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Lean on me
Teil 4
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Informationen
- Story: Lean on me
- Autor: Neville
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1
- Kapitel 16: "Auf Seidenschnabel's Flügeln"
- Kapitel 17: "Zurück in Hessen"
- Kapitel 18: "Der Besuch"
- Kapitel 19: "Lukas, Dad und die Wahrheit"
- Kapitel 20: "Endlich!"
- Epilog
- Nachwort
Micha und Hannes waren die ersten, die fertig frisch geduscht und gestylt wieder im Eingangsbereich saßen, während Lukas und ich noch unsere Duschsachen im Zimmer suchten. Lukas hatte nur noch seine Shorts an und gerade sein Shirt ausgezogen. Mann, ich schmolz geradezu dahin. Ich war noch vollständig bekleidet und gerade dabei, mein Shirt auszuziehen.
Jetzt war die Gelegenheit. Wir würden eine Zeit lang ungestört sein und ich wollte endlich Klarheit. Katrin hatte Recht. Jetzt oder nie!
Ich nahm all meinen Mut zusammen und begann. »Lukas, ich muss da noch was mit dir besprechen.« »Ja, was denn?«, sagte er, während er in seinem Koffer nach frischen Socken fischte.
»Ich...ich habe mich...verliebt.« Er stutzte, hörte auf, seinen Koffer wegen der fehlenden Socken zu beschimpfen und drehte sich zu mir um. »Realy? Ist ja stark. Freut mich für dich. Wer ist es denn?«
Ich war wieder kurz davor, einen Rückzieher zu machen. Nein, jetzt musste es raus.
»Ich...(Pause)...ich habe mich verliebt in...DICH!«
Es war raus. Endlich! Ich hatte den Mut gefunden, Lukas meine Liebe zu gestehen. Gespannt wartete ich auf eine Reaktion von ihm. Er war total überrascht, das merkte ich.
Zunächst wusste er nicht, was er sage sollte, sondern drehte sich nur Richtung Fenster und starrte hinaus. Es hatte den Anschein, als würde er die Aussicht still genießen, aber ich wusste, dass er angestrengt nachdachte. Verdammt, warum sagte er nichts?
Es dauerte eine Ewigkeit, bis er sich wieder umdrehte und mir in die Augen sah. Ich sah, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Er sprach ganz leise.
»Es... es tut mir Leid, Flo. Du bist wirklich ein... nein, mein bester Freund und ich mag dich wirklich sehr, aber... ich kann dich nicht lieben. Ich bin nicht schwul...«
In mir zerbrach etwas.
Kapitel 16: "Auf Seidenschnabel's Flügeln"
Die Worte trafen mich wie Hammerschläge. Ich stand da und merkte, wie sich der Boden unter meinen Füßen drehte und gleichzeitig sich meine Augen mit Tränen füllten.
»Aber... du... hast doch..., ich dachte...«, versuchte ich mit tränenerstickter Stimme anzusetzen, dann versagte sie jedoch. Ich war eh nicht mehr in der Lage, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
Lukas stand noch immer am Fenster und sah mich an. Obwohl mein Verstand begann, langsam aber sicher auszusetzen, sah und registrierte ich dennoch, wie er versuchte, auf mich zuzugehen und mich in die Arme zu nehmen.
Just in diesem Moment öffnete sich die Tür und Hannes kam gutgelaunt ins Zimmer. »Hey ihr Pappnasen, wo bleibt ihr denn?«, begann er sofort und als er registrierte, dass da irgendetwas nicht stimmte, stutzte er.
Das war zu viel für den armen Flo und ich drehte endgültig durch. „Ich muss hier raus“ war mein einziger Gedanke. Ich stürmte an Hannes vorbei aus dem Zimmer und rannte ihn dabei fast über den Haufen. Ich blickte nicht zurück, sondern wollte nur noch weg. Weg von hier, dem Ort, an dem mir auf erschreckende Weise klargemacht wurde, dass das Leben für mich keinen Sinn mehr machte.
Ich hörte Lukas noch irgendetwas hinter mir herrufen, aber es war mir egal. Ich stürzte auf dem Flur und rannte blindlings Richtung Treppenhaus. Wo ich denn hinwollte, war mir in diesem Moment egal, nur weg. Ich flog die Treppen fast runter, stürzte, fiel ein paar Stufen, rappelte mich dann wieder auf und stieß die Tür zur Eingangshalle auf.
Die Herbergsleiterin war gerade in ein Telefongespräch vertieft, als ich an ihr vorbeischoss und erschrak sich total. Sie wollte gerade zu einem wütenden Fluch ansetzen, aber ich war schon an ihr vorbei und rannte durch die offene Tür nach draußen. So schnell war ich in meinem Leben noch nie gewesen, leider jedoch viel zu schnell.
Die Jugendherberge liegt an einer starkbefahrenen Straße und hat eine extra Bushaltespur direkt vor der Unterkunft. Durch meine Geschwindigkeit schoss ich ohne es zu wollen auf den Gehweg vor dieser Bushaltespur, was ich jedoch überhaupt nicht bemerkte. Ich war wie blind.
Unglücklicherweise war eine neue Gruppe von Schülern angekommen und gerade dabei, ihre Koffer abzuholen. Einer dieser Koffer stand in meinem Fluchtweg, was ich aber durch mein Tempo nicht sah. Es kam, wie es kommen musste und ich stolperte über diesen Koffer und fiel Richtung Bushaltespur.
*WUMM*
Ich spürte nur noch einen einzigen Schmerz, wurde von irgendetwas zurückgeschleudert, verlor das Gleichgewicht, stürzte und merkte dann einen so komischen Druck, der auf meinem ganzen Körper lastete.
Mein Gehirn registrierte noch dieses markerschütternde Quietschen, das sich anhörte, als käme es direkt aus der Hölle und das erschreckte Gesicht des Busfahrers bevor der Schmerz unerträglich wurde und ich das Bewusstsein verlor.
*Filmriss*
Ich fühlte mich gut, so unheimlich leicht. Sämtliche Schmerzen waren verflogen. Wo war ich? Wie bin ich hierhergekommen? Ich versuchte, mich umzusehen. Aber egal wo ich hinschaute, ich sah nur ein helles weißes Leuchten. Nicht kalt und unangenehm, sondern warm, geradezu liebevoll strahlte mich dieser Glanz an. Ich schaute mich fasziniert um, konnte jedoch keine Einzelheiten ausmachen. Es kam mir aber so vor, als wäre das das Paradies. Keine Schmerzen, keine schlimmen Gedanken, nur Ruhe und Frieden.
Und dann war es, als ob mich jemand mit Gewalt aus dieser Welt ziehen wollte. Das Weiß leuchtete nicht mehr so warm, die Ruhe war gestört durch irgendein hektisches Geräusch, das einer sich ständig wiederholenden Sirene glich. Ich geriet in Panik, konnte mich jedoch nicht bewegen. Dann setzte mein Verstand aus und ich schloss die Augen.
Als ich sie wieder öffnete, war die Umgebung um mich herum komplett verändert. Ich lag, konnte aber nicht sagen, wo. Und dann waren sie wieder da, meine Schmerzen. Als ob jemand mit einem schweren Hammer auf mich einschlug, durchlief eine Schmerzwelle nach der anderen meinen Körper.
Dann hörte ich die Stimmen. Hektische Stimmen. Ich spürte die Panik und Hektik, die in den Stimmen lag, obwohl ich nicht verstand, was sie sagten. Ich versuchte mich zu konzentrieren. Aber der Schmerz war zu groß, ich schaffte es nur kurze Augenblicke, meinen Verstand aufrechtzuerhalten. Dann jedoch kam der zweite Filmriss für Heute und ich sank einfach weg.
Als ich wieder zu mir kam, wagte ich zunächst noch nicht, die Augen zu öffnen. Ich horchte zuerst in meinen Körper hinein. Ich hatte leichte Schmerzen in der Brust und an meinen Beinen, aber es war erträglich. OK, bereit für den nächsten Schritt. Ich öffnete meinen Augen und versuchte, mich umzublicken. Gelang mir aber nicht, ich konnte meinen Kopf überhaupt nicht bewegen. Ich konnte mich eigentlich überhaupt nicht mehr bewegen. Panik kam in mir auf.
Shit! Was war bloß passiert, wo war ich hier?
Ich drehte die Augen und erkannte verschwommen, dass ich in einem relativ kleinen Raum lag, in dem eine Menge Geräte untergebracht waren, soweit ich das bei meinem eingeschränkten Blickfeld sagen konnte. Ich lag auf einem Bett und mir war klar, dass ich in einem Krankenhaus sein musste. Allein schon der Geruch war typisch Krankenhaus.
Ich hasste diesen Geruch! Als meine Eltern diesen schrecklichen Unfall hatten, war Dad durch seine schweren Verletzungen lange Zeit im Krankenhaus. Ich besuchte ihn dort jeden Tag und ich habe diesen Geruch gehasst.
Was mir jetzt aber viel mehr Sorgen machte waren die Schläuche, die in meinen Armen steckten. Und dann war da noch diese große Maschine rechts neben mir, die auch irgendwie mit mir verbunden war und regelmäßig so komische Töne von sich gab. Und dann war da auch noch die Tatsache, dass ich anscheinend überall verbunden war, sogar am Kopf.
Ich hatte Angst. Wahnsinnige Angst! Was war bloß passiert?
Ich versuchte mich zu erinnern, aber da war nichts. Absoluter Filmriss. Das letzte, an das ich mich erinnern konnte war, dass ich aus der Herberge rausgelaufen war. Dann musste mir irgendetwas passiert sein, ich wusste aber nicht, was. Totaler Blackout.
Weshalb war ich eigentlich aus der Herberge rausgelaufen? Richtig, da war ja das Gespräch mit Lukas... Ein ohnmächtiger Schmerz erfüllte mich. Diesmal war er aber nicht körperlicher Natur, sondern ich spürte ihn in meiner Seele. Dann wurde ich aber schon wieder schläfrig und dämmerte ein.
Als ich das nächste Mal aufwachte, blickte ich in ein hübsches Gesicht. Ich schätzte sie auf Anfang 20. Sie trug einen Schwesternkittel und war gerade dabei, rechts neben mir an der Maschine etwas anzuhängen und einzustellen.
Ich versuchte so etwas wie »Hallo« herauszubringen, aber durch den Kopfverband hörte es sich nur so an, als hätte ich gekrächzt. Ich konnte auch meinen Kiefer gar nicht richtig bewegen und nur dieses eine Wort bewirkte, dass mich ein Schmerz durchfuhr. „Gut, reden ist also nicht.“, dachte ich bei mir.
Mein Laut hatte aber erreicht, dass die junge Frau nun auf mich aufmerksam wurde und sich zu mir drehte und mir in die Augen schaute. »Ah, du bist wach.«, sagte sie, lächelte mich an und ich registrierte, dass sie keinerlei Akzent sprach. Also konnte ich nicht in einem französischen Krankenhaus sein. Aber wo zur Hölle war ich dann?
»Ich heiße Iris und bin Praktikantin hier im Krankenhaus Department Montmartre. Die Oberschwester hat mich gebeten, mich ein bisschen um dich zu kümmern, da man hier sonst nur sehr bescheiden Deutsch spricht«.
Also gut, ich hatte mich geirrt und war also doch noch in Paris. Ich wollte anfangen und was zu sagen, aber sie hob nur kurz den Finger und sprach »Versuch nicht zu sprechen. Ich werde dir alles erklären. Du hattest gestern einen schweren Unfall. Anscheinend wolltest du es mit einem Bus aufnehmen und hast den Kürzeren gezogen.«
Sie streichelte mir über die Stirn. »Jetzt befindest du dich auf der Intensivstation. Wenn alles gut läuft, kommst du morgen auf ein normales Zimmer. Aber du hattest riesiges Glück, Kleiner. Es sah eine ganze Zeit lang nicht gut für dich aus und die operierenden Ärzte hatten schon das Schlimmste befürchtet. Sie haben die ganze Nacht an dir herum gearbeitet.«
Ich seufzte leise und schon durchbohrte mich wieder ein Schmerz. Dies hatte auch Iris registriert und leise lächelnd sagte sie: »Freu dich nicht zu früh, du bist sehr schwer verletzt, Knochenbrüche, Rippenbrüche...«, und sie zählte einige Dinge auf und es klang fast so, als ob sie jemanden etwas aufzählte, der sie für eine Prüfung abhörte.
»Aber du lebst schließlich noch. Dank dem da oben.«, sprach sie und deutete mit dem Kopf nach oben. Aber allzu oft solltest du so einen Stunt nicht machen.»
Ich versuchte zu grinsen, gelang mir aber anscheinend nicht wirklich.
»Wir haben deinen Vater benachrichtigt, er ist schon auf den Weg hierher. Deine Klassenkameraden waren auch schon hier und wollten nach dir schauen, leider dürfen wir sie nicht auf die Intensi lassen. Sie haben sich echt große Sorgen um dich gemacht und ich soll dir von Ihnen gute Besserungswünsche ausrichten. Insbesondere von so einer älteren Frau, die ist fast wahnsinnig vor Angst um dich geworden und hätte fast das ganze Krankenhaus auseinandergenommen, wenn wir sie nicht zu dir gelassen hätten und versprechen mussten, dich durchzubringen«.
Ich versuchte zu nicken, was aber auch nur von heftigen Schmerzen begleitet war. »Beweg dich mal lieber nicht.«, sagte auch prompt Iris und lachte. »So, ich muss dann mal nach meinen anderen Schäfchen schauen, ich komm aber öfters mal bei dir vorbei. Halt die Ohren steif.« Sprach's und entschwebte wie ein Engel durch die Tür.
Ich war nun wieder allein und konnte über das nachdenken, was Iris gesagt hatte.
Okay, ich war also mit einem Bus zusammengestoßen und hatte gerade so überlebt. Shit, wie erkläre ich das meinem Vater, wenn er hier ist? Vor allem, wie erkläre ich ihm, warum ich aus der Herberge herausgerannt bin? Es half nichts, ich musste ihm die Wahrheit sagen, alles!
Mit diesen Gedanken dämmerte ich wieder weg. Als ich wieder aufwachte, hatte sich was verändert. Ich konnte mich zwar immer noch nicht bewegen, aber irgendwas kam mir verändert vor. Verdammt, aber was? Da ich meinen Kopf immer noch nicht schmerzfrei bewegen konnte, versuchte ich mit Augenrollen so viel wie möglich zu erfassen. Das Zimmer hatte sich verändert. Das war's! Ich war jetzt nicht mehr in diesem engen Zimmer, sondern anscheinend in einem ganz normalen Krankenhauszimmer.
Das beruhigte mich ungemein, denn dann musste es mir ja schon wieder besser gehen, denn sonst hätten sie mich ja wohl nicht aus der Intensivstation verlegt. Plötzlich tauchte Iris in meinem Blickfeld auf.
»Hallo Jonas. Und, wieder wach?« Ich versuchte etwas zu grummeln, bemerkte sofort aber einen leichten Schmerz. »Oh, Entschuldigung. Mein Fehler. Ich sollte dich nicht nach etwas fragen, denn sprechen kannst du für die nächsten zwei Tage nur mühsam.« Ich blinzelte mit den Augen.
»Ich habe auch eine gute Nachricht für dich. Dein Vater ist da! Er holt sich gerade einen Kaffee. Er hat übrigens die ganze Nacht bei dir gesessen. Ah, da ist er ja schon wieder. Ich lass euch dann mal alleine und schaue später wieder vorbei.«
In diesem Moment sah ich, wie Dad die Tür reinkam und in der einen Hand einen Pappbecher mit Kaffee hielt. Er zog sich einen Stuhl herbei und setzte sich neben mich.
»Hallo, mein Kleiner.«, sagte er leise und streichelte mir liebevoll über den Kopf. »Wie geht es dir?« Er flüsterte die Worte geradezu. »Ich drehte meinen Kopf unter Schmerzen in seine Richtung und grummelte «Ganz gut.» Dad bemerkte, wie sehr mich das Sprechen anstrengte und sagte nun eine Weile nichts mehr, sondern schaute mich nur an. Ich tat dasselbe und betrachtete ihn mir.
Er sah total übernächtigt aus. Bestimmt war er durchgefahren und dann war er ja die Nacht an meinem Bett geblieben. Aber was mir am meisten zusetzte war, dass seine Augen total gerötet waren. Er musste geweint haben. Ich fühlte, wie in mir die Tränen hochstiegen. Was hatte ich nur angestellt? Wie konnte ich ihm das nur antun? Kaum dass er den Tod meiner Mutter und seine schwere Verletzung einigermaßen verkraftet hatte, machte ich ihm nun den nächsten Kummer. Mein Gott, was war ich doch für ein Idiot. Mich quälten tiefe Schuldgefühle.
Ich wollte etwas sagen, brachte aber nur ein Krächzen raus. »Ist schon gut, red‘ jetzt nicht.«, sagte Dad und streichelte mir wieder über den Kopf. Kurz danach kam Iris wieder in das Zimmer mit einem kleinen Tablett auf den Händen.
»So, Jonas, Zeit für deine Medizin.« Sie löste zwei Tabletten in Wasser auf, kam zu mir ans Bett, hob meinen Kopf und ließ mich die aufgelösten Medikamente schlucken. »Schlaf ein wenig und träum was süßes.«, sagte sie noch, bevor sie sich wieder umdrehte und das Zimmer verließ, nicht ohne noch vorher meinem Vater nett anzulächeln.
Es dauerte auch nicht lange, und schon war ich wieder hundemüde und schlief ein.
So ging das die nächsten zwei Tage. Ich verbrachte diese in so einem Dämmerzustand zwischen wach sein und schlafen. Ich bekam kaum was von meiner Umgebung mit, merkte aber, wie die Schmerzen allmählich weniger wurden. Auch das Sprechen fiel mir nach einiger Zeit nicht mehr so schwer.
Kapitel 17: "Zurück in Hessen"
Während dieser Tage war Dad Tag und Nacht bei mir. Man sah ihm deutlich die Erschöpfung an und Iris wollte ihn mehr als einmal in eine kleine Pension zum Ausschlafen schicken, aber er winkte immer nur ab. »Jonas braucht mich.«, sagte er immer wieder und gönnte sich maximal ein paar Minuten Schlaf auf einer Liege, die ihm Iris in mein Zimmer gestellt hatte.
Ich war sehr dankbar, dass Dad während diese Zeit für mich da war und nicht nach dem »Warum und Wieso« fragte. Er vermied es, obwohl sicher die Unkenntnis über das, was da passiert war, an ihm nagte. Und ich wollte das Thema von mir aus auch noch nicht ansprechen. Ich musste mich erst mal sammeln und überlegen, wie ich ihm das alles erklären konnte. Aber dafür brauchte ich Zeit. Ja, ihr habt recht. Wieder war ich total feige. Aber ich konnte es nicht, jedenfalls noch nicht jetzt.
Ich war am nächsten Tag gerade aufgewacht, als der Oberarzt mit Iris in mein Zimmer kam. Es war ein junger Arzt aber von der Sorte, die einen sofort Vertrauen einflößen.
»Ah, Monsieur Berger. Je suis Dr. Stephan Lavayette.« Er schaute mich durchdringend an, zog ein Krankenblatt und studierte es. Er brabbelte irgendetwas Längeres auf Französisch zu Iris und diese spielte die Dolmetscherin. »Also, Herr Dr. Lavayette ist mit dem Ergebnis der Operation und dem Heilverlauf sehr zufrieden und meint, dass du stabil genug wärst, um nach Deutschland verlegt zu werden, wenn du willst.«
Und ob ich wollte. Ich krächzte sofort »Ja.«, und auch Dad, der neben mir saß, schaute den Arzt erleichtert an.
»Bon.«, sagte der Doc, kritzelte noch mal etwas auf das Krankenblatt und sagte wieder was zu Iris. »Wir bereiten alles vor und Morgen wirst du dann verlegt. Ein Sani-Hubschrauber wird dich in dein Heimatkrankenhaus bringen. Wir rufen heute da an und melden dich schon mal an.« »Bon voyage.«, sagte der Doc noch, schüttelte zum Abschied meinem Dad kurz die Hand und nickte mir zu. Auch Iris lächelte und ging dann mit dem Oberarzt aus dem Zimmer.
»Siehst du, wird wieder alles gut.«, meinte Dad und streichelte mir über den Kopf. »Und daheim können dich dann auch deine Freunde besuchen und du wirst sehen, wie schnell es dir dann wieder besser geht.« »Jap.«, konnte ich nur antworten und versank in meinen Gedanken. Das Problem war nur, dass ich Angst vor dem Besuch meiner Klasse hatte. Nein, das war nicht ganz richtig. Ich hatte Angst davor, wenn Lukas mich besuchen wollte, oder Hannes, oder Katrin.
Bestimmt hatte Lukas mein Geheimnis schon allen ausposaunt und ihr könnt wetten, dass sich so eine Nachricht an meiner Schule rumspricht wie ein Lauffeuer. Mittlerweile war meine Klasse ja wieder daheim und ich war mir absolut sicher, dass ich nun an meiner Schule für immer gebrandmarkt war.
Aber dennoch freute ich mich darauf, wieder nach Hause zu kommen, wenn auch nur in das heimatliche Krankenhaus. Irgendwie würde ich es schon durchstehen, schließlich bin ich ja ein Mann. Bei diesem Gedanken musste ich lächeln, was auch mein Vater mitbekam.
»Wußte ich doch, dass du dich auf Zuhause freust.«, stellte er freudig fest und zufrieden mit sich und der Welt stand er auf, um bei Iris noch eine Tasse Kaffee zu schnorren.
Der restliche Tag verflog nur so und ehe ich mich versah, schlief ich den ganzen späten Nachmittag und die Nacht durch. Am nächsten Morgen wurde ich dann von Dad früh geweckt und von Iris und einer anderen Schwester reisefertig verpackt. Dann schob man mich auf einer Trage liegend in so einen Rettungshubschrauber und Iris und auch Doc Lavayette verabschiedeten sich noch mal von Dad und mir.
Während ich nun per Luftpost unterwegs nach Hessen war, tat das gleiche auch Dad, nur das er dazu unseren alten Golf von Paris aus heimfahren musste. Es war mir eh ein Rätsel gewesen, wie diese Klapperkiste die Strecke hin geschafft hatte und nun das gleiche noch mal zurück.
Der Flug war unproblematisch und nach einiger Zeit hatten wir das Ziel erreicht. Ich wurde ausgeladen und gleich auf mein neues Zimmer geschoben, während der Hubschrauber wieder dröhnend vom Landeplatz abhob.
Dann begann die übliche Routine und ich wurde erst mal gründlich aufgenommen und untersucht. Die Ärzte waren aber mit der Arbeit ihrer französischen Kollegen anscheinend sehr zufrieden, denn nach Abschluss der Untersuchung sagte ein Arzt, der sich als Dr. Dirk Behorn vorstellte und sehr nett war: »Ja, doch, Jonas. Es sieht trotz deiner immer noch schweren Verletzungen insgesamt recht gut aus. Die Kollegen haben sauber gearbeitet und ich denke, dass wenn alles gut verläuft, du in drei bis vier Wochen wieder hier raus bist. Natürlich wirst du auch noch einige Zeit danach noch nicht alles machen können und einige Termine bei der Reha wahrnehmen müssen, aber hab‘ Geduld. Wird schon werden.«
Drei bis vier Wochen?? Oh Gott, solange wollte ich eigentlich nicht hier bleiben, aber aussuchen konnte ich es mir wohl schlecht. Und wer sollte das alles bezahlen? Dad würde wieder viele Schulden machen müssen, um das Geld aufzubringen. Sicher, die Krankenkasse wird einen Teil zahlen, dennoch wird auch einiges an Dad hängenbleiben.
Wieder meldete sich mein schlechtes Gewissen und mir ging es richtig elend, als ich das durchdachte. Und alles nur, weil ich so ein Trottel war. Hätte ich nichts zu Lukas gesagt, wäre nichts passiert, ich hätte noch schöne Tage in Paris verbracht und wäre jetzt wieder gesund und munter daheim.
Naja, einige Zeit hing ich noch meinen düsteren Gedanken nach und dann wurde ich wieder schläfrig und dämmerte weg. Irgendwann die Nacht kam dann noch Dad, setzte sich zu mir und streichelte mir über den Kopf.
Die nächsten Tage verliefen alle nach dem gleichen Muster und es stellte sich schon eine gewisse Routine ein. Ich lag übrigens alleine auf dem Zimmer, weil nicht besonders viel los war. Ich war auch froh darüber, denn eine Nervensäge neben mir konnte ich in meiner Verfassung überhaupt nicht gebrauchen.
Ich merkte, wie es mir von Tag zu Tag besser ging. Langsam, aber nach und nach kamen die Verbände ab und ich wurde endlich wieder ein bisschen mobiler und konnte schon kurze Spaziergänge auf dem Flur machen. Dennoch merkte ich, wie sehr meine Muskeln in der Zeit abgebaut und durch den Unfall beschädigt waren, denn das Gehen fiel mir sehr schwer.
Doc Behorn kümmerte sich wirklich fürsorglich um mich und half mir, wo es nur ging, da Dad ja wieder arbeiten musste und nur Spätabends und am Wochenende bei mir sein konnte. Auch die Schwestern waren allesamt sehr nett und es waren auch ein paar wirklich gutaussehende Exemplare dieser Gattung dabei. Aber leider gab es keine hübschen jungen Pfleger. Schade!
Kapitel 18: "Der Besuch"
Eine Woche nach meiner Verlegung nach Hessen kam Dad schon mittags zu mir ins Krankenhaus. »Hi, Kleiner.«, begrüßte er mich. »Wie geht's dir?« »Mit jedem Tag besser.«, antwortete ich und stellte das Kopfende meines Bettes in eine aufrechte Position, so dass ich Dad direkt anschauen konnte.
»Aber warum opferst du deine Mittagspause um jetzt schon hierher zu kommen?«, fragte ich ihn. »Naja,«, antwortete er, »ich wollte dir schon mal frische Unterwäsche vorbeibringen.« »Aber das ist doch nicht alles, oder?«, fragte ich ihn und er lächelte.
Also gut, eigentlich sollte es eine Überraschung sein, aber wenn du schon so neugierig bist... Gestern Abend hat mich dein Freund Hannes angerufen. Er musste wohl gerade ein ganzes Steak auf einmal gekaut haben, so schwer habe ich ihn verstanden. Aber dann ging es besser. Naja, was er gesagt hat war, dass dich deine Klasse heute sehr gerne besuchen möchte und er hat gefragt, ob das in Ordnung wäre.»
»Und was hast du ihm gesagt?«, fragte ich gespannt. »Ich habe natürlich gesagt, dass sie gerne kommen können, aber nur kurz, damit es dich nicht so beansprucht.«
Ich schluckte und musste fieberhaft nachdenken. „Shit, jetzt kommen sie und wollen mich alle hier verhöhnen, weil sie es natürlich wissen.“, ging es mir durch den Kopf und ich muss wohl eine Grimasse bei dem Gedanken gezogen haben.
»Oder ist es dir nicht recht?«, fragte mich Dad verunsichert, nachdem er meinen Gesichtsausdruck gesehen hatte. Ich schaute ihm in die Augen und sah, dass sein fröhliches Gesicht ein bisschen verschwunden war. Nein, ich wollte ihm die Enttäuschung dieser »Überraschung« nicht verderben. »Nein, nein, ich freue mich natürlich sehr.«, sagte ich dann. Er lehnte sich aufatmend und zufrieden in seinen Stuhl zurück.
Dann fiel mir aber noch was ein. »Und Dad, hat Hannes sonst noch irgendwas gesagt?« Ich versuchte, die Frage so harmlos wie nur irgendwie möglich klingen zu lassen.
»Nein, was denn zum Beispiel?« Ich überlegte und zögerte, weil ich nicht recht wusste, wie ich fragen sollte, ohne gleich Verdacht zu erwecken. »Naja, ob es... zum Beispiel... Neuigkeiten an meiner Schule gibt.«
Er überlegte kurz. »Nein, er hat nichts gesagt.« Jetzt ließ ich mich beruhigt ein wenig zurückfallen. »Oh, naja, sie werden mir die Neuigkeiten schon sagen, wenn sie da sind. Wann wollen sie denn kommen?« Er schaute auf seine Armbanduhr. »Na so in etwa drei Stunden. So, ich muss dann mal weiterarbeiten.«, verabschiedete er sich und küsste mich kurz auf die Wange. »Viel Spaß mit deinen Freunden. Aber mach nur solange, wie du auch kannst.« »Okay.«, sagte ich und winkte kurz zum Abschied. Dann verließ er auch schon das Zimmer.
Toll, also hatte ich noch drei Stunden Galgenfrist. Und ich kann euch sagen, diese drei Stunden zogen sich. Ich malte mir in Gedanken immer wieder aus, wie sie ins Zimmer kommen, alle mit dem Finger auf mich zeigen und mich auslachen. Shit, was für'ne besch... Situation. Ich überlegte sogar, kurz bevor sie kommen einfach aus meinem Zimmer zu humpeln und erst dann wiederzukommen, wenn sie alle weg waren. Aber das kam mir nach einiger Zeit dann doch zu kindisch vor.
Ich versuchte mich abzulenken, schaltete mal den kleinen Fernseher ein, zappte durch alle Programme, schaltete ihn wieder aus, nahm eine Zeitschrift, legte diese wieder weg usw... Ich war total unruhig und irgendwann war es dann schließlich kurz vor vier. Jetzt mussten sie jeden Moment kommen.
Ich wollte gerade noch mal schnell auf die Toilette humpeln, als plötzlich an der Tür geklopft wurde. »Ja?«, rief ich und schon wurde die Tür aufgestoßen und ein ganzer Pulk von Menschen strömte in das kleine Zimmer. Ich war total überwältigt. Mit so einem Ansturm hatte ich nicht gerechnet. Alle bauten sich sofern es der Platz zuließ um mein Bett auf und strahlten mich an. Aber ich war erleichtert, keiner deutete mit dem Finger auf mich oder lachte mich aus.
Von jeder Ecke kamen Genesungswünsche und kleine Geschenke und ich brauchte erst mal einen Moment um zu registrieren, wer denn überhaupt da war. Zwar war nicht die ganze Klasse da, sondern nur etwa die Hälfte, aber das reichte mir wirklich und mit denen, die nicht da waren, hatte ich bisher eh nicht so einen engen Kontakt.
Hannes, Katrin und Micha drängten sich zu mir durch und umarmten mich einer nach dem anderen, drückten meine Hand. »Na du Pfeife, ruhste dich mal wieder aus, oder was?«, kam auch schon der Kommentar von Hannes gefolgt von einem Grinsen, dass selbst Jack Nicholson vor Neid erblassen lassen würde. »Jap, konnte dich einfach nicht länger ertragen.«, sagte ich mit einem nicht weniger breiten Grinsen und wir beide mussten lachen.
Ich schaute mich um. Lukas war nicht da. Micha musste meine suchenden Blicke gesehen haben, denn er sagte: »Falls du Lukas suchst, musst du noch einen Moment warten. Er kommt etwas später, weil er gerne alleine mit dir reden möchte.« Uups, mir wurde plötzlich ganz anders. Wussten sie etwas?
Total unsicher geworden schaute ich Katrin an, die mir ebenfalls direkt in die Augen schaute. Ich sah, wie sich ihr hübscher Mund zu einem Lächeln formte und ihre Augen strahlten. Sie wusste genau, was jetzt in mir vorging und hob ganz kurz den Daumen. »Alles okay.«, murmelte sie mir kurz zu und ich merkte, wie mir eine Last vom Herzen plumpste.
Dann meldete sich Hannes in seiner gewohnt sensiblen, rhetorisch gewandten und total unaufdringlichen Art: »Sach mal, Flo, was ist denn nu eigentlich passiert? Du bist aus'em Zimmer gestürzt und das nächste, was wir erfahren haben ist, dass dich ein Bus angefahren hat.«
Ich überlegte. Wie viel sollte ich ihnen sagen? Anscheinend hatte Lukas doch nichts ausgeplappert, noch nicht mal zu Hannes und auch die anderen waren wohl von meinem Liebesgeständnis zu Lukas noch nicht informiert, denn sonst hätten sie sich mit Sicherheit anders verhalten.
Ich zögerte also. Dann entschied sich Klein-Flo mal wieder für die einfachste Lösung. »Ich... weiß... es selbst nicht. Totaler Filmriss. Ich habe überhaupt keine Erinnerung an den Tag, wirklich nicht!«
Hannes sah mich mit einem zugekniffenen Auge an, legte seinen Kopf ein wenig quer und ich merkte, wie es in seinem dicken Schädel arbeitete. Er wollte gerade zu etwas ansetzen, als mir Katrin zu Hilfe kam. »Ja, ich habe gehört, dass bei einem solchen Unfall das Kurzzeitgedächtnis einen mal im Stich lassen kann. Wird schon wiederkommen. Das wichtigste ist aber, dass es dir wieder ein wenig besser geht und wir sollten dich nicht mit zu vielen Fragen löchern.«, sagte sie und blickte dabei Hannes durchdringend an.
Der verstand den Wink und war sofort wieder ruhig. Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass Katrin ein absoluter Schatz ist? Wenn ich nicht anders wäre, könnte ich mich glatt in sie verlieben. Dankbar schaute ich sie an.
Der Nachmittag ging auch recht schnell vorbei. Hannes erzählte lautstark, wie die Lev vor Aufregung um mich beinahe durchgedreht hätte und das mir alle schöne Grüße von ihr bestellen sollten. Sie würde in ein paar Tagen mal bei mir vorbeischauen. Dann berichteten sie mir noch von den letzten Tagen in Paris und von der Heimfahrt.
Nach gut einer Stunde warf sie die Schwester dann raus. »Der Patient braucht jetzt seine Ruhe!«, waren ihre gebieterischen Worte und so wie sie es sagte war klar, dass sie keinen Widerspruch duldete. Micha, Hannes und Katrin gingen zuletzt, nicht noch ohne zu versprechen und zu drohen, mich nun öfters zu besuchen. Katrin schloss als letzte die Tür, nicht jedoch, ohne mir vorher noch mal zuzulächeln. »Mach dir keine Gedanken,«, flüsterte sie mir zu, »alles wird wieder gut.«, und schon war sie weg.
Kapitel 19: "Lukas, Dad und die Wahrheit"
Kaum dass sie die Tür hinter sich zugemacht hatte, wirbelten mir tausend Gedanken im Kopf umher. Gut, Lukas hatte also nicht gequatscht, sonst wäre das hier anders gelaufen. Selbst Hannes und Micha waren ahnungslos, nur Katrin schien mehr zu wissen oder was zu ahnen. Soweit konnte ich also beruhigt sein.
Aber was war mit Lukas? Warum wollte er mich später alleine sehen? Hatte ich mich nicht schon genug bei ihm zum Deppen gemacht? Wollte er mir nun sagen, dass er nie wieder mit mir sprechen wollte und mir die Freundschaft kündigen? Ich war total verunsichert und hatte auch Angst, vor dem, was nun passieren würde.
Und ich schämte mich, wenn ich ihm in die Augen schauen müsste. Ich war ja so dumm, mich ihm zu offenbaren und meine wahren Gefühle ihm zu zeigen. Damit hatte ich alles kaputtgemacht. Ich merkte, wie mir bei diesen Gedanken Tränen die Backe runter liefen.
Ich wischte sie mir gerade mit einem Taschentuch ab, als es an der Tür klopfte. Noch bevor ich »Ja« sagen konnte, wurde sie geöffnet. Es war Lukas! Da stand er nun in der Tür und schaute mich mit seinem Dackelblick an. Und er sah einfach umwerfend aus. Ich verzehrte mich nach ihm. Wie sollte ich weiter ohne ihn leben können?
»Hi.«, sagte er und winkte mit dem Arm. In der anderen Hand hatte er ein kleines Geschenk. In mir kamen wieder alle Gefühle zu ihm hoch und ich musste schwer schlucken, damit ich nicht zu weinen anfing.
Ich schaffte es noch nicht einmal, ebenfalls »Hi« zu sagen. Lukas sollte mich so nicht sehen, ich wandte mich einfach von ihm ab. Ich hatte mich ihm offenbart, meine tiefsten Gefühle ihm gezeigt und er hatte sie nicht erwidert. Na ja, er hatte sie nicht erwidern können, versuchte der Teil meines Gedächtnisses mir einzureden, der für die Logik zuständig ist. Schließlich wollte er mich ja als Freund, aber eben nicht als F r e u n d! Dafür konnte er ja nichts, aber das kapierte ich in diesem Moment einfach nicht.
Es muss ein komischer Anblick gewesen sein. Lukas, der in der Tür stand, mit einem Geschenk in der Hand und ich im Bett liegend, mich von ihm abwendend. Das musste auch Lukas gespürt haben, denn er wurde unsicher. »Was ist denn los, Flo?«, fragte er und ging auf mein Bett zu.
Als ich ihn kommen sah, drehten meine Sicherungen durch und ich tat etwas, was ich heute noch zutiefst bereue. »Geh weg, hau ab!«, rief ich ihm zu. »Ich will dich nicht sehen, verschwinde!« Ich weinte, während ich diese Worte schrie.
Lukas war zutiefst getroffen. Er stoppte, ging nicht weiter und musste meine Worte erst mal verdauen. Offensichtlich hatte ich ihn geschockt. Nach einer Weile hatte er sich aber gefangen. »Flo, ich will mit dir sprechen, auch über das, was da in Paris...«, weiter kam er nicht, denn ich fing wieder an, ihn anzuschreien. »Verschwinde, ich will dich nie, nie wieder sehen!«
Just in diesem Moment öffnete sich die Tür erneut und Schwester Margit kam herein. Sie war etwa 1,60 m groß und bestimmt gute 100 Kilo schwer. Der typische Vertreter eines Krankenhausdrachens.
»Was soll dieser Lärm?«, fragte sie und sah erst jetzt Lukas. »Ich habe doch gesagt, dass alle gehen müssen. Das gilt auch für sie, junger Mann.«, sagte sie in ihrer gewohnt unnachgiebigen Art.
»Ich muss noch mit Flo sprechen...«, versuchte Lukas anzusetzen, aber Schwester Margit hasste jede Form der Widerrede, egal von wem. Ich sah, wie sich ihre Stirn kräuselte, sich die Arme in ihre gewaltigen Hüften bohrten und sie mit ihrem beeindruckenden Organ sich Respekt verschaffte.
Lukas hatte keine Chance.
Es war, als ob ein Orkan über ihn hinwegfegte. Sie schnappte sich Lukas am Arm, noch bevor er irgendwas dagegen tun konnte und schob ihn Richtung Tür.
Er schaffte es gerade noch »Flo, wir müssen reden...«, zu sprechen, als ihn Schwester Margit schon aus dem Zimmer gedrängt hatte und mit einem lauten Knall die Tür hinter sich zuzog. Draußen auf dem Gang hörte ich sie, Lukas anschreien und dann hörte ich, wie jemand schnell davonlief. Schwester M. hatte offensichtlich gewonnen und ihre Burg verteidigt. Der Drache hatte gesiegt und zog sich nun in seine Höhle zurück.
»Was war denn hier los?«, hörte ich eine Stimme auf dem Gang sagen. »Nichts weiter, Herr Berger.«, sagte die Stimme von Schwester M. die sich urplötzlich zu einem Säuseln verändert hatte. »Sagen sie aber bitte ihrem Sohn doch, dass er Krankenbesuche von seinen Freunden nur bis fünf empfangen darf. Ich habe die Vorschriften ja nicht gemacht, aber eingehalten werden müssen sie trotzdem.« Ihre Stimme klang wie Honig, so süß war sie.
»Ist gut, werde ich machen.« Schon klopfte er an die Tür und öffnete sie im gleichen Moment. »Hi Kleiner, wie geht's?«, sagte er, nachdem er sie wieder geschlossen hatte. Ich war noch nicht in der Lage, wieder was zu sagen. Ich hatte noch immer Tränen in der Stimme und das hätte mich mit Sicherheit verraten.
Dad bemerkte sofort, dass da was nicht stimmte. »Was ist los, Jonas?«, fragte er nun ernsthaft. Warum ist Lukas so schnell weg und warum hast du geweint? Aber ich konnte ihm einfach nicht in die Augen sehen und ihm antworten, so dass ich mich einfach nur umdrehte.
»Also gut, junger Mann.«, sagte Dad jetzt ein wenig energischer. »Willst du nun mit mir reden oder soll ich wieder gehen, bis du dich beruhigt hast?« Ich merkte die Verärgerung in der Stimme und zögerte. Ich hatte Dad schon lange nicht mehr so gesehen.
Er fasste mein Zögern jedoch als Ablehnung auf und drehte sich wieder um. »Na gut, dann hat es ja keinen Sinn, noch hier zu bleiben. Ich komme dann morgen wieder.« Er wollte gerade die Tür wieder aufmachen, als ich einen Entschluss fasste.
»Dad, geh bitte nicht.«, sagte ich leise und er blieb stehen und drehte sich wieder zu mir um. »Ich muss mit dir reden.«, fuhr ich fort und ich merkte, wie sich meine Stimme wieder belegte.
Jetzt war der gekommen, der Augenblick der Wahrheit, jetzt musste alles raus!
Er holte sich einen Stuhl und setzte sich zu mir. Ich überlegte, wie ich am besten anfangen sollte. »Hast du dich bisher nicht gefragt... was da überhaupt in Paris passiert ist?«, fragte ich ihn und schaute ihn an.
»Natürlich habe ich mich das. Eure Lehrerin hat mich angerufen und mir gesagt, dass du von einem Bus angefahren wurdest. Was aber genau passiert war, konnte sie mir auch nicht sagen und ich wollte dich nicht drängen. Ich dachte, dass du mir schon alles erzählen würdest, wenn du soweit bist.«
Das war typisch mein Vater. Er gab mir die Zeit, die ich brauchte, obwohl er sich wahnsinnige Sorgen machen musste. Ich liebte ihn; in diesem Moment stärker als jemals zuvor.
Ich seufzte. „Also gut, los geht's.“, sagte ich zu mir selbst und fing an. »Ich bin aus der Herberge gelaufen, weil ich eine... Auseinandersetzung... mit Lukas hatte. Darüber habe ich den Kopf verloren und bin kopflos auf die Straße gestürmt, gestolpert und dann gegen den Bus gefallen. Den Rest kennst du ja.«
»Okay,«, sagte Dad, »aber wieso hattest du eine Streiterei mit Lukas? Ihr versteht euch doch sonst so gut und seid ein Herz und eine Seele.«
»Genau das ist das Problem.«, sagte ich sehr leise. Ich schaffte es nun nicht mehr, Dad in die Augen zu schauen und blickte unter mich. »Ich habe Lukas nämlich gesagt...«, mir fiel es schwer, weiterzusprechen. Ich wagte nicht, zu ihm aufzuschauen.
»Ja?«, fragte Dad nun sichtlich neugierig geworden. »Ich habe Lukas nämlich gesagt, dass... ich mich... in ihn verliebt habe.«
Jetzt war es raus. Er wusste nun Bescheid. Gespannt wartete ich auf eine Reaktion.
Er sah mich an und sagte zunächst nichts. Nach einiger Zeit begann er dann aber doch zu sprechen. »Ja, und?«, fragte er mich und sah mich an. Ich glaubte, zuerst nicht richtig gehört zu haben und schaute daher zu ihm auf und direkt in seine Augen.
»Dad, ich habe gerade gesagt, dass ich mich verliebt habe, und zwar in einen Jungen. Das heißt, ich bin schwul!«
»Oh, ich habe dich schon richtig verstanden, mein Sohn, aber trotzdem frage ich dich, wo das Problem dabei ist? Denkst du, dass ich dich nun weniger lieben würde oder dich sogar verstoßen werde oder so einen Mist? Homosexuell zu sein, ist doch nichts Schlimmes!«
Jetzt hatte ich verstanden. Ich lehnte mich zu Dad rüber und umarmte ihn. »Danke.«, flüsterte ich leise. Er nahm mich in den Arm, streichelte mir über den Kopf und gab mir einfach nur seine Zuneigung und Unterstützung.
Wie saßen so eine ganze Zeit zusammen und es waren die schönsten Minuten seit langer, langer Zeit für mich.
Aber irgendwann fing Dad wieder an zu sprechen. »Wie hat denn Lukas auf deine Liebeserklärung reagiert? Und was ist in Paris weiter passiert? Und warum ist er heute so schnell hier weg?«
Ich musste einen Moment nachdenken. Dann kamen wieder diese schlimmen Erinnerungen in mir hoch. Tränen stiegen in mir auf.
»Als ich ihm gesagt hatte, dass ich ihn liebe, hat er einen Moment nachgedacht und mir dann gesagt, dass ich zwar ein guter Freund für ihn sei, er mich aber nicht lieben könnte, weil er nicht schwul ist. Dann sind bei mir einige Sicherungen durchgebrannt und ich bin aus der Herberge gestürzt und anschließend auf diese Bushaltespur gestolpert und von dem Bus angefahren worden. Und heute wollte er mit mir irgendwas bereden, ich konnte aber nicht. Sein Anblick war zu viel für mich, ich bin es nicht wert, dass er mich noch mal anspricht. Ich habe mich bei ihm so blamiert, unsere Freundschaft kaputtgemacht. Ich habe ihn also angeschrien, dass er verschwinden soll und den Rest kennst du ja.«
»Hmm.« Dad hatte still zugehört und überlegte jetzt eine Weile. »Also, Jonas. Jetzt hör mir mal bitte gut zu. Du kennst doch bestimmt deinen Cousin Steven. Er ist zwar noch jung, aber trotzdem ein wirklich cleveres Kerlchen, hilfsbereit, freundlich und auch noch außerordentlich intelligent. Aber dennoch hatte er wenig Selbstvertrauen, dachte, keiner würde ihn mögen und dass er nie Freunde finden würde. Bis ihm mal jemand klar gemacht hatte, dass er ein ganz besonderer, wundervoller Mensch ist; einzigartig auf der Welt. Seit dem ist er wie verändert. Und das gleiche gilt auch für dich, Jonas. Du bist einzigartig, und zwar im besten Sinne gemeint. Du brauchst dich wirklich nicht für dich zu schämen und du sollst wissen, dass ich dich immer lieben werde, egal wie du bist oder was du bist. Verstehst du, es spielt für mich keine Rolle weil ich weiß, dass du ein herzensguter Mensch bist, dir immer Mühe gibst und auch für die anderen da bist. Wenn Lukas deine Liebe nicht teilt, tut mir das wirklich leid für dich, aber man kann es eben nicht ändern. Aber er will doch mit Sicherheit nicht die Freundschaft zu dir aufgeben, denn sonst wäre er doch kaum heute zu dir gekommen, oder? Und wenn es Lukas nicht sein soll, findest du schon jemanden, der dich genauso liebt, wie du ihn.«
Ich hatte Dad während seiner Ausführungen leise zugehört und nachdem er jetzt fertig war, konnte ich nicht mehr. Ich musste hemmungslos heulen. Die Tränen liefen nur so mein Gesicht runter. Er nahm mich in den Arm, streichelte mir über den Kopf und ließ mich einfach nur meinen Gefühlen hingeben.
Nachdem ich mich nach ein paar Minuten wieder ein wenig beruhigt hatte, sagte ich leise »Danke, Dad« zu ihm und er nur: »Ist schon okay, mein Kleiner.« Dad blieb noch etwa eine Stunde so bei mir sitzen.
Den Rest des Tages passierte nicht mehr viel abgesehen von der Tatsache, dass ich ständig über Dad's Worte nachdenken musste.
Auch die nächsten Tage verliefen immer nach dem gleichen Muster und ich gewöhnte mich zusehends an den Tagesablauf. Mir ging es auch immer besser und mein Gefühlsleben hatte ich seit der Aussprache mit Dad auch wieder im Griff. Ich bekam richtig gute Laune und meine Stimmung wurde von Tag zu Tag besser. Nur wenn ich an Lukas dachte, verspürte ich immer einen Schmerz.
Dies änderte sich auch nicht, als Frau Levevrè mich besuchen kam und einen riesigen Präsentkorb in den Händen hielt. Ich freute mich echt über den Besuch und sie entschuldigte sich vielmals, dass ausgerechnet bei ihrer Fahrt der Unfall passiert sei und dass es ausgerechnet mich getroffen habe, ihren Lieblingsschüler und so weiter. Sie blieb bestimmt anderthalb Stunden bei mir, natürlich nicht noch ohne mir genug Aufgaben dazulassen, damit »mir nicht langweilig wurde«.
Ich habe mich total über ihren Besuch gefreut und wenn ihr mal längere Zeit die öde Krankenhauskost genossen haben solltet, seid ihr für jede Köstlichkeit aus einem Präsentkorb mehr als dankbar, glaubt mir!
Nach etwa einer Woche hatte ich plötzlich nachts einen leichten Rückfall und sehr starke Schmerzen. Dr. Behorn verabreichte mir eine Spritze und ich dämmerte dann weg. Den ganzen nächsten Tag war ich wie benommen und auch die nächste Nacht ging es mir noch nicht wieder besser. Die Ärzte stellten eine fiebrige Entzündung bedingt durch die Operation fest.
Auch in dieser Nacht dämmerte ich so dahin, es war so ein Halbschlaf, nicht wach aber auch nicht geschlafen. Irgendwann merkte ich aber, dass jemand im Zimmer war, mir über mein Gesicht strich und meine Haare streichelte. Und ich hatte das Gefühl, als würde ich geküsst werden.
Ich hatte aber nicht die Kraft, die Augen aufzumachen. Es war ganz komisch und wenn ich mich heute daran zurückerinnere, kann ich noch nicht einmal sagen, ob ich es geträumt hatte oder es tatsächlich passiert war. Mir kam es nur unheimlich real vor.
Am nächsten Morgen ging es mir schon wieder besser und ich hatte dieses Ereignis schon wieder als Traum verdrängt.
Die Entzündung war dann nach einiger Zeit auch ausgestanden und mir ging es nun von Tag zu Tag besser.
Kapitel 20: "Endlich!"
Nach dreieinhalb Wochen Krankenhausaufenthalt war es dann endlich soweit. Mein Gesundheitszustand hatte sich soweit gebessert, dass ich entlassen werden konnte. Zwar hatte ich noch Probleme mit dem Gehen und hier und da zwickte es noch etwas, aber ich war heilfroh, als ich wieder zu Hause war. Und das angenehme war, dass ich noch für eine Woche vom Unterricht befreit war. Ich konnte mich also in Ruhe Zuhause noch ein wenig erholen.
Dad hatte mich vom Krankenhaus mit unserer Klapperkiste abgeholt und als ich Zuhause mein Zimmer betrat merkte ich erst mal, wie schön es überhaupt war. Ich brauchte gar nicht den Luxus, den Lukas hatte. Mir reichte das vollkommen, was ich besaß.
Ich bekam vom Krankenhaus Krücken mit, die ich jetzt in meinem Zimmer in die Ecke stellte. Ich schaltete die Musikanlage an und ließ mich erst mal auf mein Bett fallen. Dad brauchte noch ein wenig mit dem Mittagessen, so dass ich in Ruhe der Musik aus der Anlage lauschen konnte.
Es war ein himmlisches Gefühl, kann ich euch sagen. Nach so langer Zeit wieder in seinem eigenen Bett zu liegen ist mehr wert als alles Geld der Welt. Naja, fast jedenfalls. Ich fühlte mich saugut und bin dann einfach eingeschlafen.
Ich wurde erst wieder wach, als Dad mich zum Mittagessen rief. Als ich die Treppe herunter humpelte, roch ich schon, dass es etwas sehr gutes geben musste. Und tatsächlich, Dad hatte sich richtig Arbeit gemacht. Es gab Steak, Pommes und Salat und als Nachtisch Eis mit Früchten. Als ich ihn fragend anschaute meinte er nur achselzuckend: »Ist ein Willkommensessen! Ich freu‘ mich halt, dass du wieder da bist.« Es schmeckte phantastisch.
Nach diesem opulenten Mahl war ich pappensatt, nichts ging mehr rein. Nach der recht faden und nie satt machenden Krankenhauskost genau das richtige! Ich strahlte über beide Backen, genauso wie sonst Hannes bei so einem Essen. Mit beiden Händen rieb ich mir den Bauch und Dad konnte sich bei diesem Anblick vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten.
»Du tust ja gerade so, als ob du vier Wochen lang nix zu essen bekommen hättest.«, sagte er und ich antwortete: »Jap, kam mir auch so vor!«
Nach dem Essen humpelte ich wieder nach oben und musste mich erst mal hinlegen und ein wenig ausruhen. Ich war auch ruck zuck wieder eingeschlafen, als ich von dem Klingeln der Haustürglocke geweckt wurde.
Ich hörte, wie Dad die Tür aufmachte und jemanden einließ und mit der Person sprach. Ich konnte aber nichts verstehen, so dass ich mich schon wieder umdrehen wollte, als Dad in den Flur rief: »Jonas, du hast Besuch.« »Es ist Lukas, er will mit dir sprechen.«
Ich war urplötzlich hellwach und stand kerzengerade im Bett. Natürlich nur bildlich gesprochen. Ich merkte, wie mein Puls in die Höhe schnellte und das Blut in meinen Kopf strömte und ich dadurch feuerrot wurde.
Ich wollte gerade »Ich will ihn nicht sehen.« runter rufen, als ich schon die Schritte auf der Treppe hörte und kurz darauf ein zaghaftes Anklopfen an meiner Tür. Na gut, jetzt war's zu spät. Ich sagte nichts und wartete einfach ab. Lukas klopfte noch mal und als ich immer noch nichts sagte, öffnete er einfach die Tür und trat ein.
»Hi.«, sagte er ganz leise und ich merkte sofort, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Seine Augen waren rotgerändert, er musste geweint haben. Ich saß auf dem Bett und schaute ihn an. »Ich muss dringend mit dir sprechen, Flo. Hör mir nur bitte fünf Minuten zu, dann kannst du mich rausschmeißen und mir sagen, dass du mich nie wieder sehen willst. Ich werde es dann akzeptieren, aber gib mir bitte nur diese fünf Minuten.«
Mir brach das Herz, ihn so da stehen zu sehen. Ich war Wachs in seinen Händen, wollte es aber nicht zeigen. »Also gut.«, sagte ich und versuchte noch, meiner Stimme möglichst viel Halt zu geben, obwohl es längst nicht mehr so war.
»Danke! Flo... ich... habe alles... falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte.« Er senkte den Kopf und traute sich nicht, mir in die Augen zu schauen. »Als du mir in Paris gesagt hast, dass du dich in mich verliebt hast, dachte ich...«, er stockte und Tränen füllten seine Stimme.
Ich stand vom Bett auf. »Was hast du gedacht?«, fragte ich ihn ganz leise, fast flüsternd. Er sah zu mir. »Ich habe gedacht, dass du...«
...»Ja?«...
...»na ja, dass du... mich hochnehmen und verarschen wolltest, weil du mitgekriegt hast, was... was ich für dich...empfinde.«
»Als du dann aus dem Zimmer gerannt bist, habe ich erst erkannt, dass du es ernst gemeint hast. Ich war ja so ein Idiot.« Er schüttelte den Kopf. »Du kannst dir vielleicht vorstellen, was für Schuldgefühle ich seitdem habe, schließlich bin ich ja quasi an deinem Unfall schuld. Es ist ganz alleine meine Schuld...«
Er fing an zu heulen. Ich ging nahe zu ihm, streichelte mit einer Hand über sein Gesicht und wischte die Träne auf. Er sah zu mir hoch und mir in die Augen. Er schluchzte. »Kannst du mir... jemals verzeihen und... und wieder mein Freund sein, so wie es vorher war..., bevor ich so dumm war?«
Ich war wie versteinert. Seine Worte hatten mich zutiefst bewegt, mich völlig aufgewühlt. Nach einem Moment hatte ich mich gefasst. »Nein, Lukas, tut mir leid, ich will nicht, dass es wieder so wie früher wird.«
Es war, als sackte er in sich zusammen. Der Junge, der sonst von allen als der strahlende Held bewundert wird, der immer so cool ist, stand vor mir wie ein Häufchen Elend. Ich nahm ihn zärtlich in den Arm und küsste ihn ganz leicht auf den Mund.
»Ich will mehr als nur Freundschaft.«, sagte ich und strahlte ihn an.
Er blickte mir in die Augen, als könne er nicht glauben, was er eben gehört hatte. Dann bemerkte er aber meinen Kuss und ich merkte, wie er sich veränderte. Er ließ sich nun völlig gehen. Tränen kullerten über sein Gesicht.
Über sein wirklich hübsches Gesicht!
Ich zog ihn an mich, umarmte ihn und streichelte durch seine Haare. Wir blieben bestimmt fünf Minuten so stehen, als wir plötzlich ein Räuspern hörten.
Wir drehten uns schnell um und sahen Dad in der Tür stehen, am Türrahmen lehnend mit einem Grinsen auf dem Gesicht, in dem ganz Hessen Platz gehabt hätte.
»Na also, geht doch.«, sagte er, pfiff leise vor sich hin und verschwand.
Lukas und ich fingen beide gleichzeitig an zu lachen.
Aber mir fiel noch etwas ein, was ich in der Aufregung ganz vergessen hatte. »Sag mal, woher wusstest du eigentlich, dass ich heute schon wieder heimkomme?« Er grinste. »Dein Vater hat mich gestern angerufen und gesagt, das er dich heute holt und es vielleicht nicht verkehrt wäre, wenn ich mal vorbeischauen würde, um dir die Hausaufgaben zu bringen.«
Ich grinste über beide Backen. Aber nicht lange, denn dann musste ich meinen Schatz einfach wieder küssen. Es war der leidenschaftlichste Kuss, den ich je erlebt habe...
Ein Traum ging in Erfüllung.
Aus dem Hintergrund war leise ein Lied aus meiner Anlage zu hören...
Lean on Me
Sometimes in our lives,
we all have pain, we all have sorrow.
But if we are wise, we know that there's always tomorrow.
Lean on me, when you're not strong and i'll be your friend.
I'll help you carry on,
for it won't be long till i'm gonna need somebody to lean on.
(Bill Withers)
Epilog
Dieser schönste Augenblick meines noch jungen Lebens liegt nun etwa einen Monat hinter mir und es war mein bisher schönster Monat. Lukas und ich verstehen uns blind, wir vertrauen uns und lieben uns. Wir haben uns bisher noch nicht geoutet, nur Hannes, Katrin und Dad wissen von unserer Liebe und sie akzeptieren uns so, wie wir sind.
Das Gespräch mit Lukas Eltern steht uns noch bevor. Genauso wird es irgendwann unvermeidlich sein, auch die anderen in unserer Klasse einzuweihen. Aber wir müssen noch den richtigen Zeitpunkt abpassen. Schließlich habe ich nicht vor, zusammen mit Lukas den Idioten von Matthias und Co in die Arme zu laufen.
Ich weiß genau, welche Frage euch jetzt auf der Seele brennt und die Antwort ist Nein! Wir hatten noch keinen Sex. Wir lassen uns Zeit und wir beide finden, dass es dafür noch ein wenig zu früh ist. Aber das wird sich mit der Zeit geben, da bin ich ganz sicher *g*.
Und es gibt noch eine erfreuliche Nachricht zu vermelden. Katrin und Hannes sind seit einiger Zeit ein Paar! Lukas und ich freuen uns tierisch für die Beiden und sie sind genauso ineinander verliebt wie ich mit meinem Schnuckel.
Es wird ein schöner Sommer werden...
Nachwort
Schlußwort von Nev
Hi!
So, dass war das Ende von Lean on Me. Ich hoffe, Euch hat die Geschichte ein wenig gefallen. Mir jedenfalls hat das Schreiben viel Spaß gemacht. Ich werde jetzt erst mal eine längere Pause einlegen, aber vielleicht sehen wir uns irgendwann mal bei einer neuen Story wieder. Who knows?
Ich möchte aber noch die Gelegenheit nutzen um all denen zu danken, die mir (während ich LoM geschrieben habe) gemailt und mich unterstützt haben; allen voran danke ich drei ganz besonderen Menschen: Martina, Dirk und Steph.
Ach ja, über Mails freut sich der kleine Nev nach wie vor...*g*
Tschau bis mal wieder
sagt der
Nev
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