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Quartett

Teil 13 - Palast

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19. Palast

Und dann passierte … Nichts!

„Hej, Diggi, was is‘n mit Deinem Arm passiert?”

Ben war der erste, der sein Erstaunen überwunden und seine Sprache wiedergefunden hatte. FX wollte Erklärungen liefern, wollte aus seiner Vergangenheit erzählen. Er hatte versprochen, mit den Geheimnissen und Geschichten aufzuhören. Und Ben und seine Freunde erwarteten nun, dass er lieferte. Er erwartete, dass FX endlich reinen Tisch machte und ihnen erzählte, was es mit den ganzen Ausflüchten auf sich hatte, die er ihnen aufgetischt hatte.

Aber stattdessen hatte FX sie an einen, zugegeben malerischen Ort geführt und wie im Kindergarten einen Kreis mit Anfassen gebildet. Das war irgendwie nicht das, was sich Ben als Antwort erhofft hatte. Denn statt der ersehnten Auflösung gab es das nächste Rätsel.

Ben hielt noch FX’ rechte Hand in seiner und stellte verblüfft fest, dass sie gar nicht mehr im Gips steckte. Drei Köpfe drehten sich zu FX herum und stellten genau das fest, was Ben gerade ausgesprochen hatte. FX ohne Gipsarm. Das war ein mehr als seltsamer und vor allem ungewohnter Anblick, denn schließlich kannten sie ihren Freund ausschließlich mit dieser Einschränkung.

Die vier Freunde saßen nach wie vor auf der kleinen runden Wiese, wo sie im Sonnenuntergang ein romantisches Picknick gehabt haben, wo sie einen herrlichen Sonnenuntergang verfolgt hatten und wo sie mitten in der Nacht ein atemberaubendes Sternschnuppenspektakel beobachten konnten. Eigentlich hatte sich, vom fehlenden Gips abgesehen, nichts verändert.

Und doch fühlte es sich komisch an. So anders. Irgendwie war es doch nicht der Ort, an dem sie gerade waren. Es war nicht derselbe Ort, optisch gleich, aber anders. Niemand konnte genau sagen, woran es genau lag, dass dieser Ort nicht der war, an dem sie noch vor einem Augenblick waren. Irgendwie waren es winzige Details, die fehlten oder besser gesagt, die anders waren, als die drei Freunde es in Erinnerung hatten.

Henne hatte seine Freunde losgelassen und blickte sich um. Er spürte, dass hier etwas anders war, als gerade eben noch. Aber er wusste nicht, was es war. Noch nicht. Langsam ließ er seinen Blick schweifen. Die kleine Wiese, die Felsen als natürliche Balustrade mit dem unglaublichen Blick in die Ferne, die kleine Quelle. Alles wie vorher auch. Und dann, ganz plötzlich, wurde ihm klar, was hier anders war! Es fehlte nichts, ganz im Gegenteil! Es war zu viel. Viel zu viel! Details über Details. Ohne sich auch nur zu bewegen, konnte Henne Dinge sehen, die er gerade noch nicht erkennen konnte. Die Wiese zum Beispiel war bis vor wenigen Momenten für ihn einfach nur eine Wiese. Jetzt allerdings nahm er jeden einzelnen Grashalm wahr, jede Blüte und jeden Käfer, der sich seinen Weg durch das Gras bahnte. Er war plötzlich im Stande, jeden einzelnen Wassertropfen der sprudelnden Quelle zu beobachten, als würde er in Zeitlupe aus der Felsspalte fallen und mit einem leisen aber kristallklar wahrnehmbaren Platscher in das Wasser fallen. Henne traute sich nicht, seinen Blick auf die umgebende Landschaft zu wenden, denn er hatte so eine Ahnung, dass er dort viel mehr sehen würde, als vor dem Moment, als sie den Kreis gebildet hatten. Irgendwie kam es ihm so vor, als hätte er bisher eine leichte Sehschwäche gehabt und nun eine Brille aufgesetzt! So viele Details, so viele Informationen.

Und auch FX war nicht mehr derselbe. Er wirkte irgendwie anders, surreal, als gehörte er hier nicht hin. Im Gegensatz zu der ganzen Umgebung war FX eher schemenhaft und ungenau. Ja fast schon unscharf anzusehen. Irgendwie hatte Henne den Eindruck, als sei FX in die Szenerie hineinprojiziert worden, als gehörte er hier gar nicht hin.

Ganz unerwartet zogen plötzlich Wolken auf. Dicke, dichte, dunkle Wolken. Sie kamen so schnell, als würde man einen Film im Zeitraffer vorspulen. Am Horizont, wo eigentlich die Großstadt Tarragona sein sollte, zuckten bereits Blitze vom Himmel und die Stadt war unter einer bleischweren Wolkendecke begraben.

Aber nicht nur das Wetter hatte sich schlagartig geändert. Auch die Umgebung war komplett anders. Überrascht sah sich Michel um. Da, wo gerade noch das Meer war, war nur noch eine schroffe und felsige Ebene, wo man, wenn überhaupt, nur mühsam vorankam. Anstatt auf einer kleinen und weichen moosigen Wiese saßen sie nun auf steinigem Untergrund. In die eine Richtung fiel das felsige Land ab, in der anderen ging es relativ steil hoch. Seine Verwirrung legte sich schnell, denn er ahnte, dass er sich jetzt konzentrieren musste. Der Wetterumschwung an sich war schon ungewöhnlich genug für solch einen schönen Sommertag. Aber die Tatsache, dass FX sie jetzt schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Augenblicke an einen neuen Ort teleportiert hatte, ließ nichts Gutes erahnen. Natürlich war Michel verärgert über diese unkommentierten Aktionen seines Freundes, zumal er sich lieber Antworten gewünscht hätte, als solch eine Show, aber ob er es wollte oder nicht, er musste ein weiteres Mal darauf vertrauen, dass FX hier etwas sinnvolles im Schilde führte. Dennoch schwor er sich, dass er es ihm bei passender Gelegenheit zurückzahlen würde.

Michel musterte die neue Landschaft, in der sie sich befanden. Sie war gar nicht mehr zum Wohlfühlen, wie diese kleine versteckte Wiese, wo sie gerade noch waren. Ihr neuer Aufenthaltsort lud nicht zum verweilen ein, vom Wetter ganz abgesehen. Der Boden war übersäht mit spitzen Steinen und Geröll. Ein Vorankommen würde enorme Aufmerksamkeit erfordern. Michel sah im Geiste schon diverse aufgeschlagene Knie von ihren Stürzen.

Im war klar, dass sie hier fortmussten. Bei dem aufziehenden Gewitter sollten sie nicht auf so einer kargen Ebene im Freien sein. Ihm stellte sich nur die Frage, ob den Berg hinunter oder hinauf. Runter wäre mit Sicherheit schneller und auch wegen des Unwetters sinnvoller.

Allerdings meinte er, oben auf der Bergspitze eine Art Schloss oder Burg zu erkennen. Jedoch sah dieses Gemäuer schon aus der Ferne wenig einladend aus. Es schien sehr verfallen zu sein, was sich beim darauffolgenden Blitz sogleich bestätigte: Die Mauern hatten große Risse, die Zinnen waren verfallen und auch das Dach schien an mehreren Stellen große Löcher zu haben. Die Fensterläden des Gemäuers hingen schief in den Angeln und dennoch schien drinnen etwas Licht zu brennen.

„Diggi, wo is mein Board?” Ben war mit dieser neuen Situation noch nicht ganz im Reinen und so klammerte er sich an irdischere Dinge.

„Wo um alles in der Welt sind wir?” Michels und Hennes Frage klang wie aus einem Mund und überrascht blickten sich die Beiden an, bevor sich ihr Blick wieder auf FX richtete.

„Bei mir.”

„Wie, bei Dir?”

„Willkommen in meinem Gedächtnispalast!” FX machte eine einladende Geste und streckte beide Arme zu einem Willkommensgruß aus.

„Also falls Du die Ruine da hinten meinst … Einen Palast habe ich mir immer anders vorgestellt.” Michel wies mit dem Daumen rückwärts über seine Schulter und deutete auf das verfallene Gemäuer.

„Wir sollten rein gehen. Das Gewitter ist schon sehr nah und irgendwie ist mir mulmig.” FX wandte sich zum Gehen.

„Diggi, mulmig is gar kein Ausdruck. Ich hab Schiss!” Ben folgte ihm auf den Fuß, denn er fand diese neue Gegend, in der sie sich befanden, alles andere als angenehm.

„Folgt mir, der Weg ist leider gerade etwas beschwerlich.”

„Stopp!“ Wieder kam es unisono von Henne und Michel. „Findest Du nicht, dass Du uns eine Erklärung schuldig bist? Erst beamst Du uns hier her, wo es alles andere als gemütlich ist und dann sollen wir auch noch einfach so wie die Lemminge hinter Dir her pilgern? Nicht Dein Ernst, oder?“

„Michel, Henne. Entschuldigt. Ich weiß, dass das hier mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet, aber …“

„… aber wir sollen Dir vertrauen. Natürlich. Mal wieder! FX, langsam reicht es mit Deinen Geschichten. Ich dachte, Du wolltest uns alles erzählen. Und jetzt das hier? Ich will es mal vorsichtig formulieren, aber das ist genau das Gegenteil von einer Erklärung, findest Du nicht?“ Michel starrte in FX‘ Augen und hielt dessen durchbohrenden Blich einfach so stand. Er konnte sich auch nicht erklären, wieso er nicht wegschauen konnte, denn im Normalfall hätte er das längst getan. FX durchbohrte ihn förmlich mit seinen Blicken, wie er es manchmal in der Uni auch tat. Und er, Michel, hielt diesem gruseligen Blick nie lange stand.

Jetzt jedoch war es anders. Zwar war der Blick genau derselbe wie sonst auch, aber irgendwie fehlte das bohrende Gefühl, was FX sonst immer aussandte. Überhaupt wirkte FX etwas anders als sonst. Er war eine Spur weniger FX, als er es sonst war. Irgendwie ein FX light.

Ein Blitz schoss aus dem schwarzen Himmel, dicht gefolgt von einem Donner, der nicht nur ohrenbetäubend laut war, sondern sie durch die Schallwelle auch fast von den Füßen riss.

„Okay, FX, Du hast gewonnen. Mal wieder. Komm, Michel, lass uns gehen.“ Henne blickte resigniert zu Michel und deutete ihm mit einem Kopfnicken an, Ben und FX zu folgen. „Das Wetter ist leider auf seiner Seite, nicht auf unserer. Aber sobald wir in Sicherheit sind, ist er uns definitiv eine Erklärung schuldig!“

Nach wenigen Schritten erreichten sie einen Jägerzaun, der auch schon bessere Zeiten erlebt hatte. An unzähligen Stellen fehlten die Latten, er war umgekippt oder zerbrochen. Der marode Zaun schien die enorme Burg komplett zu umrunden, auch wenn er an vielen Stellen mehr als durchlässig war. Dennoch war dieser Zaun irgendwie da und erfüllte seinen Zweck. Er war zwar kein wirkliches Hindernis, machte den Freunden aber zweifelsfrei klar, dass hier ein Privatgelände begann und irgendwie vermittelte er außerdem den Eindruck, dass sie hier nicht willkommen waren. Allerdings sahen weder die Ruine auf dem Berg, noch der Weg dorthin besonders einladend aus.

Der Blick zurück war jedoch auch nicht beruhigender. Das Gewitter näherte sich mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und Blitz und Donner folgten quasi unmittelbar aufeinander. Im selben Moment setzte auch ein heftiger Regen ein. Dicke eiskalte Tropfen prasselten auf die Vier ein und nahmen ihnen endgültig die Entscheidung ab: Sie traten die Flucht nach vorne an und liefen auf die Ruine zu. Schon nach wenigen Metern war ihre leichte sommerliche Bekleidung komplett durchnässt und sie begannen zu frieren.

Leider kamen sie langsamer voran als sie er erwartet hatten. Es schien, als würde der Berg immer steiler werden, je weiter sie ihn erklommen und wenn sie einen schmalen Pfad durch die schroffen Felsen erspäht hatten, war dieser einen wenige Meter weiter durch einen scharfkantigen Brocken wieder versperrt. Dieser Weg hinauf schien verhext zu sein und sie konnten sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie die Burg nicht erreichen sollten.

Die Blitze gingen nun im Minutentakt auf die Erde nieder und ließen die gespenstische Szenerie in geisterhaftem Licht erstrahlen. Im gleißenden Blitzlicht, was mittlerweile unaufhörlich aufflammte, konnte man erahnen, dass sie gerade versuchten, eine Art Vulkankrater hinaufzulaufen. Diese scharfkantigen schwarzroten Felsbrocken müssen einst grobe und glühend heiße Lava gewesen sein. Ein Fehltritt hier würde bedeuten, dass die Haut rückstandslos von den Knochen geschabt werden würde – wenn man denn Glück hatte. Niemand der drei Freunde konnte sich erklären, wie sie in diese unheimliche Gegend gekommen waren und vor allem, welchen Zweck FX mit diesem Ausflug erfüllen wollte. Nach einer Erklärung sah das hier jedenfalls nicht aus.

Der Eisregen, der so urplötzlich einsetzte, raubte ihnen die letzten Kräfte und sie wurden immer langsamer. Ihre Muskeln schmerzten von dem steilen Anstieg und Erschöpfung breitete sich zusehends aus. Jedoch war zum Frieren keine Zeit, denn das Gewitter kam unaufhaltsam näher.

Henne blickte den Berg hinauf. Er wusste nicht, ob seine Sinne ihm einen Streich spielten, oder ob es in Wirklichkeit so war, denn es schien so, als entfernte sich die Burg immer weiter von ihnen, je weiter sie den Berg erklommen. Es würde ihn nicht wundern, wenn diese Ruine wirklich immer einen Sprung weiter nach hinten machen würde, je näher sie kamen. FX traute er gerade alles zu.

„FX, was ist hier los? Ich habe langsam Angst!” Henne blickte auf Ben, der schon lange keinen Ton mehr von sich gegeben hatte, was kein gutes Zeichen war, da dieser sonst nicht auf dem Mund gefallen war. Daher entschloss sich Henne, das auszusprechen, was Ben eigentlich fühlte. Und zugegebenermaßen war ihm selbst auch nicht sonderlich wohl in seiner Haut.

„Ihr braucht keine Angst zu haben. Es kann Euch nichts passieren. Niemandem kann hier etwas passieren. Ich weiß, dass es gerade definitiv nicht danach aussieht, aber es ist so. Es scheint gerade extrem gefährlich, aber es kann wirklich nichts passieren. Folgt mir.”

Mit großen Schritten eilte FX der Schlossruine entgegen und achtete sehr darauf, dass seine Freunde nicht all zu sehr zurück blieben. Als hätte sich das Gemäuer umentschieden und die scheinbare Flucht vor ihnen beendet, verfolgte die Ruine nun eine andere Strategie. Henne stellte verwundert fest, dass er gerade einem Gebäude denkende Fähigkeiten zugesprochen hatte und schob diese Verwirrung einer drohenden Unterkühlung zu.

Dennoch blieb diese Burg jetzt an Ort und Stelle, wurde dafür aber viel zu schnell größer, je näher sie kamen. Natürlich wirkten Dinge größer, wenn man sich ihnen näherte, das wusste Henne. Aber diese Burg wurde viel zu schnell viel zu groß. Fast wie ein Luftballon, den man aufblies. Das Unbehagen in seiner Magengrube verstärkte sich mit jedem Schritt, den er auf die Burg zu tat.

Als sie schließlich unmittelbar vor dem vermeintlichen Haupteingang standen und nach oben schauten, mussten alle schlucken, denn dieses Ding schien in seinen Ausmaßen deutlich riesiger als ihre eigene Universität. Sie kamen sich winzig klein vor, als sie vor dem Portal standen. Zwar sah die schwere Holztür sehr verrottet aus, machte jedoch nicht den Eindruck, dass sie gleich zerfallen würde.

Das Gewitter war mittlerweile zu einem handfesten Sturm angewachsen und der Wind peitschte auf die Freunde ein. Die wenigen Dachziegel, die noch auf dem maroden Dach lagen, wurden von heftigen Böen heruntergeweht und zerschellten nur unweit von ihnen.

„Los, hinein!”, schrie FX gegen den Sturm an. Auch wenn sie noch so alt und kaputt aussah, öffnete FX die Tür mit Leichtigkeit, indem er sie einfach aufstieß.

Es benötigte keiner zweiten Aufforderung für die drei Freunde. Sie traten sofort in das unbekannte Dunkel der Burg, denn drinnen konnte es nur sicherer sein, als im draußen tobenden Sturm.

Kaum waren alle Vier drinnen und die Tür geschlossen, verebbte der Sturm draußen. Das Unwetter ließ noch schneller nach, als es gekommen war. Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt und das Wetter draußen einfach ausgeschaltet.

„Entschuldigt. Ich bin innerlich gerade etwas aufgewühlt. Ich habe das noch nie gemacht.”

„Diggi, wir auch noch nich!” Ben hatte sich wieder gefasst und sprach aus, was alle seine Freunde dachten. „Was is’n hier nu eigentlich los?“

Ben hatte nicht genug Hände, um auf all das zu zeigen, was ihm gerade merkwürdig vorkam. Da war ganz offensichtlich das Unwetter draußen, was jetzt weg war. Aber auch ihre vollkommen durchnässte Kleidung, die mit dem Betreten des alten Gemäuers wieder komplett trocken war. Auch schien niemand mehr zu frieren.

„Wir müssen hier entlang.” FX ignorierte einfach die Frage von Ben, wohl wissend, dass er sich damit weiter unbeliebt machte.

„Natürlich geht es in den Keller. Es wundert mich, dass es mich wundert!” Immerhin hatte Henne seinen Humor wiedererlangt, als sie FX folgend von der Eingangshalle durch einen kleinen Durchgang eine Treppe nach unten nahmen.

„Das sieht alles etwas komisch aus ...” Michel sah sich um und musterte die Gänge, durch die sie schritten.

„Ich nehme an, Du meinst damit nicht ‘witzig’!” Henne hatte aufgegeben und ließ seinem Sarkasmus freien Lauf. Er hatte begriffen, dass egal ob sie FX drängten, beschimpften oder gar verprügeln würden. Er würde das Spiel nach seinen Regeln spielen und sie mussten mitspielen, ob sie wollten oder nicht.

„Henne, ‘tschuldige, aber dieser Palast ...” Es war ihm sichtlich unangenehm und so versuchte es FX doch mit einer Erklärung.

„Du meinst diese Ruine!”

„Herrgott Henne, nun lass ihn doch mal ausreden!” Michel wusste nicht, was er davon halten sollte. Natürlich war es wieder eine dieser typisch FX-Aktionen. Nur wusste Michel nicht, wie er damit umgehen sollte. Daher entschied er sich einfach, sich auf dieses Spiel einzulassen.

„Sorry ...”

„Also, ich gebe zu, es sieht hier alles etwas, nein, total ungewöhnlich aus, aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich erkläre es Euch hinterher. Ihr kennt das ja schon von mir. Auf das eine Mal mehr oder weniger kommt es doch jetzt auch nicht an, oder? Wir müssen jetzt erstmal woanders hin. Das ist in diesem Augenblick wichtiger!”

Michel, Henne und Ben blieben stehen und blickten einander in die Augen. Niemand sprach ein Wort. Niemand verstand so recht, was FX eigentlich von ihnen wollte. Schulterzuckend wandten sie sich von einander ab und folgten FX die Treppe hinunter. War sie anfangs noch relativ breit, wurde sie mit jeder Stufe zusehends schmaler, steiler und die Stufen wurden immer kleiner.

Michel, der direkt hinter FX die Stufen in den Keller hinabstieg, staunte nicht schlecht. Obwohl die Stufen zusehend schmaler wurden, hatte FX trotz seiner riesigen Füße keinerlei Probleme auf ihnen Halt zu finden. Ganz im Gegenteil schritt er ganz sicher die Treppe hinab, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan.

Auf eines schien man sich hier jedenfalls an diesem surrealen Ort verlassen zu können: Nichts ist, wie es scheint und nichts bleibt wie es ist. Dieser Ort, was auch immer und wo auch immer er ist, war nicht normal!

Die vormals gerade Treppe ging in eine Wendeltreppe über. Waren oben noch wenige Fackeln, die die Umgebung etwas erhellten, so brannten weiter unten nur noch hier und dort eine Kerze in Nischen in den Wänden. Von Licht oder gar Helligkeit konnte man hier definitiv nicht sprechen. Ein falscher Tritt auf diesen maroden und zerbröselten Steinstufen und derjenige würde alle Freunde, die vor ihm gingen mit in die Tiefe reißen, wo auch immer diese Treppen enden mochte.

Hatten sie anfangs noch die Stufen und Windungen der Wendeltreppe gezählt, so mussten sich Henne, Ben und Michel mittlerweile konzentrieren, dass ihnen nicht übel wurde von den stetigen Windungen der Treppe im Halbdunkel. Sie mussten ihre Aufmerksamkeit außerdem noch darauf richten, auf den glitschigen Stufen nicht auszurutschen, denn je tiefer sie kamen, desto feuchter wurde es auch. Mittlerweile tropfte es regelmäßig von der Decke und irgendwelche Farne und Moose schien die Dunkelheit hier nichts auszumachen. Sie sprossen aus unzähligen Ritzen im Mauerwerk hervor.

Dieser gruselige Ort war so ganz anders, als das Gewölbe ihrer Universität, welche sie jetzt sehr vermissten. Es war schon erstaunlich, wie unterschiedlich solche Räumlichkeiten sein konnten. Hier war es nass, feucht und ungemütlich. Zuhause in ihrer neuen Heimat hingegen waren die Untergeschosse alles sauber und trocken. Vom Wunder der Natur namens Biolumineszenz, was sich dort abspielte natürlich ganz zu schweigen. Die Freunde vermissten ihre Universität plötzlich sehr, zumal dieser Ort hier das genaue Gegenteil von ihrem Zuhause darstellte.

Willkommen war man hier anscheinend nicht. Es war hier quasi das genaue Gegenteil. Dieser Ort, wo immer er auch war, schrie die vier Freunde seit ihrer Anwesenheit immer mit denselben Worten an: IHR SEID HIER NICHT WILLKOMMEN! HAUT AB!

Je tiefer sie kamen, desto schneller lief FX die Treppe hinunter. Je schneller er lief, desto mehr mussten sich die Freunde konzentrieren, nicht zu stolpern. Je mehr sie sich konzentrierten, desto mehr schienen sie sich in Trance zu laufen, bis sie schließlich einen Rhythmus gefunden hatten, der sie im Gleichschritt die nicht enden wollenden Stufen hinunterbrachte.

Umso überraschender kam das Ende der Treppe und plötzlich standen sie in einem winzig kleinen Raum. Es war quasi wie eine Sackgasse, denn dieser Raum bot den vier Freunden gerade einmal so viel Platz, dass sie dort stehen konnten, ohne sich oder die Wände zu berühren. Hätte man das Ende der Treppe einfach zugemauert, wäre es nicht viel geräumiger gewesen.

Da standen sie also nun, unzählige Stockwerke unter der Erde am Ende einer schlüpfrigen Treppe in einem winzigen Raum. Eine einzige Kerze an der Wand tauchte den Raum in ein schummeriges Licht. Einen Ausgang gab es anscheinend nicht. Es blieb ihnen lediglich der Weg zurück. Eine Sackgasse. Vielleicht auch eine Falle.

Der Boden war aus Lehm. Das Grundwasser schien sehr nahe zu sein, denn der Boden war feucht, fast schon matschig. Die Wände waren aus groben Steinen gefertigt und sie schienen exakt ineinander zu passen. Es gab keinerlei Fugen, kein Entkommen.

Wieder erinnerte das Ganze an ihre Universität, aber auch nur im Entferntesten. Wieder fühlten sie sich hier alles andere als willkommen. Die drei Freunde fühlten sich mehr als unwohl in diesem winzigen Raum, so tief unter der Erde. Es war fast erdrückend in diesem feuchten Keller. Viel Platz bot der Raum nicht. Man fühlte sich fast wie in einem Sarg unter der Erde.

„Und was sollen wir nun hier unten? Besonders wohnlich ist es hier nicht ...”

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