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Cabriolets und andere Geschichten
Teil 1
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Informationen
- Story: Cabriolets und andere Geschichten
- Autor: Noresund
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama, Lovestory
»Moin! Essen auf Rädern ist da!«
Sascha stellte die vollen Einkaufskörbe auf den Küchentisch.
»Hüttenkäse war keiner mehr da. Musst du selbst mal in die Stadt. Ich hatte keine Lust, wegen zwei Euro noch in die City zu fahren.«
»Egal. Der schmeckt sowieso nicht. Den soll man sich zum Frühstück aufs Knäckebrot streichen.« bemerkte Lena, die zu ihm in die Küche gekommen war, um ihm beim Auspacken zu helfen.
»Sagt deine Brigitte-Diät, die Siebenunddreißigste?« frotzelte Sascha und zog seine Jacke aus, die daraufhin auf dem Sofa landete.
»Ja, los, Salz in die Wunde! Hau' drauf! Bohnenstange! Du frisst dich durch unsere Vorräte, ohne ein Gramm Fett anzusetzen!« entgegnete Lena gespielt beleidigt.
»Ich will dich ja nur schützen, vor deinen Heißhungerattacken! Ich mach' das nur für dich!«
Lena warf mit einer Tütensuppe nach ihm.
»Hier, dein Wechselgeld... wo ist Philip?«
»Hab' den heute noch nicht gesehen. Ich nehme an, der schläft noch.« Lena packte ihre Lebensmittel in ihr Kühlschrankfach.
»Der vergräbt sich total... was ist los mit ihm?«
»Keine Ahnung. Ich seh' ihn eh nur noch sehr selten. Weiß nicht, was er den ganzen Tag so treibt. Wahrscheinlich hockt er die ganze Zeit vorm PC.«
»Kann man ihn da irgendwie weglocken? Oder brütet er über einem brandheißen Programm für die NASA?«
Lena stieß einen genervten Seufzer aus. »Ich habe keine Ahnung. Der Typ ist mir sehr suspekt geworden in den letzten Monaten. Irgendwie seit dieser bescheuerten Internetgeschichte letzten Sommer.«
»Wegen des IT-Menschen? Echt? Meinste, der knabbert immer noch an der Sache?«
»Naja, das hat ihn sehr mitgenommen. Und er war nie wieder der selbe danach. Vielleicht hat er es noch nicht verarbeitet.«
Sie sagten eine Weile nichts, bis sie alle Einkäufe verstaut hatten.
»Kaffee?« fragte Sascha. »Klar!«
*****
Gleich vierzehn Uhr. Die Unibibliothek machte gleich zu. Philip hasste Samstag. Wieso konnten die nicht auch am Wochenende arbeiten? Er packte seine Sachen, Notebook, Skript und Stift, ein, nachdem der unangenehme Gong auf die baldige Schließung hingewiesen hatte. Wenigstens hatte er viel geschafft heute. Eigentlich konnte er sich nun auch ein freies Wochenende gönnen. Aber was sollte er damit anfangen?
Philip verließ die Bibliothek. Samstags war er sehr gerne hier, da die meisten Studenten sich dann noch von den vorabendlichen Feten erholten und nicht an Lernen dachten. Meist saß er dann ganz allein in der Ecke für Informatiker und konnte ungestört an seiner Diplomarbeit schreiben.
Es war April, das neue Semester hatte in der letzten Woche begonnen. Und der Frühling hatte Einzug gehalten. Es herrschte feinstes Balkonwetter. Doch Philip nahm den Unterschied zum trüben Winterwetter der vergangenen Wochen gar nicht richtig wahr. Er stieg in seinen alten VW Golf und fuhr los.
Es war viel los auf den Straßen. Philip fluchte ein paarmal über die, in seinen Augen hormongesteuerten, Cabrioletfahrer, die die Gunst der Stunde und das hervorragende Wetter nutzten, um ihre Sommerautos auszufahren. Schließlich fuhr er in die Auffahrt des Hauses, in dem er zusammen mit Sascha und Lena eine gemeinsames Apartment bewohnte. Gerade als er ausgestiegen war und den Wagen abgeschlossen hatte, fuhr ein weiterer Wagen in die Auffahrt. Ein Cabriolet.
Philip hielt einen Moment die Luft an. Es war Patrick.
»Hi!« Patrick war aus seinem Beetle Cabriolet ausgestiegen und lächelte ihn an.
»Hi!«
»Na, schon fleißig gewesen?« Patrick deutete auf seine Tasche.
»Äh, ja, war noch in der Bib, was schreiben.«
»Ah, und was steht heute noch auf dem Programm? Musst du weiterarbeiten?«
»Nö, heute nicht mehr. Weiß noch nicht. Vielleicht TV oder so...«
»Bist du wahnsinnig? Bei DEM Wetter? Das wäre Perlen vor die Säue! Was hältst du von 'ner kleinen Spritztour irgendwohin? Nach Köln oder Frankfurt...«
»Was, jetzt?«
Patrick zuckte die Achseln. »Wieso nicht?!«
»Hmmm...« Philip überlegte einen Moment.
»Ja, wieso eigentlich nicht? Ich ähm... bring' noch mein Notebook rein. Kommst du mit?«
Sie gingen ins Haus. Die Wohnung lag in der ersten Etage. Philip schloss die Tür auf. Lena war gerade im Flur beschäftigt, ihre Jeansjacke anzuziehen. Neben ihr stand eine gepackte Reisetasche.
»Hi!« Sie lächelte den unbekannten Besucher an.
»Hi. Fährste nach Hause?« wollte Philip wissen.
»Ja, mein Dad hat Geburtstag. Ich komm' aber schon am Montag wieder.«
»Das ist meine Mitbewohnerin Lena. Lena, das ist Patrick.«
Sie gaben sich die Hand. »Hi, Patrick! Studiert ihr zusammen?« fragte sie, band dabei ihr Haar zu einem Zopf.
»Nee, ich bin schon fertig! Zum Glück!« lachte Patrick.
»Naja, Philip hat's ja auch bald geschafft... so, ich muss dann auch schon los. Mein Zug geht in 'ner viertel Stunde. Schönes Wochenende euch!«
»Dir auch! Bis dann!«
Philip verstaute seine Tasche in seinem Zimmer.
»Nett!« bemerkte Patrick, als Lena die Wohnung verlassen hatte.
»Ja, ist sie. Aber manchmal ein bisschen neugierig.«
»Sind wir das nicht alle?« entgegnete Patrick und lehnte sich in den Türrahmen. Er sah sich in seinem Zimmer um.
»Schönes Zimmer.«
»Ja, ich fühl' mich auch ganz wohl hier. Schön hell. Und vor allem billig. Ich bezahl knapp 200 Euro warm mit allem drum und dran. Willst du was trinken?«
Philip ging an ihm vorbei in die Küche, wo er sich ein Glas Coke einschenkte.
»Auja, für mich auch bitte!«
»Und, was hast du an Ostern so getrieben?«
»Nicht viel. Ich war zu Hause und hab' es mir gutgehen lassen. Meine Mutter hat sich einen neuen Hund zugelegt. Der ist erst ein paar Wochen alt. Da braucht sie noch ein bisschen Hilfe. War aber ganz schön.«
»Echt? Was für 'ne Sorte?« wollte Philip wissen.
»Einen französischen Hirtenhund. Wir haben schon einen. Lili ist schon acht Jahre alt. Wir dachten erst, dass es problematisch wird mit dem Kleinen. Aber Lili ist echt süß. Sie kümmert sich richtig um ihn.«
»Und, schon einen Namen ausgesucht?«
»Maja.«
Philip grinste. »Maja... Maaaajaaaaa!« imitierte Philip den Willi aus Biene Maja. Sie lachten.
»Kannst ja mal mitkommen...«
»Mal sehen.«
Nachdem sie ausgetrunken hatten, machten sie sich auf den Weg nach draußen. Philip setzte sich eine Baseballmütze auf, als Patrick losfuhr, mit offenem Verdeck versteht sich.
»Ich bin so froh, dass es endlich aufgehört hat zu regnen! Der Wagen muss einfach OHNE Verdeck fahren!« Patrick war euphorisch.
»Naja, hier musst du damit rechnen, dass es nur drei Monate im Jahr schön ist. Ich würde mir nie ein Cabrio kaufen!«
Patrick sah ihn strafend an. »Jetzt sag' mir, dass es dir nicht gefällt!«
»Nö!« Philip grinste. »Is' schon geil so!«
Patrick schaltete den Cd-Player ein. Scissor Sisters.
Ihr Weg führte nach Köln. Dort waren es noch einmal zwei Grad wärmer als zu Hause. Sie hatten Glück und fanden schnell einen freien Parkplatz an der Oper.
»Ich war ewig nicht in Köln!« meinte Philip, als Patrick das Verdeck schloss. »Um ehrlich zu sein, ich auch nicht. Ich war vor zwei Jahren regelmäßig hier. Aber dann... mein Ex wohnt ja hier.«
»Wir können ja zum Rheinufer. Eis essen oder so...« schlug Philip vor. Patrick stimmte zu.
*****
Sascha saß auf dem Balkon, hörte Musik und rauchte, als Philip spät am Abend wieder nach Hause kam. Philip gesellte sich zu ihm. In der Hand zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank.
»Hi, na schönen Abend gehabt?« fragte Sascha und nahm eine Flasche. »Danke!«
»Ja, war ganz okay... ich war in Köln.«
»In Köln? Allein?«
»Nee, Patrick stand heute Mittag einfach so vor der Tür, als ich aus der Bib kam.«
»Der IT-Mensch?!«
»Japp.«
»Aha... wie kommt's?«
»Ich hab' mich auch gewundert. Wollte mit mir ins Blaue fahren. War auch ganz nett.«
»Ganz nett, aha... und sonst?«
»Hm, sonst weiß ich auch nicht... Er hat mich eben hier abgesetzt und gesagt, dass wir das ja mal wiederholen könnten.«
»Und willst du das auch?«
»Wenn ich das wüsste! Ich meine, es war ein toller Tag heute...«
Sie sagten eine Weile nichts, sondern tranken ihr kühles Bier.
»Was is' eigentlich los mit dir in letzter Zeit?« fragte Sascha. »Du hockst nur noch in deinem Zimmer 'rum...«
»Die Diplomarbeit... naja, und sonst hab' ich auch gar keine Lust, auf die Piste zu gehen.«
»Es geht ja nicht um's weggehen... Lena und ich kriegen dich ja auch hier gar nicht mehr zu Gesicht. Wir machen uns Sorgen.«
Philip schnaufte.
»Ich sag' ja nur... wenn was ist, kannst du uns gerne anhauen.«
»Ich weiß. Ich bemüh' mich.«
»Ich bitte darum. Mann, wir hatten immer soviel Spaß!«
Philip sagte nichts, sondern knibbelte am Aluminiumetikett der Bierflasche.
»Wie kommst du eigentlich voran mit der Diplomarbeit?«
»Hm, ganz gut. Ich werde wohl nächsten Monat fertig. Auf jeden Fall dicke in der Zeit.« antwortete Philip und nahm einen Schluck aus der Flasche.
»Wie sieht's mit 'ner Stelle aus? Hast du dich schonmal umgeschaut?«
»Ja, dort, wo ich das Praktikum gemacht habe, könnte ich vielleicht Fuß fassen. Mal sehen. Hat mir schon ganz gut gefallen da.«
»Das war was mit CMS, oder?!«
Philip nickte. »Ja, witzigerweise genau das, was auch Patrick macht.« Er lächelte.
»Tja... hört sich gut an. Würde mich aber noch woanders umsehen. Schaden kann's ja nie.« Sascha hielt ihm die Zigarettenschachtel hin. Doch Philip lehnte ab.
»Nee, lass' ma'! Ich habe aufgehört vor 'ner Woche. Bis jetzt hab' ich's ausgehalten.«
Sascha zog anerkennend die Augenbrauen hoch. »Respekt! Dann will ich dich auch gar nicht weiter verführen.«
Gesagt, steckte er sich noch eine Zigarette an.
»Und, haste den Typen denn nochmal angesprochen? Auf die Sache, die damals abgelaufen ist...« wollte er wissen.
Philip schüttelte den Kopf. »Nein, ich... was soll ich dazu noch sagen?«
»Hmmm, habt ihr denn überhaupt mal richtig drüber gesprochen? Machte mir damals nicht den Eindruck.«
»Eigentlich nicht... er hat mir mal 'ne Email geschrieben in der er mir schrieb, dass er sich irgendwie komisch fühlt, weil ich ihn angeschwindelt habe. Dass er sich nicht sicher ist und so...«
»Und jetzt kommt einfach so vorbei...«
»Jaaa, aber... wir haben schon noch Kontakt. Ab und zu telefonieren wir oder chatten.«
»Aber unternommen habt ihr bis heute nichts mehr zusammen...«
»Nein... ach, ich weiss auch nicht... ich bin auch ziemlich durch den Wind jetzt. Es war ein richtig guter Tag heute. Wir haben uns gut unterhalten. Es war total entspannt. Abgesehen von meiner Nervosität...« Philip seufzte.
»Also denkst du, es besteht noch eine Chance, dass er vielleicht doch mehr will?« mutmaßte Sascha.
»Ich weiss es wirklich nicht. Ich weiss noch nicht mal, ob das so ein guter Zeitpunkt war, jetzt was mit mir zu unternehmen. Ich meine, die Uni... ich habe keine Lust, nochmal einen Korb zu bekommen. Das würde mich wieder zurückwerfen.«
»Naja, da gehören ja schon zwei dazu. Du hättest ja auch absagen können...«
»Jaaa, Maaaaann! Aber es war auch mal 'ne schöne Abwechslung. Ich hab' mir das eigentlich die ganze Zeit gewünscht, dass er mal Zeit findet für mich. Naja, und als dann heute angefahren kam... war schon cool.«
»Oh, Mann, Philip! Du machst es echt kompliziert!« fasste Sascha zusammen.
»Wieso kompliziert? Was würdest du machen?«
»Keine Ahnung. Aber ich hätte glaub' ich keine große Lust, immer in der Ungewissheit zu leben. Das würde mich fertigmachen, echt!«
»Du denkst, ich soll ihn anmachen?«
»Zumindest zur Rede stellen... oder anmachen... auf eins von beidem MUSS er reagieren!«
»Das bring' ich nicht...«
»Musst du wissen. Aber es wird dir dann definitiv besser gehen, wenn du mit der Sache abgeschlossen hast. Oder mit ihm zusammen bist... ich meine, DIESE Option besteht ja durchaus auch noch, nachdem, was du so erzählst.«
Philip schaute auf seine Hände.
»Ich geh' pennen. Nacht.«
»Nacht, Philip. Und hock' nicht mehr so lange vorm PC! Das ist ungesund!«
*****
„hi, noch wach?“
„hi... ja... kann nicht pennen“
„geht mir auch so. hab gehofft, dich noch zu sehen hier“
„war schön heute“
„find ich auch. und tausendmal besser als TV kucken“
„*g*“
„meine nachbarin wollte noch, dass ich mit ihr einen trinke, hab sie aber abgwimmelt“
„ich hab noch ein bier mit meinem mb getrunken“
„sascha“
„genau“
„den kannst du gut leiden, was?“
„ja, der ist schon korrekt“
„muss ich mir sorgen machen?“
„hä?“
„ach, vergiss es“
„neee, der steht auf frauen *fg*“
„oki“
„was hörste im moment?“
„mad world, aber original. du?“
„patience“
„musst du mir mal brennen“
„klar“
„philip?“
„Patrick?“
„ich hab heut hundertmal überlegt, ob ich zu dir fahren soll... war mir echt unsicher“
„wie, nur hundertmal?“
„können auch hundertfünfmal gewesen sein“
„?“
„hätte ich vielleicht schon früher machen sollen“
„was?“
„dich besuchen, was mit dir machen“
„hmmm“
„ohoh“
„was?“
„jetzt »hmmst« du schon wieder...“
„hmm, jaaa, sorry...“
„hast du noch lust, vorbeizukommen?“
„wie, jetzt???!!!“
„ja“
„ich weiss nicht...“
„oki, muss nicht... sorry“
„kein prob... aber für heut bin ich echt fertig“
„ok... gehste ins bett?“
„denk schon... schlimm?“
„schade... aber okay“
„gute nacht dann“
„ja, schlaf du auch gut, philip“
„bis dann“
*****
Zum Glück gab's Tankstellen, und damit (relativ) frische Brötchen am Sonntag.
Philip hatte nicht gut geschlafen, es aber doch noch bis elf Uhr im Bett ausgehalten. Er war zu träge zum aufstehen gewesen. Jetzt, nach einer ausgiebigen Dusche, fühlte er sich schon fitter. Zu Fuss hatte er sich auf den Weg zur Tanke gemacht, die nur zehn Minuten von der Wohnung entfernt lag. Das Wetter hatte sich gehalten. Auf dem Weg zurück fiel sein Blick auf Patricks Auto. Es stand vor seiner Wohnung, die auch nur einen Block entfernt von Philips lag. Er hatte keine Garage und musste seinen Wagen immer an der Strasse parken. Philips Herz klopfte schneller.
Er war sehr verknallt.
Sie hatten sich im letzten Sommer kennengelernt, übers Internet. Philip war damals sehr frustriert gewesen, weil eine Beziehung in die Brüche gegangen war, und das sehr unschön. Da er damals einen ausgeprägten Hass auf die Männerwelt aufgebaut hatte, hatte er den beim erstbesten, der ihn im Netz im Chat angetickert hatte, abgeladen. Das war Patrick gewesen. Philip hatte ihm eine hanebüchene Geschichte zu seiner Person vorgesetzt. Das ganze verlief über mehrere Wochen und gipfelte darin, dass Philip ihm eine Email mit seinem wahren Lebenslauf zugeschickt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war er schon Hals über Kopf verliebt in ihn gewesen. Sie hatten stundenlang gechattet und letztendlich auch telefoniert. Bevor ihm das ganze schließlich vollends aus dem Ruder geriet, hatte er sich nach intensiver Beratung mit Sascha, seinem besten Freund, für die Wahrheit entschieden.
Philip hatte mit vielem gerechnet: Beschimpfungen, Kontaktabbruch,... aber nicht damit, dass er zehn Minuten später vor seiner Tür stehen würde. Was passiert war. Dann hatten sie sich das erste mal gesehen. Es war sehr eigenartig gewesen. Sie hatten nie Bilder ausgetauscht. Philip war auf der Stelle in ihn verliebt gewesen. Danach folgte eine Nacht mit wilder Knutscherei, anschließend Flaute. Patrick hatte sich besonnen und den Kontakt nicht weiter intensivieren wollen. Das hatte Philip in eine tiefe Krise für den Rest des Jahres gestürzt.
Philip hatte Kaffee aufgesetzt und es sich auf dem Balkon bequem gemacht. Auf die Sonntagszeitung konnte er sich aber nicht konzentrieren. Seit gestern kreisten seine Gedanken wieder permanent um Patrick. Es war wie vor einem dreiviertel Jahr. Er wusste, was das bedeutete. Es hatte keinen Zweck, er musste sich den Gedanken hingeben. Während der Kaffe durchlief, schweifte sein Blick über die Strasse. Vielleicht sollte er ihn anrufen und fragen, ob er Lust auf Frühstück hatte...
Es klingelte. Einmal, zweimal,...
»Hallo?«
»Hi, Philip hier!«
»Oh, hi!«
»Ähm... Frühstück bei mir?«
»Ja... hmm... okay... bin gleich da!«
»Schön! Bis gleich!«
Was hatte er da getan?! Er würde gleich vor der Tür stehen! Wie sah er überhaupt aus? Philip stürmte ins Bad, um sein Styling zu checken. Okay, dunkle Schatten unter den Augen. Naja, die Nacht war kurz gewesen. Ein wenig Gel ins Haar. Das musste reichen. Er wartete im Bad auf ihn. Er schaute sich dabei die ganze Zeit im Spiegel an. Braunes Haar, dunkle Augen... das mochte Patrick, das wusste er.
Die Türklingel. Philip zuckte zusammen. Er eilte in den Flur, drückte den Summer und öffnete die Wohnungstür. Patrick.
»Hi!« begrüßte Patrick ihn und strahlte.
»Guten Morgen, oder... is ja schon zwölf durch... komm' rein!«
»Schön dass du mich angerufen hast.«
Philip lächelte. »Schön dass du hergekommen bist!«
Er führte ihn zum Balkon. »Kaffee oder Tee? Ach, nee, du magst ja lieber Kakao!«
»Wenn's dir nichts ausmacht...?!« Philip lachte. »Kommt sofort!«
Er wärmte eine Tasse Milch in der Mikrowelle auf und gab vier Löffel Kakaopulver hinein. Philip wusste, dass Patrick es sehr süß mochte.
*****
„hallo, philip“
„Patrick!“
„wie geht's?“
„gut“
„ja?“
„ja“
„hm“
„wieso hm?“
„wieso chatten wir schon wieder?“
„weil wir online sind“
„offensichtlich“
„wie meinst du das, Patrick?“
„ich hab das gefühl, dass wir uns zu lange so unterhalten haben...“
„übers netz?“
„ja... wir haben uns zu sehr daran gewöhnt... deshalb können wir uns gar nicht normal unterhalten“
„denkst du?“
„ja, wenn wir zusammen sind, reden wir nicht über solche dinge“
„welche dinge?“
„darüber zb dass du dich auch nicht wohlfühlst...“
„hm“
„ring...“
Das Telefon klingelte.
»Ja?«
»So ist doch besser, oder?« Patrick.
Philip lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ja.« Er nahm einen Schluck Wasser aus dem Glas neben der PC-Tastatur.
»Und, was denkst du?« wollte Patrick wissen.
»Ich weiss nicht so recht... ich fand den Tag heute schön...« Philip schaltete seinen PC ab.
»Ich finde irgendwie jeden Tag mit dir schön.« Hatte er das wirklich gesagt?
»Wie du das sagst...«
»Was dagegen?«
»Nein.«
»Okay... ähm, um ehrlich zu sein...«
»Ja?«
»Ich weiß nicht, was du damit bezweckst. Ich meine, du stehst plötzlich vor meiner Tür, wir verbringen Zeit miteinander... ich verstehe nicht genau, was das soll. Seit Monaten drückst du dich vor nem Kaffee mit mir. Ich hab's irgendwie schon aufgegeben, weil ich dachte, dass du mich so loswerden willst... auf Raten.«
»Ja, ich weiß. Ich... es tut mir leid. Ich war die letzten Monate sehr... verwirrt, keine Ahnung. Und am Samstag... ich hatte das geplant, um ehrlich zu sein. Ich war den ganzen Morgen total durch den Wind. Hab' die ganze Zeit aus dem Fenster gestiert, um zu sehen, wann du nach Hause kommst.«
»Echt? Warum?«
»Ich... ich wollte dich sehen, weil... ich vermisse unsere Gespräche und... es ist schön, wenn du da bist.«
»Wow, das ist... echt?«
Patrick lachte. »Jaaa, Mann! Sorry, mir fällt es nicht so leicht, über solche Sachen zu reden.«
»Aber wieso? Wir haben doch die ganze Zeit über ,solche' Sachen geredet?«
»Schon, aber... ich weiß nicht, woran das liegt...«
»Hm, und jetzt?«
»Hast du morgen abend schon was vor?« fragte Patrick leise.
»Nein, ich bin bloß den ganzen Tag in der Uni, schätze ich.«
»Können wir uns denn sehen?«
»Gerne! Vielleicht können wir ja grillen oder so. Wenn sich das Wetter hält...«
»Ja, das wär' ne Idee... wir können ja morgen nochmal telefonieren.«
»Okay... dann... gute Nacht, Patrick.«
»Schlaf gut, Philip!«
*****
Das Wetter hielt sich.
Als Philip am Abend nach Hause kam, war Lena schon in der Küche zugange. Sie bereitete einen Salat vor. Philip hatte sie nachmittags in der Mensa getroffen und sie in die Pläne, die Grillsaison zu eröffnen, eingeweiht. Natürlich war sie gleich Feuer und Flamme gewesen und hatte sich bereit erklärt, etwas beizusteuern. Philip hatte sich um das Grillfleisch gekümmert, das er in den Kühlschrank räumte.
»Und, wann kommt Patrick?« wollte sie wissen, während sie sich ums Dressing kümmerte.
»Der wollte um sieben vorbeikommen.« Philip schenkte sich ein Glas Milch ein.
»Und, biste schon aufgeregt?« Lena grinste. Philip verdrehte die Augen.
»Was weiß ich, was das gibt. Ich hab keinen Bock, dass er wieder die Fliege macht. Das war echt zuviel.«
»Kann ich verstehen. Aber wenn er sich soviel Mühe gibt... vielleicht hat er es sich ja wirklich überlegt!?«
»Na, wir werden ja sehen. Ich geh mal duschen.«
Es war kurz nach sieben Uhr, als es an der Tür klingelte. Philip hatte schon den Grill angeworfen. Er war ein richtiger Feuerteufel und liebte es, alle möglichen Dinge ins Feuer zu werfen. Doch er hielt sich zurück, denn er wusste, das Lena das überhaupt nicht mochte.
»Hi!« Patrick stand in der Balkontür. Er strahlte. Philip lächelte.
»Hallo!« Philip stocherte in der Kohle herum. »Willste 'n Bier?«
»Gern!«
Philip ging an ihm vorbei in die Küche und nahm zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank. Mit einem Feuerzeug, das auf dem Schrank lag, öffnete er sie. Eine davon gab er Patrick.
»Cheers!« meinte Philip und hielt ihm die Flasche zum Anstoßen hin. »Prost!«
Da kamen Lena und Sascha auf den Balkon.
»Hi, ihr! Hast du schon was auf den Grill gelegt?« fragte Sascha und stellte Teller auf den Holztisch, der auf dem Balkon stand.
»Nee, war grad dabei.«
Es wurde ein netter Abend. Saschas Freundin stieß später noch dazu.
Es war gegen halb zwölf, als nur noch Philip und Patrick auf dem Balkon saßen. Das Grillrost hatten sie beiseite gelegt und das Feuergefäß mit Holz gefüllt, so dass ein kleines Feuer brannte. Sie sahen sich an. Patrick räusperte sich, ein Indiz dafür, dass er nervös war.
»Wird ein bisschen kühl hier...« meinte Patrick.
»Ja, du hast recht. Lass uns reingehen...« Philip stand auf. »Das Feuer geht von allein aus. Hier kann ja sonst nichts abbrennen.«
Sie gingen in Philips Zimmer.
»Nimm Platz! Noch was trinken?«
Patrick schüttelte den Kopf und setzte sich aufs Sofa. Philip setzte sich zu ihm.
»Und da sitzt du immer, wenn wir chatten, hm?!« bemerkte Patrick.
»Ja... und jetzt sitz ich hier... mit dir...« Der Alkohol hatte ihn definitiv lockerer gemacht, obwohl er nicht viel getrunken hatte.
»Ich find's schön, dass du da bist.«
Patrick lächelte. »Ja, ich bin auch froh, dass ich hier bin... bei dir...«
Es war Patrick, der über Philips Wange strich mit einer Hand. Philip legte die Hand auf seine.
»Mein Doktor der Biologie!« flüsterte Patrick und beugte sich vor zu ihm. Philip lachte.
»Oh, Mann, das wird ich wohl nie los!«
»Selbst schuld!«
Sie küssten sich.
»War das jetzt so schwer?« fragte Philip und streichelte seinen Nacken. Patrick lächelte.
*****
Geschafft. Philip ließ sich auf einen Stuhl in der Küche fallen. Lena war auch da.
»Ich hab's geschafft!« meinte er.
»Deine Diplomarbeit?«
»Japp!«
»Wow! Glückwunsch! Gerade abgegeben?« Lena reichte ihm eine Tasse Kaffee. Philip nickte.
»Ja, ich habe gestern das Okay von meinem Lektor bekommen. Dann hab ich heute die Endfassung ausgedruckt und binden lassen.«
Philip nahm eine Mappe aus seiner Tasche und legte sie auf den Tisch.
»Wow, edel! Wann bekommst du das Ergebnis?« wollte Lena wissen.
»Vier bis sechs Wochen. Hach, ich bin so froh, dass das jetzt ein Ende hat!« Philip lehnte sich zurück. »Das glaub ich dir gerne! Und was machst du jetzt? Hast du den Job sicher?«
»Ja, ich fange nächsten Monat an. Ich hab also noch vier Wochen Urlaub!«
»Neid! Fahrt ihr weg?«
Philip grinste. »Ich weiß nicht... Patrick hat noch keinen Schimmer, dass ich fertig bin mit der Arbeit. Er glaubt, ich brauche noch einen Monat. Wird' ihn gleich mal überraschen in der Firma...«
»Das ist ja süß!« Lena nahm einen Schluck Kaffee. »Ihr passt echt gut zusammen, weißt du das? Ich finde Patrick wirklich sehr nett.«
»Er dich übrigens auch.«
»Hmm, danke... wie sind denn seine Leute so? Schon welche kennengelernt?«
»Ja, seine Nachbarn, also, die anderen Hausbewohner. Das ist so eine Clique. Ja, die sind eigentlich auch ganz in Ordnung. Aber es ist schon immer komisch, wenn man in so eine Gemeinschaft kommt. Man kommt sich erstmal ziemlich blöd vor. Kennste ja auch...«
»Ja, aber je öfter man zusammen was unternimmt... ich komm' total gut aus mit den Leuten von Daniel. Aber ich hab' auch ne Weile gebraucht.«
»Er will mich immer mit zu seiner Mutter nehmen... er fährt da öfter hin am Wochenende... aber irgendwie hab' ich mich da immer rausgeredet... weiß nicht, ob ich schon so weit bin... Familienzeugs... steh' ich eigentlich nicht so drauf.«
»Hmm, klar, das ist immer noch was anderes. Aber wenn sie okay ist...«
»Ja, die scheint ganz lässig zu sein. Aber trotzdem... das ist dann so offiziell!«
»Was dagegen?«
Philip zögerte einen Moment. »Eigentlich nicht. Ist ja auch ein Zeichen, dass er es ernst meint.«
»Na, siehste! Also, ich würde mal mitgehen... allein aus purer Neugier!«
»War mir klar, dass du das aus diesen niereden Beweggründen tun würdest!«
Lena streckte ihm die Zunge heraus.
»Wie läufts eigentlich mit deinem Studium?« wechselte er das Thema.
»Gut. Ich hab' noch zwei Prüfungen, dann fange ich nach den Sommerferien mit dem Referendariat an. Am Karenngelischen Gymnasium.«
»Cool... dann kannste die Kids ärgern!«
»Ich schätze, die werden vielmehr mich ärgern!«
»Nee, du setzt dich da schon durch!«
Am frühen Nachmittag setzte sich Philip auf sein Fahrrad und machte sich auf den Weg zur Firma, in der Patrick arbeitete. Sie lag nur wenige hundert Meter von seiner Wohnung entfernt. Philip war noch nie hier gewesen, aber Patrick hatte ihm grünes Licht gegeben, ihn mal zu besuchen.
Nachdem er sein Rad abgeschlossen hatte, suchte er den Eingang, der etwas versteckt war. Es war eine übersichtliche CMS-Agentur, die aber schon gute Erfolge erzielen konnte und sich einen Namen machen konnte.
»Hi, ähm, Patrick Müllers Büro suche ich!«
Philip hatte den nächstbesten Angestellten angehalten, der ihm über den Weg gelaufen war.
»Zweite Tür rechts.«
»Danke!«
Philip lief den Gang entlang. Alle Türen standen offen. Er wusste, dass hier ein sehr gutes Arbeitsklima herrschte. Zweite Tür rechts. Da saß er schon an seinem Schreibtisch, er tippte gerade an seinem PC. Philip klopfte auf den Türrahmen. Patrick schaute auf. Sogleich strahlte er übers ganze Gesicht.
»Hi!« begrüßte Philip seinen Freund.
»Na, hi!«
Patrick war aufgestanden und um den Schreibtisch herum zu ihm gegangen.
»Was machst du denn hier?«
Er gab ihm einen Kuss auf den Mund.
»Dich überraschen und ein bisschen von der Arbeit abhalten...«
Da kam noch jemand ins Büro. Das musste Patricks Chef sein, denn er selbst war sozusagen »Vize«-Boss des Unternehmens und teilte sich mit ihm das Büro.
»Wer will dich von der Arbeit abhalten?« fragte er grinsend.
»Ah, das hier ist Philip Kamp...«
»Ach, sie sind das! Schon viel von ihnen gehört! Ich kenne sie in- und auswendig! André Lenkeit.« Sie gaben sich die Hand.
»Er übertreibt natürlich!« Patrick lächelte verlegen.
»Will ich doch hoffen!« entgegnete Philip.
»Jaaa, also... ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich gerade meine Diplomarbeit abgegeben habe!« verkündete er stolz.
»Was??! Ich dachte, du brauchst noch vier Wochen!?« Patrick war wirklich überrascht.
»Tja, reingefallen! Schon wieder!« feixte Philip.
»Ja, und jetzt? Urlaub oder was? Oder arbeitest du schon?«
»Nee, ich fang nächste Monat an. Einen Monat Urlaub noch.«
Patrick verdrehte die Augen.
»Vier Wochen! Wow!«
»Nimm dir doch auch Urlaub. Hast doch genug Überstunden.« mischte sich André ein. Er hatte sich derweil an seinen Arbeitsplatz gesetzt.
»Naja, du weißt ja selbst, wie's hier aussieht im Moment...« meinte Patrick.
»Hach, das kriegen wir schon hin. Mach doch ab nächste Woche frei. Dann kannst du noch den Kunden für diese Woche abschließen und dann war's das doch für's erste. Ich hab' ja erst nächsten Monat Urlaub.«
»Hmm...« Man konnte richtig erkennen, wie Patricks Hirn auf Hochtouren arbeitete.
»Patrick! Jetzt mach' dich nicht unentbehrlicher als du bist! Wenn du noch länger darüber nachdenkst, überleg' ich es mir noch anders!«
»Jaja, schon gut, Chef! Dann mach' ich halt Urlaub! Bevor ich mich schlagen lasse!«
Philip lächelte. »Ja, ist ja super! Dann will ich dich jetzt auch nicht weiter aufhalten! Mach' du deine Geschäfte fertig. Ich hab' auch noch was zu erledigen.« Philip boxte ihm leicht in den Oberarm.
»Willste schon gehen?« Patrick war enttäuscht.
»Jaaa, ich wollte dir das nur sagen. Ich war auf dem Weg zum Friseur... wir können ja später was unternehmen...«
»Okay... ich meld' mich, wenn ich fertig bin, ja?!«
»Okay, mach's gut, du!«
»Du auch...« Ein Kuss. »Herr Lenkeit, gute Geschäfte noch!«
»Ja, und feiern sie noch kräftig! Tschüß!«
Patrick setzte sich wieder an seinen Tisch.
»Große Liebe, was?!«
»Hm, ja, kann man so sagen... Er ist toll...« schwärmte Patrick verträumt.
»Bring' ihn doch mit, wenn wir demnächst essen gehen!« schlug André vor.
»Hm, ja, könnte ich eigentlich tun... ich frag' ihn mal.«
»War das dein Freund?« Es war seine Kollegin, die den Kopf ins Büro gesteckt hatte.
»Ja, Lotte. War ja klar, dass du das mitbekommen hast!« lachte Patrick.
»Der sieht super aus! Glückwunsch!« Und schon war sie wieder weg.
*****
Philip döste in der frühabendlichen Sonne auf dem Balkon vor sich hin. Er hatte den ganzen Tag nichts anderes getan, als es sich gutgehen lassen. Erst der Friseurtermin, dann ein bisschen bummeln in der Stadt mit Lena. Und nun relaxte er. In den vergangenen Wochen war er konzentriert mit der Diplomarbeit beschäftigt gewesen. Er genoss nun die freie Zeit.
»Schatz...« Es war Patrick, der ihm ins Ohr flüsterte.
Philip drehte sich um und sah ihn müde an.
»So müde vom Nichtstun?« Patrick streichelte sein Gesicht.
»Hey, Feierabend?« Philip setzte sich auf.
»Ja, ich war noch gar nicht zu Hause...« Patrick lächelte.
»Oh, Mann... ich bin irgendwie eingepennt!« Philip reckte sich ausgiebig.
»Wie war's noch auf der Arbeit? Noch Stress gehabt?« wollte er wissen und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die neben ihm auf dem Tisch stand.
»Nee, war nicht so stressig heute. Danke dass du mir zu drei Wochen Urlaub verholfen hast!«
»Gern geschehen!«
Philip beugte sich nach vorne zu ihm. Sie küssten sich.
»Wollen wir was essen? Ich hab' Kohldampf!« bemerkte Patrick anschließend.
»Ja, gerne! Aber ich hab' irgendwie nichts im Kühlschrank. War zu faul zum Einkaufen.«
»Meine Mutter hat heute angerufen und gefragt, ob wir nicht zum Grillen vorbeikommen wollen...«
»Ah, deine Mutter also...« Philip schmunzelte.
»Ich schwöre, ich hab' nichts damit zu tun! Sie rief heute nachmittag an!«
»Ja, schon gut! Keine Panik! Ja, ist eine gute Idee.« Philip stand auf.
»Aber ich muss unbedingt duschen. Ich fühl mich ganz eklig!«
»Ja, okay, ich muss mich auch noch frischmachen. Sagen wir, in einer Stunde? Ich hol' dich ab.«
»Gut... ich freu' mich!«
Punkt sieben hupte es vor Philips Wohnung. Frisch geduscht und in legerer Kleidung, beigefarbene Chinos, hellblaues Poloshirt und Flip-Flops aus Leder, verschwand Philip und lief in schnellen Schritten die Treppe hinunter. Patrick wartete im Wagen. Auch er hatte sich umgezogen und trug nun Cargohosen und ein witziges T-Shirt. Auf dem Kopf saß eine rote Basecap.
»Hi!« Philip stieg ein und gab ihm einen Kuss auf den Mund.
»Hmm, du riechst gut!« Patrick streichelte seinen Nacken.
»Okay, hmmm, dann kann's ja losgehen!« Philip war sichtlich angespannt.
»Hey, ganz ruhig! Wir halb so wild. Sie wird dich mögen... und du wirst sie mögen. Christian und seine Freundin sind auch da.«
»Aha.«
»Das wird schon... ich bin ja auch noch da!«
Sie fuhren los.
Während der Fahrt sprachen sie nicht viel miteinander. Philip war zu aufgeregt, und Patrick ließ ihn in Ruhe. Es dauerte nur eine halbe Stunde, bis sie den Ort erreicht hatten, in dem Patrick aufgewachsen war. Es war eher ein größeres Dorf denn eine Stadt. Patrick lenkte den Wagen in ein Wohngebiet. Schließlich fuhr er in eine Auffahrt, die zu einem großen Einfamilienhaus führte.
»So, da wären wir. Bereit?«
Philip nickte nur. Sie stiegen aus und gingen durch ein hölzernes Tor in den Garten. Es roch schon nach Holzkohle. Patrick nahm seine Hand, als sie um die Ecke gingen und auf der Terasse landeten, von wo aus man Geplauder wahrnehmen konnte.
Seine Familie. Philips Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er hasste solche Situationen. Man wurde neugierig beäugt und jeder wartete gespannt auf den ersten Satz, den man sagte.
»Hallo, ihr zwei!«
Eine Frau um die Fünfzig kam auf sie zu. Sie sah gut aus. Sie hatte ein freundliches Lächeln. Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Patrick und ihr konnte man nicht verleugnen. Die Partie um die Augen war unverwechselbar.
»Hi, Karen!« Patrick umarmte sie kurz.
»Das hier ist Philip.«
»Hallo, Frau Müller!« Sie gaben sich die Hand.
»Ich bin Karen! Schön, dass ihr es einrichten konntet!«
Schon wuselte ein kniehohes Knäuel um ihre Beine.
»Oh, die Maja! Na, du Süße! Schon wieder gewachsen!«
Patrick war in die Hocke gegangen, um den jungen Hirtenhund zu streicheln.
»Ja, das ist unser jüngstes Familienmitglied. Sie ist jetzt vier Monate alt.«
»Ist sicher sehr anstrengend... ist ja quasi ein Kleinkind!« bemerkte Philip.
»Das kann man so sagen! Aber ich wollte es ja so. Unsere Lili ist schon sehr alt. Sie geht kaum noch nach draußen. Und ich wollte wieder einen Hund fürs Spazierengehen. Das funktioniert schon ganz gut mit der Kleinen.«
»Wir hatten zu Hause auch immer Hunde. Insgesamt waren es drei. Naja, sie waren sowas wie meine Babysitter, als ich etwas älter war.« Philip schmunzelte. »Aber es waren immer irgendwelche Promenadenmischungen.«
Da gesellte sich noch jemand zu ihnen. Es schien Patricks Bruder Christian zu sein.
»Hi, ich bin Chris!«
»Philip!« Händeschütteln.
»Und wie läufts mit der Diplomarbeit? Patrick hat natürlich schon was gepetzt!« schmunzelte Christian, der seinem Bruder so gar nicht ähnlich sah. Christian war groß, hager, hatte blondes Haar und tiefblaue Augen.
»Oh, die hab' ich heute morgen abgegeben! Ich bin echt froh, das Ding loszusein. Jetzt hab' ich erstmal Urlaub. Wurde auch Zeit.« erklärte Philip.
»Wow, Glückwunsch! Und schon einen Job in Aussicht?« wollte Christian wissen.
»Ja, ich fange in Bonn an. Das ist eine CMS-Agentur, quasi bei der Konkurrenz!« Philip grinste in Patricks Richtung.
»Ich habe dort letztes Jahr ein Praktikum gemacht. Naja, ich hab' mich dort sehr wohl gefühlt und einfach mal nachgefragt. Ich hatte Glück, sie hatten Vakanzen und waren wohl auch überzeugt von meiner Arbeit.«
»Na, das hört sich doch gut an. Bleibst du in Siegen oder ziehst du um?«
»Ach, ich bleib' erstmal zu Hause wohnen. Wer weiß, wie es sich entwickelt. Es gibt ja auch immer noch die Probezeit. Und Bonn ist nicht aus der Welt.«
»Stimmt. Ich fahr' ja auch jeden Morgen nach Frankfurt. Ich finde die Pendelei gar nicht so schlimm. Ich kann mich immer ganz gut entspannen im Auto.«
»Du hast nur keine Lust auszuziehen!« mischte sich Patrick ein und spielte damit auf die Tatsache an, dass sein Bruder immer noch zu Hause bei Muttern wohnte, allerdings bewohnte er die Einliegerwohnung mit eigenem Eingang.
»Jaja, die alte Leier!«
»Na, kommt Jungs, schaut lieber mal nach dem Grill!« meinte Karen und ging Richtung Terassentür.
»Was möchtest du trinken, Philip?« fragte sie.
»Oh, ähm, zu einem Bier würde ich auch nicht nein sagen!« antwortete Philip.
»Hi, Sabine!« begrüßte Patrick die junge Frau, die gerade aus dem Haus kam.
»Patrick! Wie geht's? Was macht die Arbeit?« wollte sie wissen und umarmte ihn kurz.
»Gut und nochmal gut! Schön, dich zu sehen! Und hat mein Bruder dir endlich einen Antrag gemacht?«
»Oh, Gott! Wovon träumst du nachts? Er sträubt sich!« lachte Sabine und ging zu ihrem Freund.
»Sei bloß still du da drüben!« rief Christian in Patrick's Richtung, der sich inzwischen am Grill zu schaffen machte.
»Das ist übrigens Patrick's Freund, Philip!«
»Hallo, ich bin Sabine! Schön, dich zu sehen!«
Sie war sehr nett. Ganz offen und freundlich.
»Jetzt hast du wohl den ganzen Müller'schen Clan schon kennengelernt, was?! Sind immer blöde Situationen. Aber die sind alle ganz umgänglich.«
Philip lächelte.
»Ja, sie machen auch nicht den Eindruck, dass sie Massenmörder sind... oder sowas in der Art!« lachte er.
»Du musst ihm gratulieren, er hat heute seine Diplomarbeit abgegeben!« mischte sich Christian ein.
»Hey, gratuliere! In welchen Fach?«
»Wirtschaftsinformatik.«
»Ah, spannend. Ich schreibe gerade meine Arbeit in BWL. Ich habe aber letzte Woche erst angefangen. Ich bin so froh, dass ich mit den Prüfungen so weit durch bin. Das hat mir echt den letzten Nerv geraubt!«
»Ja, die Prüfungen waren nervig. Ich bin auch froh, dass ich das alles hinter mir habe. Und einen Job habe ich auch schon. Die meisten meiner Kommilitonen suchen noch. Naja, manchmal muss man Glück haben.«
»Ja, ich bin auch mal gespannt, wo es mich in verschlägt. Aber jetzt erstmal die Schreiberei und dann sehen wir weiter. Ich bin eigentlich ganz guter Dinge. Vielleicht übernimmt mich ja die Firma, bei der ich schreibe.«
Der Abend war sehr entspannt. Philip fühlte sich sehr wohl mit den anderen. Er mochte Patricks Mutter gerne. Sie verhielt sich ihm gegenüber vollkommen normal und locker. Seine eigenen Eltern waren bis heute nicht in der Lage mit seinen Beziehungen so entspannt umzugehen. Zwar hatten sie den Kontakt zu Philip nicht abgebrochen, aber er war froh, wenn er nur per Telefon mit ihnen kommunizieren musste.
Aber Karen war anders. Sie war herzlich, lustig, interessierte sich für das, was Philip zu sagen hatte.
Als sie nach Hause fuhren, es war recht spät geworden, war Philip ganz still. Doch es war etwas anderes als die Nervosität bei der Hinfahrt.
»War ein netter Abend, oder!?« fragte Patrick während der Fahrt.
»Ja... ja, es war sehr schön.«
»Ich glaube, Karen mag dich gerne.«
Philip sagte nichts.
»Ist alles okay?«
Philip nickte.
»Du hast eine sehr nette Familie.«
»Ja, naja, ein bisschen spleenig, aber wer ist das nicht?!« lachte Patrick.
»Möchtest du mit zu mir?« wollte er dann wissen.
»Ach, nee, lieber nicht. Du musst früh raus. Und ich... ich hab' irgendwie Kopfschmerzen.«
»Oh.«
»Weiß auch nicht, der ganze Stress, der jetzt abfällt.«
»Okay... brauchst du noch Medikamente? Ich hab' noch was da.«
»Nee, ich hab' auch noch Tabletten da. Danke.«
Den Rest der Fahrt schwiegen sie.
»Gut, ähm... dann schlaf' gut. Und wenn was ist, dann ruf mich an, okay?!«
Sie waren vor Philips Wohnung.
»Ja, okay... danke, es war ein schöner Abend.« Ein Kuss.
»Ist wirklich alles in Ordnung?«
Philip sah in eine andere Richtung. Er schnaufte hörbar.
»Es ist nur... ich hab' mich heute wirklich sehr wohl gefühlt. Irgendwie vermiss' ich sowas... Familienleben... keine Ahnung, wie man es nennen will. Ich hab' sowas nicht mehr.«
Patrick stellte den Motor aus.
»Bei mir zu Hause ist es nicht so... früher war es besser, aber seit ich... sie kommen nicht damit klar, dass ich auf Männer stehe. Ich meine, sie haben das nie explizit gesagt, aber... es war so offensichtlich. Keine Anrufe mehr, meine Mutter hat mir scheinbar auch nichts mehr zu sagen. Und mein Vater... er sagt immer, er hätte keine Zeit. Was weiß ich.«
»Das tut mir leid.«
Philip winkte ab. »Ach, ist okay... nur wenn man sieht, dass es auch anders geht, dann macht mich das immer wütend. Aber ich kann's ja nicht ändern. Sie sind, wie sie sind.« Er knibbelte an seinen Fingern.
»Wann warst du das letzte mal zu Hause?« fragte Patrick.
»An Weihnachten für einen Nachmittag. Aber das hätte ich mir auch sparen können. Ich meine, sie schreien nicht herum oder so. Sie behandeln mich nur wie... ja, als ob ich nicht dazu gehören würde. So gleichgültig.«
»Verstehe. Das ist aber manchmal schlimmer, als angeschrien zu werden, hm?!«
Philip nickte.
»Und hast du denn mal versucht, mit ihnen darüber zu reden? Vielleicht, wenn man es offen anspricht...?«
»Vergiss es! Ich denke nicht, dass sie daran interessiert sind. Es sind jetzt zehn Jahre her, dass sie es wissen. Wenn sie es in irgendeiner Art und Weise interessieren würde, dann hätten längst mit mir gesprochen. Ich hab' da keine Hoffnung mehr. Der Zug ist abgefahren.«
»Ich wusste nicht, dass ihr so ein schlechtes Verhältnis habt. Das tut mir wirklich sehr leid. Aber ich denke, meine Familie ist auch die Ausnahme. Naja, und zu meinem Vater habe ich auch wenig Kontakt.«
Patrick drückte seine Schulter.
»Aber wie ich meine Mutter kenne, hat sie dich schön längst adoptiert.«
Philip lächelte.
»Danke, das ist lieb.«
»Willst du wirklich allein sein heute nacht?« fragte Patrick.
»Ja, ich... ich hab' wirklich Kopfschmerzen. Danke dir. Ich meld' mich morgen, ja?!«
»Ich bitte darum!«
Sie küssten sich.
»Schlaf' gut, Philip.«
»Du auch. Ich hab' dich lieb.«
*****
Es war Freitagmittag.
Philip saß in der Küche. Die ganze Zeit starrte er aufs Telefon. Sollte er anrufen? Was würde sie denken? Sie hatten sich nur einmal gesehen. Auf der anderen Seite... sie mochten sich offenbar. Und außerdem war Karen Psychologin. Man konnte mit ihr reden. Und er hatte ihre Telefonnummer. Patrick hatte sie ihm einmal gegeben, für den Fall, dass er ihn erreichen wollte, wenn er mal bei seiner Mutter war.
Philip nahm das Telefon und wählte die Nummer, die in seinem Notizbuch unter »Patrick / Zu Hause« notiert war.
»Müller?«
»Hallo, ähm, hier ist Kamp, Philip Kamp.«
»Philip! Grüß dich! Das ist ja eine Überraschung! Was kann ich für dich tun?«
»Ähm, ich... weiß selbst nicht so genau. Irgendwie ist das idiotisch gewesen, anzurufen...«
»Nun, wenn du mir verraten würdest, um was es geht, können wir immer noch entscheiden, ob es idiotisch war.«
»Hm, stimmt. Oh, Mann! Das ist mir echt unangenehm!«
»Ach, fass dir ein Herz! So schlimm wird's nicht sein.«
»Ich... ich würde gern mal mit jemandem reden. Ich hab' schon... Patrick ist toll, er steht mir so zur Seite. Aber es gibt da eine Sache... ich würde gerne... könnten wir vielleicht mal einen Termin ausmachen? Ich weiß, es klingt blöd...«
»Das klingt wirklich blöd... einen Termin... komm' einfach vorbei! Hast du Zeit?«
»Äh, jetzt?«
»Klar! Ich habe gerade meinen letzten Klienten gehabt. Ich habe Zeit. Ich würde ja auch gerne zu dir kommen, aber das ist etwas ungünstig wegen Maja.«
»Ja, klar... hmm, ja, wenn das jetzt passt... ich könnte gleich dasein.«
»Okay, dann bis nachher!«
»Ja, bis gleich!«
Völlig perplex starrte Philip auf das Telefon.
Jetzt. Er sollte jetzt auf der Stelle zu ihr fahren! Damit hatte er nicht gerechnet.
Gespannt drückte Philip den Klingelknopf aus Edelstahl. Ein aufgeregtes Bellen war zu hören. Maja. Philip musste lächeln. Schon wurde die moderne Haustür geöffnet. Karen. Sie strahlte.
»Hallo, schön dich zu sehen! Komm' doch rein! Hast du schon gegessen? Ich hab' einen Salat gemacht. Du kannst gerne etwas mit essen.«
Philip trat ein.
»Hallo! Ähm, danke, dass ich kommen durfte. Ich hätte nicht gedacht, dass...«
»Unsinn! Ich hab' Zeit! Und du hast was auf dem Herzen! Das ist überhaupt kein Problem!«
Sie gingen zur Terrasse, wo Karen den Tisch gedeckt hatte. Für zwei. Sie nahmen Platz.
»Wasser?«
»Ja, bitte!«
Sie schenkte ihm Wasser aus einer Glaskanne ein. Es waren einige Zitronenscheiben und Eiswürfel darin. Philip nahm einen Schluck. Es war herrlich erfrischend.
»Möchtest du auch ein wenig?« Sie meinte den Salat.
»Ja, gerne. Der sieht lecker aus.« Er nahm sich etwas Salat und Dressing.
»Ach, ich bin so gerne hier draußen im Sommer! Letztes Jahr hat sich mein ganzes Leben nur hier im Garten abgespielt. Es war ein toller Sommer!« schwärmte sie.
»Ja, das war es! Naja, bis jetzt sieht es ja auch ganz schön aus. Es müssen von mir aus auch keine 35 Grad im Schatten sein.«
»Ja, das war manchmal schon zuviel des Guten.«
»Mal schauen, Patrick und ich wollen vielleicht noch zwei Wochen wegfahren. Er hat ja ab heute abend Urlaub.«
»Ja, schön. Wo soll's hingehen? Schon eine Idee?«
»Hm, da sind wir uns noch nicht ganz schlüssig. Irgendwas Last-Minute, oder wir fliegen zu meiner Schwester nach Kalifornien. Das wäre auch noch eine Option.«
»Oh, das hört sich gut an! Wo wohnt sie denn?«
»In Los Angeles. Naja, wir werden uns am Wochenende entscheiden. Erstmal die Angebote im Netz studieren.«
»Ich fahre nächsten Monat für zwei Wochen nach Griechenland mit einer Freundin.«
»Griechenland ist auch toll! Ich hab mal Ferien auf Rhodos gemacht. Das waren zwei pure Sonnenwochen. Und das Essen ist fantastisch!«
Sie redeten während des Essens über Dinge wie Urlaub, Hunde, Cabriolets...
Erst später lenkte Karen das Thema geschickt auf Philips eigentlichen Grund für seinen Besuch.
»Wie läuft es denn mit Patrick? Benimmt er sich?«
Philip lächelte.
»Ja, auf jeden Fall! Er ist toll. Hat er eigentlich mal erzählt, wie wir uns kennengelernt haben?«
»Ja, du warst letztes Jahr Gesprächsthema Nummer eins. Und vor ein paar Wochen kam er wieder an, und da habe ich ihm den Rat gegeben, nochmal etwas mit dir zu unternehmen. Naja, den Rest kennst du ja.«
»Ja... ich bin froh, dass er es getan hat. Ich hatte eigentlich mit der Sache abgeschlossen. Ich hatte zwar immer noch gehofft, aber... ich war total platt, als er vor meiner Tür stand.«
»Schön... ich glaube, er liebt dich sehr... er geht sehr liebevoll mit dir um.«
Philip war verlegen.
»Ich liebe ihn auch sehr.«
»Was ist los, hm?«
Philip schluckte.
»Es ist sehr schwer für mich... ich habe es ehrlich gesagt, noch keinem erzählt...«
Karen sagte nichts.
»Irgendwie habe ich es geahnt, schon bevor ich... Ich hatte Anfang des Jahres eine fiese Grippe, also mit allem drum und dran. Es wollte und wollte nicht besser werden. Ich bin dann auch zum Arzt. Der hat dann halt die Influenza diagnostiziert. Es ging dann auch irgendwann besser. Aber... bei der Untersuchung...« Philip unterbrach sich selbst. Er nahm einen Schluck Zitronenwasser. Er hatte einen ganz trockenen Hals.
»Die haben da auf allerlei getestet. Ich weiß nicht, was man alles aus einer Blutprobe lesen kann. Auf jeden Fall bin ich...« Philip's Stimme kippte. Er atmete tief ein, dabei konnte man hören, wie er zitterte.
Er spürte eine Hand auf seinem Unterarm.
»Das tut mir leid.« Karen sprach leise, aber mit fester Stimme.
»Ich habe es noch niemandem gesagt. Es war wie... ich ging aus der Arztpraxis und in dem Moment konnte ich es nicht über meine Lippen bringen. Ich weiß nicht, wieso... Ich weiß nur, dass ich es Patrick sagen muss. Es bleibt mir keine Wahl.«
Philip war aufgestanden und stand nun mit dem Rücken Karen zugewandt.
»Ich liebe Patrick. Er muss es wissen.«
»Er wird dich nicht fallenlassen.« sagte Karen.
»Wir hatten noch keinen Sex. Alles ist ganz safe gewesen. Aber... ich will ja auch und er... ich weiß schon gar nicht mehr, was ich ihm noch für Ausreden auftischen soll. Aber es geht mir nicht um den Sex...«
»Ich weiß... du willst es ihm sagen.«
Er nickte.
»Okay... ich bin mir sicher, dass er zu dir steht. Ich kenne Patrick mein ganzes Leben, weißt du... und ich weiß, dass er dich liebt.«
»Ich weiß nicht, wie ich es ihm sagen soll.«
»Es wird gehen.«
Lange sagten sie nichts.
»Wie geht es dir denn, Philip? Was fühlst du?«
»Ich dachte im ersten Moment: ,Das war's, ich werde die Praxis verlassen und tot sein.' Aber das war nicht so. Ich verließ die Praxis und war am Leben. Aber dafür habe ich Angst.«
»Möchtest du, dass ich Patrick anrufe? Soll er herkommen?«
»Ich weiß nicht.«
»Du musst es loswerden. Je eher, desto besser.«
»Aber was... er muss doch noch arbeiten!«
»Lass das mal meine Sorge sein.«
Karen war auch aufgestanden.
»Hey, komm mal her!« Mit diesen Worten nahm sie ihn fest in den Arm. Philip erwiderte die Umarmung. Er musste ein paarmal kräftig schlucken, um nicht die Fassung zu verlieren.
Philip verbrachte den Tag bei Karen. Sie hatte ihren Sohn angerufen und ihn gebeten, so schnell wie möglich zu kommen. Er konnte sich jedoch erst gegen vier Uhr freimachen. Die Zeit bis dahin blieb Philip im Haus. Er saß im Wohnzimmer, starrte ins Leere und wartete. Karen ließ ihn in Ruhe. Sie wusste, dass er die Stille brauchte. Diese Ruhe vor dem Ansturm der großen Gefühle.
Es war gegen halb fünf, als er hörte, wie ein Wagen in die Auffahrt fuhr. Das musste er sein. Auf der Stelle begann sein Herz zu rasen. Ein Schlüssel wurde im Schloss der Haustür herumgedreht.
»Karen? Was macht Philips Wagen hier?« Mit diesen Worten kam Patrick ins Wohnzimmer.
»Philip? Was machst du denn hier?«
Er war zu ihm geeilt.
»Hey, was ist los? Was tust du hier?«
»Schön, dass du da bist!« Philip stand auf.
»Schatz! Was machst du für ein Gesicht?« Sie umarmten sich.
»Lass mich nicht mehr los, bitte!« flüsterte Philip.
»Ja, ich halte dich, mein Schatz. Ich lass dich nicht los.«
Patrick hielt ihn eine Weile fest in seinen Armen. Er spürte, wie Philip's Körper bebte. Er wiegte ihn sanft, um ihn etwas zu beruhigen, strich über seinen Rücken.
»Hey, Philip...«
»Patrick...« Philip befreite sich aus der Umarmung.
»Was?«
»Ich... ich bin HIV-positiv.«
Es war draußen. In Philip's Ohren machte sich ein Rauschen breit. Er hatte das Gefühl, wie in Watte gepackt zu sein. Alles schien im Zeitraffer abzulaufen. Er sah Patrick an, dann an ihm vorbei. Er konnte seinem Blick nicht standhalten.
»Ich wollte es dir früher sagen, aber... ich konnte es nicht. Niemand weiß es... ich bin zu deiner Mutter gefahren, weil... ich hatte das Gefühl bei ihr, dass ich es ihr sagen konnte, ohne... es tut mir leid, ich hätte es früher...«
»Es ist okay.« sagte Patrick ruhig.
»Aber du... du bist jetzt sicher sauer und wütend und... ich verstehe, wenn du mich nicht wiedersehen willst... ich meine...«
»Spinner!« unterbrach Patrick ihn.
Philip sah ihn an.
»Red' nicht so einen Unsinn, hörst du! Ich will sowas nicht hören!« Patrick strich über seinen Kopf, verwuschelte dabei sein Haar. Dann umarmte er ihn wieder.
»Mann, Philip!«
Sie bemerkten gar nicht, wie Karen kurz den Kopf durch die Wohnzimmertüre steckte, diese aber dann vorsichtig schloss.
»Ich liebe dich, Philip.«
Patrick fasste ihn an den Schultern und hielt ihn von sich weg, so dass sie sich ansehen konnten.
»Nicht vergessen, hörst du! Ich liebe dich.«
Philip kam nicht dagegen an. Er hatte es die ganze Zeit erfolgreich unterdrücken können, doch nun waren die Gefühle zu stark. Sein Gesicht verzog sich. Er konnte nichts dagegen tun. Er spürte, wie die Tränen in seinen Augen brannten und nach draußen drängten. Sekunden später bahnten sie sich ihren Weg über Philip's Wangen zum Kinn. Seine Kehle schmerzte. Er schluchzte. Er wand sich aus Patrick's Griff, beugte sich nach vorne und stützte sich mit den Händen auf seinen Oberschenkeln ab. Er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
»Hey... ist okay...« meinte Patrick, als er merkte, dass Philip wieder versuchte, die Tränen hinunter zu schlucken. Er rieb seinen Rücken. Er selbst fühlte auch, wie sich seine Augen füllten. Doch er wusste, dass er Philip jetzt ein Halt sein musste, deshalb besann er sich und unterdrückte das starke Gefühl.
Stattdessen nahm er ihn wieder in seine Arme...
Es war am späten Abend, als sie sich auf den Weg nach Hause machten, jeder in seinem Wagen. Patrick war froh, jetzt eine halbe Stunde allein zu sein. Er musste nachdenken. Er musste seine Gedanken ordnen. Jetzt machte vieles Sinn. Sie waren nun seit vier Wochen zusammen, aber außer Küssen war bisher noch nichts gelaufen. Nicht, dass es Patrick sehr wichtig gewesen wäre, aber er hatte es schon ein wenig seltsam gefunden, mit welcher Originalität Philip immer wieder seinen Annäherungsversuchen ausgewichen war. Sie hatten noch nie eine Nacht miteinander verbracht.
Patrick stellte den CD-Player an. Come what may... Es war der Soundtrack seines Lieblingsfilms, Moulin Rouge. I will love you until my dying day... Patrick heulte hemmungslos. Endlich hatte er die Liebe seines Lebens gefunden. Er war sich so sicher, dass Philip es war. Und nun das. Er kam sich vor wie in einem Film. Kaum gefunden, schon wieder verloren. Er hatte Mühe, die Strasse vor sich zu erkennen. I will love you until the end of time...
Als sie zu Hause ankamen, hatte sich Patrick wieder beruhigt, doch die roten Augen sprachen eine andere Sprache. Er konnte es auch nicht ändern. Er hatte seinen Wagen hinter Philip's geparkt und war ausgestiegen.
Ohne ein Wort zu sagen nahm Philip seine Hand und führte ihn die Treppe hinauf zur Haustür. Es war still in der Wohnung. Die anderen waren ausgeflogen.
Philip hatte seine verheulten Augen bemerkt, doch er sagte nichts dazu. Vielmehr führte er ihn in sein eigenes Zimmer, wo er ein zartes Stimmungslicht anknipste, das den ganzen Raum in dunkles orange tauchte.
»Philip...« Patrick drängte sich an ihn. »Küss mich!« bat er.
Sie küssten sich, als ob es keinen anderen Tag mehr gab. Philip nahm ihm schließlich seine Brille ab. Beide wussten, was heute abend passieren würde. Es war längst überfällig.
*****
Die Sonnenstrahlen bildeten eine Schneise durch Philip's Zimmer, die immer weiter in Richtung Bett wanderte. Sie hatte schon die Bettkante erreicht und wärmte nun einen Arm, der über die Kante hinausragte. Es war Patrick's Arm.
Langsam wurde er wach. Er blinzelte. Es war so hell im Zimmer, dass es fast schmerzte. Er rieb sich die Augen. Sein Blick fiel neben sich. Dort lag Philip auf dem Bauch, den Mund leicht geöffnet, mit strubbeligen Haaren und Abdrücken des Kissens auf der einen Wange. Die Bettdecke lag nur halb auf ihm, so dass sein Oberkörper im Freien lag.
Patrick dreht sich zu ihm um und sah ihn eine Weile nur an.
Philip's dichtes braunes Haar war etwas wellig und auf dem Kopf ein bisschen länger. Als er ihn das erstemal gesehen hatte, hatte er unwillkürlich an Hugh Grant denken müssen. Irgendwie hatte er etwas von ihm. Obwohl Philip natürlich tausendmal besser aussah!
Auf seinen Wangen waren Bartstoppeln von zwei Tagen zu sehen. Patrick strich vorsichtig mit einem Finger darüber. Es fühlte sich rauh an, und trotzdem weich.
Patrick liebte seine Lippen. Sie waren voll und sinnlich und unendlich weich. Er konnte sich noch sehr gut an ihr erste Knutscherei erinnern. Er hatte gar nicht mehr aufhören wollen ihn zu küssen. Er lächelte.
Da, eine Narbe, unten am Kinn. Die hatte er sich in der Grundschule zugezogen, beim Sportfest. Da war er auf der Aschenbahn gestürzt. Er fuhr der dünnen weißen Linie nach. Sicher war er tapfer gewesen und hatte keine Träne vergossen...
Ein winziges Muttermal war neben seinem linken Auge. Er hatte unendlich lange Wimpern. Lange, dunkle Wimpern. Als gestern geweint hatte, waren sie ganz verklebt gewesen und hatten ihn noch trauriger wirken lassen.
Patrick beugte sich vor und küsste seine Lippen. Dann schloss er seine Augen und atmete seinen Duft ein. Er konnte sich daran betrinken. Er duftete unwiderstehlich nach... ja, nach was eigentlich? Es war ein zarter Geruch, immer mit einem Hauch Parfum, aber nur ganz wenig. Es war ein einzigartiger Geruch. Auf jeden Fall brachte es Patrick um den Verstand.
Da bewegte sich Philip. Er räusperte sich und veränderte seine Position. Die Sonne hatte inzwischen das Bett erreicht. Philip drehte sich auf den Rücken, streckte sich, räkelte sich, um seine verspannten Muskeln zu dehnen. Dabei seufzte er erleichtert. Er drehte den Kopf in Patrick's Richtung, der das Ganze gespannt beobachtet hatte. Er sah ihn an.
»Morgen!« murmelte er.
»Guten Morgen!«
Patrick lächelte. Er hätte diesen Moment am liebsten festgehalten. Sein Herz holperte beim Anblick Philips. Das hatte er sich gewünscht seit dem Tag, als er ihn gesehen hatte, seit dem 13. Juli 2003. Es war ein sehr intimer Augenblick. Jemandem beim Aufwachen zu beobachten.
»Wie lange schaust du mich schon an?« fragte Philip und rollte zu ihm.
»Eine Weile.«
»Und, was besonderes gesehen?«
»Ja...« Patrick küsste ihn.
»Du atmest ganz leise...« bemerkte Patrick dann und streichelte sein Haar.
»Und rollst dich wie ein Baby zusammen.«
Philip kuschelte sich eng an seinen Freund. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.
»Es war wunderschön.« Philip meinte die vergangene Nacht.
»Ja... ich liebe dich...«
»Ich liebe dich...«
Philip berührte Patrick's Oberam.
»Denkst du, wir schaffen das?« fragte er dann.
»Na, klar! Da bin ich mir ganz sicher.« Ein Kuss. »War doch gestern schonmal ein Anfang.«
»Können wir da vielleicht weitermachen?«
Ohne zu antworten beugte sich Patrick über ihn und begann ihn zu küssen, überall. Philip schloss die Augen und genoss.
*****
Sie verbrachten den Samstagvormittag im Bett. Erst gegen 13 Uhr schafften sie es aufzustehen. Noch eine gemeinsame Dusche, bei der sie auch nicht voneinander lassen konnten.
»Oh, Mann, ich brauche unbedingt frische Klamotten! Ich bin gestern nachmittag sofort von der Arbeit nach Hause gefahren.« meinte Patrick nach der Dusche.
»Ich kann dir was von mir geben, wenn du magst.« schlug Philip vor.
»Okay, dann muss ich nicht zu mir...« Ein Kuss.
Nachdem sie sich angezogen hatten, machten sie es sich auf dem Balkon mit dem Notebook und Kaffee gemütlich.
»Wo würdest du denn gerne hinfahren?« fragte Philip. Sie wollten sich im Internet nach Last-Minute-Urlaubsangeboten umsehen.
»Irgendwohin, wo's schön warm ist.«
»Hm, das grenzt das ganze ja schon sehr ein. Europa oder Übersee?«
»Ich weiß nicht, ich habe mir noch gar keine Gedanken gemacht. Der Urlaub kam ein bisschen plötzlich.«
»Naja, wir könnten zu meiner Schwester. Ich hab' schon mit ihr gesprochen. Das wäre kein Problem. Sie hat ein großes Haus und muss eh arbeiten. Wir hätten also unsere Ruhe.«
»Los Angeles? Hmm, klingt gut...«
»Sie hat ein tolles Haus! Du würdest es lieben! Sogar einen Pool draußen!«
Patrick schmunzelte.
»Du willst mir das schmackhaft machen, was!?«
»Klar! Und außerdem hab' ich meine Schwester ewig nicht gesehen. Aber wir können auch woanders hin...«
»Nein, nein, das ist schon in Ordnung! In Kalifornien war ich noch nicht. Das wird sicher sehr schön...«
»Echt? Wollen wir das festmachen?« Philip strahlte.
»Ja! Lass uns nach L.A. fliegen!«
»Super! Das wird toll, ich sag's dir! Wann wollen wir fliegen? Hast du einen gültigen Reisepass?«
»Ja, hab' ich... von mir aus können wir gleich morgen los...«
»Klasse! Ich freu' mich so!«
*****
Keine 24 Stunden später saßen sie in Philip's Wagen und waren unterwegs in Richtung Frankfurt, von wo aus ihre Maschine nach Los Angeles abflog.
Sascha hatte sich bereit erklärt, die beiden zu fahren. »Wann geht euer Flieger?« wollte Sascha wissen, der auf der Rückbank saß.
»Um eins!« antwortete Philip.
»Oh, dann seid ihr ja früh genug am Flughafen. Muss ich denn noch die ganze Zeit warten, bis ihr abhebt?«
»Nee, kannst uns nur rauswerfen am Terminal. Die Parkgebühren sind ja auch Wucher.«
»Okay... ich muss nämlich um halb zwei schon wieder in Siegen sein.«
»Das wirst du schon schaffen... Danke fürs Fahren schonmal.«
»Kein Problem.«
»Wohnt deine Schwester am Strand?« fragte Patrick und klappte den Stadtplan von Los Angeles auseinander.
»Ne viertel Stunde mit dem Wagen.«
»Ah... leihen wir uns da einen?«
»Meine Schwester und ihr Mann haben ein paar Autos in der Garage. Da wird wohl einer für uns übrig sein.«
»Ein paar Autos? Wer sind die? Jennifer und Jonathan Hart?« kam es von der Rückbank.
Sie lachten.
»Ja, klar, Selfmade-Millionäre! Ich lach' mich kaputt! Meine Schwester ist Chirurgin und Steve Musiker.« erklärte Philip.
»Wow! Das wusste ich ja gar nicht! Sieht sie gut aus?«
»Sie ist verheiratet, Sascha! No chance!«
»Ich mein' ja nur!« Sascha nahm einen Schluck Wasser aus seiner mitgebrachten Evian-Flasche.
»Kann ich mit deiner Kiste am Wochenende mal irgendwohin fahren?« wollte er dann wissen.
»Kommt drauf an, wohin!«
»Küste?!«
»Ja, okay, aber tret' den nicht so. Ich brauch' nen neuen Zahnriemen.«
»Okay... cool, danke... dann kann ich ja mal Karl besuchen...«
»Der aus Bremen?«
»Ja, ewig nicht gesehen. Mal sehen, was der noch so treibt...«
»Wir fliegen fast zwölf Stunden!« Patrick hatte das Ticket ausgepackt.
»Ja, und zwar Nonstop! Das ist besser, als tausendmal umsteigen! Und außerdem kommen wir nachmittags an, da können wir dann noch ganz locker relaxen und dann ausschlafen!«
»Du musst hier abfahren, Philip!« warf Sascha ein.
»Oh, cool! Da sind wir schon!«
Sie hatten den Flughafen erreicht.
»Terminal B... hier lang!« Philip wurde ganz aufgeregt. Patrick sah ihn von der Seite an. Er musste lächeln.
Es dauerte noch gut eine viertel Stunde, bis sie das Terminal erreicht und einen Parkplatz in der Kurzzeitparkzone gefunden hatten.
»So, da sind wir! Alles aussteigen!« Philip schnallte sich ab und stieg aus.
Es war angenehm warm, gerade war ein Flugzeug gestartet und es herrschte beinahe ohrenbetäubender Lärm. Philip schloss den Kofferraum aus.
»Ihr wisst gar nicht, wie sehr ich euch beneide!« meinte Sascha und half, die Koffer auszuladen. »Bringt ihr mir was nettes mit? Eine Kaffeetasse mit dem Hollywood-Schriftzug?!«
»Das wird wohl noch drin sein! Hier...« Philip reichte ihm die Papiere und den Schlüssel fürs Auto.
»Und hier sind nochmal die Daten, wann wir wieder zurückkommen. Tu' mir einen Gefallen und sei pünktlich, okay?!«
»Klar, Chef!«
»Die Telefonnummer meiner Schwester hab' ich dir auch aufgeschrieben, falls was sein sollte.«
»Okay, falls die Wohnung abbrennt, werd' ich anrufen! Hey, viel Spaß im Urlaub, Philip!«
Philip schmunzelte.
»Danke, Sascha!« Sie umarmten sich.
»Ich wünsch' dir auch viel Spaß, Patrick!« Sascha reichte ihm die Hand.
»Danke!«
»Okay, dann... sind wir mal weg!«
»Das hoff' ich doch! Macht's gut!« Sascha stieg in den Wagen und winkte den beiden zu, als er aus der Parklücke fuhr.
»Dann kann's ja losgehen!« meinte Patrick und ging los, um einen Gepäckwagen zu organisieren.
Patrick stand an der Glasfront, die zum Rollfeld hin zeigte, und machte Aufnahmen des Flugzeuges, in das sie gleich einstiegen, mit seiner Digitalkamera. Philip schmökerte in einem Reiseführer.
Der Tag gestern war noch stressig gewesen, aber es war ein Stress, den man gerne auf sich nahm. Positiver Stress sozusagen. Tickets hatten sie schnell gefunden übers Internet. Sogar noch sehr günstige dazu. Anschließend hatte er seine Schwester aus dem Bett geklingelt und gefragt, ob sie kommen konnten. Selbstverständlich war es kein Problem. Im Gegenteil. Sie freute sich, ihren kleinen Bruder wieder einmal zu sehen.
Anschließend hatten sie die übliche Shoppingtour durch Drogerieläden unternommen: Shampoo, Duschgel, Zahnpasta, Sonnencreme,... Einkäufe, die man gerne machte. Patrick war vor vier Jahren das letzte mal richtig im Urlaub gewesen. Zwei Wochen Ibiza im Haus eines Freundes. Es wurde also wieder einmal Zeit zum Ausspannen.
Schließlich durften sie an Bord. Sie hatten gute Plätze erwischt mit viel Beinfreiheit. Philip setzte sich ans Fenster nachdem er sein Handgepäck verstaut und den MP3-Player in das Aufbewahrungsfach gelegt hatte. Patrick indes hatte sich mit Tageszeitungen eingedeckt, die er jedoch erst einmal beseite legte. Er beugte sich über Philip und schaute hinaus. Es war herrliches Wetter.
»Ich freu' mich auf dich!« flüsterte er ihm ins Ohr.
Philip lächelte. Er gab ihm einen sanften Kuss.
»Ich freu' mich auch... das wird ein toller Urlaub.«
Sie hielten einander die Hände.
Es wurde ein ruhiger Flug, keine Turbulenzen, sie waren pünktlich abgeflogen. Philip war nach ein paar Stunden während des Films eingeschlafen. Patrick deckte ihn mit der Fleecedecke zu, um ihn vor der trockenen kalten Luft zu schützen.
Er selbst konnte nicht schlafen. Seine Gedanken waren überall und nirgends. Vor der Abreise hatte er heute morgen noch mit seiner Mutter telefoniert. Sie unterstützte ihn voll und ganz, denn sie mochte Philip auch sehr gerne. Sie wusste, dass es eine schwierige Situation war, und dass beide noch viele Hürden zu überwinden hatten. Aber im Moment zählte nur, dass sie noch enger zusammenwuchsen, dass Philip sich sicher sein konnte, in ihm einen Partner gefunden zu haben, der zu ihm stand, egal, was passierte.
In der vergangenen Nacht, die sie getrennt verbracht hatten, hatte sich Patrick im Internet informiert. Über den aktuellen Stand der Medizin, was AIDS betraf, über Therapien, Schwerpunktpraxen in der Umgebung. Er wusste, dass Information die Angst ein wenig linderte. Er war jemand, der rational an Probleme heranging. Er hatte beinahe die ganze Nacht vor dem Bildschirm verbracht, bis ihm beinahe die Augen zufielen. Er hatte sich außerdem verschiedene Literatur bestellt. Er wollte soviel wie möglich erfahren. Er hatte herausgefunden, dass die Forschung in den USA schon wesentlich weiter fortgeschritten war, als in Europa, dass neue Medikamente schneller auf den Markt kamen. Er hatte sich vorgenommen, Literatur zu besorgen.
»Kann ich ihnen noch etwas bringen? Einen Kaffee, Tee?« riss eine Flugbegleiterin ihn aus seinen Gedanken.
»Oh, ähm, ja, das wäre sehr nett. Ein Tee wäre schön, danke!«
Die junge Frau schenkte ihm eine Tasse Tee ein.
»Bitte sehr!«
»Danke, sehr nett!«
Seine Mutter hatte ihm angeboten, einige Kollegen zu aktivieren. Sie hatte viele Kontakte in die Medizin. Patrick war ihr sehr dankbar, aber er musste noch herausfinden, inwiefern Philip schon therapiert wurde. Aber er wusste, dass er behutsam vorgehen musste. Er wollte Philip nicht überfordern.
Einige Stunden später. Philip war aufgewacht. Auch Patrick hatte für kurze Zeit dösen können. Doch der allgemeine Tumult in der Kabine deutete darauf hin, dass das Ziel nah war. Der Bildschirm zeigte an, dass der Landeanflug begonnen hatte und sie nur noch eine halbe Stunde ausharren mussten.
»Na, du Schlafmütze!«
»Oh Mann, ich hab' die ganze Zeit gepennt?«
»Kann man so sagen! Schau', wir landen gleich!« Sie sahen nach draußen.
Kalifornien war wolkenlos. 35° Celsius hatte der Pilot durchgegeben. Auch die Vorhersage für die nächsten Tage war hervorragend.
*****
Patrick schob den Gepäckwagen zum Ausgang der Gepäckausgabe. Philip schaute sich suchend um. Seine Schwester Merle wollte die beiden abholen. Sie hatte diese Woche frei und freute sich auf Besuch. Ihr Mann Steve war als Musiker oft unterwegs und in den kommenden zwei Wochen war er in England für Aufnahmen.
»Da ist sie!« rief Philip. Er hatte sie entdeckt.
»Merle!«
Da hatte sie ihren Bruder auch bemerkt. Sie winkte und lief auf sie zu.
»Philip! Hallo!« Sei fielen sich um den Hals.
Merle war hübsch. Dunkelblonde kurze Locken mit helleren Strähnchen, ein strahlendes Lächeln. Ihr ganzes Gesicht lachte. Sie war einen Kopf kleiner als ihr Bruder und sehr zierlich. Patrick wusste nicht viel über seine Familie, nur, dass Philip seine Schwester sehr gern hatte.
»Ich fass' es nicht! Du siehst super aus!« Merle war ganz aus dem Häuschen.
»Wie war der Flug? Seid ihr zwischengelandet? Ist das Patrick?« So viele Fragen auf einmal. Philip drückte sie fest an sich.
»Oh, Merle, ich hab' dich so vermisst!« flüsterte er.
»Und ich dich erst! Schau mal!« Sie drückte sich von ihm weg und schob ihr T-Shirt nach oben. Zu sehen war ein kugeliges Bäuchlein. Ganz eindeutig.
»Oh, mein Gott! Merle!!!« Philip legte eine Hand auf ihren Bauch.
»Wann?!« Er war fassungslos.
»Ich bin im fünften Monat... toll, oder?!«
»Das ist großartig! Ich freu' mich für dich!« Er küsste sie auf die Stirn.
»Meine große Schwester wird Mama!«
Inzwischen hatte Patrick den Gepäckwagen zu ihnen bugsiert...
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