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Mark

Teil 3 - Drei

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Die Herbstferien nahten. Wir machten Pläne, wie die kurze Zeit zu verbringen sei: kostengünstig und jugendgeeignet. Meine Mutter hatte noch einen weiteren Aufenthalt in einer Reha-Klinik vor sich, würde aber zum Ferienbeginn wieder zu Hause sein. Es war für mich in der Vorschau undenkbar, weg zu fahren und sie allein zu lassen. Im Hinterkopf hatte ich natürlich auch im Sinn, mich nicht allzu weit von Mark zu entfernen, denn ich musste unbedingt meinen großen Fehler irgendwie ausbügeln.

Konny, so beschloss der Familienrat, würde die Zeit bei einer Tante verbringen, seiner Patentante, die auf dem Land wohnte, und die er innig liebte. Er war sofort einverstanden, und so hatten wir, die „Großen“, eine Sorge weniger. Der Rest würde sich schon finden, ich hatte jedenfalls nicht vor, mich auf irgendeine Pfadfinderscheiße abschieben zu lassen.

Während der nächsten Tage versuchte ich vorsichtig, mich Mark wieder ein wenig anzunähern, schließlich sollten wir, Konny und ich, während der Abwesenheit meiner Mutter wieder in die andere Haushälfte ziehen. Seine Haltung mir gegenüber hatte sich nicht wesentlich geändert, er wartete augenscheinlich auf ein aktiv-Werden meinerseits oder hatte sogar resigniert. Das musste ich herausfinden. Die beste Gelegenheit würde sich ergeben, wenn ich wieder in seinem Bett schlafen würde – falls er das überhaupt zuließ.

Der Tag der Abreise meiner Mutter in die Klinik in der nächsten Kreisstadt war gekommen. Unter guten Wünschen Aller und einiger Tränchen aus Konnys Kulleraugen fuhr sie ab. 14 Tage also – falls keine Verlängerung ihrer Reha-Kur kam – würde ich nun an meinem Verhältnis zu Mark „arbeiten“ können. Wir packten am selben Abend unsere Sachen zusammen, was die Mutter natürlich bestens vorbereitet hatte, und machten uns auf, den immerhin sechs Meter langen Weg zu den Wohlbergs möglichst unfallfrei zu überwinden, was uns auch tadellos gelang. Marks Mutter erwartete uns und empfing ihre Einquartierung mit Kakao und Brötchen, was Konny einigermaßen tröstete. „Die Sachen könnt ihr anschließend verstauen. Frank, du schläfst wieder bei Mark, Konny, wir teilen unser Bett wie gewohnt, ok?“ Konny nickte, anscheinend waren die unangenehmen Begleiterscheinungen seines letzten Aufenthaltes in wohltuende Vergessenheit geraten.

Ich musste mich kontrollieren, um nicht allzu begeistert zu wirken. Von Mark war bisher nichts zu sehen gewesen, und als ich nun vorsichtig an seine Tür klopfte, konnte ich keine Reaktion wahrnehmen. Sacht machte ich die Tür auf – das Zimmer war leer. Wo war er nur? Ich ging wieder nach unten, nachdem ich meine paar Klamotten in irgendeinem Sessel drapiert hatte, und fragte seine Mutter nach ihm. „Ach ja, hatte ich ganz vergessen: Mark kommt später, er hat noch irgendeinen Trainingsabend. Karate, weißt du?“

Nun gut, da konnte ich mich erst mal in Ruhe duschen und lief nicht Gefahr, ihm halb- oder gar völlig nackt über den Weg zu laufen, was meine Position ihm gegenüber doch geschwächt hätte, so malte ich mir aus. Doch mit des Geschickes Mächten … als ich aus der Dusche kam, war Mark da. Er saß auf „seiner“ Hälfte des Bettes und dachte gar nicht daran, mir die Lage durch etwas Diskretion zu erleichtern. Im Gegenteil, er musterte mich völlig unbekümmert von oben bis unten. Nun war ich wirklich nicht unzufrieden mit meinem Körper und meinem Aussehen, hatte also nichts zu verbergen. Aber es lässt sich denken, dass ich mir ziemlich … nackt vorkam.

„Hi!“ sagte er. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was er dachte oder ob ihm irgendwas unangenehm war. „Hi!“ – das war alles. Ich musste mich räuspern, bevor ich so etwas wie eine Erwiderung herausbekam. „Noch warmes Wasser übrig?“ Ich konnte nur nicken und blieb weiter reglos stehen. Peinlich!! Doch dann stand Mark auf und zog zu meiner Verblüffung seine Klamotten vor mir ebenfalls aus. Ich konnte ihn nur ansehen. Sein vom vergangenen heißen Sommer gebräunter Körper ließ mich schlucken. Makellos, kein Gramm Fett, sehnig und schlank stand er vor mir. Verdammt, was war denn los mit mir? Seit wann interessierte mich denn ein Jungenkörper?

Mark genoss augenscheinlich meine Verblüffung. Aufreizend langsam näherte er sich der Tür zu seinem Bad, kam noch einmal zurück, langte eine Shampoo-Flasche aus seinem Trainingssack und ging erneut dicht an mir vorbei zur Badezimmertür, hinter der er verschwand. Das Wasser fing an zu rauschen, und ich konnte mich endlich wieder bewegen. Ich zog schnell eine Schlafanzughose an und verschwand unter der Decke. Reglos wartete ich, bis das Geräusch aus der Dusche verstummte und Mark wieder hereinkam. Auf seiner Haut perlte das Wasser, er trocknete sich mit einem Badelaken, das er aus dem Schrank nahm, ab und kroch dann, nackt wie er war, ins Bett. Das Wasser der Matratze wogte und kam langsam zur Ruhe. Es wurde still.

Da lag ich nun neben einem der hübschesten Bengel der Schule, und ich erschrak bei diesem Gedanken. Warum zum Teufel ließ mich der Anblick seines nackten Körpers nicht los, der da das Bett mit mir teilte?

Als ob er Gedanken lesen konnte, sagte Mark plötzlich: „So ging mir das auch!“ – „Was ging dir so?“, fragte ich – fast gegen mein Wollen – zurück. „Als ich mir darüber klar wurde“. Ich hatte Angst vor seiner Erklärung dieses „darüber“, aber ich fragte wie unter Zwang trotzdem. „Darüber, dass ich Jungen mag“, sagte er leise. „Äh“, räusperte ich mich, „wieso denn ‚auch‘?“

„Ach Frank, meinst du, ich hätte nicht bemerkt, was sich bei dir verändert hat? Wie du mich angesehen hast – auch eben gerade, als ich aus der Dusche kam? Pass auf: ich lasse dich vollkommen in Ruhe, wenn du das willst. Ich muss dir allerdings sagen, dass du mir von Anfang an sehr gefallen hast, trotz deiner Sprüche und deines dummen Verhaltens. Aber wenn ich dir unsympathisch bin, dann sag es bitte, ok?“

Mir blieb die Luft weg! Eigentlich müsste ich jetzt empört das Bett verlassen und das Weite suchen.

Aber etwas an diesem selbstbewussten Jungen faszinierte mich so, dass ich anfing, über das, was ich gerade gehört hatte, nachzudenken. Eigentlich mochte ich ihn inzwischen. Eigentlich hatte ich ihm sehr viel zu verdanken, was ich allerdings schnell beiseiteschob; Dankbarkeit hatte er nicht gemeint. Ich war verwirrt, meiner Gefühle nicht sicher. Irgendwie kribbelte es bei dem Gedanken, dass er mich mochte, wie er eben gesagt hatte. Das schien ja immerhin auch das Ende seiner Passivität und der Traurigkeit zu sein, was mich erleichterte. Aber andererseits war er ein Junge wie ich. Er war schwul. Und was war ich?

„Mark … ich …“-„Du musst jetzt nichts sagen. Denk in Ruhe drüber nach, ich weiß genau, was du gerade durchmachst.“

Er löschte das Licht, drehte sich wieder auf die andere Seite und ließ mich mit meinen Gedanken „allein“.

In mir war eine Mischung von Gefühlen, wie ich sie bisher nicht gekannt hatte. Einerseits entsetzte mich die Idee, ich könnte etwas für Mark empfinden, was über die üblichen Freundesbeziehungen zu Anderen meiner Altersklasse hinausging, denn das würde ja bedeuten, dass auch ich … Andererseits gaben mir die Gedanken an ihn, das Bedauern, wenn ich ihn nicht sah, die Freude, wenn es mir gelang, einfach neben ihm zu gehen, ihn verstohlen zu mustern, mich an seinem Anblick zu erfreuen, doch zu denken. Was nur war es, das mich an ihm anzog? Warum musste ich immer wieder daran denken, dass er völlig unbekleidet neben mir lag. Ich hätte nur meine Hand ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. Eben noch war ich erleichtert, dass er nicht eben das versuchte, und nun plötzlich spürte ich ein leises Bedauern, dass er es nicht tat.

In diesem Augenblick drehte sich Mark wieder zu mir um. Ich konnte im Schimmer seines Digitalweckers mit den grün leuchtenden Ziffern den Umriss seines Kopfes erkennen. Er sagte leise: „Gute Nacht, Frank! Überlege gut.“ Und dann tat er etwas Unerwartetes: er strich mir über den Kopf, und diese einfache, leise Berührung – so stellte ich verblüfft fest – war mir nicht unangenehm, wie ich es gestern noch behauptet haben würde, sondern ich genoss die Zuneigung, die daraus sprach. „Mark, ich … ich mag dich auch. Sehr sogar!“ – „Bist du dir sicher?“ Sein Selbstbewusstsein war verschwunden. Eher zaghaft, fast so, als ob er Angst vor meiner Antwort hatte, fragte er flüsternd: „Bist du dir ganz sicher?“

Statt zu antworten, wagte ich nun auch, ihn zu berühren. Ich strich über sein Gesicht, zog langsam die Konturen mit den Fingerspitzen nach, immer in mich hineinhorchend, ob irgendein Signal in mir „Stopp!“ befehlen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Alles, was ich verspürte, war eine immer stärker werdende Zärtlichkeit, die sowohl von meinen Fingerspitzen, als auch von seiner Hand ausgelöst wurde, die inzwischen ebenfalls über mein Gesicht strich, und deren Finger ich, als sie meine Lippen berührten, mit einem leichten Kuss belohnte.

Wir wurden kühner, unsere Hände wanderten bis auf die Brust des Andern hinunter, von wo sie den Weg weitenr und weiter erforschten …

„Mark, ich liebe dich!“

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