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Quartett
Teil 47 - Elemente
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Informationen
- Story: Quartett
- Autor: ratte-rizzo
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Science Fiction, Fantasy und Mystery
53. Elemente
„Sag mal, merkst Du’s noch?”
Oben ohne lag Michel in der untergehenden Herbstsonne auf dem Burgwall und saugte die verbleibenden Strahlen in sich auf, als sich irgendein Idiot zwischen ihn und dem gelben Ball am Himmel stellte. Eigentlich war ihr genialer und ereignisreicher Sommerurlaub am Mittelmeer noch gar nicht so lange her, aber das neue Wintersemester hatte sie wieder dermaßen im Griff, dass der Urlaub gefühlt schon Lichtjahre entfernt lag.
Michel hatte noch so viel vorgehabt, sowohl im Urlaub bei Tarragona, als auch hier an der Uni. Aber derzeit war nicht daran zu denken. Die ungeraden Semester waren stets eine Herausforderung, so auch das fünfte. Um so wichtiger war es für Michel, jetzt in diesem Moment die letzten kräftigen Sonnenstrahlen in sich aufzusaugen. Wer weiß, wie das Wetter morgen werden würde und der dunkle lange Winter stand unabwendbar vor der Tür. Daher hatte er darauf verzichtet, mit seinen Freunden die letzten Kapitel der Vorlesung noch einmal aufzuarbeiten und sich stattdessen mit freiem Oberkörper auf die abschüssige Wiese gelegt, die hier fast im rechten Winkel zur bald verschwindenden Sonne stand.
In Gedanken war er wieder am kleinen Sandstrand bei Eggsy am Kiosk, bis, ja bis irgendein Blödmann sich herangeschlichen hatte und einen Schatten auf ihn warf. Eine Gänsehaut kroch über seine Brust und versuchte, die nicht vorhandenen Haare aufzustellen, um etwas Isolation gegen den kalten Schatten zu erwirken.
„Was fällt Dir ein?”
Mittlerweile hatte Michel seine Augen geöffnet und war vom Strand wieder Zuhause zu Füßen ihres Uni-Schlosses. Aber gegen das Licht sah er dennoch nur einen schwarzen Schatten, so dass er keine Ahnung hatte, wer ihn hier bei seinem kleinen Päuschen störte.
„Entschuldige, Michel, dass ich Dich erschreckt habe.”
Entspannt ließ Michel seinen Kopf wieder auf sein T-Shirt sinken, was ihm als Kopfkissen diente, denn er hatte Paul an seiner Stimme erkannt. Anfangs hatte er den Kommilitonen im Verdacht, mit dem er ab und zu im Fitnessstudio um die Wette trainierte. Ihm hätte er diese Störung garantiert nicht verziehen und ihn bei der nächsten Trainingsrunde mit Sicherheit fertig gemacht. Aber bei seinen drei Freunden und auch Emil und Paul war das etwas anderes.
„Paul, was führt Dich zu mir? Magst Du trotzdem aus der Sonne gehen?”
„Oh, entschuldige.” Paul trat zur Seite und hockte sich neben Michel ins Gras. „Ich hatte gesehen, dass Du schläfst und das schien mir die sanfteste Art zu sein, Dich zu wecken.”
„Ist schon okay, Dir kann man ohnehin nicht böse sein.”
Michel betrachtete Pauls Gesicht in der Abendsonne. Er fragte sich, wie es dieser Kerl es nur fertig brachte, immer ein Lächeln auf den Lippen zu haben. Seine pechschwarzen Haare, zu einem akkuraten Seitenscheitel gekämmt, reflektierten das Licht und umrahmten sein Gesicht mit einem fesselnden Funkeln.
„Alter Charmeur!”
Verlegen blickte Paul in die Sonne und kniff seine Augen zu. Ganz offensichtlich war auch er ein Sonnenkind, was man schon an seiner kräftigen Sommerbräune ablesen konnte. Rein optisch war er das genaue Gegenteil seines Freundes Emil, der sich problemlos vor einer weißen Wand verstecken konnte.
„Ich wollte Dich nochmal zu Eurem ...”
Mit seinen dunklen Knopfaugen blickte Paul wieder hinunter zu Michel, als er von diesem mitten im Satz unterbrochen wurde.
„… geheimen Ausflug hier in der Uni fragen.”
Genauso überrascht wie Paul war auch Michel, als dieser den Satz beendete. Er wusste auch nicht, wieso er wusste, was Paul gleich sagen wollte. Aber es war, als hätte er gerade genau das gesehen: Zwei Freunde, wie sie vor der Kulisse einer mittelalterlichen Burg lagen und über einen abenteuerlichen Ausflug von vor ein paar Monaten sprachen.
„Entschuldige, Paul, ich kann das leider noch nicht kontrollieren. Ich bin schon froh, wenn ich es nicht gleich ausplaudere.”
Michel setzte sich auf, und um von seiner Verlegenheit abzulenken, zog er sich das T-Shirt über. Er wusste, dass seine Fähigkeit zur Präkognition ihn irgendwann mal einen böseren Streich spielen würde und er hoffte, dass es nicht in allzu großer Runde passieren würde.
Eigentlich stand das Training dieser neuen Fähigkeit auch auf seiner Liste für den Herbst, aber im Gegensatz zu seinem Krafttraining konnte er das nicht alleine machen, sondern er brauchte FX dafür. Und der war, genau wie alle anderen, im Lernstress eingespannt und um jede freie Minute froh. Daher wollte Michel ihn nicht mit seinen Problemen belästigen.
Er war der letzte der Truppe, der eine besondere Fähigkeit bei sich entdeckt hatte. Es war kurz vor dem Urlaub gewesen und er hatte bisher keine Muße gehabt, sich in Ruhe mit FX zusammenzusetzen und etwas mehr darüber zu erfahren. An der Costa Brava hatte er zwar mit Eggsy und dem Exfreund von FX darüber gesprochen, aber das war mit einem persönlichen Training überhaupt nicht vergleichbar. Immerhin wusste er nun, dass er sich um seine Fähigkeit keine Sorgen machen musste. Es war weder schlimm noch gefährlich. Aber es war auch unglaublich spannend und eigentlich wollte er mehr darüber erfahren und sie vor allem auch benutzen! Aber Michel fürchtete, dass er vor den Weihnachtsferien keine Zeit mehr dafür haben würde.
„Wie weit kannst Du denn in die Zukunft schauen?”
„Ach, Paul, wenn das mal so einfach wäre. Ich hab da überhaupt keinen Einfluss drauf. Es reicht auch nicht weit vorwärts. Sekunden oder Minuten, wenn es hochkommt. Aber wenn man Eggsy und Johannes glauben darf, dann kann man das trainieren. Mir würde es für den Anfang schon reichen, wenn ich so eine Episode mal für mich behalten könnte und nicht jedes Mal davon kalt erwischt werden würde.”
„Ach, entspann Dich am besten. Dadurch wird es zwar nicht besser, aber immerhin erträglicher! Du wirst schon noch lernen, wie man damit umgeht.”
Geistesabwesend strich Paul über die schlangenförmige Rune auf seinem Unterarm.
„Lass uns reingehen zu den anderen. Dann können wir besser darüber sprechen, was Du wissen willst.”
Die Sonne war untergegangen und Michel hatte seine Freunde in eine der kleinen Nischen des Sockelgeschosses zusammengetrommelt, um Pauls Fragen zu beantworten. Er empfand sich selbst als denkbar ungeeignet, diese Fragen zu beantworten, weshalb er sich in der Gemeinschaft seiner Freunde deutlich wohler fühlte.
„Diggi, was willste denn nu genau wissen über die geheimen Gänge? Wir könnten da auch einfach rein gehen und direkt nachschauen!”
Ben sprühte geradezu vor Tatendrang, sah er doch eine hervorragende Gelegenheit, nicht den trockenen Stoff für die Uni lernen zu müssen, sondern endlich wieder etwas Spannendes zu unternehmen.
„Nein, es ist besser, wenn ich hier bleibe und Ihr dieses Geheimnis gut bewahrt. Es sollten so wenig Menschen wie möglich von den parallelen Gängen und Räumen erfahren. Dennoch scheint es so, dass es ein paar fragwürdige Personen hier herausgefunden haben. Aber je weniger es wissen, um so besser ist es. Und ich, oder besser gesagt wir, also Emil und ich, sollten definitiv nicht dort sein. Weder in den Gängen noch auf diesem Platz.”
„Du meinst, diese kreisrunde Lichtung mit nichts, aber auch rein gar nichts drauf oder drum?”
Michel sah seine Chance gekommen, dass er auch etwas zu dieser Unterhaltung beisteuern konnte. Immerhin war er es, den Paul gefragt hatte.
„Abwarten, Michel. Aber bevor wir zu dem Zirkel kommen, habe ich noch eine Frage zu dem Gang dorthin.”
„Zirkel, Diggi? Wasn fürn Zirkel? Klingt eher nach Zirkus! Dieser Gang war krass vermint, würd ich ma sagen. Da waren vier Stellen wo man definitiv zu Tode kommen kann, wenn man nicht krass auf der Hut is!”
Nur zu gut erinnerte sich Ben daran, wie sie die versteckten Verteidigungsanlagen umgangen hatten. Immerhin war es das erste Mal, dass er mit so vielen Menschen gleichzeitig den Sprung nach Links gewagt hatte, um sich mit der Materie zu verschränken und so die tödlichen Fallen zu umgehen.
„Ja, vermint ist mit Sicherheit das richtige Wort dafür. Ben, überleg mal bitte, wie waren diese Fallen aufgebaut? Waren sie dafür da, dass man nicht in die Burg rein oder aus der Burg raus kommen sollte? Oder waren sie für beide Richtungen gleichermaßen gedacht?”
Sowohl Ben als auch die drei anderen begannen zu Grübeln. Eigentlich hatten sie bisher angenommen, dass diese Fallen dafür installiert waren, um Eindringlinge fern zu halten. Jedoch stellte diese simple Frage von Paul gerade alles auf den Kopf.
„Raus!”
Die Antwort war so einsilbig wie eindeutig. Alle Vier kamen gleichzeitig zu demselben Schluss, dass all die Fallen dafür sorgen sollten, den Zugang von der Burg zu dem Kreis abzusichern und nicht den Zugang zur Burg zu verwehren.
„Aber warum?”
Henne sprach mehr für sich, denn in die Runde. Dennoch hatten alle die Frage gehört und nickten zustimmend.
Das ergab nämlich überhaupt keinen Sinn, eine Burg, die auf bestmögliche Verteidigung ausgelegt war, derart abzusichern. Da gab es diesen unglaublich breiten und tiefen Burggraben, die Burg stand strategisch perfekt auf einer Anhöhe, so dass man die gesamte Umgebung im Auge behalten konnte. Außerdem gab es da natürlich noch die Türme und Wehrgänge, die einen guten Schutz für eine Verteidigung boten.
Und dann sollte es auf einmal einen Gang geben, durch den man einfach hinein, aber quasi nicht hinaus gelangen sollte. Das erschien allen irgendwie unlogisch.
„Ich habe da so eine Theorie. Aber dazu müsst Ihr mir noch ein weiteres kleines Detail erzählen. Das ist dann aber sehr knifflig.”
„Schieß los, Diggi, mach es nich so spannend!”
Ben rutschte nervös in seinem Ohrensessel hin und her, hatte seine viel zu großen Skaterschuhe schon lange ausgezogen und es sich im Schneidersitz in dem Sessel bequem gemacht. Vor lauter Aufregung wusste er nicht, wie er seine Hände beschäftigen sollte, weshalb er geistesabwesend an den Gummis seiner Zahnspange spielte, die dabei komische Geräusche machte.
„Der Gang zu dem Zirkel. Der Anfang dieses Ganges. Wie sah der aus. Das Mauerwerk, was den Eingang des Tunnels darstellt. Beschreibt es mir bitte. Gibt es da Ornamente? Symbole? Oder Muster?”
Erwartungsvoll blickte Paul in die Runde, blickte jedoch in fassungslose Gesichter.
„Dein Ernst, Diggi? Wir sollen nach irgendeinem Logo Ausschau halten?”
Ben war enttäuscht, zog seine Schuhe an und stellte sich auf sein Skateboard. Fast geräuschlos und ohne sich nennenswert zu bewegen umrundete er die Sitzgruppe rollend.
„Überlegt bitte, ob Ihr etwas gesehen habt. Dieser Gang ist ja nicht erst seit gestern da und damals hat man eigentlich immer alles beschriftet, indem man Symbole oder Buchstaben in den Stein gemeißelt hat.”
„Diggi, na klar! Wir können doch ganz einfach nachschauen gehen!”
„Oh man, Ben, raffst Du es nicht? Paul will da nicht runter, akzeptier das doch!”
Michel wollte Ben gerade einen freundschaftlichen Schlag auf den Hinterkopf geben, aber er war schon an ihm vorbei gerollt.
„Diggi, Du raffst es nich! Wir müssen da nich runter. Wir müssen nur in FX’ Gedankenschloss rein gehen und nachschauen.”
Als hätte er allen die Lösung auf dem Silbertablett präsentiert, blieb Ben vor seinem Sessel stehen und fläzte sich auch schon wieder hinein.
„Gedächtnispalast.” Es war das erste Mal, dass sich FX an diesem Abend äußerte. „Und Du neugierige Ziege willst doch nur etwas in meinen Erinnerungen herumstöbern, gibs doch zu.”
„Jo, schon ...”
„Es war ein Kreis über dem Durchgang im Stein gemeißelt. Ein Kreis mit irgendwas drin. Aber es ist alles so feucht und mit Moos überzogen gewesen.”
Henne sprach schon wieder mehr zu sich als zu den anderen, weshalb sich sofort vier Köpfe in seine Richtung drehten und ihre Blicke hingen an seinen Lippen.
„Henne, sehr gut! Schließ die Augen, Du brauchst sie nicht, denn Du hast schon alles gesehen, was Du sehen musstest.”
FX Stimme klang ein klein wenig tiefer als sonst, und sie fühlte sich sehr beruhigend an. Ein wohliger Schauer lief Henne den Rücken hinunter als er die Augen schloss.
„Jetzt nimm einen tiefen Atemzug und rieche die Feuchte, die da am Fuße des Turmes auf uns wartete. Riechst Du den Moder? Den feuchten Lehm? Und jetzt hör genau hin. Von einem dieser unbehauenen Felsen tropft leise und stetig etwas Wasser in eine Pfütze am Boden. Hörst Du den Tropfen fallen?”
Noch immer hatte Henne die Augen geschlossen und folgte dem Ausflug in seine Erinnerungen, auf den ihn FX gerade mitgenommen hatte. Er kannte das alles schon, sagte ihm sein Kopf, aber er schob diesen Gedanken so schnell beiseite, wie er gekommen war. Tief atmete er durch die Nase ein und er war überrascht, was er alles bemerkte. Da war nicht nur die Feuchtigkeit und der Geruch nach sich zersetzendem Holz. Es war viel mehr, was dort unten zu riechen war. Ein leises Lüftchen wehte ihm durch den Gang entgegen. Frische Luft war es, die sich hier unten mit der abgestandenen vermischte. Eine eigenartige Melange aus alt und neu.
Plitsch. Ganz leise fiel der Tropfen zu seiner Linken. Die Pfütze schien auch nicht groß zu sein, aber sie war da. Er wusste, dass sie da war, ohne dass er hinschauen brauchte. Ohnehin hatte er seine Augen geschlossen.
„Jetzt hebe Deinen Kopf langsam etwas zum Bogen des Durchganges, wo Du den Kreis gesehen hast.”
Henne wusste, dass er zwar in einem der Kaminzimmer im Sockelgeschoss der Universität saß und nicht am Fuße eines der Türme mehr als vier Stockwerke unter der Erde, doch hatte er das Gefühl, als wäre er zusammen mit FX tief unten in diesem Keller.
„Öffne Deine Augen.”
Henne tat, wie FX es ihm aufgetragen hatte und er erschrak fast. Unmittelbar vor seinen Augen war er, der Kreis, an den er sich eben nur sehr vage und verschwommen erinnert hatte. Es war da, so präsent und nahe, als könne er danach greifen und ihn anfassen. Er sah riesig aus, vom Durchmesser einer Melone! Nun wunderte sich Henne, dass sich keiner seiner Freunde an dieses so offensichtliche Symbol erinnern konnte.
Er hob die Hand, weil er das Symbol ertasten wollte, was so dicht vor seiner Nase zu schweben schien. Doch als seine Hand die mit Moos bewachsene Oberfläche berühren wollte, verschwand der Stein wieder und Henne war zurück bei seinen Freunden im Kaminzimmer.
Der kleine Punk konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ein fotografisches Gedächtnis funktioniert am besten, wenn man sich nicht einfach darauf verlässt, sondern es mit anderen Sinneseindrücken verknüpft. Dadurch wird es wesentlich zuverlässiger. Klingt komisch, ist aber so.”
„Diggi, nu sach schon!”
„Es ist ein Kreis mit Zickzacklinien.”
Ursprünglich hatte Henne vorgehabt, die Jungs und vor allem Ben noch etwas länger auf die Folter zu spannen, aber er brachte es nicht übers Herz. Außerdem hatte er die begründete Angst, dass sich Ben mit den Fingern endgültig in seiner Zahnspange verheddern würde.
„Senkrecht?”
„Ja, Paul, das stimmt. Vier parallele Zickzacklinien von oben nach unten.”
„Feuer. Die Linien gehen von unten nach oben und symbolisieren das Feuer, die züngelnden Flammen.”
„Du wusstest es?”
„Jein, ich habe es geahnt. Michel, was habt Ihr noch draußen im Zirkel vorgefunden? Nur ein paar verkohlte Holzreste, stimmt's? Feuer, eines der vier Elemente.”
„Du willst damit sagen, es gibt noch drei weitere?”
„Selbstverständlich. Erde, Wasser und Luft. Und drei Mal dürft Ihr raten, wo sie sich befinden.”
„Autsch! So ein Mist!”
Ben hatte endgültig ein Gummi seiner Spange kaputt gemacht und saß etwas verdattert in seinem Sessel. Er wusste nicht, ob das Nagelbett seines Fingers oder die Wange innen mehr schmerzte. In jedem Falle aber war es ihm gerade etwas peinlich, denn verstohlen saß er mit hochrotem Kopf da und versuchte nun, die verbleibenden Gummis zu entfernen, damit der jetzt asymmetrische Zug an seinem Kiefer aufhörte und er sich wieder konzentrieren konnte.
„So, Paul, und jetzt nochmal zum Mitschreiben für das blöde Blondchen ...”
„Henne, Diggi, Du bist blond?”
Bens kurze Aufmerksamkeitsspanne war manchmal eine Herausforderung.
„Wenn Dir das Thema jetzt wichtig ist: Ja, bin ich. Hat Vorteile, dann muss ich bei meinem Iro weniger blondieren. Darf ich meine Frage jetzt stellen?”
„Sorry, Diggi, klar.”
„Danke, Ben!” Henne konnte sich ein ironisches Grinsen nicht verkneifen, bevor er fortfuhr. „Okay, Paul, Du meinst also, von jedem der vier Türme unserer Burg geht also ein geheimer Gang über hundert Meter in den dichten Wald hinein, um dort an einer unzugänglichen Stelle in einer Lichtung zu enden, die jeweils eines der Vier Elemente darstellt?”
„Ja, genau das möchte ich behaupten. Oder findest Du das jetzt besonders abwegig?”
„Nach den ganzen Geheimgängen, Fallen und den leuchtenden Pilzen finde ich gar nichts mehr abwegig.”
„Ob man die wohl rauchen kann?”
„Ben!”
„Hab ich das gerade laut gesagt? Tschuldige.”
„Paul, warum willst Du nicht mit dorthin kommen?”
FX brach erneut sein Schweigen, weil er diese Frage dringend los werden musste.
„Nun, es ist ...”
„Kompliziert?”
FX konnte sich den Einwurf nicht verkneifen. Zu gut kannte er diesen Zwiespalt von Dingen, die man gerne tun wollte, die aber von einer höheren Instanz her verboten waren. Zu oft stand er genau vor solch einer kniffligen Frage, in der es darum ging, etwas eigentlich Verbotenes zu tun, obwohl es unglaublich spannend oder gar eine gute Tat wäre. Aber vieles war ihm als Mitglied der Zweiundvierzig einfach verboten. Und anscheinend ging es Paul und Emil als Schattenjäger mit einigen Dingen ähnlich.
„Ja, könnte man so sagen. Ich wette, Dir geht es manchmal genauso. Und ich wette außerdem, dass Du auch hin und wieder die Regeln brichst, oder?” FX lief knallrot an, aber bevor er sich erklären konnte, fuhr Paul schon fort. „So gerne ich in die geheimen Gänge hinein gehen möchte oder gar die vier Zirkel einmal selbst sehen oder gar aktivieren möchte, so ist es mir aus gutem Grund untersagt. Manche der Verbote finde ich absolut unsinnig, in diesem Falle jedoch werde ich die Regeln peinlichst genau befolgen.”
Dass Paul sich gerade verplappert hatte, war FX sofort klar geworden. Zwar hatte auch er keine Ahnung, worum es bei diesen Zirkeln der Vier Elemente eigentlich ging, aber da es den Schattenjägern offensichtlich verboten war, diese aufzusuchen, musste schon etwas mehr dahinter stecken. Und wenn FX diese für ihn noch neue Gemeinschaft richtig einschätzte, dann hatten auch sie das ein oder andere Geheimnis, was es zu bewahren galt.
Der wiederentdeckte Bund zwischen den Zweiundvierzig und den Schattenjägern verkomplizierte die Situation weiter. Dieser Bund, der in der Vergangenheit vermutlich ein sehr inniges Verhältnis hatte, was allerdings aus unbekannten Gründen fast versiegt und in Vergessenheit geraten war.
Daher schlussfolgerte FX zu Recht, dass Paul erstens mit Fremden über dieses Thema gar nicht sprechen durfte und zweitens, die Funktion und der Zweck dieser Zirkel nur einem sehr kleinen Kreis bekannt sein dürfte. Vielleicht gar niemandem außerhalb deren Gemeinschaft.
„Paul, es ist schon spät und wir alle haben Morgen wieder einen langen und harten Tag vor uns. Nächste Woche beginnen die Prüfungen.”
FX musste das Gespräch irgendwie beenden, um Paul die Möglichkeit zu geben, seine neuen Informationen über die Existenz dieser Zirkel an seine Gefolgsleute weiterzugeben. Und natürlich hoffte er auch insgeheim, dass die Schattenjäger sich bereit erklären würden, die Hintergründe ihrer neuen Entdeckung mit ihnen zu teilen.
„Diggi, Dein Ernst?” Empört war Ben aus seinem Ohrensessel aufgesprungen und stemmte seine Fäuste in die Hüften. „Du willst uns jetzt hier halbfertig abspeisen? Das is nich fair!”
Michel und Henne waren prinzipiell der gleichen Meinung wie Ben, überließen ihm jedoch den Vortritt, da er sich so schön aufregen konnte.
„Glaub mir, Ben, ich bin genauso neugierig wie Du, denn auch ich habe ausnahmsweise keinerlei Ahnung, womit wir es hier zu tun haben. Aber ich weiß, dass Paul sich gerade in eine Zwickmühle hinein manövriert hat, aus der ich ihm gerne etwas heraushelfen möchte.”
„Ja, Du hast Recht, FX, ich hab gerade etwas zu viel gefragt und vor allem geredet. Ich muss mich jetzt erst einmal beraten. Wie das Ergebnis ausfallen wird, kann ich gerade überhaupt nicht abschätzen, aber ich werde mit einer wie auch immer gearteten Antwort zurück kommen. Versprochen.”
Betreten blickte Paul zu Boden. Er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er hatte schlafende Hunde geweckt, die zu allem Überfluss auch noch seine neuen Freunde waren.
„Und ich muss Euch noch zum zwei Dinge bitten”, fügte er hinzu. „Bitte sprecht nicht mit anderen darüber. Auch nicht mit mir oder Emil. Ihn werde ich natürlich selber informieren. Aber bis wir nicht auf euch zukommen, existiert dieses Thema einfach nicht, okay?”
Vierfaches Nicken quittierte Pauls Bitte.
„Und Bitte Nummer Zwei?”
„Bitte versucht nicht, die Zirkel zu aktivieren!”
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