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Liebe und solche Sachen

Teil 5

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Da sitze ich nun wie ein kleines Häufchen Elend und mir ist schlecht. Was war eigentlich los? Nun gut, Felix wusste also Bescheid, aber das war doch das, was ich eigentlich auch wollte. Warum fühle ich mich dann so schlecht? So sollte er es eigentlich nicht erfahren, aber was raus ist, ist raus. Meine Gedanken schießen wild durcheinander. Soll ich etwas sagen? Aber was? Die Sekunden erscheinen mir wie Tage. Warum sagt Felix nichts? Sein Schweigen ist wie Folter für mich. Würde ich ihn verlieren? Als Freund? Ich war gespannt auf seine Reaktion und ich hatte Angst davor, riesige Angst.

Ich setze mich auf meinem Bett nach hinten und lehne mich an die Wand. Erst jetzt sehe ich Felix wieder ins Gesicht. Er steht vor seinem Bett und ist scheinbar genauso unschlüssig wie ich. Es sieht ganz so aus, als ob auch er angestrengt nach den richtigen Worten sucht. Sein ernstes Gesicht beunruhigt mich und ich beginne meine Idee mit dem Brief zu bereuen. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, die Sache für mich zu behalten. Zumindest hätte ich viel besser aufpassen müssen. Er hätte den Brief jetzt noch nicht finden dürfen. Ich nehme meine ganzen Mut zusammen und sage:

»Tja, damit wär's wohl raus.«, und sehe ihn dabei fragend an.

»Sieht so aus, Maik.«

»Felix ich kann nichts dagegen tun. Ich hab mich einfach in dich verliebt. Ich hatte Angst dir das zu sagen. Vielleicht kannst Du das verstehen.«

Felix schaut mich immer noch wortlos an, mit dem selben ernsten Gesichtsausdruck wie vorher und ich sage weiter:

»Ich kann verstehen, wenn du jetzt nicht mehr so begeistert von mir bist und auch nicht mehr sehr froh darüber bist, dass du mit mir das Zimmer teilen musst.«

Bei diesen Worten senke ich meinen Blick wieder und stütze meinen Kopf auf meine Hände. Felix kommt ein paar Schritte näher und setzt sich neben mich auf mein Bett. Auch er rutscht nach hinten und lehnt sich an die Wand.

»Wie lange weißt Du es schon? Ich meine, dass du schwul bist?«

Ich bin überrascht. Er setzt sich neben mich! Er scheint mich also offensichtlich nicht abstoßend zu finden und auch mit meiner Nähe kein Problem zu haben.

»Wie lange? Ich weiß es nicht mehr genau. Ich glaube diese Erkenntnis kam ziemlich schleichend. Erst hatte ich gar keine Ahnung was mit mir los ist, dann kamen irgendwann Vermutungen, Zweifel und irgendwann wusste ich es einfach.«

»Und du bist in mich verliebt? Ehrlich?«

»Ja Felix total, bis über beide Ohren, aber ich denke, dass wirst du nicht verstehen können. Du musst auch keine Angst haben, also ich werde nicht nachts heimlich über dich herfallen, oder sonst was in der Richtung.«

Felix lächelt wieder, sieht mir in die Augen, legt sogar seinen Arm um meine Schulter und sagt mir leise ins Ohr:

»Das weiß ich, Maik, dazu bist du viel zu lieb. Ich hab auch keine Angst vor dir. Wäre ja noch schöner, du bist doch mein Freund.«

»Soll das etwa bedeuten, du hast kein Problem mit dem, was ich da geschrieben habe?«

»Problem? Ganz bestimmt nicht. Warum sollte ich ein Problem damit haben, wenn mich der liebste und niedlichste Junge, der im Augenblick in Sri Lanka Urlaub macht, liebt?«

Ich bin total verwirrt. Wie meint Felix das? Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Wieso sagt er so was und noch dazu in einer Art, als wenn er der Verliebte ist. Was jetzt geschieht kann ich einfach nicht fassen. Felix rückt noch ein Stück näher und lehnt seinen Kopf ganz dicht an meinen und streicht mir mit seiner Hand durchs Haar. Er scheint sehr aufgeregt zu sein. Seine Berührungen sind sehr vorsichtig.

»Maik, als ich vorhin deinen Brief gelesen habe, war das für mich der schönste Moment in meinen Leben. Ich konnte nicht glauben, was da steht. Ich dachte du machst nur einen Scherz. Deshalb wollte ich wissen, ob du das auch wirklich ernst meinst.«

»Der schönste Moment in deinem Leben?«, frage ich total überrascht. Felix sieht mir jetzt in die Augen.

»Ja Maik. Du bist nämlich nicht der einzige, der sich verliebt hat. Schon als wir zusammen auf der Besucherterrasse auf dem Flughafen waren, hab ich mich in dich verguckt. Ich liebe dich doch auch.«

Ich verstehe gar nichts mehr. Felix liebt mich! Macht er sich lustig über mich? Nein dazu sagt er diese Worte viel zu ernst.

»Ich verstehe nicht ganz Felix. Du liebst mich?«

»Ja, du müsstest doch wissen, wie so etwas ist. Ich meine wenn man einen Jungen liebt, genau so geht es mir mit dir.«

Total verdrehte Welt. Felix beginnt mir etwas zu erklären, wo von ich bis vor kurzem der Meinung war, dass ich es ihm erklären müsste.

»Aber die Sache mit deiner Freundin. Ich meine ... Ich denke ... Ich denke du stehst auf Mädchen.«

Felix grinst mich jetzt ziemlich frech an:

»So dachtest du das?«, aber schon wird er wieder ernster und meint:

»Na ja, dieses Mädchen war total scharf auch mich. Warum auch immer. Ich war total verzweifelt zu dieser Zeit. Ich wusste, dass was mit mir nicht in Ordnung sein kann, das ich anders war wie meine Kumpels und ich dachte, dass sich das alles ändern wird, wenn ich erst mal mit diesem Mädchen zusammen bin. Es wurde aber nur noch viel schlimmer. Ich hatte jedes Mal Panik, wenn ich sie nur küssen sollte. Ich habe absolut nichts dabei gespürt. Gar nichts. In den letzten Tagen vor unserer Trennung wollte sie immer mit mir schlafen. Jedes Mal hab ich mich mit irgend welchen Ausreden davor gedrückt. Ich konnte das einfach nicht. Jedenfalls nicht mit einem Mädchen. Na ja, da hat sie sich eben mit 'nem Kumpel von mir getröstet. Mit ihm ist sie angeblich gleich am ersten Tag ins Bett. Sie hat mich nochmal angerufen, um mir zu sagen, dass er nicht so'n Schlaffi sei wie ich. Sehr nett nicht?«

»Ja tolle Frau und so rücksichtsvoll.«

»Na und seit dem bin ich mir eben fast sicher, dass ich wirklich nur mit Jungs ... na du weißt schon. Als ich dich kennengelernt hatte, war die Gewissheit dann komplett. Zum ersten mal bin ich richtig verliebt. Schon am ersten Abend hier wusste ich das. Deswegen war ich auch so mies drauf, weil ich dachte, du könntest diese Gefühle nie erwidern. Kann es sein Maik, dass du aus dem selben Grund geweint hast, vorgestern Nacht?«

»Ja, genau deswegen, aus dem selben Grund. Wir sind schon zwei Spezialisten, oder?«

»Ich bin so froh, dass ich deinen Brief gefunden habe, denn ich weiß nicht wie lange ich es noch ausgehalten hätte. Ich war schon nah dran mit Marcel darüber zu sprechen.«

»Mit Marcel?«, frage ich total überrascht.

»Ja er ist der einzige der weiß, dass ich schwul bin. Ich habe es ihm gleich noch an dem Abend erzählt, als sich Jana von mir getrennt hat. Als er von der Trennung erfahren hat, kam er am selben Abend noch zu mir. Ich konnte ihn nicht mehr belügen, habe ihm aber gebeten, er soll es auf keinem Fall jemanden sagen. Er hat es geschworen.«

Jetzt musste ich ein wenig lachen. »Was ist Maik, warum lachst Du?«

»Nun weil unser lieber Marcel dann von uns beiden weiß, was wir für Jungs empfinden. Da wir ihn aber beide gebeten haben, das für sich zu behalten, sperrt er uns in aller Seelenruhe zusammen, wie zwei Versuchskarnickel und wartet ab, was passiert.«

Nun muss auch Felix wieder etwas lachen.

»Was, er weiß es von dir auch? Na ja, da sind wir aber selber schuld. Das kommt davon, wenn man ein Geheimnis daraus macht.«

Eigentlich kann ich es noch gar nicht richtig begreifen. Dieser süße Junge, der neben mir sitzt und in den ich total verknallt bin, ist schwul wie ich und liebt mich? So was gibt es doch im richtigen Leben gar nicht, oder? Ich bin froh, überrascht, aufgeregt ... alles in einem.

»He Maik!«, weckt mich Felix aus den Gedanken.

»Was?«

»Ich hab noch nie 'nen Jungen geküsst. Ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt bringe.«

Bei diesen Worten lächelt Felix verschmitzt.

»Na ich hoffe, du kannst es nicht sonderlich gut.«

»Wieso das?« Sein lächelndes Gesicht sieht plötzlich ziemlich fragend aus.

»Nun, damit wir schön viel üben müssen natürlich.«

Felix war noch etwas näher an mich heran gerutscht. Also noch näher ging es eigentlich schon nicht mehr.

»He mein Kleiner, du riechst verdammt gut. Darf ich mal kosten, ob du auch so gut schmeckst?«

Eine ganze Weile sehen wir uns einfach nur in die Augen. Eine kleine Ewigkeit, aber es ist schön. Millimeter für Millimeter bewegen wir uns auf einander zu, bis sich unsere Lippen ganz leicht berühren. Erst ziemlich schüchtern, dann aber immer leidenschaftlicher wird dieser erste Kuss. Es scheint mir plötzlich, als wenn Felix sich in den letzten Minuten total verändert hat. Aus dem Kumpel Felix ist MEIN Felix geworden und aus dem innigem Kuss wird langsam zärtliches Streicheln. Irgendwie liegen wir plötzlich ganz eng aneinander gekuschelt in meinen Bett, streicheln und küssen uns, immer wieder von Worten wie: »Ich hab dich so lieb.« unterbrochen und irgendwann, erst mitten in der Nacht, schlafen wir Arm in Arm ein.

Als ich wach werde, ist es kurz vor acht, also noch 'ne Stunde Zeit bis zum Aufstehen. Ich sehe schlaftrunken nach Felix seinem Bett und erschrecke kurz. Wie? Er ist nicht in seinem Bett? Ach so, kann ja auch nicht, er liegt ja neben mir. Ich drehe mich um und auch Felix öffnet in diesem Moment kurz die Augen. Er rutscht wieder ganz dicht an mich heran und kuschelt sich an meinen Körper. An seinem Lächeln ist zu erkennen, dass er mit seiner neuen Lage sehr zufrieden ist und schon scheint er wieder eingeschlafen. Ich kann nicht mehr schlafen. Ich will es gar nicht. Ich möchte viel lieber seine Nähe genießen, seine Wärme spüren und einfach nur glücklich sein. Als der Wecker klingelt, erschrecke ich trotzdem, wie schnell diese Stunde vergangen ist.

»Morgen mein Schatz.«, gähnt Felix und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.

»Du oder ich?«

»OK, ich.«, sagt Felix, bemüht sich umständlich aus dem Bett und verschwindet im Bad.

Zwanzig Minuten später sitzen wir beide frisch und (fast) munter an unserem kleinen Tisch und warten auf die anderen beiden.

»Was meinst du Maik, wollen wir es Marcel sagen?«

»Wenn du meinst, von mir aus gern denn ... «

Ich konnte diesen Satz nicht mehr zu Ende sprechen, denn gerade in diesem Moment klopfte es laut an die Tür. Marcel.

»Hi, bei Lisa dauert es noch zehn Minuten. Sie baut irgendwie an ihren Haaren herum. Keine Ahnung was Frauen da alles machen müssen, ich fahre einfach mit dem Kamm durch - fertig, aber sie braucht immer erst 'ne technische Zeichnung.«

»Na dann komm doch noch 'n Moment rein, wir wollen dir sowieso was sagen.«

Marcel setzt sich in den Sessel und grinst.

»So, ihr wollt mir was sagen? Das hat wohl nicht vielleicht zufällig etwas mit dem zu tun, was ich von euch Beiden schon 'ne Weile weiß, ihr aber nicht voneinander wusstet, oder?«

»Ein wenig schon. Kannst Du Gedanken lesen?«, fragt Felix erstaunt.

»Nein, ich zähle nur eins und eins zusammen. Ich würde sogar behaupten, dass ihr die letzte Nacht nicht allzu weit voneinander entfernt verbracht habt.«

»Also doch Gedanken lesen, sag ich doch?«, bestätigt Felix seine Aussage.

»Nee Felix, aber ich glaube nicht, dass du die Nacht im Sessel oder im Stehen verbracht hast, und dein Bett sieht noch genauso unberührt aus, wie es der Roomboy gestern hinterlassen hat.«

Sieh an, so schnell ist man entlarvt. Nun mit Marcel seinem Vorwissen über uns war diese Kombination aber auch keine allzu große Detektivleistung.

»Sieht so aus als könnte man vor dir nicht allzu viel geheim halten.«

Bei diesen Worten stehe ich auf, stelle mich hinter Felix und lege ihm symbolisch meine Hände auf die Schultern.

»Man bin ich froh Jungs, dass ihr das endlich gerafft habt. Ich hab doch gesehen, was mit euch los ist, aber ihr habt mich ja zum Schweigen verurteilt. Na dann herzlichen Glückwunsch, ihr seid echt 'n nettes Paar.«

»Danke, was meinst du, sollen wir es Lisa auch sagen?«

»Hm, ich weiß nicht genau. Wir haben bis jetzt nie über dieses Thema gesprochen. Vielleicht nicht gerade mit Schocktherapie, lasst es langsam angehen.«

In diesem Augenblick klopft es auch schon an die Tür und kurz darauf sind wir komplett auf dem Weg zum Frühstück.

Dieser Tag ist einfach anders. Die Sonne scheint heller, das Meer leuchtet blauer, die Menschen sind freundlicher, das Essen schmeckt besser ..., oder kommt es mir einfach nur so vor? Unzählige Male sehe ich zu Felix, unser Blick trifft sich, wir lächeln uns an und wissen genau, was der andere denkt. So vergeht ein total fauler Tag am Pool. Selbst die fünfzig Meter bis zum Strand sind uns zu weit. Gerade mal der Weg von der Poolbar bis zu unseren Liegen ist zu verkraften. Auch mit nichts tun kann so ein Tag ziemlich schnell vergehen.
Diese Ruhe ist natürlich nur möglich, da unsere schweizer Freunde einen Einkaufsbummel in Colombo machen. Im anderen Fall, hätte Julian schon etwas für Stress gesorgt.

Nachmittags so kurz nach fünf verschwinden Lisa und Marcel in ihr Zimmer, da sie heute mal in einem kleinen Restaurant am Ende der Straße essen wollen. Felix und ich möchten den Beiden mal einen Abend für sich lassen. Wir bleiben noch ein paar Minuten, aber dann verabschiedeten auch wir uns von unseren Nachbarn am Pool. Auf dem Flur vor unserer Tür halte ich es einfach nicht mehr aus. Ich muss Felix einen dicken Kuss geben.

»Wow, darauf hab ich mich den ganzen Tag gefreut.« sagt er.

»Geht mir genauso. Wir können ja gl...«

Mitten in diesen Satz platzt plötzlich eine sehr bekannte Stimme mit einem eigentümlichen Dialekt.

»He ihr Zwei, wie habt ihr denn den Tag so verbracht? Ich hoffe ihr habt euch ordentlich gelangweilt ohne mich.«

»Hallo Julian. Seid ihr schon wieder da? Na gelangweilt haben wir uns nicht gerade, aber heute Abend könnten wir schon noch ein wenig Unterhaltung deinerseits gebrauchen, Marcel und Lisa wollen in so eine kleine Bar in einem englischem Hotel, wir wollen die beiden mal alleine lassen und bleiben hier. Ich spendiere dir auch 'ne Arrack-Cola.«

»Heute Abend das geht klar Maik, aber das mit dem Arrack lass mal lieber. Mir ist nämlich von gestern noch ganz schwummerig.«

Nachdem wir uns für den Abend verabredet haben, verschwinden wir in unserem Zimmer.

»Willst du zuerst duschen, oder ich?«

Bei diesen Worten nimmt mich Felix in den Arm und gibt mir einen langen, zärtlichen Kuss.

»Geh du zuerst. Ich will noch schnell vor an den Bahndamm, wo wir gestern mit dem Bus vorbei gefahren sind. An der Rezeption sagte man mir, dass kurz vor Sechs immer ein Zug kommt. Ich soll unbedingt für einen Kumpel ein paar Bilder von der hiesigen Eisenbahn machen.«

Dieser Kumpel der nebenbei ein großer Eisenbahnfan ist, war Micha und obwohl ich am liebsten gleich mit Felix zusammen duschen würde, habe ich natürlich den armen Bein - kranken Daheimgebliebenen nicht vergessen.

»OK Maik, dann geh ich zu erst. Nimmst du den Zimmerschlüssel mit?«

»Ja mach ich. Erwische ich dich etwa wieder bei so schlimmen Dingen im Badezimmer, wenn ich wieder komme?«, lache ich.

»Wer weiß? Vielleicht. Aber wenn, denke ich dabei nur an dich. Genau wie letztes mal.«

Ich schnappe mir meine Kamera und mache mich auf den Weg. Weit ist es zwar nicht, aber ich muss mich trotzdem beeilen, denn viel Zeit ist nicht mehr bis sechs Uhr.

In der Lobby treffe ich nochmal auf Julian. Er kommt gerade mit Postkarten aus dem kleinen Hotelshop. Als er erfährt was ich vorhabe, schließt er sich mir sofort an. Ich sage Julian, dass wir uns etwas beeilen müssen, der nächste Zug kommt erst kurz nach acht und dann ist es zum fotografieren zu dunkel. Wir müssen etwa hundert Meter die Hauptstraße entlang und dann in eine Seitenstraße, noch etwa fünfzig Meter über eine Wiese und wir stehen an einer Stelle, die mir für die besagten Fotos am geeignetsten erscheint. Die Sonne steht schon sehr tief, leuchtet aber gerade in die kleine Kurve aus der der Zug kommen muss.

Julian ist ziemlich ruhig. Selbst auf meine Fragen, wie es denn in Colombo war und was er so gekauft hat, antwortet er nur kurz und gar nicht in so lustigen Sätzen wie sonst. Ein paar Minuten und schon hört man in der Ferne ein dumpfes grollen, dann ein leichtes vibrieren der Gleise und als man schon deutlich hören kann, dass es sich um einen sich annähernden Zug handelt, auch noch die typischen Pfeifgeräusche.
Aus meiner Position gelingen mir auch ein paar schöne Aufnahmen, bevor der Zug mit lautem Gedröhn an uns vorbei rattert.

»Ist ja ulkig,«, sagt Julian, »da stehen ja sogar Leute außen auf den Trittbrettern.«

»Ja das scheint hier niemanden zu stören.«

»Was meinst du Maik, wenn man sich vor so einem Zug legt, ob man da sofort tot ist.«

»Da kannst du dich 'drauf verlassen, da bleibt nur unansehnlicher schweitzer Matsch von dir übrig.«

»Ob es sehr weh tut?«

»Hm, glaub ich nicht. Es geht bestimmt zu schnell, als das dir noch was weh tun könnte, aber lass es lieber, dass gibt nur unschöne Flecken in der Kleidung. Die kriegste nachher nicht mehr raus.«, lache ich.

Ich wollte gerade losgehen, als mich Julian am Arm zurückhält.

»Maik, darf ich dich noch was fragen?«

»Klar jeder Zeit, frag los.«

»Du darfst mir aber nicht böse sein, OK?«

»Versprochen!«

»Seid ihr schwul? Ich meine du und Felix?«

Ein wenig war ich jetzt schon erschrocken über diese Frage, weil ich gerade damit nicht gerechnet hatte.

»Wie kommst du darauf?«, versuche ich mich mit einer Gegenfrage zu retten.

»Nun, ich habe gesehen, wie ihr euch geküsst habt vorhin.«

»Na ja, wir mögen uns schon ziemlich sehr. Ja wir sind schwul und frisch verliebt. Ist das ein Problem für dich?«

»Nein, nein überhaupt nicht. Ich beneide euch nur. Ich meine, dass ihr euch gefunden habt. So etwas würde ich mir auch wünschen.«

»Heißt das etwa..., du bist auch schwul?«, frage ich jetzt mit großen Augen.

»Ja, ich denke schon.«

»Bist du sicher? Ich meine in deinem Alter wusste ich das bei mir noch nicht so genau, oder sagen wir lieber ich wollte es auch gar nicht wissen. Ich denke ... nun ja, es gibt ja auch diese berühmte Phase.«

»Nein Maik, ich glaub nicht mehr an eine Phase, ich bin mir ziemlich sicher. Ich hab mich immer nur für Jungs interessiert, solange wie ich denken kann. Bei Mädchen fühle ich absolut nix. Bei Jungs ist das alles ganz anders. Ich kann kaum noch mit den anderen duschen gehen nach dem Sport, ohne das ich..., na du weißt schon.«

Ich muss lachen, natürlich weiß ich was er meint.

»Tja, dann ist es wohl wirklich so. Dann Herzlich Willkommen im Club.«, sage ich und gebe ihm die Hand.

»Danke Maik. Schön, dass ich endlich mal mit jemanden darüber reden kann. Das habe ich mir immer schon so sehr gewünscht. Ich wollte schon mit meinen Eltern darüber sprechen. Ich möchte so gern nicht mehr lügen müssen, wenn sie mich nach 'ner Freundin fragen.«

»Tja, das kenne ich, glaubst du denn sie würden dich verstehen?«

»Ich weiß es nicht. Ich glaube meine Mutter auf jeden Fall. Sie hat schon mal so 'ne Andeutung gemacht, dass sie mich immer lieben wird, egal was passiert. Ich glaube sie ahnt auch etwas. Mein Vater macht mir da mehr Sorgen. Er wünscht sich eher, dass ich jede Woche eine andre mit nach Hause bringe, so wie er es früher angeblich getan hat. Nur dann ist man in seinen Augen ein richtiger Junge. In meinem Alter gehöre das dazu.«

»Na da kann ich dir auch keinen guten Tipp geben. Du musst es schon selber wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist, es deinen Eltern zu sagen. Ich kenne sie ja nicht. Vielleicht sagst du es erst deiner Mutter, wenn du glaubst, dass sie dich versteht und sie kann es ja dann deinem Dad schonend beibringen.«

»Ja das ist 'ne super Idee. Darf ich ihr sagen, dass ich mit dir gesprochen habe. Ich meine, dann wüsste ich jedenfalls wie ich das Gespräch anfangen kann.«

»Na meinetwegen gern. Wenn morgen nicht gleich das ganze Hotel Bescheid weiß. Ich glaube, dass würde auch Felix nicht gefallen. Wenn du denkst, es ist für dich das beste, dann sag es.«

Wir gehen langsam zurück zum Hotel.

»Maik?«

»Ja?«

»Bleiben wir Freunde? Ich meine auch nach dem Urlaub?«

»Na klar, ich will doch unbedingt deinen ersten Freund kennenlernen.«

»Schön, ob Felix da genauso denkt? Ich fände es schön, wenn wir drei gute Freunde werden könnten.«

»Ich denke schon, wenn er erst mal erfährt, dass du ähnliche Hobbys hast wie wir. Nur wenn ich es ihm sagen darf natürlich?«

»Na klar, ist doch logisch.«

Auf dem Rest des Rückweges wird Julian nicht müde, immer wieder zu betonen wie froh er sei, endlich mal mit jemanden darüber reden zu können und das er sich nun richtig darauf freut, es seinen Eltern zu sagen. Ich weiß nicht ob das so 'ne gute Idee ist, aber wenn er sich sicher ist, muss es ja doch mal raus und danach hat er es vielleicht leichter zu Hause.

Im Hotel angekommen, bekräftigen wir noch mal die Verabredung für heute Abend und ich wünsche Felix viel Glück. Sein Vater und seine Schwester sind noch an der Poolbar und seine Mutter ist alleine im Zimmer. Er will die Gelegenheit gleich nutzen. Diesen Mut und diese Spontaneität würde ich mir für mich auch mal wünschen, aber dazu muss man wohl diesen niedlichen Dialekt sprechen.

Felix war schon fertig mit duschen und so kann ich ihm die gerade erworbenen Neuigkeiten sofort erzählen, und nach dem ich ebenfalls geduscht habe und in der Abendgardarobe stecke, machen wir uns auf den Weg zum Abendessen.

Julians Eltern sitzen etwas abseits alleine an einem Tisch und scheinen aufgeregt aber leise zu diskutieren. Der Vater scheint sehr aufgebracht. Plötzlich steht er auf und kommt zu uns an den Tisch. Er beginnt leise aber dennoch äußerst zornig zu mir zu sprechen:

»Was hast du meinen Sohn für Schweinereien eingeredet. Was ihr für Sauzeugs macht ist mir ganz egal, aber bei meinem Sohn, werde ich das niemals zulassen und wenn ich jedes kleine Teil dieses schwulen Schweinkrams aus ihm heraus prügeln muss. Mein Sohn ist keiner von diesen Abartigen.«

Noch ehe ich irgend etwas sagen konnte, drehte er sich um und verschwand. Ich war total fertig. Mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Das Essen war mir plötzlich vergangen.

»Das scheint für den Kleinen nicht sonderlich gut zu laufen.«, stellt Felix fest.

»Ja, so 'ne Scheiße und er hat sich so drauf gefreut, endlich reinen Tisch machen zu können.«

In der Zwischenzeit war auch seine Mutter verschwunden. Wir hatten aber nicht bemerkt wohin. Nun das Abendessen war gelaufen. Selbst auf den leckeren Nachtisch hatten wir keinen Appetit mehr.

Zurück im Zimmer versank ich fest in Felix seinen Armen. Irgendwie waren wir nicht sonderlich gut drauf.
Trotzdem wir so glücklich waren, wurde uns plötzlich bewusst, dass es sehr schnell gehen kann und man wird wieder in die nicht immer so sonnige Realität des »schwul - seins« zurückgerufen. Wir sprachen darüber, dass auch uns solche oder ähnliche Probleme noch bevorstehen können.

»Ja Maik, aber wir haben uns und ich werde alles nur denkbare tun, damit das so bleibt. Wir sollten auch Julian helfen so gut es geht. Er hat ja schließlich niemanden außer uns.«

Er kann sooo lieb sein dieser Felix. In seinen Armen vergeht plötzlich eine Stunde ganz schnell, bis es ziemlich heftig an unserer Tür klopft.

Julians Vater steht total aufgeregt in der Tür. Er hat Tränen in den Augen und scheint total fertig zu sein. Er fasst mich an den Schultern an und schüttelt mich.

»Wisst ihr wo Julian ist. Sagt es mir bitte. War er hier? Hat er mit euch geredet? Bitte antwortet doch.«

»Er war nicht hier. Wieso? Was ist denn passiert?«

Julians Vater brach jetzt völlig in Tränen aus. Seltsam wenn ein erwachsener Mann weint, denke ich, dazu noch ein eigentlich fremder, der mich vor einer Stunde noch beschimpft hatte.

»Ich weiß es war falsch. Ich hab ihn angeschrien und geschlagen. Er hat sich eingeschlossen, hat dann meiner Frau diesen Zettel gegeben und ist weggelaufen. Wir müssen ihn finden. Bitte helft mir.«

Er gibt mir einen kleinen zerknüllten Zettel zum lesen, auf dem in sehr krakeliger Schrift steht:

Liebe Mum,
nach dem was mir Papa gesagt hat, möchte ich nicht mehr leben. Ich werde nie der Sohn für ihn sein können, den er sich wünscht, dann möchte ich schon lieber sterben und das am besten gleich.
Keine Angst Mum, es wird mir nicht weh tun und es geht auch ganz schnell.
Ich liebe Dich, ich liebe Marie, ich liebe Papa
Dein Julian

Ich gebe den Zettel Felix zu lesen. Ich glaube ich träume. Das kann doch alles nicht war sein. Der Kleine kann doch nicht ... Wie war das? Es geht schnell und tut nicht weh? ...

»Kommt mit wir müssen uns beeilen. Los kommt schnell. Ich glaube ich ahne was.«

Julians Vater und Felix können gar nicht so schnell auf meine Worte reagieren, wie ich los gestürmt bin. Die beiden folgen mir. Felix natürlich etwas schneller.

»Was ist Maik? Wo willst du hin?«

»Zur Eisenbahn. Ich hab 'ne ganz schlimme Ahnung.«

Wir rennen den Weg den ich zuvor mit Julian gelaufen war. Ich hoffe, dass ich mich irre, das Julian seine Eltern nur schocken will und das er keinen Blödsinn macht. Julians Vater bleibt immer weiter zurück, folgt uns aber. Bald sind wir an der kleinen Wiese. Es ist fast dunkel und trotzdem erkenne ich, dass an der Stelle, an der ich die Fotos gemacht habe, tatsächlich jemand steht und schon höre ich auch wieder das Pfeifen des heran kommenden Zuges.

Wir rufen immer wieder ganz laut: »Julian nicht.«, aber er scheint uns nicht zu hören.

Es sind nur noch wenige Meter. Julian steht ganz dicht am Gleis. Ich laufe noch etwas schneller. Felix ist gleich hinter mir. Ich rufe weiter, aber Julian reagiert nicht. Schon sehe ich die Lichter der Lokomotive. Aus der Kurve kann uns der Lokführer nicht sehen und selbst wenn, zum Bremsen wäre es eh zu spät. Ich glaube einfach nicht, dass das tatsächlich passiert. Film, Fernsehen, versteckte Kamera... aber doch nicht in meinem Leben. Mir kann so was doch nicht passieren. Um schneller voranzukommen, laufe ich jetzt im Gleis. Es sind nur noch wenige Schritte. Ich kann die Tränen in Julians Gesicht sehen. Er scheint mein Rufen nicht wahrzunehmen. Jetzt höre ich auch seinen Vater schreien. Es sind es nur noch Sekunden und der Zug ist da. Vielleicht noch zehn Meter.

Ich bekomme Julians Arm zu fassen versuche ihn mit aller Kraft weg zustoßen, was mir auch gelingt. Auf den bemoosten Schwellen rutsche ich aus und ich fühle wie ich falle, mich nicht mehr halten kann. Hinter mir höre ich Felix schreien:

»Maik, neeeeein.«

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