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Hölle und Himmel

Weihnachtschallenge 2007

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Beitrag zur Weihnachtschallenge 2007

 

Brrr. Kalt. Zitternd schloss ich die Wohnungstür. Winter... einfach nicht meine Jahreszeit. Überall dieser Schnee, die hektischen Menschen in der Stadt, die panisch versuchen, ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen... und habe ich den Schnee und die Kälte erwähnt? Es war der 23.12., also quasi fünf vor zwölf...

…aber ich hatte einfach keine Zeit gehabt, mich um Weihnachten zu kümmern, immerhin musste ich erstmal alles in der Firma regeln. Aber nun war es geschafft… und ich war auch geschafft, eigentlich völlig fertig, daher freute ich mich auf ein paar ruhige Weihnachtstage. Als ich in die Wohnung kam, sprang mir Markie entgegen und wollte mir mal wieder alles auf einmal erzählen. Wir hatten Markie vor zwei Jahren adoptiert, er war jetzt fünf Jahre und manchmal schon recht anstrengend. Besonders vor Weihnachten war er kaum zu bändigen. Ich gab ihm einen Kuss und setzte ihn wieder auf den Boden, er hopste vor mir her in Richtung Küche, aus der mir ein fröhliches : „Hallooooho, mein Liebling, wie geht es dir?“ entgegen schallte. Ich traute meinen Augen nicht: Nur mit einem T-Shirt und knappem Höschen, aber mit langer Schürze bekleidet, stand Peter am Küchentisch auf dem sich Berge von Keksen, Nüssen, Lebensmittelfarbe, Eiern, Kuchenblechen, Spritztülle, Formen zum Ausstechen und was weiß ich noch alles befanden. Die ganze Küche war ein Chaos, alles war mit einer leichten Mehlschicht überpudert.

„Hach, mein Liebling, schön, dass du schon da bist, kannst gleich noch ein paar Plätzchen mit ausstechen.“ Mit hoch erhobenen Händen, die voller Teig waren, kam Peter tänzelnd auf mich zu. Er grinste fröhlich und stimmte ein Lied an:“ Fröhöliche Weiiihnacht überaall, tööönet durch die Lüfte froher Schall....“

Ich wich einen Schritt zurück, konnte es einfach nicht leiden, wenn er sich so tuntig benahm. Ohne weiter auf ihn einzugehen ging ich ins Wohnzimmer, wollte mir einen Drink holen. Ein scharfer Schmerz durchzuckte mich: Ich war auf eine Walnuss getreten! Fassungslos schaute ich mich im Wohnzimmer um. Der Fußboden war übersät mit Nüssen, überall lag das Spielzeug von Markie herum, kleine Figuren aus Pappe lagen wild verstreut über den Esstisch verteilt, auf dem man deutlich noch Spuren von verschüttetem Apfelsaft erkennen konnte.

„Kann mir einer erklären, was das hier zu bedeuten hat?“ Stirnrunzelnd rieb ich meinen schmerzenden Fuß.

„Wir haben Nüsse werfen gespielt, Markie hat gewonnen“, antwortete mir Markie mit strahlendem Gesicht.

„Du sollst von dir doch nicht immer in der dritten Person sprechen, verdammt noch mal, du bist doch schon alt genug, um dich vernünftig auszudrücken, außerdem habt ihr wohl nicht nur die Figuren getroffen, sondern auch den Saft. Kann man das nicht mal aufwischen?“

Ich stürmte ins Badezimmer, während Peter hinter mir stand, die Arme hingen runter, er murmelte etwas, das ich nicht mehr verstand.

Im Bad erwartete mit der dumpfe Geruch von nassen Klamotten. Offensichtlich waren die beiden draußen gewesen, hatten sich im Schnee gewälzt und waren mit nassen Sachen heimgekommen. Alles lag durcheinander, teils auf dem Boden, teils in der Wanne, eine nasse Kindersocke fand ich in meinem Waschbecken.

Als ich mich umdrehte, stand Peter hinter mir. Sorgenvoll sah er mich an. „Mein Liebling, was ist los mit dir? Ärger in der Firma gehabt? Soll ich dir einen Drink mixen? Du solltest erstmal entspannen, schau dich hier noch nicht um, ich räume später auf, wir wollten erstmal die Kekse fertig backen.“

Mit diesen Worten ging er ins Wohnzimmer.

„Piiieeetiiee….Pietie…komm mal schnell, ich finde mein Bärchen nicht!“ Schrilles Geschrei aus dem Kinderzimmer zerrte an meinen Nerven und brachte das Fass zum Überlaufen.

„Es reicht“, schrie ich, „es reicht endgültig! Ich kann einfach nicht mehr!. Den ganzen Tag bin ich am Schuften, schließlich muss ja einer das Geld hier verdienen, da kann ich doch wenigstens am Abend ein wenig Ruhe und vor allen Dingen Ordnung erwarten! Verdammt noch mal, Peter, seitdem Markie bei uns ist, bist du nur noch um ihn herum. Wäre es nicht möglich, dass du auch ein klein wenig auf meine Bedürfnisse Rücksicht nimmst? Das ist hier keine Wohnung mehr, in der ich leben möchte, das ist ein Saustall, es ist einfach die Hölle!“

Nach diesem Ausbruch ließ ich einen fassungslosen Peter und einen heulenden Markie einfach hinter mir und stürmte raus. Weg hier, bloß weg, es war doch wirklich die Hölle, ich konnte es nicht mehr ertragen! Rein ins Auto und weg. Wohin? Keine Ahnung. Während ich ziellos durch die Gegend fuhr, sah ich aus den Augenwinkeln die hetzende Meute, die sich im letzten Moment um Weihnachtsgeschenke bemühte. Dabei fiel mir ein, dass ich die Digicam für Markie noch nicht besorgt hatte. Die wünschte er sich sehnlich, und er sollte sie gerne bekommen, er liebäugelte immer mit dem alten Fotoapparat, den ich noch von meinem Vater hatte. Und den sollte er nun wirklich nicht in seine kleinen Finger bekommen.

Thomas und Ingo… ja klar! Dorthin fuhr ich jetzt, um zu sehen, ob sie zu Hause waren. Das war genau das, was ich jetzt brauchte: Ruhe und Ordnung.

Ingo war zu Hause, Thomas war zu seinen Eltern gefahren, um ihnen bei dem Weihnachtsbaum zu helfen. Ich atmete tief durch, als ich das Wohnzimmer der beiden betrat. Im ganzen Haus herrschte eine wohltuende Ruhe, es brannte ein Feuer im Kamin, alles war tadellos aufgeräumt, Ingo hatte in einem Sessel gesessen und gelesen.

„Störe ich dich auch nicht?“, fragte ich.

„Aber gar nicht, nein. Ich freue mich, dass du hier bist. Wie geht es euch denn so? Was macht der Kleine? Sicherlich ist er doch aufgeregt wegen morgen?“

Während Ingo sich und mir ein Glas Sherry eingoss, erzählte ich ihm zögernd, dass Markie sehr aufgeregt sei, und Peter sich sehr um ihn zu kümmern hatte.

„Ich beneide euch um den Jungen“, meinte Ingo und nippte an seinem Sherry. „Ich fände Weihnachten mit einem kleinen Kind einfach wundervoll.“

„Du hast ja keine Ahnung, was das alles bedeutet, Ingo. Überhaupt keine Ruhe, ständig Chaos. Meine Güte, ihr habt es so schön hier, du musst dich doch wie im Himmel fühlen.“

„Ja, schon, nur, weißt du, manchmal kann aber auch Ruhe nerven. Ich könnte mir schon so ein Kind hier vorstellen, aber Thomas lehnt den Gedanken kategorisch ab. Kinder sind zu unruhig, sie machen Unordnung, bringen alles durcheinander.“

„Ja, er hat ja auch recht. Da kommt man erschöpft von der Arbeit, möchte sich ausruhen, und dann kommt so ein heulendes Etwas angerannt…“ Ich erzählte ihm davon, wie Markie vor ein paar Wochen in eine Stecknadel gefasst hatte. Erschrocken über den Schmerz und den Blutstropfen hatte er sich auf meinen Schoß gesetzt und sich trösten lassen. Sein nass geweintes Gesichtchen gegen meine Brust gedrückt musste ich auf den Finger pusten, bis er nur noch leise schniefte, sich noch weiter an mich kuschelte und dann einfach einschlief. Leise lächelnd dachte ich daran, wie ich seinen kleinen warmen Körper hin und her geschaukelt hatte, mein Gesicht in seine strubbeligen Haare… Hallo? Was war denn jetzt los, ich wollte mich nicht an solche Momente erinnern, ich wollte mich über diesen nervigen Brüllaffen beschweren! Und darüber, dass Peter kaum noch Zeit für mich fand!

Während der Sherry seine Wirkung tat, und ich Ingo haarklein von meinem Leben erzählte, huschte ein wehmütiges Lächeln über sein Gesicht.

„Ach Junge, was willst du denn? Du führst einfach ein Familienleben! Weißt du, wie unser Leben aussieht? Ich komme am späten Nachmittag nach Hause, niemand ist hier. Niemand, verstehst du? Ich räume auf, bereite das Abendessen vor. Wenn Thomas dann später nach Hause kommt, essen wir. Reden tun wir nicht viel, wir sind beide abends ziemlich kaputt. Dann gibt es noch fernsehen oder jeder liest, ich schaue manchmal, ob es bei Nickstories.de wieder neue Stories gibt, irgendwann gehen wir ins Bett. Am Wochenende gehen wir auch mal ins Kino, klar, auch mal in ein Restaurant, geredet wird hauptsächlich über den Beruf. Dann putzen wir gemeinsam das Haus gründlich durch, weil für Thomas die Sauberkeit an erster Stelle steht. Dann werden noch die Eltern besucht und schon ist wieder Montag, und alles geht von vorne los.“

Ingo genehmigte sich einen ordentlichen Schluck Sherry, und ich schaute ein wenig verblüfft. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich entschuldigte mich kurz und ging ins Bad. Auch hier herrschte makellose Sauberkeit, nichts stand unnütz herum, ein leiser Hauch von After Shave hing in der Luft, es war so… kühl, unbewohnt, ohne Leben. Ordentlich halt, sehr ordentlich.

Als ich wieder ins Wohnzimmer ging, schaute ich automatisch auf den Fußboden, ob da nicht irgendwo ein Spielzeug rum lag, über das ich stolpern konnte. Aber natürlich lag da nichts, es war einfach alles nur ordentlich und ruhig. Sehr ruhig. Eigentlich still. Und nirgends etwas, was auf Weihnachten hinwies, bis auf eine Kerze, die auf dem Tisch stand.

„Habt Ihr keinen Weihnachtsbaum?“

„Nein, Thomas meint, das lohnt sich nicht, wir sind ja die Feiertage hauptsächlich bei den Eltern, da brauchen wir keinen Baum.“

Nun ja, das war praktisch gedacht wohl richtig.

Ein weiteres Glas Sherry lehnte ich ab.

„Danke nein, Ingo, ich muss noch Auto fahren und sollte jetzt auch so langsam los. Also, Grüße an den Thomas und fröhliche Weihnachten für euch beide.“

Nachdem ich mich von Ingo verabschiedet hatte, setzte ich mich in mein Auto und fuhr langsam los. Was war eigentlich mit mir los gewesen? Warum hatte ich mich so hochgeschaukelt? Plötzlich drängten sich mir die Erinnerungen an damals auf.

Fünf Jahre waren wir schon ein Paar, da stellten wir den Antrag auf eine Adoption. Es war eine aufregende Zeit. Furchtbar nervig, aber sie schmiedete uns auch noch fester zusammen. Nach quälenden Monaten des Wartens wurden wir in ein Kinderheim eingeladen, um Markie kennen zu lernen. Er war quirlig, sauste im ganzen Kinderheim herum und musste von einer Erzieherin erstmal eingefangen werden. Als wir ihm erklärten, dass er eventuell zu uns ziehen würde, düste er ab in sein Zimmer, kam mit seinem Teddybären wieder und meinte: “ Bärchen muss aber auch mit, ja?“ Gerührt nickten wir, und Markie meinte, dann könnten wir ja los. Soweit war es aber noch nicht, aber eines Tages durften wir ihn dann endgültig abholen.

Peter hatte schon seinen Job gekündigt, er arbeitet nur noch stundenweise von seinem PC aus. Wir hatten das so abgemacht, weil ich einfach in meiner Firma mehr Geld verdiene, und weil Peter einfach mehr Sinn für Kinder und Haushalt hat. So ist es bis heute geblieben, und eigentlich war doch immer alles gut.

Hey, du Blödmann, schimpfte ich mit mir selbst, es ist Weihnachten, da darf doch mal alles ein wenig drunter und drüber gehen. Wäre dir ein Leben wie bei Ingo und Thomas lieber? Himmel noch mal, warum habe ich nicht einfach mit zwei Griffen die nassen Klamotten in die Maschine gesteckt? Dann eine Runde mit Markie gespielt, Peter hätte die Küche aufgeräumt, dann hätten wir Abendbrot gegessen, den Kleinen ins Bett verfrachtet, anschließend zusammen das Wohnzimmer aufgeräumt, und dann hätten wir Zeit für uns gehabt. Ist doch alles kein Problem. Und genauso wollte ich das jetzt auch machen.

Fröhlich pfeifend parkte ich den Wagen, lief schwungvoll die Treppe hinauf und schloss die Wohnungstür auf, bereit, meinen kleinen Wildfang in die Arme zu schließen.

Stattdessen kam mir ein total aufgeregter Peter entgegen, am Rande der Hysterie: „Markie ist weg, er ist einfach weg, wo warst du denn? Er ist einfach verschwunden!“ Er fiel mir um den Hals und fing an zu schluchzen.

Entsetzt schob ich ihn von mir: „Was heißt denn weg? Wieso weg? Nun rede doch schon!“ Ich schüttelte ihn durch.

„Als du einfach so weggerannt bist, habe ich mich in die Küche gehockt, dein Ausbruch war so grausam… ich habe Geräusche gehört und dachte, Markie sei in seinem Zimmer und spiele, dann habe ich mir was angezogen, bin dann in sein Zimmer… aber da war er nicht, nirgends war er, dann habe ich entdeckt, dass sein Anorak fehlt und auch die Stiefel, beides war doch noch gar nicht ganz trocken, dann bin ich runter vor die Tür, aber nirgends war er, bin wieder hoch, habe im Kindergarten angerufen, aber da ist niemand mehr, wir müssen ihn suchen, nun tu doch was!“

Mit weit aufgerissenen Augen schaute er mich verzweifelt an, während mich eine kalte Angst durchfuhr. Mein Kleiner… mitten in diesem Weihnachtsgewühl, bei dieser Kälte… wo sollten wir ihn suchen?

Peter ließ mich los, schnappte sich seine Jacke und schrie mich an: „Los jetzt, wir fahren zu seinen Lieblingsplätzen, nun komm schon!“

Er polterte die Treppe hinunter, ich raste hinterher. Mit klopfendem Herzen fuhr ich los: „Wohin als erstes?“

„Zuerst zum Naturkundemuseum.“

„Zum Museum? Mein Gott, warum denn das?“

„Weil er dort unheimlich gerne ist. Da ist eine Bärenfamilie ausgestellt, da kann er stundenlang stehen, und ich muss mir dann Abenteuer ausdenken, die er mit den Bären erlebt.“

Das hatte ich gar nicht gewusst. Sicher, Markie hatte mir mal von einer Bärenfamilie erzählt, aber ich hatte wohl nicht so genau zugehört. Eigentlich wusste ich sehr wenig darüber, was die beiden so den Tag über machten, wenn Markie aus dem Kindergarten kam. Peter erzählte mir abends immer davon, aber dann war ich so müde und… verdammt! Ich schlug mit der Hand auf das Lenkrad, ich hatte Peter solche Vorwürfe gemacht, dabei war ich derjenige, der den Mist gebaut hatte.

Ein toller Vater war ich, nicht mal die Lieblingsplätze meines Kindes wusste ich.

Das Museum war natürlich schon geschlossen, wir liefen rund um das Gebäude, aber nichts, kein Markie weit und breit.

Vorbei am Spielplatz, aber der war leer, klar, war ja schon stockdunkel.

Also wieder rein in die Innenstadt, immer noch Gewühl, ich kam kaum vorwärts und hupte wütend. Peter legte mir die Hand auf den Arm: „Nicht durchdrehen jetzt, das hilft auch nicht.“

Endlich fanden wir in der Parkgarage des Kaufhauses einen Parkplatz, hetzten hoch in die Spielzeugabteilung, suchten alle Gänge ab, fragten die Verkäufer, nichts. Immer nur nichts.

Atemlos blieben wir stehen, guckten uns fragend an. Polizei? Die würde uns jetzt noch nicht ernst nehmen, Kinder müssen länger verschwunden sein, bevor man eine Vermisstenmeldung aufgeben konnte.

„Das ist mir egal“, schrie ich außer mir, als Peter meinte, Polizei sei sinnlos, „und wenn ich den ganzen Laden da aufmische und bis zum Polizeipräsidenten gehe, sie werden Markie suchen! Los jetzt, ab nach Hause, wir brauchen ein Foto von ihm!“

Ich stürmte schon die Rolltreppe runter, hörte wütende Rufe hinter mir, da ich rigoros die Leute beiseite schubste, rannte in die Tiefgarage und ließ den Wagen an. Peter konnte gerade noch einsteigen, schon fuhr ich los.

Zu Hause angekommen rannte ich sofort zu den Fotoalben, als Peter mich rief: „Ein Anruf auf dem AB!“ Peter hatte schon den Knopf gedrückt und atemlos hörten wir die Nachricht: „Guten Tag, hier ist Lisa Münch aus dem Kinderheim. Der kleine Mark ist hier eben eingetroffen. Er meint, er wolle jetzt wieder hier bleiben! Ich bitte Sie dringend um eine Erklärung!“

Die Stimme hatte etwas schroff geklungen, was mir auch einleuchtete. Aber wie zum Teufel kam der Junge auf das Kinderheim? Egal, während Peter sich das Telefon schnappte, um im Heim anzurufen, bretterte ich schon wieder die Treppe hinunter: „Los, komm, nicht anrufen, wir fahren gleich hin.“

Unterwegs sah ich auf die wogende Menschenmenge und erschauderte. Wie ist dieses kleine Kerlchen da alleine durchgekommen? Peter hatte sofort eine Erklärung: „Wir sind doch ein paar Mal mit dem Bus zum Heim gefahren. Ich wollte nicht, dass er es vergisst, er hat sich dann immer gefreut alle mal wiederzusehen. Er muss sich irgendwie die Buslinie gemerkt haben und bei dem Gewühl ist er bestimmt nicht aufgefallen.“

Mit quietschenden Reifen hielt ich eine Viertelstunde später vor dem Kinderheim, wo wir ungeduldig klingelten. Frau Münch öffnete uns die Tür und zog missbilligend ihre Augenbrauen zusammen, als sie uns sah.

„Guten Tag, kommen Sie herein.“

Sie ging in ihr Büro, wir hinterher: „Frau Münch, wo ist Markie?“

„Setzen Sie sich und erklären Sie mir erstmal, was vorgefallen ist. Mark ist in der Küche und trinkt heißen Kakao.“

Wir erzählten ihr, dass wir uns gestritten hätten, und dass Markie daraufhin plötzlich verschwunden sei, wie wir ihn gesucht hätten und immer verzweifelter wurden.

Sie sah uns äußerst unterkühlt an und meinte, wir sollten mit ihr in die Küche gehen.

Markie sprang uns entgegen: „ Pietie, Daddy!“ Wir gingen in die Knie und er umarmte uns beide.

„Oh Markie“, Peter kamen fast die Tränen, „was war denn los? Warum bist du weggelaufen?“

„Mein Kleiner, du hast uns zu Tode erschreckt!“ Ich konnte auch kaum sprechen und drückte diesen kleinen Körper an mich.

Markie schob uns weg und schaute uns ernst an. Zu mir sagte er dann: „Daddy, du hast gesagt, du bist wütend und es ist alles wegen mir… vorher hattet ihr euch lieb, aber nun bin ich da und nun seid ihr euch böse. Und du magst nicht mehr zu Hause wohnen und bist weggelaufen und dann hat Pietie geweint… da wollte ich nur noch weg.“

Ich setzte mich auf den Küchenstuhl und zog Markie auf meinen Schoß.

„Pass mal auf, Kleiner, ich muss dir was sagen. Ich habe mächtig Scheiße gebaut…“

Markie wand sich in meinen Armen und wandte sich um:

„Piiieettiieee“, schrie er entzückt,“ Daddy hat 'scheiße' gesagt!!!“

„Mark!“ Ich holte mir das kleine Köpfchen energisch zurück. „Hör mir jetzt mal zu: Ich war ein riesengroßer Esel…“

„Daddy ist ein Esel, Daddy ist ein Esel….“

Markie hüpfte wie ein kleiner Springball auf meinem Schoß herum, dann hielt er plötzlich inne, schaute mich nachdenklich an, um dann herzhaft zu gähnen.

„Pietie, können wir jetzt nach Hause gehen?“

Peter stand auf und nahm mir das kleine Bündel ab.

„Moooooment, so geht das ja nun nicht!“

Erschrocken schauten wir auf Frau Münch, die in der Tür lehnte. Eiskalt durchfuhr es mich: Sie war es gewesen, die bis zum letzten Moment die Adoption von Mark durch uns verhindern wollte. Homosexuelle, die ein Kind adoptieren wollten! Das war in ihren Augen ein schweres Vergehen.

„Wir können ja keines selber machen“, hatte Peter damals gesagt, und das kam gar nicht gut an!

Dass wir Markie dann doch bekamen, hat sie uns nie verziehen und ich dachte, sie lauert jetzt auf eine Gelegenheit uns das Kind streitig zu machen.

Sie nahm Markie an der Hand, kniete sich vor ihm nieder und schaute ihn an: „Mark, willst du wirklich mit den beiden von hier weggehen?“

Mark griff nach ihrer Kette und spielte kurz dran rum: „Klar doch, wir haben noch ne Menge zu tun, morgen kommt doch der Weihnachtsmann.“

„Richtig, richtig, und daher wollen wir uns bald mal auf den Weg machen“, ertönte eine sonore Stimme und Herr Schirmer vom Jugendamt betrat die Küche. „Guten Tag, die Herren. Ich habe heute Notdienst und wurde von Frau Münch informiert. Mark, geh doch mal mit der Lisa ins Büro und lass dich anziehen, ja?“

Während die beiden verschwanden, setzte sich Herr Schirmer zu uns. Fragend schaute er uns an. Ich holte tief Luft und erzählte.

„Tja“, meinte er, ohne eine Miene zu verziehen, „es ist eben Weihnachtszeit. Stress ohne Ende, da können einem schon mal die Nerven durchgehen. Also, ich fahre jetzt mit Ihnen nach Hause, rede dort noch einmal mit Mark und dann schauen wir mal. Sind Sie einverstanden?“

Wir nickten, holten Mark und wünschten Frau Münch fröhliche Weihnachten.

Herr Schirmer fuhr hinter uns her, wir redeten im Auto kaum ein Wort, Markie schien wirklich müde zu sein.

Und wir waren besorgt, denn uns beschlich das Gefühl, dass die Sache noch nicht ausgestanden war.

Zu Hause angekommen schloss ich die Wohnungstür auf. Markie schnappte sich die Hand von Herrn Schirmer und zog ihn fröhlich plappernd durch die Räume. Wir blieben im Flur und ein eiskalter Schreck durchfuhr mich: Was mochte Herr Schirmer denken, wenn er diese ganze Unordnung sah? Peter ergriff meine Hand und schaute mich ängstlich an, ihm schienen die gleichen Gedanken durch den Kopf zu gehen.

Herr Schirmer ging mit sorgenvoller Miene von einem Zimmer zum anderen, während Markie aufgeregt auf ihn einredete, er erzählte wohl vom Tag. Nachdem sie aus dem Bad kamen, blieb Herr Schirmer vor uns stehen.

„Möchten Sie sich setzen?“, fragte ich, aber Herr Schirmer schüttelte nur kurz den Kopf.

„Nicht nötig, ich denke, wir können es kurz machen. Schade, meine Herren, wirklich schade, so hatte ich mir das Ganze hier nicht vorgestellt.“ Düster blickte er von Peter zu mir. Peter umklammerte meinen Oberarm, und mir wurde urplötzlich schlecht.

„Wie ich schon sagte, sehr schade!“ Ein leichtes Grinsen durchzog sein Gesicht, das sich immer mehr zu einem Lächeln ausbreitete.

„Sehr schade, dass ich schon so alt bin. Bei Ihnen beiden wäre ich gerne noch mal Kind! So, junger Mann, nun mal zu Ihnen. Wenn Sie mal wieder fühlen, dass Sie von der Firma gestresst sind, dann gehen Sie entweder auf ein Bier in eine Kneipe, oder Sie laufen dreimal um den Block, jedenfalls sollten Sie sich auf andere Art und Weise abreagieren. Passen Sie einfach ein bisschen mehr auf, was Sie sagen, Kinderseelen sind sehr empfindlich! Aber ich denke, das Erlebnis heute war Ihnen eine Lehre, mehr muss ich wohl gar nicht sagen.“

Wir nickten beide heftig mit den Köpfen.

„So, kleiner Mann, was wird denn das jetzt?“ Er schaute zu Markie, der eifrig zwischen Kinderzimmer und Bad hin und her lief.

„Ich muss doch jetzt baden, da brauche ich meine Quietscheentchen.“

„Ach klar, natürlich. Na, dann wünsche ich dir mal fröhliche Weihnachten mit deinen Eltern… ähem… ich meine, ach, ist ja auch egal, also mit den beiden hier, mach’s gut.“ Er fuhr mit der Hand durch das Strubbelhaar unseres Kleinen.

Wir gaben uns die Hand, tauschten Weihnachtshöflichkeiten aus, dann war er fort.

Aufatmend lehnten wir uns an die Tür, guckten uns an, umarmten uns und hielten uns ganz fest.

„Daddy, mach doch mal das Wasser an, aber mit ganz viel Schaum!“

Peter kam mit ins Bad: „Da die Küche ohnehin wie eine Backstube aussieht, was haltet ihr heute Abend von einer selbstgemachten Pizza?“

Als Markie in der Wanne saß und Peter in der Küche weiteres Mehl verteilte, ging ich ins Wohnzimmer und begann aufzuräumen.

Mich beschlich ein Gefühl, das ich nicht richtig definieren konnte.

Nachher, wenn der Kleine im Bett lag, wollte ich mich bei meinem Schatz für alles entschuldigen. Wir konnten dann in Ruhe über alles reden und würden diesen aufregenden Tag gemütlich ausklingen lassen. Bei diesem Gedanken wurde mir ganz warm… erschrocken fuhr ich aus meinen Träumen auf: aus dem Bad kam ein Poltern. Aha, Markie spielte wieder Badeentchen-Weitwerfen, mal sehen, welche…

„ Juhuuuu, das gelbe Entchen hat getroffen!“

…also heute war es das gelbe Entchen, das einen Zahnputzbecher vom Regal gefegt hat, sehr gut. Ich grinste vergnügt in mich hinein.

Während ich weiter aufräumte, hörte ich Weihnachtslieder. Markie und Peter sangen aus vollem Halse, laut und falsch und natürlich jeder ein anderes, aber was machte es? Es war einfach nur himmlisch. Himmlisch?

Ich stand einen Moment da… ja genau, jetzt wusste ich, welches Gefühl ich hatte: Ich fühlte mich wie im Himmel!

Ende

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