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An jenem Tag...
Teil 4
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Informationen
- Story: An jenem Tag...
- Autor: Oscar
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama
Inhaltsverzeichnis
- Böse Vorahnung
- Entscheidung
- Ein neues Kapitel
- Zweiter Versuch
- Erleuchtung
- Zerbrochen
- Licht ins Dunkel
- Schmerzhaftes Wiedersehen
- Heimkehr
- Versöhnung mit dem eigenen Ich
- angekommen
- Familie
- Eingelebt
- Aufklärung
Böse Vorahnung
Alec erhielt eines Tages einen Brief mit unbekanntem Absender und beachtete ihn zunächst gar nicht. Luke hatte er gerade zur Physiotherapie gebracht, als er sich über die Post hermachte.
Es stand nicht viel in dem Schreiben, reichte aber, um Alec in Panik zu versetzen. Ein kleiner Zettel, einmal gefaltet und beschrieben:
„Auch wenn meine Mitstreiter verklagt und eingesperrt wurden. Ich kriege dich trotzdem du Miststück!“
Alec schluckte, begann leicht zu zittern und versteckte dann das Schreiben. Was sollte er tun? Dieser Typ wusste wo er wohnt! Noch einmal würde er so etwas nicht durchstehen. Sein Herz klopfte wie wild, er lief ziellos durch die Wohnung. Irgendwann klingelte sein Handy. Es war Luke der ihn nur fragte, wo er denn bleibe. Er wollte ihn doch abholen. Alec versuchte sich zusammenzureißen.
Am nächsten Tag erwartete ihn wieder so ein Schreiben, an ihn adressiert. Er fing es gleich unten am Briefkasten ab, bevor Luke es zu Gesicht bekäme.
„Ich komme dir näher!“, lautete dieses Mal die Botschaft.
Diese Nachrichten wurden anhaltend, Alec kam sich überall wo er war beobachtet vor. Bei ihm entwickelte sich ein leicht panisches Verhalten. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, wachte nachts aber oft schweißgebadet auf oder konnte gar nicht erst schlafen. Luke nahm das alles bisher noch hin und sagte nichts. Alec selbst hatte eigentlich alle Hände voll zu tun Luke hin- und herzufahren und seiner Beschäftigung nachzugehen.
Seine Schwester hatte zu Hause zwischendurch nach den Medikamenten recherchiert und wunderte sich nicht wenig über die starken Psychopharmaka und die Schmerzmittel, die ihr Bruder nahm. Sie telefonierte ab und an mit ihm und kündigte dann ihren nächsten Besuch in wenigen Tagen an.
Luke langweilte sich zusehends, so viel Ruhe war er nicht gewöhnt. Er begann diverse Bücher zu lesen und stolperte auch irgendwann über ein selbst eingeschlagenes ohne Aufschrift. Er schlug es auf und sah, dass es handschriftlich geschrieben war. Alec's Schrift. Ein Tagebuch? Lukes Erziehung verbot es ihm so etwas zu lesen, aber schon der Blick auf die ersten Zeilen irgendwo im Text schockierte ihn und er las weiter. Es war nicht unbedingt die Neugier, die ihn dazu bewegte. Es war eher das Verstehenwollen des Verhaltens seines Freundes. Er hätte sich selbst nie vorstellen können, was er durchgemacht haben muss. Verarbeitete Alec seine Vergangenheit in diesem Buch? Luke begann zu lesen:
Dieses Mal war es im Sommer, als einer der Freier den Verschlag betrat und meinte an mir rumhantieren zu können. Ich war so angewidert und fand den so abstoßend, dass ich beschloss, mich mit allen Möglichkeiten zu wehren. Das schaffte ich auch. Der verließ fluchtartig meine Kammer und schloss die Tür hinter sich wieder ab. Meine Kammer, wie weit muss ich schon sein, um diese widerwärtige Baracke so zu nennen. Der Triumph weilte allerdings nicht lang. Kurze Zeit später kam der Chef der Runde, beschimpfte mich und brüllte mich zusammen. Ich saß auf dem Drahtgestell und hatte meinen Blick nach unten gesenkt. Ich war auf Schlimmeres gefasst. Und das Schlimmere folgte dann auch. Die Holzlatte, die er in der Hand hielt, wusste er einzusetzen. Er packte mich am Oberarm, um mich auf de Boden zu werfen und schlug wild schreiend auf mich ein. Wie ich es wagen könnte, seine Kunden zu verscheuchen, wie ich Stück Scheiße so eine Frechheit besitzen konnte. Ich heulte und schluchzte vor Schmerz. Dann zog er mich wieder am Arm hoch und warf mich auf den Rücken, um dann weiter auf mich einzuschlagen, dieses Mal auf den Bauch. Er arbeite sich von unten nach oben herauf. Meinen Kopf verfehlte er bloß, weil er beim letzten Schlag von einem seiner Freunde abgelenkt wurde und traf somit nur mein Schlüsselbein, das er mir vermutlich brach. Der andere Typ stand in der Tür und zitierte ihn raus. Ich hörte verschwommen nur noch leise die Worte 'Mensch nun hör mal auf, wir brauchen den noch. Schlag den nicht tot!' von dem anderen.
Ich lag stöhnend vor Schmerz auf dem Boden, sah Sterne und merkte wie mir, von den Schlägen auf meinen Bauch, übel wurde. Mir war, als müsste ich mich übergeben, aber ich konnte nicht. Mir fehlte die Kraft mich überhaupt irgendwie zu bewegen. So blieb ich liegen und hoffte das der böse Traum irgendwann ein Ende finden würde.
Luke blätterte behutsam weiter. Hielt das Buch wie ein rohes Ei.
Es gab einen weiteren Aufschrei, als ich einmal versuchte mich der Demütigung und Vergewaltigung zu entziehen. Ich lag die ganze Zeit auf dem kalten Boden und mein Zustand wechselte von Schüttelfrost in Phasen in denen ich zu Schwitzen begann. Es dauerte nicht lange bis wieder einer der Typen kam und der Meinung war, sich mich vornehmen zu müssen.
Ich lag hustend am Boden, als er in den Raum herein kam und mich am Hals hochzerrte. Er beschimpfte mich übelst, machte mir klar, was für eine Drecksau und was für ein wertloser Gegenstand ich sei. Zu nichts zu gebrauchen.
Ich stieß ihn bei Seite, fiel dabei selbst hin und suchte am Boden verzweifelt nach einem Gegenstand mit dem ich ihn wegschlagen könnte. Ich schaffte es noch ihn wegzutreten. Dann begann er rumzuschreien und auf mich einzutreten bis die Tür aufsprang. Ein weiterer Typ kam mit einer Eisenstange herein. Er hatte das Geschrei gehört und fing nun an, auf mich einzuschlagen mit den Worten „Bist du nicht willig?? Wir kriegen dich schon gefügig!“ Die Worte hallen mir immer wieder im Kopf.
Er schlug immer und immer wieder zu. Meine Schulter musste er sehr bald zertrümmert hatten. Ich konnte sie auch Wochen nach dieser Angelegenheit nicht bewegen.
Dann schlug er auf meinen Rücken ein und knallte mir die Stange ins Genick, woraufhin mir schwarz vor Augen wurde.
Wach wurde ich durch einen Eimer eisig kaltem Wasser, der mir mit voller Wucht entgegengeschleudert wurde. Ich bewegte mich so ruckartig, dass ich vor Schmerzen gleich laut stöhnte und liegen blieb. „Siehst du, der lebt noch!“, hörte ich eine Stimme sagen und die Tür knallte. Draußen wurde alles verriegelt, dann hörte ich schlaftrunken ein Auto davonfahren.
Ich konnte mich nicht ohne Schmerzen bewegen. Dazu versetze mich das kalte Wasser noch in einen fast gefrierenden Zustand. Mir blieb gar nichts anderes übrig als weiterhin alles über mich ergehen zu lassen und vor mich hinzuwimmern. Als ich mich weigerte Nahrung zu mir zu nehmen, zwang man mich zum Essen. Man stopfte mir irgendetwas in den Mund und hielt Mund und Nase zu. Es war nicht viel, aber reichte leider um mich am Leben zu halten. Ich wünschte mir ständig endlich zu sterben. Ich konnte die Schmerzen kaum noch ertragen. Zwischendurch prügelte man immer mal wieder auf mich ein, um sich abzureagieren. Warum konnte das nicht endlich zu Ende sein? Was hatte ich verbrochen, um in so eine Situation zu kommen.
Und warum fand mich niemand? Vermisste mich niemand? Ich wusste gar nicht mehr wie lange ich schon in dieser Situation war, was würden meine Eltern denken? Vermisste man mich nicht?
Luke schlug das Notizheft wieder zu und legte es auf den Wohnzimmertisch. Er blieb auf der Couch sitzen und wartete auf Alec, der jeden Moment von der Arbeit kommen musste. Er wusste gar nicht, wie er reagieren sollte. Wie sollte er je damit umgehen können? Sein Freund war aufs Allerschlimmste misshandelt und erniedrigt worden. Er hatte sich ja bereits gedacht, was alles vorgefallen sein könnte. Einige Brocken erzählte er ja immer mal, aber nie alles. Jetzt erklärten sich auch die alten Brüche, die man auf den Röntgenbildern sah. Seine linke Schulter war total zertrümmert, ließ sich aber retten. Nur schmerzfrei würde er nicht mehr leben können.
Alec kam auch kurze Zeit später und erblickte als Erstes sein Buch als er das Wohnzimmer betrat, erst dann schaute er zu Luke, der ihn nun auch erwartungsvoll anschaute. Alec blieb stehen und schluckte. „Hast du es gelesen? Wo hast du das her?!?“, fragte er beinahe panisch, bevor er seinen Freund begrüßte.
„Was wäre wenn?“, fragte Luke und versuchte seine schockierte Grundstimmung zu überspielen. Alec stand weiter wie ein Häufchen Elend im Raum und antwortete nicht. Er fühlte sich entblößt, obwohl er wusste, dass Luke sich ja denken konnte, was immer passiert war. Sein Puls stieg, er begann ganz leicht zu zittern. „Komm her“, winkte Luke ihn heran und stand gleichzeitig auf. Er hatte es noch schwer sich ohne Krücken zu halten. Alec ging vorsichtig zu ihm und wurde sofort in die Arme geschlossen.
„Ist gut“, beruhigte Luke ihn und beide setzten sich eng umschlungen. „Ich hab nur ein kleines Stück gelesen. Es ist alles in Ordnung.“
„Ich wollte dir das doch alles erzählen, aber ich konnte nicht“, schluchzte Alec ganz kleinlich.
„Psscht, ist ok.“
Alec ließ locker und ließ sich jetzt richtig in Lukes Arme sinken, der begann ihn ganz leicht über die Schulter zu streicheln. Beide verweilten den ganzen Abend so und schliefen irgendwann ein, ohne auch nur noch irgendein Wort zu wechseln. Luke wurde irgendwann nachts durch seine Schmerzen geweckt. Die ganze Zeit so zu sitzen, konnte er nach dem Unfall noch nicht verkraften. Er legte vorsichtig Alec's Kopf beiseite und versuchte aufzustehen. Nach zwei, drei Schritten konnte er sich nicht auf den Beinen halten und stürzte. Alec schnellte sofort erschrocken hoch „Luke, was ist los“, schrie er in den dunklen Raum.
„Ich bin gefallen, alles ok. Schlaf weiter.“
Alec sprang auf und lief zum Lichtschalter, dann schnell zu Luke, der noch immer auf dem Boden kniete. „Komm lass mich dir helfen. Zum Bett?“
„Ja. Mir tut alles weh, ich muss mich hinlegen.“
Er half ihm auf und hakte seinen Arm um die Schultern des anderen. „Brauchst du noch was?“, fragte er sorgsam als er Luke auf dem Bett ablieferte. Das Blatt hatte sich gewendet, endlich konnte auch Alec mal für Luke da sein und war nicht immer nur der Klotz am Bein.
„Wo musst du denn heute hin?“, fragte Alec verschlafen seinen Freund am nächsten Morgen.
„Zur Klinik. Noch einige Untersuchungen und wenn möglich mal schauen, ob ich mich ein wenig mit meinen Kollegen unterhalten kann. Du bringst mich hin?“
„Klar. Ich muss danach dann aber arbeiten und hole dich dann wieder ab. Sabrina kommt heute Abend.“
„Stimmt. Na das ist doch schön, dann kannst du einiges mit ihr unternehmen.“
„Genau, los aufstehen Luke.“ Alec schmiss die Katze runter, die ihn belagerte und ging unter die Dusche. Kurze Zeit später brachte er Luke weg und fuhr zu seiner kleinen Nebenbeschäftigung. Er hatte sich Arbeit in einer Bibliothek gesucht. Kurz nach dem Mittag bekam er eine SMS von Luke. Er schrieb, dass Henk ihn schon nach Hause gebracht hatte. So konnte Alec sich Zeit lassen und half noch bei einigen Sachen.
Luke war etwas erstaunt, als es kurze Zeit später an der Tür klingelte. Er schleppte sich zur Tür und öffnete ohne nachzufragen in der Annahme, dass es sich nur um den Postboten handelte, der in den Flur wollte. Doch kurz darauf klopfte es an der Wohnungstür. Etwas behebe machte Luke sich humpelnd wieder auf den Weg und öffnete. Dort stand Sabrina und lächelte ihn an.
„Hey, erinnerst du dich an mich?“
„Ja klar! Sabrina, hallo. Alec sagte du wolltest heute gegen Abend kommen.“
„Jaaa, eigentlich schon. Aber ich bin einfach losgefahren und dachte ich überrasche ihn. Ist er noch nicht da?“
„Nein, aber komm rein. Er kommt sicher bald nach Hause.“
Die beiden gingen ins Wohnzimmer, Luke hatte gerade sein Buch zur Seite gelegt und schlug es noch schnell zu. Er bat Sabrina sich einfach wie zu Hause zu fühlen und selbst zu bedienen, da er ja noch etwas eingeschränkt war. Sabrina stierte in Richtung Buch und versuchte den Titel zu identifizieren. Irgendwas mit Chirurgie konnte sie erkennen.
Sie schaute dann zu ihm, nickte seinem geschienten Arm entgegen und setzte zum Gespräch an: „Wird das wieder?“
„Ja. Wenn's nur der Arm wäre, wäre alles halb so schlimm. Aber das sind nur Frakturen die verheilen und die restlichen Sehnen und Nerven regenerieren sich hoffentlich bald. Meine Wirbelsäule macht mir gerade etwas mehr zu schaffen.“
„Was ist damit?“
„Einige Wirbel hat es nicht so gut getroffen. Es muss nochmal operiert werden. Ich bin noch gar nicht lange zu Hause und muss bald zurück in die Klinik.“
„Au je. Ich wünsche dir alles Gute. Wie ist das denn passiert?“
„Ach eine Minute nicht aufgepasst und schon hatte mich ein Auto erwischt. Ich wurde angefahren.“
„Gott! Wenigstens konnten sie dich retten, so was kann ja ganz schnell anders enden. Kann ich dich, bevor Alec kommt, noch etwas fragen?“
„Klar.“
„Ich hatte ja Alec sehr lange nicht gesehen, aber ich muss sagen, er hat sich sehr verändert. Er ist sehr still geworden. Und erzählt wenig. Dann habe ich ihn letztens beobachtet, wie er die ganzen Medikamente nahm und auch die Ampullen im Kühlschrank gesehen. Ich, also ich will ihn nicht so direkt fragen. Letztens sagte er nur, er erzählt mir das später mal, als ich fragte was in den letzten Jahren war. Und ich habe mal ein wenig recherchiert. Die Medikamente verheißen ja nichts Gutes. Ich, also, kannst du mir sagen, was mit ihm ist? Ist er gesund? Ich meine, geht es ihm wirklich gut? Er war früher nie wirklich krank bis auf ein paar Brüche.“
Luke suchte nach passenden Worten und schaute auf Sabrina, die noch stammelnd einige Worte suchte.
„Ich glaube, das sollte er dir wirklich selbst erzählen. Er ist okay, wir haben alles im Griff.“
Sabrina war genauso schlau wie vorher und schaute Luke auch genauso ausdruckslos an.
„Tut mir leid Sabrina, aber ich möchte ihm das nicht vorwegnehmen. Er muss dir das schon selbst erzählen. Ich war sowieso erstaunt, dass du ihn so lange nicht gesehen hast und auch nicht weißt, was los war. Warum war das so?“
„Ach es gab da einen Streit zwischen meinen Eltern und mir. Ich war immer nicht so ganz einfach und ein ziemlicher Dickkopf. Dann lernte ich meinen Ex Mann kennen, ich hab hinter ihren Rücken geheiratet und bin nach Marokko gegangen. Mit ihm. Inzwischen weiß ich dass es ein Riesenfehler war, aber ich war naiv und wollte meinen Willen durchsetzen und die Welt entdecken. Irgendwie haben sie mir das nie verziehen. Sie haben auch nicht mehr mit mir gesprochen. Ich hatte nur noch zu Oma Kontakt und Alec versuchte ich damals immer auf dem Handy zu erreichen, aber es war immer aus. Oma sagte immer es ginge ihm gut. Aber er hat auch nie Kontakt zu mir gesucht. Ich fand das immer etwas komisch.“
„Vielleicht konnte er sich auch einfach gar nicht melden. Themenwechsel, du solltest mit ihm selbst darüber reden.“
„Gut, danke Luke! Sag mal, wie hast du denn Alec kennengelernt?“
„Äh ja das ist auch eine längere Geschichte. Die möchte ich jetzt eigentlich nicht erzählen. Ich kann dir nur sagen, dass ich ihn das erste Mal in Neuruppin sah, als er sich das Bein gebrochen hatte.“
„Jaa, daran erinnere ich mich. War ja nicht das erste Mal bei ihm. Als Kind passierte ihm das auch schon mal. Manchmal war er ein ganz schöner Draufgänger.“
„So kann ich ihn mir gar nicht vorstellen.“
„Na wenn du ihn nur so kennst,wie er jetzt ist, wundert mich das nicht. Ich mache mir Sorgen. Ich freue mich so sehr ihn wiedergefunden zu haben. Und dass er dich hat, er mag dich scheinbar sehr. Aber manchmal zweifel ich daran, dass er es überhaupt ist. Er hat sich auch vom Aussehen sehr verändert, so abgemagert und die Gesichtszüge so seltsam. Nur seine Augen verraten ihn. Dieses hellgrün mit dem dunkelgrünen Rand.“
„Ja, das fiel mir schon damals auf, als ich ihn in Neuruppin das erste Mal sah. Da war ich noch Student. Mehr sage ich zu dem Thema aber nicht. Ja dürr ist er leider, aber das wird gerade wieder. Ich gebe mir Mühe ihn zu füttern“, scherzte Luke gelassen und etwas nachdenklich.
„Oh fass das nicht falsch auf. Ich glaube dir schon, dass du dich gut um ihn kümmerst. Aber zurzeit kümmert er sich wohl eher um dich, oder?“
„Hätte ich jetzt auch nicht anders aufgefasst. Ja er muss sich um mich Invaliden ein bisschen kümmern. Ich kann dich schon verstehen. Aber dränge deinen Bruder nicht es dir zu erzählen. Lass ihm Zeit. Er muss das selbst entscheiden. Er freut sich schon total drauf, dass du kommst. Er redet seit Tagen von nichts anderen mehr.“
Luke nickte ihr sachte zu, Sabrina schaute erstaunt, ließ dann den Blick in das Glas, welches sie in der Hand hielt, sinken und murmelte ein 'okay'. Alec kam fast zeitgleich zur Wohnungstür hinein. Sabrina sprang gleich auf und rannte in den Flur, um ihn zu begrüßen. Alec war gleich überwältigt von der grandiosen Begrüßung und der Tatsache, dass seine Schwester schon vor ihm da war.
Er ging ins Wohnzimmer und begrüßte seinen Freund mit einem schnellen Kuss, nebenbei verkündete er, dass er jetzt essen machen würde. Er habe einen DVD Abend geplant. Luke schaute verdutzt, Sabrina lächelte.
„Na so hat Luke wenigstens auch etwas davon und zusammen macht das doch mehr Spaß. Dann muss er hier nicht allein sitzen.“
„Gute Idee.“
Alec machte sich an die Arbeit, Sabrina half ihm und die drei machten sich einen geselligen Abend während sie sich angeregt unterhielten. Alec war richtig zum Leben erwacht, was Luke natürlich sehr freute.
Am nächsten Morgen überraschte Sabrina die beiden in der Küche. Luke war gerade dabei Alec Blut abzunehmen, was er mit Alec's Hilfe auch mit nur einer Hand einwandfrei hinbekam.
Sabrina brachte ein „Oh“ heraus und schob gleich ein „Was macht ihr denn hier?“ nach. Ganz wohl war ihr nicht, aber der Situation konnte sie nicht mehr entkommen.
„Blut abnehmen“, antwortete Alec beiläufig.
„Ja das sehe ich, aber sollte das nicht lieber ein Fachmann machen?“, fragte sie verdutzt.
Luke zog die Nadel heraus, Alec hielt gleich den Tupfer fest und drückte ihn auf die Stelle.
„Macht doch einer, oder Luke?“, witzelte Alec, der diesen Morgen erstaunlich gut aufgelegt war.
„Das will ich hoffen, dass meine Fachkenntnisse dafür ausreichend sind“, meine Luke während er konzentriert die Tüten und die Hüllen mit der roten Flüssigkeit beschriftete. Sabrina stand noch immer in der Tür und konnte den beiden nicht folgen. Alec begann das Frühstück vorzubereiten, Luke setzte sich und bemerkte Sabrinas Verwirrung.
„Ich nehme die Blutproben nachher nur mit zum Krankenhaus. Mein Kollege nimmt mich mit, da ich eh noch zu Untersuchungen hin muss. Und so musste Alec nicht mit und ihr könnt euch einen schönen Tag machen.“
Als Sabrina immer noch, wie ein Fisch guckte, fuhr Luke fort.
„Ich bin Arzt. Keine Angst ich massakriere deinen Bruder nicht.“
„Ach du bist Arzt? Alec hatte mir gar nicht gesagt, was du beruflich machst. Welche Fachrichtung denn?“
„Ich bin Unfallchirurg. Einer von denen, die mich auch wieder zusammenflicken mussten. Aber ich denke meine Kollegen haben das gut hinbekommen“, grinste Luke leicht.
„Wann ist denn deine OP?“, fragte Sabrina an Luke gewandt, die sich inzwischen mit an den Tisch gesetzt hatte. Alec setzte nebenbei Tee und Kaffee auf und lauschte den beiden. Als er ihre Worte vernahm drehte er sich ruckartig um „OP?“
Luke nickte „Ja, ich hatte es gestern Abend vergessen dir zu sagen. Sie müssen nochmal operieren. Ist noch nicht alles so, wie es sein sollte. Die MRT Bilder sahen nicht gut aus und ich merke es auch immer wieder wenn die Schmerzmittel nachlassen, dass da was nicht stimmt.“
„Okay. Das hättest du ruhig mal erwähnen können“, entgegnete Alec scharf „Na prima, wann denn?“
„Nächste Woche und ich denke damit sollte erst mal alles repariert sein, was zu reparieren ist und genug Edelmetall in meinem Körper verbaut.“
„Und wozu die Blutuntersuchung von Alec?“
„Das ist nur zur Kontrolle. Aufgrund der Medikamente müssen wir da manchmal schauen, ob alles stimmt.“
Sie nahm die Antwort nickend hin und wechselte das Thema.
Sabrina und Alec machten sich ein paar schöne Tage. Alec hatte frei. Irgendwann stand der Tag von Sabrinas Abreise an. Die Tage mit ihr taten ihm sichtlich gut. Sie vermied Fragen nach seiner Gesundheit und nach der Vergangenheit der letzten Jahre. Sie versuchte einfach ihren Bruder zu nehmen, wie er nun war. War aber auch fest entschlossen herauszufinden, was los gewesen war. In ihren Gesprächen schaffte sie es nicht ihn nebenher auszuhorchen. Jeglichen Ansatz, der in diese Richtung ging, entfloh er mit einem Themenwechsel oder plötzlichen Einfällen unter dem Motto „Was ich dir noch sagen wollte ...“.
Alec war heilfroh, dass er endlich Ruhe vor diesen Zetteln hatte und hoffte, dass es sich lediglich um einen Streich gehandelt hatte. Es war Montag und er hatte die Spätschicht in der Bibliothek übernommen. Gegen 20 Uhr ging er nach Hause. Er hatte sich sehr gut erholt und schaffte es, sich und Luke zu versorgen. Er machte die Einkäufe und hielt die Wohnung in Schuss.
An jenem Abend kehrte er auch gegen acht halb abends nach Hause. Als er die Haustür auf dem Innenhof aufschließen wollte, wurde ihm plötzlich ein Sack über den Kopf gestülpt. Alec ließ sofort alles fallen, war beinahe erstarrt und versuchte sich dann zu wehren. Der andere hielt ihn fest und hatte den Arm um seinen Hals gelegt. „Ich kriege dich!“, flüsterte er ihm bedrohlich ins Ohr, schubste Alec nach vorn gegen die Tür und verschwand. Alec konnte kaum so schnell reagieren, knallte gegen das Holz und zog sich panisch den Sack vom Kopf. Er sah sich um, aber der Innenhof war leer. Sein Herz klopfte und seine Hautfarbe wechselte vom Normalton in ein fahles grau, die Augen hatte er weit aufgerissen und lehnte nun kurz mit dem Rücken an der Tür. Er griff seinen Schlüssel vom Boden, hob die Tüte mit den Einkäufen auf und ging nach oben in die Wohnung. Er schaffte es kaum seine Fassung wiederzuerlangen. Als er die Wohnung betrat rief er kurz, dass er zu Hause sei und wartete auf eine Antwort von Luke. Es kam keine.
„Luke?“, setzte er nach und schaute kurz ins Wohnzimmer. Luke schlief seelenruhig auf der Couch. Alec ging in die Küche und packte die Einkäufe aus, er verstaute alles in den Schränken und stand dann nachdenklich in der Küche, die Hände auf die Arbeitsplatte gestützt, den Blick nach unten verfolgte er das unregelmäßige Muster das Granitplatte. Seine Gesichtsfarbe hatte sich noch nicht wieder geändert. Er bemerkte wie er zitterte, sein Herz pochte noch immer.
„Was ist denn los?“, Luke stand plötzlich in der Tür. Alec erschrak und schnellte herum.
„Hast du mich aber erschreckt“, lenkte er ab und drehte sich zum Fenster.
„Du bist ganz blass, was ist denn los? Ist auf der Arbeit etwas vorgefallen?“
„Nein alles gut“, antwortete Alec und spürte wie Luke sich ihm näherte. Als er seine Hand auf Alec's Schulter legte erstarrte dieser.
„Nun sag schon, was ist los? Du siehst nicht gut aus. Hast du Fieber?“
„Nein, nein alles in Ordnung. Leg dich nur wieder hin Luke. Ich mache was zu Essen, ja?“ Alec war den Tränen nahe und hoffte, dass Luke ihn in Ruhe lassen würde. Er konnte ihm das jetzt nicht erzählen. Morgen stand seine OP an und es war alles bestimmt nur ein dummer Streich, den sich da jemand mit ihm erlaubte. Er hatte Glück und Luke zog sich zurück ins Wohnzimmer und wartete geduldig aufs Essen. Bis Alec das fertig hatte, hatte sich sein Zustand nach außen hin auch wieder normalisiert. Nur war er innerlich dermaßen aufgewühlt, dass er dem Gespräch, das Luke versuchte anzuschneiden, kaum aufmerksam folgen konnte. In der folgenden Nacht schlief er sehr unruhig stand mehrere Male auf und ging einfach nur zum Fenster um hinauszustarren. Er verhielt sich leise und hoffe Luke nicht zu wecken.
Am nächsten Morgen brachte er ihn zum Krankenhaus und begleitete ihn bis zur Station. Er kannte inzwischen alles wie seine Westentasche dort und versicherte Luke ihn nach der OP dann gleich am Abend besuchen zu kommen. Alles verlief planmäßig. Luke wurde schnell wieder wach und wurde dann auf sein gewohntes Einzelzimmer gebracht. Ständig kam irgendwer in den Raum spaziert, seine Kollegen und diverse Krankenschwestern leisteten ihm Gesellschaft und unterhielten sich mit ihm. Wer nicht kam war Alec. Auch auf dem Handy konnte Luke ihn nicht erreichen. Luke hoffte einfach, dass er sich nur verspäten würde oder länger gearbeitet hätte. Aber auch bis 22 Uhr war keine Spur von Alec zu sehen. Henk schaute recht spät nochmal vorbei.
„Henk, schön dass du da bist.“
„Ja, was ist denn?“
„Irgendwas ist mit Alec. Er wollte heute noch vorbeikommen aber kam nicht.“
„Vielleicht war es einfach zu spät als er Feierabend hatte. Hast du ihn angerufen?“
„Natürlich, aber er geht nicht ans Telefon.“
„Vielleicht ist er zu Hause und einfach nur eingeschlafen.“
„Könntest du auf dem Heimweg nicht mal gucken fahren?“
„Hast du mal auf die Uhr geschaut? Ihm geht es sicher gut.“
„Aber dann wäre er doch hergekommen oder würde an sein Telefon gehen.“
„Du bist doch sonst nicht so. Was ist denn los?“
„Er war gestern so komisch. Ganz blass und völlig abwesend. Und als er mich heute früh hergebracht hat, wäre er beinahe falsch abgebogen. Er kennt den Weg in und auswendig. Irgendwas hat er.“
„Luke du solltest dich ausruhen. Sind bestimmt die Nachwirkungen der Narkose.“
„Quatsch, mir geht’s gut. Versprich mir, dass du gucken fährst, sonst gehe ich!“
„Du bewegst dich hier keinen Millimeter! Schön liegenbleiben, das solltest du am Besten wissen.“
„Ja, ich bitte dich. Fahr doch einfach kurz vorbei.“
„Luke es ist mitten in der Nacht. Der kriegt ja nen Schock, wenn jemand nachts klingelt. Ich schaue morgen früh nach ihm okay? Im Laufe des Vormittags? Keine Widerrede und keine Bewegung von dir, sonst setze ich die Medikamente hoch, dann musst du eh bleiben!“
Luke schluckte und nickte „Es ist ja nur weil ...“
„Luke, bitte. Ihm geht’s bestimmt gut.“
Henk hielt sein Versprechen und stand vor Lukes Wohnungstür. Die Türen unten waren offen, so konnte er gleich hoch und klingelte. Nach dem zweiten Mal Klingeln öffnete Alec verschlafen die Tür und schaute Henk mit großem Blick an. Er sortierte gerade noch seine Gedanken und ihm schwante Böses. Was war los, warum stand Henk vor der Tür? Luke! Die OP?!
„Henk?“
„Hallo! Du siehst verschlafen aus?“
„Ja ich bin gerade erst wach geworden. Oh mein Gott ich war nicht bei Luke. Was ist mit ihm, wie geht es ihm, warum bist du hier?“
„Ganz ruhig. Ihm geht es gut, er hat alles bestens überstanden. Ich bin hier, weil er mich vorbeigeschickt hat. Er hat sich Sorgen gemacht, weil du nicht da warst gestern und du gingst nicht ans Telefon.“
Alec senkte den Blick nach unten mit der rechten Hand hielt er die Tür fest mit der linken kratzte er sich verlegen am Kopf: „Ja, ich. Weißt du ich war sehr müde und hab wohl eine Tablette zuviel genommen und dann zu lange geschlafen.“
„Tablette? Ich dachte du warst müde?“
„Ja ja aber ich konnte nicht richtig schlafen. Nimmst du mich mit zu Luke?“
„Ich fahre jetzt nicht zum Krankenhaus. Es ist besser wenn du heute Nachmittag zu ihm fährst, er hat vormittags noch Untersuchungen.“
Henk machte sich recht schnell aus dem Staub und rief sofort Luke an, um ihm zu berichten, dass sein Alec okay wäre und sich am Nachmittag blicken lässt. Luke war trotzdem unruhig und sehnte sich dem Nachmittag entgegen. Alec tauchte dann auch auf und wurde von Luke zur Rede gestellt. Mit massigen Ausflüchten wand er sich aus den Fragen in der Hoffnung, dass Luke die ewige Fragerei aufgeben würde. Das tat er irgendwann auch, wohl merkend wie aufgewühlt Alec innerlich war. Er wünschte sich jetzt zu Hause zu sein.
Alec sah von Tag zu Tag schlechter aus, was auch Henk im Vorbeigehen notierte, wenn Alec gerade auf den Krankenhausfluren unterwegs war, um zu Luke zu gelangen.
Entscheidung
Wenige Tage später stand fest, dass Luke nach seinem Krankenhausaufenthalt sofort zur Kur gehen würde. Beruhigend war die derzeitige Situation für ihn nicht.
„Bring mich nach Hause Henk!“, nutze Luke die Chance zum Smalltalk, als Henk Visite machte.
„Luke du solltest noch hier bleiben. Du kannst nächste Woche heim, das weißt du.“
„Nein, danach geht’s doch gleich zur Kur. Er geht wieder nicht ans Telefon und er war gestern auch nicht hier.“
„Du machst dir wieder Sorgen um Alec?“, fragte Henk und setzte sich auf die Kante des Bettes. Luke nickte nur und schaute dann nach unten.
„Ich wollte dir eigentlich nur diesen Brief hier bringen. War mit in der Post. Kiki aus der Poststelle hat mir den heute früh gegeben, weil sie damit so richtig nichts anfangen konnte. Aber wir denken, dass er für dich ist. So viele Lukes haben wir hier nicht.“
Luke nahm zögernd den viereckigen Umschlag entgegen. Darauf stand nichts weiter als sein Name und persönlich, in sauberen großen Buchstaben geschrieben. Er erkannte die Handschrift sofort. Das war Alec's. Henk klopfte Luke noch leicht auf die Schulter und verließ dann den Raum. Es war als hätte er geahnt, dass die Nachricht nichts Gutes bedeuten würde.
Luke öffnete den Umschlag behutsam und fühlte, wie ihm heiß wurde. Ihm schwirrten die Gedanken im Kopf umher. Warum schreibt Alec ihm einen Brief? Was erwartet ihn? Luke nahm das sauber gefaltete Papier heraus und hielt es einige Sekunden still in der Hand. Dann atmete er tief durch, begann den Zettel auseinanderzufalten und zu lesen. Sein Blick erstarrte und er hielt das Blatt beinahe zitternd in den Händen, als die Tür aufflog und Henk hereinstürmte.
„Entschuldige, ich habe nur meinen Kram hier vergessen“, polterte er herein und schaute dann zu Luke, dessen Gesichtsausdruck alles verriet.
„Was iss'n los?“
„Er verlässt mich. Er schreibt, dass es ihm leid tut und er unterschreibt mit 'In Liebe' warum verdammt unterschreibt er mit 'In Liebe', wenn er mich verlässt. Ich ...“
Henk schaute ihn verdutzt an und fragte nur unnötigerweise :„Alec?“
Luke selbst vergaß fast das Atmen und versuchte krampfhaft die Tränen zurückzuhalten. Er wusste nicht, ob er traurig oder wütend war, er verstand die Welt nicht mehr. Henk war in Eile, wollte Luke jetzt aber nicht so vor den Kopf stoßen, wusste kaum wie er reagieren sollte. Er nahm sich eine Minute, legte ihm die Hand auf die Schulter und meinte leise „Das tut mir leid Luke.“ Henk wich ebenfalls die Farbe aus dem Gesicht, fassungslos fragte er weiter: „Hat er geschrieben wieso?“ Im selben Moment ging Henks Pieper und er musste los. Er entschuldigte sich schnell und eilte heraus. Luke blieb zurück, völlig verwirrt und unruhig. Er stand auf und hangelte sich zum Schrank. Auf dem Flur hangelte er sich an den Seiten entlang und hoffte, dass ihn niemand aufhalten würde. Ihm war schwindelig und er hatte Schmerzen, aber er war fest davon überzeugt so schnell wie möglich zur Wohnung fahren zu müssen und hoffte Alec noch anzutreffen.
Auf dem Flur griff ihn Bella, eine der Stationsschwestern, ab. Luke hing leicht an einer der Seitenränder, schaute glasig.
„Luke, was machst du denn hier? Du sollst nicht aufstehen, das weißt du doch!“
„Ich muss nach Hause!“
„Hör auf, zurück ins Bett mit dir.“ Sie griff ihn an den Oberarmen und versuchte ihn in entgegengesetzter Richtung zu dirigieren. Luke fing an sich zu wehren, im selben Moment wurden seine Beine wie Pudding unter ihm und er sackte zusammen. Bella hielt Lukes Oberarme weiter fest und versuchte ihn möglichst abzufangen, so dass er nicht unsanft fiel.
„Lass mich, ich muss nach Hause“, wisperte er noch, bevor die Schmerzen vom Fallen ihn überwältigten. Sein Bewusstsein verabschiedete sich plötzlich und er fiel krampfend zu Boden.
Einer der Assistenzärzte und ein Pfleger kamen auf die Situation schnellen Schrittes zu, als sie Luke fallen sahen, rannten sie die letzten Meter. Der Assistent brachte ihn schnell in die richtige Lage und ließ vom Pfleger alles weitere ordern.
Luke wachte kurz darauf wieder auf und versuchte gleich wieder aufzustehen. Pfleger und Arzt drückten ihn auf den Boden „Ganz ruhig liegen bleiben. Wir regeln das schon.“
„Aber ich muss nach ...“
„Du musst jetzt gar nichts Luke, nur liegenbleiben“, erwiderte der Kollege.
„Doch!“, kam fast weinerlich von Luke.
„Luke! Ruhe jetzt. Sag mir nur ob und wo du was spürst“, zügelte ihn der junge Arzt und drückte sachte den Rücken ab. Es folgte keine außergewöhnliche Reaktion. Sie brachten ihn schnell zurück in sein Zimmer.
„Was machst du denn Luke?“ Henk betrat mit dieser Frage das Zimmer und schaute in Richtung des Bettes.
„Ich muss wissen, ob Alec noch zu Hause ist. Ich muss mit ihm sprechen. Er kann mich nicht so einfach verlassen, das kann doch nicht sein.“
„Wehe dir du bewegst dich noch einmal aus deinem Bett. Du bleibst schön ruhig liegen, du kannst froh sein, dass nichts weiter passiert ist. Wie kommst du auf die Idee? Du weißt doch selbst was hätte passieren können!“
„Jaja, aber ich muss wissen, was mit ihm los ist.“
„Mensch Luke!“ Henk wurde zusehends lauter „wir brauchen dich hier bald wieder und das gesund. Deine Vertretung ist ein Graus und du willst sicher keine Lähmung davontragen.“
„Ich wollte ja nur wissen, ob er noch da ist. Ich möchte mit ihm sprechen“, erwiderte Luke fast flüsternd, während ihm lautlos eine Träne die Wange hinunterfloss.
Henk setzte sich wieder auf die Bettkante und hoffte, dass er nicht gleich wieder aus dem Gespräch gerissen werden würde. „Was hat er denn geschrieben?“
„Eigentlich nicht viel. Nur dass er mich verlassen muss und dass er mir für meine Hilfe sehr dankbar ist und dass es ihm leid tut und dass er weg sein wird, wenn ich nach Hause komme und dann schrieb er 'In Liebe, Alec'. Ich verstehe das nicht, warum geht er? Und man schreibt doch nicht 'In Liebe' wenn man jemanden abserviert und es ist doch in letzter Zeit gar nichts vorgefallen. Ich weiß echt nicht, woher seine Entscheidung kommt. Ich muss mit ihm sprechen. Ich muss zu ihm.“
„Luke er wird nicht mehr da sein.“
„Aber ich ... Henk ich verstehe nichts mehr! Er kann nicht so einfach gehen. Er lässt mich hängen.“
„Das tut mir schrecklich leid Luke. Wir werden seine Beweggründe nicht erahnen können. Ich bin selbst geschockt. Aber du bleibst definitiv hier.“
„Ich kann doch aber auf eigenen Wunsch gehen!“
„Wag' es dir ja nicht! Ich schwör dir, dass wir das nicht zulassen werden.“
Es dauerte nicht lange bis Matti erneut im Krankenhaus auftauchte und Luke aufsuchte.
„Was willst du denn hier?“
„Hallo Luke. Ich wollte wissen, wie es dir geht und dich fragen, ob du Hilfe brauchst?“
Matti verwickelte Luke in ein längeres Gespräch und kam ihm näher.
Ein neues Kapitel
„Ja, bitte“, rief Alec und schaute erst hoch, als der Gast die Bürotür hinter sich schloss. Sein Blick erstarrte seine Stimme begann zu zittern: „Was machst du hier?“
„Ich habe dich gesucht. Ich suche dich schon die ganze Zeit, Alec!“
„Geh bitte“, antwortete Alec nur schroff und senkte seinen Blick wieder. Wieso hat er ihn ausgesucht? War der Abschied nicht schmerzlich genug gewesen?
„Ich möchte mit dir sprechen, ich möchte nicht einfach gehen. Ein Jahr habe ich dich gesucht und jetzt wo ich dich endlich gefunden habe, gehe ich nicht sofort wieder. Du bist einfach abgetaucht, du warst einfach weg. Unerreichbar.“ Luke wurde eindringlich.
„Hör auf, geh bitte.“ Alec schaute nicht hoch.
„Nein. Alec sprich doch mit mir, was war los. Was habe ich falsch gemacht?“
„Ich will hier nicht darüber sprechen. Ich muss arbeiten. Ich muss ... ich muss mich konzentrieren.“
„Gut dann später, wann hast du Feierabend? Ich warte auf dich.“
„Ich bitte dich Luke, ich möchte nicht darüber sprechen, ich möchte dich nicht sehen, ich möchte nicht mit dir sprechen. Ich möchte dass du gehst.“ Die Worte trafen Luke wie ein Schlag, aber er vermochte nicht aufzugeben. Endlich wusste er, wo Alec ist. Endlich hatte er ihn gefunden.
„Wann?“, setzte er nur nach.
Alec warf den Kopf nach hinten unterdrückte schon die Tränen. Er war so glücklich Luke wiederzusehen nur konnte er ihm doch nicht erzählen, was passiert war. Er musste sich von ihm einfach fernhalten, das würde alles erleichtern und er würde Luke nicht weiter auf der Tasche liegen oder Ärger und Arbeit machen.
„In zwei Stunden.“
„Ich warte auf dich.“
Alec nahm die Antwort schweigend hin, schloss die Augen und nickte. Luke verließ den Raum. Alec's Konzentration war dahin. Ihm schwirrten laufend Erinnerungen im Kopf umher, die er zu verdrängen versuchte. Der Feierabend rückte näher und das unausweichliche Gespräch ebenfalls. Luke wartete wie angekündigt vor der Tür.
Alec ging mit gesenkten Kopf an ihm vorbei und nuschelte nur ein „Komm mit.“ Wortlos folge Luke. Der Weg blieb so wortkarg, die Septembersonne war gerade im Untergehen begriffen und einige Vögel zwitscherten. Luke lief ein kleines Stück hinter Alec, beobachtete ihn genau und nahm die Natur um sie herum aktiver wahr als je zuvor. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut und er fühlte Alec's innere Anspannung. Dieser drehte sich nicht um, brach auch das Schweigen nicht. Irgendwann bog er in eine schmale Gasse ein, ging bis zur Wohnungstür hoch und versuchte die Tür zu öffnen. Er scheiterte schon dabei den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Zitternd mit dem Blick nach unten fiel ihm schließlich der Schlüsselbund zu Boden. Er blickte hinterher und fühlte Lukes warme Hand auf seiner Schulter. Er konnte es nicht ertragen, die ersten Tränen flossen. Luke strich mit seiner Hand Alec's Rücken herunter, bückte sich dabei, hob den Schlüssel auf und schloss die Tür auf. Alec ging voran, drehte sich noch immer nicht um.
„Was ist los?“, flüsterte Luke und legte erneut behutsam seine Hand auf dessen Schulter.
„Lass mich los“, zischte Alec nur kurz und versuchte die Fassung wiederzuerlangen. „Setz dich einfach irgendwo hin.“
Luke blickte sich um und fand sich in einer sehr kargen Wohnung wieder. Der Flur war leer, bis auf ein Paar Schuhe, welches an der Seite stand. Er stellte seine daneben und wagte einen Blick in die offene Tür an der linken Seite. Die Küche, eine zweckmäßige Küchenzeile mehr nicht. Dann folgte er Alec ins Wohnzimmer. Ein Sofa und ein Tisch, in der Ecke zwei Kartons. An einer Wand hingen wild durcheinander verschiedene Zeichnungen. Alec bemühte sich schnell seine Bettdecke vom Sofa zu nehmen und Luke einen Platz anzubieten. Katze Emily kam sofort auf beide zugestürmt und strich Luke um die Beine. Der hockte sich gleich hin und schmuste kurz mit ihr. Im Raum war wenig Persönliches, kein Schrank, durch den Laminatboden wirkte der Raum noch karger und trostloser. Ein Zeichenblock lag auf dem Tisch, Alec legte ihn schnell auf einen der Kartons.
„Willst du was trinken?“, fragte Alec mit kurzen Blick in die Küche.
„Nein danke. Kannst du mich auch nur eines Blickes würdigen?“
Alec schaute in Lukes Gesicht. Luke sah den starren Blick, und bemerkte wie krampfhaft Alec damit beschäftigt war die Fassung zu halten.
„Was ist los mit dir? Du fühlst dich doch hier nicht wohl. Es sieht hier aus, als wärst du gestern eingezogen. Du schaffst es nicht einmal mir länger als drei Sekunden ins Gesicht zu schauen. Du bist über Nacht abgehauen, als ich dich am Meisten gebraucht hätte, als es mir schlecht ging. Du hast mir einen Brief geschrieben, du hast es mir nicht persönlich gesagt. Ich will doch nur verstehen was in dir vorging. Wir haben so viele Jahre miteinander verbracht und es gab wahrlich schlimmere Zeiten. Ich war immer für dich da, wenn es mir möglich war.“
„Mit 20 Stunden Arbeit kann man sich nicht mehr leisten. Ich kann nicht mehr arbeiten.“
„Du solltest in deinem Zustand eigentlich so gut wie gar nicht arbeiten.“
„Hör auf. Lass das bitte.“
„Sprich doch einfach mit mir!“, behaarte Luke, stand aus seiner gebückten Haltung auf und ging auf Alec zu, der leicht nach hinten wich. Er ergriff ihn an den Oberarmen „Sprich doch mit mir!“
„Lass mich los!“, schrie Alec leicht panisch. „Fass mich nicht an.“
Luke ließ ihn los, verweilte kurz mit den Händen in dieser Position und setzte sich dann.
„Akzeptiere doch einfach, dass ich dich verlassen habe. Es ging nicht anders“, schrie Alec außer sich, und holte dann wieder tief Luft, bevor er das Wort ergriff: „Wie geht es dir denn?“
„Alles wieder heil, danke. Und dir, Alec?“
„Geht.“
Luke nahm die Antwort hin und nickte, dann kehrte ein Schweigen ein, das den Raum erfüllte.
„Alec“, begann Luke wenig später und schaute zu ihm herüber. Der saß mit angewinkelten Knien ihm schräg gegenüber auf der anderen Ecke der Couch.
„Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du das so wolltest? Du vegetierst hier vor dich hin, hast scheinbar keinen Kontakt zur Außenwelt, außer vermutlich über deine Arbeit.“
„Es ging einfach nicht anders, nimm das doch hin.“
„Kann ich nicht, weil ich es nicht verstehe.“ Luke fixierte Alec, der weiter dem Blick auswich.
„Ich möchte, dass du gehst“, antwortete er stur.
Luke gab nach und verließ wortlos die Wohnung. Er machte sich auf den Heimweg, war kaum bei der Sache und erreichte einige Stunden später Berlin. Er schnappte sich schnell die paar letzten Stunden der Nacht zum schlafen und brach dann zur Frühschicht auf. Dieses Mal war es sehr ruhig im Krankenhaus, sehr zu seinem Vorteil, denn so konnte er sich noch ein wenig mit Henk unterhalten. Als sie gemeinsam den Flur heruntergingen, um mit der Visite zu beginnen, platze er mit der neuen Information heraus.
„Ich habe Alec gefunden.“
Es verschlug Henk fast die Sprache „Was hast du? Wo denn, du suchst ihn doch schon so lange!“
„Er ist in Niedersachsen, in so einem kleinen Ort. Arbeitet dort, lebt dort. So richtig toll sieht er nicht aus.“
„Wie hast du das denn nun gemacht?“
„Google. Sein Arbeitgeber hat den Namen und den Fachbereich, in dem er arbeitet, auf die Homepage gebracht. Aber scheinbar jetzt erst, ich habe ja ständig überall gesucht. Und Matti ja auch, der suchte ja über die Polizei und fand nie etwas. Er hat nicht damit gerechnet, dass ich dort auftauche.“
„Treibst du dich immer noch mit Matthias rum? Irgendwas stimmt doch mit dem Typen nicht. Ich kann dich aber auch nicht ganz verstehen Luke. Alec ist weg und du machst mit dem rum“, kritisierte Henk nur trocken und fragte weiter „Wie geht’s Alec, was sagt er?“
Luke zuckte mit den Schultern. „Tja. Ihm geht’s scheinbar so lala und er spricht nicht mit mir.“
„Gar nicht?“
„Naja doch, aber halt nicht über das was vorgefallen war. Er versuchte die ganze Zeit die Fassung zu halten.“ Luke brach das Thema abrupt ab, als sie die Tür eines der Patientenzimmer erreichten und mit der Visite begannen.
„Ja und was hast du nun vor?“, fragte Henk beim Wechseln der Zimmer.
„Nichts. Er spricht ja nicht mit mir, ich weiß nicht, was ich machen soll.“
„Aber du kannst ihn doch nicht fallenlassen. Du wolltest ihn doch unbedingt wiederfinden.“
Luke zuckte wieder mit den Schultern und öffnete die nächste Tür.
Zweiter Versuch
Die Wochen vergingen, wie im Fluge. Alec arbeitete viel und konnte sich vor Schmerzen kaum halten. Das lange sitzen am Schreibtisch setzte seinen Rücken fast außer Gefecht. Luke hatte sich seit dem letzten Besuch nicht mehr gemeldet, Alec hatte sich auch nicht an ihn gewandt. Einige Wochen später stand Luke erneut vor Alec's Tür.
Was hatte ihn nur in diesen kleinen Ort verschlagen? Es war ein beschauliches Plätzchen, an einem Fluss gelegen. Das Rathaus im Stadtzentrum, davor ein schön geschmückter Marktplatz. Der Wochenmarkt, der etwas Nostalgie aufkommen ließ, fand gerade statt. Die schmalen Gassen und kopfsteingepflasterten Straßen wirkten als wäre die Zeit hier stehengeblieben. Kleine Geschäfte und einige ältere Menschen bildeten eine harmonische Einheit.
Alec quälte sich von der Couch hoch, als er die Türklingel hörte, dann öffnete er. Mit halb offenen Mund schaute er verwirrt auf seinen Ex Partner. Luke nickte sachte und wartete bis Alec zur Seite trat und ihn hereinließ. Er schloss die Tür hinter ihm.
„Ich bin froh, dass du mich reingelassen hast“, begann Luke das Gespräch.
„Lass mich bitte durch ich muss mich hinlegen.“ Vor Schmerzen stöhnend schleppte Alec sich zur Couch und legte sich auf die Seite. Er schloss kurz die Augen und öffnete sie schnell wieder. Luke war ihm gefolgt und stand nun in der Wohnzimmertür auf ihn herabblickend.
„Was hast du?“, fragte der weiter verwirrt.
„Rückenschmerzen. Ich bin platt.“
„Nimmst du deine Medikamente, warst du beim Arzt, MRT?“
„Luke!“, antwortete Alec nur genervt und zog sich die Decke über den Kopf. „Was ist los, was soll das? Du tauchst hier ständig auf, was willst du?“
„Ich bin erst zum zweiten Mal hier. Ich möchte nur, dass es dir gut geht ... ich vermisse dich Alec. Wie lange liegst du schon flach?“
„Eine Woche.“
„MRT?“
„In vier Wochen.“
„Bist du irre, du kommst mit und dann machen wir das gleich. Was sagt dein Arzt?“
„Nun hör auf. Ich komme klar Luke. Ich brauche kein Kindermädchen. Was willst du verdammt? Brauchst du nur 'ne kleine Schlampe, dass du dich besser fühlst? Hast du ein Helfersyndrom, brauchst du jemanden zum versorgen? Vergiss es. Lass mich einfach in Ruhe. Mit mir nicht mehr.“
Sichtlich gekränkt verließ Luke die Wohnung wortlos. Es brach Alec fast das Herz, ihn so zu kränken.
Luke war am Ende. Seit Alec weg war, hatte er seine Sachen nicht angerührt. Nun baute sich eine Wut in ihm auf und er riss seine Kleidung aus dem Schrank und schmiss Alec's Sachen in eine Ecke des Zimmers. Bei einem kleinen Karton löste sich der Deckel, als Luke ihn wegschmiss. Heraus fielen Briefe. Diese zogen seine Aufmerksamkeit auf sich und er betrachtete sie näher.
Am nächsten Tag versuchte er ein paar freie Tage rauszuschlagen und machte sich erneut auf den Weg zu Alec's Wohnung. Er klingelte und wartete vergeblich. Auf Arbeit konnte er um diese Uhrzeit auch nicht mehr sein. Er lief noch ziellos durch den Ort und versuchte es Stunden später nochmal. Alec öffnete.
„Wie siehst du denn aus?“, begrüßte Luke ihn, der völlig verschlafen drein schaute.
„Was willst du?“, frage Alec nur kurz und wollte die Tür gleich wieder schließen.
„Ich habe etwas gefunden. Darf ich reinkommen?“ Alec nickte ihm zu und gab ihm mit einer Geste zu verstehen.
„Ich war vorhin schon hier. Warst du nicht da?“
„Doch, doch ich habe geschlafen ... ich habe Fieber. Mir geht es nicht gut, entschuldige.“
„Diese Briefe, die du in dem kleinen Karton hattest. Was ist das? Wann war das?“
„Mmmh. Kurz bevor ich ging. Durchwühlst du meine Sachen? Das sind Drohbriefe, sieht man doch oder?“ Alec wusste nicht, warum er sie zurückgelassen hatte. Aber er hatte fast alles zurückgelassen und hatte fluchtartig Berlin verlassen.
„Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte dir doch geholfen! Von wem sind die?“
„Ich hatte Angst, dass dir etwas passiert. Und ich wurde bedroht und auch angegriffen.“
„Was? Es waren nicht nur die Zettel?“
Alec schüttelte den Kopf.
„Man wir hätten zur Polizei gehen müssen. Die hätten doch geholfen. Du bist wirklich nur deshalb abgehauen? Deshalb hast du mich wortlos verlassen?“
„Ja, weil ich nicht wollte, dass dir etwas passiert und weil ich solche Angst hatte. Du warst im Krankenhaus, was hätte ich denn tun sollen.“
„Mich einfach um Hilfe bitten oder zur Polizei gehen. Mir einfach mal vertrauen!“
„Polizei ...“, wisperte Alec und winkte ab. „Da brauche ich nicht hingehen, wenn der Typ von denen ist“, kam fast unhörbar hinterher.
„Wie? Alec ich bin echt enttäuscht. Du weißt doch, dass ich dir immer helfe! Wir hätten da schon eine Lösung gefunden!“
„Na der war Polizist, der mich bedrohte“, sagte er nun lauter.
„Ist jetzt nicht dein Ernst?“ Luke konnte keinen Zusammenhang herstellen.
Alec fühlte sich mies und seine Kopfschmerzen schienen fast seine Schädeldecke zu zertrümmern. Luke hatte sich zum Fenster gedreht und starrte schweigend hinaus. Alec ließ sich mit einem Stöhnen wieder aufs Sofa fallen.
„Was ist los mit dir?“, sprang Luke an und drehte sich um.
„Ich habe Fieber, mir ist schlecht und ich will einfach nur schlafen“, erwiderte Alec schon fast weg gedämmert.
Luke merkte, dass er nicht in der Lage war tiefgreifende Gespräche zu führen, ging zu ihm und beugte sich über seinen Körper. Er legte seine Hand auf Alec's Stirn, der kurz wieder die Augen öffnete.
„Nimmst du was gegen die Schmerzen?“
„Lass mich bitte einfach schlafen. Leg dich irgendwo hin, es ist zu spät für dich um zurück nach Berlin zu fahren.“
„Danke“, flüsterte Luke und küsste Alec kurz auf seine verschwitzte Stirn bevor er ihn zudeckte. „Ich habe dich so vermisst“, flüsterte er hinterher.
Luke bequemte sich in einen Sitzsack der in der anderen Zimmerecke stand und beobachtete Alec noch, bevor er langsam einschlief. Am nächsten Morgen bereitete er ein kleines Frühstück vor. Er versuchte aus Alec's Kühlschrankinhalt das Beste zu machen. Als er vergebens darauf wartete, dass Alec aufwachen würde, entschied er sich später ihn zu wecken. Er hockte sich vor ihn und streichelte sanft seine Schulter „Hey? Alec?“, wisperte er und wartete auf eine Reaktion. Ein leises Stöhnen erklang. „Komm schon aufstehen. Es gibt Frühstück.“
„Ich will nicht“, antwortete Alec verschlafen und zog die Decke übers Gesicht.“
„Ein bisschen musst du aber trotzdem essen. Komm schon.“
Luke stellte ihm eine Tasse Tee auf den Wohnzimmertisch, Alec setzte sich auf, nahm seine Tabletten und starrte auf die Tasse.
Um das Schweigen zu brechen, ergriff Luke das Wort: „Ich möchte, dass du mit nach Berlin kommst“, sagte er fast beiläufig und fixierte Alec der nun die Hände um seine Tasse gelegt hatte.
„Mmh, warum sollte ich das? Seit wann bestimmt du, wo ich hingehe?“
„Dann geht es dir vielleicht endlich besser, erst hast du diese Rückenschmerzen, jetzt geht es dir schon wieder schlecht. Alec, sei vernünftig“, schob Luke hinterher und seufzte. Alec selbst stand auf, hielt sich nur wackelig auf den Beinen und ging Richtung Badezimmer.
„Du brauchst jetzt nicht gehen, lass mich doch mit dir reden!“
„Mir ist schlecht, ich kann nicht“, antwortete der Kranke noch bevor er die Badtür schloss und sich übergeben musste. Luke rollte mit den Augen nicht ganz sicher was er tun sollte. Nach einigen Minuten tauchte Alec wieder auf.
„Du hast dich in der Nacht schon übergeben, ich habe es mitbekommen. Warst du bei einem Arzt?“
„Gut beobachtet. Ja war ich. Er weiß nicht weiter, das geht jetzt schon seit einer Woche. Egal, würdest du bitte gehen? Ich komme nicht mit nach Berlin.“
„Aber gestern Abend meintest du doch?“
„Das war gestern!“ Alec stand im Türrahmen, stützte sich mit der rechten Hand ab. Luke stand auf, ging auf ihn zu und blieb im selben Türrahmen stehen,dicht an Alec.
„Du siehst aus, wie der Tod auf Beinen. Such dir mal einen vernünftigen Arzt.“ Dann ging er weiter und meinte ohne sich umzudrehen „Du solltest diese Schmerztabletten nicht nehmen. Die sind wohl der Grund für deinen Zustand.“
„Woher willst du das wissen?“
„Weil ich dich kenne. Du verträgst diese Sorte nicht. Ich habe dir damals nicht umsonst eine andere verschrieben. Ich kann dir helfen Alec, du musst nur zurückkommen.“
„Ich bekomme die anderen aber nicht über die Kasse und ich kann sie mir nicht leisten.“
„Das weiß ich.“
„Geh bitte, geh. Geh einfach.“ Alec zitterte als er ihn nochmals bat zu gehen. Luke nickte sachte und verließ die Wohnung, er schloss die Tür ganz leise, so als würde er niemanden wecken wollen.
Luke traf sich abends mit Henk in der Eckbar, in der sie sich oft nach dem Dienst zurückgezogen hatten. Die Besuche dort waren selten geworden. Aber heute verspürte er das Bedürfnis sich auszusprechen. Das wollte er auch nicht mit Linda tun. Henk war da schon der Richtige, die Freundschaft zwischen den beiden hatte sich entwickelt. Im Dienst war keine Zeit gewesen private Worte zu wechseln. Lukes Laune befand sich auf dem Tiefpunkt, er spielte mit seinem Glas herum und starrte auf das polierte Holz der Theke. Henk beäugte ihn minutenlang und beobachte sein Verhalten.
„Nun erzähl schon, was bedrückt dich?“
„Ich war bei Alec. Jetzt, wo ich frei hatte. Er war krank, weil er die falschen Medikamente nimmt. Ich habe ihm gestern die anderen zugeschickt. Und er will nicht mit mir sprechen. Er wollte wieder, dass ich gehe.“
„Ich will dir nicht weh tun Luke, aber solltest du ihn dann nicht in Ruhe lassen? Tue nichts gegen seinen Willen.“
„Ich kann nicht. Ich denke ständig an ihn. Ich habe einfach das Gefühl, dass er mich auch vermisst hat. Der lebt da, als wenn er gleich morgen wieder auszieht. Das musst du mal sehen. Er schläft auf ner Couch. Tut seinem kaputten Rücken sehr gut. Er kriegt nicht die richtigen Medikamente. Er wirkt einfach nicht glücklich. Ich will ihn zurückholen. An der ganzen Sache stimmt doch irgendetwas nicht.“
„Vielleicht hättest du dir das überlegen sollen, bevor du dich mit Matthias eingelassen hast.“
„Toller Tipp ... danke auch!“, patzte Luke sauer zurück.
Das Gespräch zog sich hin. Luke war innerlich zerrissen. Er schaffte es nur während der Arbeit nicht an ihn zu denken und vergrub sich wieder darin. Er machte Überstunden ohne das zu registrieren, einfach nur um abgelenkt zu sein.
Erleuchtung
Luke selbst unternahm keine weiteren Schritte, ihm schwirrten jeden Tag Gedanken an Alec im Kopf umher. Er wusste nicht, ob er nochmal zu ihm fahren sollte. Er würde ja doch nicht mit ihm reden. Wochen später bekam er einen Brief ohne Absender. In dem Brief war ein gezeichnetes Bild, ganz oben auf ein Zettel auf dem stand „Ich hoffe, dass du mich dann besser verstehst. In Liebe, Alec.“
Lukes Herz klopfte und er betrachtete verwirrt die Zeichnung bevor er realisierte, wen Alec gezeichnet hatte. Es war Matti. Er brauchte eine Weile um alles zu verstehen und die Zusammenhänge herzustellen, in seinem Kopf klang Alec's Satz 'Polizei - Da brauche ich nicht hingehen, wenn der Typ von denen ist.'. Es öffnete ihm die Augen. Er rief Matthias an und brüllte so lange ins Telefon bis dieser auflegte. Völlig außer sich. Im selben Moment klingelte es an seiner Wohnungstür. Davor stand Alec's Schwester begrüßte Luke freundlich und fragte nach ihren Bruder.
„Er ist schon lange nicht mehr hier“, antwortete Luke steif und konnte gerade so die Wut, die in ihm kochte zurückhalten.
„Was, wieso denn das?“
„Weil er mich verlassen hat.“
„Äähh, wie, was? Das ist nicht dein Ernst?“
„Er ist seit einem Jahr schon weg.“
„Ja, ich erreiche ihn nicht, ich dachte du weißt etwas.“
„Ja, ich weiß etwas. Ich weiß seit eben gerade viel mehr. Ich muss weg, ich muss mich an jemanden rächen! Ich erzähl dir das irgendwann. Ich habe mich so verarschen lassen, ich fasse es nicht. Du bist zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt hier.“ Luke wurde ungehalten.
„Wo willst du hin, an wem willst du dich rächen. Wo ist Alec hin?“
„Das erkläre ich dir später, lass mich durch“, sagte Luke und wollte Sabrina zur Seite schieben.
„So wie du drauf bist gehst du nirgendwo alleine hin. Ich komme mit!“
Luke schaute nur verwirrt und eilte die Treppe herunter. Unten stellte er fest, dass er seinen Autoschlüssel vergessen hatte und war gerade im Begriff wieder hochzurennen, als sie ihn aufhielt. „Komm mal wieder runter Luke! Ganz ruhig wir fahren mit meinem Auto. Sag mir einfach nur wohin.“
Luke lotste sie durch die Stadt zu Mattis Wohnung. Kurz bevor sie die Wohnung erreichten kam ihnen ein dunkler PKW entgegen, Luke erkannte das Nummernschild und Matti am Steuer.
„Da dem hinterher!“
„Luke was hast du vor, was ist denn los?“, fragte Sabrina völlig verwundert und konnte kaum glauben, dass es Luke auch in so einer Stimmung geben kann.
In sicherem Abstand folgte sie dem PKW bis sie auf die Autobahn kamen.
„Was nun?“, fragte sie.
„Weiter hinterher, ich muss den kriegen. Da ist mir alles egal!“
„Du weißt doch aber gar nicht wo er hin will.“
„Das ist mir egal irgendwann muss er ja anhalten. Nachdem Matthias vom Berliner Ring runter fuhr und auf die nächste Autobahn wechselte, wurde Luke allmählich klar, in welche Richtung es gehen würde. Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen als Alec's Schwester ein weiteres Mal fragte, was nun gewesen sei und ihm drohte anzuhalten, wenn er nicht endlich alles erzählt.
Luke heulte sich bei ihr aus, erklärte die Umstände, Alec's plötzliches Verlassen, die Suche nach Alec, das Wiederfinden und sein Verhalten. Schließlich auch die Erkenntnis mit den Briefen in Zusammenhang mit der Zeichnung. Auch bei seiner Schwester hatte Alec sich seit seinem Verlassen nicht mehr gemeldet oder auf Anrufe reagiert.
„Dieser Mistkerl da vorne hat mich verarscht, er hat Alec bedroht, um an mich heranzukommen. Und ich habe mich verarschen lassen! Verstehst du mich? Und jetzt ist er auf dem Weg zu Alec. Ich weiß nicht was der vor hat, ich ...“
„Bleib ruhig Luke, wir kriegen das schon hin.“
Nach zig Kilometern fuhr Matthias von der Autobahn ab, den beiden gelang es so lange ihn in Sichtweite vorauszuhaben, als sich in der Abfahrt ein LKW dazwischen schob. Es folgten auf den Landstraßen mehrere rote Ampeln und dichter Verkehr, so dass sie ihn bald verloren. Luke kannte den Weg, aber wer weiß, was Matthias in dem gewonnenen Vorsprung zu veranstalten vermochte?
„Der tut ihm was an, fahr schneller!“
„Luke! Es geht nicht, du siehst es doch!“, erwiderte Sabrina leicht zornig und achtete in dem dichten Verkehr auf Lücken die sich auftaten um so schnell wie möglich voranzukommen.
„Wo warst du eigentlich so lange?“
„Ich war im Ausland arbeiten und hatte nun in Berlin zu tun, da dachte ich ich besuche euch mal spontan. Ich hab ja Alec auch übers Handy nicht erreichen können.“
„Ja das ist aus, seit er weg ist. Da vorne links, dann sind wir da.“ Natürlich stand Mattis Auto unweit von Alec's Wohnung. Luke und Sabrina stürmten die Treppe hinauf und bemerkten die nur angelehnte Wohnungstür. Luke rannte herein und erblickte Matti der Alec mit einem Messer bedrohte. Der nutzte den Augenblick der Verwunderung und nahm Alec in die Mangel, legte ihm seinen Arm um den Hals.
„Du bist doch krank, lass ihn los“, brüllte Luke. Sabrina rannte geistesgegenwärtig davon und rief sofort die Polizei. Sie traute sich nicht zurück in die Wohnung, stand aufgeregt vor dem Haus.
Währenddessen ging die Verhandlung zwischen Matti und Luke weiter.
„Was hast du ihm angetan. Machs doch nicht noch schlimmer! Er hat genug hinter sich“, keuchte Luke völlig außer sich. Alec hing zitternd vor Matthias, das Messer an der Kehle. Als er sich kurz bewegte, wurde er sofort zurecht gestutzt.
„Halt schön still Freundchen! Ich habe dich vor dem gewarnt, was passieren würde, wenn du ein Wort sagst! Und du Luke, was willst du mit diesem Krüppel? Hat er alles gepetzt? Da hat er aber lange still gehalten. Du bist mit mir doch viel besser dran. Schon damals hätten wir ihn umbringen sollen, bevor er abgehauen ist.“
„Lass ihn bitte los! Was bist du eigentlich für eine verfluchte Missgeburt! Nur wegen dir ist er gegangen.“ Luke näherte sich einen Schritt. Damals? Bevor er abgehauen war? Matthias war einer seiner Peiniger gewesen?
„Bleib da stehen!“, schrie sein Gegenüber und drückte das Messer dichter an Alec's Hals. „Ja und du bist drauf reingefallen. Du hast mich doch mit offenen Armen empfangen. Du gehörst mir!“, brach er in schallendes Gelächter aus.
Draußen trafen in der Zwischenzeit die Einsatzkräfte der Polizei ein. Als Matthias seine Kollegen erblickte, warf er Alec zur Seite, wobei er mit dem Messer seinen rechten Arm zentimetertief nahe der Pulsader aufschnitt, diese verletzte. Dann schnappte er sich Luke, der so schnell kaum reagieren konnte.
„Du bist krank!“, brüllte der nur, bevor Matthias ihm mit dem Messer bedrohlich nah an die Kehle kam. Luke war wie erstarrt, versuchte zu Alec, der am Boden lag, herüberzuschauen.
„Lass mich ihm helfen, er wird verbluten, lass mich doch los. Was bist du für ein Typ? Ich dachte ich kenne dich!“
„Halts Maul Mann! Falsch gedacht. Du liebst mich doch, gibs' doch zu“, kam nur von Matti, der nun den Einsatzkräften gegenüberstand, die auf ihn einredeten. Sie bedrohten ihn mit den Waffen, was er gelassen hinnahm.
„So lange der vor mir steht, könnt ihr eh nicht schießen“, sagte er selbstsicher, genau wissend, was sie dürfen und können und drückte Luke noch fester an sich.
Einen Moment der Unaufmerksamkeit nutze einer der Polizisten um Matthias zu überwältigen. Als dieser Luke losließ, verletzte er ihn mit dem Messer leicht am Hals. Ein anderer Polizist griff sich sofort Luke, der in Begriff war auf Alec zuzustürmen.
„Ich muss ihm helfen, lassen sie mich los!“
Sabrina kam nun näher „Er ist Arzt lassen sie ihn an ihn ran. Er muss meinem Bruder helfen!“, meinte sie nur die Situation einigermaßen überblickend. Alec war inzwischen bewusstlos und lag in der Blutlache seines Arms. Luke brachte ihn sofort in die stabile Seitenlage und stoppte die Blutungen soweit es die Möglichkeiten boten.
„Sabrina komm her, hol eine Decke für ihn und bleib bei ihm.“
„Luke was ist mit dir, dein Hals!“
„Kümmere dich lieber um ihn. Das hier ist nur eine Schnittwunde. Sieht schlimmer aus, als es ist.“
Sie deckte Alec zu, setzte sich zu ihm und legte ihre Hand auf seine Schulter. Luke ließ sich inzwischen von einem der Polizisten helfen, als auch schon die Rettungskräfte eintrafen. Alec und Luke wurden ins nächste Krankenhaus gebracht.
Luke wartete kurz im Behandlungsraum, bevor ein Chirurg sich um ihn kümmerte.
„Hallo, ich bin Dr. Busch. Erzählen sie mir bitte, was passiert ist. Und sie sind?“
„Dr. Franklin. Nur eine Schnittwunde, die zu nähen ist.“
„Na das schauen wir uns mal genauer an. Stillhalten bitte“, wies er ihn an, während eine Schwester den Raum betrat. Sie half dabei die Wunde zu säubern.
„Wie geht es dem anderen Patienten, der mit mir eingeliefert wurde?“
„Ich weiß nicht wen sie meinen.“
„Die Schnittverletzung am Arm, bewusstlos, enormer Blutverlust.“
„Ich weiß nicht, er wird von Kollegen behandelt. Legen Sie den Kopf ein wenig zur Seite.“ Der Arzt holte sich einen Hocker heran und bereite die nötigen Instrumente vor, um die Wunde zu vernähen. „So dann wollen wir mal“, begann er seine Arbeit. „Sie haben Glück gehabt. Wirklich nur eine oberflächliche Schnittwunde.“
„Sagte ich bereits. Kann die Schwester nicht nachfragen gehen, wie es dem anderen Patienten geht?“, drängte Luke.
„Ich brauche sie hier.“
„Die Instrumente kann ich auch zureichen.“
„Sie sind Dr., sagten sie?“
„Ja, Unfallchirurg. Also?“
„Marie, gehen Sie fragen“, wandte er sich an die Schwester. „Unfallchirurg also, na dann können wir uns die Hand geben.“
„Können wir, also ordentlich nähen bitte!“
„Wo arbeiten sie?“, mit dem Smalltalk versuchte der andere Luke ein wenig auf den Boden zurückzuholen.
„Im Unfallkrankenhaus Berlin Marzahn.“
„Oh davon habe ich schon viel gehört. Haben sie auch in Berlin studiert.“
„Ja, habe ich.“ Die beiden unterhielten sich. Kurze Zeit später kehrte die Schwester zurück. Luke schaute sie fordernd an.
„Die OP verlief gut, er ist aber auf der Intensivstation und noch nicht aus dem Gröbsten raus.“
„Danke Marie“, erwiderte der Chirurg und beendete die Naht an Lukes Hals.
„Kann ich zu ihm?“, fragte Luke, der die Antwort hingenommen hatte.
„Sind sie mit ihm verwandt? Wie stehen sie zu ihm?“
„Nein, er ist ein sehr guter Freund.“
„So lange er auf der ITS ist nicht. Nur Verwandte.“
„Weiß ich, aber ...“
„Keine Chance. Tut mir leid. Und sie behalten wir zur Beobachtung noch eine Nacht hier. Sie sind mir etwas zu aufgekratzt nach der Sache.“
„Nein ich kann gehen. Ich muss morgen arbeiten.“
„Sie haben auch nicht wenig Blut verloren. Ich rate ihnen hier zu bleiben. Sie können natürlich ...“
„Jaja gegen den ärztlichen Rat. Ich kenne das Verfahren. Ich muss meinen Arbeitgeber anrufen, ich muss das klären.“
„Was gibt es da zu klären, sie sind verletzt. Wenn sie wollen, faxe ich denen die Liegebescheinigung rüber.“
„Das wäre gut. Ich möchte trotzdem noch mit einem Kollegen sprechen.“
„Das können sie nachher auf dem Zimmer.“
Luke wurde in ein Zimmer gebracht. Noch bevor er richtig zur Ruhe kam, klingelte bereits das Telefon in diesem Raum. Am anderen Ende war Henk.
„Luke? Was ist passiert? Ich habe eben zufällig das Fax in der Anmeldung liegen sehen, weil ich gerade dort vorbeikam. Wie geht es dir?“
„Alles ok. Ich habe nur eine Schnittverletzung am Hals. Alec geht es schlechter. Er ist auf der ITS. Aber ich darf nicht zu ihm.“
„Beruhige dich mal. Ganz langsam, was ist passiert?“
„Unwichtig.“
„Luke!“
„Ist egal echt, bis morgen! Ich kann und will nicht mehr reden heute.“
Am nächsten Tag entließ er sich auf eigenen Wunsch und machte sich auf den Rückweg Richtung Berlin. Kurz zuvor holte er Emily aus Alec's Wohnung. Die Vermieterin hatte ihm die Tür geöffnet.
Zerbrochen
Er musste die ganze Zeit an den Vorfall denken und machte sich Vorwürfe. Alec ist mal wieder dem Tod von der Schippe gesprungen und dieses Mal war Luke Schuld daran, dass er überhaupt in diese Situation gekommen war.
Luke hatte heute Dienst in der Notaufnahme und funktionierte wie ein Roboter. Henk bemerkte das natürlich und behielt ihn im Auge. Auch nicht unbemerkt blieb die Narbe an seinem Hals. In der Mittagspause saß Luke erschöpft an dem kleinen Tisch in der Ecke der Cafeteria und starrte zum Fenster hinaus. Henk kam mit seinem Tablett zu ihm, setzte sich ohne von Luke realisiert zu werden.
„Hey!“, versuchte er ein Gespräch zu beginnen.
Ein liebloses, schwaches „Hey“ kam von Luke, der ungeachtet weiter hinausschaute.
„Wie geht’s dir?“
„Mmmh muss ja.“
Wieder kehrte Schweigen ein. Luke hatte fast nichts gegessen, nippte nur ab und an an seiner Kaffeetasse, die er mit beiden Händen umschloss.
„Willst du nichts mehr?“, versuchte Henk erneut die Konversation anzuschieben.
„Kannst du haben, wenn du willst. Ich bin satt.“
„Du hast fast nichts gegessen.“
Keine Antwort. Gut dachte Henk, wenn es so nicht geht, dann direkt.
„Wo kommt die Narbe her?“
„Ich hab mich geschnitten.“
„Klar aus Versehen am Hals und so tief, dass es genäht werden musste?“
„Ja.“
Luke stand auf und ging. Henk blieb zurück, räumte die Tabletts weg und folgte dann schweigend.
Luke versuchte von seinem Handy aus das Krankenhaus, in dem Alec lag, anzurufen. Nachdem er einige Male abgeschmettert wurde, schaffte er es eine Ärztin ans Telefon zu bekommen. Er versuchte an Informationen über Alec zu kommen, wurde aber weiter abgewiesen. Der Patient wünsche keinen Kontakt, er sei nicht verwandt, man würde ihm keine Auskunft erteilen. Er versuchte am darauffolgenden Tag erneut, wurde jeden Tag wieder abgewehrt.
Aber Henk versuchte erneut zu ihm vorzudringen. Lukes Verhalten ließ ihm keine Ruhe.
„Hör mal Luke, du arbeitest wie ein Tier, machst alle Sonderschichten, die du abgreifen kannst, nervst mit deiner miesen Laune alle anderen. Wie lange soll das denn so weitergehen?“
„Lass mich doch arbeiten. Ich habe zu Hause doch niemanden zu versorgen ... niemanden mehr.“
„Luke, das heißt aber nicht, dass du dich hier selbst verheizen sollst.“
„Lass mich einfach in Ruhe, ja?“
Henk drehte sich ratlos um und ließ Luke stehen. Er wollte niemanden an sich ran lassen.
Abends zu Hause setzte er sich in seinen Sessel und streichelte Katze Emily, die schnurrend auf seinen Schoß gesprungen kam. Sie schenkte ihm ein wenig Trost, war sie doch ein Teil von Alec. Das schlanke getigerte Tier machte es sich auf Luke bequem, er kraulte sie und sprach mit ihr. In seiner Wohnung ist es still geworden, seit Alec weg ist. Beinahe gespenstisch. Niemand der da war, niemand der Essen machte, keine Einkäufe im Kühlschrank. Es hatte sich damals fast etwas wie Alltag eingeschlichen, jeder hatte seine Aufgaben. Alec erledigte alles zu Hause, Luke ging arbeiten. Nun waren sie wieder so jäh auseinandergerissen. Gewollt oder ungewollt? Es spielte keine Rolle, er war weg. Schon wieder. Emily brachte ein Stück von Alec zurück, das Luke schmerzlich an die Situation erinnerte. Die antike Standuhr in der Zimmerecke schlug kontinuierlich mit lautem Ticken weiter. Luke schloss die Augen, ließ seine Hand auf den warmen Körper der Katze sinken und seufzte.
Mit seinen Kollegen auf Arbeit sprach er kaum ein Wort, nur die dienstlichen Belange wurden abgearbeitet, private Gespräche gab es kaum. Henk hatte es nach einigen erneuten Versuchen aufgegeben, etwas aus ihm herauszukriegen. Entweder ging Luke wortlos oder gab kurze nichtssagende Antworten. Luke verkroch sich, war so wütend auf sich selbst, wütend auf Matti, wütend auf Alec. Er sprach mit niemanden, weder mit Linda noch mit Alec's Schwester. Wie konnte er nur so auf Matthias reinfallen? Warum hatte er es nicht bemerkt? Warum hatte er Alec's Wink nicht früher verstanden?
Alec war weiterhin im Krankenhaus sein Zustand war nicht stabil genug um ihn zu entlassen. Immer wieder kam irgendetwas dazwischen, er wurde bewusstlos, der Blutdruck fiel rapide oder andere Vitalfunktionen entsprachen nicht den Durchschnittswerten. Die Ärztin schaute relativ oft bei ihm vorbei, versuchte Gespräche zu beginnen, bekam aber fast nie Antworten.
Nachdem er in dem anderen Krankenhaus immer wieder als nerviger Anrufer abgewimmelt wurde, setzte Luke alles daran, eine private Telefonnummer der behandelnden Ärztin herauszubekommen. Das schaffte er dank dem Internet und einiger Kontakte auch recht schnell und rief sie an.
„Ja bitte?“
„Franklin, hallo.“
„Sie? Sie sind doch der, der die ganze Station tyrannisiert.“
„Ja genau der.“
„Was wollen sie von mir? Wo haben sie die Nummer her?“
„Ich will nicht viel von ihnen, ich möchte nur wissen, wie es Alec Wiek geht.“
„Darüber werde ich Ihnen wohl keine Auskunft geben. Das wurde ihnen schon mehrfach gesagt.“
Sie legte auf noch bevor Luke etwas sagen konnte. Er versuchte es erneut, immer und immer wieder.
Irgendwann ging sie nochmal genervt ans Telefon.
„Hören sie mal, wenn sie nochmal versuchen mich anzurufen, melde ich das der Polizei, das ist ja Belästigung!“
„Hören Sie mir bitte zu, bitte!“
„Warum sollte ich das tun?“
„Weil das helfen könnte ihren Patienten zu verstehen. Er ist sehr verschlossen oder? Er sollte sicher psychologische Hilfe bekommen, nach der Sache, und wollte sie nicht annehmen. Richtig? Er hat ...“ Luke sprach so schnell er konnte, hoffte dass sie nicht wieder auflegen würde und beschrieb Alec's Krankenbild detailgetreu.
„Woher wissen sie das alles?“
„Ich kenne ihn schon seit Jahren. Ich möchte gar nicht viel von ihnen, nur wissen wann er raus darf.“
„Ich kann ihnen das nicht sagen.“
Luke versuchte weiter sie zu bezirzen und schließlich gelang es ihm, sie so weit einzuwickeln und zu einem gemeinsamen Abendessen zu verabreden. Morgen Abend schon. Luke machte sich nach seiner Schicht sofort auf den Weg und kam gerade rechtzeitig vor dem Restaurant an. Die Ärztin wartete auf ihn. Eine kleine Frau, Ende fünfzig. Ihr volles welliges Haar ließ einige graue Strähnen durchblicken. Sie wirkte skeptisch, betrachtete den jungen Mediziner, musterte ihn eindringlich, war von seiner körperlichen Größe überrascht.
Sie begrüßten sich förmlich und sie sprach gleich weiter.
„So, ich weiß zwar nicht was das hier werden soll und warum ich mich darauf eingelassen habe, aber sie haben es ja geschafft, sich mit mir zu treffen bzw. mich dazu zu überreden.“
„Dafür möchte ich mich auch im Voraus schon bedanken. Ich will nur mit ihnen sprechen, mehr nicht. Kommen sie, ich lade sie natürlich ein.“
Luke schob sie mit einer Geste sachte in Richtung Eingangstür und folgte ihr. Der Kellner teilte beiden gleich ein beschauliches Plätzchen am Fenster zu. Ein hübsch dekorierter Zweiertisch. Luke griff sich als erstes den Salzstreuer und umspielte ihn nervös mit seinen Händen noch bevor der Kellner die Speisekarten verteilen konnte. Sie wählten schweigend, bevor sie das Wort ergriff.
„Warum?“
„Was warum?
„Warum wollen sie mir etwas erzählen? Wir kennen uns nicht. Sie haben mir nachspioniert, haben in der Klinik alle verrückt gemacht. Warum interessieren sie sich so für meinen Patienten? Sie scheinen ihn ja irgendwie zu kennen. War er ihr Patient? Sie sind doch Arzt oder? Ich habe auch schon recherchiert!“
„Ja richtig. Gegenfrage: Warum haben sie sich darauf eingelassen?“, lächelte Luke zum ersten mal seit langem und sprach ruhig weiter „Er ist mehr als ein Patient, er ist mein Partner.“
„Okay? Und dann will er sie nicht sehen? Zugegebenermaßen machte er, also ihr Alec, mich neugierig. Er war sehr seltsam, anders eben.“
„Ich bin Schuld daran, dass das passiert ist und ich muss es jemandem erzählen, jemanden der unabhängig ist. Ich weiß nicht, wie ich ihm gegenüber treten soll.“
„Er will sie ja auch gar nicht sehen.“
„Bitte sie müssen mir helfen. Sagen sie mir wenigstens wann er raus kommt. Ich muss ihn sehen.“
„Gut dann schießen sie mal los, erzählen sie mir das, was sie mir erzählen wollten. Danach werde ich entscheiden, was ich ihnen verrate und was nicht.“
„Gut!“
Luke begann zu erzählen, redete und redete. Die Dame ihm gegenüber atmete tief durch als Luke fertig war. Schaute ihn eindringlich an. Luke wich dem Blick aus. Inzwischen hatten sie auch aufgegessen.
„Ich glaube kaum, dass er sie sehen möchte. Ich meine nach so einer Geschichte? Und dass so was noch passieren muss, nachdem er schon soviel durchgemacht hat?“
„Ja, ich bin ein Idiot, ich weiß.“
„Manchmal trifft man halt falsche Entscheidungen, das hat nichts mit Idiot zu tun. Ich kann sie verstehen, also dass sie ihn sehen möchten. Ich bin fasziniert, wie sie sich kümmern. Dass sie immer wieder versuchen an ihn heranzukommen, zu ihm durchzudringen, auch wenn er nicht redet und scheinbar gar nicht will.“
Luke lächelte sie an. Zwischendrin kam der Kellner wieder, Luke bezahlte beiläufig. Sie nahmen ihre Jacken und gingen hinaus. Dann drehte sie sich zu ihm um.
„Es geht ihm gut, er hat sich erholt. Er darf morgen Nachmittag raus. Versuchen Sie es gegen vier, warten sie vorm Gebäude. Von mir wissen sie nichts! Ich will auch nichts mehr von ihnen hören oder sehen! Es war sehr nett sie kennenzulernen.“
Sie ging schnellen Schrittes davon, wissend, dass sie ihre Schweigepflicht verletzt hat, Luke warf noch ein 'Danke' hinterher und lächelte in sich hinein, schaute dann auf seine Uhr. Höchste Zeit zurückzukehren. Er war so spät dran, dass er gleich zur Klinik durchfahren konnte. In der Pause hatte er schwer damit zu tun sich wach zu halten. Henk beäugte ihn nur und stöhnte leise kopfschüttelnd.
Nach der Arbeit machte Luke sich sofort auf dem Weg zu Alec. Er kam pünktlich, stand dreiviertel vier vor dem Krankenhaus. Wartete neben dem Haupteingang. Jedes Mal, wenn die Tür auf ging wurde er aufmerksam, schaute, wer heraus kam. Der Zeiger rückte weiter, nichts passierte. Hatte er ihn verpasst, war er doch zu spät gekommen? Dann könnte er noch zur Wohnung gehen. Noch während er darüber nachdachte, kam ihm Alec aus der Tür entgegen. Luke schaute ihn eindringlich an, Alec erwiderte den Blick, lief weiter.
„Was willst du hier?“
„Dich sehen.“
„Das hat du ja nun.“
„Alec nun bleib doch mal stehen“, griff Luke ihn am Arm.
„Lass mich los“, zischte Alec und lief schnelleren Schrittes weiter.
„Kannst du mir mal zuhören?“
„Nein, jetzt hörst du mal zu. Wegen dir passierte dieser Mist, weißt du eigentlich was ich für eine Angst hatte? Dein Liebster kam reingeschwirrt, packte mich, bedrohte mich. Dann kamst du und alles eskalierte nur noch mehr. Vielen Dank auch. Meinst du nicht, ich habe genug erlebt?“
„Alec, lass mich das doch mal erklären.“
„Da gibt es nichts zu erklären, hau einfach ab. Geh!“, brüllte Alec ihm auf offener Straße entgegen. Ein paar Tauben saßen auf den Dächern, gurrten. Ansonsten schien in diesem Moment die Zeit stillzustehen, keine Menschen, keine Autos. Luke schaute Alec an, der sich inzwischen zu ihm gewandt hatte, und nickte stumm.
Alec kniff die Augen zusammen, fasste sich kurz an die Stirn, ließ seine Hand dann übers Gesicht gleiten und ging. Luke stand allein auf dem Gehweg, schaute ihm nach. Alec war mager, sah sehr geschafft aus. Seine Wangenknochen waren mehr denn je zum Vorschein gekommen, der Blick fahl. Er hatte ein zu großes T Shirt an und wirkte darin noch abgemagerter als zuvor. Luke akzeptierte Alec's Worte und folgte ihm nicht. Erst Wochen später sollten sie sich wiedersehen.
Licht ins Dunkel
Luke hockte sich neben Alec, der zusammengekniet am Ufer saß und kleine Steine ins Wasser warf. Er sagte nichts. Alec schaute nur kurz herüber.
„Wie hast du mich denn gefunden?“, murmelte er beiläufig.
„Deine Nachbarin.“
„Die weiß aber auch alles“, bemerkte Alec spitz.
„Du bist wohl immer noch gern am Wasser?“
„Mmh.“
Dann starrten beide gemeinsam aufs Wasser und schwiegen sich an.
„Hör mir einfach zu, ja?“, fragte Luke und bekam keine Antwort. Alec hatte stattdessen ein paar Grashalme in der Mangel und zerriss sie sorgfältig in kurze, gleich lange Stückchen.
„Ich war sehr traurig, dass ich nicht zu dir durfte, dass du meinen Besuch nicht geduldet hast, als du im Krankenhaus warst. Sabrina hätte dich auch gern gesehen.“ Luke wartete auf eine Reaktion. Als keine folgte sprach er weiter: „Ich habe Matthias damals kennengelernt, als du das zweite Mal entführt wurdest. Du hast nicht viel mitbekommen da du apathisch warst. Das war ja auch kein Wunder. Ich war wegen der Übergabe dort und die Polizei sicherte die Sache ab. Ich hatte auch kaum etwas dabei, um dich entsprechend zu versorgen. Die Typen hatten dich in einem Kellerraum eingesperrt. Ich bin gleich los gerannt, Matthias hinterher. Dann stand er dumm daneben und ich schrie ihn an, dass er eine Decke holen soll und den Rettungswagen ordern. Er hat deinen Kopf dann noch gehalten.“
Alec hörte zu, schaute Luke aber nicht an und zerteilte weiter mit fast perfektionierter Übung die Grashalme.
„Während du im Krankenhaus warst kam er oft vorbei und erkundigte sich nach dir. Und du warst erst im künstlichen Koma, dann warst du wieder wach und sprachst mit niemanden. Nur ich konnte dich behandeln, aber auch mit mir hast du nicht gesprochen. Und du bist mir in dieser Zeit so fremd geworden. Da entwickelte sich etwas mit Matthias. Als du dann zu Hause warst hattest du ja schnell mitbekommen, dass da was mit einem anderen läuft. Dann kannst du dich ja sicher noch an unsere Auseinandersetzung vor meinem Unfall erinnern. Er versuchte weiter mich zu sehen, bevor ich ihm dann endgültig den Laufpass gab und anfing dich zu suchen. Ich habe dich schon vorher gesucht. Auch mit seiner Hilfe, da er meinte, er würde es über die Polizei einfacher haben, dich zu finden. Inzwischen weiß ich, dass er mich angelogen hat. Ich war auch nicht richtig glücklich, als ich mit ihm zusammen war. Ich hatte immer nur dich im Kopf, Alec. Mit ihm das war nur ... das war nur Sex. Ich liebte ihn nicht.“ Luke schaute ihn eindringlich an, wartete auf eine Reaktion. Vergebens. Alec zerteilte noch immer die Grashalme und starrte diese an.
„Sprichst du mit mir?“, nahm Luke den nächsten Anlauf. Es kam keine Reaktion. Luke blieb ruhig sitzen und sah weiterhin aufs Wasser, zwischendurch musterte er Alec einige Male. Nach etwa einer Stunde still nebeneinandersitzen, versuchte Luke es nochmal. Er stand auf, legte Alec die Hand auf die Schulter, woraufhin er sich verspannte und zusammenzuckte und verabschiedete sich.
Alec kehrte verwirrt nach Hause zurück. Er hatte Luke einen langen Vorsprung gegeben um sicherzugehen, dass er wirklich weg war. Im Hausflur fand er an seinem Türknauf eine Tüte. Er schaute vorsichtig herein. Luke hatte ihm die Tabletten mitgebracht und dort hinterlassen. Er versorgte ihn regelmäßig damit, schickte sie per Post oder hinterließ sie irgendwo. Seit er gesehen hatte, dass es ihn so schlecht dort ging. Alec lächelte leicht und ging in seine Wohnung. Er lag auf seiner Couch nicht in der Lage die Augen zu schließen und spielte mit der Medikamentenschachtel herum. Er wollte gern nach Berlin zurück, aber er wollte Luke nicht mehr im Wege stehen.
Schmerzhaftes Wiedersehen
Die Landschaften zogen an ihm vorbei. Bäume und Häuser lagen ruhig am Rand der Bahnstrecke. Er hatte es gewagt sich in den Zug zu setzen und in Richtung Berlin zu fahren. Er wusste nicht, was ihn erwartete. Seit dem Tag am Ufer des Flusses damals hat er nie wieder etwas von Luke gehört. Alec hatte jeden Kontakt unterbunden, selbst zu seiner Familie. Luke schickte ihm allerdings weiterhin wortlos die Medikamente zu. Ohne weitere Nachrichten, immer schlicht verpackt in einem weißen Umschlag ohne Absender. Er wusste ja woher sie stammen. Für die stundenlange Zugfahrt hatte er sich ein Buch mitgenommen. Er hatte sich einen Einzelplatz gesucht, um die Nähe zu Anderen zu vermeiden und blickte nur ab und an auf. Ansonsten hatte er sich in seinem Buch vergraben.
Der Zug fuhr in den Berliner Hauptbahnhof ein. Heute muss irgendwo ein Fußballspiel sein, die Bahnsteige waren voll von grölenden Fans. Alec betrat den Berliner Boden und ging zügig an den hausierenden Gruppen vorbei. Quer über den Bahnhof, die Rolltreppen hinauf, unbeeindruckt von der Werbung die überall hing. Oben auf dem S-Bahn-Gleis angekommen, wartete er in aller Ruhe und starrte die Bombardier Werbung an. Wie oft hatte er den Schriftzug „Willkommen in Berlin, Bombardier“ bereits gesehen. Nie waren seine Empfindungen dabei so intensiv wie jetzt. Bald würde er Luke wiedersehen. Würde er? Er wusste ja gar nicht, wo er ihn findet. Sein erster Anlaufpunkt ist natürlich die Klinik. Er wusste, dass Luke viel arbeitet und das hatte sich vermutlich nicht geändert seit er weg ist. Er wollte ihn auch vorher nicht anrufen.
Als er in Marzahn ankam, stand er kurz vor dem Klinikgebäude und starrte es an, bevor er es betrat. Er ging sofort in Richtung der Chirurgie und fragte dort nach Luke. Die Schwester am Empfang schaute ihn kurz an, dann wieder auf ihre Unterlagen „Heute ist keine Sprechstunde mehr.“
„Ich möchte zu keiner Sprechstunde.“
„Kann Ihnen jemand anderes helfen?“
„Nein, ich möchte nur zu Dr. Franklin.“
„Heute ist keine Sprechstunde mehr“, antwortete die junge Dame mit schroffen Ton und schaute wieder zu Alec auf.“
„Aber ...“
„Kommen Sie doch morgen wieder, wenn ihnen kein anderer Arzt helfen kann.“ Man merkte ihr die schlechte Laune deutlich an. Alec wurde immer vorsichtiger, fast lautlos, blieb aber vor dem Empfang stehen und schaute sein Gegenüber eindringlich an, sein Bein begann zu zittern. Konnte nicht alles glatt laufen? Sein Gegenüber seufzte.
„Gut. Ich sage ihm Bescheid, das kann aber dauern, falls er in einer Behandlung ist.“
„Kein Problem, ich kann warten“, erwiderte Alec und setzte sich erleichtert weit entfernt vom Empfang in den Gang. Ihm schossen beim Warten wieder Gedanken durch den Kopf. Wollte er ihn überhaupt noch? War er inzwischen glücklich mit jemand anderen?
Die Zeit verging, Alec saß gelangweilt auf einem der Stühle und schaute sich die vorbeilaufenden Personen an. Haften blieb sein Blick beim Umherschauen nur kurz an der Tür eines Behandlungszimmers. Wie oft musste er dort schon rein? Er vermochte es gar nicht mehr zu zählen. In der Zwischenzeit machte sich die Dame vom Empfang auf den Weg um Luke zu suchen, da in der betreffenden Station niemand ans Telefon ging und ihre Ablösung schon bereit stand. Sie stolperte als erstes Henk über den Weg.
„Kannst du mir sagen, wo Luke ist. Da wartet jemand auf ihn.“
„Dann muss derjenige warten, er in noch in einer OP.“
„Ja, ich weiß nicht, aber der kommt mir bekannt vor. Hier rennen ja täglich viele Leute rum, aber er sieht aus wie der eine Patient, der so oft hier war. Einer sagte mal, das sei Lukes Freund. Ich kanns noch immer nicht fassen, dass er schwul sein soll. Zu schade für die Frauenwelt.“
„Du weißt doch, alle guten Männer sind schwul oder vergeben“, grinste Henk und fuhr fort „Ach der von damals kommt nicht her, das ist doch schon lange vorbei. Wusstest du das nicht?“
„Naja, Luke spricht ja kaum noch mit uns, seit er sich geoutet hat. Keine Ahnung warum. Die meisten haben es ja doch eher positiv aufgenommen.“
„Ja das liegt aber nicht daran. Er ist in letzter Zeit nicht gut drauf.“
„Die Zeit hält aber lange an.“
„Ja leider. Brauchst du nicht zu ernst nehmen. Ich gebe ihm Bescheid, dass jemand wartet, sobald er aus dem OP raus ist.“
Sie bedankte sich und machte sich auf den Rückweg. Gespräche zwischen ihm und Luke waren selten geworden. Luke vergrub sich wieder in seine Arbeit. Sobald er Feierabend hatte, war er auch für keinen der Kollegen mehr erreichbar. Selbst Henk schaffte es nicht an ihn heranzukommen. Luke vermied die Gespräche oder redete sich heraus. Das letzte längere Gespräch hatten die beiden nachdem Luke aus dem Krankenhaus mit der Schnittwunde am Hals zurückkehrte. Klar wollte Henk wissen, was passiert war. Die Zeit danach wurde Luke verschlossener. Er durfte Alec dort im Krankenhaus nicht sehen, da er keinen Besuch wollte. Das letzte Treffen am Fluss verlief nicht wie geplant. Alec sprach kein Wort mit ihm, was ihn sehr mitgenommen hatte.
„Luke da ist Besuch für dich“, fing Henk ihn ab, als er aus dem OP kam.
„Ich hab keine Zeit, soll morgen wieder kommen.“
„Ich weiß nicht. Ich soll es dir nur ausrichten. Du solltest vielleicht einfach mal nachschauen. Wie lief die OP?“
„Bestens. Ich habe heute aber keine Zeit mehr, morgen früh ist Sprechstunde, da ist genug Zeit“, antwortete Luke schroff.
„Geh doch einfach mal hin. Schnauz mich nicht an, ich kann nichts für deine schlechte Laune, Luke“, konterte Henk leicht säuerlich.
„Tut mir leid, das geht nicht gegen dich.“
„Das weiß ich, aber du solltest mal wieder zur Normalität zurückkehren.“
„Wo wartet der Patient?“, fragte er genervt.
„Unten am Empfang.“
Luke zog sich die OP Kleidung aus, schaute auf den Dienstplan während er in seinen Kittel schlüpfte. Kurz hatte er scheinbar Zeit, verriet die Patiententafel. Er eilte die Treppe herunter und schlenderte dann den langen Flur entlang. Alec saß mit gesenkten Blick auf dem Stuhl und wartete noch immer.
Lukes schneller Schritt wurde ruckartig langsamer, als er den Wartenden zu erkennen glaubte. Im selben Augenblick schaute Alec auf, erblickte Luke und erhob sich. Er wusste gar nicht, wo er hinschauen sollte. Wurde verlegen, seine Aufregung steigerte sich und ließ ihn nervös werden.
Luke blieb etwa zwei Meter vor ihm stehen, sie standen sich gegenüber und schauten sich wortlos an. Alec's Gesichtsausdruck war leicht lächelnd, aber er war blass, fühlte sich etwas unwohl in dieser Situation. Luke wusste kaum, wie er reagieren sollte, legte sich Worte zurecht und verwarf sie gleich wieder. Für die beiden kam es vor wie Minuten, für Außenstehende waren es Sekunden bis sie sich endlich umarmten und Luke Alec fest an sich drückte.
„Was machst du hier?“, flüsterte er ihm ins Ohr.
„Zurückkommen.“
Luke löste die Umarmung schnell und drehte sich von Alec weg.
„Warum?“, fragte Luke nachdenklich, innerlich aufgewühlt.
„Ich weiß nicht“, erwiderte Alec. „Ich vermisse dich.“
„Dann geh wieder. Ich kann das nicht. Du lässt mich fallen, redest nicht mehr mit mir und dann stehst du hier einfach da. Ich kann das nicht. Ehrlich, hau ab!!“
Im selben Moment ging Lukes Pieper, rettend in dieser Situation. Alec blieb wie versteinert zurück und schaute Luke, der sich schnellen Schrittes entfernte, nach.
„Luke?“, rief er hinterher. Der machte mit dem rechten Arm nur eine abwinkende Geste und drehte sich nicht noch einmal um.
Alec verließ das Gebäude und handelte kurzentschlossen. Alles was er sich sagte war „Wenn ich deine Aufmerksamkeit so nicht bekomme, dann anders“, und rannte in den fließenden Verkehr. Eines der Autos erfasste ihn und schleuderte ihn auf die Fahrbahn. Alec wurde sofort ins Klinikum gebracht und behandelt. Behandelt wurde er von einem Kollegen von Luke.
„Sag mal bist du noch ganz richtig im Kopf? Ich fasse es nicht Alec, warum machst du so was? Was sollte das?“, brüllte Luke ungehalten. Alec war wach und auf ein Einzelzimmer gebracht worden.
„Kannst du bitte aufhören so zu schreien?“, winselte Alec und kniff die Augen zusammen. Sein Kopf fühlte sich an, als wenn jemand tausende Nägel hereinschlagen würde. Er stöhnte laut auf und verzerrte sein Gesicht vor Schmerzen.
„Nein, ich bin stinksauer. Man du hättest tot sein können. Warum machst du solchen Scheiß?“
„Unkraut vergeht nicht“, flüsterte Alec vor sich hin.
„Noch so einen Spruch und ich vergesse mich Alec! Echt! Hast du das gemacht, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen? Ich fasse es nicht. Tickst du nicht ganz richtig?“
Alec kannte Luke so nicht und mit diesen Ausdrücken konnte er ihn kaum in Einklang bringen. Sonst so wohlerzogen, kam jetzt ein ruppiger junger Mann zum Vorschein. Die Angst in seinen Augen war ungewohnt, das Gesicht verhärtet. Ungehalten brüllte er weiter. Im selben Moment betrat Henk den Raum.
„Ich bin dir doch eh scheißegal“, wisperte Alec.
„Hör auf damit!“, schrie Luke weiter und hatte es schwer die Fassung zu behalten.
„Luke komm runter“, besänftigte Henk ihn, der die Situation kurz beobachtet hatte und fasste ihm auf die Schulter.
„Na ist doch wahr“, brabbelte Luke und war im Begriff das Zimmer wutentbrannt zu verlassen. Henk hielt seinen Arm vor Luke und stoppte ihn „Hiergeblieben!“
„Ihr beide reißt euch jetzt mal zusammen und redet miteinander, sonst platzt mir hier bald der Kragen. Du, Luke hast seit Wochen, nein Monaten übelste Laune, sprichst mit keinem mehr und nörgelst alle nur voll. Ständig jammerst du, dass dir dein Alec fehlt. Kaum ist er zurück, meinst du ihn nicht sehen zu wollen, weil du bockig wie ein kleines Kind bist.“ Dann drehte er sich leicht nach rechts und fixierte Alec „Und du Alec, machst solchen Scheiß nie wieder, als wenn deine Knochen nicht schon kaputt genug sind. Normal mit Luke sprechen und nicht vor irgendwelche Autos rennen und sich verletzten zu lassen, wäre auch eine Möglichkeit gewesen. Ich bin doch nicht im Kindergarten hier!“ Bestimmt aber mit Nachdruck verlieh Henk seiner Stimme einen scharfen Ton, der die beiden erschüttern ließ. Dann verließ er den Raum.
Arzt und Patient blieben zurück. Luke stand an das Waschbecken gelehnt mit verschränkten Armen. Sein Körper zeigte in Richtung Alec, sein Blick befand sich an der Decke. Alec lag ruhig im Bett. Durch die Manschette an seinem Hals war es ihm unmöglich seinen Kopf auch nur in irgendeine Richtung zu drehen.
Nach minutenlangem Schweigen ergriff er das Wort.
„Das war eine Kurzschlusshandlung, ich wollte das nicht. Außerdem fuhren die dort eh langsam.“
Luke reagierte nicht.
„Komm bitte zu mir Luke, ich kann dich nicht richtig sehen.“ Keine Reaktion.
„Luke bitte.“
Als er noch immer unverändert dastand, versuchte Alec sich aufzusetzen. Die Schmerzen ließen ihn plötzlich tief einatmen und aufschreien. Dann wollte er versuchen aufzustehen und kippte dabei nach vorn.
„Man bist du verrückt! Hinlegen!“, brüllte Luke und stürmte auf ihn zu, um ihn aufzufangen. Er konnte ihn gerade greifen, bevor er auf den Boden gefallen wäre und rutschte dabei mit dem rechten Fuß weg. Alec landete sanft auf Luke. Luke mit der Hüfte unsanft auf dem Boden. Wie es der Zufall wollte, kam Henk wieder herein. Eigentlich in der Erwartung, dass die beiden sich bereits unterhalten hatten.
„Was macht ihr denn hier?“, fragte er erstaunt, als er die beiden dort so liegen sah.
„Hilf mir lieber und frag nicht so blöd!“, schnauzte Luke ihn an.
„Er wollte Aufstehen und verlor das Gleichgewicht“, murmelte er hinterher. Henk half Alec zurück ins Bett. Alec wimmerte jäh auf, Schmerzenstränen in den Augen. Luke war in der Zwischenzeit aufgestanden und stand regungslos daneben. Hielt sich mit der rechten Hand die Hüfte und stöhnte kurz.
Henk holte tief Luft. „Du gehst nach Hause“, sagte er an Luke gewandt und drehte sich dann wieder zu Alec.
„Und du mein Freund, bewegst dich keinen Millimeter mehr, sonst werde ich richtig wütend! Wir haben auch andere Möglichkeiten dich hier festzuhalten. Ich glaube kaum, dass du die ausprobieren möchtest.“
Luke stand weiter wortlos daneben.
„Hau schon ab“, meckerte Henk ihn an und schob ihn Richtung Tür vor sich her. Draußen riss er ihn nochmal an der Schulter zu sich herum.
„Schau mich mal an Luke.“ Luke blickte mit rotunterlaufenen Augen hoch.
„Na gut. Ich bring dich nach Hause.“ Glücklicherweise kam den beiden auf den Weg aus dem Gebäude niemand entgegen, der die Situation hätte mitbekommen können. Henk bemerkte Lukes schmerzvollen Gang.
„Was ist los?“
„Ich bin eben auf die Hüfte gefallen, als ich Alec auffing. Genau auf die Stelle, wo ich seit dem Unfall eh einige Probleme habe.“
„Sollten wir uns das näher anschauen?“
„Nein, nein lass mal. Wird schon wieder. Ist bloß gerade sehr schmerzhaft.“
„Wie du willst“, antwortete Henk und passte seinen Schritt etwas langsamer an.
Als er ihn bis zur Wohnungstür gebracht hatte, wartete Henk bis Luke die Tür aufgeschlossen hatte und folgte ihm dann. Luke drehte sich verwirrt um.
„Was issn los? Ich merke doch die ganze Zeit, dass du was auf dem Herzen hast. Aber du kapselst dich ja total ab“, fragte Henk einfühlsam. „Du bist so verliebt in den Kerl oder?“
Luke nickte, biss die Lippen zusammen.
„Ist ja gut. Völlig normal“, flüsterte Henk und nahm ihn in den Arm. Er kam sich dabei etwas seltsam vor, verharrte aber in dieser Position. Er wusste dass Luke jetzt jemanden zum reden brauchte.
„Warum macht er so was mit mir, was soll das?“, schluchzte der.
„Mensch Luke du bist aber auch nicht viel einfacher. Da will er zurückkommen und du schickst ihn weg. Es ist ja nicht viel passiert“, erwiderte Henk und löste die Umarmung. Die beiden setzten sich ins Wohnzimmer. Luke sah aus wie ein Häufchen Elend und spielte mit seinen Fingern. Emily umschlich freudig seine Beine.
„Ihr habt nicht geredet oder?“, fragte Henk und schaute ihn eindringlich an. Luke schüttelte den Kopf
„Ich konnte nicht. Ich muss erst mal wieder runterkommen. Ich kam mir vor, als wenn er mit mir spielt. Redet ewig nicht mit mir und auf einmal steht er da. Ich wusste echt nicht weiter. Zwischen Freude und Ärger waren da alle Gefühle vertreten in dem Moment.“
„Ihr seid euch doch aber in die Arme gefallen, als er kam?“
„Schon und es fühlte sich gut an. Ich bin danach einfach ausgerastet. Ich habe mich ja selbst kaum erkannt. Eigentlich habe ich mir genau das gewünscht, dass er einfach wiederkommt.“
„Und jetzt hast du es. Luke, der ist aus Verzweiflung auf die Straße gerannt, völlig kopflos. Er hat nicht mit deiner Abweisung gerechnet, er stand selbst unter Schock.“
„Aber die hätten ihn totfahren können! Was hätte alles passieren können. Ich habe echt Angst, wenn er dauernd solche Sachen macht! Das macht mich krank.“
„Das wird er nicht mehr, wenn alles wieder in geordnete Bahnen kommt. Er kam doch jetzt auch alleine klar. Hätte er wirklich sterben wollen, hätte er das vorher schon erledigt. Schlaf erst mal Luke und werde dir klar, was du möchtest. Möchtest du ihn, oder möchtest du ihn nicht und dann solltet ihr morgen reden, dann wird es Alec auch besser gehen. Er hat ja Glück gehabt. Das Auto fuhr sehr langsam und hat ihn kaum erwischt.“
„Aber er hat Schmerzen.“
„Ja das war so geplant. Ich hab ihn mit Schmerzmitteln knapp gehalten, dass er ruhig liegenbleibt. Ganz leichte Gehirnerschütterung und zahlreiche Prellungen.“
Luke mied in den nächsten Tagen Alec's Zimmer. Schließlich begab er sich zu ihm.
„Soll ich deine Eltern informieren?“
„Was?“, fragte Alec völlig verschlafen.
„Ob, ich deinen Eltern sagen soll, dass du hier bist.“
Alec schüttelte benommen mit dem Kopf.
„Nein, nein mir reicht es, wenn du mit mir sprechen würdest.“
„Falls du möchtest ...“, begann Luke und ging dichter an Alec heran, „... nehme ich dich heute Abend mit nach Hause. Also nur falls du noch möchtest. Ich denke wir habe beide genug Fehler gemacht, aber ich weiß auch, dass ich nicht nochmal möchte, dass du einfach verschwindest. Ich habe dich wirklich sehr vermisst, Alec. Ich wusste das ja nicht mit Matthias. Ich hätte früher schalten sollen, als du damals diese Anmerkung machtest, aber ich habe es echt nicht verstanden. Du hättest es mir vermutlich deutlich sagen müssen. Mich mit dem Kopf draufstoßen. Ich wusste nicht, dass er dazu fähig war und ich wusste nicht, dass er dich erpresst hat.“
„Ich hatte Angst um dich, deshalb habe ich nichts gesagt. Er hat mir gedroht. Und ich habe lange gebraucht das irgendwie zu verarbeiten. Ich wollte nicht, dass du wegen mir schon wieder Ärger hast. Aber als er mir wirklich etwas tun wollte, warst du da. Als ich dich brauchte, warst du wieder da Luke. Und du hast ständig an mich gedacht, du hast mir Karten geschrieben, du hast mir die Medikamente geschickt. Und du wurdest ja selbst von ihm verletzt. Hast du danach nochmal was von meiner Schwester gehört?“
„Nein. Ich dachte sie war dich besuchen?“
„Nein, ich wollte niemanden sehen, ich bin danach umgezogen, ich wollte mich unsichtbar machen. Ich habe dann wieder angefangen zu malen, den Job gekündigt. Ich war sehr einsam und dann wollte ich zu dir zurück. Ich habe auch versucht dich vorher anzurufen. Du bist nicht ans Telefon gegangen.“
„Ja unterdrückte Nummer ... da gehe ich selten ran, das weißt du aber.“
„Ja.“ Alec machte eine Pause. „Wenn du mich nicht mehr willst, muss ich das verstehen. Du warst die ganze Woche nicht hier.“
„Ich musste nachdenken, mit mir selbst klar kommen. Und hör auf solchen Quatsch zu reden, du kommst wieder mit nach Hause. Unter einer Bedingung.“
„Die wäre?“
„Du machst eine Therapie. Das meine ich ernst. Ich möchte einfach, dass es dir besser geht. Eine Tagestherapie reicht auch, abends und nachts bist du dann zu Hause.“
„Luke, ich will das nicht!“
„Alec du weißt ...“, wollte Luke ausholen, als ihm sein Freund ins Wort fiel.
„Ja.“
„Was ja?“
„Ist in Ordnung, ich mache es.“
„Wirklich?“, fragte Luke überrascht und ungläubig.
„Ja, versprochen!“
Luke küsste ihn flüchtig auf die Stirn.
Alec blickte Luke hinterher. Er beobachtete jeden Schritt bis die Tür ins Schloss fiel.
Heimkehr
Luke öffnete die Tür seiner Wohnung und hielt sie für Alec auf.
„Willkommen zu Hause“, meinte er beiläufig und schloss die Tür wieder. Alec stand regungslos etwas verloren im Flur und schaute sich um.
„Was ist los?“, sah Luke ihn eindringlich an „Ich war so lange nicht hier. Du hast gar nichts verändert, oder?“
„Doch, doch. Geh mal ins Schlafzimmer.“
Alec schaute und blieb wie angewurzelt stehen. Schon kam Emily angerannt und begrüßte ihn miauend.
„Sie ist bei dir? Oh Gott, Luke ich dachte sie ist damals weggerannt nach der Sache. Ich dachte schon ...“
„Nein ich hatte sie mitgenommen, um sie zu versorgen. Ich hatte danach ja kaum Chancen dich darüber zu informieren und so richtig wolltest du ja auch nicht hören, was ich dir zu sagen hatte. Egal. Nun geh schon richtig rein.“
Er setzte sich in Bewegung und öffnete vorsichtig die Tür. Der große Raum war lichtdurchflutet, so wie es immer um diese Tageszeit gewesen war, wenn de Sonne schien. Alec atmete tief durch, bevor er den Raum betrat. Der gewohnte Geruch nach Holz ließ ihn sich gleich wieder heimisch fühlen. Der antike Eichenschrank wirkte wie ein Fragment vergangener Zeiten in den sonst so modern eingerichteten Zimmer. Alec sah sich um und erblickte die Bildergalerie an der linken Wand. In silber umrandeten Glasrahmen hingen seine Zeichnungen an der Wand. Schön angeordnet bildeten sie in der Zimmerecke mit dem großen Ficus eine beschauliche Einheit. Luke hatte sonst nur Bilder von Künstlern an den Wänden, die spartanisch daherblickten. Einzelstücke perfekt angeordnet. Dagegen wirkte die Ansammlung von Alec's Bildern nun doch beinahe störend.
„Was hast du gemacht?“
„Deine Bilder aufgehangen.“
„Aber die sind niemals soviel wert, wie die die du sonst an deinen Wänden hast.“
„Alec sie sind mir sehr viel mehr wert als alle anderen Kunstwerke. Sie waren das Einzige, was mir geblieben ist, nachdem du den Kontakt abgebrochen hattest.“
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“
„Gar nichts“, flüsterte Luke ihm ins Ohr, als er ihn von hinten umarmte und sein Kinn auf Alec's Schulter legte. Seine Hände schloss er vor dem Bauch und zog seinen Freund an sich heran, während sie die Bilder betrachteten.
„Aber die Bilder sind so niederschlagend, das passt gar nicht in deine Wohnung.“
„Das lass meine Sorge sein. Es ist unsere Wohnung. Ich kann die Bilder auch wieder abnehmen, wenn es dir unangenehm ist?“
„Nein, nein! Lass sie genau dort, wo sie sind. Das gefällt mir.“
Alec genoss den Körperkontakt und sog die Wärme, die Luke ihm übertrug, förmlich auf. Er legte seinen Kopf zurück, schloss die Augen. „Lass mich jetzt nicht los Luke.“
„Ich lasse dich nie wieder los, Alec.“
Nach einer Weile, welche die beiden eng umschlungen verbrachten, löste Luke die Umarmung und schickte Alec ins Bett.
„Tut mir leid, ich muss noch weg mein Lieber.“
„Wohin denn?“, fragte Alec neugierig und etwas misstrauisch. Schließlich waren sie gerade erst nach Hause gekommen. Luke hatte endlich Feierabend. Alec sehnte sich nach Zeit zu zweit und schon war Luke wieder auf und davon. Er ließ die Frage beinahe unbeantwortet und lächelte nur.
Versöhnung mit dem eigenen Ich
„Willst du das wirklich machen?“
„Ja will ich!“, antwortete Luke entschlossen.
„Aber du weißt doch was passieren wird.“
„Ich kann es mir denken. Aber ich möchte noch einmal versuchen mit ihnen zu reden. Sie haben mich total fallengelassen. Ich habe seit dem Geständnis in Berlin damals nicht mehr von ihnen gehört. Nur halt diese proforma Besuche im Krankenhaus damals.“
„Und warum soll ich mit? Sie hassen mich. Ich bin doch angeblich der Grund dafür, dass du schwul bist. Dann schmeißen sie dich sofort raus.“
„Lass uns einfach Urlaub machen. Wir versuchen es einen Tag und die restliche Zeit haben wir nur für uns allein. Dann habe ich endlich mal Zeit für dich.“
„Wenn du weniger arbeiten würdest, hättest du auch mal mehr Zeit.“
„Ja ich weiß. Aber nach der Weiterbildung jetzt ist erst mal Schluss, dann habe ich auch mehr Zeit. Und wenn wir wieder zu Hause sind noch eine Überraschung für dich.“
„Was denn?“
„Bleibt geheim. Gedulde dich einfach.“
Alec murrte kurz und hob die Tasche ins Auto. Luke griff ihm kurz unter die Arme, bevor sie einstiegen und sich auf den Weg nach Stuttgart machten.
„Du bist müde, oder? Eigentlich ging es dir die letzten Tage doch schon besser.“
„Ja, es wird. Aber irgendwie kann ich kaum schlafen, wenn du nicht da bist. Ich bekomme Angst.“
„Aber wovor? In der Wohnung ist dir doch nie etwas passiert? Und es kann niemand reinkommen.“
„Weiß ich doch Luke. Ich habe keine Ahnung warum.“
„Sollen wir mal schauen, dass wir deine Medikamente nochmal anders einstellen?“
„Oh Luke, lass es. Ich hab da keinen Bock drauf. Beim letzten Mal gings mir einfach nur dreckig während der Umstellung.“
„Ist ja gut, war nur eine Idee.“
Alec schaute aus den Seitenfenster und versuchte es sich auf dem Beifahrersitz so bequem wie möglich zu machen. Endlich sicher und beruhigt schlafen. Luke schaute während der Fahrt einige Male zu seinem schlafenden Beifahrer und lächelte in sich hinein. Und das wo die Stimmung derzeit eigentlich leicht gekippt war.
„Hey aufwachen, wir sind da!“
„Was, wo?“, fragte Alec schlaftrunken und schaute zu Luke.
„In Stuttgart beim Hotel, komm schon. Nur wir beide, mein Handy ist aus. Wir haben unsere Ruhe und ich habe Zeit für dich.“
„Du musstest dich schon ständig um mich kümmern und soviel Zeit investieren, die du gar nicht hattest.“
„Ja, aber das war nur immer zwischen schlafen und arbeiten. Ich werde das ändern, Alec. Das verspreche ich dir. Wir müssen mal mehr Zeit miteinander verbringen und das ist der Anfang. Morgen schauen wir uns die Stadt mal an und gegen Abend wagen wir es dann.“
„Willst du das wirklich, du weißt doch, wie sie reagieren werden?“, fragte Alec wiederholt unsicher, während beide gemeinsam die Taschen aus dem Kofferraum nahmen und Richtung Eingang schlenderten.
„Dann habe ich es versucht,oder? Und wenn es nicht klappt, muss ich den Schlussstrich ziehen bzw. alles so akzeptieren. Dann ist es einfach so.“
Luke versuchte alles locker zu sehen, doch sein Freund wusste, dass er nicht so locker war, was dieses Thema anging.
Den nächsten Tag verbrachten beide gemeinsam. Nach einem ausgiebigen Frühstück, zeigte Luke seinem Freund Teile seines früheren Lebens und erzählte viel. Alec hörte gespannt zu und freute sich seinen Freund endlich mal für sich zu haben. Nicht über Akten und Büchern brütend, nicht am Telefon und nicht im Kittel im Krankenhaus. Einfach mal richtig privat nur für sich. Ähnlich wie damals beim Wochenende an der Ostsee, das inzwischen viel zu lange her war und auch nicht ganz reibungslos ablief. Das wird es auch dieses Mal nicht, aber dieses Mal wird Alec nicht der Schuldige sein.
„Wow, das ist dein Elternhaus?“
„Ja. Ganz schön groß oder? Meine Eltern hatten schon immer Geld. Aber das allein macht nicht glücklich. Kein Zweifel mir ging es zwar gut, aber wenn man eigentlich mehr vom Kindermädchen beaufsichtigt wird, als seine eigenen Eltern zu Gesicht zu bekommen, ist das nicht sehr schön. Es herrschte immer eine kalte Atmosphäre. Umarmungen gab es nie. Du erinnerst dich an das aufgesetzte Lächeln meiner Mutter?“
Alec nickte bedächtig, bevor Luke weitererzählte „Aber ich vermisse meine Eltern trotzdem. Weißt du ich war völlig gekränkt, als sie mir die zerrissene Glückwunschkarte zurückgeschickt hatte. Ich verstehe nicht warum sie es nicht akzeptieren können. Ich weiß auch gar nicht, ob es von beiden ausgeht oder nur von meinem Vater.“
„Dein Vater wieso?“
„Na ja unser Verhältnis war nicht immer gut. Er ist sehr streng und sehr konservativ. Behaart auf seine Meinung. Ach das erzähle ich dir ein anderes Mal. Soll ich?“, fragte Luke und wandte sich Richtung Türklingel. Alec nickte stumm. Das große Haus wirkte unter den alten Trauerweiden, zwischen dem perfekt gemähten Rasen und sauber angeordneten Blumenkübeln, beinahe abweisend, kalt und kahl.
Die Geräusche der Klingel hörte man leise durch die verschlossene Tür. Sekunden später folgten Schritte. Die Tür öffnete sich. Lukes Mutter starrte ihren Sohn fassungslos an, bevor sie begann:
„Luke, was machst du hier?“, fragte sie aufgeregt sich nervös mit den Fingern vor dem Mund spielend. „Wenn dein Vater dich sieht. Und du hast ihn auch mitgebracht. Das geht nicht.“
„Ich wollte nur mit euch reden.“
„Da gibt es nichts zu bereden. Du solltest zur Vernunft kommen und gehen.“
Sie wollte die Tür zustoßen, konnte es aber nicht. Zu groß war die Freude ihren Jungen wiederzusehen, aber die Wut darüber, dass auch er nicht perfekt war, wiegte sich in Einklang mit der Freude.
„Schatz wer ist das?“, tönte es von weiten, während sich recht schnell Lukes Vater näherte. Als er die Tür erreichte sah er den ungebetenen Gast und fing an gegen Luke zu wettern. Der war inzwischen so weit in den Flur getreten, dass sie die Tür nicht mehr ohne Weiteres schließen konnten.
Alec stand still neben Luke, der alles über sich ergehen ließ. Er schwieg und ließ seinen Vater wettern.
„Ich möchte, dass du und diese kranke Kreatur mein Haus sofort verlassen!“
Jetzt konnte Luke sich nicht mehr zurückhalten „Er ist keine Kreatur. Er ist mein Freund und schwul zu sein ist keine Krankheit. Vater, das ist etwas völlig normales und wenn du nicht so engstirnig wärst, würdest du das vermutlich auch begreifen. Du wirst dich wohl nie ändern! Ständig habe ich alles getan, um euch zu gefallen. Ihr habt mein Leben bestimmt, wegen euch habe ich Medizin studiert. Meint ihr ich wäre grundlos nach Berlin gegangen? Ich musste hier weg, ich konnte hier nicht mehr leben.“
„Aber an der anderen Uni hattest du doch eine Absage bekommen.“
„Ihr glaubt aber auch alles. Nein, ich hatte die Zusage, aber ich hätte es nicht ertragen können hier zu bleiben! Deshalb bin ich gegangen.“
„Du hast uns angelogen?“
„Ja! Nun habe ich einen Fehler, wie ihr es nennt, und ihr hasst mich abgrundtief. Ich kann das echt nicht nachvollziehen. Ich bin nicht der schicke Oberarzt mit Haus und Kindern, wie ihr es euch gewünscht hättet.“
„Und hat es dir geschadet zu studieren? Fehler, Fehler. Tu doch nicht so als wenn du das wirklich willst. Diese Schwulen sind doch alle krank. Willst du auch als Aidskranker enden oder was? Was hat dein Anhängsel denn? Ist der infiziert oder warum sieht er so schlecht aus und muss soviel Medikamente nehmen? Werde doch mal vernünftig Luke! Mensch!“
„Nicht alle Schwulen haben Aids! In was für einer Welt lebst du denn? Wir haben nicht mehr 45! Und nein er hat kein Aids, er ist keine Kreatur, er ist mein Freund. Er muss soviele Medikamente nehmen, weil er misshandelt wurde, ein Jahr lang gefangen gehalten, vergewaltigt, ihm wurden bei vollen Bewusstsein die Knochen gebrochen, er wurde von einem LKW angefahren, er hat nachts Alpträume, er leidet unter seinen Erinnerungen. Er muss die Medikamente nehmen um einigermaßen normal weiterleben zu können. Er hat Unvorstellbares durchmachen müssen. Und weißt du, es ist mir scheißegal was ihr über uns denkt. Er wird bei mir bleiben. Ich werde keine schicki micki Familie gründen, keine Kinder haben und keine hübsche Frau nach Hause bringen. Ich werde nicht das Mustersöhnchen, das ihr euch wünscht. Fragt doch euren anderen Sohn mal, ob er für euch nicht perfekter sein will. Entweder findet ihr euch damit ab, oder wir werden uns nie wieder sehen. Ich verdrehe mich für keinen mehr!“
Alec's Herzschlag stieg an. Er stand tatenlos daneben, während Luke völlig außer sich seine Eltern anschrie. Luke hatte inzwischen die Hand seines Freundes ergriffen und hielt sie fester denn je. Nach seinem Vortrag standen die vier sich schweigend gegenüber. Keiner wagte es das Wort zu ergreifen, selbst Lukes Vater blieb still.
„Komm schon“, flüsterte Luke, legte seinen Arm um Alec's Hüfte und ging mit ihm gemeinsam gen Ausgang. Ohne sich umzublicken verließen sie das Grundstück und machten sich schweigend auf den Rückweg zum Hotel. Kaum hatten sie das Zimmer betreten, fing Luke an zu witzeln „Mmh ich musste in meiner Heimatstadt noch nie die Nächte im Hotel verbringen.“
Alec stand hinter ihm ohne zu antworten. Luke sprach weiter „So das wäre geschafft, Schlussstrich gezogen, alles gut.“
„Nichts ist gut Luke, ich weiß wie sehr dich das mitnimmt“, bemerkte Alec nur schroff. „Du willst, dass ich mit dir über meine Probleme rede, aber du selbst redest nie über solche Sachen mit mir, wenn es dich betrifft. Aber das ist jetzt auch egal. Es ist gut, dass du es dich getraut hast und du für dich damit abschließen kannst. Auch wenn du denen das alles nicht hättest sagen müssen.“
„Was?“
„Das was mich betrifft! Es ist mir peinlich Luke.“
„Tut mir leid. Das kam einfach so und ich will nicht, dass sie ständig sagen du seist ein Krüppel und eine Kreatur. Das tut einfach nur weh!“
„Im Grunde bin ich es doch oder?“
Luke schüttelte den Kopf „Nicht solche Diskussionen jetzt. Bitte. Komm schon, wir gehen ins Restaurant und dann machen wir uns einen schönen Abend. Musical schauen und dann sehen wir weiter. Ok?“ Luke hatte sich inzwischen zu Alec gedreht und umfasste mit seinen Hände seine Oberarme.
„Ja. Lass uns gehen!“, antwortete der beruhigt.
angekommen
Nach der Woche in Stuttgart, die für beide sehr erholsam war, kehrten sie zurück in Richtung Berlin. Luke jedoch schlug nicht sofort den Heimweg ein, sondern umrundete Berlin bis er schließlich in einem Dorf zum Stehen kam.
„Was willst du hier?“, fragte Alec verwirrt.
„Dir etwas zeigen.“
Als Antwort erhielt er nur einen fragenden Blick.
„Was denn? Komm schon, aussteigen“, forderte Luke ihn auf. Alec tat wie ihm geheißen und öffnete die Tür.
„Komm schon!“, sprach Luke weiter und nahm Alec an die Hand.
„Was soll das denn werden.“
„Sei einfach ruhig und komm mit.“
Luke zog seinen Freund unsanft hinter sich her und öffnete das Tor des Schmiedeeisernen Zauns.
Auf dem Hof blieb er kurz stehen und ließ das Ensemble auf sich wirken. Sie standen vor einem hübsch sanierten Einfamilienhaus, an dem sich wacker der Efeu hochrankte und das Häuschen wie ein verwunschenes Schlösschen wirken ließ. Durch die großen Fenster und dem verwinkelten Dach erschien alles hell und freundlich. Der Hof wurde umrundet von alten Fachwerkställen. Hübsch instand gehalten und ebenso eingewachsen, wie das Haus, bildete alles gesamt mit dem Feldsteinpflaster auf dem Boden ein niedliches Anwesen. Alles lag unter einer leichten Schneedecke.
„Wer wohnt hier?“, fragte Alec, der noch immer recht spartanisch schaute.
„Schhh“, meinte Luke nur und zog Alec weiter Richtung Haustür. Er wühlte kurz in seiner Jackentasche und zog einen Schlüssel hervor. Er öffnete die Tür und schickte Alec in den Flur.
„Was soll das werden, wo sind wir?“
Luke nahm ihm wortlos die Jacke ab, zog auch seine eigene aus und hängte die Sachen an die Garderobe.
„Wir müssen noch ein Stückchen weiter, darf ich dir die Augen kurz zu halten? Ich weiß du magst das nicht, aber ist wirklich nur kurz.
„Okayyy?“
„Gut keine Angst einfach vor mir herlaufen.“ Luke hielt ihm die Augen zu und schob ihn langsam vor sich hin in Richtung Wohnzimmer. Als sie den Raum betraten, begannen plötzlich einige vertraute Stimmen Happy Birthday zu singen. Alec stand wie angewurzelt im Raum bevor Luke ihn stürmisch umarmte.
„Alles Gute mein Kleiner!“
Die Gratulantenschar kam ebenfalls nach Beendigung des Liedes auf Alec zu. Er staunte nicht schlecht unter den Gästen seine Eltern, seine Schwester, Henk samt Familie, Linda und noch einige bekannte Gesichter aus dem Krankenhaus zu erblicken. Darunter auch Freunde von Luke, die Alec inzwischen aufgrund der vielen Aufenthalte dort schon sehr gut kannte.
„Was ist das hier? Und ich dachte schon, du hast meinen Geburtstag heute früh vergessen“, meinte Alec unsicher und freudig.
„Würde ich doch nie. Das ist ...“, begann Luke, „... das ist deine Geburtstagsfeier und unsere Einzugsparty.“
„Wie, was Einzug?“
„Das ist unser Haus Alec! Es sollte eine Überraschung sein.“
„Das ist es in der Tat“, brachte Alec trocken hervor. „Ich bin gerade etwas sprachlos“, stammelte er weiter und fühlte sich unsicher im Mittelpunkt stehend.
„Du bist doch echt verrückt Luke! Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Unser Haus? Was ist mit der Wohnung, deine Arbeit, Berlin?“
„Alles geregelt, Wohnung wird gekündigt und der Weg zur Arbeit ist nicht sehr weit. Ich hatte gemerkt, dass es dir nicht mehr so gut ging. Du hattest Angst in der Wohnung und hier hast du Ruhe. Ja und alle die hier sind haben in unserer Abwesenheit mal eben das Haus eingeräumt und mir bei den Vorbereitungen unter die Arme gegriffen. Was meinst du wo ich ständig war vor unserem Urlaub?“
„Ja du warst abends immer sehr lange weg.“
„Ja ich hab renoviert und alles vorbereitet. Komm schon ich zeige dir alles!“
„Du bist echt verrückt, Luke!“, wiederholte sich Alec und grinste, dann drehte er sich im selben Moment zu Luke um, umarmte und küsste ihn.
„Und das vor all den Leuten?“, flüsterte Luke kurz.
„Du hast nichts anderes verdient“, lachte Alec zurück.
Im selben Moment klingelte Lukes Handy. Alec ließ ihn los und wandte sich wieder den Gästen zu. Luke schaute auf das Display und erkannte die Nummer seiner Eltern. Er schluckte, holte tief Luft und ging schließlich ran. Luke verließ schnell das Zimmer und suchte sich ein ruhiges Fleckchen.
Familie
„Ja?“
„Hallo Luke!“
„Mutter, hallo.“
„Weißt du was? Ich habe nachgedacht.“
Prima dachte Luke, werden sie endlich normal und akzeptieren ihn? Sollten sie doch zu ihrem Sohn stehen?
„Aha, worüber denn?“ Luke blieb bissig.
„Naja über deine Krankheit. Weißt du wir haben eine tolle Psychologin für dich gefunden, die kann dich heilen. Das hat sie schon bei vielen geschafft. Dieses Helfersyndrom ist etwas zu ausgeprägt bei dir.“
„Krankheit? Helfersyndrom? Mir geht es blendend. Ich habe gerade ein Haus gekauft und wir feiern Alec's Geburtstag. Was meinst du, was soll das?“
„Na diese Homosexualität.“
„Oh Mutter! Ich verstehe dich nicht. Du bist Ärztin. Du solltest wissen, dass es sich dabei nicht um eine Krankheit handelt und ich liebe ihn und helfe ihm nicht nur, weil er mir leid tut.“
„Luke das ist aber nicht normal. Gott hatte das nicht so gewollt, denke daran du bist katholisch erzogen mein Junge. Wir können deinen Geist wieder heilen.“
„Sorry, aber auf so ein Gespräch mit dir muss ich mich nicht einlassen. Leb wohl. Ich dachte ihr akzeptiert das endlich mal. Alec gehört zu mir, ich bin wie ich bin und ich bin dadurch kein anderer Mensch und stell dir vor noch immer dein Sohn. Wenn ihr zur Vernunft kommt, kannst du dich gern wieder melden.“
„Halt Luke, wo wohnst du denn jetzt. Und wieso ein Haus gekauft, du hast doch gar keine Familie?!“
„Tschüss!“
Luke drückte das Gespräch weg, ließ seinen Arm samt Handy nach unten sinken, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. Dann setzte er sich auf die alte Truhe die an der Flurwand stand, lehnte sich an und atmete aus.
„Luke?“
„Alec kam durch den dunklen Flur gewandelt, sehr unsicher in dem neuen Gebäude. Er hatte ja noch nicht mal Zeit gehabt, jede Ecke zu erkunden.
„Ich bin hier.“
Alec fand Luke, als er der Stimme ins fast dunkle folgte. Nur die Deckenleute in der Ecke erhellte die Situation ein wenig. Er setzte sich neben ihn.
„Was ist los? Wer war das?“
„Rate mal.“
Alec schaute nur skeptisch, nichtsahnend.
„Meine Mutter. Sie wolle mich heilen, sie hätte da jemanden der mich von meinem Geistesleiden befreien könne.“
„Häh?“
„Ich bin krank Alec!“
„Was bist du? Warum erzählst du es mir nicht. Luke!“
„Ja ich bin schwul, ich liebe einen Mann. In ihren Augen ist das eine Krankheit. Ach ja und ein Helfersyndrom dichtet sie mir auch an“, sagte Luke selbstsicher und grinste Alec an.
„Du Idiot!“, war die Antwort bevor Alec ihn innig küsste.
„Ach ja und weil ich katholisch erzogen bin, dürfte ich ja schon gar nicht schwul sein.“
„Na das sind doch die Schlimmsten“, unkte Alec und nahm Luke an die Hand. „Komm schon unsere Gäste warten!“
Im selben Moment klingelte Lukes Handy erneut, sein Bruder. Er ließ es klingeln, Alec forderte ihn auf ranzugehen, nickte ihm wohlwollend zu.
„Mach schon, was soll er dir tun. Ich kümmere mich dann mal um die Gäste.“
Alec wusste, wie sehr es seinen Freund mitnahm, von der Familie verstoßen zu werden und würde ihm gern helfen. Aber wie sollte er, war er doch der Grund, weshalb seine Eltern nun so abweisend waren und ihren sonst so hochgelobten Sohn als krank bezeichneten. Luke nahm die Sache schon gefasster auf als damals, hatte aber sichtlich damit zu kämpfen, soviel Abweisung zu erfahren.
„Hallo Brüderlein“, ging Luke schluckend ans Telefon in Erwartung auf den nächsten Niedermetzelung.
„Hey Luke. Ich möchte dir nur etwas sagen. Zu aller erst schön, dass du endlich mal an dein Telefon gehst. Ich habe eben mit Mutter gesprochen.“
„Mmh.“
„Ich möchte dass du weißt, dass du trotzdem mein Bruder bleibst Luke. Ich werde dich nicht hassen, nur weil du vom anderen Ufer bist. Und du wirst es kaum glauben, meine Frau mag dich mehr denn je. Du bist ihr mit einem Schlag sympathischer geworden.“
„Weil ich schwul bin?“ Luke schaffte es endlich das Wort als selbstverständlich in den Mund zu nehmen. Es war als hätte sich eine Blockade gelöst, nun war auch alles egal.
„Ja, sie kann dein Verhalten besser einordnen. Sie hielt dich immer für arrogant. Naja, Mutter hat sich jedenfalls eben bei mir ausgeheult, du warst hier?“
„Ja war ich. Ich wollte Klarheit schaffen.“
„Du hättest vorbei kommen können.“
„Entschuldige, aber ich hatte Angst, dass du auch so reagierst. Mir reichte auch schon die Begegnung mit Vater. Wie lang weißt du das denn eigentlich schon, dass ich ...“
„Oh, das hatte Mutter mir schon damals erzählt. Ich hatte dir zum Geburtstag ja geschrieben und habe auch zu Weihnachten versucht anzurufen. Du hast ja nicht reagiert.“
„Ja, es ist viel passiert zwischendurch. Ich habe mich nicht getraut zurückzurufen. Ich dachte du willst mich genauso runtermachen.“
„Nein Luke, du bist mein Bruder!“ Er war sich seiner sicheren Position bewusst. Luke war nicht mehr der Wunderknabe der Familie auf den alle neidisch sein mussten, in den alle Hoffnungen gesteckt wurden, die er, sein großer Bruder, nicht erfüllen konnte.
„Weißt du, lass unsere Eltern doch reden, die kommen irgendwann auch wieder runter. Sie haben doch alles was sie wollten. Bald nen Enkel und dich als erfolgreichen Arzt. Zwar nicht alles in einer Person, aber wir beide ergänzen uns doch großartig. Wozu haben sie schließlich zwei Kinder?!“, lachte er.
Luke wurde hellhörig, grinste: „Wie bald einen Enkel?“
„Du wirst Onkel. Katharina ist schwanger!“
„Oh das freut mich aber für euch.“
Die beiden beendeten das Gespräch nach einer Weile und Luke kehrte ins Wohnzimmer zurück. Setzte sich zu den anderen. Alec musterte ihn, konnte aber aus seinem Blick nichts erkennen. Die Gäste unterhielten sich angeregt. Alec war begeistert, dass seine Eltern mit seiner Schwester wieder den Frieden gefunden hatten. Sie hatten alles geklärt. Die Familie war wieder komplett.
Er machte sich auf noch einige Getränke zu holen und umarmte Luke über die Sofalehne hinweg.
„Alles in Ordnung?“, flüsterte er ihm ins Ohr.
„Es ist alles gut“, erwiderte Luke, drehte den Kopf über seine Schulter und küsste Alec auf die Wange.
Dann ging er um die Lehne herum und quetschte sich zu Luke aufs Sofa, wobei er Sabrina zur Seite drückte, die ihn das auch mit einem leichten Stoß in die Rippen quittierte, und ihm gleichzeitig einen Kuss auf die andere Wange gab. Ein gemütlicher Abend unter Freunden, die sich verstehen. Sie alle schweißte die Freundschaft zu den beiden zusammen. Sie kamen aus verschiedensten Schichten, kannten sich vorher nicht und wirkten als wären sie schon seit Ewigkeiten befreundet. Luke und Alec betrachteten die Situation Arm in Arm und lächelten in ich hinein. Endlich sind sie zu Hause angekommen. In einer Situation in der sie sich wohl fühlten und sie selbst sein konnten. Akzeptiert und nicht verstoßen.
Eingelebt
Der Winter verabschiedete sich recht schnell aus dem kleinem Dörfchen im Berliner Randgebiet. Frühling war eingekehrt und lockte die Menschen vor die Häuser. In die kleinen Vorgärten, auf die Straße, zum spazieren gehen in den Wald ...
Alec genoss es wieder auf dem Land zu sein. Auch Luke hatte sich daran besser gewöhnt als erwartet.
Die kleine Dorfkirche in der Ortsmitte stand fast vis a vis zum Haus und erinnerte an die Uhrzeit. Der Dorfanger lag ruhig und gepflegt drumherum. Idylle pur.
Nun war der Frühling da und es hieß den kleinen Garten in Schuss zu halten. Das war eine Aufgabe die Luke natürlich an einen Freund übertragen hatte. Alec blieb zu Haus, kümmerte sich so gut er konnte um alles. Alltagsgeschehen.
Natürlich blieb das außergewöhnliche Pärchen nicht unbeobachtet und so begannen die Nachbarinnen sich dann doch Gedanken darüber zu machen, was für Gestalten in das kleine Häuschen gezogen war. Junge Leute hieß es. Im Winter bekam man sie ja kaum zu Gesicht, aber nun war es an der Zeit etwas eindringlicher über den Gartenzaun zu schauen. Unauffällig versteht sich natürlich.
Alec bekam einen Schwatz mit, er hatte das Küchenfenster weit geöffnet, was von den Damen unbemerkt blieb. Die Nachbarin hatte ihre Tratsch-Freundinnen zum Brunch geladen. Drei rüstige Damen nahe der achzig saßen entspannt mit Sonnenbrille und Sonnenhüten an dem hölzernen Tischchen auf der Veranda des Nachbarhauses. Nette, bunte Drinks mit Sonnenschirmchen drapiert vor sich. Es wirkte fast wie in der Karibik. Sie trotzten schon den ersten Sonnenstrahlen und sahen aus als wäre der Hochsommer ausgebrochen. Alec war gerade beim Abwaschen und wurde aufmerksamer. Er beäugte die Gestalten und warf immer wieder einen unauffälligen Blick nach draußen.
„Und deine neuen Nachbarn?“, fing die erste an.
„Ja genau!“, stieg die zweite ein.
„Naja zwei junge Männer. Habe ich euch ja schon erzählt. Der eine ist Arzt, der andere keine Ahnung.“
„Woher weißt du das denn schon wieder?“
„Ja ich habe auch meine Informanten, ich muss ja wissen, wer sich in meiner Nachbarschaft so rumtreibt.“
„Ach Mädels das sind zwei Schwuchteln, glaubt mir.“
„Ach“, schüttelte sich die andere, „Quatsch, der ist doch Arzt und so ein hübscher, junger Mann. Kriegt doch jede Frau, die er will.“
„Na und? Meinste es gibt keine schwulen Ärzte? Ich glaub, wenn du wüsstest, wer alles vom anderen Ufer ist“, lachte sie.
Alec lauschte dem Gespräch weiterhin und grinste in sich hinein. Jetzt wusste er umso mehr, was er in der Stadt vermisst hatte. Den Tratsch, die Beobachtungen, jeder wollte wissen was der andere macht, wollte alles über jeden wissen. Inzwischen versteckte auch er sich nicht mehr. Er hatte den Neuanfang den er wollte, er fühlte sich wohl.
Als er noch im Gedanken schwelgte, kam Luke von der Arbeit und ging gleich durch zur Küche. Er umarmte seinen Freund, der noch immer an der Spüle stand und küsste seinen Hals.
„Na? Alles ok.“
„Klar, schön dass du zurück bist. Komm mit ich muss dir mal etwas zeigen.“
„Wenn ich dich erst küssen darf, folge ich dir überall hin.“ Kaum hatte Luke diesen Wunsch ausgesprochen, drehte sich Alec um umfasste seinen Kopf mit den seifennassen Händen des Spülwassers und küsste ihn.
„Bah! Du hast nasse Hände“, wisperte Luke.
„Weiß ich. Du wolltest es ja so. Nun komm mit. Ich will dir im Garten was zeigen.“
Alec zog Luke an der Hand hinter sich her. Kaum im Garten angekommen, umarmte er ihn demonstrativ und küsste ihn erneut vor den Augen der starrenden Nachbarinnen auf der gegenüberliegenden Terrasse, bevor er ihm die neu angelegten Beete zeigte. Dann verschwanden sie zurück ins Haus.
„Was sollte das? Was ist los mit dir?“
„Mir geht’s einfach nur gut Luke und ich wollte es unseren Nachbarinnen nicht zu schwer machen. Sie zerbrechen sich schon die ganze Zeit den Kopf darüber, was wir für komische Kauze seien. Ich wollte sie nicht länger im Ungewissen lassen“, witzelte Alec.
„Sie haben vorhin überlegt, was wir wohl für Typen seien. Ich konnte sie lästern hören, als ich beim Abwaschen war. Ich habe mich köstlich amüsiert.
„Du bist verrückt. Da weiß ich wieder warum ich dich so liebe!“, scherzte Luke.
„Weiß ich!“
Aufklärung
„Kannst du mir mal helfen Alec?“, rief Luke ihn heraus.
Alec ging über den Hof in Richtung der Ställe, wo Luke dabei war noch einige Kartons hin und her zu sortieren. Er schaute neugierig durch die halb offene Tür.
„Komm her, nur mal hier den Karton festhalten, dann kannst du wieder reingehen.“
In dem Stall war kein Licht und hinter Alec fiel die Tür aufgrund des Windes draußen krachend ins Schloss. Pure Dunkelheit, Kälte, plötzliche Stille. Es war eine Sekundensache bis Luke die Tür wieder geöffnet hatte. Ausreichend für Alec um in Panik zu verfallen. Er stand zitternd, wie angewurzelt in einer Ecke und starrte ins Leere.
„Kommst du hier mal kurz ...“, begann Luke, ohne Alec anzusehen. Als keine Reaktion folgte schaute er auf und erblickte seinen verwirrten Freund.
„Was ist los?“, fragte er während er in seine Richtung ging. „Schh... alles gut, hier ist niemand der dir etwas antut“, sprach er weiter und nahm Alec in den Arm. „Entschuldige. Geh rein ich schaffe das schon irgendwie alleine.“
„Nein, nein geht schon“, entgegnete Alec, der langsam wieder zu Sinnen kam und Luke half bevor er wieder ins Haus ging. „Das war eben nur so plötzlich.“
In der Nacht kamen seine Erinnerungen schlagartig zurück. Dieses kleine Ereignis schnitt ein. Sonst hatte er immer peinlichst drauf geachtet, dass die Türen des Schuppens hinter ihm weit offen standen. Er wachte ruckartig auf. Lukes Arm lag auf seinem Rücken. Er drehte sich schnell aus der Umarmung und flüchtete in die hintere Zimmerecke. Luke erwachte zeitgleich und schaltete die Nachttischlampe ein. Er sprang gleich auf und wankte schlaftrunken zu Alec herüber.
„Ist ja gut, beruhige dich.“
Es gelang ihm nicht seinen Freund zu beruhigen. Alec schrie ungehalten und versuchte sich gegen Lukes Beruhigungsversuche zu wehren. Er flüchtete sich auf den Flur, wo Luke versuchte ihn einzufangen und gegen die Wand drückte um Unfälle zu vermeiden.
Das ganze Theater erweckte auch Sabrinas Aufmerksamkeit, die im Gästezimmer verweilte. Sie stand schon eine Weile auf dem Flur und beobachtete Luke und Alec, bevor sie anfing loszuschreien.
„Lass meinen Bruder los, was tust du ihm an. Lass ihn los ich werde die Polizei rufen! Jetzt weiß ich warum er so komisch ist, weil du ihn zu irgendwelchen Sachen zwingst! So was hätte ich von dir echt nicht erwartet. Was bist du für ein Schwein!“
„Sabrina! Hör auf zu schreien, hilf mir lieber!“, erwiderte Luke nur trocken und auf Alec konzentriert.
„So einem wie dir helfe ich nicht, ich ruf jetzt die Bullen“, erwiderte sie, hatte schon das Handy in der Hand und wählte die Notrufnummer.
„Sabrina!“, rief Luke, der Alec kurz losließ, aufsprang und Sabrina das Handy auf der Hand riss. Er angelte nach ihrem Arm, griff fest zu und sprach mit ruhiger aber bestimmter Stimme.
„Hör mir jetzt mal zu. Halt ihn fest, pass auf ihn auf, irgendwie dass er sich nicht selbst verletzt. Ich muss was holen um ihn zu beruhigen. Machs einfach, bitte! Fragen stellen kannst du später.“
Alec's Schwester schaute Luke völlig perplex an, schaute auf ihren Bruder und versuchte irgendwie auf ihn einzureden. Ihr fiel es schwer ihn in diesem Moment zu berühren. War das wirklich ihr Bruder, der da schreiend und krampfend am Boden lag?
Luke kam schnell zurück mit einer aufgezogenen Spritze in seiner Hand.
„Was hast du vor?“, kreischte Sabrina in an.
„Ihm helfen, was sonst! Was schlucken wird er in diesem Zustand nicht, dann geht es nur so. Versuch mal bitte seinen Arm ruhig zu halten.“
„Das geht nicht, wie soll ich das denn machen? Er schlägt um sich! Was bist du für ein Irrer? Du willst ihn umbringen und ich helfe noch?“
„Sabrina! Nun ist aber mal gut! Hätte ich deinem Bruder umbringen wollen, würde ich mich nicht so aufopferungsvoll um ihn kümmern, wie ich es die letzten Jahre tat. Knie dich auf seine Schulter wenns gar nicht geht.“
„Aber das tut ihm doch weh!“
„Man machs einfach!“
Sie tat es, Luke spritzte das Beruhigungsmittel direkt in die Blutbahn, Alec reagierte schnell, seine Muskeln entspannten sich, er lag benommen am Boden. Schloss bald die Augen.
Luke saß an die Wand gelehnt neben ihm und vergrub seinen Kopf in den Händen. Sabrina kniete vor ihrem Bruder und starrte ihn an, wie einen Fremden.
„Das war meine Schuld. Ich fragte ihn vorhin ob er mir hilft, da fiel die Schuppentür zu und wir standen komplett im Dunkeln. Da kamen wohl eine Erinnerungen so richtig hoch. Ich hatte gehofft, das die neue Umgebung ihm hilft, ihn entlastet und er etwas Ruhe findet. Es klappte in den letzten Monaten so gut. Ich glaube er muss dir wirklich mal einiges erklären, dass du ihn verstehst.“
Jetzt schaute Sabrina zu Luke, der sie inzwischen fixiert hatte und mit Alec's Hand spielte.
„Hilfst du mir bitte ihn ins Bett zu bringen und versprichst du mir nicht die Polizei zu rufen?“
„Was ist mit ihm?“
„Das war nur ein Beruhigungsmittel. Er schläft jetzt eine Weile, dann ist er wieder fit.“
„Was für Erinnerungen, wovon redest du denn? Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Warum tust du ihm das an? Alec war immer völlig normal und jetzt? Ich schwöre dir, wenn du mir nicht sofort sagst, was hier los ist ... Ich dachte immer du wärst in Ordnung!“
„Ich bin in Ordnung, Sabrina. Ich tue ihm nichts Negatives an. Ich helfe ihm. Zumindest versuche ich es. In der Zeit, wo du nicht da warst, sind ihm einige Sachen widerfahren, das soll er dir aber selbst erzählen. Ich möchte ihm da nichts vorweg nehmen.“
„Luke das ist mir scheißegal, wenn du mir jetzt nicht erzählst was hier los ist, rufe ich die Bullen. Ehrlich! Vielleicht bist du ja irgend so ein Perverser. Weiß mans? Meistens sind das ja die Nettesten.“
„Na danke“, seufzte Luke „Gut dann lass uns ihn ins Bett bringen bitte! Es ist zu kalt, als dass er hier auf dem Flur rumliegen kann und die Geschichte ist ein bisschen länger.“
„Luke, er ist mir gerade so fremd geworden. Ich erkenne meinen Alec nicht wieder! Es ging ihm doch so toll hier.“ Ihr standen die Tränen in den Augen.
Luke ließ sie ungeachtet stehen und versuchte etwas genervt seinen Alec vom Boden aufzusammeln. Er brachte ihn allein zurück ins Schlafzimmer. Kurze Zeit später stand er wieder im Flur und wandte sich an Sabrina: „Tut mir wirklich leid, dass du das jetzt sehen musstest, wenn du schon mal zu Besuch bist. Ihm geht es aber schon deutlich besser, als zu Anfang. Das Leben hier tut ihm gut, er ist aufgeblüht. Die Therapie scheint ganz gut zu helfen. Komm, wir gehen runter ins Wohnzimmer.“
Gesagt, getan, etwas abwesend folgte Sabrina. Die beiden setzten sich auf die Couch Sabrina hatte sich beruhigt und Luke begann zu erzählen: „Gut. Also, ich muss dir da mal was erzählen ...“
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