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Einfach nur Tim

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Informationen

 

Diese Geschichte beruht leider auf einer wahren Begebenheit.

Sie erzählt von den Erlebnissen, die ich mit meinem Freund Tim hatte, wie ich ihn liebte und wie er an seinem Leukämieleiden starb.

Gleich zu Anfang mache ich euch das Geständnis schwul zu sein, doch die Leute, die mich kennen, wissen, dass schwul nicht gleich tuckig und auch nicht untreu bedeutet.

Tim und ich lebten sehr monogam. Sozusagen eine schwule Ehe. Aber von Ehe möchte ich später mehr erzählen…

Also, wie gesagt: Tim und ich waren miteinander zusammen und das seit Oktober des Jahres 2003. Wir lernten uns in Köln auf einer schwulen Party kennen. Ich weiß noch ganz genau wie ich ihn das erste Mal sah. Er war ein hübscher Junge, 16 Jahre alt, 190cm groß, schlank, durchtrainiert und ein Gesicht, so schön wie man es von den Menschen aus Mode-Katalogen her kennt. Er wollte sich etwas zu Trinken holen und traute sich aber nicht den Barkeeper anzusprechen, da dieser einen recht unfreundlichen Eindruck machte. Ich, gerade 18 geworden, ging hin und bestellte 2 Cola (ich war mit dem Auto unterwegs und durfte ja keinen Alkohol trinken). Mit einem verschmitzten Lächeln bot ich ihm eine Coke an und fragte ihn: „ Bist wohl noch nicht oft auf so einer Party gewesen?“ – „Nein, noch nie zuvor, mein Freund hat mich mitgenommen“ Scheiße... er hat schon einen Freund. Ich war so sauer, immerhin hatte mich diese blöde Cola 3€ gekostet. Na ja, egal. Nett reden sollte man ja auch dann können, selbst wenn der andere einen Partner hat. Also fing ich an mit ihm zu reden.

„Wie lange seid ihr denn schon zusammen?“, fragte ich ganz forsch. „Es ist nur ein Freund. Ich bin solo“. Diese Worte taten so verdammt gut. Ich war froh weiter mit ihm gesprochen zu haben und nun wurde der Bengel wieder interessant.

„Hast du schon bemerkt wie dich alle hier anstarren?“

„Nein, wieso sollten mich auch alle anstarren?“ – „Weil du der hübscheste Kerl auf dieser Party bist!“ „War das ein Kompliment?“ fragte er mit roten Bäckchen. „Nein, das war die Wahrheit. Du bist verdammt süß!“ antwortete ich.

„Du machst Witze, hier sind so viele hübsche Jungs, da machst du mir hier Komplimente, aber danke. Das ist voll lieb von dir. Wie heißt du eigentlich?“

„Olli! Und wie darf ich dich nennen? Hübscher ist ja kein Name…“

„Ich bin Tim. Kommst du hier aus Köln?“

„Leider nein. Ich komme aus der Koblenzer Ecke, und du?“

„Ich bin aus der Nähe von Dortmund. Robert hat mich eingeladen dieses Wochenende bei ihm zu verbringen, aber ich habe ihn seit 3 Stunden nicht mehr gesehen.“

„Du willst mir doch nicht erzählen, dass du hier auf deinen Kumpel warten willst, bis er dich mit nach Hause nimmt, ohne zu wissen wo der überhaupt steckt. Wahrscheinlich vögelt der gerade rum und hat dich schon längst vergessen.“

„Meinst du, der kommt nicht mehr?“

„Nein, ich denke der wird sich ein wenig Spaß gönnen, so wie das die Meisten hier tun“

„Hattest du hier auch schon deinen Spaß?“

„Nein, ich finde das zu billig, ich bin hier, weil ich mich gerade von meinem Freund getrennt habe und ich ein wenig Abwechslung brauche.“

„Achso, ich bin noch nicht so lange schwul und eigentlich bin ich ja auch bi. Finde es hier auch gar nicht so toll“

„Wollen wir woanders hingehen. In Köln findet man auch ein ruhiges Café zum Reden, dann müssen wir auch nicht so gegen die laute Musik ankämpfen. Warte hier, ich bezahl kurz unsere Verzehrkarten und dann gehen wir in ein Café. Kenne da ein schönes.“

[…]

Nachdem ich dann die Verzehrkarten bezahlt hatte und wir in mein Auto eingestiegen waren, fassten wir beide den Entschluss im Auto ein wenig zu reden. Er erzählte mir, dass seine Eltern offen bisexuell leben und mit seiner Sexualität keinerlei Problem haben. Er war Schüler an einem Gymnasium, so wie ich damals auch, und er würde aber nach dem Fachabitur eine Ausbildung zum Krankenpfleger machen wollen, um dann Krankentherapie studieren zu können. Tim hatte viele Ziele und während wir miteinander redeten, trafen sich immer zu unsere Blicke. Diesen Augen konnte ich nicht ausweichen.

Irgendwann fragte er mich: „Warum habt dein Freund und du euch getrennt?“

„Matthias ging fremd und das über mehrere Monate. Er hat mir alles per SMS gebeichtet, als ich auf Klassenfahrt war. Zudem hat er einen Teil seines Studiums mit Pornos finanziert.“

„Oh, dann bist du wohl sehr von ihm enttäuscht?“

„Ja, sehr sogar“

„Wie lange ward ihr zusammen.“

„Fast 4 Jahre. Ich habe ihn kennen gelernt da war ich 14.“

„Das ist aber…“

„Früh gewesen? Ja, aber man kann sich Gefühle einreden und unterdrücken, oder dazu stehen.“

„Bist du denn geoutet?“

„Nein, ich habe die Beziehung sehr heimlich geführt, was wahrscheinlich auch der Grund war, dass er mir fremdgegangen ist“

„Ich würde niemals fremdgehen, wenn ich jemanden wie dich als Freund hätte…“

Dieser Satz überraschte mich nicht nur, er tat verdammt gut. Ich schwebte im 7. Himmel. Ein Junge, so lieb und hübsch, jemand, der wirklich jeden haben konnte, den er wollte, sagte mir, dass er sich nach jemandem wie mir sehnte.

„Ich würde dir auch nicht fremdgehen, wenn ich dich als Freund hätte.“

„Das glaube ich dir. Du bist ein netter Kerl, Olli. Ich habe dich den ganzen Abend beobachtet. Aber ich war ziemlich schüchtern und hatte keinen Mut dich anzusprechen.“

Mir stand der Mund offen. Klar, ich war damals jung und auch nicht hässlich, aber es gab echt hübschere Typen auf dieser Party und konnte kaum glauben, was mit Tim da erzählte. Seine Hand berührte plötzlich meine und sein Kopf kam meinem näher. Die Gesichter bewegten sich aufeinander zu und unsere Lippen spitzen sich. Mit ein wenig Ängstlichkeit gab mir Tim den schönsten Kuss meines Lebens und ich ließ die Augen offen um seine zu sehen.

So leidenschaftlich hatte ich noch nie einen Menschen geküsst.

Wir blieben die ganze Nacht im Auto, das sich auf einem Parkplatz in Köln befand. Da es in diesem Jahr sehr kalt im Oktober war, kuschelten wir uns aneinander, um die Körper warm zu halten. Nach einiger Zeit schliefen wir ein.

Wir tauschten am nächsten Morgen die Handynummern und Adressen, trafen uns seiner Zeit jedes freie Wochenende und führten eine Fernbeziehung, 300km von einander entfernt.

Es war für mich die schönste Zeit meines Lebens, meinen Freund an den freien Tagen meiner Oberprima-Zeit zu sehen.

Wir liebten uns sehr und fühlten uns eng verbunden. An den Tagen, an denen wir uns nicht sahen, telefonierten wir und ich war froh, dass es die Sparvorwahlnummern gab. Anders hätten unsere stundenlangen Gespräche die Telefonrechnung ins unermessliche geführt.

Der Gesprächsstoff ging uns selten aus und meist schliefen wir beim Telefonieren ein.

Tim stellte mich auch seinen Eltern vor. Elisabeth und Jochen mochten mich sehr. Sie nannten mich Schwiegersohn und auch Tims jüngerer Bruder Stefan kam gut mit mir klar.

Bis hierher hört sich das ganze nach einer Geschichte eines glücklichen Paares an. Alles war in bester Ordnung und harmonisch führte man die Beziehung.

Doch dann kam es im Dezember 2004 zu einer schrecklichen Begebenheit. Tims Arzt diagnostizierte Leukämie.

Schon Wochen zuvor fühlte sich mein Schatz nicht wohl. Ihm war oft übel und er fühlte sich schwach. Daraufhin ging er zum Arzt.

Und nun diese Botschaft. Tim hatte Angst und ich war am Boden zerstört. Aber ich hatte die Hoffnung, dass Chemo-Therapie oder eine Knochenmarkspende eine Rettung sein könnten.

Wir führten unsere Beziehung die nächsten Wochen normal weiter und Weihnachten schenkte ich ihm einen Ring zum Zeichen meiner Liebe. Das Neue Jahr erlebten wir leider getrennt. Der gemeinsame Urlaub musste wegen seinen Schmerzen abgesagt werden.

Das Jahr 2005 war das schlimmste was ich je erlebt habe. Im Februar kam Tim ins Krankenhaus. Er hatte eine Erkältung. Sein Immunsystem war von der Chemotherapie sehr geschwächt und ihm fehlte die Kraft mit den Viren fertig zu werden.

März. Tim war kreidebleich im Gesicht und die Tage an denen ich ins Krankenhaus fuhr mehrten sich. Ich sah immer noch den hübschen Jungen vom Oktober 2003 vor mir, doch ein kränkliches Häufchen Elend lag in einem Krankenhauszimmer in weißer Bettwäsche vor mir. Nicht mehr als 38kg wog Tim. Sein Wille zum Leben war nicht mehr vorhanden. Mit der Bitte die Stecker zu ziehen, wenn er ins Koma fällen sollte, wurde mir das schlimmste aller Dinge klar. Die Hoffnung auf Heilung war gleich Null. Weder die Chemotherapie schlug an, noch hatte man einen geeigneten Knochenmarkspender gefunden. Hinzu kam Tims körperliche Verfassung.

Mit der wenigen Zeit, die mir noch blieb, machte ich Tim einen Heiratsantrag und 3 Tage später am 21.03.05 heiratete ich meinen Schatz. Leider nur symbolisch, da er noch keine 18 war.

Dennoch hatte es für mich die gleiche Bedeutung.

Am 1. April 2005 fiel Tim in ein Koma, ich stand im Unterricht auf und fuhr von Koblenz aus zu ihm ins Krankenhaus. 2 Tage blieb ich an seiner Seite. Jede Nacht war ein einziger Horror, denn ich hatte Angst einzuschlafen. Ich wollte wach bleiben, damit es Tim auch blieb.

Ich war völlig hilflos. Tims Eltern blieben auch bei uns. Stefan besorgte an den Tagen Mittagessen für uns und sein Vater rund um die Uhr Kaffee. Ich war auf dem Höhepunkt meiner Verzweiflung. Kaum ansprechbar und Tim in den Händen haltend war ich bei ihm. Auch als er Blut erbrach und ich körperlich nicht mehr konnte, blieb ich bei meinem Mann.

03.04.05. Tims 18. Geburtstag. Ein Stück Kuchen mit einer Kerze brachte ich ins Zimmer. Als ich den Raum betrat standen eine Reihe Ärzte um das Bett meines Partners und machten Notizen, der Oberarzt ging auf mich zu, sagte dann zu mir:

„Ich denke, Sie sollten sich nun verabschieden“ zündete die Kerze an und wische mir die Tränen aus den Augen. Der Zivi klopfte mir auf die Schulter, der Rest der Meute schaute unter sich. Das EKG- Gerät gab in einem düsteren Rhythmus den Herzschlag von Tim wider. Ich nahm einen Stuhl, setzte mich neben ihn hin und gratulierte ihm zum Geburtstag. Ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob er merkte, dass ich im Raum war, denn sein Zustand war nicht definierbar. Die Augen waren offen, aber er sprach nicht, er atmete nur sehr leicht und der Blick war starr gegen die Decke.

Dann kamen Tims Eltern und setzten sich neben mich: „Olli, danke für alles was du für unseren Sohn getan hast, aber wir glauben, dass du besser nicht mehr hierher kommen solltest. Wir wollen es dir ersparen Tim sterben zu sehen. Wir sind immer für dich da, du bist wie ein Sohn für uns.“ Mit neunen Tränen in den Augen umarmte ich Elisabeth, umarmte Jochen. Dann beugte ich mich über Tims Bett, gab ihm einen Kuss und hörte wie das EKG Alarm schlug. Sein kleines Herz hörte auf zu schlagen.

Ich fiel in Trance, wusste plötzlich nicht mehr was los war. Ich griff an sein Herz, versuchte ihn wieder zu beleben.

[…]

Der Arzt und zwei Schwestern kamen rein, ein Pfleger schob mich auf Seite. An mehr erinnere ich mich nun nicht mehr, denn diese Bilder sind verschwommen.

TOT. Tim war tot.

Elisabeth und Jochen lagen sich weinend in den Armen und ich war down. So down wie ich noch nie zuvor in meinem Leben war.

Ich hatte das wertvollste, was ich in meinem Leben besaß, verloren.

Tim S. wurde 18 Jahre alt. Ich gründete zusammen mit einer großen Koblenzer Firma eine Initiative, die sich für Eltern Krebskranker Kinder einsetzt, bei ihren Kindern bleiben zu können, wenn Beruf und/oder Finanzen dies nicht zulassen.

ENDE

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