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Jason

Teil 6

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 17

"Wollt ihr Nick nicht mal sein neues Zimmer zeigen?", schlug Rip vor und durchbrach damit das peinliche Schweigen. Nicks Blick wurde wieder klar. "Ich hoffe, ihr habt euch damit nicht zu viele Umstände gemacht?", erkundigte er sich. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, keine Sorge. Das Zimmer musste sowieso mal renoviert werden. Und Julian konnte Dad endlich seine lang ersehnte Klimaanlage abschwatzen", fügte ich grinsend hinzu. Nick sah uns verständnislos an. "Ich erklär' dir das später. Aber eins vorneweg: Nimm' uns nicht zu ernst." Nick zuckte mit den Schultern. "Okay, wenn du meinst."

Zusammen gingen wir nach oben in Nicks Zimmer. Natalie hatte die letzten Feinarbeiten gemacht, die wir natürlich vergessen hatten: Sie hatte das Bett bezogen, zwei Bilder an der Wand aufgehängt und einen kleinen Blumenstrauß auf den Schreibtisch gestellt. Nick war völlig überwältigt. "Hier soll ich wohnen?" Jason lächelte ihm zu. "Ich hoffe, du sagst jetzt nicht, dass es dir nicht gefällt - dafür haben wir hier nämlich zuviel Arbeit reingesteckt." Nick schüttelte den Kopf. "Nein, im Gegenteil, es ist toll. Ich bin nur... ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ihr hättet euch aber meinetwegen nicht soviel Arbeit machen müssen." "Wir hätten den Raum sowieso irgendwann mal renovieren müssen. Also zerbrich' dir darüber nicht den Kopf", antwortete ich.

Jason und ich blieben einen Moment in der Tür stehen, dann schlug ich vor: "Na komm, wir holen dir deine Sachen, dann kannst du es dir hier etwas gemütlicher machen." Nick folgte uns nach unten. Wir mussten ein paar Mal laufen, bis wir das ganze Gepäck oben hatten. "Sollen wir dir helfen?" Er schüttelte den Kopf. "Danke, aber das mache ich lieber selbst." "Okay. Wenn du irgendwas brauchst, mein Zimmer ist da drüben." Nick lächelte. "Gut, ich sag dann Bescheid. Habt ihr feste Essenszeiten oder sowas?" "Nein, gar nicht. Wenn du Hunger hast, bedien' dich einfach in der Küche, Essen gibt es so zwischen sechs und neun, manchmal auch erst um zehn, manchmal auch gar nicht." Nick lachte - und es stand ihm gut. "Ich werd mich schon zurechtfinden. Danke für eure Hilfe."

Als wir in meinem Zimmer waren, sagte Jason: "Wow, Julian hatte recht. Er sieht wirklich aus wie du. Das ist mir gerade eben erst so richtig aufgefallen." Ich nickte. "Ja, die Ähnlichkeit ist verblüffend. Ich hoffe, er gewöhnt sich hier schnell ein, er macht jedenfalls einen netten Eindruck", grübelte ich laut vor mich hin. "Sag mal, ist dir seine Reaktion aufgefallen, als ich dich geküsst habe? Meinst du, er hat ein Problem mit uns?", wollte Jason wissen. Ich zuckte mit den Schultern. "Nein, das glaube ich nicht. Und wenn doch, hoffe ich, dass er uns das sagt." Jason nahm mich in die Arme. "Es wird schon alles gut gehen."

Etwas später ging ich zu Dad ins Büro, weil er sicherlich wissen wollte, was in den letzten Tagen so passiert war. "Und, wie ist dein erster Eindruck von Nick?", wollte er wissen. "Gut. Er scheint nett zu sein. Wenn auch ziemlich ruhig." "Hm ... vergiss' nicht, was er gerade durchmacht. Ich an seiner Stelle wäre wohl auch ziemlich schweigsam." Ich grinste. "Schweigsam? Du? Kann ich mir gar nicht vorstellen." Dad lachte. "Nun werd' mal nicht frech. Erzähl' mir lieber, was in den letzten Tagen so los war." "Wir hatten viel mit der Renovierung zu tun. Mit den Handwerkern ist alles glatt gelaufen." "Hast du alle Patienten erreicht?" Ich nickte. "Ja, oder jedenfalls deren Anrufbeantworter. Meistens jedenfalls." Dad sah mich an. "Meistens?"

Ich schluckte. "Ich muss dir da noch was sagen .... die Polizei war vor ein paar Tagen hier. Bevor du dich aufregst," - Dad hatte schon Luft geholt - "das hatte nichts mit uns zu tun. Erinnerst du dich an Florian Phillips?" Dad nickte. "Natürlich, er ist ja schon lange bei mir in Behandlung." "Nun ... Florian ist tot. Verkehrsunfall mit Fahrerflucht." Dad wurde blass. "Ist das dein Ernst?" "Ja, leider." Ich erzählte in ein paar Sätzen, was ich über den Unfall wusste. "Der arme Junge ...", sagte Dad leise. Einen Moment saßen wir schweigend auf unseren Plätzen, wir wussten beide nicht, was wir sagen sollten.

"Ich hab' der Polizei ein paar Fotos mitgegeben, ich hoffe, das war okay?" Dad nickte. "Ja, in diesem Fall natürlich." Normalerweise bekamen nur die Patienten selbst und in Ausnahmefällen die Eltern Einblick in die Unterlagen. Dad seufzte. "Es tut mir leid, dass ich nicht da war, Richie. Ihr solltet so etwas nicht allein durchstehen müssen." "Dad, bitte - ich bin kein Kind mehr." "Ja, aber trotzdem ist das nicht leicht", erwiderte er. "Du hattest aber wirklich genügend andere Dinge um die Ohren. Also mach' dir jetzt bitte keinen Vorwurf deswegen, okay?" Er sah mich an und lächelte. "Ich werde mich wohl dran gewöhnen müssen, dass ihr langsam erwachsen werdet." "Ja, das wirst du wohl."


Als ich wieder nach oben ging, schaute ich kurz bei Nick vorbei. Mittlerweile hatte er einen Teil seiner Sachen ausgepackt. Er saß auf dem Bett und starrte ein Foto an. Ich klopfte an die Tür, um mich bemerkbar zu machen. "Oh ... hallo, Richie." Er stellte das Foto auf den Nachttisch und versuchte zu lächeln, was ihm aber nicht gelang. "Ist irgendwas?", erkundigte er sich. "Nein, ich wollte nur mal schauen, wie du vorankommst." "Es geht schon, danke." Er wischte sich kurz über das linke Auge. "Darf ich?", fragte ich und deutete aufs Bett. "Sicher." Er rückte ein wenig und ich setzte mich neben ihn. Ich versuchte, unauffällig einen Blick auf das Foto zu erhaschen, das er sich angesehen hatte. Es zeigte einen Jungen in unserem Alter. Er lachte in die Kamera, war braungebrannt und trug ein helles Hemd mit einer Jeansjacke.

"Hübscher Kerl", sagte ich. Eigentlich sollte das ein Versuch werden, die Stimmung etwas aufzuheitern, aber Nick murmelte nur etwas Unverständliches. Dann gab er mir das Foto. "Fällt dir was auf?" Ich sah mir das Bild genauer an, bemerkte aber auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches. Doch gerade, als ich ihm das sagen wollte, blieb mein Blick an einem Anstecker hängen, den der Junge an seiner Jacke trug. Es war auf dem Foto nicht genau zu erkennen, aber es wirkte auf mich wie eine ... Regenbogenflagge? Ich warf Nick einen fragenden Blick zu. Er nahm mir das Bild wieder ab und sah es liebevoll an, dann stellte er es wieder weg. "Das ist Davey."

Ich hatte plötzlich ein unangenehmes Gefühl, als wäre ich in seine Privatsphäre eingedrungen. "Ein Freund von dir?" Nick schluckte und ich sah, dass seine Augen feucht waren. "Mein Freund, Richie. Davey war mein Freund." Ich sah mich suchend um und fand ein Taschentuch, das ich ihm gab. "Ist er in Scarborough geblieben? Du hättest mit Dad darüber reden können, das wäre ..." Nick putzte sich die Nase und sagte dann: "Davey war mit Mum im Auto, als sie den Unfall hatte. Er ist tot." Nick schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen.

Einen Moment lang sagte ich gar nichts. Langsam, schrittweise verstand ich die zwei Dinge, die Nick mir gerade gesagt hatte: Er war auch schwul und er hatte seinen Freund bei demselben Unfall verloren, bei dem auch seine Mutter gestorben war. "Nick, das tut mir so leid." Mehr konnte ich nicht sagen. Ich nahm ihn in den Arm und hielt ihn fest. Hemmungslos schluchzte er, zu mehr war er in diesem Moment nicht in der Lage.


Jason schaute etwas später herein. Verwundert sah er mich an. "Alles klar bei euch?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, kann man so nicht sagen. Setz' dich doch zu uns." Nick und ich rückten ein wenig auf, so dass Jason sich zu uns setzen konnte. Nick erzählte uns die ganze Geschichte: Wie er Davey kennengelernt hatte, wie sie sich ineinander verliebt hatten. Die beiden hatten einige Anlaufschwierigkeiten gehabt, schließlich aber doch zueinander gefunden.

"Ich nehme an, dass du Dad nichts von Davey erzählt hast?" Nick schüttelte den Kopf. "Nein, ich hatte Angst davor, wie er reagiert." Noch einmal putzte er sich die Nase und seufzte dann. "Richie, versuch' das bitte zu verstehen. Ich kannte meinen, oder besser unseren Vater lange Zeit nicht, obwohl ich mir nichts sehnlicher gewünscht habe. Die letzten Tage waren das reinste Chaos und Rip endlich kennenzulernen war das Einzige, das mir ein wenig Halt gegeben hat." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Ich hatte einfach Angst davor, ihn auch noch zu verlieren. Das wollte ich nicht riskieren."

"Aber du kannst problemlos über so etwas mit ihm reden. Wir ..." An dieser Stelle fiel mir Jason ins Wort: "Vergiss' bitte nicht, dass Rip nun wirklich kein durchschnittlicher Vater ist, Richie. Ich war auch überrascht, als ich ihn und euch kennengelernt habe. Ihr habt ein ausnehmend gutes Verhältnis zueinander, das kommt selten vor. Ich kann Nick schon verstehen, dass er Angst davor hatte."

Nick lächelte ihm dankbar zu. "Ja, so war es wohl. Versteh' mich nicht falsch, ich mag Rip wirklich. Aber ich wusste nicht, was ich machen soll." "Okay. Warst du wenigstens auf Daveys Beerdigung?" Nick schüttelte den Kopf. "Nein, die ist erst morgen." Ich stand auf. "Dann werde ich mal mit Rip reden." Nick sah mich fragend an. "Willst du ihm das jetzt erzählen?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, das ist deine Sache. Aber Dad muss auch nicht alles wissen. Wartet mal hier, ich bin gleich wieder da."

Dad saß in seinem Büro am Schreibtisch, auf dem sich mittlerweile schon wieder das übliche Chaos eingefunden hatte: Eine halbvolle Kaffeetasse, ein Stapel Patientenakten und unsere Telefonliste, auf der Anne und ich die neuen Termine vermerkt hatten. Er sah auf, als ich hereinkam. "Was gibt es denn?" "Hast du kurz Zeit? Ich wollte dich um einen Gefallen bitten."

"Klar, setz dich." Mit seiner Zigarette deutete er auf den Stuhl. "Kannst du bitte drei Flüge nach England buchen? Heute Abend noch?" Die gerunzelte Stirn und der fragende Blick sagten alles und ich schob schon eine Erklärung hinterher. "Morgen wird ein Freund von Nick beerdigt und ich denke, er würde gern zur Beisetzung gehen. Jason und ich wollen ihn begleiten." "Warum hat Nick denn nichts gesagt? Dann wären wir erst am Montag zurückgekommen." Ich zuckte mit den Schultern. "Er war ziemlich durcheinander."

"Also gut. Aber es gibt keine Direktflüge nach Scarborough. Ihr müsstet nach Manchester fliegen und dann einen Mietwagen oder den Zug nehmen. Traust du dir zu, im Linksverkehr zu fahren?" Ich nickte. "Ja, wenn es sein muss, wird es schon gehen. Du weißt doch, dass ich vorsichtig fahre. Aber ein Zug ist auch in Ordnung." "Also gut. Ich kümmere mich um einen Flug, ich glaube um elf oder so geht noch einer. Geh' schon mal packen, ich sag' dir Bescheid." "Und du stellst gar keine weiteren Fragen?" Dad seufzte. "Erstens würdest du mir vermutlich ohnehin sagen, dass ich Nick selbst fragen soll. Zweitens dürften wir dafür nicht viel Zeit haben. Und drittens ... Richie, du bist alt genug und ich denke, du weißt, was du tust."

Als ich wieder in Nicks Zimmer kam, half Jason ihm gerade dabei, seine Klamotten in den Kleiderschrank zu räumen. "Hast du zufällig einen schwarzen Anzug?" Nick sah mich verblüfft an. "Ja, wieso?" "Dann pack' ihn mit ein." "Mit was?" "Na ja, mit der Unterwäsche, Zahnbürste und was du sonst noch so für zwei oder drei Tage in Scarborough brauchst. Du übrigens auch, Jason." "Wieso Scarborough?" Nick sah mich völlig irritiert an. "Ich habe gerade mit Dad gesprochen - keine Sorge, ich habe ihm nur das nötigste erzählt und er hat keine Fragen gestellt. Wir nehmen den nächsten Flug nach Scarborough und du kannst morgen zur Beerdigung von Davey gehen. Ich kann gern mitkommen, wenn du möchtest und vielleicht will Jason uns ja auch begleiten." Der nickte nur. "Das ist doch selbstverständlich."

Nick setzte sich erst mal aufs Bett. "Ist das dein Ernst, Richie?" "Ja. So kannst du wenigstens noch mal in Ruhe von Davey Abschied nehmen." Nick war offensichtlich sprachlos. Jason schob sich an mir vorbei nach draußen und sagte leise: "Ich geh' schon mal packen." "Okay, ich komm' gleich nach." Ich setzte mich zu Nick aufs Bett und legte ihm meinen Arm um die Schultern. "Hey, ist alles in Ordnung?" Er nickte langsam. "Ja, das kommt nur völlig überraschend." Ich lächelte. "Gewöhn' dich dran."

Er seufzte und sah mich dann an. "Es ist Jason, oder?" "Hm? Was meinst du?" "Na ja ... wenn Jason so etwas passieren würde, würdest du dich auch von ihm verabschieden wollen." "Auf jeden Fall. Und ihr beide habt viel zu wenig Zeit miteinander verbracht. Ich denke, du solltest wenigstens diese Chance noch bekommen." Statt einer Antwort nahm er mich in den Arm und flüsterte mir ins Ohr: "Danke, Richie. Ich werde nie vergessen, dass du das für mich tust." "Bedank' dich bei Rip. Wir vier haben den besten Vater, den man sich wünschen kann."

In meinem Zimmer stand Jason ratlos vor seinem Gepäck. "Richie, ich hab' da ein kleines Problem: Ich hab' keinen Anzug dabei." "Hm ... ich hab' auch nur einen, aber warte kurz." Ich warf einen Blick in meinen Kleiderschrank und zog eine schwarze Jeans heraus. Ich hatte sie vor drei Jahren bekommen, aber nur einmal getragen und dann war sie schon zu kurz gewesen. Da Jason etwas kleiner als ich war, würde sie ihm passen. "Probier' die mal an. Ist zwar eine Jeans, aber sie ist nur einmal gewaschen und mit einem schwarzen Sakko sollte das gehen." Rip borgte ihm eine schwarze Krawatte. Nick hatte seine eigene, vermutlich noch von der Beisetzung seiner Mutter und ich hatte irgendwann auch mal eine bekommen. Es war die erste Gelegenheit, bei der ich sie tragen konnte.

Dad hatte es unterdessen tatsächlich geschafft, uns Flüge zu buchen, nach Manchester gab es noch eine Abendmaschine. Die Weiterreise stellte sich allerdings nicht ganz so einfach dar, weil wir den letzten Zug nach Scarborough knapp verpassen würden. Dad hatte uns ein Hotel in der Innenstadt von Manchester gebucht und gleich Karten für den Frühzug nach Scarborough reserviert. Dort würden wir um etwa 10:30 Uhr ankommen. Da die Beisetzung erst um 14:00 Uhr stattfinden sollte, würde uns noch genügend Zeit bleiben.

Dad brachte uns selbst zum Flughafen, allerdings redeten wir auf der Fahrt nicht besonders viel. Nick war in Gedanken versunken und wir wollten ihn nicht stören. Dad und Nick hatten vor der Abfahrt kurz miteinander gesprochen, ich vermutete, dass Nick ihm gesagt hatte, was los war - jedenfalls stellte Dad keine weiteren Fragen. Er begleitete uns bis zum Check-In und verabschiedete sich dann von uns. "Ich find's übrigens toll von euch, dass ihr Nick begleitet", sagte er mir zum Abschied. "Ist doch Ehrensache. Du weißt doch, Familie." Dad lächelte. "Ich hatte gehofft, dass ihr euch gut versteht. Aber, dass das gleich so weit geht, hätte ich nicht gedacht."

Kapitel 18

Der Flug verging schnell und mit dem Taxi kamen wir zum Hotel. Dad hatte ein Doppelzimmer für Jason und mich und ein Einzelzimmer für Nick reserviert. Es war nichts luxuriöses, aber die Zimmer waren schön und vor allem sauber. Am Empfang wurden wir etwas irritiert angeschaut, als sich zeigte, dass Jason und ich das Doppelzimmer bekommen sollten, aber es wurden keine Fragen gestellt. Wir gingen früh ins Bett und ließen und um 5:30 Uhr wecken, damit wir noch frühstücken konnten, bevor unser Zug nach Scarborough fuhr.

Für englische Verhältnisse war das Wetter überraschend schön: Die Sonne strahlte vom Himmel und es herrschten Temperaturen um 20 Grad. Nick war auf der Fahrt recht ruhig und machte sich ein paar Notizen, während Jason in einer Zeitung blätterte und ich einen Roman von John Grisham las. Irgendwann sah ich auf. "Was schreibst du da eigentlich?" Nick seufzte. "Ich versuche, eine kleine Rede zu schreiben. Ich würde auf der Beisetzung gern ein paar Worte sagen."

Jason sah von seiner Zeitung auf. "Ich hätte da eine Idee." Nick sah ihn gespannt an und Jason faltete die Zeitung zusammen. "Wir haben in der Schule mal ein Gedicht auswendig gelernt, weil es zu der Zeit in einem Film verwendet wurde. Das würde recht gut passen. Wenn du mir einen Zettel gibst, schreib' ich es dir auf." Nick gab ihm wortlos einen Zettel und einen Stift. Jason nahm die Zeitung als Schreibunterlage und notierte vier Verse, dann gab er Nick das Blatt zurück. Er las es sich langsam durch und als er am Ende angekommen war hatte er Tränen in den Augen. Leise sagte er: "Das ist wunderschön. Und es passt: 'Nothing will ever come to any good.' Nichts von dem, was ich mir aufgeschrieben hatte, kommt da 'ran."

Nachdem er sich die Tränen abgewischt hatte, fragte er: "Von wem ist das?" "Von W. H. Auden", antwortete Jason. Nick lächelte. "Davey hat den Namen irgendwann mal erwähnt, ich glaube, er mochte ihn." Ich versuchte, seine Verfassung abzuschätzen. "Glaubst du, dass du das ganze überstehst, Nick?" Er seufzte. "Ich hoffe es." Jason nahm seine Hand. "Zur Not sind wir ja da." In diesem Moment ertönte eine Lautsprecherdurchsage: "Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten erreichen wir Scarborough. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und würden uns freuen, Sie bald wieder bei Northern Spirit begrüßen zu dürfen."

Nick sah aus dem Fenster und deutete dann auf einen Turm in einiger Entfernung. "Das ist der Bahnhof." Wir nahmen unsere Taschen aus dem Gepäcknetz und gingen schon mal zur Tür. Der Zug hielt mit quietschenden Rädern und kaum hatte Nick die Tür geöffnet, wehte uns salzige Luft um die Nase. "Willkommen in meiner Heimat", sagte Nick leise. "Ich hätte nicht damit gerechnet, so schnell wieder hier zu sein." Er sah sich suchend um. "Wir sollten uns ein Taxi ins ..." In diesem Moment wurde er unterbrochen. "Hallo, mein Schatz."

"Grandma? Was machst du denn hier?" Nick umarmte eine ältere Frau. "Ripley hat mich gestern Abend noch angerufen, dass ihr herkommen würdet. Du bist sicher Richard?", erkundigte sie sich bei mir. Ich nickte: "Ja, aber Richie reicht", antwortete ich lächelnd. "Und der junge Mann neben dir?" "Ich bin Jason", stellte dieser sich vor. Nicks Oma warf ihm einen fragenden Blick zu. "Jason ist ... er ist Richies Freund", erklärte Nick. "Ach? Davon hat Ripley gar nichts erzählt." Nick seufzte. "Er weiß auch nicht, warum ich noch einmal hier bin. Eigentlich war das Richies Idee."

"Jetzt kommt erst mal mit nach Hause, dann könnt ihr mir in Ruhe davon erzählen und erst mal eine Tasse Tee trinken. Außerdem wollt ihr euch ja sicher frisch machen und um zwei solltet ihr dann am Friedhof sein." Sie führte uns durch den Bahnhof zum Taxistand. Während der Fahrt erzählte Nick ihr in Kurzfassung, was bisher geschehen war. Als wir in ihrem Haus ankamen, war der Teetisch schon gedeckt. "Setzt euch doch bitte, ich bin gleich bei euch."

Etwas später hatte sie Tee aufgebrüht und einige Sandwiches zubereitet. Wir freuten uns über das zweite Frühstück, denn während der vierstündigen Zugfahrt hatten wir nichts gegessen. Wir plauderten ein wenig über belanglose Themen und schließlich verabschiedeten Jason und ich uns für einen kleinen Spaziergang durch die Stadt. Ich war mich sicher, dass Nick seiner Oma erst einmal in Ruhe von seiner ersten Begegnung mit uns erzählen wollte und dabei würden Jason und ich nur stören.

Um viertel nach eins waren wir wieder da. Die Zeit reichte noch, um sich umzuziehen. Als ich Jasons Krawattenknoten band, musterte er mich von oben bis unten. "Die Klamotten stehen dir. Wenn der Anlass nicht so traurig wäre, solltest du so etwas öfter tragen." "Glaub mir", erwiderte ich, "bei uns werden sich noch genügend Gelegenheiten ergeben, sich in Schale zu werfen." Einen Moment sahen wir uns tief in die Augen und wir dachten beide dasselbe: Wir hatten immer nur in der Gegenwart gelebt, aber uns noch keine Gedanken über die Zukunft gemacht. Jason küsste mich statt einer Antwort auf die Wange und sagte dann: "Ich hoffe auf viele solcher Anlässe. Und dass wir dort zusammen auftauchen."

Zum Friedhof nahmen wir uns wieder ein Taxi und waren um kurz vor zwei da. Am Eingang der Kirche standen zwei Erwachsene und ein Junge, den ich auf etwa 14 oder 15 Jahre schätzte. Wie ich richtig vermutete, waren es Daveys Eltern und sein Bruder Tom. Trotz des Anlasses freuten sie sich, Nick zu sehen. Er stellte Jason und mich vor, aber ansonsten hielten wir uns im Hintergrund. Es war ein seltsames Gefühl für mich, dieser Beerdigung beizuwohnen. Ich hatte Davey überhaupt nicht gekannt und war nur Nick zuliebe dabei und auch Jason fühlte sich etwas fehl am Platze.

"Liebe Anwesenden", begann der Pfarrer, "wir haben uns heute hier im Angesicht Gottes versammelt, um einem jungen Menschen das letzte Geleit zu geben. David Christopher Williams war erst 17 Jahre alt, als ihn der Herr zu sich holte in sein himmlisches Reich. So etwas mag besonders sinnlos erscheinen, denn David - oder Davey, wie ihn seine Familie und seine Freunde immer nannten - hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Allein durch seine Anwesenheit, durch sein Leben, hat David das Leben vieler anderer bereichert."

"Am schmerzlichsten ist dieser Verlust für die Menschen, die David nahestanden. Ihnen gilt unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme. Der Herr wird euch helfen, diese schwere Zeit zu überstehen. Noch immer fehlen seiner Familie die Worte und dennoch sind wir uns alle der Tatsache bewusst, dass ihr, lieber Paul, liebe Janet und lieber Tom, in Gedanken stets bei eurem Sohn und Bruder sein werdet. Doch es waren nicht nur diese drei Menschen, für die David eine der wichtigsten Personen in ihrem Leben war: Seit einigen Monaten gab es eine weitere Person, die ein fester Bestandteil seines Lebens war. Nicholas hat mich gebeten, auch einige Worte zum Gedenken an David sagen zu dürfen."

Nick stand auf und stellte sich etwas unterhalb des Altars auf, das Gesicht den Anwesenden zugewandt. Mit überraschend klarer Stimme sagte er: "Hätte mir vor einem Jahr jemand gesagt, dass ich Davey einmal so schmerzlich vermissen würde, wie es jetzt der Fall ist, dann hätte ich ihn wahrscheinlich ausgelacht. Vor einem Jahr, da waren wir uns noch fremd, wir konnten einander nicht ausstehen und für Außenstehende gab es keine logische Erklärung dafür. Es war ein Gespräch, das den Stein ins Rollen brachte. Aus dem Menschen, dem ich zum Teil aus dem Weg ging, wenn ich ihn auf mich zukommen sah, wurde für mich der wichtigste Mensch in meinem Leben."

"Der Tod ist in unserem Alter etwas abstraktes, etwas, das nicht greifbar ist. Noch immer kann und will ich nicht verstehen, dass Davey mir nie mehr nahe sein wird. Ich bin in einem Moment verzweifelt, im nächsten wütend, dann wieder fassungslos. Jemand, den ich erst seit sehr kurzer Zeit kenne, hat mich auf ein Gedicht von W. H. Auden aufmerksam gemacht, das meine Trauer besser in Worte fasst, als ich es je könnte. Davey ... ich hoffe, du hörst mir zu und du weißt, dass ich dich niemals vergessen werde."

Nick zitierte das Gedicht leise, doch durch die Akustik in der Kirche waren seine Worte gut zu verstehen. Ich sah, dass Jason eine Träne über die Wange rann und auch ich musste mich sehr zurückhalten, um nicht zu heulen. Nick musste sich ebenfalls einige Male über die Augen wischen. In der ersten Reihe wurde Tom von seiner Mutter in den Arm genommen. Als Nick fertig war, kam er langsam wieder zu seinem Platz in unserer Reihe. Spätestens jetzt hatte jeder der Anwesenden verstanden, welches Verhältnis Davey und Nick gehabt hatten. Ich war besorgt, wie die Menschen reagieren würden, doch es gab nur freundliche und mitfühlende Blicke.

Der Pfarrer trug noch eine Bibelstelle vor und dann wurde gemeinsam ein Lied gesungen. Dann breitete sich Stille aus, jedoch nur für einen Moment. Plötzlich vernahm ich ein ungewöhnliches Geräusch - ein Schlagzeug? Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, wurde mein Verdacht bestätigt: Ein Bass setzte ein. Offensichtlich gab es hier irgendwo einen CD-Player. Alle Anwesenden lauschten der Musik, als eine Frau anfing zu singen: "I go to sleep, before the devil wakes ..." Das Stück war ruhig, getragen, passend zum Anlass - und gleichzeitig kraftvoll. Aufgrund der Akustik in der Kirche strömte das Stück praktisch aus allen Richtungen auf die Trauergäste ein und ich spürte, dass mein Hals eng wurde, während ich zumindest mit einem Ohr auf den Text achtete.

Ich wandte den Kopf, um Nick zu beobachten, der wie versteinert da saß. Offensichtlich hatte er das Stück erkannt. Sein Blick schweifte in die Ferne, ins Nirgendwo und er sah aus, als würden ihm tausend Dinge gleichzeitig durch den Kopf gehen. Einige Tränen liefen über seine Wangen. "And if you bury me ..." begann die dritte Strophe - an diesem Punkt schlug er die Hände vors Gesicht und wurde wieder von seiner Trauer übermannt. Ich fühlte mich in diesem Moment unglaublich hilflos und mir fiel nichts besseres ein, als seine Hand zu nehmen.

Schließlich war das Stück zu Ende und nach einem weiteren Gebet standen alle Anwesenden auf. Der Sarg wurde zum Grab getragen. Nick, der sich mittlerweile wieder gefasst hatte, war natürlich ebenfalls als Sargträger dabei. Der Sarg wurde zur Grabstelle gebracht und dann herabgelassen. Der Pfarrer sprach noch einmal ein Gebet und dann warf jeder Gast der Reihe nach eine Schaufel Erde auf den Sarg. Nick und Daveys Familie blieben etwas länger am Grab als die anderen Trauergäste. Anschließend zerstreuten sich die Gäste langsam.

Jason und ich warteten vor dem Friedhof auf Nick, der etwas später zu uns stieß. "Und, wie geht es dir?", erkundigte sich Jason. Nick seufzte. "Das schönste wäre, wenn diese Veranstaltung gar nicht hätte stattfinden müssen." Plötzlich kam Daveys Bruder auf uns zu. "Nick ... warte mal, bitte. Kannst du mir vielleicht deine neue Adresse geben? Mom und Dad ... sie hätten sie gern." Nick sah mich fragend an. "Ist dir das recht?", fragte er. "Klar, kein Problem." Ich holte eine meiner Karten aus dem Portemonnaie - auch so ein Faible von Dad - und gab sie Nick, zusammen mit einem Stift. Er schrieb seinen Namen darauf und gab sie an Tom weiter. Der steckte sie ein und sah Nick dann einen Moment zögernd an.

Schließlich ging er die letzten paar Schritte auf ihn zu und umarmte ihn. "Nick ... danke für alles. Du warst für David der wichtigste Mensch überhaupt." Nick erwiderte die Umarmung vorsichtig, dann sagte er: "Vielleicht der wichtigste Außenstehende, Tom, aber ihr hattet immer Vorrang vor allem anderen. Vor allem du." Tom sah ihn mit verquollenen Augen an. "Wirklich?" "Ja. Du warst für ihn immer der wichtigste Mensch auf der Welt. Davey hätte alles für dich getan." Tom schniefte und ich hielt ihm kommentarlos ein Taschentuch hin.

Die beiden unterhielten sich eine Weile und schließlich kamen die Eltern von Davey und Tom dazu. Mrs. Williams umarmte Nick. "Danke, dass du noch kommen konntest. Und deine Rede war ... sie war wunderschön." Nick versuchte ein Lächeln, doch es gelang ihm nicht so richtig. "Das Gedicht habe ich von Jason bekommen." Mr. Williams sah irritiert zwischen Jason und mir hin und her, dann sagte er zu mir: "dass du Nicks Bruder bist, ist offensichtlich, aber mit den Namen bin ich vorhin durcheinandergekommen...?" Ich winkte ab. "Aber das macht noch nichts. Ich bin Richie und mein Begleiter ist Jason."

Mr. Williams musterte uns. "Ihr zwei seid nicht nur Freunde, oder?", erkundigte er sich freundlich. Wir nickten. "Sieht man das?" Der Anflug eines Lächelns huschte über Mr. Williams' Gesicht. "Nick wird euch ja erzählt haben, dass er und Davey auch ein Paar waren. Ich glaube, wenn man so etwas mal persönlich miterlebt hat, sieht man manches mit anderen Augen." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Schön, dass Nick deswegen bei euch wohl keine Probleme bekommen wird." "Das ist bestimmt kein Problem. Für meinen - ich meine unseren - Vater ist das auch alles noch recht neu, aber ich mache mir deswegen keine Sorgen. Und wir versuchen Nick zu unterstützen, wo wir können."

"Hast du dich in Hamburg denn schon ein wenig eingelebt, Nick?", wollte Mrs. Williams wissen. "Ja, ich bin sehr lieb aufgenommen worden." Er lächelte mir schüchtern zu. Irgendwie wusste keiner so richtig, was er sagen sollte. Daveys Vater wandte sich an Jason: "Das Gedicht war von W. H. Auden, oder?" Jason nickte. "Ja, wir haben es mal in der Schule durchgenommen. Und nachdem wir uns gestern lange mit Nick unterhalten haben, fiel es mir wieder ein, wir haben es damals auswendig gelernt." "Ich hoffe, es war euch recht, dass ich ..." Er wusste nicht, wie er den Satz beenden sollte. Mrs. Williams nahm ihn in den Arm. "Natürlich, Nick. Ich fand es wirklich schön und ich bin mir ganz sicher, dass es Davey auch gefallen hätte." "Das hoffe ich, Jane", sagte Nick leise.

Es war eine seltsame Situation. Das Schweigen nahm peinliche Züge an und so bot ich den Williams schließlich an: "Falls Sie mal in Hamburg sind, wir würden uns freuen, wenn Sie uns besuchen würden. Platz wäre genügend da." "Vielleicht kommen wir mal darauf zurück, Richie", antwortete Mrs. Williams. "Aber momentan ... nun, du kannst dir vorstellen, dass wir gerade eine Menge um die Ohren haben. Und wir brauchen erst mal Zeit für uns. Trotzdem, vielen Dank für die Einladung." "Dad, darf ich Nick hin und wieder mal anrufen, oder er mich?", wollte Tom wissen. "Sicher, wenn du willst. Dein Vater wird nichts dagegen haben, oder Nick?" Der sah mich fragend an. "Bestimmt nicht." Lächelnd fügte ich hinzu: "Um Dad zu schockieren braucht es schon etwas mehr als eine Telefonrechnung, glaub' mir. Falls du mal hier anrufen willst."

Schließlich beschlossen Jason und ich, uns zu verabschieden. Nick sollte noch einen Moment allein mit den Williams sprechen können, um sich in Ruhe von ihnen zu verabschieden. "Eine tolle Familie hatte Davey da. Seine Eltern machen einen netten Eindruck", befand Jason, als wir ein Stück vom Friedhof entfernt waren. "Ja, das auf jeden Fall. Sie tun mir wahnsinnig leid." Jason sah mich an. "Wie wirst du eigentlich damit fertig? Das ist jetzt schon das zweite Mal in so kurzer Zeit, dass du erlebst, dass Eltern ihr eigenes Kind beerdigen müssen." Ich seufzte. "Hm ... was heißt 'erleben'? Florian war ein Patient von uns. Natürlich ist das traurig. Aber Florian kannte ich nur vom Sehen und Davey nur aus Nicks Erzählungen und von ein paar Fotos. Versteh' mich nicht falsch, es ist mir nicht egal, aber letzten Endes waren beide keine Menschen, die mir nahestanden. Auch wenn ich hoffe, so etwas nie selbst erleben zu müssen."

Etwas später stieß Nick wieder zu uns. "Paul und Jane müssen sich um die anderen Trauergäste kümmern", erklärte er. Etwas unschlüssig starrte er auf etwas schwarzes in seiner Hand - eine CD, wie ich beim zweiten Hinsehen erkannte. Nick bemerkte meinen Blick und sagte: "Da ist der Song drauf, der vorhin in der Kirche lief - 'The light will stay on'. Jane hat mir die CD geschenkt. Wisst ihr, Davey hat sich nicht besonders für Musik interessiert, aber die Walkabouts hat er geliebt." Jason sah ihn fragend an: "Walkabouts?" "Ja, so heißt die Band."

"Und was machen wir jetzt?", erkundigte sich Jason, als das Schweigen wieder unbehaglich zu werden drohte. "Erstmal zu meiner Oma zurückfahren", schlug Nick vor. "Sie wartet bestimmt schon mit dem Tee auf uns. Richie, für wann hat Rip den Rückflug gebucht?" "Noch gar nicht. Die Tickets sind reserviert und bezahlt, wir müssen nur Bescheid sagen, welche Maschine wir nehmen wollen. Willst du heute Abend schon zurückfliegen?" Nick seufzte. "Ich weiß es noch nicht. Einerseits werde ich so schnell wohl nicht wieder hier sein, andererseits ... hier ist alles so voller Erinnerungen."

Kapitel 19

Nick hatte sich schließlich doch entschieden, dass es besser wäre, wieder zurückzufliegen. Wir verbrachten die Nacht bei Nicks Großmutter und flogen am nächsten Tag wieder nach Hamburg zurück, natürlich nicht ohne uns vorher noch einmal von den Williams' verabschiedet zu haben. Julian holte uns am Flughafen ab. "Also wenn das so weiter geht, zieh' ich hier ein", begrüßte er uns. Ich grinste. "Wir hätten uns auch ein Taxi nehmen können." Julian seufzte. "Das meinte ich nicht. Aber Dad hat sich überlegt, dass wir eigentlich noch für einige Tage nach Los Angeles fahren könnten." "Fliegen wohl eher", entgegnete ich trocken. Julian lachte. "Du kannst auch hinschwimmen. Ein bisschen Bewegung würde dir ganz gut tun."

Eigentlich hätte ich ihm darauf eine passende Antwort gegeben, aber zufällig schaute ich in diesem Moment Jason an - und der sah nicht sonderlich begeistert aus. "Was zieht euch denn nach L.A., wenn ich mal fragen darf?", wollte er wissen. "Dad ist der Meinung, dass uns allen ein wenig Ruhe nicht schaden könnte. Mit dir wollte er übrigens auch noch reden, oder besser gesagt: mit euch beiden", erklärte Julian. "Was haben wir denn jetzt wieder angestellt?", fragte ich überrascht. "Keine Ahnung, Dad wollte mir nichts sagen. Aber es scheint nichts Ernstes zu sein", fügte er grinsend hinzu.

Zuhause stellten wir unsere Taschen ins Zimmer. Nick hatte noch ein paar Kleinigkeiten eingepackt und Julian war ihm mit seinem Gepäck behilflich. "Was hältst du davon Nick, wenn wir mal eben einen Kaffee trinken gehen, während die zwei bei Rip sind? Wir hatten ja bisher noch gar keine Gelegenheit, uns mal kennenzulernen." Julian zwinkerte mir zu und ich freute mich, dass er diesen Schritt auf Nick zu machte. "Gern, wenn du willst." "Sonst hätte ich dich nicht gefragt. Also, komm." Jason warf mir einen anerkennenden Blick zu, als Nick und Julian im Erdgeschoss verschwunden waren. "Donnerwetter, das hätte ich jetzt nicht gedacht." Ich nickte. "Ich auch nicht. Aber vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung."

Wir klopften an die Tür von Dads Arbeitszimmer und wurden hereingebeten. Dad drückte auf einen Knopf und brachte so Neil Finn zum Schweigen, der gerade gemeinsam mit Crowded House den Song "Fall at your feet" aus der Stereoanlage erklingen ließ. "Schön, dass ihr wieder da seid - setzt euch doch. Wie war der Flug?" "Gut, danke." "Und die Beerdigung?", fragte Rip, während er uns ungefragt Kaffee einschenkte. Ich seufzte. "Es war halt eine Beerdigung. Nick hat eine kurze Ansprache gehalten, es war alles sehr festlich, aber eben auch recht traurig." Dad verzog das Gesicht. "Und wie hat Nick das ganze überstanden?" "Besser, als ich es erwartet hätte. Er war die ganze Zeit über doch sehr gefasst."

"Ich wünschte mir, ich hätte ihm das ersparen können", seufzte Dad. "Lass' mal ... erstens hättest du sowieso nichts tun können und zweitens war es wohl ganz gut, dass er sich auf diese Art nochmal von Davey verabschieden konnte. Ich hoffe, dass er jetzt in der Lage ist, den nötigen Abstand zu gewinnen." Dad nickte. "Womit wir beim nächsten Thema wären. Ich vermute, Julian hat euch schon vorgewarnt?", erkundigte er sich. "Dass du uns über den großen Teich schicken willst? Ja, hat er." "Ich werd' euch nicht schicken, ich werd' sogar mitfliegen - einer muss ja schließlich auf euch aufpassen, oder?" Jason verfolgte das Gespräch kopfschüttelnd. "Rip, langsam weiß ich, woher Richie seine charmante Art hat. Ganz der Vater."

Dad räusperte sich. "Wie auch immer. Ich dachte mir, wir fliegen übermorgen los, dann habt ihr noch genügend Zeit zu packen. Und was euch zwei angeht, wir sollten mal etwas anderes besprechen. Jason, was ist mit deinen Eltern?" "Äh ... was soll mit denen sein? Ich versuch' momentan, nicht an die zu denken." Er schien ehrlich überrascht von der Frage und auch ich hatte nicht damit gerechnet. "Dad, muss das jetzt sein?", wollte ich wissen. "Versteht mich nicht falsch, Jungs. Jason, du kannst gern noch eine Weile hier bleiben. Aber ihr solltet das ganze klären." "Ich sehe das so, dass ich volljährig bin - damit bin ich meinen Eltern keine Rechenschaft mehr schuldig." Rip sah ihn eine Weile prüfend an. "Willst du nicht wenigstens mal erzählen, was los ...?"

Ich unterbrach meinen Vater. "Ich glaube, das solltest du Jason überlassen, Dad. Ich weiß ein bisschen was von dem, was passiert ist und ich finde, er hat einen sehr guten Grund, warum er nicht zurück will." Jason legte mir eine Hand auf den Arm. "Nein, lass' gut sein, Richie. Ich finde es wirklich toll, dass ich momentan hierbleiben kann und ich denke, dass ich deinem Vater dann zumindest eine Erklärung schulde." Er wollte aufstehen, aber ich zog ihn aufs Sofa zurück. Während ich ihm meinen Arm um die Schultern legte, flüsterte ich ihm ins Ohr: "Bitte tu' nichts, was du nicht tun willst, in Ordnung?" Er lächelte mir zu. "Keine Sorge, ich weiß was ich tue."

Mit wenigen Sätzen erzählte er Dad, was er mir einige Tage zuvor erzählt hatte - von den Schlägen durch seinen Vater, dem anschließenden Streit und auch von seinem Besuch bei Jeremy. Rip rauchte währenddessen eine Zigarette und hörte sich das ganze schweigend an. Schließlich erkundigte er sich: "Hast du mal darüber nachgedacht, deinen Vater anzuzeigen?" Jason nickte. "Ja, in den letzten Wochen sogar ziemlich viel - abgesehen davon, dass ich dank Richie nicht mehr ganz so oft daran gedacht habe." Er drückte meine Hand. "Aber ich werde es nicht tun", fügte er hinzu. "Und warum nicht?", wollte Dad wissen. "Weil ich mit meinem Vater nichts mehr zu tun haben will. Ich hab' keine Geschwister, die er auch schlagen könnte - und mein Halbbruder aus seine ersten Ehe wollte mit ihm nie Kontakt haben, ich kenne ihn ja nicht mal richtig. Und meine Mutter lässt sich ohnehin nicht helfen. Ich bin aus der ganzen Sache 'raus. Dass ich nicht ewig bei euch bleiben kann, ist mir auch klar, aber ich wollte mir langfristig sowieso eine eigene Wohnung nehmen. Und auch wenn ich eigentlich mit dem Rauchen aufgehört habe, jetzt würde ich mir von dir gern 'ne Zigarette schnorren."

Rip lächelte und gab ihm die Schachtel. "Hast du an der Rede geübt?" Jason schüttelte den Kopf und zündete sich dann eine Zigarette an. Nachdem er kurz gehustet hatte, antwortete er: "Nein, das nicht. Aber ich hab' mit mir selbst einen ganz schönen Kampf ausgefochten." "Das kann ich mir vorstellen. Ich danke dir jedenfalls, dass du mir gesagt hast, was los ist Jason. Ich weiß es zu schätzen, glaub mir." Jason lächelte - und einmal mehr wusste ich, warum ich mich einige Tage zuvor Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Bevor er antwortete, nahm er noch einen Zug und hustete noch einmal, dann gab er mir die Zigarette. "Willst du die zu Ende rauchen? Ich glaub', ich weiß jetzt wieder, warum ich aufgehört habe."

Rip lachte. "Das ist auch gut so - ich beneide dich, Jason, ehrlich. Ich hab's schon oft genug versucht, aber nie geschafft. Aber vielleicht hast du ja wenigstens auf Richie noch einen guten Einfluss in dieser Hinsicht. Wenn auch sonst schon Hopfen und Malz bei ihm verloren sind." Ich warf meinem Vater einen vernichtenden Blick zu und erkundigte mich bei Jason: "Sag' mal, wie war das noch mit der eigenen Wohnung? Das klang gut, erzähl mir mehr darüber." "Du, mein lieber Sportsfreund, machst erst mal dein Abitur, bevor du über eine eigene Wohnung nachdenkst. Eher kann Jason hier ganz einziehen." Ich sah meinen Vater prüfend an - er hatte das im Scherz gesagt, aber es klang fast so, als würde er es auch ein wenig Ernst meinen? Oder war das Wunschdenken meinerseits? Ich konnte mir jedenfalls gut vorstellen, mit Jason zusammenzuziehen.

Kapitel 20

Hatte ich eigentlich mal erwähnt, dass ich all das hier aufschreibe, lange nachdem es tatsächlich passiert ist? Wenn ich jetzt an diese Zeit zurückdenke, besonders an unsere Ankunft in Los Angeles, habe ich immer den Song "California" von Phantom Planet im Ohr. Aber der Song kam erst, wie Jason mir gerade noch mal mit seinem unverwechselbaren, süffisanten Grinsen klargemacht hat, ein paar Jahre später heraus und so ging mir in dem Moment, als wir aus dem Flugzeug stiegen und das Auslandsterminal des Los Angeles International Airport betraten, wohl eher "California Dreamin'" durch den Kopf.

Am Donnerstag morgen landeten wir, reichlich müde aufgrund der neun Stunden Zeitverschiebung, in Los Angeles. Jason streckte sich ein wenig, unsere Arme und Beine waren steif vom langen Flug. "Ob das Gepäck diesmal mitgekommen ist?", fragte Jason lächelnd. Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Aber zur Not müssten noch ein paar Sachen von mir im Haus sein." "Die hast du letztes Mal schon nicht gebraucht und mittlerweile dürften sie dir zu klein sein", meldete sich Julian hinter mir zu Wort. Er hatte den Arm um Natalie gelegt und genoss es offensichtlich, mal wieder den großen Bruder heraushängen zu lassen.

Glücklicherweise mussten wir das Thema jedoch nicht vertiefen, denn unser Gepäck war da. Rip organisierte uns zwei Taxis und nach etwa einer dreiviertel Stunde im Verkehr von Los Angeles waren wir endlich zuhause angekommen. Julian gähnte. "Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich will nur noch in mein Bett." Rip nickte. "Bei dir und Natalie dürfte das kein Problem sein, Elijah und Anne genauso wenig. Aber den Rest müssen wir erst mal unterbringen." C.T. meldete sich zu Wort. "Rip, was hältst du davon, wenn wir bei uns schlafen? Das Haus ist doch gleich um die Ecke. Dann reichen die Betten." Rip winkte ab. "Vergiss' es, C.T. ... ich hab' eurem Dad und meinem Schwesterherz versprochen, dass ich auf euch aufpasse und ich möchte nicht unbedingt ins Kreuzfeuer geraten, wenn ihr wieder was angestellt habt."

C.T. seufzte. "Ach Menno, du traust uns auch immer nur das schlechteste zu, oder?" Rip lachte. "Sagen wir es mal so, ich kenn' euch gut genug, um keine Möglichkeit außer Acht zu lassen. Vorschlag: Ihr drei seid schmal, ihr könnt euch mein Doppelbett teilen. Ich schlafe auf der Couch im Arbeitszimmer. Richie, Jason, ich nehme an, ihr könnt euch ein Bett teilen?" Jason und ich nickten - für irgendwelche Anmerkungen waren wir sowieso zu müde. "Und Nick, du kannst das Gästezimmer nehmen, zumindest für einen oder zwei Tage geht das und dann überlegen wir uns etwas anderes für dich, in Ordnung?" "Ja, kein Problem."


Eigentlich hatte ich gehofft, dass Rip uns ausschlafen lässt, aber schon um kurz nach zwei wurden wir wieder geweckt - das waren gerade einmal sechs Stunden Schlaf. Während ich schlaftrunken versuchte, mich zu orientieren, war Rip putzmunter. "Unten stehen Kaffee, Brötchen und ein paar Zeitungen." Ich gähnte. "Muss das sein, Dad? Wir haben Ferien." "Das ist mir schmerzlich bewusst, Richie, aber wenn ihr jetzt nicht aufsteht, kommt ihr in den nächsten Tagen gar nicht mehr in einen vernünftigen Schlafrhythmus. Also, raus aus den Federn."

Nach und nach fanden wir uns alle am Frühstückstisch ein. Die meisten waren noch verschlafen und gähnten vor sich hin. Ich schnappte mir die Kaffeekanne und schenkte Jason und mir jeweils einen großen Becher ein, um meine Lebensgeister überhaupt wieder auf Vordermann zu bringen. Nach dem ersten Schluck warf ich meinem Vater einen strafenden Blick zu: "Dad, das ist ja mal wieder typischer Blümchenkaffee." Er nahm selbst einen prüfenden Schluck und sagte: "Für deine Verhältnisse, ja, aber ich finde ihn gut."

Mikey sah uns fragend an: "Was zum Teufel ist bitteschön 'Blümchenkaffee'? Das hab' ich ja noch nie gehört." Rip grinste. "Ach weißt du, Mikey, es gibt Kulturen, da trinken die Menschen ihren Kaffee in zivilisierter Form, aus Porzellantassen und nicht aus Bechern. Und wenn der Kaffee so dünn ist, dass man durch das Zeug hindurch das Blumendekor auf dem Tassenboden sehen kann, spricht man von Blümchenkaffee." Mikey schüttelte den Kopf. "Das muss was deutsches sein. Ein englisches Wort gibt's dafür jedenfalls nicht."

"Wofür gibt's kein englisches Wort?", erkundigte sich Julian, als er mit verschlafenem Blick hereinkam. "Blümchenkaffee", antwortete Rip. "Na, kein Wunder. Kaffee in der Qualität von Spülwasser ist hier ja auch der Normalzustand." "Dann will ich von dir aber nie wieder 'ne Beschwerde über meinen Kaffee hören, Bruderherz", merkte ich an. Julian hob eine Augenbraue. "Das Rezept für deinen Kaffee, lieber Richie, ist vermutlich von der Amerikanischen Vereinigung der Herzspezialisten gesponsort worden."

Jason hörte sich diese Diskussion nur kopfschüttelnd an. "Habt ihr beim Frühstück eigentlich auch andere Themen als Kaffee?" Rip lachte. "Hin und wieder. Julian, wie war eigentlich deine Vorlesung über die endoskopische Behandlung von Wurzelkanal..." Bevor Rip den Satz beenden konnte, wurde er Jason, Nick, Mikey, C.T. und mir gleichzeitig mit einem lautstarken Protest unterbrochen. "Also gut, keine fachlichen Themen. Habt ihr euch denn mal Gedanken darüber gemacht, was ihr heute noch anstellen wollt?" "Eigentlich", brummte ich, "wollten wir ausschlafen, aber da hat uns jemand dran gehindert." Rip streichelte mir mit gespieltem Bedauern über den Kopf. "Ach du armes Kerlchen ... bekommst du deinen Schönheitsschlaf nicht?" "Da ist ohnehin nicht mehr viel zu retten", ließ Julian hinter seiner Zeitung vernehmen.

"Bevor ihr euch die Köpfe einschlagt - Richie, was hältst du davon, wenn wir Jeremy besuchen? Ich wollte ohnehin noch mal mit ihm reden, ohne ihn wäre ich schließlich nicht bei euch gelandet." "Gute Idee", stimmte Rip zu. "Dann erinnere ihn doch bitte gleich mal daran, dass er sich auch mal wieder bei mir blicken lassen könnte." Jason lachte. "Ja, er hatte erwähnt, dass du das sicher nicht vergessen würdest." "Ihr könnt den Taurus mitnehmen, der braucht ohnehin mal wieder etwas Bewegung", bot Rip mir an und wechselte damit ganz dezent das Thema.

"Na super. Mit einem fünf Meter langen Schiff durch den Stadtverkehr von L.A.", beschwerte ich mich. "Der BMW ist nicht viel kürzer. Außerdem kann ja Jason zur Not fahren, der kennt sich hier vermutlich eh' besser aus als du und dürfte auch mit der Automatik weniger Probleme haben." "Dad, wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass du uns loswerden willst?" Rip lachte. "Weil du eine gute Menschenkenntnis hast?" Ich schüttelte den Kopf. "Und sowas ist mein Vater. Nick, kommst du mit zu Jeremy oder willst du freiwillig in diesem Irrenhaus bleiben?" Nick sah mich zweifelnd an. "Ist das 'ne gute Idee? Ich meine, ich kenne Jeremy gar nicht." "Komm' ruhig mit", lud ihn auch Jason ein, "Jeremy ist einer meiner besten Freunde und ein wirklich lieber Kerl. Ich glaub' schon, dass ihr euch gut verstehen werdet."


Eine Stunde später klingelten wir bei den Andersons. Corinna, Jeremys Mutter, öffnete uns die Tür. "Jason? Richie? Ihr beide zusammen hier? Das ist ja mal eine Überraschung", begrüßte sie uns. Ich grinste. "Und daran ist nur dein Sohn schuld." Corinna sah mich fragend an. "Wieso das?" "Weil er mir den Tipp gegeben hat, mal zu Rip zu fahren. Das hab' ich getan", antwortete Jason. "Soso. Und du bist ...?", fragte sie Nick. "Entschuldige. Das ist Nick, mein Bruder." "Ich dachte immer, der heißt Julian und sieht anders aus?" "Das ist eine lange Geschichte", antwortete Nick. "Naja, die Ähnlichkeit zwischen euch ist ja unübersehbar. Aber kommt doch 'rein. Jeremy steht gerade unter der Dusche, aber ich sag' ihm Bescheid. Wollt ihr was trinken?"

Sie stellte jedem von uns ein Glas Zitronentee auf den Tisch, bevor sie nach oben verschwand. Nick stand staunend im Wohnzimmer und bewunderte die Aussicht. "Wow, das ist phantastisch. Ist das der Pazifik?" Jason trat zu ihm ans Fenster. "Ja. links von uns liegt Palos Verdes, rechts Redondo Beach und dann Hermosa; ein Stück weiter liegt LAX", erklärte er. "LAX?" "Der Los Angeles International Airport. Den nennt hier jeder nur LAX, das ist das internationale Flughafenkürzel." Nick ließ immer noch fast ehrfürchtig den Blick schweifen. "Wahnsinn. Das ist alles so ... naja, so groß hier."

Corinna kam wieder zu uns. "Jeremy kommt gleich, aber ich hab' ihm verboten, hier klatschnass die Treppe 'runterzulaufen. Setzt euch doch." Sie deutete auf die Sitzgelegenheiten rund um den Wohnzimmertisch. "Und jetzt mal schön der Reihe nach, ich seh' euch doch an, dass in den letzten Tagen eine Menge los war. Jason, lass' dich erst mal ansehen, ob Rip auch vernünftig gearbeitet hat." Widerwillig zeigte Jason seine Zähne und Corinna nickte anerkennend. "Sehr schön, sieht ja wieder aus wie früher. Und du bist also Nick?" Mein Bruder nickte. "Ja, richtig." "Und wie gehörst du jetzt zur Familie? Ich meine, versteh' das nicht falsch, ich freue mich, dich kennenzulernen, aber das kommt etwas überraschend. Rip hat ..." - sie unterbrach sich selbst und begann den Satz dann neu: "Ich meine, ich kann mich nicht erinnern, dass Rip je von dir gesprochen hat."

Ich seufzte. "Das ist 'ne lange Geschichte, aber lass' uns auf Jeremy warten, dann müssen wir das nicht alles zweimal erzählen. Ach, Jason, Nick, bevor ihr euch wundert: Corinna und Dad waren eine Zeitlang sowas wie liiert." Corinna lachte. "'Sowas wie liiert' ist gut. Ich finde deinen ... pardon, euren Vater immer noch toll, aber was soll's, es hat nicht funktioniert. Und ihr zwei? Gibt's da etwas, dass ich wissen sollte?" Jason und ich erröteten beide gleichzeitig, was von Corinna mit einem breiten Lächeln quittiert wurde. "Das hab' ich mir doch gedacht. Meine Güte, Jason, wenn ich dran denke, in welcher Verfassung du hier letztes Mal weggegangen bist - du bist ja wie ausgewechselt."

"Wer ist wie ausgewechselt?" Jeremy kam ins Wohnzimmer und trocknete sich dabei die Haare ab. "Ach, Jason, auch mal wieder hier. Das letzte Mal ist ja auch keine zwei Wochen her", grinste er. "Und ... äh, Moment mal. Was ist denn jetzt passiert? Zwei von euch?" Verwundert sah er zwischen Nick und mir hin und her und wieder einmal wurde mir die Ähnlichkeit zwischen uns beiden bewusst. Ich stellte die beiden einander vor, aber Jeremy, der mitten in der Bewegung innegehalten hatte, hörte mir kaum zu und starrte stattdessen Nick an, als würde er einen Geist sehen ...

To be continued ...

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