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Ronny

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Irgendwie mag ich diesen Stadtteil nicht so besonders. Zum Glück haben meine Eltern vor 5 Jahren eine neue Bleibe in der Weststadt gefunden. Die Straßen hier sind ziemlich dunkel und die Leute starren einen alle an, als ob man vom Mond kommt. Aus der Zeit in der wir hier gewohnt haben, sind nur noch wenige Freunde übrig. Einer davon ist »Glatze«. Also dieser Name kommt daher, dass er er sich mal eine solche hatte schneiden lassen, um eine Wette zu gewinnen. Also Glatze ist schon kein übler Typ, aber wenn es ums Geld geht, dann hört bei ihm sprichwörtlich die Freundschaft auf. Für ein paar Mark würde er glatt Volk und Vaterland verraten. Sein Geschäftssinn war auch der Grund, warum ich noch vor einer viertel Stunde in seinem Zimmer saß und für dreißig, von meinem Taschengeld hart abgesparte Deutsch Mark, ein kleines Hochglanzmagazin erstanden hatte.

Nun es hat wohl wenig Sinn viel drumherum zu reden, dass Heftchen ist voll mit netten, bunten Bildern von nicht ganz vollständig bekleideten Jungs. Nun ja, man könnte sogar behaupten, sie hätten gar nichts an und eigentlich hatten sie nicht nur nichts an, sondern waren auch bei moralisch nicht ganz einwandfreien Tätigkeiten abgebildet. Außerdem gab es in dem Heft jede Menge eindeutiger Geschichten und Kontaktanzeigen. Natürlich brauchte ich dieses Magazin nur für ganz wichtige, wissenschaftliche Selbstversuche, die aus Gründen der Geheimhaltung meistens abends, vor dem Einschlafen unter der Bettdecke stattfanden. Irgendwie war ich eben ziemlich scharf auf diese Art Lehrmaterial, dass leider in unserer Schulbibliothek nicht zur Verfügung steht und mit 15 Jahren hatte ich noch keine Chance, bei uns im Erotikshop einzukaufen. Mein bisher einziger Besuch in diesem Geschäft, endete mit einem ziemlich schnellen Platzverweis. Glatze hatte dar keine Probleme mit 20.

Nun war es nicht so, dass er sich auf einen Aufruf von mir gemeldet hatte: »Wer besorgt mir schwulen Schweinkram?« Nee. Da ich zuhause leider nicht über die Möglichkeiten verfüge, mal in die Weiten des WWW zu schnuppern, hatte er mich zu sich eingeladen und mir für einen kleinen freundschaftlichen Unkostenbeitrag von 10 DM für eine Stunde, seinen Zugang zu diesem Medium überlassen.
Er war sogar so nett und hatte mich in dieser Zeit ganz alleine gelassen. Klar, das brauchte ich ja auch.
Nun, wer will raten, was die ersten Worte waren, die ich in die Suchmaschine eingetippt hatte?

»schwul, gay, boysex .... u.s.w.«

Na ja, war ja nicht so schwer das Rätsel. Ihr habt alle eine aufblasbare Kaffeemaschine gewonnen.
Sicher mit etwas mehr Erfahrung im Netz, hätte ich schneller was brauchbares gefunden, aber viel Ahnung hatte ich ja nicht und so war ich froh, dass ich nach etwas hin und her klicken aus ca. 2000 Angeboten ein paar nette Bildchen auf dem Monitor hatte. Man das gibt es doch gar nicht, so was hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gesehen und ich hatte große Lust, meine abendlichen Experimente etwas vorzuziehen, aber ich war ja schließlich nicht zu Hause. Als Glatze wieder da war, hatte ich schon die sündigen Seiten verlassen und wollte mich gerade verabschieden, als er meinte:

»Nun wollen doch mal sehen, was klein Ronny so gesucht hat im Netz der Netze«

Mir blieb fast das Herz stehen. Er wird doch nicht... , wie soll er denn... er kann doch nicht etwa... doch er kann! Das es so etwas wie eine History Funktion in einem Browser gibt, die sich die angewählten Seiten merkt, war mir natürlich fremd und schon waren die süßen Boys wieder auf dem Bildschirm und ich um ungefähr einen Meter kleiner. Könnt ihr euch vorstellen, wie ich mich gefühlt habe? Mir wurde heiß und kalt alles in einem. Noch nie habe ich mich so blamiert. Ich bin doch echt ein Trottel, oder? Glatze war das aber ganz egal. Er hatte prompt eine neue Geschäftsidee und schlug mir vor, mich mit entsprechendem Material zu versorgen, wenn ich das möchte. Tja, am liebsten hätte ich das Thema ja sofort wieder vergessen, aber das Verlangen nach diesen Dingen war durch meinen Internetbesuch nicht gerade kleiner geworden. Also abgemacht, er besorgte mir ab diesem Zeitpunkt das ein oder andere Heft, an dem er jedes Mal 10 Mark verdiente und er behielt dafür die Sache für sich. Iss er nicht ein Freund? Nun sein Geschäftssinn sicherte mir jedenfalls sein Schweigen, denn so einen guten Kunden, würde er sicher nicht aufs Spiel setzen.

Also mit einem solchen neuen noch eingeschweißtem Exemplar, dass ich wie einen kleinen Schatz unter meiner Jacke verberge, bin ich nun auf dem Weg nach Hause und ich freue mich wahnsinnig auf den Moment, wenn ich meine Zimmertür hinter mir verschlossen habe und meine neue Errungenschaft begutachten kann. Na ja, meistens muss ich schon nach den ersten Seiten ein paar Entspannungsübungen machen, aber das soll angeblich in meinem Alter ganz normal sein. So'n Glück.

Dr. Koch Straße - Ecke Berliner, hier haben wir früher gewohnt. Ich habe noch etwa Hundert Meter bis zur Straßenbahn und bin froh, diese Gegend wieder verlassen zu können. In der Südstadt haben wir ein kleines Häuschen mit Garten. Seit mein Vater für eine große Computerfirma oft im Ausland arbeitet, sehen wir uns zwar manchmal zwei, drei Wochen nicht, aber finanziell hat sich sein Umstieg gelohnt. Auch ich habe schon den einen oder anderen Wunsch anbringen dürfen. Nur zum Thema Internet hat mein Papa 'ne ziemlich komische Einstellung. Von wegen ich könnte ja Seiten finden, die nicht gut für mich sind. Also ich doch nicht, ich würde doch nur auf Seiten gehen, die ganz bestimmt gut für mich sind.

In Gedanken bin ich schon fast zu Hause und hatte gar nicht bemerkt, dass eine Gruppe von fünf Jungs dicht hinter mir war. Durch ihre Gespräche wurde ich neugierig und drehe mich um. Sie scheinen alle drei, vier Jahre älter zu sein wie ich.

»He Du kleiner Scheißer, was glotzt du'n so blöd? Hab ich etwa die Lockenwickler noch drin?«

Ein ziemlich großer kräftiger Typ mit einem kleinen Ziegenbärtchen hatte mich das gefragt. Ich antworte nicht, drehe mich wieder um und will schnell verschwinden, aber schon fühle ich eine Hand im Genick.

»Was ist mit Dir? Du redest wohl nicht mit jedem? Soll ich dir mal zeigen, wie man sich hier benimmt?«

Bei diesen Worten stieß er mich an, dass ich ein Stück zurück taumelte.

»Lass mich in Ruhe, ich hab euch nichts getan.«, antworte ich und überlege, ob ich vielleicht schnell weglaufen sollte.

»Iss er nicht drollig, der kleine Hosenscheißer. Was denkst du könntest du uns schon tun. He?«

Noch ehe ich irgendwie reagieren kann, packt mich der Typ mit dem Ziegenbart an meiner Jacke und schüttelt mich hin und her.

»Machst dir wohl gleich in die Hose was? Ne schöne Jacke hast Du da, die könnt ich glatt für meinen kleinen Bruder gebrauchen. Wie wäre es denn, wenn Du sie mir als Entschuldigung schenkst.«

Schon riss mir der Typ die Knöpfe auf und das Heft, dass ich mit allen Mitteln versucht hatte festzuhalten, fiel auf den Boden. Der Ziegenbart ließ mich los und hob das Magazin auf. Meine Chance, ich wollte mich umdrehen und los rennen, aber schon hatte mich einer der anderen gepackt. Ich war den Tränen nah, ich war wütend, blieb aber ruhig. Was sollte ich auch tun.

»Sieh da, ein kleiner Arschficker. Du kleine schwule Sau, soll ich dir mal was hinten reinstecken? Ihr mögt doch so was so gern?«

Was für ein Alptraum, der Junge der mich festhielt, lies mich kurz los und stieß mir fest in den Rücken, dass ich den Kräftigen, der mein Heft in der Hand hält, anrempeln muss.

»He du kleine Schwuchtel, bist scharf auf mich, he?«

Die Wut in mir wird immer größer und es platzt aus mir heraus:

»Lasst mich doch einfach in Ruhe, ihr Idioten.«

»So Idioten sind wir? Das hast du dir nicht überlegt. Ich zeig dir wer hier ein Idiot ist.«

Ich fühle einen Schlag, kann mich nicht halten und falle auf den Boden. Mein Kopf schlägt hart auf den Asphalt und dann kann ich mich ein paar Minuten an nichts mehr erinnern. Als ich wieder wach werde, bin ich alleine.
Das Heft ist weg, meine Jacke ist weg und meine Kopf tut höllisch weh. Ein älterer Mann der auf der anderen Straßenseite vorbei geht, sieht zu mir herüber und schüttelt nur den Kopf. Ich versuche aufzustehen, bin aber noch ganz benommen. Ich muss plötzlich weinen. Mir fallen die Worte wieder ein, die diese Typen zu mir gesagt haben. Das komische ist, ich trauere mehr dem Heft hinterher, als meiner Jacke, obwohl ich nicht weiß, wich ich das meiner Mutter beibringen soll. Als ich mich etwas beruhigt habe, untersuche ich vorsichtig mit meiner Hand die Stelle an meinem Kopf, die mir so weh tut. Die Berührung schmerzt noch mehr und ich erschrecke, an meiner Hand ist Blut.

Plötzlich spricht mich jemand von hinten an:

»He, geht es? Kann ich dir helfen?«

Ich drehe mich um und sehe einen der Jungs, die mich gerade in der Mangel hatten. Er stand zwar nur dabei und hat nichts gesagt, aber er war mit dabei.

»Was willst du noch, habt ihr noch nicht genug?«, zische ich ihn an. Mir ist jetzt alles egal. Soll er doch auch noch mal zuhauen, wenn er will.

»He, tut mir wirklich leid. Ich wollte das nicht, aber gegen die anderen kann ich auch nichts machen.«

Er kniet sich neben mich, nimmt sein Taschentuch und wischt mir behutsam das Blut aus dem Gesicht.

»Das sieht böse aus. Du musst zum Arzt. Das muss bestimmt genäht werden.«

Ich bin etwas verwirrt. Dieser Junge ist plötzlich total nett zu mir. Das hätte ihm auch etwas früher einfallen können.

»Kein Problem,«, sage ich, »ich wohne neben einer Arztpraxis. Den Doktor kenne ich gut.«

»Und wo ist das, wo du wohnst?«

»In Pelau, in der Marschnerstraße.«

»Das ist aber noch weit, wie kommst du da hin.«

»Mit der Straßenbahn, wenn die mich so noch mitnehmen.«

»Komm ich fahr dich nach Hause.«

»Nein lass mal, es wird schon gehen.«

»Keine Widerrede, ich lass dich so nicht allein.«

Er sagte das, in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zu ließ und trotzdem irgendwie lieb. Der blonde, große Junge der etwa 18 oder 19 war, half mir beim Aufstehen. Es war irgendwie ein schönes Gefühl, wie er sich um mich kümmerte.

»Geht es? Tut es sehr weh? Wir müssen nicht weit, da vor steht mein Auto.«

»Geht schon.«, antworte ich kurz.

Nun das was der Blondschopf Auto nannte, ist sicher früher, vor einigen Jahren, ein solches gewesen. Im Moment verrieten nur die äußerliche Form, vier Räder und die Nummernschilder, dass es sich tatsächlich um ein Fahrzeug handelt. Die Farbe des selbigen konnte man nicht genau identifizieren. Es sah aus, als ob der Wagen in einer Lackiererei von 20 Azubis gleichzeitig behandelt worden wäre. Holger, so hieß mein Fahrer, öffnete die Beifahrertür von innen, da diese Möglichkeit von außen leider nicht mehr gegeben war. Er schien mein Misstrauen zu bemerken und teilte ganz stolz mit, dass der TÜV noch ganz frisch sei, erst einen Monat her. Er schien stolz auf seinen Wagen zu sein und ich verkniff mir die Frage, was denn in diesem Monat mit dem Auto passiert ist. Die ersten beiden Anlassversuche endeten nur damit, dass sich der Wagen schüttelte wie ein Pferd, dass seinen Reiter abwerfen will. Der dritte Versuch gelang und siehe da, das Mobil setzte sich sogar in Bewegung.

Während der Fahrt entschuldigte sich Holger noch mehrmals und versprach zu versuchen, meine Jacke wieder aufzutreiben. Mir schmerzte nur mein Kopf und ich war froh, als ich die Fahrt überstanden hatte.

»Soll ich mit rein kommen, oder soll ich warten? Hast du es dann noch weit nach Hause?«

»Nein ist schon o.k.. Ich wohne gleich hier nebenan, also Du musst nicht warten. Tschüss und Danke noch mal.«

»Na wie du willst, dann Tschüss.«

Heidi, die Sprechstundenhilfe von Dr. Müller, sah mir entsetzt ins Gesicht.

»Ronny um Gottes Willen, was hast du denn bloß wieder angestellt?«

Richtig, was hatte ich eigentlich angestellt? Ich überlegte schon die ganze Zeit, was ich auf diese Frage antworten sollte. Eigentlich hat ich große Lust, diese Typen bei der Polizei anzuzeigen. Auf der anderen Seite, könnte dann auch die Sache mit dem Magazin zur Sprache kommen und das wäre mir weniger recht. Also beschloss ich:

»Nichts schlimmes, ich bin nur mit dem Skateboard gestürzt.«

»Nichts schlimmes? Das wollen wir doch erst mal sehen. Komm wir gehen gleich zum Doktor, er muss sich das sofort ansehen. Weiß deine Mutter denn schon Bescheid? Ich werde sie gleich anrufen.«

Jegliche Versuche Heidi davon abzuhalten waren zwecklos und so konnte ich wenigstens noch erreichen, dass ich selber mit meiner lieben Frau Mama sprechen konnte, um ihr zu zeigen, dass ich noch am Leben bin und sie sich keine allzu großen Sorgen machen müsste.

Doktor Müller erklärte mir während der ganzen Untersuchung, wie gefährlich das Skateboardfahren sei und wie wichtig es ist, dass man richtige Schutzkleidung und einen Helm trägt... bla... bla... bla... Es ist schon toll, wenn man sich über etwas belehren lassen muss, was eigentlich mit der Sache gar nichts zu tun hat. Na ich hatte es ja so gewollt. Eine knappe Stunde später verabschiedete mich Dr. Müller mit den Worten:

»... und Ronny, wenn dir übel wird, oder es dir sonst schlechter geht, ruf mich sofort an, auch wenn es nachts ist, die Nummer hat ja deine Mutter. Morgen Mittag kommst du wieder vorbei und wir schauen uns das noch mal an. Schule fällt für dich morgen aus. Hörst du?«

Na und ob ich das gehört hatte, dass mit der Schule meine ich. Fast hätte ich Ziegenbärtchen ja noch danken müssen. Ein unverhoffter freier Tag, da hatte ich nichts dagegen. Als ich wieder auf die Straße trat, staunte ich nicht schlecht. Holger wartete immer noch in der Einfahrt.

»Na, wie ist es gelaufen? Hast ja einen netten Verband um den Kopf. Sieht richtig schlimm aus, oder?«

»Nein ist schon soweit alles in Ordnung. Hast du auf mich gewartet?«

»Klar Ronny, ich muss doch noch wissen wo du eigentlich wohnst. Ich meine wenn ich mit deiner Jacke was erreichen will.«

Stimmt daran hatte ich vorhin überhaupt nicht gedacht. Da ich nur zwei Häuser weiter wohnte, war das aber schnell geklärt und Holger verabschiedete sich nicht ohne noch einmal zu betonen, dass er sich bei mir melden wird. Es ist irgendwie schön, wenn ein älterer so um einen besorgt ist.

In meinem Zimmer lege ich mich erst mal auf mein Bett. Ich fühlte mich irgendwie ziemlich seltsam. Bisher musste ich nie darüber nachdenken, wie andere über meine Neugier, die das gleiche Geschlecht betrifft, denken. Was hatte der Ziegenbart gesagt? »Arschficker«, »schwule Sau« und »kleine Schwuchtel«. Sollte das meine Zukunft sein, wenn ich es irgend jemanden sagen würde? Sehr beruhigend war diese Erfahrung nicht gerade.

Kurz nach 22:00, ich war gerade eingeschlafen, steht meine Mutter plötzlich an meinem Bett. Nachdem sie sich vergewissert hat, dass ich auch wirklich wieder wach bin, überschüttet sie mich mit einer Flut an Vorwürfen.
Wie ich so etwas machen könne, ich würde sie noch ins Grab bringen mit meinem Unfug, sie hätte es ja immer schon gesagt, dass ich aufpassen soll und ich würde ja alles besser wissen und nicht auf sie hören. Ja das ist Mama, sie schimpft und meckert was das Zeug hält und nimmt mich dann doch ganz lieb in den Arm und sagt:

»Ach mein lieber Junge, ich bin ja so froh, dass nichts schlimmeres passiert ist.«

Tja, da konnte ich sie dann doch beruhigen. Bis auf einen leichten Schmerz ging es mir wirklich schon wieder gut. Der Verlust meines Gay Magazins schmerzte da schon mehr, aber das sagte ich natürlich nicht. nachdem ich mir dann trotz massiver Gegenwehr einen Gute Nacht Kuss gefallen lassen musste, hatte ich wieder meine Ruhe.

Wer nun denkt ich könnte meinen freien Tag so richtig schön genießen, der hat nicht mit meiner Mutter gerechnet. Mitten in der Nacht, also so kurz vor 9 Uhr, werde ich von ihrer liebevollen Stimme aus den Träumen gerissen. Na was heißt liebevoll, sie schreit:

»Steh endlich auf du kleiner Faulpelz, das Frühstück ist fertig.«

Ich trabe also erst mal ins Bad und versuche mich an den Jungen zu erinnern, der da vor mir im Spiegel zu sehen ist. Nachdem ich mit Wasser versucht habe einen Zustand zu erreichen, der auch für Dritte akzeptabel ist, finde ich den Typ im Spiegel sogar ganz ansehnlich. Ist vielleicht albern, aber ich seh mich ganz gern. Ein kurzer Blick in meine Shorts, mit den Worten: »Ja, ja, du bist auch ganz nett anzuschauen.«, und ich schlüpfe voller Zufriedenheit in meine Sachen.

Ich liebe den Geruch von Kaffee und frischen Brötchen im Haus. Das ist überhaupt das einzige, was mich wieder mit der Welt versöhnt, wenn ich schon zeitig aufstehen muss. Nun wenn ich in die Schule muss, ist das natürlich noch zwei Stunden früher. Brrrrrr.

Der Vormittag vergeht ziemlich schnell. Dr. Müller scheint ganz zufrieden mit meiner Verletzung. Ich weniger, denn das bedeutet, dass ich ab morgen wieder in die Schule muss. Vielleicht sollte ich doch noch mit dem Skateboard ...

Als meine Mutter sich zur Spätschicht verabschiedete, zieht wieder Ruhe ein im Haus. Ich zappe durchs Fernsehprogramm, aber was sehe ich, nichts als »Tohkschoos«. Ich will gerade die Playstation aus dem Schrank räumen, da klingelt es plötzlich an der Tür. Na eigentlich klingelt es im Flur, aber man sagt ja eben so.
Ich schau auf die Uhr. 14:50 Uhr. Das wird Robert sein, mein bester Kumpel, die Schule ist vorbei und er wird sich beschweren wollen, warum ich ihn heute im Stich gelassen habe.

Ich habe schon den üblichen Spruch: »Hallo Robby altes Haus.«, auf den Lippen als ich merke, das mein Besuch irgendwie größer und älter ist als Robby und er ist blond.

»Hi Ronny, wie geht es dir? Tut's noch weh? Ich habe hier was für dich, wenn du es willst.«

Es war Holger und er hielt mir meine Jacke unter die Nase.

»Hi, gut, nein, ja« antworte ich.

»Wie bitte?«

»Nun es geht gut, nein - es tut nicht mehr weh und ja - ich möchte meine Jacke gern wieder. Willst du rein kommen, oder musst du gleich wieder weg.«

»Nöö, ich komm gern rein. Ich muss mich ja schließlich etwas um dich kümmern, denn ich glaube ich habe da was gutzumachen, wegen gestern. Hoffentlich bist du mir nicht mehr böse.«

Er will was gutmachen? Na, da ist klein Ronny aber mal gespannt, wie er das macht.

»Nein ich bin nicht mehr böse, zumindest nicht auf Dich. Komm ich zeig dir mein Zimmer.«

Also ab in die erste Etage in mein eigenes Reich. Holger setzte sich in den Sessel und tat etwas schüchtern. Er sah richtig süß aus, wie er mich so verlegen anschaute.

»Wie bist du denn wieder an die Jacke gekommen?«, fragte ich.

»Kleines Geheimnis, aber es war gar nicht so leicht, sie Flocke wieder abzuschwatzen.«

»Flocke???«

»Ja, so heißt der Typ, der dich geschlagen hat.«

Toll eine Flocke mit 'nem Ziegenbart.

»Willst du was trinken? 'Ne Cola oder soll ich einen Kaffe machen.«

»Cola wäre ganz nett, wenn es keine Umstände macht.«

Machte es natürlich nicht. Ich besorgte also eine Flasche Cola aus dem Kühlschrank und holte zwei Gläser. Holger saß immer noch etwas schüchtern im Sessel und kramte umständlich in einer Plastiktüte, die er mitgebracht hatte und sagte dann:

»Tja, ich habe hier noch etwas für dich, wenn du es willst.«

»Was denn, zeig her.«

Noch umständlicher zog er ganz langsam ein Heftchen aus der Tüte, dass meinem Magazin von gestern, sehr ähnlich war um nicht zu sagen, es war das Magazin, dass ich gestern verloren hatte.

»Und willst du es wieder? Also es ist nicht ganz das von gestern. Ich wusste nicht, wie ich Flocke das hätte beibringen sollen, ich hab 'n neues besorgt.«

Nun war ich derjenige der ziemlich verlegen wurde. Eigentlich freute ich mich ja über das Heft, aber irgendwie, war es auch ziemlich peinlich. Holger legte es auf den Tisch.

»Danke,«, stottere ich, »dass war aber nicht notwendig.«

»Kein Problem, schließlich war es ja deines und ich dachte vielleicht vermisst du es.«

Auch die Antwort auf diese Frage war mir zu peinlich. Ich konnte einfach nichts sagen und war froh, dass Holger wieder das Wort ergriff.

»Ich habe aber 'ne kleine Bitte, Ronny.«

»Und die wäre?«

»Nun... nun ich würde gern mit rein gucken, wenn du es dir anschaust.«

»Wie??? Meinst du das im Ernst?«

»Klar, ich hab so was noch nie gesehen, also abgemacht?«

»OK, abgemacht. Wenn du wirklich willst.«

He was geht hier vor sich? Da sitzt ein hübscher, älterer Junge bei mir, der sich mit mir ein schwules Magazin ansehen möchte?

»Also wollen wir?«, riss Holger mich aus den Gedanken.

»Na klar.«

Ich holte eine kleine Schere aus meinem Schreibfach und befreite das Heft von seinem Plastikschutz. Holger setzte sich neben mich auf mein Bett und ich schlug die erste Seite auf ...

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