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Quartett
Teil 16 - Heimwärts
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Informationen
- Story: Quartett
- Autor: ratte-rizzo
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Science Fiction, Fantasy und Mystery
22. Heimwärts
Zwar war die Sonne bereits untergegangen, aber sie sollten noch genug Zeit haben, um zumindest während der Dämmerung noch den schwierigsten Teil des Abstiegs zu meistern. Dennoch sorgte sich FX um seine Freunde, wollte er doch keinesfalls einen Unfall in den einsamen Bergen riskieren. Natürlich hätte er so etwas im Falle eines Falles problemlos in letzter Sekunde verhindern können, aber er hielt sich an die Empfehlung des Clubs, die da lautete: Weniger ist mehr. Anstatt also einen Ausrutscher eines seiner Freunde in der Dunkelheit im letzten Moment mit Hilfe seiner Kräfte zu verhindern, setzte er lieber auf eine dezente Unterstützung, damit dies gar nicht erst passierte.
Er umgab die kleine Wandergruppe mit einer leicht leuchtenden Aura, die die Umgebung etwas heller erscheinen ließ, ohne aber großartig aufzufallen. Jeden einzelnen umgab ein leichter Lichtschein, der je nach Betrachtungswinkel zwischen bläulich kaltem und golden warmem Licht changierte. Dieser Schein lag wie eine zweite Haut auf jedem Einzelnen und schien ganz sanft ins Dunkel der Nacht hinein. Es war nicht viel an Helligkeit, aber dennoch ausreichend, dass ihre Augen die Umgebung und mögliche Hindernisse gut wahrnehmen konnten.
Dennoch bemerkte Henne das leichte Scheinen und drehte sich sogleich zu FX um. Noch während er Luft holte, um eine Anmerkung los zu werden, kam FX ihm schon zuvor.
„Ja. Die Aura ist von mir. Und ich habe extra etwas übertrieben, damit Ihr es auch merkt. Ich hätte es auch so machen können, dass es niemand bemerkt und es dennoch hilfreich beim Wandern ist.”
„Angeber”, brummte Michel vor sich hin.
Henne hingegen nickte zufrieden und konzentrierte sich wieder auf den Wanderweg.
Nur in Ben war der Spieltrieb erwacht. Er hob seine Hand und wedelte vorsichtig mit gespreizten Fingern vor seinem Gesicht hin und her und beobachtete das schwache Glimmen seiner Haut.
„Du erwartest vermutlich so etwas.” FX war stehengeblieben und zeigte erneut auf Bens Hand.
„Was’n, Diggi?” Ben zuckte nur mit den Schultern und blickte FX gespannt an, in der Hoffnung, dass FX gleich noch etwas zaubern würde.
„Wedel doch einfach noch einmal mit Deiner Hand.”
Ben fuchtelte erneut mit der Hand vor seinem Gesicht und traute seinen Augen nicht.
„Krass, Diggi!”
Mit seinen Fingern zog er eine Spur aus leuchtenden Funken hinter sich her, die langsam verglimmten, ohne dabei zu Boden zu schweben.
„Diggi, ich kann damit sogar meinen Namen schreiben!”
Ben schwang ausladend seinen Arm durch die Luft, bis die drei Buchstaben seines Namens vor seinen Augen schwebten.
„Ja, sehr schön!”
Ein lächeln huschte über FX’ Gesicht und auch seine Freunde betrachteten verzaubert die Lichtschreiberei von Ben.
„Und nun, gib den Buchstaben einen Schubs von Dir weg nach oben!”
FX deutete an, als würde er jemanden mit der ausgestreckten flachen Hand von sich wegstoßen.
Ben tat es ihm mit beiden Händen nach und schob seine drei Buchstaben vorsichtig von sich weg. Die Buchstaben entfernten sich zusehends, wurden aber auch größer. Die vielen kleinen Lichtpunkte schienen sich ein ums andere Mal zu teilen und immer wieder zu vervielfältigen, so dass Bens Name mit zunehmender Entfernung immer größer und kräftiger am Himmel geschrieben stand. Es war fast wie bei einem Feuerwerk, wo man die Pause-Taste gedrückt hatte und was nun ewig am Himmel zu leuchten schien.
„Und nun, wisch es einfach weg. Oder verwirbel es. Oder denk Dir etwas aus, wie Du die Buchstaben löschen möchtest. Es muss ja nicht gleich jeder sehen, dass Du Dein Unwesen hier treibst.”
Ben überlegte kurz, dann holte er Luft und blies in den Himmel, als würde er die Kerzen auf einer Geburtstagstorte ausblasen. Zunächst passierte gar nichts und Ben senkte enttäuscht seinen Blick. Doch im gleichen Augenblick wie FX umständlich mit seinem Gipsarm in Richtung Himmel, wo immer noch unbeweglich das BEN geschrieben stand. Als dieser dann wieder aufschaute verwirbelten plötzlich all die vielen leuchten Punkte, um schließlich wie von einem Luftstoß weit hinfort getragen zu werden. Der Schriftzug war verschwunden.
Es war bereits stockfinster, als sie sich dem Parkplatz oberhalb des kleinen Strandes näherten. Mit einer Handbewegung wischte FX die glimmende Aura von sich und seinen Freunden einfach beiseite. Sie hatten ihr Ziel erreicht und mussten feststellen, dass ihr kleiner versteckter Strand gar nicht mehr so verlassen war, wie zu dem Zeitpunkt, als sie zu Ihrer Exkursion in FX’ Vergangenheit aufgebrochen waren.
Ganz offensichtlich herrschte gerade eine Menge Trubel am Strand und es wurde eine riesige Party gefeiert. Der Bass von fetziger Musik drang aus der Ferne zu ihnen hinüber, Lichtblitze und Scheinwerfer erhellten den schwarzen und wolkenlosen Himmel. Man hörte das Gebrabbel unzähliger Menschen auf einer riesigen Party. Und tatsächlich, kaum dass sie die alte Treppe erreicht hatten, konnten sie die gesamte Bucht überblicken und das wuselige Treiben unzähliger junger Menschen lag ihnen zu Füßen, wie sie vor dem DJ-Pult am Wasser wild und ausgelassen tanzten oder aber vergnügt in kleinen und größeren Grüppchen am Strandkiosk mit Cocktails in der Hand standen.
„Ich glaube, wir kommen genau richtig”, freute sich Michel mit einem Kopfnicken Richtung Party.
„Krass, Diggi, was geht denn hier ab?” Ben war vor lauter Erstaunen von seinem Board abgestiegen und an das Treppengeländer herangetreten. Das Grinsen auf seinem Gesicht in Vorfreude auf die Party ließ sich gar nicht mehr entfernen.
„Diesen Tag habe ich mir so lange gewünscht”, seufzte FX mehr zu sich selbst denn zu seinen Freunden. Dennoch war das leise Flüstern Henne nicht entgangen, der ihn sogleich freundschaftlich an den Schultern fasste und zu sich hindrehte.
„Lass mich raten, FX”, Henne war ja ziemlich klein und reichte seinem großen Freund nicht einmal bis an die Brust. Dennoch war sein Blick dermaßen packend und energiegeladen, dass er keine Ausflüchte duldete und dass FX ein Schauer über den Rücken lief. Er war kurz verwirrt ob der Intensität, die Henne in seinen Blick legen konnte, war das doch eigentlich eine Fähigkeit, die nur ihm und seinen Mitstreitern vorbehalten war. Noch bevor er seinen Gedanken zu Ende denken konnte, fuhr Henne aber schon fort.
„Diese Party hier am Strand, die findet jedes Jahr statt, oder?”
Und schon war FX doch wieder in Gedanken im Hier und Jetzt. Wie einfach er sich in letzter Zeit ablenken lassen konnte. Früher war ihm so etwas nie passiert. Eggsy wäre alles andere als stolz auf ihn. Eben war er noch traurig und melancholisch, dann fasziniert von Hennes stechenden Blick und nun blickte er wieder traurig auf das wilde Treiben unten am Strand. Er konnte sich lediglich zu einem vorsichtigen Nicken hinreißen lassen. Mittlerweile hatten aber auch Ben und Michel bemerkt, was sich hinter ihnen abspielte.
FX nickte stumm und blickte in die Ferne, über das feiernde Volk hinweg.
„Und Du bist all die Jahre nie hierhergekommen?”
Ein Kopfschütteln.
„Weil Du Tarragona und die Gegend hier immer mit dem Feuer und dem Tod gleichgesetzt hast?”
Noch ein Nicken.
„Und vorhin ist Dir ein großer Stein vom Herzen gefallen, als Du uns Deine Geschichte erzählt hast?”
Ein Lächeln.
„Und jetzt möchtest Du endlich mit uns da unten feiern gehen?”
„JA!”
FX schrie es erleichtert heraus. Es war, als sei ein großer Felsen von seinem Herzen gefallen und eine enorme Last von seinen Schultern genommen worden! Er fühlte sich frei, so frei wie schon lange nicht mehr. Endlich konnte er wieder durchatmen und lachen. Es war ein so unbeschwertes Gefühl, wie er es schon seit vielen Jahrzehnten vermisst hatte. Endlich hatte er wieder das Gefühl, dass sein Leben lebenswert ist und dass es neben der Arbeit gerade wieder einen Sinn hatte.
Als er sich aus Hennes Griff zu befreien versuchte, musste er wieder verwundert feststellen, wie dieser kleine süße Punk, dessen Iro nicht einmal an sein Kinn heran reichte, es geschafft hatte, ihn so vehement festzuhalten. Aber dennoch gelang es FX, sich sanft aber bestimmt aus Hennes Fängen zu befreien und sich mit seinem Gipsarm bei ihm unter zu haken. Mit seiner Linken schnappte er sich danach Ben und schleifte schließlich beide die Treppe hinunter, ohne auf Bens Proteste zu achten.
„Diggi, mein Board!”
Der Strand war voll. Er platzte fast aus allen Nähten und dadurch, dass er an drei Seiten von Felswänden umgeben war, gab es außer Richtung Wasser auch keine Ausweichmöglichkeiten. Aber da es trotz der späten Stunde nach wie vor herrlich warm war und auch die Wassertemperatur fast die eines Babyschwimmbeckens hatte, standen unzählige Menschen bis zu den Knien im Wasser und tanzten, quatschten oder tranken bunte Cocktails.
Aber FX behielt trotz des bunten Treibens den Überblick und steuerte zielsicher auf die Strandbar zu. Für diese riesige Veranstaltung hatte Eggsy zusätzliches Personal engagiert. Hinter dem Tresen standen drei junge Typen, die außer einer Badehose nichts an Kleidung trugen. Es schien, als seien es drei Schwimmer der Olympiamannschaft, die gerade aus dem Wasser gestiegen und zu ihrem zweiten professionellen Job hinter dem Tresen übergegangen waren: die Cocktail-Shaker flogen nur so durch die Luft, einer brannte sogar mit gleißend heller Flamme und die unglaublich gutaussehenden Typen schüttelten die Getränke im perfekten Rhythmus synchron zur Musik.
Sie hatten die Strandbar noch nicht erreicht, aber die Blicke von FX und Eggsy trafen sich dennoch aus der Entfernung und im selben Augenblick verstummte die Musik zu einer absoluten Stille und die dunkle Nacht mit der bunt blitzenden Partylichtern wurde zu einem absoluten Weiß.
Die beiden schwiegen sich minutenlang an, bevor FX das Wort ergriff.
„Musstest Du wieder so dick auftragen? Wo hast Du denn diese Knusperstücke hinterm Tresen wieder aufgegabelt?”
„Hej, was ist los? Gefallen sie Dir nicht?”
„Ich glaub, darauf muss ich Dir nicht antworten, oder?”, kam es gespielt vorwurfsvoll von FX.
„Ich bin froh, dass Du heute hier bist. Auf diesen Tag habe ich lange gewartet. Wie fühlst Du Dich?”
FX wusste, dass die letzte Frage rein rhetorisch war, denn Eggsy wusste genau, wie gut es FX jetzt ging und wie wohl er sich fühlte, nachdem er es endlich geschafft hatte, seinen Freunden seine Geschichte zu erzählen. Dennoch gab er seinem Ziehvater und Lehrmeister eine Antwort, denn es erfreute ihn, endlich darüber berichten zu können.
„Es ist so schön, es ist unbeschreiblich schön. Ich fühle mich so leicht und frei wie noch nie zuvor.”
„Es war ein weiter Weg. Und es war alles andere als ein Spaziergang. Aber es hat sich gelohnt. Es ist schön, dass Du hier bist.”
Eggsy war der einzige Mensch, mit dem FX bisher über seine Vergangenheit sprechen konnte, zumal Eggsy auch der Einzige war, der damals zugegen war. Beide wussten aber, dass FX eines Tages mit anderen darüber sprechen musste, um die Last, die auf seinen Schultern lag, wirklich loswerden zu können. Immer und immer wieder drehte sich deren Diskussion im Weiß und in der Realität um nichts anderes.
Aber vorangekommen war FX bei diesem Thema nie. All die Jahrzehnte hatte er es nie geschafft, einen Schlussstrich unter dieses Kapitel seiner Vergangenheit zu ziehen. Bis zum heutigen Abend. Die beiden sahen sich noch einen Augenblick schweigend an und nahmen sich schließlich in den Arm, als das Weiß wieder dem Nachthimmel mit der Discobeleuchtung wich und die mitreißende Musik wieder die Stille verscheuchte.
„Was möchtet Ihr trinken?” Eggsy hatte FX immer noch im Arm, jedoch standen sie nun am Tresen inmitten von Menschenmassen.
„Wenn ich mir die Sahnestücke so anschaue, dann kommt eigentlich nur ein ‚Sex on the Beach’ in Frage.”
„Bitch!”
„Henne!”
„Später ...”
„Oder etwas mit Sahne?”
„Ben!”
„Vielleicht sollte ich es auch mal als Barkeeper versuchen ...”
„Henne! Sagt mal, können wir nicht einmal wie eine normale Familie sein?”
FX war überrascht von seinen Freunden, die plötzlich so hormongeladen zu sein schienen.
„NEIN!”, kam es unisono von FX’ Freunden zurück.
„Ich geb‘s auf, ‚Sex on the Beach’ für alle.”
Eggsy sah seine Angestellten kurz an, gab ihm wortlos ein paar wirre Zeichen und dann beendeten sie ihre derzeitige Arbeit und stellten sich anschließend wie die Orgelpfeifen in einer Reihe auf.
Die beiden außen stehenden Typen griffen je ein Glas für Longdrinks, warfen es wild drehend hoch und stupsten es dann vorsichtig im Fallen mit dem Fuß zu dem Typen, der gerade noch in der Mitte gestanden hatte. Der fing beide Gläser im Flug ab und balancierte sie auf seinen Handrücken, ohne auch nur einmal zugegriffen zu haben. Kurz darauf flogen von rechts und links erneut zwei Gläser auf ihn zu, so dass er die beiden, die er auf den Handrücken hatte, hochwerfen musste, um die zwei neuen Gläser aufzufangen. Mit den vier Gläsern begann er nun zu jonglieren, allerdings achtete er peinlich genau darauf, dass die Öffnung der Gläser immer oben war.
Im nächsten Schritt warfen die beiden anderen Jungs nämlich einen Eiswürfel nach dem anderen in die fliegenden Gläser, bis sie halb voll waren.
Während der Typ in der Mitte nach wie vor damit beschäftigt war, die mit Eis gefüllten Gläser jonglierend in der Luft zu halten, flogen die Flaschen zwischen den beiden außen stehenden Kerlen hin und her. Mit gekonnten Griffen spritzten als nächstes die Zutaten für die Getränke scheinbar wild durch die Luft und landeten erstaunlicherweise immer in den Gläsern, die nach wie vor vom Jongleur in der Luft gehalten wurden.
Als schließlich alle Gläser von Ferne gefüllt waren, warf der Jongleur die Gläser eines nach dem anderen hoch in die Luft und dann landeten sie plötzlich alle gleichzeitig auf dem Tresen vor den vier Freunden. Nur einen Augenblick später schossen wie Pfeile aus der Luft auch vier Strohhalme von oben in die Gläser hinein und ließen die Freunde mit offenen Mündern auf die Szenerie starren.
Die Drei hinter dem Tresen verbeugten sich kurz, warfen den Freunden einen Kuss hinüber und gingen dann ihrer Arbeit mit den anderen Kunden nach.
Henne war der erste, der sich von seinem Erstaunen wieder erholte und rollte mit den Augen.
„Die Schirmchen fehlen. Gutes Personal ist schwer zu bekommen. Es reicht halt nicht, wenn man nur gut aussieht.”
Wortlos zeigte FX auf den Behälter hinter dem Tresen, wo die zusammengefalteten Schirmchen steckten und beschrieb dann mit dem Zeigefinger eine Flugbahn von dort zu Hennes Glas. Ein Schirmchen löste sich aus der Menge in dem Behälter, folge den von FX gemalten hohen Bogen und öffnete sich kurz vor dem Erreichen des Glases in dem Moment als FX seine Finger plötzlich spreizte. Langsam segelte das Schirmchen in Hennes Glas.
„Prost!”
FX saugte als einziger an seinem Strohhalm, während die anderen immer noch staunend auf Hennes Glas mit Schirmchen starrten. Nur Eggsy prostete FX von der anderen Seite des Tresens zu. Die anderen drei waren nach dieser Aktion nun vollkommen durcheinander.
„Trinkt was, warm schmeckt er nicht und Alkohol kann auch helfen, Knoten im Kopf zu vermeiden. Also nochmal: Prost! Oder wollt Ihr auch noch ein Schirmchen?”
Daraufhin prusteten die Drei laut los, der Damm war gebrochen, rasch griffen sie zu ihren Gläsern und der erste von vielen Cocktails an diesem Abend war bald Geschichte.
Erst nach Sonnenaufgang leerte sich der Strand und die Party neigte sich dem Ende. Die vier Freunde verabschiedeten sich von Eggsy und besonders von seinem Team aus knackigen Barkeepern, bevor sie sich, diverse Alkoholleichen umrundend, auf dem Weg zu ihrem Zelt machten.
„Könnt Ihr jetzt schlafen?”
„Neee, irgendwie bin ich noch voll aufgedreht! Was für eine geniale Party! Wir sollten in der Uni auch unbedingt ‘ne Beachparty machen!”
„Oh, Uni ...”
„Diggi, was’n heut eigentlich für’n Tag???”
„Nein, sag jetzt bitte nicht, dass ...”
„Oh fuck!!!”
„Ja, genau. Morgen geht das dritte Semester los.”
„Aber hej, wir sind dann keine Ersis mehr!”
„Na toll, was für ein Trost. Und nun?”
„Na was wohl, Diggi. Sachen packen und auf nach Hause ...”
„Also ich muss erstmal was frühstücken. Ich brauch ‘nen Kaffee und so. Vorher geht hier gar nichts!”
Am Stand fanden sie noch ein leicht glimmendes Lagerfeuer, was kurzerhand mit etwas Kleinholz und ein paar Scheiten auf Hochtouren gebracht wurde. Und wenig später brutzelten in einer Pfanne ein paar Eier und die Kaffeekanne gab das Signal für frischen heißen Kaffee.
Aber auch das Frühstück währte nicht ewig, so sehr sich alle auch bemühten, die letzten Stunden ihres Urlaubs in die Länge zu ziehen. Aber Michel war es schließlich, bei dem die Vernunft als erstes Oberhand gewann, so dass er aufstand und begann, die Sachen vom Essen zusammenzuräumen.
Die anderen machten sich daran, die Zelte abzubauen, aber bevor alle so richtig in Schwung kamen, ergriff FX das Wort.
„Ich weiß, dass es wieder mehr Fragen aufwirft, selbst wenn ich es erklären würde, aber ich mach es trotzdem. Ich hab‘ keinen Bock hier stundenlang aufzuräumen. Fragt nicht, wie ich das mache. Ich kann es einfach. ”
Er stellte sich vor die beiden Zelte, schloss kurz die Augen und atmete einmal tief durch. Dann öffnete er sie wieder und fing an, mit beiden Händen zu dirigieren. nur gehorchte in diesem Falle kein Orchester auf ihn, sondern er dirigierte Teller und Kannen, Isomatten und Kleidung, Zelte und Taschen!
Wie von Geisterhand bewegte sich das ganze Hab und Gut der vier Freunde vor sich, sortierte sich, legte sich zusammen, machte sich sauber und verstaute sich von selbst in die Taschen und Kisten. FX stand lediglich vor dem von selbst wirbelnden Chaos, was in Wirklichkeit gar keines war und wies mal hier mal dort hin, zeigte den Tellern, in welche Kiste sie mussten und welche Kleidung in wessen Tasche zu verschwinden hatte.
Nach nur wenigen Minuten war das Wirrwarr an Dingen auch schon wieder beendet und nur ein paar fertig gepackte Taschen und Kisten standen am Strand und nichts außer ein paar Fußspuren deutete darauf hin, dass hier gerade noch Zelte und Tische gestanden hatten.
„Was war wieder die Schirmchen-Nummer, nicht wahr?”
Henne konnte es immer noch nicht glauben.
„Schirmchen-Nummer? Ach, gestern Abend! Ja, das war genau dasselbe, stimmt.”
FX nickte eifrig.
„Aber sag mal, FX, die Show von den knackigen Barkeepern, das kann man ja trainieren und irgendwann kann man das dann, wenn man sich nicht ganz so doof anstellt. Aber diese Sache mit den Schirmchen, kann man das auch lernen???”
Michel war neugierig geworden.
„Naja, ganz so einfach ist das nun auch wieder nicht. Also auf natürlichem Weg könnte ich die Show der Barkeeper glaube ich nie lernen. Ein Bisschen Talent braucht man schon dazu. Und bei der Schirmchen-Nummer, wie Henne sie nennt, ist das ähnlich. Wenn man etwas Talent hat, dann kann man das auch lernen.”
FX blickte in überraschte Gesichter, bevor er hinzufügte: „Den Namen mit dem Schirmchen muss ich mir unbedingt merken!”
„Sach ma, was’n für’n Talent braucht man denn?”
Überrascht schaute FX zu Ben, überlegte kurz und gab etwas unsicher seine Antwort.
„Naja, man braucht leider schon ein besonderes Talent. Man muss zuhören können und sich auf die Natur und Physik einlassen können. Und ja, es klingt viiieeel einfacher, als es wirklich ist!”
Da niemand Anstalten machte, sich mit dem Teil der Antwort zufrieden zu geben oder gar den Heimweg antreten zu wollen, seufzte FX und setze sich kurzerhand im Schneidersitz in den Sand. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht taten es die anderen ihm nach und setzten sich in den Sand. Schließlich hatte FX ja schon alles eingeräumt, so dass es keine Sitzgelegenheiten mehr gab. Nur Ben setzte sich auf sein Board, was er kurzerhand mit den Rädern nach oben hinlegte.
„Also, das Ganze basiert eigentlich auf der Tatsache, dass alles in diesem Universum eine Art Bewusstsein hat. Klar, jeder Mensch und jedes Tier, da stimmt Ihr mir sowieso zu. Aber auch jeder Baum und jede Blume. Zustimmung? Vielleicht. Aber auch jeder Stein und jeder Tropfen Wasser. Ja, jedes Atom! Ich gebe zu, das ist schwer zu glauben. Und noch schwerer zu verstehen. Am einfachsten und mit den wenigsten Kopfschmerzen verbunden ist es, wenn man es einfach akzeptiert. Isso.”
Der Erklär-Bär war in FX erwacht und er versuchte seinen Freunden verständlich zu machen, was er gerade getan hatte und vor allem, wie er es gemacht hatte.
„Als ersten Schritt musste man einen Kontakt zu dem Bewusstsein des Gegenstandes aufbauen, den man manipulieren will. Dazu ist es jedoch nötig, dieses Bewusstsein zu finden. Das war es, was ich mit zuhören meinte. Denn je lebloser das Gegenüber ist, desto schwieriger ist es, das Bewusstsein davon zu finden, geschweige denn damit in Kontakt zu treten und es zu überreden, Dinge zu tun. Und genau das erfordert besagtes Talent und eine gehörige Portion Übung.”
Die drei Freunde hingen gebannt an FX Lippen und konnten nicht so recht glauben, was sie da gerade hörten.
„Aber”, so schloss FX seinen Exkurs über Kommunikation mit Materie ab, „es gibt auch andere Möglichkeiten, Dinge zu bewegen. Telekinese ist eine andere Möglichkeit. Aber ich versuche immer, dass die Dinge es freiwillig tun. Irgendwie fühle ich mich besser dabei.”
Während er sprach, formte sich der Sand in der Mitte ihres kleinen Sitzkreises zu zwei Figuren.
„Ich kann dem Sand sagen, dass er sich zu zwei Figuren zusammenfinden soll und die dann miteinander tanzen sollen.”
Sprach’s und schon fingen die beiden kleinen Sandfiguren an, einen Walzer auf der kleinen Tanzfläche zwischen ihnen zu tanzen.
„Wenn das quasi freiwillig geschieht, hat das den Vorteil, dass die beiden auch weitermachen, bis sie keine Lust mehr haben, ohne dass ich da ständig drauf aufpassen muss. Je nach Überredungskünsten kann man da auch eine gewisse Dynamik reinbringen. Generell hält das aber natürlich nicht ewig, denn am Ende ist Sand auch nur Sand und seine Bestimmung ist, hier herum zu liegen.”
Mit einer Wischbewegung durch die Luft zerbröselten die beiden Figuren wieder und vereinigten sich mit dem restlichen Sand am Strand.
„Wenn ich dasselbe mit Telekinese mache, dann merkt man gleich, dass das zwar prinzipiell kein Problem ist, aber dass ich leider so gar kein künstlerisches Talent habe!”
Wieder erhoben sich zwei Figuren aus dem Sand. nur waren es diesmal nicht so filigran gearbeitete Männchen wie beim ersten Mal, sondern die beiden glichen eher dreidimensionalen Strichmännchen, deren Proportionen etwas unnatürlich aussahen. Und auch der Tanzstil und die Geschmeidigkeit der Bewegung der beiden glichen eher den schlaksigen Bewegungen von FX, als denen der Primaballerinas, die zuvor den Walzer getanzt hatten.
„Außerdem”, so beendete FX diese Demonstration, „muss ich in Gedanken immer noch zumindest etwas bei der Telekinese für den Sand bleiben und kann mich nicht voll und ganz anderen Dingen widmen.”
Kaum hatte FX seinen Satz ausgesprochen, fielen die beiden Strichmännchen auch schon wieder in sich zusammen und übrig blieb wieder nur ein Häufchen Sand.
„Krass!”
„Telekinesierst Du uns jetzt zurück in die Uni?”
„Das möchtest Du nicht, Henne”, antwortete FX und schob ihn mit Geisteskraft etwa einen halben Meter nach hinten. „Fühlt sich doof an, oder? Wir nehmen besser den Wagen.”
Henne blieb kreidebleich sitzen, während sich die anderen bereits laut lachend erhoben hatten. FX ging auf ihn zu, nahm ihn in den Arm und sandte einen Schwall beruhigender und wärmender Impulse aus. Der arme Henne war durch die überraschende Aktion gerade zu Tode erschreckt worden und noch nicht in der Lage, sich zu rühren. Nur langsam erholte er sich von dem Schrecken und FX flüsterte ihm leise ins Ohr.
„Tschuldige, aber bei der Steilvorlage konnte ich nicht widerstehen. Ich verspreche Dir, das nie wieder zu tun. Und als Wiedergutmachung hast Du einen Wunsch heute Abend im Bett frei!”
„Aber bevor Du nachfragst”, FX wandte sich nun an alle Drei, „das Gepäck teleportiere ich gleich in den Kofferraum. Und nun lasst uns rüber zu Eggsy gehen und uns verabschieden.”
Eggsy stand in seinem Strandkiosk und alles sah so einfach, einsam und verlassen aus, wie am ersten Tag, als sie angereist waren. Nichts erinnerte an die rauschende Strandparty der vergangenen Nacht. Keine Abfälle, keine Tische, keine Tanzfläche. Es war, als hätte sie nie stattgefunden. Nur ein paar vereinzelte Strandbesucher lagen auf dem Sand oder saßen am Tresen.
Eggsy verabschiedete alle vier einzeln und wehrte sämtliche Fragen zu seinen oder FX Fähigkeiten ab und verwies stattdessen jedes Mal auf FX und meinte, dass er es erzählen würde, wenn es so weit sei.
Als FX an der Reihe war, verzichteten die Beiden auf ein Treffen im Weiß. Sie nahmen sich einfach nur in den Arm, schauten sich wortlos an und dann ging FX einfach zur Treppe und zum Auto.
Der Kofferraum stand noch offen, war aber bereits mit unzähligen Taschen und Kisten befüllt, was Michel wieder die Frage ins Gedächtnis rief, die er schon bei der Abreise hatte. Diesmal jedoch sprach er sie für alle hörbar aus.
„Der Wagen ist innen größer als außen, oder?”
„Ja.”
Knapper hätte die Antwort von FX nicht sein können. Er stieg ein und nach kurzem Zögern taten es die anderen ihm nach. Als alle drinsaßen und die Türen geschlossen waren, lieferte er zur Erleichterung der Anderen die eigentliche Erklärung.
„Das ist so ein Raum-Zeit-Ding. Also so ganz verstanden habe ich das auch nicht. Stephen Hawkins und Albert Einstein habe ich fast in die Verzweiflung getrieben mit meinen Fragen, aber selbst die beiden haben es nicht geschafft, mir das bis ins letzte Detail zu erklären. Ich muss es aber auch nicht verstehen, ich hab’s einfach nur benutzt.”
„Diggi sach schon, hast Du den Elektronen-Atom-Abstand verringert oder hast Du den Raum im Auto gedehnt und unseren eigenen gleichzeitig gestaucht?”
Michel und Henne, die zuvor noch FX erwartungsvoll angeschaut hatten, drehten ihre Köpfe überrascht zu Ben um. Auch FX sagte zunächst nichts weiter und sah verdattert auf die Rückbank, wo Ben bereits Platz genommen hatte.
„Ja was???”
Ben war, was Physik und Technik anbelangte, schon immer die Referenz für die Freunde. Wenn jemand etwas von Technik, Computer und dergleichen verstand, dann war es Ben. Dennoch hatte jetzt niemand damit gerechnet, dass Ben irgendetwas zu diesem Thema sagen würde.
„Man wird ja wohl mal fragen dürfen”, enttäuscht zog er einen Schmollmund, verschränkte seine Arme und schob sich ganz weit in den Sitz hinein.
Allerdings hatte es jetzt den Anschein, als wenn er viel zu weit in dem Sitz versinken würde! Es war, als würde er halb IN dem Sitzpolster verschwunden sein und nicht mehr drauf sitzen! Sein gesamter Hinterkopf war im Sitz verschwunden. Es sah fast so aus, als ob er im Wasser schwimmen würde wo nur das obere Drittel des Körpers aus dem Wasser schaut. Nur, dass er nicht im Wasser war, sondern in FX’ Auto saß.
Ben hingegen war gar nicht klar, dass er viel zu weit in den Sitz eingesunken war. Und Michel und Henne hatten es im Gegensatz zu FX noch gar nicht bemerkt, dass hier etwas nicht stimmte.
So gelang es FX, diese ungewöhnliche Situation zu vertuschen noch bevor es neue Fragen geben würde. Schnell war er aus dem Wagen ausgestiegen und beugte sich über Ben. Trotz Gipsarm griff er flink und behände mit beiden Armen ebenfalls in den Sitz hinein und nahm Ben so liebevoll in den Arm.
„Ooohhh… Mein Lieber”, tröstete er Ben, „mach Dir nichts aus dem, was die anderen Sagen.”
Dabei zog FX ihn vorsichtig aus dem Polster heraus, so dass weder Ben noch die anderen es bemerkten. Das leise plopp, was dabei zu hören war, übertönte er gekonnt mit einer zweiten Portion Mitleid.
„Ooohhh, lieber Ben, die anderen sind nur neidisch, dass Du als einziger den richtigen Tipp abgegeben hast!”
Mit großer Genugtuung streichelte er Ben noch einmal freundschaftlich durch seine wilde Skater-Mähne bevor er einstieg und den Wagen startete. Das laute Gezeter von Ben wegen seiner ruinierten Frisur ignorierte er gekonnt.
Innerlich machte FX’ Herz Freudensprünge. Hatte Ben doch gerade selber den Beweis geliefert, dass er doch irgendwelche Kräfte hatte, die es nun weiter zu erforschen galt.
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