zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Quartett

Teil 9 - Strand

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

15. Strand

Die verwitterte Holztreppe vom Parkplatz zum Strand war noch kühl und feucht von der Nacht. Die Sonne heizte sie nur langsam auf und eine Mischung von salzig feuchter Luft gemischt mit einem leicht moderig holzigen Duft umgab sie. Ein leises knacken vom arbeitenden Holz in der aufgehenden Sonne war zu hören. Das Alter dieser Treppe ließ sich schwerer schätzen, denn sie war tagein tagaus der Witterung der Costa Brava ausgesetzt. Sonne, Meeresluft und Wind hatten deutliche Spuren hinterlassen. Das Holz war bleich geworden und steinhart. Die Maserung war stark hervorgetreten und fühlbar geworden, viel stärker als bei frischem Holz. Das weiche Holz zwischen den harten Jahresringen war durch viele Jahre harter Arbeit der Natur abgenutzt. Nur auf den Laufflächen und am Treppengeländer war das Holz glatt und abgerieben. Offensichtlich haben viele Hände und Füße im Laufe der Zeit das Holz geglättet.

FX stand wie versteinert am Fuße dieser Holztreppe.

Er stand dort und starrte mit offenem Mund ganz ungläubig auf den Mittfünfziger, der gerade seinen Strandkiosk geöffnet hatte. FX war mit seinen Freunden just an dem kleinen versteckten Strand in Nordspanien angekommen. Die Fahrstrecke von der Eliteuniversität bis ans Mittelmeer war weit, aber dank seines geheimnisvollen Autos nur von sehr kurzer Dauer. Zwischendrin gab es noch das kleine Erste-Hilfe-Intermezzo, wo die vier Freunde einen ganzen Reisebus evakuierten, weil dieser in Flammen aufgegangen war. Dass FX beziehungsweise ein offensichtlich geheimer Club dahintersteckte und FX diese Hilfsaktion geschickt eingefädelt hatte, um eine ganz bestimmte Person zu retten, vermutete zu diesem Zeitpunkt allerdings niemand.

Allerdings ahnte FX auch nicht, dass er an diesem Strand nun seinen Lehrmeister aus grauer Vorzeit treffen würde. Daher stand er auch wie angewurzelt mit nackten Füßen und wie üblich zu kurzen Hosen im Sand. Eigentlich wollte er nur die Wärme der feinen Sandkörner spüren und alte Erinnerungen an diesen Strand wiederaufleben lassen. Die würden auch noch kommen, das ahnte er. Das wusste er sogar. Aber dass sogar eine ganz alte Erinnerung wirklich Realität werden würde, damit hätte er nicht gerechnet!

Er brauchte ein paar Augenblicke, bevor er realisierte, dass er nicht träumte. Und so merkte er auch gar nicht, dass er zum wiederholten Male den Namen des Mannes am Strand rief: „Eggsy!”

Eggsy? Keiner seiner drei Freunde hatten diesen Namen jemals gehört, FX hatte ihn nie erwähnt. Besonders üblich klang er auch nicht. Unsicher sahen sie sich an. Michel zuckte nur mit den Schultern, Ben wedelte ein paar Mal mit der flachen Hand vor seinem eigenen Gesicht um zu zeigen, dass FX wohl kurz vor dem Verrücktwerden war. Und auch Henne kratzte sich verwundert an seinen kahl rasieren Seiten, rechts und links seines perfekt aufgerichtet Iros, der in knalligem Gelb und strahlendem Blau mit Sonne und Meer um die Wette leuchtete.

„Ich glaub, das dauert noch’n bisschen”, raunte Ben etwas resigniert, ließ sein Skateboard auf eine Stufe fallen und setzte sich drauf.

„Sag mal, was willst Du eigentlich mit Deinem Board am Strand? Bist Du wirr?” Michel konnte einfach nicht glauben, wieso der Typ immer sein Skateboard dabei hatte. Selbst in den unmöglichsten Situationen, wenn man glaubt, dass es absolut unangebracht sei, das Ding dabei zu haben, zauberte er es plötzlich aus dem Nichts hervor.

„Diggi, soll ich mich hier etwa auf die sandigen Stufen setzen?” Er saß am oberen Ende der Treppe und war gerade mal drei Stufen hinuntergekommen, bevor er sich entschied, Platz zu nehmen. Er sah die Stufen hinunter und musterte den Sand und meinte halblaut mehr zu sich denn zu den anderen: „Sollte ich die Schuhe ausziehen? Kann ja doch vermutlich eh ‘ne Menge Sand reinkommen.”

Er hatte gar nicht mitbekommen, dass die anderen Beiden ihn genüsslich beobachteten und seinen inneren Konflikt mit Spannung verfolgten. Würde er seine geliebten fetten Skaterschuhe ausziehen? Selbst zuhause in ihrer Uni-WG hatte er immer Schuhe an, oder besser gesagt die breitesten Sneaker, die man sich vorstellen kann. Aber Ben unterschied da sorgfältig zwischen Straßenschuhen, die er in der Regel aber Skaterschuhe nannte, und im wahrsten Sinne des Wortes Hausschuhe. Betrat er die Wohnung, wechselte er immer die Schuhe, die ohnehin nur sehr locker geschnürt waren, und zog ein brandneues Paar an, was eine saubere Sohle hatte und die noch nie draußen war.

Zu den Schuhen trug er weiße Socken. Immer. Er hatte nur weiße Socken. Von den verschiedensten Marken mit bekannten und unbekannten Logos drauf, aber immer waren sie weiß, von dickem Frottee und besonders flauschig. Von Michel mal drauf angesprochen, meinte er nur lax, dass er ja sonst kein Geld für irgendetwas ausgeben würde und dass er sich das von seinem dritten Nebenjob gegönnt hatte.

„Dritter Nebenjob?“ Michel blickte Ben verwirrt an.

„Diggi, ich glaube nich‘, dass Du das wirklich wissen willst.“ Ben schüttelte nur lachen den Kopf.

„Nein, vermutlich wirklich nicht“, quittierte Michel mit einer abwinkenden Handbewegung.

Und da saß er nun immer noch unschlüssig auf der Treppe und starrte seine Schuhe an. Henne bemerkte am Zucken seiner Augenbrauhen, dass Ben kurz davorstand, eine Entscheidung zu treffen und tatsächlich: Er hatte sich für Schuhe ausziehen entschieden. Dass er Unmengen an Sand in seine Schuhe bekommen könnte und sich dieser bis in alle Ewigkeit in den Ritzen und Nähten wiederfinden würde, gab schließlich den Ausschlag.

Zum Ausziehen hob er schlichtweg den Fuß an. Seine Schuhe waren dermaßen breit und locker gebunden, dass sie einfach lieben blieben, ohne auch nur Anstalten zu machen, an seinem Fuß hängen zu bleiben. Wie auch immer die Schuhe im Normalfall an seinen Füßen blieben. Das war ein von Ben gut gehütetes Geheimnis. Routiniert zog er den ersten Fuß aus dem Schuh heraus und stellte ihn auf eben diesen Schuh, damit die weißen Socken nicht dreckig wurden.

Eine leichte Brise wehte vom Meer herüber und er spürte an seinen Zehen den Wind durch die Socken hindurch. Dann zog er den Socken aus, knüllte ihn zusammen, schloss seine Augen und steckte seine Nase direkt hinein in das Knäuel.

Tief saugte er die Luft ein, die durch die noch warmen, weichen und leicht feuchten Socken strömte. Er hatte sie vor der Fahrt frisch angezogen und seitdem waren nicht einmal ein halber Tag vergangen. Er roch nur ganz dezent nach seinen eigenen Körper, als würde er ihn aus weiter Entfernung erschnüffeln. Nichts Unangenehmes. Das war er selbst. Er kannte den Geruch. Er mochte ihn.

Dann atmete er durch die Nase wieder aus und drückte die Luft erneut durch seine weißen Skatersocken hindurch, bis er an der Hand spürte, wie die Luft am anderen Ende des Knäuels wieder hinaustrat. Und danach saugte er ein zweites Mal einen tiefen Atemzug durch seine Socken hindurch die Meeresluft ein. Mit geschlossenen Liedern verdrehte er die Augen. Der Geruch war fast derselbe, aber es war tatsächlich auch ein kleines Bisschen Fischgeruch und der Duft von Sonnencreme dabei. So riecht der Urlaub!

Schließlich öffnete er wieder die Augen und blinzelte glücklich und zufrieden in die Sonne. Ein befriedigendes Lächeln umspielte seine Lippen, als hätte er gerade einen Orgasmus gehabt. Immerhin war er auf dem besten Wege dahin, wie Henne feststellte. Dieser stand ein paar Stufen weiter unten auf der Holztreppe und war daher mit seinem Kopf fast auf Höhe von Bens Schritt, so dass er die Beule in seiner Hose deutlich erkennen konnte. Henne konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Iiihhh! Du Sau!” Michel sah ihn entsetzt an und schüttelte sich. „Du kannst doch nicht an diesen ekligen Socken riechen? Bääähhh! Das stinkt doch!”

„Tut es gar nich‘, Diggi”, verteidigte sich Ben und fügte mit einem breiten Grinsen hinzu, so dass seine Zahnspange in der Morgensonne zu glitzern anfing: „Willst‘e auch ma‘?”

Angewidert machte Michel einen Schritt zurück die Treppe weiter hinunter und schüttelte sich. Entgeistert sah er Ben an, als wenn dieser ihm eine mit Lepra infizierte Hand hingehalten hätte. Er musste sich sehr zusammenreißen, um Ben nicht die Socke aus der Hand zu schlagen. Michel achtete sehr auf Sauberkeit und war immer darauf bedacht, keine Körpergerüche zu verbreiten. Sämtliche Kleidung, die er beim Sport trug, wanderten stehts direkt in einen separaten Beutel in seiner Sporttasche und dann in die Wäsche.

„Nicht für Geld würde ich sie auch nur anfassen!” Michel sah Ben immer noch angeekelt an. Das konnte Ben doch nicht ernst meinen. Michel konnte sich gerade kaum etwas vorstellen, was noch schlimmer war, als an Bens Socken zu riechen. Alleine bei dem Gedanken daran fing schon alles an sich vor seinem Auge zu drehen und er fasste das Holzgeländer der Treppe noch fester an, als er es ohnehin schon tat. Weiß traten seine Handknöchel hervor und Michel hatte definitiv Kraft, da er fast jeden Tag mit seinen Hanteln trainierte und auch sonst bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit Klimmzüge und Liegestütze machte. Er musste seinen Blick abwenden und unbedingt auf andere Gedanken kommen. Da kam ihm der herrliche Ausblick auf Strand und Meer gerade recht. Er drehte sich zur Seite, ignorierte Ben und genoss stattdessen lieber den frühmorgendlichen und noch menschenleeren Strand.

Ben hingegen war etwas enttäuscht. Klar war es nicht jedermanns Vorliebe, an den Socken oder Füßen von anderen zu riechen oder diese gar zu lecken, aber deswegen gleich so in Abwehrstellung zu gehen hatte er noch nie erlebt, geschweige denn von Michel erwartet. Enttäuscht gingen seine Mundwinkel nach unten und er sah traurig nach unten und blickte ins Leere, obwohl eigentlich seine plotschigen Schuhe direkt in seinem Blickfeld lagen. Unter normalen Umständen hätte ihn dieser Anblick mehr als erregt, aber die Reaktion von Michel hatte ihn komplett aus dem Konzept gebracht.

Genauso überrascht wie Ben war auch Henne. Er fand die Reaktion von Michel ebenfalls total übertrieben, zumal sie alle ja sehr gute Freunde waren und im letzten Jahr durch dick und dünn gegangen waren. Sie hatten zusammen gelacht, geweint, gekuschelt und geknutscht. Henne hatte von seinem Freund erwartet, dass dieser zwar nicht Begeisterung teilte, aber immerhin Verständnis für Bens Vorlieben hatte.

„Zeig mal Deinen Duft”, kam es plötzlich von Henne, der seine Hand in Richtung Ben ausstreckte, in Erwartung, Bens Socken für eine Geruchsprobe zu bekommen. Henne wusste selber nicht, warum er das sagte. Sein Mund war gerade definitiv schneller als sein Hirn. Noch nie war er auf den Gedanken gekommen, an anderer Leute Socken zu riechen. Dennoch musste er sich in diesem Augenblick eingestehen, dass er diesen Gedanken reizvoll oder zumindest interessant fand.

Überrascht sah Ben zu Henne und musterte ihn für den Bruchteil einer Sekunde. Er sah ihm tief in seine grünen Augen. Wollte Henne ihn verarschen, oder meinte er es ernst? Nein, Henne log ihn nicht an. Henne war unsicher, seine Hand zitterte sogar leicht. Aber aus irgendeinem Grund wollte er Bens Socken haben. Über sein enttäuschtes Gesicht huschte ein Lächeln und er begann wieder vorsichtig zu grinsen. Die silbernen Brackets seiner Zahnspange blitzen in der Sonne auf und unterstrichen damit sein Lächeln. Vorsichtig, als wäre es ein Schatz, aber auch um Henne nicht zu sehr zu verschrecken, reichte er ihm seine zusammengeknüllte Socke rüber, hielt aber kurz vor dem Erreichen seiner Hand inne. Den letzten Schritt sollte Henne selber tun.

In Hennes Kopf schossen seine Gedanken wie eine Achterbahn durcheinander. In seinem ganzen Leben hätte er es sich nicht träumen lassen, dass er von einem Typen die getragenen Socken auch nur in die Hand nehmen würde. Und jetzt? Was machte dieser Kerl nur mit ihm? Er war gerade kurz davor, sie die Socke von seinem besten Freund zu nehmen und daran zu riechen. Wie bekloppt konnte er nur werden?

Henne verstand die Welt und vor allem sich selbst nicht mehr. Nie im Leben wäre er auch nur auf den Gedanken gekommen, dass er einmal an fremder Leute Socken schnüffeln würde. Okay, so fremd war Ben nun auch wieder nicht. Ganz im Gegenteil, er war ein Mensch, den er in kurzer Zeit sehr liebgewonnen hatte. Aber dennoch war diese Art von Körperkontakt eine ganz neue Form, die er bis dato noch nicht kannte.

„Sie riechen wirklich nicht schlimm, Diggi”, flüsterte Ben und sah Henne keck herausfordernd mit einem Lächeln und Augenzwinkern an. Dieses Augenzwinkern aus den rehbraunen Augen von Ben gab schließlich den Ausschlag dafür, dass Henne beherzt zugriff und sich ohne zu zögern Bens Socken an die Nase hielt. Einen ewig langen Herzschlag lang hielt er inne, bevor er die Augen schloss und dann tief durch die Nase und das Sockenknäuel hindurch einatmete.

Henne wusste gar nicht, was er erwartet hatte. Klar wusste er, wie Füße riechen. Das wusste schließlich jedes Kind. Stinkige Käsefüße sind ekelig! Aber das hier war etwas vollkommen anderes. Diesmal nahm er den Geruch und das Gefühl ganz bewusst war und es gelang ihm auch, gar keinen Ekel aufkommen zu lassen. Als Erstes bemerkte er die Feuchtigkeit und einen Rest an Wärme von Bens Füßen. Körperwärme! Dabei war da gar kein Körper mehr. Sonderbar. Vom Geruch her war es erstaunlicherweise ziemlich neutral. Es war etwas salzig, etwas würzig und ja, auch etwas käsig. Aber alles waren mehr oder weniger nur Sinneseindrücke, die weit entfernt am Horizont auftauchten und keiner von ihnen dominant hervorstach. Man konnte sie eindeutig erkennen, sehr eindeutig sogar. Aber keine von ihnen war aufdringlich oder gar ekelig. Henne bildete sich sogar ein, dass er Ben in dem Geruch wiedererkennen würde! Aber im selben Augenblick wischte Henne diesen Gedanken auch wieder als schwachsinnig beiseite. Man konnte Menschen nicht am Geruch ihrer Füße erkennen. Oder doch?

Dann schloss er die Augen und atmete ein zweites Mal ein. Doch, er war sich sicher, dass es irgendwie auch nach Ben roch. Es war angenehm, es roch gut, es war irgendwie vertraut! In dem Augenblick sehnte er sich plötzlich danach, Ben zu berühren, seine Füße zu berühren, sie zu massieren und an seinen Zehen zu spielen. Er hielt inne und horchte in sich selbst hinein. Wollte er das wirklich? Was war mit ihm los? Solch verrückte Gefühle hatte er noch nie in seinem Leben gehabt. Natürlich sehnte er sich nach Ben. Ihn zu berühren, mit ihm zu kuscheln und ihn zu küssen. All das hatten sie schon ein paar Mal gemacht. Auf dem Sofa Zuhause, in ihrem Zimmer. Nur hatten sie bisher ihre Zärtlichkeiten nur oberhalb der Gürtellinie ausgetauscht. Zumindest in etwa bis zu dieser Höhe. Henne wäre es nicht im Traum eingefallen, Körperteile von anderen Menschen auch weit unterhalb dieses magischen Bereiches andere Menschen zu liebkosen.

Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass er eine dicke Beule in der Hose hatte, so sehr erregten ihn die Situation und dieser Gedanke gerade.

Das war natürlich weder Michel noch Ben verborgen geblieben. Während es Ben sehr amüsierte, wie sein Freund bei dieser neuen Erfahrung reagierte, wusste Michel nicht weiter. Ängstlich bis panisch ging er eine weitere Treppenstufe hinunter. War er denn nur von verrückten umgeben? Er musste weg hier, das Ganze wurde gerade zu ekelig für ihn. Irgendwie war es ihm gerade total unangenehm und er musste sofort raus aus dieser Situation. Konnte er aber nicht. Die Treppe rauf waren seine beiden gerade verrückt gewordenen Freunde, die sich miefige Socken unter die Nase hielten. Am unteren Ende der Treppe blockierte der Riese FX seinen Fluchtweg, weil dieser immer noch ganz verdattert den Typen vom Kiosk anstarrte.

Michel entschied sich dennoch für Flucht und nahm den einzigen noch möglichen Weg: Mit einer Hockwende sprang er über das Treppengeländer die verbleibenden zwei Meter hinunter auf den Strand. Dort rollte er sich gekonnt im Sand ab und wandelte die kinetische Energie seines Sprunges wie ein Profi um, als ob er seit Jahren nichts anderes als Parcours laufen würde. Als sei nichts gewesen, ging er erleichtert und befreit über den menschenleeren Strand dem Wasser entgegen.

Zurück ließ er zwei verdatterte Freunde Ben und Henne sowie einen FX, der von alledem immer noch nichts mitbekommen hatte.

„Diggi, du hast da was”, meinte Ben und zeigte auf Hennes karierte Punk-Hose und dort auf seinen Schritt, wo sich sehr deutlich sein Gemächt abzeichnete.

„Tschuldige”, entgegnete Henne verlegen und lief rot an, „ich weiß auch nicht … Ich hab‘ sowas noch nie gemacht.”

„Das glaub ich dir sofort! Diggi, du bist ja abgegangen wie Schrödingers Katze!”

„Wer?”

„Schrödingers Katze.”

Ben erntete nur einen verstörten Gesichtsausdruck von Henne. Was war denn das schon wieder für eine Katze? Henne überlegte, legte den Kopf schief, wedelte etwas mit seinem Iro in der Luft herum und sah Ben nur verwirrt an. Seine Beule in der Hose war verschwunden. Wieso tat Ben das? Wieso war er so gemein? Gerade noch war Henne dermaßen erregt von einer vielleicht neuen Erfahrung, dass er ganz neue Körperteile von seinem Freund erkunden könnte und dann plötzlich das. Irgendeine Katze. Effektiver konnte man jemandem kaum die Lust nehmen. Ben war gemein!

„Erwin Schrödinger, Diggi. Ein theoretischer Physiker aus den 1900ern. Nobelpreisträger und Begründer der Quantenmechanik.”

„Was sollen mir diese Worte sagen? Ben, was willst Du von mir?” Henne war einerseits überrascht, dass Ben sich mit den fundamentalsten Dingen der Physik auszukennen schien und andererseits war er nach wie vor verwirrt, was ein Physiker mit einer Katze zu tun hat. Und am meisten ärgerte ihn der versaute sexuelle Exkurs, den er gerade einschlagen wollte.

„Also, der Erwin hat damals, vor fast 100 Jahren wohlbemerkt, ein spannendes Gedankenexperiment gemacht, um seine neue Theorie allgemein verständlich zu machen. Es ist nämlich so, dass die kleinsten Teilchen gleichzeitig mehrere Zustände haben können und erst, wenn man sie untersucht, in einen bestimmten Zustand einrasten, weil diese Untersuchung die Teilchen nämlich beeinflusst!”

„Nun lass schon die Katze aus dem Sack!” Langsam wurde Henne neugierig. Er war mittlerweile ganz froh, dass das Thema gerade von Bens Socken, die ihn unverständlicherweise total geil gemacht hatten, gerade etwas abzudriften schien. Je mehr Zeit verstrich, desto komischer kam ihm die Situation mit Bens Socken gerade vor.

Um Michel müssten sie sich dann auch noch mal kümmern, der stand nun vorne an der Brandung und starrte den Horizont an. Da aber weder er noch Ben mit solch einem galanten Sprung die Treppe runterkamen, mussten sie warten, bis FX seine Schockstarre ob des drahtigen Typen im Kiosk überwunden hatte.

„Also, der Schrödinger hatte eine spannende Idee. Wenn man eine Katze in eine Box einsperrt und dann da noch’n tödliches Gift in der Box ist, was zufällig irgendwann freigesetzt wird. Die Kiste is‘ zu und man weiß nicht, was in der drinnen vor sich geht, da man von außen halt nich‘ reinschauen kann. Also meinte der Erwin, man muss davon ausgehen, dass die Katze gleichzeitig lebendig als auch tot is‘!”

„Abgefahrene Nummer. Auf was für Ideen die Leute damals gekommen waren. Was haben die denn genommen?”, meinte Henne und wiegte unentschlossen seinen Kopf hin und her und wedelte so mit seinem blau-gelben Fächer-Iro wild durch die Luft. „Aber was hat das jetzt gerade mit mir zu tun gehabt?”

„Och Diggi, nu überleg doch mal einen Schritt weiter! So schwierig isses nu auch wieder nich‘!”

„Ach komm, wir haben gerade eine Autofahrt von vielen Tausend Kilometern in wenigen Stunden in einem Zauberauto hinter uns. Auf halber Strecke haben wir auch noch nebenbei vielen Dutzend Menschen das Leben gerettet. Unser bester Freund steht gerade paralysiert am Strand und unseren anderen besten Freund haben wir gerade komplett vergrault. Wie soll ich denn da bitte eine Katze und mich in Einklang bringen?”

„Hej Diggi, entspann dich. Immer locker durch die Hose atmen! Wir haben Urlaub!”

Henne merkte plötzlich, dass er wirklich total angespannt und auf Krawall gebürstet war. Wie kam das denn auf einmal? Schämte er sich? War es ihm peinlich? So etwas hatte er noch nie erlebt. Er ließ seine zu Fäusten geballten Hände wieder locker werden und setzte sich ein paar Stufen unterhalb von Ben auf die Treppe.

„Also Diggi, was ich dir mit Schrödingers Katze sagen wollte is‘ nur, dass man gerade deinen Zwiespalt wie eine Laufschrift auf deiner Stirn ablesen konnte! Du wusstest absolut nich‘, was du tun solltest und warst hin und her gerissen zwischen zugreifen und sniffen oder mir die Sox vor Ekel aus der Hand zu schlagen!”

Zack! Das hatte gesessen! Ben hatte den Nagel voll auf den Kopf getroffen. Henne wusste absolut nicht, was das gerade war, ob er auf das Angebot eingehen sollte oder nicht. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, dass sein innerer Zwiespalt so offensichtlich für andere sichtbar war. Schlussendlich hatte er sich spontan dafür entschlossen an Bens Socken zu riechen, eben weil Michel so krass dagegen war. Er hatte Bens Entsetzen und seine Traurigkeit gesehen und musste quasi für ihn Partei ergreifen, damit Ben nicht noch weiter verletzt wurde. Dass diese Aktion bei ihm selbst dann für so viel Erregung gesorgt hatte, ahnte er in diesem Moment allerdings nicht.

„Oh.”

„Jo.”

„Ich wusste ja auch nicht, was das mit mir macht. Eigentlich hab‘ ich nur gesehen, wie traurig du auf einmal warst, als Michel plötzlich ausgetickt ist. Da wollte ich dich halt nicht alleine lassen. Woher sollte ich wissen, dass ich von getragenen Socken ne Latte bekomme?”

„Noch nie dran gerochen?”

„Neee. Bei wem auch. So viele Freunde hatte ich bisher noch nicht.”

„Echt nich‘? Du schaust doch voll cool aus! Die Typen müssen dir doch die Bude einrennen! Komm, sach an, wie viele Freunde hattest du bisher?”

„Willst du es wirklich genau wissen?”

„Klar, Diggi!”

„Drei. Und sie sind alle an diesem Strand.”

Die Erkenntnis stieg nur langsam in Ben auf, aber als er schließlich realisiert hatte, was Henne ihm gerade gesagt hatte, sah er betreten zu Boden. Er traute sich kaum aufzublicken, weil er wusste, dass er dann in Hennes Augen sehen musste. Nach scheinbar endlosen Minuten überwand er sich und tat er es doch.

Henne saß ein paar Stufen unterhalb von Ben auf der Treppe, so dass er nicht sonderlich hochblicken musste, um Henne in die Augen zu sehen. Er war geschockt, denn Henne war da und Tränen liefen über seine Wangen. Er weinte. Einfach so.

Den Grund lieferte Henne unmittelbar nachdem Ben aufgeschaut hatte: „Bevor ich das Stipendium hier bekommen habe, hab‘ ich auf der Straße gelebt. Da hat man nicht so viele Freunde, sondern ist eher damit beschäftigt, seine sieben Sachen zusammen zu halten.”

Ben lief ein Schauer über den Rücken. Da waren sie jetzt über ein Jahr zusammen und dann erfährt man so etwas einfach mal nebenbei am Strand? Ben wusste überhaupt nicht, wie er damit umgehen sollte und entschied sich für das naheliegendste: Er stand auf, ging die Stufen zu Henne hinunter und nahm ihn einfach nur in den Arm.

Nach einer Weile lockerte Ben seine Umarmung, hielt Henne mit beiden Händen an den Schultern fest und schob ihn eine Armlänge von sich und blickte ihn tief in die Augen: „Diggi, das is‘ nu‘ vorbei. Du bist jetzt weder alleine noch auf der Straße. Und so wird es auch bleiben!”

Erneut fielen sich die Beiden wieder in die Arme. Irgendwie wollte keiner den anderen so recht loslassen. Ben war dankbar dafür, dass Henne ihm solch ein gravierendes Detail aus seiner Vergangenheit preisgegeben hatte. Sicher, dieser eine Satz war nur die Spitze eines Eisbergs und warf eigentlich viel mehr Fragen auf, als dass er Antworten gab, aber der erste Schritt war getan und nun sollten weitere folgen.

Auch Henne war gerade ein Stein vom Herzen gefallen, denn er hatte noch nie jemandem von diesem Kapitel seiner Vergangenheit erzählt. Er hatte sich immer dafür geschämt. Anfangs war das auch genauso gegenüber seinen Freunden. Er schämte sich schlichtweg dafür auch ihnen gegenüber. Später dann, als sie ein so tiefes Vertrauen untereinander aufgebaut hatten, traute er sich einfach nicht mehr, ihnen das zu erzählen, zumal es gerade wichtigere Dinge in ihrem gemeinsamen Leben gab. Er wollte dieses Kapitel einfach nur vergessen und verdrängen, es gehörte seiner Vergangenheit an und musste nicht erneut hervorgeholt werden. Aber er war nun froh, dass es raus war und dass er sich dafür nicht mehr verstecken musste. Der Rest würde sich ergeben.

Ergeben würde sich hoffentlich auch wieder eine Chance, erneut an Bens Socken heran zu kommen und vielleicht sogar auch an seine Füße. Schon wieder schwirrte dieser Gedanke in Hennes Kopf herum. Wie ein kleiner Kobold, der sich versteckte, aber hin und wieder hervorkam und mit einem Winken auf sich aufmerksam machte. Henne musste dem nachgehen. Hoffentlich sehr bald.

„Ben, und du machst das öfter?“

„Diggi, was’n das nu‘ für ‘ne Frage?“ Ben war etwas empört. „Wann immer ich Sex habe, warst du mit dabei, also frag nich‘ so komisch.“

„Sex?“ Henne blickte irritiert zu Ben und kratzte sich am Kopf.

„Hej, was denkst du denn? Sex is‘ nur figgn oder was?“ Ben rutschte etwas zurück und ging auf Abstand zu Henne.

„Ben, komm runter und entspann dich. Ich wollte dir nicht auf den Schlips treten. Ich wollte das mit dem Schnüffeln nur etwas verstehen.“

Ihm war gar nicht aufgefallen, wie sehr ihn gerade diese eigentlich harmlose Frage ohne Hintergedanken aufgeregt hatte. Aber irgendwie war Ben plötzlich dennoch etwas außer sich.

„‘tschuldige Diggi. So war das nich‘ gemeint. Ich habe gerade etwas überreagiert. Aber für viele ist Sex halt immer nur den Schwanz in den Arsch zu stecken. Dabei gibt es sooo viele andere aufregende Dinge.“

„Und erregende.“ Henne nickte. Sex in dem Sinne wie Ben ihn gerade als Gerücht beschrieben hatte, hatten sie untereinander bisher nicht gehabt. Zumindest wusste Henne nicht, dass einer der drei Anderen es im vergangenen Jahr getan hätte. Unzählige Male hatten sie schon auf dem Sofa zu zweit, dritt oder viert gekuschelt oder auch etwas rumgemacht. Und es war immer wunderschön gewesen.

Aber hier am Strand von Spanien wurde ihm plötzlich klar, dass er eigentlich auch ein bisschen mehr wollte. Was auch immer es war, das wusste er nicht. Aber er wollte mehr! Das ging nun schon seit einem Jahr so und bisher hatte er nichts vermisst. Die Uni forderte natürlich auch ihren Tribut, so dass der Gedanke an Sex oft zweitrangig war. Aber er war da. Und jetzt, in ihrem allerersten Urlaub, war er präsenter denn je.

„Ich glaube, wir sollten es tun.“ Henne war erschrocken darüber, dass er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte und hielt sich vor Schreck die Hand vor dem Mund.

„Was‘n, Diggi? Figgn? Hier und jetzt? Sex on the Beach ist nich nur ein Cocktail!“ Ben konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Natürlich war auch er nur ein Mann und hatte seine Bedürfnisse. Er genoss es sehr, mit seinen Freunden zusammen oder zu zweit zu sein und stundenlang zu knutschen. Wobei er zu seiner Schande gestehen musste, dass er vor lauter Heißblütigkeit oft vergaß, dass er noch diese nervige Zahnspange im Mund hatte. Spätestens, wenn eines dieser Gummis riss oder sich einer seiner Freunde einen Kratzer von dem Metall in seinem Mund holte, war es dann kurzzeitig vorbei mit der Erotik.

Irgendwie schaffte er es immer wieder, eine anregende Situation zu unterbrechen oder gar zu zerstören. So auch gerade eben wieder. Wie kam er nur auf diesen blöden Gedanken mit Schödingers Katze? Statt Henne einfach machen zu lassen und ihn vielleicht etwas zu leiten, hatte er mit blöder Physik die schöne Situation mit einem Fingerschnipp zerstört. Ben ärgerte sich über sich selber. So gerne hätte er es gesehen und vor allem gespürt, wie Henne sich an seinen nackten oder am anderen besockten Fuß zu schaffen gemacht hätte.

Zumindest hätte Ben es versucht, dass Henne ein bisschen seine Socken und Füße geliebkost hätte. Oder andersherum, er hätte selbiges gerne bei Henne mal gemacht. Noch nie hatte er die Gelegenheit gehabt, an Füße in Springerstiefel beizugehen. Die Gelegenheit war eigentlich günstig gewesen, da sie quasi alleine hier auf der Treppe waren. FX hätte nichts davon mitbekommen und Michel war weit weg. Und selbst wenn, es wäre ohnehin egal gewesen.

Aber nein, Ben hatte es mal wieder geschafft, mit einer blöden Bemerkung alles kaputt zu machen! Frustriert schaute er in die Ferne, der Sonne entgegen, bis es in seinen Augen schmerzte.

„Ben, Sex kann man nicht planen“, klang es etwas vorwurfsvoll von Henne.

„‘türlich nich, Diggi. Aber ausschließen will ich das nich‘. Is‘ doch Urlaub! Und ma‘ ehrlich: ‘ne bessere Kulisse als hier kann man sich ja nich‘ wünschen, oder?“ Als wolle er dem gerade angekommenen Henne den Strand präsentieren, machte er eine ausladende Geste mit der Hand.

„Recht hast du“, stimmte Henne mit einem süffisanten Grinsen zu. „Aber um die Chance mit deinen Socken hast du dich mit der Katzen-Geschichte selbst gebracht. Du glaubst doch nicht, dass wir die nächsten Wochen hier am Strand mit Schuhen herumlaufen, oder?“

„Ja, ich weiß. Ich kann das echt gut, Diggi. Ich hab ‘ne Eins im Killen von erregenden Stimmungen.“ Etwas betreten blickte Ben wieder in die Ferne zu Michel, der nach wie vor mit schulterbreit gespreizten Beinen am Wasser stand.

„Ben, magst du mir trotzdem ein Bisschen was davon erzählen?“

„Wie ich jede Stimmung im Keim ersticken kann? Keine Ahnung, ich plan‘ das ja nich‘, Diggi. Das kommt einfach so aus mir heraus.“

„Nein! Das mit den Socken und so, du Blödmann!“

„Axo.“ Ben wurde rot im Gesicht. Offensichtlich hatte er Henne falsch verstanden. „Ja, keine Ahnung, Diggi. Ich find den Geruch einfach irgendwie spannend. Aber versteh mich jetzt bitte nich‘ falsch! Ich will keine Socken nach einem Gewaltmarsch. Das is‘ voll ekelig! Ich mag das lieber halbwegs frisch, warm, weich und sauber. Also eigentlich genau so, wie gerade eben!“ Ben konnte sich ein breites Grinsen mit seinen Schneeketten im Mund nicht verkneifen. Gleichzeitig zeigte er auf seine Füße, von denen einer bereits nackt war, der andere jedoch noch in Skaterschuh und Socke steckte.

„Und dabei geht Dir einer ab? Das war’s? So einfach?“ Henne konnte das nicht so ganz glauben, denn es klang schon etwas einfach.

„Naja, Diggi, was soll ich sagen? Also ja, irgendwie schon. Mich macht der Geruch schon ziemlich an. Und der Riechnerv hat schließlich einen direkten Draht in unser vegetatives Nervensystem und wird nicht weiter verar…“ Weiter kam Ben nicht, denn im gleichen Augenblick biss er sich auf die Zunge. Er tat es gerade schon wieder! Henne war dermaßen neugierig auf dieses ihm unbekannte erotische Thema und er, Ben, erstickte gerade die aufkommende Spannung von seinem Freund mit wissenschaftlichen Fakten.

„Erzähl mal mehr von dir, Ben, nicht von irgendwelchen Wissenschaftlern. Was macht es mit dir?“ Henne war es nicht entgangen, dass Ben gerade wieder abdriftete, weshalb er es ihm einfach machen wollte, wieder auf die ursprüngliche Bahn zu kommen.

„‘tschuldige, Diggi. Ja, ich weiß auch nich‘. Ich bekomm einfach ‘ne Latte, wenn ich daran rieche. Und jeder Mensch riecht irgendwie anders. Das is‘ total spannend. Manche Typen sehen voll süß aus aber ich kann sie nich‘ riechen. Und manchmal hat ein total unscheinbarer Kerl aber einen genialen Duft!“

„Ben, du weißt schon, dass das total krass klingt, oder?“

„Ja, ich bin schon etwas bekloppt“, seufzte dieser.

„Nein, so meinte ich das nicht. Ich finde das irgendwie total spannend. Und ein bisschen logisch ist es auch, dass man manche Menschen besser riechen kann als andere, oder?“

Und dann war Ben wieder in seinem Element und das Funkeln in seinen Augen stand dem der metallenen Zahnspange die im Sonnenlicht glänzte in nichts nach.

„Diggi, das is‘ ja noch nich‘ alles. Stell dir mal vor, wenn die Socke noch am Fuß is‘. Dann wird’s erst richtig genial. Nochmal intensiver und länger anhaltend. Und für den anderen erst! Wenn die kalte Luft beim Einatmen durch die Zehen gesaugt wird und Augenblicke später dann die warme feuchte Luft beim Ausatmen wieder am Fuß vorbei geht. Das fühlt sich sooo genial an!“

Henne konnte es immer noch nicht fassen. Er saß hier unter der Sonne Spaniens auf einer alten Treppe am Strand und hörte sich von seinem besten Freund dessen abgefahrenen sexuellen Fantasien an. Und zeitgleich musste er selber feststellen, dass ihn diese Beschreibungen alle nicht unberührt ließen, sondern ihn alleine schon beim Gedanken daran irgendwie erregten.

„Diggi, und dann geht‘s noch weiter.“ Ben war ganz außer sich und aufgeregt, dass er endlich jemandem von seinen Vorlieben erzählen konnte. „Wenn man dann den Socken auszieht und den Fuß von seinem Gegenüber vor sich hat. So schön, ästhetisch und man kommt so ungefiltert an ihn heran. Ein schönes Fußgewölbe und die langen Zehen winken einem zu. Dann kann ich nich‘ anders, dann muss ich sie einfach in den Mund nehmen. Einen nach den anderen.“

Henne schluckte kurz. Den Fuß von jemand anderen in den Mund nehmen? Das war aber schon etwas ekelig. Er spürte, wie sich sein Hals langsam zuschnürte.

Auch Ben musste bemerkt haben, dass Henne seine Lippen vor Abscheu zusammenpresste, als er fortfuhr: „Nein, Henne, du hast vollkommen falsche Vorstellungen! Denk an die Socke gerade. Denk an das Gefühl, was du beim Schnüffeln hattest.“

Mit geschlossenen Augen brachte sich Henne die Situation von vor wenigen Augenblicken wieder ins Gedächtnis, als er beim Einsaugen der Luft durch Bens Socke eine spannende Mischung aus würziger Feuchtigkeit und Bens Duft in der Nase hatte. Seine Lippen entspannten sich sogleich und er lächelte leicht.

„Genau, Diggi. Und jetzt nimm das Gefühl nal Zehn. Oder mal Hundert oder Tausend! Und das bleibt so. Die Socke hat man irgendwann leer geschnüffelt. Aber der Fuß und die Zehen haben noch viel mehr davon! Und sie sind so schön warm und sie bewegen sich und winken dir zu.“

Henne öffnete wieder die Augen und blickte direkt in Bens rehbraune Augen, die ihm nichts anderes sagten, als dass Ben gerade aus tiefsten Inneren die Wahrheit und seine Gefühle offenbarte.

„Und andersherum is‘ es auch voll krass, Diggi! Wenn jemand deine Zehen in den Mund nimmt. Da geht mir fast direkt einer ab. Es is‘ einerseits die intensive Wärme, wenn deine Zehen im Mund des anderen sind. Es is‘ so punktuell, wenn nur ein oder zwei Zehen wohlig warm umhüllt sind, und die anderen frierend draußen warten müssen. Und andererseits isses ein so durchdringendes Gefühl, wenn die Zunge des anderen im Mund mit den Zehen spielt.“

Für Henne war es ein Genuss zuzuschauen, wie Ben plötzlich das Schwärmen anfing, als er davon erzählte. Ben hatte zeitweise während seinen Beschreibungen die Augen geschlossen, leckte sich über die Lippen oder wackelte aufgeregt mit seinen nackten Zehen.

Henne wiederum hing bei diesen Schilderungen förmlich an Bens Lippen und folgte aufmerksam jede seiner Bewegungen, wie Ben vormachte als leckte er einen imaginären Fuß. Nur zu gerne hätte er jetzt genau das gefühlt, was Ben träumerisch beschrieb.

„Ich will das spüren. Genau das. Jetzt!“ Henne konnte einfach nicht anders, er konnte es nicht erwarten. Er war von Bens Ausschmückungen derart neugierig geworden, dass er es jetzt spüren wollte. Dass er Ben spüren wollte. Sowohl wollte er Bens Zehen mit seiner Zunge liebkosen, als dass er auch im Gegenzug wissen wollte, wie sich genau das anfühlt, wenn jemand anderes die eigenen Zehen lutscht.

„Dann los!“

Lesemodus deaktivieren (?)