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Unwetter in Schweden

Teil 2

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Informationen

 

Stefan stellt sein Fahrrad im Laderaum der Fähre ab, nimmt sein Gepäck herunter und macht sich schwer bepackt auf die Suche nach einem Treppenaufgang.

Zwei Wochen war er mit dem Fahrrad durch Schweden unterwegs. Durch endlose Wälder, an hunderten von Seen vorbei. Manchmal hat er tagelang keine Menschenseele getroffen. Hier hat er Zeit und Ruhe gefunden, sich endlich darüber klar zu werden, wo er nun hingehört. Endlich hat er sich vor zwei Tagen eingestanden, schwul zu sein.

Er hat den Aufgang gefunden. Die automatische Stahltür bewegt sich mit einem pneumatischen Zischen zur Seite und gibt den Weg ins Treppenhaus frei. Er muss einige Treppen aufwärts laufen, bevor er auf das Deck gelangt, auf dem sich die Rezeption befindet. Hier checkt er für seine Kabine ein. Sein schmaler Geldbeutel lässt es nur zu, ein einzelnes Bett in einer Zweibett-Innenkabine zu buchen. Er hofft, die Kabine trotzdem für sich alleine zu bekommen. Die freundliche Schwedin an der Rezeption händigt ihm eine kleine Plastikkarte aus, die der Kabinenschlüssel ist.

»Cabin No. 2116« steht auf dem Zettel, den Stefan in der Hand hält. Lange, schmale Gänge, die von Menschen überfüllt sind. Genervt, fast panisch, irrt er durch die Gänge und folgt der spärlichen Beschilderung. Das viele Gepäck lässt ihn wie einen Lastesel aussehen. Ein paar Mal stößt er mit anderen Leuten im engen Gang zusammen und murmelt jedes Mal ein knappes »Sorry«.

Sein bester Freund Mario hatte ihm vor ein paar Wochen eingestanden, schwul zu sein und sich in ihn verliebt zu haben. Damals war Stefan ausgetickt. Wie konnte Mario ihm das antun. Die beiden kennen sich aus dem Sandkasten. Und bis zu diesem Geständnis war Stefan der perfekte Hetero. Zumindest nach Außen. Dieser Urlaub hatte ihm so einiges klargemacht. Per SMS hatte er sich bei Mario gemeldet und geschrieben:

»Hallo Mario. Hab alles falsch gemacht. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Wir müssen reden. In 3 Tagen bin ich wieder in Deutschland. Dein Stefan«

Es hatte keine fünf Minuten gedauert, bis die Antwort kam:

»Hi Stef! Würde mich echt freuen, wenn du wieder mit mir redest! Ich warte auf dich. Mario«

Stef. Nur einer darf Stefan so nennen. Und das ist Mario. Allen anderen, die ihn so nennen, korrigiert Stefan immer mit den Worten »Stefan. Hinter dem Stef kommt noch ein A und ein N. Soviel Zeit muss sein.« Die beiden haben schon so viel zusammen erlebt, dass es eigentlich undenkbar ist, diese Freundschaft durch irgendwas zu zerstören. Dachte Stefan zumindest bis zum diesem Liebesgeständnis.

»Meine Damen und Herren, herzlich Willkommen auf der Stena Scandinavica. Die Überfahrt nach Kiel wird etwa 13 Stunden und 30 Minuten dauern. Bitte beachten Sie, dass während der gesamten Überfahrt der Aufenthalt auf dem Wagendeck verboten ist….. «

tönt es aus dem Lautsprecher und Stefan spürt, dass sich das Schiff in Bewegung setzt. Im selben Moment hat er die Kabinentür gefunden und öffnet sie mit der Chipkarte. Er tritt ein und stellt als erstes fest, dass sich seine Hoffnung auf eine Kabine für sich allein nicht bestätigt hat. Auf dem unteren Etagenbett liegt eine Reisetasche. Na, hoffentlich ist es kein schwedischer Fernfahrer, der sich heute Nacht besäuft und dann die ganze Nacht durchschnarcht, denkt sich Stefan.

Er verstaut seine Satteltaschen und den großen Rucksack in der Ecke der Kabine und packt frische Unterwäsche und seinen Kulturbeutel aus. Bevor er das Schiff erkundet und Essen geht, will er noch duschen.

Die Nasszelle der Kabine ist nicht sehr geräumig, aber nach zwei Wochen Körperpflege in Süßwasserseen kommt sie ihm geradezu luxuriös vor. Er zieht sich aus, macht die Dusche an und betrachtet sich im Spiegel. Braungebrannt und mit seinem unregelmäßigen Bartwuchs sieht er aus wie ein Landstreicher. Seine dunkelblonden Haare sind zerzaust und durcheinander gewuschelt. Ein Wunder, dass die ihn überhaupt auf das Schiff gelassen haben. Durch eine Passkontrolle wäre er sicher nicht gekommen, viel Ähnlichkeit mit seinem Passbild hat er nicht mehr. Aber zwei Wochen Fahrradfahren haben seinen Körper schon deutlich muskulöser und schlanker werden lassen. Er meint sogar, so etwas wie ein Sixpack zu erkennen.

Das warme Wasser tut ihm gut, er genießt nach langer Zeit die erste richtige Dusche. Nach dem Rasieren und Fönen erkennt er sich auch im Spiegelbild wieder. Er zieht sich an und verlässt die Kabine. Als er auf das Achterdeck tritt, sieht er noch, wie das große Fährschiff die Göteborger Schären hinter sich lässt und auf die offene See herausfährt. Der Abend ist lau und es wird wohl noch ein paar Stunden hell sein. Er betrachtet die schwedische Fahne am Heck des Schiffes, die sich lautlos im Wind bewegt.

In einem Selbstbedienungsrestaurant isst Stefan wieder einmal Köttbullar, die schwedischen Hackfleischklößchen mit Kartoffeln, Rahmsauce und Preiselbeeren. Nur gut, dass es das auch in einem bekannten schwedischen Möbelhaus zu Essen gibt, denkt er sich, er hatte Köttbullar zu seinem Lieblingsgericht erklärt.

Obwohl es erst gegen 21 Uhr ist, beschließt Stefan, sich hinzulegen. Im Urlaub ist er immer recht früh ins Bett gegangen, da an den einsamen Seen wenig Abendunterhaltung geboten wurde und die Touren mit dem Rad tagsüber schon recht anstrengend waren.

Er öffnet die Kabinentür und runzelt skeptisch die Stirn. Auf dem kleinen Tischchen stehen 2 Sektgläser, eine Flasche Sekt und eine brennende Kerze. Hm, das muss ja ein komischer schwedischer Fernfahrer sein, denkt er noch, als die Badezimmertür aufgeht und plötzlich Mario vor ihm steht und ihn anschaut.

»Mario? Du?«

»So lange nicht gesehen und doch wieder erkannt« meint dieser trocken und schaut Stefan erwartungsvoll an.

»Ich meine… also… wie kommst du hier rein?«

Stefans Gesichtsausdruck gleicht dem eines Autos.

Mario guckt ein wenig enttäuscht. »Deine Eltern haben mir verraten, mit welcher Fähre du zurückkommst. Ich wollte dich überraschen und hab ein wenig bei der Buchung geflunkert. Bin schon gestern Abend in Kiel auf das Schiff gestiegen.«

Stefan hat sich wieder gefangen und seine Augen strahlen. Er öffnet seine Arme. »Das ist dir gelungen. Schön dass du da bist. Lass dich drücken.«

Die beiden umarmen sich fest. Diese Umarmung spricht Bände. Sie sagt »Gut, dass wir wieder Freunde sind« und »Tut mir leid, dass ich mich so blöd benommen habe.«

Sie setzen sich nebeneinander auf das untere Etagenbett und Mario reicht Stefan ein Glas Sekt.

»Du Mario« »Du Stef« sagen sie gleichzeitig und müssen darüber lachen, wieder einmal im selben Moment denselben Einfall gehabt zu haben, wie schon so oft.

»Stef. Ich fang einfach mal an. Ich weiß, wir sind die besten Freunde, schon immer gewesen, und es geht einfach nicht, sich in seinen besten Freund zu verlieben. Es tut mir so leid, ich wollte damit nicht alles kaputtmachen, aber ich musste es dir einfach sagen, ich konnte dich nicht länger belügen.«

»Mario. Ich weiß, dass du nichts dafür kannst. Der einzige, der einen Fehler gemacht hat, bin ich. Ich war so schockiert. Ich hab gedacht, du machst meine heile Welt kaputt. Du hast viel mehr in mir dadurch ausgelöst, als du vielleicht denkst.«

Mario grinst Stefan an »Wieder Freunde?« fragt er und hält ihm sein Sektglas entgegen. Die Sektgläser treffen sich mit einem klingenden Geräusch.

»Für immer und immer.« erwidert Stefan.

»Was meinst du mit ‚mehr als ich vielleicht denke'?«

Stefan wird rot, schaut verlegen auf den Fußboden und sucht nach Worten.

»Ja, also, ehm, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Also das mit dem Verliebstein ist wohl doch nicht so ganz einseitig.«

Nun ist es an Mario, wie ein Auto zu gucken. »Du verarschst mich doch jetzt nicht, oder?«

»Nein, ich verarsch dich nicht. Ich bin mir im Urlaub über so einiges klar geworden. Ich weiß zwar nicht, wie das jetzt weitergehen soll mit uns, aber mir ist klar, dass ich dich auch mehr mag, als man einen besten Freund normalerweise so mag. Ist alles irgendwie so neu und ungewohnt.«

Mario blitzt ihn mit seinen rehbraunen Augen an und sagt »Wow Stef. Das hätte ich ja nie zu hoffen gewagt. Und, ehm, für mich ist das ja auch alles neu. Also lassen wir uns ruhig Zeit.«

Einen Moment lang schauen sich die beiden wortlos, glücklich, aber auch ängstlich an. Dann ergreift Mario Stefans Hand und hält sie zwischen seinen Händen. Ihre Köpfe nähern sich langsam und ihre Lippen begegnen sich zum einem ersten Kuss. Ganz zaghaft erst, dann finden ihre Zungen zueinander und der Kuss wird leidenschaftlich. Sie kennen sich seit 15 Jahren, aber so lernen sie sich gerade neu kennen.

Es ist dunkel geworden. Sie stehen auf dem Achterdeck und beobachten, wie das Schiff eine weiße Spur in das schwarze Kattegatt zieht. Über ihnen leuchten die Sterne. Unter der schwedischen Fahne stehen zwei junge Männer, die sich an der Hand halten.

»Du Stef. Ich bin glücklich. So gut habe ich mich noch nie gefühlt. Bleibt das so?«

»Für immer und immer« sagt Stefan noch, bevor ein Kuss ihre Lippen versiegelt.

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