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L'amour, c'est bénédiction ou malédiction? (Ist Liebe Segen oder Fluch?)
2. Kapitel
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Informationen
- Story: L'amour, c'est bénédiction ou malédiction? (Ist Liebe Segen oder Fluch?)
- Autor: Roxeanne
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
Er hatte sich gleich am Anfang des Abends einen Platz an der Bar gesichert, saß jetzt dort, ärgerte sich über das vollkommen unnütze Rauchverbot in französischen Lokalen und stürzte einen Gin Tonic nach dem anderen hinunter. Da kam Jérôme lachend auf ihn zugestürzt, packte ihn am Arm und wollte ihn vom Barhocker ziehen. Er schwankte samt Hocker, schaffte es jedoch, sich von seinem Bruder loszureißen und gleichzeitig das Gleichgewicht zu halten.
„Na komm schon, Jean! Du sitzt jetzt schon den ganzen Abend fad hier rum“, fing sein Zwillingsbruder daraufhin erwartungsgemäß an zu nörgeln.
„Und ich habe auch nicht vor, etwas daran zu ändern“, meinte Jean bestimmt und betrachtete seinen Bruder durch die zuckenden Diskolichter. Die braunen Augen des Jungen funkelten vor Freude, seine Wangen glühten rot. An der Art, wie der andere um ihn herumtänzelte, erkannte er, dass dieser doch nicht ganz so alkoholfrei lebte, wie er gerne behauptete.
„Du bist lang-weil-ig“, erklärte der Braunhaarige und klopfte ihm dabei bei jeder Silbe auf die Brust.
Er nickte nur, ergriff die Hand seines Bruders und stieß sie entschieden von sich fort.
„Geh zu deinen Freunden und amüsier dich. Ich passe von hier aus auf euch auf“, meinte er grinsend.
Jérôme sah ihn beleidigt an, rührte sich jedoch nicht vom Fleck.
„Na los, hör schon auf deinen älteren Bruder“, forderte er ihn ermunternd auf.
Und zwar schnell, in spätestens einer Stunde kniest du am Klo und kotzt dir die Seele aus dem Leib, fügte er in Gedanken hinzu.
Der andere wich einen Schritt zurück, seine ganze Miene spiegelte maßlose Entrüstung wieder.
„Du bist nicht mein …“
Jean zog fragend die Augenbrauen hoch, woraufhin der Junge sich abrupt abwandte und endlich in der Menge verschwand. Er folgte seinem Bruder mit Blicken – und blieb an einem grünen Augenpaar hängen, welches ihn so intensiv anstarrte, dass er das Gefühl hatte, geröntgt zu werden.
Einen Moment lang stockte ihm tatsächlich der Atem. Der Mann stand nur wenige Meter von ihm entfernt und schien ihn schon eine Zeit lang über die Menschenmasse hinweg zu beobachten. Jetzt, da Jean seinen Blick beantwortete, machte er eine eindeutige, ruckartige Bewegung mit dem Kopf Richtung Tür, ohne ihn aus seinem Blick loszulassen. Dann wandte er sich um und verschwand zwischen den tanzenden Leibern.
Einen Moment lang stieg Empörung in Jean auf. Der andere schien sich seiner Sache so sicher zu sein, dass er nicht einmal auf eine Zustimmung des Jungen gewartet hatte. Er gehörte wohl zu der Sorte Mensch, die damit rechnete, dass andere ihr widerspruchslos folgten.
Einen Moment lang dachte er darüber nach, genau das nicht zu tun. Er ließ sich nicht gerne herumkommandieren – auch wenn der, der ihn herumkommandierte, noch so attraktiv war.
Der Gedanke währte jedoch nur wenige Sekunden lang, dann verwarf er ihn wieder und schalt sich selbst dafür, dass er überhaupt darüber nachdachte, sich so eine einmalige Gelegenheit entgehen zu lassen. Er trank in einem Zug aus, verzog das Gesicht, rutschte von seinem Barhocker und bemühte sich, den schwarzen Haarschopf in der Menge wiederzufinden. Er sah ihn gerade noch durch die Tür nach draußen gehen – er war sich seiner Sache anscheinend so sicher, dass er es nicht einmal für nötig hielt, sich umzudrehen.
Diese Erkenntnis brachte ihn einen Moment lang von Neuem ins Schwanken, dann schluckte er seinen Stolz jedoch abermals hinunter und zwängte sich durch die tanzenden Menschen, wobei er möglichst darauf bedacht war, einen großen Bogen um Jérôme und seine – eigentlich ihre – Freunde zu machen. Jetzt, da er seinen Entschluss gefasst hatte, wollte er durch nichts noch länger aufgehalten werden – und er wollte erst Recht nicht, dass ihm seine Beute weggeschnappt wurde.
Dieser plötzlich aufkommende Gedanke ließ einen Moment lang ein ungutes Gefühl in ihm hochkommen. Seit wann war er so voller eifersüchtiger Besitzansprüche auf jemanden, den er nur kurz durch ein paar Diskolichter gesehen hatte?
Bevor er nach einer Antwort auf diese beängstigende Frage suchen konnte, hatte er den Club verlassen und trat hinaus in die eisige Nacht. Um seine wahren Wünsche nicht allzu offen darzulegen, sog er zuerst einmal die kalte Pariser Winterluft tief in seine Lungen, ließ sie langsam wieder entweichen und sah sich erst dann um. Er brauchte nicht lange, um den Gesuchten zu entdecken – der junge Mann lehnte einige Meter vom Eingang des Clubs entfernt an einer Hauswand. Er wurde vom fahlen Licht einer Straßenlaterne nur dürftig beleuchtet, doch Jean glaubte dennoch, ein amüsiertes Lächeln auf seinen schönen Zügen zu sehen.
Er vergrub die Hände in den Taschen der Lederjacke und ging so lässig wie möglich auf den Schwarzhaarigen zu, der ihm ruhig entgegensah. Das Lächeln auf den Lippen des anderen wurde immer deutlicher, und bald glaubte er, auch ein belustigtes Glitzern in den grünen Augen zu sehen. Wieder fühlte er sich wie durchleuchtet, zwang sich aber diesmal dazu, den Blick nicht abzuwenden.
Als er nur noch wenige Schritte von dem anderen entfernt war, blieb er schließlich stehen und musterte sein Gegenüber. Die pechschwarzen Haare fielen dem jungen Mann in die Stirn, hoben sich aber nicht besonders von seiner leicht gebräunten Haut ab. Unwillkürlich fragte sich Jean, ob er südliche Vorfahren hatte oder ins Solarium ging. Er vertrieb diese vollkommen unwichtige Frage und versuchte, möglichst alle Merkmale des anderen in sich aufzunehmen – die hohen Wangenknochen, das schmale Gesicht, die vollen Lippen. Sein Körper war schlank, schien jedoch kräftig gebaut. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand, hatte die langen Beine lässig überkreuzt und holte aus seiner Jackentasche gerade eine Zigarettenpackung, die er Jean nun zwar mit ernster Miene, aber immer noch funkelnden Augen hinhielt.
„Woher…“, fing dieser verwundert an und griff sofort zu.
Der andere grinste schief und antwortete: „Ich bin ein guter Beobachter.“
Jean sah ihn verwundert an. Hatte er ihn schon beobachtet, als sie den Club betreten hatten? Wieso hatte er ihn dann erst jetzt auf sich aufmerksam gemacht? Oder hatte er schon vorher versucht, Jeans Blick einzufangen, und dieser hatte es nur nicht bemerkt? Aber wenn dem so war, wieso war er nicht ganz einfach zu ihm gegangen und hatte ein Gespräch angefangen? Er kam zu dem Schluss, dass der andere sich wohl nicht sicher über seine Reaktion gewesen wäre – andererseits sah er nicht aus wie der Typ Mensch, der sich viel darum schert, ob er eine Abfuhr erhält.
Er beschloss, diese Fragen zuerst einmal ruhen zu lassen, zündete die Zigarette an – eine willkommene Beruhigung für sein heftig pochendes Herz - und wandte sich dann wieder dem jungen Mann zu, der nun ebenfalls rauchte und ihn nachdenklich, aber mit einem fast schelmischen Lächeln auf den Lippen musterte.
Jean zog fragend die Augenbrauen hoch.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du mir folgst“, gab der andere schließlich zu, legte den Kopf in den Nacken und stieß Rauch in die Luft.
Dafür hast du aber ziemlich sicher gewirkt, dachte der Junge. Laut sagte er jedoch: „Da hast du dich wohl geirrt.“
Der andere nickte, das Lächeln war nun von seinen Lippen verschwunden und er schien in Gedanken versunken. Jean fiel auf, dass er einige Jahre älter als er selbst sein musste – die ernste Miene lies das Jugendliche aus seinem Gesicht verschwinden.
Der andere verwirrte ihn, wie er ihn so ernst ansah, und mit einem Mal hatte er das Gefühl, bei einem Spiel mitzuspielen, dessen Regeln er nicht kannte.
„Und? Warum hast du es getan?“, fragte er plötzlich und sah ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen an. Jean hatte ein unerwartet schweres Gefühl im Magen und seine Knie fühlten sich seltsam weich an. Während er verzweifelt nach einer Antwort suchte, konnte er sich schon selbst in Gedanken sehen, wie er sich stotternd lächerlich machte. Zum Glück bewahrte ihn ein Geistesblitz vor diesem Schicksal.
„Wieso wolltest du denn, dass ich es tue?“, stellte er eine Gegenfrage, was dem anderen ein Schmunzeln entlockte, jedoch keine Antwort.
Stattdessen wechselte er das Thema.
„Wie alt bist du eigentlich?“
„17“, erwiderte Jean prompt – und verfluchte sich im nächsten Moment, als ihm klar wurde, dass diese Antwort für sein Sexualleben nicht gerade förderlich war.
Er wusste nicht, was mit ihm los war – normalerweise hatte er kein Problem mit Lügen, nur das nervige flatternde Gefühl im Magen machte es ihm dieses Mal ziemlich schwer.
Der andere ließ sich jedoch nicht anmerken, dass ihn die Antwort des Jungen auch nur im Geringsten beunruhigte, warf aber einen bedeutungsvollen Blick zum Eingang des Clubs hinüber.
„Bist du sicher?“
Jean sah ihn ungläubig an.
„Ich denke schon“, murmelte er schließlich, da er ahnte, dass eine jetzige Korrektur seines Fehlers nicht sehr glaubhaft gewirkt hätte.
„Gefälschter Ausweis“, erklärte er auf den verständnislosen Blick des anderen leicht verlegen. Ein leises, ironisches Lachen kam zwischen den blendend weißen Zähnen hervor.
„Da fragt man sich, wozu es Gesetze gibt, nicht wahr?“
Jean zuckte als Antwort nur mit den Schultern und zertrat nervös mit dem Fuß seinen Zigarettenstummel, wobei er seine Aufmerksamkeit auf den Boden richtete. Er traute seinen eigenen Ohren nicht, als er aufsah und sagte: „Du solltest froh sein. Wenn ich mich daran gehalten hätte, wäre dein Abend nicht halb so gut verlaufen.“
Seine Handflächen waren schweißnass. Er konnte nicht glauben, dass er das soeben wirklich gesagt hatte. Ein Spiel, von dem er nicht einmal den Namen kannte – und schon hatte er seinen gesamten Einsatz gesetzt.
Sein Gegenüber verzog scheinbar beeindruckt die Lippen, neigte jedoch fast im selben Moment abwägend den Kopf.
„Das wird sich noch herausstellen, würde ich sagen.“
Die grünen Augen des anderen glitzerten amüsiert und ein leichtes Lächeln zierte von Neuem sein Gesicht, als er die Reaktion des Jungen beobachtete. Diese fiel nicht ganz so aus, wie er es sich gewünscht hätte – statt eine lässige Antwort zu geben, starrte er nur verlegen an dem jungen Mann vorbei und versuchte verzweifelt, eine ebensolche zu produzieren.
„Und wie gedenkst du, das herauszufinden?“, fragte er schließlich, während er sich dazu zwang, den Blick des anderen zu suchen und festzuhalten.
Er wusste, dass seine Stimme leicht zitterte und sich längst nicht so cool anhörte, wie er es gerne gehabt hätte – jedoch spiegelte sie auch nicht so viel von seiner Aufregung wieder, wie er befürchtet hatte.
„Nun … es gibt Mittel … und Wege …“
Plötzlich lehnte der andere nicht mehr lässig an der Wand, sondern stand dicht vor ihm, so dicht, dass er den warmen, nach Wodka riechenden Atem auf seiner Haut spüren konnte.
„Du bist betrunken“, stellte er nervös fest.
„Oh“, machte der Ältere, zog eine Schnute und sah ihn aus großen Augen an, „so würde ich das nicht nennen. Ganz abgesehen davon, solltest du hier keine allzu großen Reden schwingen.“
„Ich halte viel aus“, erwiderte der Junge selbstbewusst, was ihm jedoch nur einen mitleidigen Blick einbrachte.
„Das betrifft aber nur den Alkohol, nicht wahr?“
Jean hatte sprichwörtlich das Gefühl, ihm würde das Herz in die Hose rutschen. Bevor die Bedeutung der Worte aber ganz zu ihm durchdrang, geschweige denn er etwas erwidern konnte, lag plötzlich die Stirn des anderen an der seinen, und er fühlte zwei Hände auf seinen Hüften, die diese mit starkem Griff gefangen hielten. Sein Herz pochte jetzt so laut, dass es ihn wunderte, dass der junge Mann es nicht hörte und das stetige Flattern in seinem Magen wurde zu echter Übelkeit.
Wenn es sich so anfühlt, wenn man verliebt ist, dachte er bitter, dann bin ich froh, dass ich mich bis jetzt davor bewahrt habe. Was ich auch jetzt tun sollte.
Doch er tat es nicht, sondern antwortete nur mit leiser, rauer Stimme: „Das solltest du selbst herausfinden.“
Mit angehaltenem Atem beobachtete er, wie das Gesicht des Schwarzhaarigen sich dem seinen näherte. Kurz bevor sich ihre Lippen berührten, stoppte er und fing den Blick des jüngeren von Neuem auf. Ein leises Lächeln kräuselte seine Lippen, bevor er sich vorbeugte und Jean die weichen, warmen, nach Wodka schmeckenden Lippen mit sanftem Druck auf den seinen spürte. Der Griff des anderen verstärkte sich noch und er wurde näher an den durchtrainierten, männlichen Körper des anderen gezogen.
„Jean?“, erklang da plötzlich eine Stimme – und es war definitiv nicht Luciens.
Wie vom Blitz getroffen, fuhr er zurück und starrte seinen nur wenige Meter entfernt stehenden Bruder mit vor Wut blitzenden Augen an. Wenn Blicke nur töten könnten….
„Wir… gehen jetzt…“, murmelte Jérôme, der sich des unpassenden Zeitpunkts mit einiger Verspätung doch noch bewusst zu werden schien, kleinlaut und schien buchstäblich zu schrumpfen.
Als er als Antwort nur noch finsterer angestarrt wurde, drehte er sich schnell um und stolperte davon.
„Das war aber nicht sehr nett.“
Jean wandte sich wieder zu Lucien um. Ein kleiner Teil von ihm hoffte wider besseres Wissen, dass sie ganz einfach dort weitermachen würden, wo sie aufgehört hatten – doch er wusste, dass solche Wunder in der Realität nicht passierten. Und er Jérôme nicht im Stich lassen konnte, so gern er das in diesem Moment auch getan hätte.
Er zuckte mit den Schultern, wagte es nicht, dem anderen in die Augen zu sehen und meinte wütend: „In seinem Alter sollte er eigentlich wissen…“
Eine schlanke, gebräunte Hand griff nach seinem Kinn und zog es sanft, aber bestimmt nach oben, so dass ihre Blicke sich trafen. Eindringlich sah der Ältere ihn an.
„Ich meinte dich.“
„Aber…“
Ein Finger legte sich auf seine Lippen, dann fing der andere plötzlich an, in seiner Hosentasche zu kramen. Er förderte einen Stift und etwas, das aussah wie ein Foto, zutage und begann, einige Zahlen auf die Rückseite des Fotos zu kritzeln.
„Hier“, reichte er das Endergebnis schließlich Jean, der es verdattert entgegennahm.
„Ruf mich an.“
„Aber…“, brachte er nur mit erstickter Stimme hervor und spürte Verzweiflung in sich hochkommen. Das konnte doch nicht wirklich alles gewesen sein?
„Und gib nicht deinem Bruder die Schuld. Ich muss sowieso los.“
Damit drückte er dem Jungen einen kurzen Kuss auf die Wange, schenkte ihm ein letztes, bezauberndes Lächeln und wandte sich zum Gehen.
Mit zitternden Fingern drehte Jean das Foto um – und glaubte für einen Moment, sein Herz würde aufhören zu schlagen.
Nachdem er geendet hatte, sah ihn Sylvain eine Minute lang scheinbar in Gedanken versunken an. Jean hob die Augenbrauen und erwiderte den nachdenklichen Blick des anderen fragend.
„Jetzt würde ich gern nur noch eines wissen…“, fing Sylvain schließlich an, beendete den Satz jedoch nicht, sondern kniff die Augen zusammen und musterte den Jungen genau. Das geheimnisvolle Verhalten seines Freundes machte ihn unruhig.
„Was?“, fauchte er nach einigen weiteren Sekunden, in denen der andere ihn ganz einfach nur betrachtet hatte.
„Wieso machst du wegen eines einfachen Kusses so einen Aufstand? Oder darf ich davon ausgehen, dass du in Lucien verliebt bist?“
„Was…“ fuhr Jean empört auf und funkelte ihn wütend an.
„Was denkst du denn? Er dachte, ich hätte ihn erkannt. Er hat mich als Ablenkung benutzt, er hat nur mit mir gespielt!“
Durch den plötzlichen Wutausbruch atmete er flach und stoßweise. Er starrte seinen Freund einen Augenblick lang wutentbrannt an und fügte dann hinzu:
„Und ich hasse es, wenn man mit mir spielt. Das weißt du.“
Sylvain nickte langsam und fuhr sich durch die Haare, so dass diese wild von seinem Kopf abstanden.
„Aber natürlich. Nur… die Tatsache, dass du dir wegen eines einzigen Kusses den Kopf so sehr zerbrichst, auf ihn wütend bist oder vor ihm davonrennst oder was auch immer...“, abermals verstummte der andere, sah kurz zu Boden, holte tief Luft und meinte dann: „Das weist daraufhin hin, dass es für dich mehr war als nur ein Kuss. Denk daran, wie viele Küsse du schon mit anderen Männern getauscht hast, die für dich bedeutungslos waren. Für sie nicht immer.“
Jean holte schon Luft, um dieser abstrakten Theorie zu widersprechen, ließ sie jedoch wieder entweichen, ohne ein Wort zu sagen. Er wusste, worauf sein Freund anspielte. Er brauchte nur die Augen zu schließen um das verletzte Gesicht eines Jungen vor sich zu sehen, eines rothaarigen Jungen, der ihn mit verzweifeltem, flehenden Blick ansah. Er konnte noch seine eigene, harte Stimme hören, wie sie sagte: „Es war nur ein Kuss, nichts weiter. Ich kenne dich doch gar nicht, warum sollte ich da mehr wollen als Sex? “
Fast dieselbe Frage stellte er sich nun selbst. Hatte er jemals mehr gewollt von diesem jungen Mann? Und wenn ja, warum?
Sylvain, der sein Schweigen anscheinend falsch deutete, stand mit einem leisen Seufzer auf.
„Jean, bitte versteh das nicht falsch, aber sollte ich mit meiner Vermutung recht haben... ich denke, du weißt, was für ein Typ Mensch Lucien ist.“
Jean sah zu ihm hoch und lachte spöttisch auf.
„Natürlich. Keine Sorge, ich werde nie wieder so ein Theater wegen eines einfachen Kusses machen“, meinte er säuerlich. Der andere klopfte ihm kurz auf die Schulter und verließ dann das Zimmer, nicht ohne es zustande zu bringen, einmal über Jeans Wäschestapel zu stolpern. Fluchend kam er wieder auf die Beine und verabsäumte es auch nicht, dem Jungen einen finsteren Blick zuzuwerfen.
Doch dieser war mit seinen Gedanken schon wieder ganz woanders. Die Erkenntnis, zu der Sylvain ihn geführt hatte, machte ihm Angst. Nicht zuletzt deshalb, weil er das ziehende Gefühl im Magen, mochte es nun Furcht oder sonstwas sein, welches ihn beim Gedanken an Lucien überkam, nicht so einfach ignorieren konnte.
Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und stand ebenfalls auf. Sein Freund hatte Recht, er wusste, was für ein Typ Mensch Lucien war – im Grunde derselbe wie er. Was die Liebe anging, kalt und hart, und nur auf die fleischlichen Bedürfnisse bedacht.
Er braucht sich keine Sorgen um mich zu machen, dachte Jean düster, während er sich selber einen Weg zur Tür bahnte, die der Ältere wie immer offen gelassen hatte.
Obwohl er sich im Moment nicht über seine eigenen Gefühle im Klaren war – was ihn verwirrte, da er sonst damit kein Problem hatte – so wusste er doch, was Lucien an diesem Abend gewollt hatte und wahrscheinlich noch immer wollte.
Aber das wird er nicht bekommen, dachte er mit grimmiger Genugtuung.
Als Strafe dafür, dass er mit mir gespielt hat. Als Strafe, dass er in dem ungünstigsten aller Momente wieder in mein Leben platzt… und dass er mich dazu bringt, mich aufzuführen wie eine verliebte 13-Jährige.
Dafür hasste er ihn am allermeisten.
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