisch über das ganze Bett verstreuten Sachen. Nur das Nötigste, aber er könnte alles davon unter Umständen auf ihrer Reise gebrauchen. Die festlicheren Kleidungsstücke, die Yashi ihm für seine erste Begegnung mit dem Rat geschenkt hatte und die große Tüte mit den gezuckerten Fruchtstückchen mussten hier bleiben. Nur reisetaugliche Wäsche zum Wechseln, gefütterte Handschuhe, Schal und Mütze, dicke wollene Strümpfe sowie einige unbeschriebene Bogen Pergament wanderten in den Rucksack, ein Säckchen Tintenpulver und ein Schreibkiel in den kleinen ledernen Beutel, den er sich an den Gürtel knüpfte. Als letztes rollte er den dunkelgrauen dicken wollenen Umhang zu einer Rolle zusammen und schnallte ihn auf dem Rucksack fest. Ja, diese Last würde er zur Not auch selbst tragen können. Er ließ einen letzten bedauernden Blick über seine zurückgelassenen Habseligkeiten schweifen, legte sich den leichten Reiseumhang um, schulterte den Rucksack und machte sich auf den Weg.

Er war bereits am Ende des langen Flures angelangt und wollte die Treppe nach oben steigen, als er stehen blieb. Wie unter Zwang drehte er um und eilte in seine Kammer zurück. Da lagen sie. Felix eilte zum Tisch und steckte sich einige der gefalteten Pergamentstücke in die Innentasche seines Wamses. Er wusste nicht warum, aber er hatte das untrügliche Gefühl, dass ihm dies auf seiner Reise noch von großem Nutzen sein würde.

»Da bist Du ja endlich!«, begrüßte ihn Manju vorwurfsvoll, als Felix endlich auf die bereits vor den Stufen des Ratsgebäudes wartende Gruppe stieß. Doch Felix grummelte nur kurz in die Richtung seiner Freunde, bevor er seinen Rucksack auf einem der Packpferde befestigte. Nach einem kurzen Blick auf seine kapuzenverhüllten Gefährten rückte er seinen Umhang zurecht und zog sich die Kapuze über den Kopf, tief ins Gesicht. So war es besser, sie wollten ohne großes Aufsehen die Stadt verlassen und nach seinem Auftritt vor dem Rat war das unverhüllt wohl nicht mehr ganz so einfach. »Ich weiß, es hat etwas gedauert. Ich hatte noch eine Kleinigkeit vergessen. Können wir nun?« Mit den Führungsleinen der beiden Pferde in der Hand drehte sich Felix zu seinen Freunden um.

»Nicht so schnell meine Freunde.« Lasaju schritt die Treppenstufen des Gebäudes hinunter während Yagoda neben ihm herschwebte. »Onkel«, Manju trat vor und neigte den Kopf. »Ist etwas geschehen?«

Lasaju verzog das Gesicht zu einem gequälten Lächeln. »Du meinst außer das Dein junger Freund die gesamte Elite des Landes in Aufruhr versetzt hat, den Rat brüskiert und unsere gesamte Befehlsgewalt in Frage gestellt hat?« Felix zuckte bei diesen Anschuldigungen zusammen, doch Lasaju winkte ab. »Oh ich würde nie etwas gegen Illaris weisen Beschluss sagen, mein Junge. Es ist nur etwas ungewohnt, und ich gestehe, auch etwas beunruhigend, wenn man auf einmal die Befehle entgegennimmt statt sie zu erteilen. Doch wir werden uns auch daran gewöhnen.«

»Deswegen sind wir auch nicht hier«, mischte sich Yagoda an dieser Stelle ein. »Sondern um euch im Namen des Rates zu verabschieden.« Der alte Grünling hob die Hände und Felix spürte für einen kurzen Moment, wie ein Gefühl der Wärme ihn durchströmte. Ein Blick auf seine Freunde offenbarte ihm, dass sie dasselbe empfanden. Er blickte auf den mild lächelnden Yagoda. »Geht mit unser aller Segen und mögen die Götter eurer großen Aufgabe Glück bescheren. Kommt her«, er winkte Manju und Yashi zu sich.

»Nehmt dies mit Euch. Es wird euch auf eurer Reise gute Dienste leisten können. Bewahrt es gut.« Mit diesen Worten reichte er dem Elben einen goldenen Siegelring mit den Insignien des Rates und seinem früheren Schüler ein versiegeltes Pergament. »Mir ist klar, dass ihr es vorzieht nicht unter der Flagge des Rates zu reisen. Doch alleine die große Illari weiß, was euch erwarten wird. Sollte es notwendig werden, so habt ihr hier Brief und Siegel des großen Rates von Akshar, die euch mit allen nötigen Befugnissen ausstatten. Nun geht und mögen die Götter euch leiten.« Mit diesen Worten verabschiedeten sich die beiden Ratsmitglieder von der kleinen Gruppe und kehrten zurück in die große Halle.

Auf ihrem Weg den Ratshügel hinunter und quer durch die Stadt kamen sie gut voran. In dem geschäftigen Treiben auf den Straßen und den Wiederaufbauarbeiten überall fiel die ungewöhnliche Reisegruppe kaum auf, doch kurz vor dem großen, eisenbeschlagenen Stadttor wurden sie von einer Shinmari-Patrouille angehalten. Ihr Anführer, ein kräftiger und geschmeidiger grauer Kater wandte sich an Felix, während zwei andere Krieger nach den Halftern der nervös tänzelnden Pferde griffen. »Verzeiht, doch ich muss euch bitten, mich zur Königin zu begleiten. Kommt, sie erwartet euch bereits in unserem Lager.«

Felix zog verärgert die Augenbrauen zusammen, runzelte die Stirn. Welchen Scherz erlaubten sich die Götter mit ihm? Erst wurde er zur Eile ermahnt, ja regelrecht gehetzt, und nun wurden sie ständig aufgehalten. Doch nun auch noch zur Shinmari-Königin zitiert zu werden, das ging entschieden zu weit. Sichtlich genervt trat er einen Schritt vor. »Ich glaube nicht, Hauptmann, dass wir dies tun werden. Wir haben ein Ziel vor uns und dieses liegt nicht in den Zelten der Königin.« Mit diesen Worten griff er nach den Zügeln des kleinen Schecken. Der Patrouillenführer stellte sich ihm in den Weg, doch bevor er Felix noch einmal nachdrücklich auffordern konnte, ihm zu folgen blieb dieser einfach stehen, ließ die Zügel fallen und griff mit einem gepeinigten Aufschrei nach seinem linken Handgelenk. Erschrocken hob der Shinmari abwehrend die Tatzen. »Ich habe ihn nicht angefasst, ehrenwerter Yashi.« Dieser war bei Felix' Aufschrei sogleich neben ihn geschwebt.

»Das wirft Dir auch keiner vor, Sh'Tar. Warte kurz, ich schätze, wir werden euch gleich zur Königin folgen.« Nun wandte er sich an seinen jungen Schützling. »Ist es dasselbe wie heute früh in der Ratshalle? Da hast Du auch aufgeschrien und danach deine große Rede gehalten.«

Felix nickte. »Der Armreif wurde heiß und fühlte sich an wie ein brennendes Band«, presste er zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor und zog den Ärmel seines Hemdes zurück. Doch die Haut war unversehrt. Selbst der Armreif schlang sich nun wieder kühl um das Gelenk. »Ich schätze«, er nickte in Richtung der wartenden Shinmaris, »Dass es wohl nicht verkehrt sein wird, dem Wunsch der Königin nachzukommen. Los, gehen wir. Ich möchte endlich aufbrechen können und nicht noch eine Nacht in Akshareen verweilen.«

Sh'Tar atmete erleichtert auf, als sich die kleine Gruppe nun widerspruchslos von ihm zum Zeltlager der Shinmaris vor den Stadtmauern führen ließ. Alleine bei der Vorstellung, der leicht reizbaren Königin mit leeren Tatzen unter die Augen treten zu müssen, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Er führte sie zwischen den einfachen Unterkünften der Krieger hindurch. Es waren schlichte Zelte, die aus Planen aus dicken und robusten Stoffen bestanden, die straff über senkrecht in den Boden gerammte Pfähle gespannt wurden. Sie bildeten einen Kreis um einen kleinen Versammlungsplatz mit Feuerstelle. An dessen Ende stand das prächtige Zelt der Königin. Felix blieb staunend stehen. Derartigen Prunk hätte er bei den Shinmaris nicht erwartet.

Zwei armdicke und mit goldenen Lanzenspitzen gekrönte Pfähle bildeten die zwei Hauptpfeiler des Zeltes und markierten die beiden Eckpunkte des spitzen Daches. Die schwarzen, mit Goldornamenten bestickten, Planen wurden von geschickt gespannten Seilen so gehalten, dass sie vom Dachende her senkrecht zu Boden fielen, wodurch im Innern ein großer Raum entstand, in dem man überall ohne Schwierigkeiten aufrecht stehen konnte. Über dem Eingang wölbte sich ein Vordach über einem rostfarbenen Teppich, der bis ins Innere des Zeltes reichte. Davor standen zwei muskulöse Wachen, die mit den üblichen Waffen der Shinmaris, dem quer über die Brust getragenen Ledergurt mit mehreren eingearbeiteten Dolchscheiden und einer Bardiche, bewaffnet waren. Die Lendenschurze und die hüftlangen Umhänge waren im selben ockerfarbenen Ton gehalten wie die Sh'Tars, der Farbe der königlichen Leibgarde.

Als sich die kleine Gruppe dem Königszelt näherte, hob der Patrouillenführer die Tatze und blieb stehen. »Wartet hier, ich werde der Königin mitteilen, dass ihr nun bereit seid für die Audienz.« Mit diesen Worten verschwand er im Inneren des Zeltes. Felix versuchte hineinzuspähen, doch zwischen den breiten Schultern der Wachen hindurch war kaum etwas zu erkennen. Kurze Zeit später hörte er ein lautes Fauchen. Die beiden Krieger traten zur Seite und gaben den Eingang frei. »Ich schätze mal, dass dieses Fauchen die Aufforderung war einzutreten«, meinte Felix und trat ins Innere.

Unter seinen Füssen spürte er die weichen Felle, mit denen das gesamte Zeltinnere ausgelegt war. An den Seiten standen niedrige Tische, auf denen verschiedene Speisen und Tonkrüge standen. Große Kissen und Hocker bildeten auf beiden Seiten des Zeltes einen lockeren Halbkreis, und flankierten so den Weg zum mit kunstvollen Schnitzereien verzierten Thronsessel der Königin. Felix blickte sich suchend um. Von der Königin war nichts zu sehen, jedoch hörte er aufgebrachte Laute aus jenem Teil des Zeltes, der mit bodenlangen Vorhängen vom restlichen Teil abgetrennt war. Es mussten mehrere der Katzen dahinter verborgen sein, doch es war Felix nicht möglich, die genaue Anzahl der Stimmen aus dem Gewirr aus Knurren und Fauchen herauszuhören. Er drehte sich wispernd zu Yashi um. »Sollten wir nicht besser wieder gehen? Die Königin scheint schlechte Laune zu haben und ich weiß noch genau, was sie das letzte Mal getan hat, als sie wütend war.« Mit Schaudern erinnerte sich Felix an jenen Tag, als die Königin nach der Gefangennahme der Shinmari-Rebellen ihren eigenen Sohn zur Höchststrafe verurteilt, ihn verbannt und jegliche Magie und Verstand aus ihm herausgebrannt hatte.

Yashi schüttelte den Kopf und signalisierte Felix, dass sie einfach hier warten sollten. Der Junge seufzte.

Aufgebracht tigerte sie mit gesträubten Nackenhaaren und angelegten Ohren auf und ab, während ihr Schwanz hin und her peitschte und der knielange Umhang umherwirbelte. Mit einem lauten Fauchen fuhr sie schließlich herum und blieb mit hochgerecktem Kinn vor Sh'Tar stehen. Ihre Brust hob und senkte sich heftig. »Wie konntest Du es zulassen? Wie konnte es geschehen, dass dieser Flegel, dieser schamlose Kater vor Deinen Augen sein Unwesen treiben konnte und Du ihn nicht gemaßregelt hast?!« Ihre Schnurrhaare zitterten vor nur mühsam in Zaum gehaltener Wut, während sie den Anführer ihrer Leibgarde aus zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen Augen anklagend musterte. Der hochgewachsene Kater schluckte leer und duckte sich ergeben.

»Aber Mutter«, eine zierliche, schwarz-grau getigerte Katze, die sich in eines der Seidenlaken gewickelt hatte, erhob sich vom großen Diwan in der Ecke und trat einen Schritt vor. Während sie mit der einen Pfote das Laken fest vor der Brust zusammenhielt und sich bemühte nicht über den Saum zu stolpern, versuchte sie vergeblich ihren purpurfarbenen Lendenschurz und den Umhang unter eines der ebenfalls auf dem Boden herumliegenden Kissen zu schieben. Einschmeichelnd blickte sie zur Königin auf. »Aber Mutter, Sh'Tar kann doch wirklich nichts...«

»Schweig, junge Dame!« Ungnädig blitzte Shi'Maj ihre Tochter an. »Über Deinen Anteil an dieser unglücklichen Geschichte werden wir uns noch ausführlich unterhalten, Shi'Mira. Du bist meine Thronerbin, Prinzessin der Familie Shi'zira und hast nicht die Freiheit einfach zu tun und zu lassen was Dir gefällt. Mit diesem Amt sind Pflichten gegenüber der Familie und unserem Volk verbunden. Merke Dir das gefälligst. Nun zieh Dich endlich wieder an.« Shi'Mira ließ sich zurück auf den weichen Diwan sinken. Solange ihre Mutter in dieser Stimmung war, konnte man mit ihr nicht reden. Mitleidig blickte sie auf den Anführer der Leibgarde, auf den sich nun wieder die gesamte Wut der Königin richtete.

Sh'Tar schluckte leer und senkte demütig den Blick, als die Königin einen weiteren Schritt auf ihn zu trat. Ihr zischend ausgestoßener Atem streifte seine Schnurrhaare und ihre scharfen Reißzähne waren nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Zu seinem Bedauern war er es leider gewohnt, dass es wegen des Verhaltens seines Sohnes immer wieder zu Klagen Anlass gab, doch dieses Mal war Sh'Car eindeutig zu weit gegangen. »Verzeiht, meine Königin. Es ist wahrlich unverzeihlich, was mein Sohn sich geleistet hat. Ich werde ihn umgehend mit einer Patrouille zurück in die Heimat und weiter nach Shizar schicken. Ich habe noch die kleine Hoffnung, dass ihn das harte Leben unter den Grenzwachen endlich Verantwortungsbewusstsein und Pflichtgefühl lehren wird. Der Drill und die häufigen Scharmützel mit den Zadoniern dürften wahrlich die angemessene Strafe sein.«

»Shizar?!«, keuchte die Prinzessin entsetzt. »Aber Mutter, das ist am anderen Ende von Akshar. Mehrere Tagesreisen von hier entfernt. So schlimm war das Ganze doch wirklich nicht«, fuhr sie flehend fort.

Shi'Maj knurrte verärgert. »Ich habe es so satt, dass sich dieser unmögliche Kater immer wieder aus der Verantwortung stehlen kann. Diesmal muss er büssen.«

»Mutter!« »Natürlich, meine Königin« Die Prinzessin und Sh'Tar sprachen wild durcheinander. Beide darum bemüht, den Zorn der Königin zu besänftigen.

»Es reicht!« fauchend und mit gesträubtem Fell warf Shi'Maj ihre Pfoten in die Luft. »Kein Wort mehr. Die anwesenden Shinmaris zuckten zusammen, duckten sich und klemmten ihre Schwänze zwischen die Hinterbeine.

»Aber eure Hoheit, bitte zürnt mir nicht dermaßen. Es ist doch beinahe nichts geschehen und für diesen kleinen Ausrutscher gleich nach Shizar? Das ist nicht gerecht. Ich gelobe auch, dass ihr mich nie wieder mit Eurer Tochter erwischen werdet, liebste Tante.«

Ein tiefes, samtenes Schnurren erklang aus dem Schatten der gegenüberliegenden Ecke des königlichen Schlafgemachs, aus der ein großer geschmeidiger Kater mit zerzaustem, weißgrauem Fell hervortrat. Er näherte sich in geduckter Haltung seiner Königin und blickte sie treuherzig an. »Ich gelobe auch, dass ich mich bessern werde. Doch bitte, nicht nach Shizar zurück. Der trockene Wüstenwind ruiniert mir mein Fell.«

Sh'Maj verdrehte entnervt die Augen. Dieser Kater hatte zuviel Charme um ihm lange zürnen zu können doch dieses Mal, so schwor sie sich, würde er sie nicht wieder mit sanft geschnurrten Komplimenten becircen können. »Spar Dir Deine Schmeicheleien für die Wüste auf, denn Du wirst sie brauchen. Dass Du die Hälfte der Krieger meiner Leibgarde verführt hast, konnte ich übersehen und dass es Dir an der erforderlichen Disziplin und Selbstbeherrschung mangelt auch. Aber dass Du es tatsächlich gewagt hast, hier in meinem Zelt und vor meinen Augen mit der Prinzessin, meiner Tochter, herumzupoussieren und Dich mit ihr in meinem Schlafgemach, auf meinen Laken zu wälzen, das geht entschieden zu weit!« Bei jeder zornig gefauchten und geknurrten Anschuldigung zuckte der junge Kater schuldbewusst zusammen. Shi'Mira und er hätten sich doch besser wieder in den Hügeln getroffen, anstatt ausgerechnet im Bett ihrer Mutter der Lust nachzugeben.

»Aber liebste Tante...«, schmeichelte der gescholtene Kater und versuchte verzweifelt, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

»Nichts Tante. Wäre Sh'Tar nicht mein Lieblingsbruder wärst Du schon längst auf Strafpatrouille entlang der Grenze zu Zadonia oder gar in Zadonia selbst, um Jagd auf Saroner zu machen. Geh und pack Deine Sachen. Noch heute wirst Du nach Shizar aufbrechen und für sechs volle Monde dem dortigen Kommandanten unterstellt. Benimmst Du Dich ordentlich und fügst Dich endlich den Dir erteilten Anweisungen, werde ich nach Ablauf dieser Zeit darüber entscheiden, ob Du hierher zurückkehren darfst oder noch weitere sechs Monde das Vergnügen haben wirst, dich mit Dunkelelben zu schlagen und Sandflöhe aus Deinem Fell zu schütteln... und nun geh!«

»Sh'Tar«, wandte sie sich an den graufelligen Kater, der mit gefasster Miene dem Geschehen gefolgt war. »Bitte unterrichte meine Gäste darüber, dass ich mich gleich zu ihnen gesellen werde. Nun nimm Deinen Jungen und schaff ihn hier raus.«

Sie bückte sich und warf ihrer Tochter die Kleidung zu. »Zieh Dich an.« Nach einem letzten anklagenden Blick wandte die Königin sich ab, strich ihren knielangen Umhang glatt und rückte die goldenen Geschmeide, die sich um ihre Unterarme und den Hals schlangen zurecht.

»Gewiss, meine Königin«, Sh'Tar verneigte sich und trat, die Pfote um den Nacken des jungen Katers gekrallt hinter der Abtrennung hervor und sah sich den leicht verlegenen und neugierigen Blicken Felix' und dessen Freunden ausgesetzt. Entschuldigend hob er die Schultern und schüttelte Sh'Car unsanft. »Verzeiht, meine Freunde. Doch die Königin wird euch sogleich empfangen. Doch nun entschuldigt mich bitte, ich muss diesen jungen Kater in sein Zelt eskortieren.«

»Dein Bursche, Sh'Tar?«, fragte Yashi neugierig. »Außer aufgebrachtem Fauchen und Knurren war nicht sehr viel zu verstehen. Doch scheint es mir so, als ob dieser junge Krieger wohl damit zu tun hat, dass die Königin und hochgeschätzte Ratsherrin Shi'Maj gerade tobte.«

Sh'Tar seufzte schwer. »Leider ist er einer der meinigen. Seine Kapriolen treiben mich noch in ein frühes Grab. Doch nun entschuldigt mich. Ich möchte ihn hier rausschaffen, ehe er die Königin erneut verärgert.« Der weißgraue Tiger zeigte sich von der Schelte des Vaters eher unbeeindruckt und zwinkerte Felix aufreizend zu, um sich dann lasziv mit der Zunge über die Schnauze zu fahren. Seufzend packte Sh'Tar erneut den Nacken seines Sohnes und zerrte ihn an dem breit grinsenden Yashi und einem verwirrt blickenden Felix vorbei aus dem Zelt.

»Yashi?« Felix drehte sich irritiert zu dem kleinen Grünling. »Dieser Kater... wollte er mich eben anmachen?« Der Grünling gluckste während Tapani bei dem Gedanken säuerlich das Gesicht verzog.

»Sh'Car würde wohl selbst mit einem Dawi flirten, wenn sie ihm nicht sogar als Frühstückshappen zu klein wären. Es scheint ihm im Blut zu liegen. Wie man hört, hat er dem halben Hofstaat der Königin den Kopf verdreht«, erklärte Yashi. »Doch nun sollten wir dieses Thema fallen lassen. Nachdem Shi'Maj sich etwas beruhigt hat, möchte ich sie nur sehr ungern erneut in Rage bringen.«

»Wie wahr Du doch sprichst, mein lieber Freund. Also sprechen wir nicht weiter darüber, denn wir haben bereits genügend Zeit vergeudet.« Das samtene Schnurren der Königin ließ alle Anwesenden zusammenzucken. Eilig wandten sie sich in Richtung Thron und neigten den Kopf. Shi'Maj nickte ihnen hoheitsvoll zu, ehe sie sich auf ihrem Platz niederließ und ihren purpurnen Umhang um sich drapierte. Während Yashi und die Königin nun höfisches Geplänkel austauschten blickte sich Felix um. Die bis zu zwei Meter großen Katzen schüchterten ihn immer noch ein, doch wenn ihre Königin beabsichtigte, nun das gesamte höfische Protokoll durchzugehen, würden sie noch weit nach Sonnenuntergang hier festsitzen. Entschlossen räusperte er sich. Shi'Maj drehte den Kopf und nickte ihm zu.

»Ich sehe, dass Du es kaum erwarten kannst, endlich loszuziehen. So will ich es denn nicht länger hinauszögern sondern euch das geben, weswegen ich euch zu mir rufen ließ.«

Sie winkte einen Krieger ihrer Garde zu sich, dem sie ein gefaltetes Pergament und einen goldenen Armreif in die Pfoten drückte. Der Kater verneigte sich vor ihr, ehe er beides an Yashi übergab. Der kleine Grünling blickte sie fragend an.

»Dies ist ein Dokument, welches euch freies Geleit und den Schutz durch unsere Krieger zusichert, sollte euch euer Weg durch die Wüsten und Steppen unseres Reiches führen. Überdies verheißt euch mein Armreif jegliche gewünschte Unterstützung durch mein Volk. Für jeden Shinmari wird es so sein, als ob ihr mit meiner Stimme zu ihnen sprecht.« Sie lächelte leicht. »Ich wünsche euch viel Erfolg und der Segen der Götter möge jeden eurer Schritte begleiten.« Sie nickte ihnen zu und richtete ihre Aufmerksamkeit auf einen jungen Shinmari, der ihr Bericht über die wichtigen Ereignisse im Lager erstattete.

Felix, noch irritiert durch diese schnelle Entlassung durch die Königin folgte seinen Freunden wieder nach draußen, wo ein Shinmarikrieger mit ihren Packpferden wartete. Doch nicht nur er.

Manju zog die Augenbraue hoch. »Kion, Rubion? Was führt euch denn an diesen Ort? Nachdem die Taverne heute geschlossen war, hätte ich euch gut eine halbe Tagesreise von Akshareen entfernt vermutet.«

Kion grinste ihnen erfreut zu, während Rubion gerade einen Apfel verspeiste. Beide trugen sie kleine Rucksäcke und schienen sich bereits mit der lohfarbenen Lari und dem übermütigen Schecken Patu angefreundet zu haben. »Die Abreise hatte sich ein klein wenig verzögert, da uns der Proviant knapp geworden war«, Kion warf einen vielsagenden Blick in Richtung Rubion, der sich gerade das letzte Krümelchen des Apfels aus seinen Schnauzhaaren wischte. »Also mussten wir erst noch einmal auf den Marktplatz um unsere Vorräte wieder aufzufüllen. Als wir dann sahen, dass die Shinmari euch hierher brachten, dachten uns, dass wir die kurze Zeit auch noch warten könnten, um uns vor der Abreise noch persönlich von euch zu verabschieden und euch viel Glück zu wünschen. Doch sag, wo führt euch denn euer Weg als Nächstes hin?«

»Kion!« Yashi schüttelte den Kopf. »Was möchtest Du wirklich?« Der kleine Nager zupfte sich einen imaginären Fussel aus seinem Fell und blickte Yashi treuherzig an. »Eigentlich wollten wir erst in den östlichen Wald reisen, um meine Familie zu besuchen. Doch durch das Zusammenziehen des Heeres und die angespannte Lage im Grenzgebiet haben wir entschieden, dass es wohl doch ratsamer ist, als erstes Rubions Familie zu besuchen, die in den nordwestlichen Wäldern lebt.«

»Ach?« Yashi grinste. »Du besuchst schon seine Familie?« Manju, Felix und Tapani kicherten, als das Suchhörnchen kurz nach Worten suchte und dann schwieg. Wäre nicht das dichte braune Fell, sie hätten es wohl erröten sehen. Kion nickte. »Ja wir wollten sie besuchen und dachten, dass wenn ihr zufällig in die gleiche Richtung reist, wir euch begleiten könnten. Zumindest einen Teil des Weges.«

Tapani schüttelte bedauernd den Kopf. Er mochte Kion, vor allem, seit er dem kleinen Marek eine Arbeit verschafft hatte. Das Suchhörnchen ließ die Schultern hängen als auch Manju und Yashi verneinten. Doch Felix überraschte sie alle. »Doch, wir können euch einen Teil des Weges Gesellschaft leisten. Egal wo euer Ziel ist, doch unseres liegt in nordwestlicher Richtung.«

XLII

Yashi kicherte gerade über die kleinen Anekdoten, die Kion aus der Taverne zu berichten hatte, doch das in seinen Augen belanglose Reisegeplauder seiner Gefährten plätscherte unbeachtet an Felix vorbei. Dieser brütete still vor sich hin und fragte sich, ob die anderen ihn nicht für vollkommen verrückt hielten. Selbst Tapani musterte ihn immer wieder seltsam von der Seite. Er konnte ihnen dies nicht verübeln, denn an ihrer Stelle würde es ihm wohl genau so ergehen. Sie waren inzwischen seit drei Tagen unterwegs und noch immer konnte er ihnen nicht sagen, wohin die Reise sie führen würde. Noch immer stellten sie seine Entscheidung nach Westen zu wandern nicht in Frage, doch wie lange dies noch so bleiben würde, wussten alleine die Götter. Felix hoffte, dass es noch lange dauern würde. Wie sollte er den anderen auch erklären, dass er sich einfach nur auf sein Gefühl verließ, das ihn aus Akshareen hinaus in den Nordwesten des Reiches, mit seinen ausgedehnten Wäldern und den massiven Bergketten zog. Doch an welchen Ort genau war vollkommen ungewiss. Illari hatte ihm geraten, auf seine innere Stimme zu hören, doch Felix war sich nicht mehr sicher, ob es wirklich die magischen Kräfte des Armreifes und sein Gefühl waren, die ihn auf diese Reise geschickt hatten oder ob er einfach nur willkürlich eine bestimmte Himmelsrichtung eingeschlagen hatte. Er konnte nur darauf vertrauen, dass ihn der Armreif erneut schmerzhaft darauf hinweisen würde, wenn er vom Weg abkommen würde.

Felix seufzte und zog die Führungsleine etwas straffer, da Patu, der kleine Schecke schon wieder an einer besonders viel versprechenden Stelle stehen bleiben wollte, um das zarte Gras abzuweiden. Das Packpferd warf ihm einen unwilligen Blick zu, schnaubte, doch es gehorchte. Felix verzog das Gesicht und lief weiter hinter seinen Freunden her. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich über die letzten Geschehnisse in Akshareen nach. Wie gerne hätte er mit Yashi, Yagoda oder gar Lasaju darüber gesprochen, doch eben dies war ihm verwehrt. So blieb er mit seinen Ängsten alleine. Konnte mit niemandem über diese seltsame, sogar beruhigende Kälte und Dunkelheit sprechen, die an jenem Ort zwischen den Welten herrschte. Konnte niemandem davon berichten, wie sich ihr Blick in seinen gebohrt und bis auf den tiefsten Grund seiner Seele geblickt hatte. Was mochte sie in ihm gesehen haben? Felix wusste es nicht. Seine Gedanken wanderten zu jenem Moment zwischen den Welten zurück, an dem sich sein Leben für immer verändert hatte.

»Gibt es keinen anderen Weg?«

»Es liegt alleine in Deinen Händen. Was Du verlangst ist weit mehr wert, als Du zu geben in der Lage bist. Doch ich werde mich in diesem besonderen Fall mit weniger zufrieden geben. Nun sag, gilt unser Handel?

Felix erschauerte. Noch immer sah er die glänzenden, tiefschwarzen Augen vor sich, in denen sich die Unendlichkeit widerspiegelte. Glaubte, den süßen und schweren Duft der Patchouliblüten zu riechen.

»Ja, unser Handel gilt. Ich gebe Dir mein Wort darauf. Nun erfülle Deinen Teil der Abmachung.« Er fühlte das zustimmende Nicken mehr, als er es sah.

»Dann möge es so sein. Doch denke daran, Du bist zum Schweigen verpflichtet. Nun geh und nutze das Licht in Dir.«

Es war eine Erfahrung gewesen, die weit über alles hinausging, was er in seinem jungen Leben jemals verspürt hatte. Zu spüren, wie das pure Leben durch seinen Körper pulsierte, durch seine Arme schoss und jenen kleinen blauen Mond neu erstrahlen ließ, war überwältigend gewesen. Er hatte Leben und den Tod zur gleichen Zeit gesehen und mit jeder Faser seines Körpers gespürt. Ein kalter Schauer rann über seinen Rücken beim Gedanken daran, welchen Preis es ihn gekostet hatte, um eben jene unglaubliche Kraft in sich zu spüren. Damals, an diesem Ort zwischen den Welten, erschien es ihm die einzige Lösung zu sein. Doch was wenn er sich irrte? Seine Gedanken schweiften erneut ab.

Er schloss die Augen und ließ sich fallen. Er fühlte, wie er mit dem Stern verschmolz, sich in seinem Licht verlor. Kraftvoll pulsierte die Energie durch seinen Körper, schoss durch seine Arme in die kleine Kugel. Mit einem Lächeln öffnete Felix seine Hände und gab sie frei. Noch etwas zögerlich schwebte der blaue Mond zurück in seine Bahn.

Felix seufzte. Ja, er hatte die richtige Entscheidung getroffen, auch wenn die Angst vor deren Folgen sich fest in seinem Herzen eingenistet hatte. Wie gerne hätte er sich seinen Freunden offenbart, doch er fürchtete diese Konsequenzen noch mehr, als den zu bezahlenden Preis.

Am liebsten hätte er seine Schuhe ausgezogen und seine Zehen in das weiche Gras unter sich gegraben. Manju holte tief Luft. Es war schön, wieder hier zu sein. Auch wenn es am Horizont noch nicht zu sehen war, so spürte er doch den tröstlichen Ruf seiner Heimat. Die Magie Aksh'anjus, die Stadt der Ja'Neisa. Zum ersten Mal seit der Trennung von Konjaru spürte er, dass die Angst, die sein Herz fest in ihren Klauen hielt, durch die Nähe zu seinen Wurzeln gelindert wurde.

Er ließ sich ein kleines Stück zurückfallen um mit dem kleinen Grünling zu sprechen, der gerade an einem kleinen Stück getrockneter Zu'Paki-Wurzel herumkaute. »Spürst Du es auch, mein Freund?«

Yashi schüttelte den Kopf. »Wir bewegen uns weitab von den offiziellen Straßen, doch ich weiß, in welche Richtung wir uns bewegen. Doch ob wir wirklich die Straßen Aksh'anjus betreten werden, weiß alleine der Junge.«

»Ich frage mich, was er wohl in der Heimstätte der Ja'Neisa will. Doch ich muss gestehen, dass ich hoffe, noch heute Abend die Türschwelle meiner Eltern zu überschreiten. Ich fühle die Magie der Stadt bis hierher. Sie ist erfüllt mit der Magie von Jahrhunderten. Der Essenz der Ja'Neisa. Fühlst Du, wie sie durch Dich hindurchfließt?« Manju lächelte.

»Ich bin kein Hochelb, Manju, sondern ein Grünling, ein Geschöpf der Erde. Genau wie Deine Verwandten, die Wald- und Flusselben bin ich durch und durch ein Geschöpf Kalanjas, deren Magie ich in jedem Grashalm oder Stein des Reiches fühle. Doch Du, mein Freund, bist ein Ja'Neisa. Nicht umsonst nennt man euch auch Ishans Kinder. Ihr habt eure ganz eigene Magie, die euch alleine vorbehalten ist. Ich spüre lediglich ein leichtes Kribbeln. Wie bei einem vorwitzigen Sonnenstrahl, der sich am frühen Morgen durch die Vorhänge stiehlt und die Nase kitzelt.«

Sie schritten schweigend weiter. Immer wieder blickte der kleine Grünling sich misstrauisch um und suchte den Horizont nach verräterischen Spuren ab. Er konnte es nicht genauer benennen. Es war, als ob seine Wahrnehmung durch einen unsichtbaren Nebel getrübt wurde. Jedoch war er sich sicher, dass irgendwo dahinter weitere zadonische Spähtrupps lauerten. Schon einmal war es ihnen gelungen, Felix in ihre Gewalt zu bringen und Zadok würde kaum von seinem Vorhaben ablassen, den Jungen und die in ihm ruhende Macht in seine Gewalt zu bringen. Sie mussten all ihre Sinne offen halten um mögliche Gefahren früh genug zu erkennen.

Ein Aufschrei lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Geschehnisse wenige Meter vor sich. Kion, dem Manju die Führungsleine von Lari anvertraut hatte, hing hilflos an deren Zügel und stieß eine Reihe äußerst fantasievoller Flüche aus während Rubion ein Gesicht schnitt, als ob er das Lachen nur äußerst mühsam unterdrücken konnte. Es schien, als ob es dem Pferd nicht gefiel, den Befehlen eines kleinen Suchhörnchens gehorchen zu müssen. Manju grinste und kehrte eilig an die Spitze der kleinen Reisegruppe zurück um Kion aus seiner misslichen Lage zu befreien. Kaum hatte er Laris Zügel wieder fest in der Hand und Kion festen Boden unter den Füssen stürzte sich das Suchhörnchen auf den immer noch schmunzelnden Rubion. Yashi konnte zwar nicht hören was gesprochen wurde, doch Rubions eingezogener Kopf sprach Bände. Schmunzelnd beobachtete er, wie sich Kions erboste Haltung in Luft auflöste, als sich sein 'Diener' Abbitte leistend an ihn kuschelte und an seinem Ohr knabberte.

Immer noch über die beiden Suchhörnchen schmunzelnd blickte Yashi sich um. Felix trottete mit Patu immer noch schweigend hinter ihnen her. Entgegen dem, was er dem Elben erzählt hatte, brannte auch er darauf zu erfahren, wohin die Reise sie führen würde. Doch wer vermochte zu sagen, wodurch Felix angetrieben wurde. War es Illaris leitende Hand, das Herz, oder gar einfach der Junge selbst? Er wusste es nicht. Zweifelnd fragte er sich einen kurzen Augenblick, ob Felix der gewaltigen Aufgabe die vor ihnen lag auch wirklich gewachsen war. Würde er die schwere Bürde tragen können oder irrte die Göttin und er brachte nicht die ersehnte Rettung sondern den Untergang? Unwillig schüttelte er den Kopf. Solche Gedanken führten zu nichts.

»Yashi!« Tapani, der die Gruppe immer mal wieder verließ um durch die Gegend zu streifen kehrte zurück. Yashi musterte den Ba'nei und erkannte die zwei Kaninchen, die von seinem Gürtel hingen.

»Wie ich sehe, war das Jagdglück Dir hold. Hast Du außer Kaninchen noch etwas entdeckt, während Du umhergestreift bist?«

Tapani schüttelte verneinend den Kopf. »Nur eine kleine Karri-Familie, die mit ihren Wagen und Tieren auf der Landstrasse unterwegs war. Doch nun entschuldige. Ich möchte gerne zu Felix.« Mit diesen Worten verließ er den Grünling und trat an die Seite seines schweigsamen Freundes. Still wanderte er neben ihm her. Wenn er nur wüsste, was vor ihrer Abreise geschehen war. Seither war Felix so verschlossen und in sich gekehrt. Selbst des Nachts kuschelte er sich kaum noch an seine Brust. Leise Unsicherheit beschlich ihn. Felix schien sich innerlich so weit von ihm entfernt zu haben. Tapani fürchtete ihn zu verlieren, wenn sich dies nicht bald wieder ändern würde.

Es war später Nachmittag, als in der Ferne die filigranen Türme Aksh'anjus am Horizont sichtbar wurden. Manju, dessen Sorge um den Liebsten unerbittlich an ihm zehrte, je näher sie den Drachenbergen kamen, lächelte. Sein Blick schweifte über den ausgedehnten Nordwestwald, die steilen und schroffen Felsen der Drachenberge in der Ferne und kehrte zurück zu den Türmen seiner Heimat. Gegen Abend würden sie die Stadt erreichen. Im Geiste wanderte Manju bereits durch die Strassen seiner Kindheit und schloss seine Familie in die Arme, als ein Ruck an Laris Führungsleine ihn innehalten ließ. Verwundert drehte der Elb sich um. Nicht nur Lari, alle waren sie stehen geblieben. Seine Gefährten blickten fragend zu Felix, der unverwandt Richtung Westen starrte. Er streckte seinen Arm aus. Ein Sonnenstrahl fing sich in seinem Armreif und tauchte ihn für einige Sekunden in gleißendes Licht. Manju blinzelte. Er musste sich getäuscht haben.

»Dahin müssen wir.« Felix' Worte verwirrten ihn. Der Junge zeigte nicht in Richtung Drachenreich, wie er es sich erst erhofft hatte. Nein, sein ausgestreckter Arm wies direkt auf den dichtesten Teil des Nordwestwaldes in der Nähe Aksh'anjus.

Manju schüttelte widerwillig den Kopf. »In diesen Teil des Waldes können wir nicht gehen. Er ist verflucht. Kein Ja'Neisa, ja kein Elb der noch bei vollem Verstand ist wird diesen Ort je betreten. Jene, die doch so tollkühn waren verschwanden oder kehrten mit verwirrtem Geist zurück.« Yashi nickte bestätigend, als Tapani ihn fragend ansah. Auch er hatte von den Gerüchten und Legenden der Elben gehört, die sich um jenen Teil des Waldes rankten. Felix, auf dem nun alle Blicke ruhten, kniff die Lippen zusammen und reckte störrisch das Kinn. »Da ist unser Ziel.«

»Aber«, wandte der Elb ein.

Felix platzte der Kragen. Die Haut seines linken Handgelenkes kribbelte und brannte. Stechende Kopfschmerzen peinigten ihn immer stärker, je länger sie auf der Hügelkuppe verweilten. »Wir werden in diesen verfluchten Wald gehen. Mir ist es im Augenblick absolut gleichgültig was Deine Legenden sagen, Manju. Ich weiß nicht, ob Du Dir überhaupt vorstellen kannst, wie dieses Ding mich noch in den Wahnsinn treibt«, er streckte Manju seinen Arm entgegen und deutete ärgerlich auf seinen Armreif. »Der Wald ist unser Ziel und nun lasst uns endlich gehen.«


Verborgen auf einer kleinen Waldlichtung glitzerte das Wasser eines Teiches in den ersten Sonnenstrahlen des Tages, die es schafften das dichte Blätterwerk zu durchdringen. Lediglich munteres Vogelgezwitscher und das Plätschern des Wassers durchbrachen die morgendliche Stille.

Dayari ließ sich mit einem zufriedenen Seufzer ins Wasser sinken und schwamm mit kräftigen Zügen durch das kühle Nass. Wie sehr sie doch ihre morgendlichen Bäder in diesem Teich liebte. Es war genau das Richtige, um den Tag zu beginnen. Lächelnd spürte sie, wie ein kleiner Fisch kurz ihr Bein streifte und wieder verschwand. Noch einmal tauchte sie unter bevor sie zurück ans Ufer schwamm. Wasser perlte von ihrem nackten Körper, als sie über die natürliche Treppe aus flachgewaschenen Steinen ans Ufer stieg. Ihre Zehen versanken im satten Grün des dicht wachsenden Mooses während sie sich genüsslich reckte und ihre Glieder streckte, bevor sie sich das schwere nasse Haar aus dem Gesicht strich und sich in ein schmales Badetuch wickelte.

Während sie nach ihren Kleidern griff lauschte sie dem Gezirpe und Gezwitscher der Vögel. Erst lächelte sie, als sich die beiden Waldrotlinge über die besten Futterplätze und die Fortschritte des jeweiligen Nachwuchses unterhielten. Doch dann erstarrte sie, als ein dazugekommener Blaufink von einer Gruppe Fremder berichtete, die ihr Nachtlager am Waldrand aufgeschlagen hatten. Sie zog unwillig die Augenbrauen zusammen. Fremde bedeuteten nichts Gutes. Ob es wieder einige junge Elben waren, die »die Hexe des Waldes« herausfordern und vertreiben wollten? Ihr Blick streifte jene Stellen ihres Körpers, welche nicht von dem dünnen Badetuch verhüllt waren. Unzählige kleine Narben erinnerten sie an die scharfen Kanten der Steine, mit denen sie aus Dörfern und von Märkten vertrieben worden war. Gepeinigt schloss sie die Augen. Selbst heute, noch Jahre später glaubte sie, jeden einzelnen dieser Steine zu spüren, wie sie auf ihren Körper schlugen und die zarte Haut aufrissen. Hallten die höhnischen und hasserfüllten Rufe in ihren Ohren. Als sie die Lider wieder aufschlug blitzen ihre Augen entschlossen auf. Sie würde sich nicht vertreiben lassen. Sie war nicht mehr das schwache kleine Kind, das tief in den Wald hinein floh um seinen Peinigern zu entkommen.

Sie ließ das schlichte Leinentuch, mit dem sie ihre Blöße bedeckt hatte, zu Boden gleiten und umfasste mit beiden Händen ihren Talisman, einen beinahe faustgroßen Rubin, den sie an einer schlichten Lederkordel um den Hals trug. Der blutrote Stein flackerte kurz auf, während sie ihre lockenden Rufe aussandte. Sie wurde eins mit jedem Tier, jedem Baum und jedem Grashalm des Waldes. Sie nahm die Welt durch deren Sinne wahr. Nur wenige Herzschläge später brach sie den Kontakt ab. Nun waren alle gewarnt. Sie würden ihr helfen, diesen Teil des Waldes, ihre Heimat, vor Feinden zu schützen und sie warnen, sollten die Eindringlinge Böses im Schilde führen. Eilig schlüpfte sie in ihre Kleider, flocht die noch feuchte Lockenpracht eilig zu einem praktischen Zopf zusammen und machte sich auf zu ihrem Lager. Doch sie fand die Höhle verlassen vor. Drago, ihr Gefährte seit sie ihn vor den Jägern gerettet und aufgezogen hatte, schlummerte nicht mehr friedlich auf ihrem Bett aus weichen Kissen und Decken. Entschlossen schob sie sich ihre Dolche in die um Knöchel und Oberschenkel geschlungenen Lederscheiden, griff sich Bogen und Köcher und machte sich auf die Suche nach ihrem treuen pelzigen Gefährten.


Nachdem sie ihr Nachtlager nahe am Waldrand aufgeschlagen hatten, brachen sie es schon in aller Frühe wieder ab und beluden die beiden Packpferde. Widerwillig half Manju Felix und Tapani dabei. Bis spät in die Nacht hinein hatte er immer wieder versucht auf Felix einzuwirken. Doch vergeblich. Der Junge ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen, weiter in den verfluchten Wald vorzustoßen. Kion und Rubion, die sich bald von ihnen trennen und ihren Weg in Richtung Südwesen fortsetzen würden, waren genau so leichtsinnig und blind gegenüber den Gefahren, die in diesem dunklen Teil des Waldes auf sie lauerten. Trotz seiner Warnungen hatten sie kurz nach dem Aufstehen die kleine Reisegruppe verlassen um tiefer im Wald nach frischen Beeren und Wurzeln zu suchen. Bereits am Vorabend hatten sie sich begeistert auf die am Waldrand üppig wuchernden Sträucher und Wildkräuter gestürzt.

Ungeduldig wandte Manju sich an Yashi, der aufmerksam den Wald beobachtete. »Wo stecken diese beiden Nager nur? Nicht, dass ich darauf brennen würde, einen Fuß in diesen verfluchten Ort zu setzen, doch so lange die beiden unterwegs sind um sich die Bäuche vollzuschlagen sitzen wir hier fest.« Er grummelte noch ärgerlich vor sich hin, als lautes Gebrüll und gellende Schreie seine Schimpftirade unterbrachen. »Hilfe, so helft uns doch. Er wird uns töten und fressen!« Alarmiert sprangen die Gefährten auf, ließen Patu und Lari weiter angebunden, griffen nach ihren Waffen und stürmten in den Wald, immer den Schreien nach. Vergessen waren der Fluch und die düsteren Geschichten, die sich um diesen Ort rankten. Nun galt es, die beiden Suchhörnchen aus ihrer misslichen Lage zu befreien.

XLIII

Sie näherten sich der Quelle der Hilfeschreie, als Felix plötzlich hart gegen Manjus Rücken prallte. Der Elb war abrupt stehen geblieben und starrte gebannt auf eine kleine Lichtung vor ihnen. Felix spähte über Manjus Schulter und erschrak. Vor ihnen, auf den ausladenden Ästen einer großen Buche, klammerten sich die beiden Suchhörnchen verzweifelt fest und versuchten, noch weiter in die Baumkrone hinaufzuklettern. An den Füssen des Baumes lagen ihre aufgerissenen Rucksäcke, aus denen die verschiedensten Vorräte kullerten. Felix zog die Augenbraue hoch. Es sah ganz so aus, als ob die beiden die Vorratskammer eines anderen geplündert hatten, denn es war wohl sehr unwahrscheinlich, dass eingemachtes Obst und geräuchertes Fleisch einfach so im Wald zu finden waren.

Während Rubion bereits sicher auf einem dicken Ast stand, zappelte Kion vergeblich mit den Hinterbeinen und versuchte, sich hinaufzuziehen und dabei gleichzeitig den gewaltigen Prankenhieben auszuweichen, mit denen ihr Verfolger nach ihm schlug. Er schrie laut auf, als ein gezielter Prankenhieb seinen Schwanz streifte und büschelweise Fell herausriss. Rubion, hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis seinem Gefährten zu helfen und sein eigenes Leben zu retten löste sich aus seiner Starre und reichte Kion seine Pfote, um ihn hochzuziehen. Doch es zeigte sich, dass der Zufluchtsort der beiden Hörnchen nicht gut gewählt war, da ihr Verfolger sich anschickte, den dicken Stamm des Baumes empor zu klettern.

Trotz der Gefahr kam Felix nicht umhin, das prächtige Tier zu bewundern. Kräftige Muskeln zeichneten sich unter dem dichten, hellbraunen Fell ab und aufgerichtet war er beinahe so groß wie der Ja'Neisa vor ihm.

»Ein junger Drachenbär«, wisperte Tapani. »Ich habe noch nie einen mit eigenen Augen gesehen, doch es kann nur ein Drachenbär sein, wenn auch noch ein kleiner. Nur verstehe ich nicht, warum er sich nicht erst über die Vorräte am Boden hermacht, ehe er versucht die beiden Suchhörnchen zu erlegen.« Manju und Yashi nickten. Ohne den Bären aus den Augen zu lassen zog Manju einen Pfeil aus dem Köcher. »Seid darauf gefasst, dass der Pfeil den Bären nicht töten wird. Sein Fell und seine Haut sind zu dick dazu. Doch es wird ihn davon abhalten, unsere beiden Freunde als Frühstück zu verspeisen.« Tapani schloss die Finger um das Heft seines Kurzschwertes. »Wir werden zusammen arbeiten müssen Elb.« Manju nickte, richtete die Pfeilspitze auf den Rücken des Bären und spannte seinen Bogen.

Ein leises, unheilvolles Surren erklang. Dicht neben Manjus Kopf bohrte sich ein Pfeil tief in den Stamm einer Eiche. Überrascht keuchten Felix und Tapani auf. Yashi blickte sich alarmiert um. Der Drachenbär wirbelte zu den Gefährten herum, entblößte die scharfen Reißzähne und brüllte herausfordernd. Ein kleiner Rubinsplitter, der wie ein Knopf im Ohr des Bären steckte, flackerte auf. Manju, ließ ihn nicht aus den Augen und spannte den Bogen noch ein Stückchen mehr. Wo auch immer der Pfeil aus dem Nichts hergekommen war, erst musste er sich um die Bedrohung durch den Bären kümmern.

»Versuch noch einmal, nach meinem Bären zu schießen, und bei den Göttern, ich schieße diesen Pfeil mitten durch Dein verruchtes Herz!« Der wilde Zorn, der in der hellen Frauenstimme lag, schlug wie eine dunkle Welle über Felix und seinen Freunden zusammen. Gebannt starrten sie ans andere Ende der Lichtung, wo eine schlicht gekleidete Frau stand, den Pfeil direkt auf Manjus Herz gerichtet. Kein Zweifel, beim geringsten Anlass würde sie Manju töten. Langsam ließ der Elb den Bogen sinken als er bemerkte, dass der Bär nicht weiter angreifen wollte sondern ihn nur wachsam musterte. Kein Wesen war in der Lage, einen Drachenbären abzurichten. Nicht umsonst galten die üblicherweise in den Drachenbergen lebenden Bären als die gefährlichsten Wildtiere Akshars. Doch die Fremde schien genau das getan zu haben. Seine Augen weiteten sich, in seinem Blick lag bestürztes Erkennen. »Hexe«, flüsterte er entsetzt und schlug das Zeichen gegen das Böse. Sein Blick nahm jede Einzelheit ihrer Gestalt auf. Sie war es, sie musste die Hexe des Waldes sein.

Gestalt und Figur erinnerte an eine Ba'nei, jedoch waren ihre Ohren spitz wie die eines Elben. Ein hüftlanger Zopf hing über ihren Rücken, aus dem sich jedoch bereits erste Strähnen lösten. Das pechschwarze Haar war von feinen, silberweißen Strähnen durchsetzt, die wie eingeflochtene Diamantsplitter funkelten. Das schmale Gesicht wurde von zwei ausdrucksstarken schwarzen Augen und einem eigenwilligen Mund beherrscht, so dass die feuerrote Narbe, die sich von Ihrer linken Schläfe bis zum Kinn hinterzog, erst auf den zweiten Blick auffiel. Felix wunderte sich. Er hatte geglaubt alle Rassen Akshars zu kennen, doch er konnte nicht sagen, zu welcher davon sie gehörte.

Voller Ekel wich Manju zurück und schleuderte ihr seine Abscheu ins Gesicht. »Welche Abscheulichkeit! Hexe! Wie kannst Du es wagen, auf aksharischem Boden zu wandeln. Höllenbrut, kehre dahin zurück, woher Du einst gekommen bist. Du hast nicht das Recht zu existieren!« Silberweißes Licht flammte auf, sammelte sich um seine Hände, während sein Blick unverwandt auf der Unbekannten ruhte. Der Drachenbär knurrte zornig, doch ein leiser Lockruf der jungen Frau hielt ihn an seinem Platz.

»Yashi!« Felix blickte den Grünling völlig verwirrt an. »Was ist mit Manju los. Aus welchem Grund dieser unerklärliche Hass auf sie? Was soll das Anrufen seiner Magie?« Yashi presste die Lippen zusammen. Auch ihn entsetzte der Anblick dieses Mädchens und erfüllte ihn mit Unbehagen. Obwohl sie etwas verkörperte, was in dieser Form nie hätte geboren werden dürfen, wollte er ihren Tod nicht, würde sich dem Elben jedoch auch nicht in den Weg stellen. »Sieh sie Dir doch genauer an, Felix. Dann wirst Du es verstehen.« Felix verstand gar nichts. Wie konnten Yashi und Tapani regungslos mit ansehen, wie Manju eine Frau vernichten wollte? Felix wusste nur eines. Was immer gerade geschah, es hatte den Armreif geweckt. Felix legte die Hand auf den Reif, als würde dies das Brennen lindern, vergeblich. Das Brennen verstärkte sich und grub sich tief in seine Haut. Erneut rieb er über den Armreif. Jäh verschwand das Brennen und machte einem seltsamen Kribbeln Platz. Überrascht senkte Felix den Blick und runzelte die Stirn. Es musste eine Sinnestäuschung gewesen sein. Für einen kurzen Augenblick schien es so, als wäre in einer der leeren Vertiefungen des Reifes ein roter Stein eingebettet. Sein Blick wanderte nachdenklich zu der Fremden. War er ihretwegen hier?

»Na los doch. Versuch mich zu töten, elender Ja'Neisa. Du bist nicht der Erste und wirst auch nicht der Letzte sein. Wie erbärmlich. Ihr erblickt mich und im nächsten Augenblick redet ihr von Hexen und Dämonen. Nennt mich Teufelsbrut und versucht mich zu töten. Doch glaubt nicht, dass eure Magie stark genug sein wird.« Verächtlich ließ sie ihren Bogen fallen, griff unter ihre Bluse und zog einen beinahe faustgroßen Talisman hervor. Yashi keuchte auf, als er in das unheilverkündende Glühen des blutroten Rubins bemerkte, den die Hexe mit beiden Händen umschloss. Ein Luftstoß fuhr aus dem Nichts empor, wirbelte ihre Röcke auf und löste ihr Haar. Die dichten Locken tänzelten im Wind und ihre Augen glühten wie zwei schwarze Opale voller Entschlossenheit, ihre Feinde zu vernichten. Gleich lodernden Flammen flackerte rotes Licht hinter ihr auf, umhüllte ihre Gestalt und griff gierig züngelnd nach der Gestalt des Elben. Tapani wich erschrocken zurück, als weitere Flammen nach ihm und Yashi greifen wollten und rotes, silbernes und grünes Feuer aufeinander prallten.

»Es reicht!« Felix schrie frustriert, die Kontrahenten andonnernd, auf und augenblicklich erloschen die magischen Feuer. Er trat mit festen, sicheren Schritten vor, bis er genau in der Mitte zwischen seinen Freunden und der Unbekannten stand. Langsam drehte er sich um und blickte Manju mit festem Blick an.

»Geh aus dem Weg, Felix« presste der Elb aufgebracht hervor. Nur schwer hielt er seine Wut im Zaum. Noch immer funkelten kleine Lichter um seine geballten Fäuste. »Siehst Du denn nicht, welche Gefahr von dieser widerlichen Missgeburt ausgeht?!«

Felix schüttelte energisch den Kopf. Noch nie, außer wenn es um Zadonia ging, hatte er den Elben derart voller Zorn und Hass erlebt. Felix' musterte Tapani und Yashi. Beide reagierten ebenfalls voller Ablehnung. Doch war diese eher mit Angst und Unbehagen, denn mit Hass gepaart. Er brauchte dringend Antworten, die ihm wohl nur die Fremde geben konnte. Er wandte seinen Freunden den Rücken zu und sah in verwirrte schwarze Augen. Doch sie fing sich schnell wieder und musterte ihn festen Blickes.

»Glaubst Du wirklich, dass es eine gute Idee ist, sich gegen die Freunde zu stellen?«, höhnte sie. »Womöglich haben sie ja Recht und jeder Bürger Akshars sollte es als seine Pflicht ansehen, jemanden wie mich zu töten.« Die Verbitterung in ihrer Stimme ließ ihn innerlich zusammenzucken. Konnte es tatsächlich sein, dass die Aksharianer eine andere Rasse derart grausam verfolgten?

»Zu welcher Rasse gehörst Du, dass Manju die Gelassenheit der Elben vollkommen verliert und auch meine beiden anderen Freunde, Yashi und Tapani, sich derart seltsam benehmen, dass sie kaum wieder zu erkennen sind?« Seine völlig ernst vorgetragene Frage ließ sie erstaunt aufkeuchen.

»Wo hast Du bisher gelebt, dass Du es nicht erkennst?« Sie wies auf ihren Körper, die spitzen Ohren und das pechschwarze Haar mit seinen silbernen Lichtern darin. Felix Augen weiteten sich. Ja, nun erkannte er die Zeichen. So unglaublich es war, doch sie schien Ba'nei-, Dunkelelben- und Ja'Neisa-Blut in sich zu vereinen. Ihre bloße Anwesenheit musste wie ein Schlag ins Gesicht eines jeden Elben oder Ba'nei wirken, die in ihr nur das »schlechte« Blut der anderen Rasse sahen. Ungeachtet der warnenden Rufe Yashis schritt er weiter, bis er nur noch eine Armlänge von ihr entfernt stand.

»Wie ist Dein Name?«

Sie lachte ungläubig auf. Dieser Junge musste vollkommen wahnsinnig sein. Doch gut, dann sollte er ihren Namen erfahren, ehe sie ihn und seine Freunde töten würde. Fast tat es ihr Leid um ihn, aber sie musste sich und Drago schützen. »Dayanarani, auch Dayari werde ich genannt. Doch nun«, sie verstummte, als eine leise, allein für sie bestimmte Melodie an ihr Ohr drang. Ein Klang, den sie vor so unendlich langer Zeit das letzte Mal vernommen hatte. Sie packte Felix' Handgelenk und hob es empor. Verwirrt wanderte ihr Blick zwischen Armreif und seinem Gesicht hin und her. Er lächelte sie beruhigend an, legte ihre Hand auf seinen Armreif und umschloss mit der seinen ihren Talisman.

Unzählige Eindrücke stürmten auf sie ein, das Summen des Reifes, das lodernde Feuer ihres Rubins. Sie spürte den Herzschlag Kalanjas unter ihren Füssen und die gewaltige Kraft, die den Körper des jungen Mannes vor ihr durchströmte und das uralte Lied des geteilten Herzens. Nein, dies war kein Verrückter oder gar nur ein einfacher Junge. Er war ihr Schicksal. Eine einzelne Träne rann über ihre Wange. Nach all den Jahren stand er nun endlich vor ihr. »Son coeru... so bist Du endlich zu mir zurückgekehrt.« Schon wollte sie voller Demut ihr Knie vor Felix beugen als er sie kurz entschlossen daran hinderte und einfach in seine Arme zog. Ihr Kopf reichte gerade bis zu seiner Schulter. Weißes und rotes Feuer loderte auf und hüllte ihre Körper vollständig ein. Es dauerte nur wenige Herzschläge doch in dieser Zeit waren sie ein einziges Wesen. Sie teilten ihre Erinnerungen, Träume und Visionen. Lächelnd löste sich Felix langsam von ihr und wischte ihr behutsam die Tränen aus dem Gesicht, die nun ungehindert über ihre Wangen strömten. »Weine nicht, kleine Schwester. Dein Warten ist hier zu Ende. Kehr in Dein Lager zurück, pack das Nötigste ein und komm wieder hierher zurück. Wir werden auf Dich warten. Von nun an wirst Du an meiner Seite reisen.« Sie nickte, winkte ihren Bären herbei und verschwand mit ihm zusammen zwischen den Bäumen.

Felix blickte ihr nachdenklich hinterher, als er unsanft herumgerissen und durchgeschüttelt wurde. Blass und zitternd vor Wut stand Manju vor ihm. »Was bei allen Göttern hast Du mit dieser Teufelsbrut zu schaffen?! Wir müssen sie töten, ehe sie unseren Geist völlig vergiftet.« Fassungslos ließ er Felix los und fuhr sich durchs Haar. Yashi schwebte neben ihn und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. »Auch für mich ist ihre Gegenwart nur mühsam zu ertragen, doch wir müssen ihm vertrauen.« Er wandte sich an seinen Schützling. Er wusste nicht was geschehen war, als Felix und die Hexe von den Flammen eingehüllt worden waren, doch lag in Felix' Augen ein völlig neuer, wild entschlossener Ausdruck. Alleine die Götter wussten warum, doch er würde die Hexe mit seinem Leben schützen, selbst wenn dies bedeutete, dass er sich gegen seine vertrauten Gefährten stellen musste. Doch eines wollte der Grünling unbedingt wissen. »Warum hast Du sie Schwester genannt?«

»Weil sie es ist. Wenn auch nicht im Blute sondern verbunden durch Schicksal und Bestimmung. Wir wurden beide nur aus einem einzigen Grund geboren. Während ich erst seit einigen Monaten hier bin, harrte Dayari hier jahrhundertelang aus. Immer nur darauf wartend, dass sie erneut gerufen werden würde.«

»Von was sprichst Du überhaupt und woher weißt Du all dies über diese Hexe? Sie hat Ba'nei-Blut in sich. Selbst wenn das elbische stärker sein sollte, so würde sie nicht sehr alt werden. Sie kann auch nach unseren Maßstäben nicht älter als sechzig Jahre sein.« Manjus Zorn legte sich allmählich, doch das tief verwurzelte Misstrauen ließ ihn nicht los. Ein Bastardkind zwischen Ja'Neisa und Ba'nei stellte schon eine Beleidigung und Entweihung der ungeschriebenen Gesetze dar, nach denen sein Volk seit Jahrhunderten lebte und missachtete vollkommen die Grenzen zwischen magischen und nichtmagischen Wesen. Doch dass auch noch Dunkelelbenblut in ihren Adern floss, war unverzeihlich. Nicht umsonst hatte man zur Zeit des großen Krieges ein Verdikt erlassen, das solche Paarungen unter Todesstrafe stellte. Nie konnte ein Wesen, das von Dunkelelben abstammte, ein treuer Diener der Götter und Akshars sein. Hätten seine Vorfahren dies nicht unerbittlich geahndet, wäre Akshar früher oder später durch diese Bastarde in die Hände Zadoks gefallen.

»Denkt doch einmal nach. Ihre Mutter war zur Hälfte eine Ba'nei und zur anderen Dunkelelbin. Ihr Vater war ein Ja'Neisa. Glaubst Du wirklich, dass ein Kind solcher Eltern so jung sein kann?« Felix blickte seine Gefährten herausfordernd an. »Sie wird uns zu den Drachenbergen begleiten. Es ist Schicksal - Illari.«

Yashi nickte bedächtig. »So unglaublich es klingt. Aber unser junger Freund spricht die Wahrheit. Seit dem Ende des großen Krieges leben in Akshar keine Dunkelelben mehr. Sie alle und ihre Bastarde mit anderen Rassen wurden in die Verbannung geschickt. Sie muss noch vor dem großen Krieg geboren worden sein.«

»Von mir aus kann sie tausend Jahre alt sein! Aber holt uns endlich hier runter!« Kions empörtes Zetern ließ Manjus Mundwinkel zucken. Unter Gelächter holten sie die Hörnchen von dem Baum herunter und warteten auf Dayaris Rückkehr. Manjus Gedanken schweiften ab in Richtung der Berge. War ihr Ziel wirklich das Drachenreich und würde er seinen Liebsten endlich wieder in die Arme schließen können?

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