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Ein Gespräch
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Informationen
- Story: Ein Gespräch
- Autor: PetraPan
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Kurzgeschichte
Vorwort
Dieses Gespräch ist völlig frei erfunden! Ernst gemeint ist allerdings der Hinweis auf die Community NiSt! Wer Hilfe braucht, der wird sie hier auch bekommen.
„Mom, kann ich bitte mal mit dir reden?“
„Natürlich, Schätzchen, das weißt du doch, jederzeit… nur nicht gerade jetzt, ich habe fürchterlich viel zu tun.“
„Okay, würdest du mir bitte einen Termin geben?“
„Nun sei nicht albern, Schätzchen.“
„Ich meine es ernst. Und nenn mich bitte nicht immer ‚Schätzchen’, ich bin nicht eine von deinen Laborratten. Vielleicht erinnerst du dich dunkel an meinen Namen?“
„Jan, es reicht! Wie kommst du dazu, so mit mir zu reden?“
„Aus dem einfachen Grunde, weil ich nur so ein wenig von deiner Aufmerksamkeit erringen kann.“
„Meinst du nicht, dass du ein wenig übertreibst? Du gibst mir gerade das Gefühl, weder genügend Zeit für dich zu haben, noch dir Interesse entgegen zu bringen.“
„Danke, besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können.“
„Bevor du dich noch mehr im Ton vergreifst, komm mit in die Küche und rede. Scheint ja wichtig zu sein. Du hast 15 Minuten, dann muss ich weg.
„ Gut, ich fasse mich kurz. Mutter, ich bin schwul.“
„Aber Schätz... - Jan, das macht doch nichts, kann doch jedem Mal passieren. Könntest du mal schauen, ob du dieses Kartoffelschälmesser findest? Ich bin sicher, dass ich es gestern erst… WAS HAST DU GESAGT?“
„Du musst mir einfach nur mal zuhören, dann verstehst du mich auch. Und brüll bitte nicht rum, das ist nicht dein Stil.“
„Na hör mal, ich finde es auch nicht sonderlich witzig, dass du mir so einen Schrecken einjagen wolltest. Nun sag schon, was du wirklich sagen wolltest, ich höre dir zu. Du hast noch 10 Minuten, dann muss ich weg.“
„Das kenne ich. Mit diesem Satz bin ich aufgewachsen. Du musst immer irgendwann weg.
Mutter, ich wollte dir keinen Schrecken einjagen. Ich meine es ernst. Ich bin schwul!“
„Warum nennst du mich immer ‚Mutter’, das hast du doch noch nie getan.“
„Ich habe dir auch noch nie gesagt, dass ich schwul bin.“
„Verflixt, ich bin jetzt völlig durcheinander. Können wir uns mal setzen und in Ruhe reden?“
„Wir haben nur noch 5 Minuten, das lohnt sich nicht mehr.“
„Jan, bitte bleib hier. Der Friseur ist nicht wichtig. Bitte entschuldige. Können wir noch mal von vorne beginnen? War kein guter Anfang für solch ein Gespräch.“
„Okay, gerne. Also, Mom, kann ich bitte mal mit dir reden?“
„Ja, Jan, natürlich. Gibst du mir bitte noch die Wasserflasche rüber? Danke.“
„Ich bin homosexuell veranlagt, Mom. Ich liebe ausschließlich Männer.“
„Ja, aber… ich meine, kann es nicht sein… also… ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.“
„Schon gut, Mom, ich weiß. Nein, es ist keine Phase und auch nichts, was sich noch verwächst.“
„Und wie lange weißt du das schon?“
„Ungefähr anderthalb Jahre. Vorher war es nur eine ungewisse Vermutung. Die wurde dann aber mehr und mehr zur Gewissheit.“
„So lange schon? Und du hast nie was gesagt? Warum jetzt?“
„Ich musste mir erst mal selber darüber klar werden. Und damit fertig werden. Außerdem gibt es jetzt einen triftigen Grund.“
„Und welchen?“
„Ich habe mich verliebt. Bin nicht verknallt wie ein paar Mal schon, sondern richtig verliebt. Er heißt Andreas, und ich möchte, dass du ihn kennen lernst.“
„Also ihm habe ich es zu verdanken, dass mein Sohn mir endlich mal die Wahrheit sagt?“
„Nein, sicher nicht. Es geht um mich, aber auch um Dich. Ich habe Andreas nur als Anlass genommen, als Aufhänger sozusagen. Um mir selber Mut zu machen.“
„Mut? Brauchtest du Mut, um mit mir drüber zu reden?“
„Aber mit Sicherheit. Ich konnte mir deine Begeisterung schier vorstellen.“
„Meine Güte, was wird bloß dein Vater sagen?“
„Um ihn geht es jetzt nicht, mit ihm rede ich später. Ich möchte jetzt mit dir darüber reden. Hast du genau verstanden, was ich dir gesagt habe?“
„Ich habe deine Worte gehört, aber ich kann es nicht begreifen. Was bedeutet das alles?“
„Das bedeutet, dass ich dir niemals eine Freundin, Schwiegertochter oder ein eigenes Enkelkind liefern kann. Ich werde immer der Partner eines Mannes sein.“
„Und das sagst du mir jetzt einfach so?“
„Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen? Dir einen Brief schreiben? Stell dir vor, genau das habe ich sogar überlegt. Aber ich fand es dann unfair.“
„Unfair? Seltsam, das Wort aus deinem Munde zu hören. Ich soll mich also damit abfinden, dass du homosexuell bist, und das findest du fair?“
„Okay, reden wir über dich. Was genau findest du so entsetzlich an dem Gedanken, dass ich schwul bin? Kannst du den Gedanken nicht ertragen, dass ich mit einem Mann im Bett liege, wir würden uns küssen und...“
„Jan! Schluss! Kein Wort mehr darüber. Und bitte vermeide dieses Wort, es hört sich unglaublich primitiv an!“
„Gut, wie du willst. Beleuchten wir das Ganze von einer anderen Seite. Im Tennisclub ist große Party, und ich erscheine mit Andreas. Du musst ihn ja vorstellen. Was sagst du dann? ‚Das hier ist ein Freund meines Sohnes’? Oder ,Er ist der Freund meines Sohnes?’ Oder noch schlimmer, stell dir vor, in einigen Jahren wirst du vielleicht sagen müssen: ,Das ist der Mann meines Sohnes, mein Schwiegersohn’. Nun, wie fühlst du dich dabei? Wenn die saubere Gesellschaft erfährt, dass du einen homosexuellen Sohn hast, hm?“
„Das kann ich dir sagen, Jan. Im Moment einfach nur zum Kotzen. Du überfällst mich hier mit einer Tatsache, die unser Leben verändert und kommst mir so? Wenn du denkst, dass die ‚saubere Gesellschaft’ mir wichtig ist, dann hast du völlig recht. Jawohl, momentan ist mir der Gedanke unerträglich, diesen Andrew…“
„Andreas.“
„Bitte? Ach so, dann eben Andres, egal… diesen Mann als deinen Freund bekannt zu geben. Und dann sehe ich sie tuscheln, all unsere Freunde, unsere Geschäftspartner, wie sie sich ihre Gedanken machen, wie sie hintenherum reden, uns eine mitleidige Miene zeigen, meinen Sohn anstarren wie ein seltenes Insekt. Und darüber soll ich jetzt erheitert sein oder wie? Du knallst mir hier diese unfassbare Tatsache mal eben so hin. Du meintest vorhin, du hättest dich jahrelang mit dir beschäftigt, hättest deine Zeit gebraucht, um damit fertig zu werden, und ich soll jetzt in 2 Minuten alles begreifen und drüber kichern? Was bildest du dir eigentlich ein? Und vor allen Dingen: was erwartest du von mir? Dass ich dich begeistert in die Arme nehme? Dass ich voller Entzücken dir gestehe, dass ich ohnehin nie eine Schwiegertochter wollte, geschweige denn ein brüllendes Enkelkind? Dass ich heute Abend freudig deinem Vater entgegen renne mit den Worten: ,Liebling, es ist was Tolles passiert. Denk dir nur, unser einziger Sohn ist homosexuell! Lass uns feiern, Champagner, Kaviar!’“
„Mom! Mama, bitte… beruhige dich doch, bitte nicht weinen, ach Mensch, es tut mir leid, ich war ein Hornochse, hier, nimm das Tempo… weißt du was? Ich koche uns jetzt einen Kaffee. Magst du auch einen Cognac dazu? Nee, bleib mal sitzen, ich mach schon.“
„Danke, ist schon gut, Sohn. Bin gerade ein bisschen durcheinander. Holst du bitte noch die Milch aus dem Kühlschrank? Aber Jan, ich bitte dich, Cognac aus diesen Gläsern? Dafür haben wir doch wohl die Schwenker.“
„Haha, hast ja Recht. Das gibt mir die Gewissheit, dass du dich wieder beruhigt hast, ja? Also nochmals, es tut mir leid. Ich habe dich wirklich damit überfallen. Schieb es einfach meiner Nervosität zu. Schau mal, es ist für mich auch nicht leicht, dieses Gespräch, okay?“
„Natürlich, das denke ich mir, Jan. Wollen wir über dich sprechen? Wie hat es angefangen?“
„Genau kann ich dir das auch nicht mehr sagen. Ich habe eben eines Tages gemerkt, dass ich die Mädels ganz nett finde, hatte auch ein paar richtig nette Freundinnen in der Schule, aber... richtig hingeguckt habe ich bei den Jungs, wenn du verstehst, was ich meine. Also, will sagen, bei denen kamen Gefühle auf. Die ersten Schwärmereien waren schlimm. Ich war so… so unsicher, so durcheinander. Es war eine schlimme Zeit, Mama.“
„Das glaube ich Dir, Schatz. Wie ging es weiter?“
„Ich hatte gute Kontakte im Internet. Und eines Tages machte mich jemand auf eine ganz besondere Seite aufmerksam. Ein Forum, in dem es darum geht, Geschichten, also Stories, zu schreiben. Da habe ich mich mal so durchgelesen. Und mich dann auch mal angemeldet, weil ich merkte, dass die dort zum Teil auch meine Probleme haben. Das ist nämlich so eine Community, die aus Schwu… also, ich meine, Homosexuellen besteht, zum größten Teil in meinem Alter. Na ja, und dann habe ich mich mit immer mehr Leuten dort unterhalten, auch über mich. Das hat mir sehr geholfen. Sie wurden meine Freunde, irgendwie meine Familie!“
„Also ich bitte dich, Jan, deine Familie sind ja wohl immer noch wir!“
„Aber nicht in diesem Falle, Mom. Ich war so alleine, so unsicher, hatte niemanden zum Reden, weil ich mich nicht traute, mir ja auch noch gar nicht sicher war… Mom, ich habe diese Community da einfach gebraucht. Und heute bin ich ein Teil von ihnen, ich gehöre dazu. Und wenn jemand kommt, der sich alleine und verunsichert fühlt, dann versuche ich, ihm zu helfen.“
„Junge, ich hatte ja keine Ahnung. Ich habe mich immer nur gefragt, warum ich keine Freundin bemerke, warum du keine Andeutungen machst, aber dann habe ich mir auch wieder gesagt, wenn es soweit ist, dann wirst du es uns sagen. Kein junger Mann findet es toll, wenn er offiziell seine Freundin den Eltern vorstellen muss.“
„Mom, hast du mal mit einer Frau geschlafen?“
„Bitte?“
„Meine Frage ist doch ganz einfach: hattest du mal Sex mit einer Frau?“
„Also wirklich, wie kommst du denn da drauf. Natürlich nicht! Aber… ich erinnere mich… meine Güte, das ist lange her, ich war so knapp Anfang 20… es war auf einer Party.“
„Und was war da?“
„Hm, also, da war ein Mädel, sie hieß Monika… ja, genau, Monika. Und sie hat mich so richtig angeflirtet. Zuerst war ich abweisend, aber dann hat es mir geschmeichelt, und ich dachte: warum nicht? Man sollte doch alles mal erleben!“
„Ach ja? Du?“
„Klar doch, Jan, ich war auch mal jung und unbefangener als heute. Auf jeden Fall, meine Güte, Alkohol war ja auch mit im Spiel, habe ich mich von ihr einfangen lassen. Wir sind dann zu ihr nach Hause. War erst ganz lustig, wir haben so rumgealbert. Aber dann sind wir ins Bett. Schon der Kuss, also, so ein richtiger Kuss, weißt du, das kam mir schon seltsam vor, hatte so noch nie eine Frau geküsst. Und dann wurde es intimer, oje, ich erinnere mich dunkel, es war einfach schlimm.“
„Was war schlimm?“
„Na ja, also, es wurde richtig intim… und dann wurde mir einfach schlecht. Und das kam nicht vom Alkohol. Jan, es war grausam. Ich habe nun wirklich ein gutes Verhältnis zu meinem Körper, denke auch, dass ich mit meinen 45 Jahren noch sehr gut aussehe… und dachte das mit Anfang 20 auch… aber von einer Frau so berührt zu werden… würdest du mir bitte noch einen Schluck Cognac geben?“
„Gerne… und ich danke dir sehr für diese Erzählung, das erleichtert mir die Sache.“
„Wieso?“
„ Weil ich dir dann besser erklären kann, wie es mir geht.“
„Nochmals wieso?“
„Eben genauso, Mom. Ich kann einfach nicht mit einer Frau schlafen. Habe es auch noch nie probiert, allein der Gedanke ---- es geht einfach nicht.“
„Hm… verstehe ich dich jetzt richtig? Und was ist mit der Schuld? Wer ist schuld an… deinem Zustand?“
„Mutter, ich habe keine Zustände! Ich bin einfach schwul, ich bin eben so… wie du eben ausschließlich mit Männern schlafen kannst, kann ich es eben auch nur. Alles klar?“
„Ich habe dich einfach was gefragt, warum wirst du jetzt aggressiv?“
„Weil ich langsam dran zweifle, dass du mich verstehen willst!“
„Ich will es ja, aber ich kann es noch nicht. Und jetzt schraub dich runter und beantworte meine Frage: wer ist schuld? Bin ich es? Habe ich mich zuwenig um dich gekümmert? Dein Vater? Hat er was damit zu tun?“
„Mein Vater hat kaum was mit mir zu tun, das ist aber ein anderes Problem. Nein, Mom, es geht hier nicht um eine Schuldfrage, schließlich geht es nicht um ein Verbrechen! Es hat auch keinen Sinn, mich zum Psychiater zu schicken, auch eine Kur kann mich nicht heilen und in den USA wird es keine Spezialklinik geben!“
„Jan, bitte nimm das Taschentuch… nicht den Ärmel… ach Junge, es tut mir leid. Verzeih mir, ich habe soviel falsch gemacht.“
„Nein, Mom! Und genau das ist es, was du begreifen musst: es gibt keine Schuld. Darum geht es mir nicht. Dass du immer zu wenig Zeit für mich hattest, okay… aber das ist ein ganz anderes Thema. Ich bin vor nicht langer Zeit 20 Jahre alt geworden, du erinnerst dich? Ich wurde auf meine Art und Weise erwachsen. Und lebe ganz gut damit. Darum geht es. Ich möchte, dass du mich einfach akzeptierst. Als der Jan, der ich heute bin… kann ich noch ein Taschentuch… danke. Ich möchte dir einen Vorschlag machen, ja?“
„Und welchen?“
„Komm mit mir ins Internet. Ich möchte dir meine Community vorstellen. Ich wünsche mir, dass du dir ein paar Stories durchliest. Weißt du, wir haben in der Community auch ein paar unglaublich nette Mädels, die sind uns sehr wichtig. Und dann gibt es da noch die Mutter eines Mitglieds, die macht da voll mit. Ab und zu ist sie ein bisschen durchgeknallt, aber meistens recht harmlos, vielleicht kannst du dich mal privat mit ihr unterhalten.“
„Gerne, Jan. Das werde ich tun. Aber bitte nicht mehr heute. Lass mir Zeit. Bitte. Ich weiß, was du meinst. Und ich werde mich mit der Thematik beschäftigen. Du musst Geduld mit mir haben. Es ist neu. Es ist fremd. Und auch ein bisschen erschreckend.“
„Okay. Du hast Recht, ich hatte jahrelang Zeit. Es soll heute der Anfang gewesen sein, ja?“
„Ja, Jan, es war ein Anfang. Und ich denke, wir haben ihn ganz gut gemeistert. Irgendwann kannst du mir deine Community vorstellen, ich werde auch Bücher lesen, möchte mich immer wieder mit dir darüber unterhalten. Und eines Tages, also noch nicht gleich, aber bald, dann möchte ich auch diesen Andreas kennen lernen. Und jetzt habe ich ganz einfach Hunger! Wollen wir schnell eine Kleinigkeit essen gehen?“
„Du, mir wäre es eigentlich lieber, wir würden hier bleiben und mal gemeinsam was kochen. Haben wir sehr lange nicht mehr gemacht.“
„Hm, ja okay, können wir machen, aber leider gibt es noch ein Problem, das du lösen müsstest.“
„Oha, was kommt denn jetzt?“
„Such bitte dieses verdammte Kartoffelschälmesser!“
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